Kitabı oku: «Der Bienenleser»

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José Luis de Juan

Der Bienenleser

Aus dem Spanischen von

Silke Kleemann


Für meinen Vater

Die Bienen auf dem Kaisermantel sind für mich ebenso geheimnisvoll, wie sie es für Childerich in seiner Mottenkiste und für Napoleon selbst gewesen sein müssen, ebenso unverständlich wie die Rätsel des Salomon oder die Gleichnisse des Evangeliums. Wir können nur an der Hoffnung festhalten, daß wir eines Tages wissen werden, was die Bienen für das Geschick des großen Kaisers und unserer alten Welt bedeutet haben, die seit seinem Verschwinden stetig tiefer in die Finsternis hinabsinkt.

Léon Bloy

Das Märchen von N. kommt mir gerade so vor wie die Offenbarung des Johannes: Es fühlt ein jeder, daß noch etwas drin steckt, er weiß nur nicht was.

Johann Wolfgang von Goethe

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

1

Mein lieber Andrea,

Bonaparte hat gestern in Fontainebleau abgedankt. Mit dem Rücken zur Wand soll er versucht haben, mit gerade einmal zwanzigtausend Soldaten – vergeblich hatte er noch einmal so viele aus Italien angefordert –, auf Paris zu ziehen, wo ihn eine sichere Niederlage erwartet hätte. Die Generäle, allen voran MacDonald, haben ihm die nackten Zahlen vor Augen gehalten: eine halbe Million Männer standen gegen ihn.

Doch was jetzt zählt: Er hat Elba angenommen, im Gegenzug für alles andere, außer seinem Kaisertitel (Kaiser von Elba!), den zu verwenden ihm weiterhin gestattet ist. Er wird die Insel spätestens in einer Woche und noch vor diesem Brief erreichen, den ich dir heute mit Vittorini via Livorno schicke.

Wer hätte das gedacht! Über so viele Jahre haben wir seine Schritte voller Hingabe mitverfolgt, und nun kommt er in unsere Reichweite. Besser gesagt, in deine und die unserer Kameraden, denn ich bin mittlerweile zu weit weg. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Bonaparte es lange auf Elba aushält. Kaum einer will glauben, dass sein Ehrgeiz, der Welt zu dienen, nun erloschen sei. Wie sollte ein Mann von vierundvierzig Jahren, der Europa mehr als ein Jahrzehnt lang in Schach gehalten hat, die endgültige Niederlage hinnehmen? Nein, das hier ist ein taktischer Rückzug. Er hatte keine andere Wahl. Und Elba, das kannst du dir denken, war für ihn die am wenigsten schlechte Lösung von allem, was ansonsten noch im Gespräch war.

Duvadier zufolge ging es um St. Helena und Nordamerika, und damit hätte man ihn für immer vom Schauplatz seiner Siege, aus seinem grenzenlosen Reich verbannt.

Gewiss kann man ihn auf deiner Insel engmaschig überwachen: wer ihn besucht, welche Informationen er erhält, wie er sich auf der Insel bewegt. Doch wenn wir unsere Trümpfe geschickt ausspielen, kann er innerhalb weniger Stunden in Italien sein, um einen Aufstand anzuführen, oder nach einer Tagesreise auf einem schnellen Schiff in den Häfen von Nizza oder Cannes einlaufen. Sein Aufenthalt auf Elba wird nicht von langer Dauer sein, da bin ich mir sicher. Wir müssen überlegt, aber rasch handeln.

Ich rechne fest damit, dich nächsten Monat in Pisa zu sehen. Bis dahin hast du bestimmt alle notwendigen Informationen beisammen, damit wir einen machbaren Plan schmieden können.

Anselmo

P. S. Vergiss nicht, mir von deinem

Lavendelhonig mitzubringen, der Katarrh

bringt mich noch um.

2

Der Nebel, der meistens die Umrisse von Monte Argentario verschleiert, hat sich aufgelöst. Die Festlandlinie zeichnet sich klar und deutlich ab, gesäumt von einem feinen weißen Rand. Castiglione ist ein winziger weißer Fleck, der eine bloße Erinnerung an Castiglione enthält.

Es ist Sonntag. Bonaparte trotzt der Augusthitze, indem er in Arbeit abtaucht. Er steht über die Karte einer Insel gebeugt, inmitten von Zirkeln, Linealen und Bleistiften, und zieht mit erhobener Hand Linien. Hier und da macht er eine Notiz, in gedrängter, nach rechts neigender Schrift. Gestern hat er beschlossen, die Honigproduktion auf der Insel, angefangen beim größten Bienenhof, gründlich zu inspizieren. So hat er es seinem Sekretär Méneval mitgeteilt; doch schon vor Wochen stand dieses Vorhaben für ihn fest. Er weiß, dass ihn nur rastlose Tätigkeit, eine ausgeklügelte Strategie gegen die sich ausbreitende Langeweile, auf Elba am Leben halten kann.

Nicht einen Tag lang hat er sich erlaubt, die tückischen Wunden des Stolzes zu lecken. Er hätte bei all den Affronts verweilen können, die seine Feinde ihm zugefügt haben. Ganze Tage hätte er darauf verwenden können, den Hass zu ordnen, die Rache zu organisieren. War er etwa nicht gezwungen gewesen, sich als Kurier zu verkleiden und den Bock mit dem Kutscher zu teilen, um nicht an einer Wegkreuzung in der Provence vom Pöbel gesteinigt zu werden? Hatten sie ihn etwa nicht genötigt, seine Herrschaft über anderthalb Kontinente gegen die über eine winzige, vor dem toskanischen Festland gestrandete Insel einzutauschen?

Wenn die hoffen, dass er, durch den Schiffbruch seines Imperiums aus der Bahn geworfen, an den Stränden von Elba verrotten werde – diese Genugtuung wird er ihnen nicht geben. Er ist kein Robinson Crusoe auf einer verlassenen Insel, der beim Anblick von Spuren menschlichen Lebens im Schlick erstarrt. Und doch geht er seine Einsamkeit auf der Insel mit ähnlichem Kalkül und ebenso pragmatisch an wie ein Robinson Crusoe, als gelte es, den Rest seines Lebens dort zu verbringen. Er verspürt sogar den Wunsch, sich unters Volk zu mischen.

Am Nachmittag lässt er das Kartenspiel mit den Damen aus. Die genaue Standortbestimmung der Bienenstöcke auf der Landkarte hält ihn den Großteil des Tages beschäftigt. Ein Unwohlsein vorgebend, entzieht er sich dem obligatorischen Unterhaltungsprogramm in der Villa dei Mulini. Das sommerliche Hofleben erscheint ihm in der drückenden Augustschwüle grotesker denn je. Wie immer nimmt er ein leichtes Abendessen zu sich, trinkt zwei Gläser eines einheimischen aschgrauen Weins, und nachdem er mehrere häusliche Angelegenheiten peinlich genau und umso ungeduldiger erledigt hat, zieht er sich in seine Gemächer zurück.

Die letzten Lichtstrahlen der Abenddämmerung fallen durch das Fenster des Vorzimmers. Schweißperlen stehen ihm auf der Stirn. Keine Brise weht mehr. Der Kaiser blickt aufs Meer, das sich jetzt in Richtung Korsika kräuselt.

An einer Seitentüre, eingelassen in die mit indigoblauer Seide bespannte Wand, macht sich ein Diener bemerkbar. Er hilft ihm, die Stiefel auszuziehen und den grünen Gehrock aufzuknöpfen. Bonaparte übergibt ihm den blankpolierten Degen und erfrischt sich das Gesicht über einer tönernen Waschschüssel. Während er sich trocken reibt, dreht er sich in Hemdsärmeln zu seinem englischen Schreibtisch um, wo drei am Vortag eingetroffene Bücher sowie stapelweise Akten, Briefe und Memoranden auf ihn warten. Bis auf die neuen Bücher schiebt er alles mit energischer Hand zusammen und packt es ganz hinten in eine Schublade. Er setzt sich und greift nach dem ersten Buch, »Vie des abeilles africaines«, von Gaston de Fresnais, und studiert das detaillierte Inhaltsverzeichnis, hält beim Kapitel 7 inne:

»Tötung der Drohnen — Neuordnung des Bienenstocks — Herrschaft der jungen Königinnen — Entstehung der Königin — Nachfolge der Königin — Rückkehr zur Arbeit.«

Er schlägt Seite 137 auf. Liest reglos und ohne aufzublicken eine ganze Stunde lang.

Die sirrenden Mücken künden die Dunkelheit an. Sie umschwirren den Kaiser, ziehen ihre Bahnen und Kreise, rühren ihn jedoch nicht an. Sein Blut scheint ihnen nicht zu schmecken; noch nie wurde er von Mücken gestochen. Von Bienen auch nicht.

Der volle Mond zeigt sich am Himmel.

Bonaparte denkt an die Nächte von Ajaccio. Nicht an eine bestimmte, vielmehr an das Himmelslicht und die Geräusche der frühen Morgenstunden. Er denkt, dass alle seine Nächte – die von Paris, die in den Palästen von Mailand, Wien und Berlin, aber auch die zahlreichen Nächte vor den Schlachten, wenn er in seiner Schlaflosigkeit den Sieg erdachte – sich auf jede beliebige seiner korsischen Nächte zurückführen lassen, auf die im Dunkeln lauernden Vorahnungen. Und diese Sommertage auf Elba, hatten die nicht etwas vom Geheimnis jener glimmenden Tage seiner Kindheit, wenn alle Mittagsschlaf hielten, oder zumindest so taten, während sie es in den Heuschobern miteinander trieben, und er, berauscht von den Rosen und Margeriten und dem Frühlingsenzian, hinter den Myrtensträuchern darauf lauerte, dass die Bienen für ein paar Sekunden aufhörten zu summen und sich am Nektar labten; diesen Moment nutzte er dann, um sie mit seinem Tüllnetz zu fangen und in Glasgefäße zu sperren, wo sie benommen in dem Wissen starben, dass sie niemals mehr in ihren Bienenstock zurückkehren würden.

Die Tage von Ajaccio und die Nächte von Ajaccio. Aber auch alles andere war geschehen. Nein, er, Bonaparte, wird sich nicht dem Wahnsinn hingeben, zu dem einige glauben, ihn verurteilt zu haben. Fortuna hält für ihn noch einige Karten bereit. Er hat ein Bild von sich vor Augen: Eine Biene, die sich aus dem Tüll löst und gen Sonne flieht, als wäre sie nie gefangen worden.

Er nimmt das zweite Buch zur Hand »Manuel de l’Apiculteur à la Campagne«. Es kommt frisch aus der Druckerei von Dechambres, es riecht noch nach Druckerschwärze. Wunderschöne Abbildungen. Die überraschende Innenansicht eines Bienenstocks im Längsschnitt bis in alle Einzelheiten. Wie sie das wohl hinbekommen haben? Und diese neuen Masken aus Kupferdraht, so praktisch und so sicher.

Die Aufstellung der Bienenstöcke befriedigt ihn nicht – Holzhäuschen wie Kuckucksuhren ohne Verzierung –, in pyramidenförmig wachsender Anordnung, jeder neuen Reihe entspricht eine zusätzliche Beute, wie die Abbildung Nr. 35 illustriert (»La disposition pyramidale«). Er zieht die traditionelle Anordnung im Halbkreis vor, denn seiner Meinung nach spart sie Zeit und Platz und erlaubt es dem Imker, sich beim Einsammeln der Rahmen mit dem kristallisierten Honig im Uhrzeigersinn anstatt im unbequemen Zickzack zu bewegen, mit dem damit verbundenen Risiko, die Zargen umzustoßen.

Er verweilt auf den letzten Seiten bei der Zusammenfassung der neuesten Untersuchungen über den Orientierungssinn der Bienen. Ein Naturforscher aus Rouen schaffte ein Volk von einem Hof zu einem drei Meilen entfernten anderen, wo bereits Hunderte von Bienenstöcken standen. Achtundvierzig Stunden, nachdem er die Bienen auf dem zweiten Hof freigesetzt hatte, stellte er fest, dass mindestens siebzig Prozent der Arbeiterinnen – zur Wiedererkennung karminrot markiert – in ihren Ursprungsstock zurückgekehrt waren; ihre Pollenkörbchen randvoll, denn unterwegs hatten sie dem Ruf der blühenden Felder unmöglich widerstehen können.

Kurzum, ein gutes Handbuch für Bienenhalter, das er sich später noch einmal vornehmen will.

Bonaparte gähnt. Das dritte Buch, »Bees in the Ancient World. Roman Epigrams about bees« bleibt ungeöffnet auf seinem englischen Schreibtisch liegen.

3

Am Vortag, einem Samstag, war ein Lakai im Haus von Andrea Pasolini vorstellig geworden und hatte ihm verkündet, dass der Kaiser ihn am Montagmorgen um sechs Uhr dreißig zu besuchen beabsichtige und fest mit ihm rechne, um die Bienenvölker von Elba kennenzulernen.

— Wer ist dieser Pasolini, Majestät?, hatte Méneval zu fragen gewagt, als er den Namen des Imkers zum ersten Mal hörte.

Bonaparte hatte erwidert, dass er diese Antwort eben gerade von ihm erwarte.

Folgender Bericht, abgefasst in Ménevals präzisem, zuweilen ausschweifendem Stil, gibt also wieder, was der Kaiser von Elba dank der Auskünfte seiner diskret auf der Insel ausgeschwärmten Spione über den Imker Pasolini in Erfahrung gebracht hat:

Nachkomme von Bauern aus der Maremma, die auf der Flucht vor der Malaria vor über hundert Jahren auf die Insel übergesiedelt sind. Pasolini führt den von seinem Vater gegründeten Bienenhof weiter. Ein Erbe, das er nicht hat ausschlagen können. Anfangs fand die Honigernte im Wechsel mit anderen Landarbeiten statt, doch inzwischen nehmen die Bienenstöcke fast seine gesamte Zeit in Anspruch. Der Honig von Elba genoss ab 1750, als ein Arzt aus Grosseto ihm heilende Wirkung zuschrieb, einen immer größeren Ruf. Schließlich wurde er zu einem guten Geschäft. Besser als der Bergbau, der Wein und der Anbau verschiedener Hülsenfrüchte, neben dem Fischfang die jahrhundertealten Erwerbstätigkeiten auf der Insel, und selbstredend weniger mühevoll als letzterer. Dank dem Honig, den sie auf das italienische Festland exportierten, brachte es die Familie Pasolini zu beträchtlichem Wohlstand. Der Vater erwarb mehrere Grundstücke auf der Insel und baute das Geschäft aus. Ohne weiteres hätte er sich das Honigmonopol für ganz Elba sichern können, hätte eine Lähmung ihn nicht zwei Jahre lang ans Bett gefesselt, die schließlich zu seinem Tode geführt hat.

Der Lebensweg von Andrea Pasolini blieb mit den Bienen verbunden. Zwischen zwei Schwestern geboren, war er ein stiller Junge, ein unermüdlicher Beobachter, der in Gedanken immer anderswo zu sein schien. Seine Neugierde, was es wohl mit dem Summen im Bienenstock auf sich hatte, verflüchtigte sich bald wieder. Nun faszinierten ihn die Lektionen und Geschichten des Dorfpfarrers und die seltsamen Worte aus dessen Mund. Und Padre Anselmo, der in den wachen Augen des Jungen das Aufschimmern einer außergewöhnlichen Intelligenz erkannte, machte ihn mit zwölf Jahren zu seinem Schüler. Wer weiß, wohin Andrea Pasolini es noch gebracht hätte, wenn ihm durch den Tod des Vaters nicht das Schicksal eines Imker beschert worden wäre.

Die sieben Jahre, die er unter der Obhut von Padre Anselmo verbrachte, sollten reiche Früchte tragen. Der Pfarrer lehrte ihn Latein und Griechisch. Und er lernte das Französische, zumindest das schriftliche, das als die kultiviertere Sprache vor dem Italienischen galt, welches auf der Insel mit toskanischem Akzent gesprochen wurde. Padre Anselmo war kein gewöhnlicher Priester. Seine Lektüren hätten jeden Provinzkaplan empört.

Wie unser Kaiser heute, war auch der Priester nach Elba verbannt worden; sein übermäßiger Wissens- und Tatendrang hatte den Bischof veranlasst, ihn aus der Diözese von Siena zu entfernen. Dank ihm lernte Pasolini die römischen und griechischen Klassiker lieben. Er las Apuleius und Platon, Terenz und Aristoteles. Von Voltaire und Diderot war er überwältigt; er gab sich den scharfsinnigen Gedankengängen von Montaigne und den befreienden Ideen Rousseaus hin; er ließ sich von der maßvollen Ekstase Pascals rühren. Er verschlang die Bücher, in fiebriger Begeisterung.

Eine Nachbarin wusste zu berichten, dass es ihm mit achtzehn Jahren offenbar größte Befriedigung bereitete, sich einen ganzen Tag lang vom Hof davonzustehlen. Ein Bündel mit Büchern auf dem Rücken machte er sich auf den Weg zur höchsten Erhebung der Insel, den Monte Capanne, und las dort stundenlang, an den Stamm eines Feigenbaums gelehnt, über den die Ameisen krabbelten.

Manchmal überraschte ihn die Nacht, dann musste er in einer Höhle schlafen. Von diesen Ausflügen kehrte er mit entrücktem Blick und einem Tick um die Lippen zurück, über die unablässig auf Französisch und Latein gemurmelte Sätze kamen.

Der Bericht endet mit einer Statistik über die Honigproduktion auf dem Hof von Pasolini im Vergleich mit der seiner Konkurrenten auf der Insel.

Bonaparte aber weiß nicht, dass der heutige Imker seinerzeit, als sein Vater sich noch um die Bienen kümmerte und er selbst ganz in seinen Studien aufging, das Schreiben für sich entdeckt hatte. Anfangs kopierte er Abschnitte aus Büchern, später schrieb er sie aus dem Gedächtnis nach, variierte dabei gewisse Formulierungen und fügte eigene Beispiele hinzu. Bis er zu einem eigenen und eigenwilligen, lebendigen Stil fand. Im Alter von etwa dreiundzwanzig schrieb er – unter der Last der ihm zugefallenen neuen Verpflichtungen und weil seine Zeit tagsüber äußerst knapp bemessen war – des Nachts kurz und pointiert nach Art von La Rochefoucauld. Seine Schreibweise blieb unmittelbar und modern, neigte kaum zur Rhetorik, was ein Verdienst war, wenn man bedenkt, dass seine Bildung von der Kanzel kam.

Er schrieb über das, was er erlebte und was er empfand, aber auch darüber, was andere erlebten und was diese vermeintlich empfanden: Nur im Spiegel der Anderen, so glaubte er, drückt sich das eigene Leben in der Welt aus. Mit der Zeit machten die verdichteten Beobachtungen dessen, was anderen Menschen widerfuhr, Platz für ebenso dichte Beobachtungen dessen, was mit seinen Bienen geschah. Sie und ihr geschäftiges Treiben zogen seinen aphoristischen Eifer auf sich, bis sie fast zum Mittelpunkt seiner Betrachtungen wurden.

Blättert man zum Beispiel Pasolinis Hefte von 1805 durch und vergleicht sie mit denen von 1790, fällt auf, dass der zuvor weitschweifige und emphatische Schreibstil an Überhang verliert: die Wörter werden kürzer, die Sätze sind gewollt knapp gehalten. Und insbesondere in den Heften nach 1812 finden sich zuweilen ganze Seiten voll rätselhafter Sätze mit unbekanntem Subjekt, wie diese hier:

Sie kommen und gehen, verweigern sich der Erfahrung des allgegenwärtigen Schreckens. In den Momenten ohne Zeit kennen sie kein Erbarmen. Halten sich für einzigartig und unsterblich. Der Genuss schmerzt sie. Sie übertreiben. Saugen.

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