Kitabı oku: «Mala Sombra - Böser Schatten», sayfa 2
UNBESTECHLICH
Am Abend des fünfundzwanzigsten Mai musste Laura eine Erfahrung machen, die sie so schnell nicht vergessen sollte. Es war bereits neunzehn Uhr, als im Labor das Telefon schellte. Sie hatte sich bereits ihren weißen Kittel abgestreift, um in den wohlverdienten Feierabend zu gehen. In der Gran Villa hatte es einen Unfall mit Todesfolge gegeben.
Eine Frau war die Treppe hinuntergestürzt, mehr wusste sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Bei Unfällen mit Todesfolge musste zu jener Zeit immer die Polizei benachrichtigt werden, um festzustellen, ob nicht doch möglicherweise ein Verbrechen vorlag.
Laura hatte sich mit einer Kollegin auf den Weg gemacht. Die dritte Etage bewohnte der Kommunalpolitiker Adolfo Casillas. Eine Luxuswohnung direkt im Zentrum von Barcelona. Aus dem Salon führte eine Holztreppe in den oberen Bereich, in dem die Schlafräume untergebracht waren.
Als Laura den Salon betrat, bemerkte sie den Kommunalpolitiker, der auf dem großen Ledersofa saß und nur kurz aufgeschaut hatte, als er die Spurensicherung sah. Sein Gesicht in den Händen vergraben, stammelte er fortwährend unverständliche Worte.
Laura kannte seine Visage, die sie einige Male auf Wahlplakaten gesehen hatte. Casillas schien am Boden zerstört. »Ich habe ihr immer gesagt, sie solle die blöden Schuhe wegschmeißen«, stammelte er.
Juan Medina saß Casillas gegenüber und versuchte einige Fragen zu stellen, die den Unfallhergang betrafen, währen Laura auf den Mann zuging, der sich über die Leiche beugte.
»Sind Sie der Arzt, der den Tod feststellen soll?«, fragte Laura.
»Und Sie sind die Spurensicherung? Ich glaube, hier gibt es nichts zu sichern, das war ein Unfall.«
»Herr Doktor, ob das ein Unfall war oder nicht, das werden unsere Untersuchungen ergeben. Unterstehen sie sich, auf dem Totenschein als Ursache einen Unfall zu bescheinigen. Oder woher, glauben Sie, kommt die große Menge Blut dort an der Wand?«
Laura wandte sich ab. Sie hatte längst gesehen, dass hier etwas nicht stimmen konnte. Der Mediziner, der hier vor Ort war, schien der Hausarzt der Familie Casillas zu sein. Schnell den Tod als Unfall darzustellen, einen Tag später die Leiche einäschern zu lassen und alles war vergessen. Das war mit Laura Velasquez nicht zu machen. Sie war Blutspurenspezialistin und das, was sie hier sah, war alles andere als ein Unfall.
Das Opfer lag am unteren Treppenabsatz und war vor eine Natursteinwand gefallen und hatte sich, wie man auf den ersten Blick vermuten konnte, an dieser Wand die Kopfverletzungen zugezogen – wenn da nicht die Wand in einer Höhe von ein-Meter-sechzig mit Blutspuren übersät gewesen wäre. Die Spritzspuren, die im oberen Bereich der Wand zu sehen waren, konnten nur entstanden sein, wenn mit großer Gewalt auf die Blutungsquelle mit einem Gegenstand eingeschlagen wurde. Laura und ihre Kollegin hatten kleine Schilder mit Zahlen aufgestellt und mit Akribie unzählige Fotos gemacht.
Laura war die hölzerne Treppe hinaufgegangen und stand nachdenklich auf dem oberen Absatz.
»Hier hat das angefangen«, sagte sie leise zu sich selbst. Zu ihren Füßen hatte Laura einen feuchten Fleck auf dem Terrakottaboden entdeckt. Hier war gründlich gereinigt worden. Ihr Blick fiel auf den oberen Bereich der Wand, an dem sich ebenfalls einige Spritzspuren befanden. Rasch nahm sich Laura ein Messer und kratzte einige dieser Spuren von der Wand, die der Täter offensichtlich beim Saubermachen übersehen hatte.
Auf den Treppenstufen lagen einige Wäschestücke verteilt. Laura hatte eines dieser Stücke angehoben, unter dem sie eine große Blutlache entdeckte. Wie kam das Blut unter die Wäschestücke? Dieser Tatort war so dilettantisch inszeniert worden, dass sie kopfschüttelnd minutenlang auf dem Treppenabsatz stand.
Als sie von oben in den Salon schaute, bemerkte sie, dass der Politiker Casillas und der Ermittler Juan Medina verschwunden waren. ›Komisch, dachte Laura, wohin sind die beiden gegangen? Haben die beiden etwas zu besprechen, was niemand hören soll?‹ Diesen Gedanken, wagte sie nicht zu Ende zu denken.
Die beiden Frauen hatten inzwischen ihre Utensilien zusammengepackt und wollten den Ort des Geschehens verlassen. Laura hatte Casillas und Medina durch eine große Glastür auf dem Balkon entdeckt, wo sie sich angeregt unterhielten. Als Laura die Balkontür öffnete, um zu avisieren, dass sie fertig sei, erschraken die beiden und verstummten augenblicklich.
›Aha, also doch‹, dachte Laura.
»Einen Augenblick«, sagte Medina, »ich gehe mit euch!« Er verabschiedete sich eiligst von Casillas. Die Forensikerin hatte längst gemerkt, dass Medina etwas loswerden wollte.
»Und was steht morgen in deinem Bericht, Laura?«
»Auf jeden Fall das, was es ist – Mord.«
Medinas Gesicht verfärbte sich augenblicklich.
»Ich würde mir das in deiner Stelle noch einmal gründlich überlegen. Casillas ist Politiker und hat großen Einfluss.«
»Pass mal auf, mein Freund«, sagte Laura zornig, »wenn ich morgen früh die Leiche nicht in der Pathologie habe, bist du die längste Zeit Polizist gewesen. Und jetzt geh wieder hoch zu deinem Freund, ruf den Leichenwagen und mach gefälligst deine Arbeit, wie sich das für einen Polizisten gehört.« Juan Medina stand wie angewurzelt auf der Straße und schaute Laura an, als habe ihn der Blitz getroffen.
Der nächste Morgen – Laura hatte nicht gut geschlafen und ihr erster Weg führte sie in die Pathologie. Die Leiche der Irma Casillas war tatsächlich in den späten Abendstunden noch in die Gerichtsmedizin gebracht worden. Laura zog sich schnell ihren weißen Kittel über, um bei der Leichenschau und der Obduktion dabei sein zu können.
Doktor Domingez hatte inzwischen der Toten den Schädel rasiert, um sich ein Bild der Verletzungen zu machen, die zum Tode geführt hatten. Auf der Schädeldecke waren drei riesige Verletzungen zu erkennen. Eine tiefe Delle, die mit roher Gewalt durch einen schweren Gegenstand verursacht worden war, kam zum Vorschein. Die tiefe Kerbe auf dem Kopf hatte mit hoher Wahrscheinlichkeit ein schweres Hirntrauma ausgelöst und zum sofortigen Tod geführt. Die anderen zwei Kopfverletzungen waren nach Aussagen des Gerichtsmediziners nicht tödlich und möglicherweise beim Sturz entstanden. Die Unterarmfraktur, die Domingez bei dem Opfer feststellte, war vermutlich die Folge des Treppensturzes. Laura fing an, den Fall zu rekonstruieren.
»Also, der Casillas schlägt auf dem oberen Treppenabsatz seiner Frau mit irgendeinem Gegenstand auf den Kopf. Sie verliert das Bewusstsein und fällt die Treppe hinunter. Am unteren Teil der Treppe, vor der Wand, bleibt das Opfer liegen. Der Ehemann geht hinunter und schlägt ihr noch zweimal auf den Schädel, um sicher zu sein, dass sie auch tot ist.«
Domingez nickte nachdenklich mit dem Kopf.
»So könnte es gewesen sein, Laura. Ich bin zwar nicht persönlich vor Ort gewesen, aber wenn du es sagst, wird das wohl so sein.«
»Das würde auch die Spuren auf dem oberen Treppenabsatz erklären. Außerdem kann der Aufprall des Körpers an der Wand nicht so stark gewesen sein, dass meterhohe Spritzspuren entstehen können.«
»Das ist wohl wahr, ein Selbstmörder kann sich auch nicht zwei Mal in den Kopf schießen«, sagte Laura grinsend und schaute zur Tür.
Medina hatte die Pathologie betreten und steuerte sofort auf Laura zu.
»Hast du deinen Bericht fertig?, fragte er.
»Du solltest auf meinen Bericht nicht warten Juan, den werde ich persönlich deinem Chef übergeben. Ich versichere dir, wenn in deinem Bricht irgendwo das Wort Unfall zu lesen ist, kannst du deine Karriere bei der Polizei vergessen.«
Medina hatte verstanden und verließ fluchtartig die Pathologie.
Zu jener Zeit, als Spanien sich aufmachte, sich auch wirtschaftlich zu erholen, erreichte die Korruption ihren Höhepunkt. Jeder schmierte jeden und ohne »Vitamina«, wie man es seinerzeit nannte, ging nichts.
Laura hatte sich gefragt, wie weit die Leute wohl gehen würden. Ihr Kollege Medina war gerade dabei, oder machte zumindest den Versuch, einen Mord zu vertuschen. Eine widerliche Vorstellung, die die Forensikerin nicht hinnehmen wollte.
Am nächsten Morgen machte sich Laura auf, um ihren – und den Bericht des Pathologen persönlich im Kommissariat der Kriminalpolizei abzugeben. Medinas Chef, war der Comisario Juan Carlos Contento, der sich natürlich die Frage stellte, warum die Gerichtsmedizin ihm die Berichte persönlich überbrachte.
»Gibt es einen besonderen Grund, warum du mir die Unterlagen bringst, Laura?«
»Sei mir bitte nicht böse, Juan Carlos, aber ich möchte die Unterlagen in diesem Fall persönlich übergeben.«
Contento schaute Laura eine Weile nachdenklich an. »Der Ermittler ist Medina, oder?«
Laura nickte mit dem Kopf. »Ich möchte niemanden verdächtigen, aber …«
»Schon gut, Laura, ich werde den Fall genau beobachten. Mach dir keine Gedanken.«
In den nächsten Tagen ging alles sehr schnell. Der Politiker wurde festgenommen.
Adolfo Casillas wurde letztendlich des Mordes an seine Ehefrau angeklagt. Der Politiker blieb bis zum Beginn des Prozesses, immerhin sollte das vier Jahre dauern, auf freiem Fuß. Casillas wurde zu dreißig Jahren Haft verurteilt. Warum er bereits nach drei Jahren wieder ein freier Mann war, wurde nie bekannt.
*
Es war Juli 1985, einer der heißesten Monate des Jahres. Die Temperaturen stiegen auf unerträgliche vierzig Grad. Barcelona war völlig verwaist. Die Menschen machten Urlaub am Meer, und wer trotzdem noch in der Stadt verblieben war, suchte sich, zumindest bis in die frühen Abendstunden, einen kühlen Platz.
In diesen Tagen überschlugen sich die Ereignisse. Lauras Lebensgefährte, der Ermittler José Cardona vom Departamento I der Mordkommission, hatte gerade einen Serienmörder zur Strecke gebracht. Eine Sensation für das Land. So etwas hatte es noch nie gegeben. Zumindest konnte sich niemand an einen vergleichbaren Fall erinnern. Was selbstverständlich daran lag, dass es in der vierzigjährigen Franco-Diktatur, so etwas nicht gab und nicht geben durfte. Sicherlich hatte es auch in jener Zeit Fälle dieser Art gegeben, aber sie kamen nicht an die Öffentlichkeit.
Für die Presse, die seit einigen Jahren ihre Freiheit erlangt hatte, war das ein gefundenes Fressen. Viele Boulevardblätter, die es vorher nie gegeben hatte, waren in den letzen Jahren erschienen, ein Journalismus, den man bisher nur aus Amerika, Frankreich oder England kannte.
Lauras Lebensgefährte war über Nacht zu einer Art »Star« geworden. Fotografen und Schreiberlinge tauchten überall auf, um mit ihm Fotos oder Interviews zumachen. Es sollte eine schreckliche Zeit werden, in der auch seine Lebensgefährtin Laura nicht zur Ruhe kam. Ihr Bild war plötzlich auch überall in der Regenbogenpresse zu sehen. Sie konnte sich nirgendwo mehr sehen lassen, überall wurde sie angesprochen.
Laura und José hatten sich kurzerhand entschlossen, einige Tage aus Barcelona zu verschwinden. Die beiden verbrachten ihren Urlaub immer im Baskenland, in der Nähe von San Sebastian. Eine gute Entscheidung, wie sich herausstellen sollte. An der Biskaya war es merklich kühler und sie konnten sich für einige Tage dem Presserummel entziehen. In der Grenzstadt zu Frankreich, in Irun, hatten Laura und José viele Freunde, mit denen sie sich auch ab und zu telefonisch austauschten.
In diesen Tagen war es besonders gefährlich im Baskenland. Die Gewalt zwischen den baskischen Separatisten ETA und ihren Todfeinden, der Guardia Civil hatte wieder enorm zugenommen. Die Gefahr, zwischen die Fronten zu geraten, war riesengroß. Die Verkehrspolizei, die Guardia Civil, traute sich kaum noch, Verkehrskontrollen durchzuführen. Die Separatisten hatten bereits mehrere Polizisten bei ihrer Arbeit erschossen.
Am Abend waren die beiden mit Freunden im Parador de Hondarrabia verabredet, einem alten historischen Gebäude, das in den 1930er Jahren zu einem Hotel – Restaurant umgebaut wurde. Das kleine Örtchen Hondarrabia, direkt an der Grenze zu Frankreich gelegen, war die Hochburg der ETA. Von hier aus konnten die Separatisten ohne Probleme im benachbarten Frankreich untertauchen.
Zum Abendessen waren einige Freunde mit ihren Frauen gekommen, die ihre Freunde aus Barcelona willkommen heißen wollten.
Unter ihnen befand sich auch der Journalist Iñaki Etxebarria mit seiner Lebensgefährtin Maria. Laura und José kannten die Beiden seit einigen Jahren und hatten mit ihnen viele fröhliche Stunden verbracht. Iñaki war zugleich Kommunalpolitiker der baskischen Linkspartei Herri Batasuna und freier Journalist einer französischen Zeitschrift.
Zunächst genossen alle die baskisch–französische Küche. Immerhin waren in dieser Region die meisten Sterneköche der iberischen Halbinsel beheimatet.
Zu vorgeschrittener Stunde, der Wein zeigte bereits seine Wirkung, wurden die Diskussionen etwas lauter.
Laura hatte das Gefühl, dass Iñaki etwas loswerden wollte. Der kleine Kommunalpolitiker hatte schon zwei Mal den Versuch gemacht, das Gespräch mit der Forensikerin zu finden.
»Sag mal, Laura«, begann er, »was ist mit euren Mordfällen an den »Malas Sombras«, wie weit seid ihr?«
»Keine Ahnung, Iñaki, da musst du José fragen. Ich bin nicht der Ermittler dieser Fälle.«
Iñaki schaute nachdenklich. »Du bist doch im Thema, Laura, oder?«
Sie lächelte. »Natürlich, ich habe die Spuren beim ersten Opfer gesichert. Aber woher weißt du überhaupt von diesen Fällen?«
»Ich bin Journalist, Laura, schon vergessen?«
»Zunächst kann ich dir sagen, dass die Fälle bereits vier Jahre zurückliegen und längst zu den Akten gelegt wurden. Oder weißt du noch etwas, was wir nicht wissen?«
Iñaki schüttelte mit dem Kopf. »Wenn du glaubst, das hätte was mit der ETA zu tun gehabt, seid ihr auf dem Holzweg. Die hätten sich seinerzeit dazu bekannt. Der Typ hat ein anderes Motiv und ehrlich gesagt, es gibt noch Millionen Gründe, die alten Säcke ins Jenseits zu befördern.«
»Aber nach so vielen Jahren? Ich dachte, dass die Geschichte längst vorbei ist.«
Laura hatte keine Lust, am heutigen Abend über ihre Arbeit zu diskutieren und ließ Iñaki mit seinen Fragen allein.
Inzwischen hatten sich die Anwesenden wieder den Freuden des Lebens zugewandt, der Lieblingsbeschäftigung der Spanier – ausgiebig essen und trinken und das konnte viele Stunden dauern.
Die Basken waren ein Volk, das mit den typischen Spaniern nicht viel gemein hatte. Sie hatten ihre eigene Sprache, die niemand verstand, der nicht im Baskenland geboren war. Wenn es allerdings um die Freuden des Lebens ging, unterschieden sie sich keinesfalls von ihren spanischen Landsleuten.
DAS DRITTE OPFER
Der Alltag war wieder eingekehrt. Laura und José waren nach Barcelona zurückgekommen, als am Montag, dem dreiundzwanzigsten September in der Rechtsmedizin um neun Uhr das Telefon schellte. Nichts Außergewöhnliches, aber dieser Tag sollte es in sich haben.
In Grácia, einem Stadtteil Barcelonas, in der Avenida del Litoral, war ein Verbrechen gemeldet worden.
Laura packte rasch ihre Sachen zusammen, informierte den Gerichtsmediziner und machte sich mit zwei weiteren Kollegen auf den Weg.
Als die Spurensicherung dort ankam, war bereits der Ermittler Raúl Alonso vor Ort. Raúl war ein langer schlaksiger Katalane aus Girona, der aus der Abteilung Departamento I kam, der Mordkommission, in der der Lebensgefährte von Laura der Leiter war.
Raúl Alonso war der Stellvertreter und enger Vertrauter von José Cardona.
Als Gerichtsmediziner war Doktor Montes gekommen. Montes hatte mit Laura zusammen seine Karriere bei der Rechtsmedizin begonnen.
Als Laura mit ihren Kollegen dort ankam, mussten sie sich erst einmal einen Weg durch die Neugierigen bahnen, die sich im Treppenhaus versammelt hatten. Es schienen die Bewohner des Hauses zu sein. In der ersten Etage angekommen, bemerkte Laura einige Beamte der Policia Municipal, der Stadtpolizei. Sie waren offensichtlich die Ersten, die informiert worden waren. Auf dem oberen Treppenabsatz stand Juan Medina.
Laura schaute den Ermittler vom Kommissariat II verwundert an.
»Was willst du denn hier?«, fragte Laura erstaunt.
»Ich dachte, wir sollten hier ermitteln.«
»Ihr solltet euch mal einig sein. Ich dachte, für den Stadtbezirk ist das K1 zuständig. Wäre sonst Raul Alonso hier?«
Medina war der spezielle »Freund« von Laura. Sie mochte ihn nicht. Nach der Geschichte mit dem Politiker Casillas, bei der Medina für etwas Schmiergeld einen Mord vertuschen wollte, hatte sie nichts mehr mit ihm zu tun gehabt.
Raúl knöpfte sich als erstes einmal den Dienstältesten der Stadtpolizei vor.
»Kannst du mal dafür sorgen, dass die Leute, die hier nichts zu suchen haben, vom Tatort verschwinden?«
Der Polizist tat wie ihm geheißen. Laura und ihre Kollegen hatte sich inzwischen ihre Schutzkleidung angelegt. In dem spärlich eingerichteten Salon war es passiert.
Das Opfer hing, am Hals aufgeknüpft, am Fensterkreuz und seine Hose war heruntergelassen. Zunächst hätte man glauben können, das Opfer hätte sich selbst erhängt, Laura hatte aber sofort erkannt, dass es kein Suizid war. Auf dem Boden war eine Blutlache zu sehen, in der etwas Seltsames zu sehen war.
»Was ist das Laura?«, fragte Raúl neugierig.
»Der Täter hat ihm die Hoden abgeschnitten.«, antwortete Laura.
»Ja Raúl«, mischte sich Doktor Montes ein, »wenn dich deine Frau mal beim Fremdgehen erwischt, dann weißt du wenigstens schon einmal, wie so was aussieht.« Montes lachte lauthals und steckte sich erst einmal eine Zigarette an.
Der Doc war Kettenraucher und schaffte spielend sechzig Zigaretten am Tag.
»Kann denn hier mal jemand helfen, den Mann abzuhängen?«, fragte Laura. »Und öffnet doch bitte mal die Persianas (Fensterklappen).«
Ihr war aufgefallen, dass etwas auf einer Fensterscheibe geschrieben stand. Es war eine mit Blut geschriebene große Drei.
Zwei Beamte der Stadtpolizei waren herbeigeeilt, den Körper des Opfers anzuheben, während einer der Polizisten auf einen Stuhl stieg, um das Seil zu lösen. Raúl Alonso entfernte sich zunächst einmal, um seine Arbeit zu machen.
»Weiß hier jemand, wer ihn gefunden hat?«, fragte er.
»Die Nachbarin gegenüber auf dem Flur«, meldete sich ein junger Polizist.
Raúl klopfte an die große verschlissene Wohnungstür gegenüber der Wohnung des Opfers. Nach einigen Minuten öffnete sich der Wohnungseingang und vor ihm stand eine ältere Dame, die am ganzen Körper zitterte.
»Mein Name ist Raúl Alonso von der Policia National. Haben sie den Toten gefunden?«
Die alte Dame nickte mit dem Kopf.
»Sind sie in der Lage, mir ein paar Fragen zu beantworten?«
»Fragen Sie! Mein Name ist übrigens Mercedes, sie können Merce zu mir sagen.«
»Okay, Merce, zunächst einmal, wer ist der Tote und was hatten Sie für ein Verhältnis zu ihm?«
»Ich kenne ihn nur als meinen Nachbarn. Er ist vor drei Jahren hierhergezogen, nachdem seine Frau gestorben war.«
»Und wie heißt er?«
»Sein Name ist Emilio Gonzalez und er war pensionierter Guardia-Civil-Mann. Ich verstehe nicht, warum er sich umgebracht hat. Der hatte doch so eine gute Pension«, jammerte Mercedes und zog ein Taschentuch aus ihrer Kitteltasche, um sich die Tränen aus dem Gesicht zu wischen.
»Hatte er des Öfteren oder gestern Besuch?«
»Die letzten Tage kam ab und zu ein Mann zu ihm, ich glaube, es war ein Kamerad aus seiner Militärzeit.«
»Könnten Sie den Mann beschreiben, Merce?«
»Nicht wirklich, ich habe ihn nur einmal hier im Hausflur gesehen. Aber warum fragen Sie das alles?«
»Weil das möglicherweise ein Verwandter war, den wir benachrichtigen müssen«, log Raúl.
»Wie alt war der Mann, Señora?«
»Schlecht zu sagen, ich schätze, nicht viel älter als fünfzig.«
Raúl nickt nachdenklich mit dem Kopf. »Okay, Señora, wenn ich noch Fragen habe, melde ich mich wieder bei Ihnen.«
Inzwischen hatten die Leute der Spurensicherung ihre Arbeit in der gegenüberliegenden Wohnung getan und der Leichenwagen war eingetroffen.
Laura hatte unzählige Fotos gemacht und es waren überall eingeschwärzte Stellen zu sehen, an denen die Spurensicherung Fingerspuren zu finden versucht hatte. Auf dem Tisch hatten ein voller Aschenbecher und eine halbvolle Weinflasche mit zwei Gläsern gestanden. Laura hatte all diese Dinge akribisch untersucht und eingepackt.
Der Gerichtsmediziner Doktor Montes hatte schon vor geraumer Zeit den Tatort verlassen. Er war immer der Erste, der den Ort des Geschehens verließ.
Die Leute der Spurensicherung waren in der Regel immer die Letzten, die den Ort des Verbrechens verließen. Inzwischen war auch ihre Arbeit getan und Laura drängte zum Aufbruch.
Am nächsten Tag sollten bereits in der frühen Morgenstunde die Leichenschau und die anschließende Obduktion sein.
Als Raúl Alonso die Gerichtsmedizin betrat, war Doktor Montes gerade dabei, seine medizinischen Instrumente zu reinigen.
»Nun Doc, wie sieht es aus?«, fragte Raúl.
»Wenn du den da meinst«, Montes zeigte mit der rechten Hand auf den Seziertisch, »kann ich dir nur sagen, der arme Kerl hat sich nicht selbst an das Fensterkreuz gehängt.«
»Habt ihr Abwehrspuren entdecken können?«
»Nichts, gar nichts. Ich glaube, dass der Täter das Opfer vorher betäubt hat.«
»Und mit was?«
»Das kann ich dir leider nicht sagen, Raúl, ich bin kein Toxikologe. Möglicherweise K. O.–Tropfen oder so was, die lassen sich spätestens nach fünf Stunden sowieso nicht mehr nachweisen.«
»Okay, Ramon, ich geh dann mal ins Labor. Schauen wir mal, was die KTU so sagt.«
Als Raúl das Labor betrat, war Laura gerade dabei, die mitgebrachten Weingläser abzukleben, um die darauf befindlichen Fingerabdrücke zu sichern.
»Dieses«, sagte sie, »hat der Täter benutzt und das andere das Opfer. So was ist mir ja noch nie untergekommen. Erst saufen sie zusammen und dann bringt der Eine den Anderen um.«
«Du weißt schon, dass das Opfer ein pensionierter Guardia-Civil-Mann war, oder?«
»Das war nicht schwer zu erraten, Raúl. Die große »Drei«, die der Täter auf die Fensterscheibe geschmiert hat, war kaum zu übersehen.«
»Also wieder unser Freund, der es auf die pensionierten Malas Sombras abgesehen hat?«
»Davon kannst du ausgehen, Raúl. Ich frage mich nur, was hat der Kerl für ein Motiv?«
»Motive gibt es vermutlich eine Million, aber wenn die Taten keinen terroristischen Hintergrund haben, wer kann denn so einen Hass auf die »Grünen« haben?«
Laura schaute ihren Kollegen ratlos an und zuckte mit den Schultern. »Ich bin mir sicher, dass die Opfer sich alle aus der Vergangenheit kannten und was mich erstaunt, der Kerl macht sich nicht einmal die Mühe, Spuren zu verwischen.«
»Und ich frage mich, wenn das sein drittes Opfer war, wie viele werden es noch?«
»Wir werden es erleben, wobei ich nicht besonders scharf darauf bin, dass der Kerl weitere Taten vor unserer Haustür verübt.«
Es waren nur wenige Tage nach der Unterhaltung mit Raúl vergangen, als eines Morgens der Journalist Iñaki Etxebarria bei Laura anrief.
»Das ist aber eine Überraschung«, sagte Laura, »sonst hört man von dir das ganze Jahr nichts und dann gleich so kurz hintereinander?«
Iñaki kam sofort zur Sache. »Ich bin übermorgen in Barcelona, kann ich mit dir reden?«
»Natürlich kannst du mit mir reden, José freut sich bestimmt. Aber was ist denn so wichtig?«
»Na, du weißt schon, euer neuer Fall in Barcelona.«
»Woher hast du die Information über unsern neuen Fall? Außerdem, du weißt hoffentlich, dass ich nicht über meine Arbeit sprechen kann und dass ich nicht der Ermittler bin.«
»Nun ja, vielleicht kann ich euch ein wenig helfen und so hätten wir alle was davon.«
»Und was hast du davon, Iñaki?«
»Ich schreibe darüber, mit – oder ohne eure Hilfe und du weißt, wir können ziemlich flexibel sein.«
»Okay, wenn du hier ankommst, rufe José an, der holt dich dann vom Flughafen ab.«
Am übernächsten Morgen schellte schon sehr früh das Telefon. Iñaki war angekommen und hatte bereits in der Cafeteria des Flughafens den zweiten Kaffee getrunken. José Cardona zog sich rasch an und fuhr zum Flughafen.
Iñaki Etxebarria hatte einen Anschlussflug nach Valencia für fünfzehn Uhr. José sollte es nur recht sein, denn er hatte nachmittags Termine und seine Arbeit stapelte sich bereits auf seinem Schreibtisch.
»Komm Iñaki, lass uns in meine Stammkneipe gehen, ich habe nämlich noch nicht gefrühstückt. Du hast mich fast aus dem Bett geschmissen. Laura kommt dazu.«
Der Journalist lächelte und nickte zustimmend mit dem Kopf. Als die beiden in der Cafeteria ankamen, war Laura bereits da. Sie saß an einem Tisch im hintersten Teil des Gastraumes und hatte sich bereits ihren obligatorischen Café con Leche mit einem Croissant bestellt.
»Na, das ist ja mal eine Überraschung, Iñaki, dass wir uns so schnell wiedersehen«, sagte Laura lächelnd.
»Ich würde euch gerne einen Deal vorschlagen.«
José schaute Laura an und fragte: »Einen Deal? Was meinst du damit?«
»Kurzum, ihr wisst, dass ich an der Sache mit den »Mala Sombra«-Morden bin. Vielleicht könnt ihr mir ein wenig bei meinen Recherchen helfen.«
»Und du glaubst, dass wir dir weiterhelfen können?«, fragte Laura. »Du weißt sicherlich, dass wir über die Ermittlungen nicht reden dürfen.«
»Ach komm, Laura, ein paar Informationen und ich sage euch, was ich herausbekommen habe.«
»Was weißt du, was wir nicht wissen?«, mischte sich José ein. Außerdem bringt der Täter offensichtlich nicht nur vor unserer Haustür seine Opfer um.«
»Genau das meine ich, José. Es gab bereits das vierte Opfer – in Zaragoza.«
Laura schaute José eine Weile an. »Das ist aber Sache der Ermittlungsbehörden in Aragon, Iñaki. Du siehst, dass wir hier zwei ungelöste Fälle haben, aber ansonsten, was nicht gerade um Barcelona herum passiert, ist nicht unser Problem.«
»Aber ich kann euch dabei helfen, gerade diese beiden Fälle zu lösen. Möglicherweise gibt es noch Mordfälle in naher Zukunft, von denen ihr noch nichts ahnt.«
»Sag mal, Iñaki, um wie viel Geld geht es eigentlich dabei?«, fragte Laura neugierig.
»Willst du das wirklich wissen? Wenn die Geschichte gut wird und sie sich gut verkaufen lässt, drei Millionen Pesetas.«. (seinerzeit 36.000 D-Mark)
José schaute ungläubig und konnte sich einen leisen Pfiff nicht verkneifen. »Drei Millionen? Soviel Geld geben die Boulevardblätter dafür aus?«
»Tja, mein Freund José, die Zeiten haben sich geändert. Heute werden Geschäfte gemacht, die vor einigen Jahren noch undenkbar waren.«
»Nun«, sagte Laura, »lass doch mal hören, vielleicht kannst du uns ja etwas über das Motiv dieses Täters sagen.«
»Einen pensionierten Mala Sombra umzubringen, da gibt es viele Gründe. Ich bin Baske – und ein Motiv hätte jede dritte Familie im Baskenland. Diese alten Säcke hatten alle Dreck am Stecken.«
»Kannst du uns das mal etwas genauer erklären, Iñaki?«, fragte Laura neugierig.
»Gerne, in der Zeit nach dem Bürgerkrieg hat sich Franco diese Typen zunutze gemacht, Stärke zu zeigen und Menschen, die anders dachten, zu verhaften und wegzusperren. Viele sind gefoltert worden und wenn sie Glück hatten, kamen sie nach einiger Zeit wieder frei. Dabei sind viele Männer nie wieder aufgetaucht.
Über Nacht standen die Familien ohne ihren Ernährer und die Kinder ohne ihre Väter da.«
»Und du glaubst, das ist eines der Kinder, das sich für das, was ihnen angetan wurde, rächen will?«
»Natürlich, warum sonst glaubst du, hat er es nur auf pensionierte Guardia Civiles abgesehen?«
Was Iñaki gerade sagte, klang ziemlich logisch und entsprach ohne weiteres den Tatsachen. Die Malas Sombras, die »bösen Schatten«, waren im Franco Regime überall gefürchtet. Mit ihren grünen Uniformen und ihren schwarzen Lackhüten machten – und nahmen sie sich, was sie wollten. Dass es Menschen gab, die sich, nachdem der böse Schatten seine Macht verloren hatte, rächen wollten, war nachvollziehbar.
»Denkst du, dass der Täter Baske ist, Iñaki?«, fragte Laura.
»Ich weiß es nicht, aber ich werde es herausfinden.«
»Sag mal, Iñaki«, fragte José, »hast du außer diesen drei Millionen noch ein anderes Motiv, dass du dich so intensiv mit der Geschichte befasst?«
Der Journalist schaute seine Gegenüber eine Weile an.
»Ja, ich werde euch eines Tages davon erzählen. Jetzt wäre ich dir dankbar, José, wenn du mich zum Flughafen fahren würdest, sonst verpasse ich noch meinen Flieger.«
Die Zeit war wie im Fluge vergangen und es war bereits viertel vor zwei Uhr. Zeit, sich Gedanken zu machen wo man zu Mittag essen wollte. Laura blieb einfach sitzen, um in ihrem Lieblingsrestaurant zu speisen, während José seinen Freund zu Airport brachte.
José und Laura diskutierten noch tagelang über die merkwürdige Unterhaltung mit dem Journalisten aus dem Baskenland. Fest stand, in Barcelona gab es zwei unaufgeklärte Morde, die es lösen galt. Immerhin hatte das Gespräch mit Iñaki etwas Gutes gehabt. Die beiden konnten sich eine Vorstellung über das Motiv des Täters machen.
Rache ist eines der ältesten Motive der Welt und die Tatsache, dass der Mörder sich nur ehemalige Guardia Civil – Pensionäre aussuchte, ließ Iñakis Theorie durchaus logisch erscheinen.
Monate waren vergangen und Barcelona schickte sich an, wieder eine Großstadt mit Niveau zu werden. Die katalanische Metropole hatte den Zuschlag für die Olympiade 1992 bekommen. Gebäude, die vierzig Jahre keine Farbe gesehen hatten, wurden renoviert und erstrahlten nach und nach im neuen Glanz. Auf dem Montjuic, dem Hausberg, wurde ein Schwimmstadion gebaut, ein neuer Jachthafen musste her und das Autobahnnetz wurde erweitert.
Wer die Katalanen und ihren Ehrgeiz kannte, wusste, dass sie sich besonders gründlich auf das Großereignis vorbereiten würden. Die Verantwortlichen der katalanischen Metropole waren ohnehin der Meinung, dass es Barcelona verdient hätte, die Hauptstadt Spaniens zu sein.