Kitabı oku: «Die Welten des Jörg Weigand», sayfa 6
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Eines Tages, Anfang Dezember, bekam ich durch Zufall Teile eines Gesprächs zwischen dem technischen Leiter der Computerabteilung, Ludwig Sommer, und unserem Chefprogrammierer Peter Melchior mit. Ich glaube, ich habe schon einmal festgestellt, dass ich beide nicht leiden kann. Das sind servile, karrieregeile Typen, die dauernd den Vorgesetzten herauskehren und von Kollegialität wenig halten.
Ich befand mich im Ablageraum, in dem die Magnetbänder gelagert werden; die Tür zum Computerraum stand angelehnt. Da hörte ich die beiden hereinkommen, offensichtlich mitten in einem Gespräch.
Melchior: »… kann ich bestätigen, dass es soweit ist. Wir werden unser Programm einhalten können.«
Sommer: »Wie macht sich das Mädchen?«
Melchior: »Sie besitzt eine erstaunliche Spannbreite an Ausdruckskraft. Ihre physische Konstitution ist hervorragend.«
Sommer: »Wie ist es mit ihrer psychischen Resistenz?«
Melchior: »Neuerdings ist sie starken Gefühlsschwankungen unterworfen. Ab und an kriegt sie schon mal einen hysterischen Anfall. Aber sie fängt sich immer wieder sehr schnell.«
Sommer: »Hm, das ist schlecht, Sie müssen sie mehr unter Druck setzen.«
Melchior: »Natürlich, das versuchen wir auch. Ich bin ziemlich sicher, dass wir sie dahin bekommen, wo wir sie haben wollen.«
Sommer: »Wie lange haben Sie mit ihr noch zu tun?«
Melchior: »Nur noch wenige Tage. Zwischen Weihnachten und Neujahr werden wir fertig.«
Stille, dann Sommer: »Ich verlasse mich ganz auf Sie. Es darf nichts schiefgehen. Denken Sie bei Beendigung des Programms an § 17 c unserer vertraulichen Dienstanweisung. Das Haus kann sich unnötige Folgekosten nicht leisten. Die finanzielle Lage ist angespannt, wir alle müssen unser Bestes tun, da Abhilfe zu schaffen.«
»Klar, Herr Sommer, ich …«
Dann waren die beiden wieder draußen, sodass ich ihr Gespräch nicht weiter verfolgen konnte.
Aber ich machte mir so meine Gedanken. Bellinda hatte es nun also bald geschafft. Ich freute mich für sie, hatte aber auch Angst vor dem Tag, an dem der Anschlussvertrag, der das große Geld und den Starruhm bringen würde, unterzeichnet wurde. Denn mit Anlaufen der ersten großen Produktion für das Publikum würde sich für Bellinda eine neue Welt auftun. Und damit, fürchtete ich, würde sie mir immer fremder werden. Denn wie sollte ich gegen den Glanz und die Verlockungen einer solchen Karriere anstehen können?
Meine Zweifel trieben mich zu ihr, ich fand sie in der Garderobe, einem ihrer Lieblingsplätze. Sie wurde gerade von der Maskenbildnerin für den nächsten Auftritt im Studio hergerichtet. Anscheinend sah sie mir den Sturm der Gefühle an, der in mir tobte, denn Bellinda entschuldigte sich kurz bei der Maskenbildnerin und zog mich auf den Gang hinaus.
»Was ist los mit dir?«, fragte sie und sah mich forschend an.
Ich beichtete ihr meine Bedenken, doch sie lachte mich mit ihrer glockenhellen Stimme aus.
»Du bist ein rechter Dummkopf, da brauchst du doch keine Angst zu haben. Schlimm wäre mir nur, wenn ich über dieses Jahr hinaus weiter so schuften müsste. Das könnte ich nicht mehr verkraften, ich glaube, dann würde ich lieber …«
Ich schämte mich ein wenig, denn in Wahrheit war ja sie die Belastete, und jetzt machte ich ihr mit meiner egoistischen Eifersucht auch noch das Leben schwer. Ihre Nerven waren lange nicht mehr die besten. Oft genug in den vergangenen Wochen war sie in Heulkrämpfe ausgebrochen und hatte mir anschließend ihr Leid ausgeschüttet. Mein Versuch, ihr Trost zuzusprechen, endete meist in der Prophezeiung vom baldigen Ende der Tortur. Doch was, wenn es weiterging?
Sonst fühlte ich mich in jenen Tagen beschwingt. Ich war glücklich, denn ich liebte Bellinda. Und ich war zufrieden darüber, dass sie mich mochte. Das Wort »Liebe« freilich gebrauchte sie mir gegenüber nie, doch war mein Gefühl für sie so stark, dass ich über ihre Zurückhaltung hinwegsah.
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Am dreißigsten Dezember lief Bellindas Vertrag über das Aufbaujahr ab. Ich hatte in den vergangenen Tagen wenig Gelegenheit gehabt, sie zu sehen; zwischen den Feiertagen fuhren wir nur halbe Schichten, doch das Programm lief weiter, und so hatten wir alle Hände voll zu tun – mehr als gewöhnlich.
An jenem Dreißigsten kam ich in den Computerraum gestürzt, denn ich war etwas spät dran. Mein Wagen war nicht angesprungen, und ich hatte zuletzt ein Taxi rufen müssen. Peter Melchior saß an der Eingabetafel und begrüßte mich freundlich, eigentlich freundlicher, als es sonst seine Art war.
»Wir haben das Bellinda-Programm abgeschlossen«, rief er mir entgegen. »Jetzt wird die Arbeit für uns noch interessanter. Ab Januar werden wir simulieren, die erste Produktionsanmeldung liegt schon vor.«
Ich grüßte zurück, achtete dabei wenig auf das, was er mir sagte, und betrat den Ablageraum, um mich um die neuangelieferten MAZ-Bänder zu kümmern.
Da wurde die Tür wieder aufgerissen, und Sommer stürzte herein. Ich stand verdeckt hinter der Ablage, sodass er mich nicht sehen konnte.
»Ist alles in Ordnung?«, fragte er Melchior.
»Aber sicher.«
»Was macht das Mädchen?«
»Es hat sich bereits nach dem Folgevertrag erkundigt.«
»Verdammt.« Sommers Stimme wurde wütend, steigerte sich in der Lautstärke. »Das Direktorat hat erst vor wenigen Tagen noch einmal darauf aufmerksam gemacht, dass wir uns einen solchen Starvertrag über Jahre hinweg nicht erlauben können. Im Parlament wollen sie uns sowieso den Etat zusammenstreichen. Und nach einer solchen Ausbildung, wie sie das Mädchen bei uns bekommen hat, und vor allem bei ihrer Wirkung auf Männer könnte die doch verlangen, was sie will.«
»Vorsicht, da …« Melchior versuchte offensichtlich, seinen Vorgesetzten auf meine Anwesenheit aufmerksam zu machen. Doch dieser achtete nicht darauf.
»Haben Sie an Paragraph 17 c gedacht?«
»Ja, Herr Sommer.«
»Na, und?«
»Ich habe sie informiert, dass unser gesamtes Programm durch einen technischen Defekt unbrauchbar geworden ist und dass wir die nächsten zwölf Monate dazu benützen müssen, das Programm neu zu erstellen.«
Aber das stimmt doch gar nicht, wollte ich rufen, besann mich aber. Hatte nicht Melchior gerade noch fröhlich verkündet, dass wir mit Beginn Januar mit der Simulation beginnen würden? Simulation?
In meinem Magen krampfte sich plötzlich alles zusammen. Die Angst griff nach mir.
Bellinda!
Wo war sie? Sofort musste ich sie darüber informieren; dass das alles gar nicht stimmte, was Melchior ihr erzählt hatte. Dass alles Lüge war …
Ohne auf Sommers erstaunte Blicke zu achten, drückte ich mich an ihm vorbei und stürzte hinaus.
7
Ich fand sie in der Garderobe. Mit der Nagelschere hatte sie sich der Länge nach die Pulsadern aufgeschnitten. Sie wusste, wie man das sachgemäß anstellen musste, denn erst kürzlich hatte sie vor der Kamera eine solche Szene spielen müssen.
Sie saß vor dem Spiegeltisch, ihr Kopf war nach vorne gefallen, die kastanienbraunen Haare schwammen im blutigen Wasser des Waschbeckens, in das ihre Hände hineinhingen.
Ich griff nach dem Puls. Nichts.
Ich alarmierte unseren Hausarzt. Zu spät.
Am Boden fand ich ein Blatt Papier. Sie hatte nur wenige Sätze darauf geschrieben.
Mark.
Sei mir nicht böse. Aber noch ein ganzes Jahr kann ich das nicht ertragen. Bitte, versteh mich. Ich hatte gehofft, doch das ist zu viel. Ich bin auch nicht mehr Beate Michalowski.
Bellinda
Ich war wie betäubt.
Kein Wort der Liebe. Keine Bemerkung, die uns beide betraf. Ihr Beruf war ihr doch über alles gegangen, und sie war so bitter enttäuscht worden.
Ich dachte an Sommers Erwähnung der vertraulichen Dienstanweisung, die ich als kleiner Subalterner nicht kannte. Und ich dachte an Melchiors fröhliches Gesicht, als er mir die Simulation für Januar angekündigt hatte.
Ja, jetzt konnten wir Bellinda simulieren.
Ich stürzte hinaus, ich hielt es nicht mehr aus in diesem Raum, in diesem Gebäude, unter diesen Menschen.
Draußen war ein klarer Wintertag. Gegenüber dem Fernsehgebäude errichteten Arbeiter eine riesige Anschlagwand, die Bellinda, meine Bellinda, zeigte. In übergroßen Lettern schrie es mir entgegen:
SENSATION!
IM NEUEN JAHR
BELLINDA SUPERSTAR
DIE GROSSE ENTDECKUNG
DER KOMMENDEN JAHRE!
Sie hatte erreicht, wovon sie geträumt hatte: Sie war Bellinda Superstar …
Immer am Ball (1981)
27. Mai
Heute Vormittag kam Order von der World Wide TV-News: auf dem schnellsten Wege nach Indien. Da ich die vergangenen Tage vor der kanadischen Küste das Abschlachten der allerletzten Robben gedreht habe (tolle Bilder; die neue 4-DX-Video-Kamera vermittelt den Eindruck, als spritze einem das Blut direkt ins Gesicht), bin ich nicht auf dem Laufenden. Nach allem, was ich bisher weiß, scheinen in Bangladesch wieder eine Menge Menschen am Verhungern zu sein. Eigentlich scheußlich, solche Verhungernden, aber ich habe das schon einmal mitgemacht. Man gewöhnt sich an alles; nichts als Routine.
WW-TV hat mehrere aktuelle Berichte und ein Fünfundvierzig-Minuten-Feature bestellt. Feine Sache, damit ist eine Menge Geld zu machen. Vor der Abreise muss ich aber noch mit Wolf Maier von der WW-TV sprechen, diesmal sollen die mir nicht die Butter vom Brot nehmen; die ausländischen Verwertungsrechte müssen bei mir bleiben. Besonders da ich mir vorstelle, das Feature diesmal um den Themenkreis »Mutter – Kind« herumzubauen. Wenn so ein halbverhungertes Kleines mit brauner Haut über dem aufgequollenen Bauch an den schlaffen Brüsten der auch schon fast toten Mutter kaut – das sind Bilder, die den Zuschauer ansprechen. Und so was lässt sich auch spielend international vermarkten.
28. Mai
Vor der Abreise.
Gerade war ich bei Maier. Alles geregelt. Zuerst wollten die bei WW-TV einen Aufstand veranstalten, aber dann haben sie doch klein beigegeben. Besonders als ich ihnen das Telex unter die Nase hielt, auf dem International Sensation mich aufforderte, für sie in Bangladesch zu drehen. Gut, dass ich Ted bei IS-TV kenne; irgendwann werde ich ihm den kleinen Freundschaftsdienst mit dem getürkten Telex schon vergelten können.
Habe die Kamera noch einmal durchgecheckt. Alles okay. Nur das Zoom wollte zuerst nicht recht; irgendein Schmutzpartikelchen muss sich an der Schiene festgesetzt haben. Mit dem Staubpinsel war schließlich auch das in Ordnung zu bringen. Seitdem die TV-Anstalten sparen und nur noch Einmann-Berichterstatter bezahlen wollen, muss ich besonders sorgfältig darauf achten, dass mit der Kamera immer alles in Ordnung ist.
Früher, als ich gelernt habe, bestand ein Team immerhin aus vier Leuten: Kameramann, Kameraassi, Toningenieur und (eventuell) Beleuchter. Dazu kam dann noch der Reporter, der oft genug abseits vom Team seine Recherchen anstellte. Seit zehn Jahren, also seit etwa 1985, mit der Einführung der ersten Allroundkameraausrüstung mit Einmannbedienung, ist das alles überflüssig geworden. Nun bin ich mit meiner Kamera allein vor Ort: Als Reporter und Kameramann in einer Person; das eingebaute Richtmikro auf Schwenkachse sowie der automatische Lichtausgleich, der selbst bei schlechtesten Lichtverhältnissen das Drehen noch erlaubt, haben auch die restlichen Teammitglieder überflüssig gemacht. Manchmal stört mich freilich das Reportagemikro direkt vor meiner Nase, aber da die neue 4-DX-Video praktisch selbsttätig arbeitet, sobald ich sie auf ein lohnendes Motiv gerichtet habe, kann ich mich doch sehr auf den Text konzentrieren, den ich auf das fertig geschnittene Material spreche, wie ich es auf dem (leider etwas zu kleinen) Monitor sehe.
30. Mai
Gestern kam ich nicht dazu, wenigstens einige Eindrücke festzuhalten.
Der Flug verlief ruhig, der Service an Bord der Maschine war, wie immer in den letzten Jahren, miserabel. Der Zoll in Dakka machte einige Schwierigkeiten, aber auch daran habe ich mich schon gewöhnt. Bis ich dann in meinem Hotel – dem »Metropol« – war, ging gerade die Sonne unter. Nach einem schnellen Imbiss und einem erneuten Checking der Kamera, die (toi, toi, toi) die Reise gut überstanden hat, blieb gerade noch Zeit für einen Drink an der Bar. Dort traf ich dann einige Kollegen, die bereits seit Tagen hier sind, darunter José Amadillo von Brazil Inter und Hajime Suzuma von Nippon Standard TV sowie Terry Marx, der für eine Privatfirma an einer Dokumentation über »Katastrophen 1995« arbeitet. José und Terry kenne ich von mehreren Einsätzen her, unter anderem aus Zentralafrika von der großen Flut und von dem Erdbeben vor zwei Jahren auf den Ryukyu-Inseln. Hajime Suzuma war mir bisher nur vom Hörensagen bekannt; er gilt als scharfer Hund, der überall hart am Ball bleibt. Alle drei Konkurrenten, gewiss, aber auch prima Kumpels.
Heute habe ich als Erstes einmal die Stadt in Augenschein genommen. Sie ist total überfüllt, da die Bevölkerung vom Lande hereinströmt in der Hoffnung, hier etwas zu essen zu bekommen. Doch da die Stadtverwaltung Rationierungsbons ausgegeben hat, die nur für alteingesessene Stadtbewohner gelten, krepieren die Bauern schon direkt vor der Hoteltür. Habe einige nette Motive gesehen (bei einer Rauferei um einen schimmligen Reisfladen hat ein Jugendlicher einem Greis das linke Auge ausgekratzt). Habe mich geärgert, dass ich die Kamera im Hotel gelassen habe.
Zurück im Hotel, musste ich feststellen, dass diese Flaschen noch nicht einmal in der Lage sind, ihren Gästen ein Steak vorzusetzen. Musste mich mit Spiegeleiern auf Toast begnügen. Die Eier schmeckten schauderhaft nach Fischmehl, ich habe die Hälfte stehenlassen und eine geharnischte Beschwerde angebracht. Doch diese sturen Hunde kann nichts beeindrucken. Der schiefnasige Kellner hat nur mit der Achsel gezuckt und abgeräumt. Als ich gleich darauf den Speisesaal verließ, sah ich ihn in einer Ecke meinen Teller leeren. Na, wohl bekomm’s!
31. Mai
Ich bin rechtschaffen müde. Dieser Tag hatte es in sich. Gleich am Morgen sind Terry Marx und ich in die Umgebung von Dakka gefahren, auf der Suche nach lohnenden Motiven. Ich glaube, ich habe erstklassiges Material bekommen.
Etwa neun Kilometer außerhalb trafen wir in einem Dorf mit unaussprechlichem Namen auf ein Notaufnahmelager. Ein unerwarteter nächtlicher Platzregen hatte die Wege des Lagers zum Teil bis in Kniehöhe unter Wasser gesetzt. Die Leute hocken wahllos in irgendwelchen schlammgefüllten Löchern; das Wasser steht ihnen bis zum Hals – doch sie rühren keinen Finger, um sich selbst zu helfen. Dazwischen liegen die Leichen der Verhungerten, keiner kümmert sich um ihre Beseitigung. Sicher, das gibt Bilder, doch etwas mehr »Action« wäre mir lieber. Schließlich kann ich hier nicht so lange warten, bis die Cholera ausbricht (und Anzeichen dafür gibt es). Schön und gut: Die Mutter, die in der vergangenen Nacht ihr Baby nicht schnell genug aus den einströmenden Fluten geborgen hat und nun, das ertrunkene Mädchen im Arm, in ihrem Dreckloch sitzt und vor sich hinstarrt, ist vielleicht als Einstieg für mein Feature nicht schlecht. Aber eigentlich hatte ich mir mehr erhofft …
Da lobe ich mir die Überschwemmung letztes Jahr in Zentralafrika. Der Dauerregen prasselte dreiundsechzig Tage lang herunter, und die Wassermassen, die sich durch das Hochtal wälzten, über dem wir unser Standquartier bezogen hatten, besaßen eine solche Wucht, dass sie selbst die riesigsten alten Baumknorren mit sich fortrissen. Damals drehte ich für die kanadische Gesellschaft TT-TV. Besonders begeistert war man in Ottawa von meinem Kurzbericht – ich möchte es eine Impression nennen – über das Knäblein, das versuchte, seinen vom Wasser hinweggeschwemmten Hund zu retten. Ich stand unmittelbar neben dem Buben, als er selbst abgetrieben wurde. Mit dem Zoom habe ich alle Details haarscharf mitbekommen. Beinahe hätte ich dafür auch noch einen Preis erhalten; das sind eben Bilder, wie sie das Publikum sehen will.
Ich glaube, wir müssen weiter ins flache Land hinein, um genügend Stoff für unsere Berichte zu erhalten. Auch Terry ist nicht recht zufrieden; vorhin schimpfte er, das sei doch alles Routinequatsch. Unmittelbar vor der Hauptstadt sieht eben alles noch viel zu geordnet aus. Das hat mir auch Pierre Mireau bestätigt, den ich auf dem Rückweg vom Notaufnahmelager traf. Pierre ist noch einer von den Altmodischen. Er arbeitet immer noch mit der ARRI, hat ein komplettes Team dabei, wie wir es seit Jahren nicht mehr kennen – und er arbeitet mit einem Reporter zusammen, dem es aber hier in Bangladesch zu blöd ist, mit vor Ort zu fahren. So hat Pierre freie Hand beim Drehen; getextet wird dann am Abend in der Hotelbar.
1. Juni
Mann, bin ich geschlaucht.
Gestern Abend bin ich mit Pierre und Hajime in einer Bar der Altstadt versackt. Hajime hat mir ein paar Tipps gegeben, wo für meine Featurestory eventuell noch etwas an Bildteppich zu holen ist. Ich habe zwar den Verdacht, dass er selbst dort schon fleißig abgegrast hat, aber ich denke, wir werden uns dennoch nicht ins Gehege kommen.
Als angenehme Überraschung stellte sich heraus, dass Pierre Mireau vor sieben Jahren ebenfalls in Saudi-Arabien war, als die amerikanische Eingreiftruppe die Ölquellen besetzte. Komisch, dass wir uns damals nicht gesehen haben. Andererseits herrschte dort damals ein solches Durcheinander …
Saudi-Arabien war ein toller Job. Es war mein erster Versuch als Freelancer. Ich hatte in der International Prop Oil einen potenten Geldgeber gefunden; die amerikanische Ölfirma wollte Bildmaterial für den hausinternen Gebrauch. Das hat sie auch bekommen, zur Genüge. Leider ist davon natürlich nie etwas über den Sender gegangen. Das gesamte Material liegt noch bei der Firma – was die daraus gemacht haben, ist mir unbekannt. Eigentlich schade, denn ich hatte zum Beispiel exklusiv, wie die Eingreiftruppe das Erdölministerium »gesäubert« hat. Mann, war das ein Spektakel, die Jungs haben ganz schön gewütet. Starkes Material war das. Na ja, wenigstens hat die Ölgesellschaft gut bezahlt. Und weiterempfohlen hat sie mich auch. Seitdem bin ich gut im Geschäft und habe, glaube ich, inzwischen einen prima Riecher für zuschauerwirksame Bilder entwickelt. Das kommt einem bei einem Einsatz wie hier in Bangladesch, wo so gar nicht viel los ist, gut zustatten. Wo nichts ist, muss man halt was zaubern.
Heute sind José und ich weiter von Dakka ins Landesinnere gefahren. Etwa fünfzig Kilometer, dann fanden wir, wonach wir suchten. Hier auf dem flachen Land ist die Not in der Tat schlimmer als dicht vor den Toren der Hauptstadt. Mein Feature nimmt immer mehr Gestalt an. Von den Kurzberichten habe ich bereits einige abgeschickt. Die 4-DX-Video bewährt sich wieder einmal, auch bei solchem Routinekram.
Die Erde ist hier knochentrocken und hat teilweise mehrere hundert Meter lange Risse. Wo man hintritt, wallt feinpulvriger Staub auf. Den Regen vorletzte Nacht muss das Land wie ein Schwamm geschluckt haben. Ein Tropfen auf den heißen Stein. Durch meine Sauferei gestern Abend, aber auch wegen des verteufelten Staubs überall, habe ich einen solchen Brand, dass ich schon fast eine ganze Flasche Bourbon ausgetrunken habe. Mein Kopf fühlt sich an wie ein wattegefüllter Ballon.
Die Menschen liegen hier auf den Straßen, auf den Feldern, in den Häusern, kurz überall herum und regen sich nicht mehr. Ausgemergelte Gestalten, denn flüssige und feste Nahrung fehlt. Was mir fehlt, ist »Action«! Ich traf einen UN-Beauftragten, der sich vor Ort ein Bild von der Katastrophe machen wollte. José war gerade am anderen Ende und versuchte, ein Interview mit einem Bauern zu erhalten. Der UN-Beauftragte schätzt die Zahl der bisherigen Toten auf über hunderttausend. Ich habe ihn sofort vergattert, dass er diese Zahl vorerst – zumindest bis morgen – zurückhält. So habe ich sie exklusiv und kann drum herum eine tolle Rührstory bauen. Den Bildteppich dazu habe ich hier vor der Nase.
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