Kitabı oku: «Traum-Zeit»

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Josie Hallbach

Traum-Zeit

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Prolog

Kapitel 1:

Kapitel 2:

Kapitel 3:

Kapitel 4:

Kapitel 5:

Kapitel 6:

Kapitel 7:

Kapitel 8:

Kapitel 9:

Kapitel 10:

Kapitel 11:

Kapitel 12:

Kapitel 13:

Kapitel 14:

Kapitel 15:

Kapitel 16:

Kapitel 17:

Kapitel 18:

Kapitel 19:

Kapitel 20:

Kapitel 21:

Kapitel 22:

Kapitel 23:

Kapitel 24:

Kapitel 25:

Kapitel 26:

Kapitel 27:

Kapitel 28:

Kapitel 29:

Kapitel 30:

Kapitel 31:

Kapitel 32:

Kapitel 33:

Kapitel 34:

Kapitel 35:

Kapitel 36:

Kapitel 37:

Kapitel 38:

Kapitel 39:

Kapitel 40:

Kapitel 41:

Kapitel 42:

Kapitel 43:

Kapitel 44:

Kapitel 45:

Kapitel 46:

Kapitel 47:

Kapitel 48:

Kapitel 49:

Kapitel 50:

Kapitel 51:

Impressum neobooks

Prolog

Traum-Zeit

Was macht frau, wenn sie plötzlich von seltsamen Träumen heimgesucht wird, die verwirrend real wirken?

Und das ist längst nicht das einzige Problem, mit dem ich mich in den letzten Monaten herumschlagen musste.

Eine kleine, repräsentative Auswahl gefällig?

Zu nennen wären:

meine demente Oma samt ihrem virtuellen Anhang

die örtliche Kirchengemeinde, in der ich gern mal an unattraktive Jobs gerate

eine gescheiterte Beziehung

und Mona, meine langjährige Freundin, die grundsätzlich alles besser weiß.

Gleichzeitig ist mir natürlich klar, dass Schwierigkeiten jede Menge Chancen bieten: Zum Beispiel die eigene Vergangenheit zu verarbeiten, unbequeme Entscheidungen zu treffen oder mehr über sich und seine Grenzen zu entdecken.

Allerdings hätte ich auf einen Großteil dessen gut verzichten können. Ich habe sowieso den Verdacht, dass derart abgeklärte Lebensweisheiten tendenziell von Menschen stammen, die gerade in keiner akuten Krise stecken.

Doch das eigentlich Verrückte an meiner Geschichte ist, dass ich das letzte Jahr fast unbeschadet überstanden habe.

Aber am besten fange ich von vorne an. Soweit das eben geht...

Kapitel 1:

Der neue Teil meiner Vergangenheit begann eines sonntagnachts…

Ich ging am Abend zu Bett, las noch ein paar Seiten in dem christlichen „Apokalypsen“-Roman, den mir meine Tante zu Weihnachten geschenkt hatte, betete, um für alle Eventualitäten - wie zum Beispiel eine unverhoffte Entrückung - gerüstet zu sein und schlief für meine Verhältnisse erstaunlich rasch ein.

Als ich ruckartig erwachte, befand ich mich in einem anderen Raum und einer anderen Zeit.

Na gut, genaugenommen ist das falsch, denn ich wachte nicht auf. In Wirklichkeit träumte ich. Ich träumte, ich läge in einem Himmelbett, das seinem Namen allerdings in keiner Weise gerecht wurde.

Die Umgebung erinnerte stark an das Freilandmuseum meiner Kindheit. Meine Mutter hat mich jahrelang dort hingeschleppt, weil ihr eine Mitgliedschaft im Förderverein aufgeschwatzt worden war. Der Beitrag beinhaltete den freien Eintritt. Deshalb darf man mich getrost als Profi für vorsintflutliche Einrichtungsstile betrachten. Die Auswahl, Anordnung und Machart des Mobiliars inklusive der Wandgestaltung sprach mit hoher Wahrscheinlichkeit für den Beginn des 20. Jahrhunderts.

Was mir weiterhin auffiel, waren Kälte und Geruch. Der Raum besaß weder eine Heizung, noch roch er angenehm. Dies unterstützte meine Theorie. Beheizbare Schlafzimmer wurden früher als Luxus erachtet. Meine Haut und Nase haben sich aber an klimatisierte Wohnungen und Weichspüler mit Aprilfrische gewöhnt. Ich fror auf jeden Fall erbärmlich, während mein Nachthemd durchaus geeignet wirkte, Motten und anderes Ungeziefer abzuschrecken.

Elektrisches Licht konnte ich nirgendwo entdecken. Dafür flackerten auf dem Nachttisch neben mir Kerzen.

Ich lag also in einem museumsreifen Zimmer, träumte, fühlte mich aber gleichzeitig hellwach und nahm jedes Detail meiner Umgebung bis hin zum Geruch wahr. Dieses Phänomen ist mir neu, obwohl ich sonst mit reichlich Erfahrung aufwarten kann. Vor allem Albträume zählen zu meinem Spezialgebiet. Ich bin schon vor Räubern geflohen, von Gespenstern heimgesucht worden und unvorbereitet in Prüfungen gegangen.

Nun betrat ich eine neue Dimension: Das interaktive Träumen.

Mit einer Mischung aus Faszination und Unbehagen versuchte ich meine Situation zu analysieren. Dabei machte ich eine ganz wesentliche Entdeckung: Auf einem Stuhl, etwas versteckt in der Ecke des Raumes, lag ein Brautkleid. Ein Irrtum war trotz des Dämmerlichts und der ungewöhnlich dunklen Farbwahl nahezu ausgeschlossen, weil über der Lehne der dazu passende, blumenbekränzte Schleier hing. Außerdem drückte an meiner rechten Hand ein verdächtiger Goldring.

Meine Faszination begann schlagartig, Richtung Unbehagen zu kippen. Da sich sonst niemand im Raum befand, bot sich nur ein logischer Schluss an: Ich musste die Braut sein. Was hieß, dass demnächst ein Mann ins Spiel kommen dürfte, zumindest im Rahmen meines persönlichen Vorstellungshorizontes.

Mir fiel leider auf Anhieb kein männliches Wesen ein, welches ich gern geheiratet hätte. Nicht einmal Florian, obwohl er sich seit geraumer Zeit als mein Freund bezeichnet. Ich kenne ihn von der Bausparkasse. Meine beste Freundin und Kollegin Mona ist mit seinem Kumpel zusammen, deshalb gehen wir manchmal alle gemeinsam essen. Mona behauptete als Erste, er wäre mein Freund. Einfachheitshalber beließ ich es bei dieser Definition.

Doch im Lauf der Monate begann mich einiges an ihm zu stören. Er trinkt zum Beispiel gern Alkohol und tut sich anschließend schwer, Grenzen zu akzeptieren. Unser letztes diesbezügliches „Missverständnis“ war in eine Beziehungskrise übergegangen. Teile meines beruflichen Umfelds reden mir seither kontinuierlich ins Gewissen.

Aus dem Grund reagiere ich, was Männer anbelangt, zurzeit etwas übersensibel. Jetzt gleich Florian in meinen Traum hereinspazieren zu sehen, würde mich definitiv überfordern. Vor allem, weil mein Standardargument zum Thema Sex mit diesem Brautkleid und Ring mehr oder weniger hinfällig wirken dürfte.

Genau in dem Moment öffnete sich die Tür und ein mir völlig unbekannter Mensch betrat den Raum. Gut an ihm fand ich, dass er in keiner Weise an Florian erinnerte. Als schlecht erschien mir, dass dieser jemand wahrscheinlich mein Bräutigam war, denn er trug einen gediegen wirkenden Anzug, schaute mich prüfend an und sagte: „Wir hätten uns besser im Sommer vermählt, Marie. Ende Oktober ist dieses Gemach merklich zu klamm.“ Seine Stimme klang voll, dunkel und unmissverständlich, trotz der althergebrachten Wortwahl.

Meine Bedenken verwandelten sich im Rekord-Tempo zur handfesten Besorgnis: Ich heiße nicht Marie, sondern Ronja und besitze davon abgesehen keinerlei Interesse, die Nacht mit einem Fremden zu verbringen, nicht mal im Schlaf. Dies wäre folglich ein guter Zeitpunkt, um aufzuwachen. Doch mein Steuermechanismus versagte, wie üblich. Ich habe es bisher noch nie geschafft, einen Traum eigenmächtig zu beenden. Vermutlich musste ich so lange durchhalten, bis die Synapsen in meinem Gehirn das erlösende Signal gaben oder die REM-Schlafphase endete.

Eine zusätzliche Herausforderung war, dass ich gerade weder sprechen, noch mich bewegen konnte. So etwas passiert in Träumen ja öfter: Man versucht wegzurennen und kommt nicht von der Stelle. Dadurch wurde ich zur hilflosen Zuschauerin verdammt. Mein Zimmermitbewohner begann sich nämlich ungeniert auszuziehen und nahm mir damit meine letzten, ohnehin irrationalen Hoffnungen. Erst kam der Sakko dran, dann das Hemd. Nachdem er beides sorgsam und gekonnt knitterfrei über die Stuhllehne der zweiten Sitzgelegenheit gehängt hatte, trennte er sich von seinem Unterhemd.

Jetzt stand er bereits mit nacktem Oberkörper da und mir blieb nichts übrig, als ihn die ganze Zeit anzustarren, wie ein Kaninchen die Schlange. Mein Körper verweigerte mir den Gehorsam.

Was man bei trübem Kerzenschein erkennen konnte, besaß mein mir unbekannter Bräutigam ungewöhnlich bleiche Haut. Von diesem Makel abgesehen, machte er aber einen robusten, keineswegs unsportlichen Eindruck. Für Florians schmächtige Statur mochte meine Wehrhaftigkeit zwar reichen, diesem testosterongesättigten Hünen gegenüber befand ich mich jedoch eindeutig im Nachteil.

Obwohl ich mich nicht rühren konnte, schaffte ich es innerlich zu zittern.

Als es ans Ausziehen der Hose ging, schlossen sich meine Augen endlich, wie auch immer das zugegangen sein mochte. Nun war ich schwerpunktmäßig auf mein Gehör angewiesen, was sich keineswegs beruhigend auf meinen Zustand auswirkte. Ich vernahm das Rascheln weiterer Kleidungsstücke, dann plätscherte Wasser. Das Geräusch kam aus der Nische neben dem Kleiderschrank. Dort befand sich, wie ich in meiner ersten Raumanalyse festgestellt hatte, eine altmodische Waschschüssel samt dem dazugehörigen Wasserkrug auf einer niederen Anrichte. Ich durfte somit annehmen, dass sich mein vermeintlicher Ehepartner gerade wusch. Immerhin schien er reinlich zu sein.

Jetzt hörte ich ihn barfuß durchs Zimmer tappen.

Ohne jegliche Vorwarnung zogen sich die Vorhänge des Betthimmels zu. Das unerwartete Geräusch ließ mich mit einem unterdrückten Aufschrei hochfahren, das Federbett wie ein Schutzschild an mich gepresst. Meine Nerven lagen inzwischen mehr oder weniger blank. Der unerwartete Adrenalinschub bewirkte zudem, dass sich meine Augen wieder öffneten und in der nächsten Sekunde vor Schreck weiteten, als sie eine mächtige Gestalt in weißem Gewand neben mir erblickten. Wie ein geisterhaftes Wesen aus einem unterbelichteten Schwarzweiß-Film. Ein erwachsener Mann, der ein bis knapp zu den Knien reichendes Hemd als Nachtwäsche trug, war absolutes Neuland für mich. Eigentlich fehlte bloß noch die passende Zipfelmütze. Mir ging allerdings der Humor ab, um diesen Anblick lustig finden zu können.

„Tut mir leid, ich wollte dich nicht erschrecken. Es dünkt mir nur sinnvoll, bei dieser Kälte wenigstens die Zugluft aus unserer Lagerstatt zu verbannen.“ Er nahm mit der einen Hand den Leuchter vom Nachttisch und schob mit der anderen die restlichen Stoffbahnen zusammen, so dass eine Art Zelt entstand, in dessen Innern ich mich befand, allein… momentan… noch.

Der Gedanke an Flucht drängte sich mir regelrecht auf. Weil ich jedoch nicht wusste, ob ich auf eigene Initiative überhaupt einen Finger krümmen konnte, er mich mit Sicherheit bereits vor der Zimmertür eingeholt hätte und ich keine Ahnung besaß, was mich hinter diesem Raum erwartete und in Träumen so ziemlich alles möglich sein kann, verwarf ich die Idee rasch wieder. Ein weiteres, Flucht hemmendes, Argument war, dass ich nur dieses kratzige, völlig unzureichende Spitzenteil ohne jegliche Schutzunterwäsche trug. Das entspricht keinesfalls meinen sonstigen Gepflogenheiten. Ich bin eine konsequente Befürworterin von Schlafanzügen.

Der Kerzenständer wurde nun auf dem Nachttisch der anderen Bettseite abgestellt. Dort blieb der weiße Riese stehen und musterte mich, als müsse er überlegen, was er als Nächstes tun solle. Da er unzweifelhaft männlich war, würde ihm die Idee sicher schnell kommen und ich ahnte, in welche Richtung sie gehen dürfte. Mona hat mich im vergangenen Jahr hinreichend darüber aufgeklärt. Männer können nicht anders. Sie brauchen das. Deswegen darf ich Florian auch nicht böse sein. Die Schuldige bin sowieso ich, weil ich ihm die elementarsten Bedürfnisse vorenthalte. Wenn jemandes Verhalten nicht normal ist, dann meins. Mit 24 Jahren sollte man keine Jungfrau mehr sein und schon gar nicht, wenn man einen gutsituierten Freund besitzt, der den Religionsspleen mit einem teilt.

Enden Träume normalerweise nicht an der dramatischsten Stelle? Dann, wenn die tödliche Kugel auf einen zufliegt oder man mitten in ein Rudel blutgieriger Wölfe gerät oder ein Baum von einem Mann über dich herfällt und sich das nimmt, was er denkt, dass ihm als Bräutigam zusteht?

„Ich will dir etwas kundtun, bevor ich mich zu dir lege, Marie. In der Kirche habe ich öffentlich versprochen, dich zu lieben und zu ehren, bis der Tod uns scheidet. Dem möchte ich mit Verlaub etwas hinzufügen, das nur für deine Ohren bestimmt ist. Ich will dir ein fürsorglicher Kamerad und bedachter Liebhaber werden. Christine, Sophie und unsere künftigen Nachkommen sollen in mir einen verständnisvollen Vater finden. Und deiner Seele möchte ich gern ein Bruder sein, damit wir gemeinsam unserem himmlischen Herrn dienen können.“ Am Ende dieses feierlichen Versprechens schenkte er mir ein fast schüchternes Lächeln, das sein Gesicht förmlich aufleuchten ließ und eine ganze Reihe gesunder Zähne zum Vorschein brachte.

In einem romantischen Film hätte ich mich garantiert für einen solchen Charakterdarsteller erwärmt. Auch hat noch nie jemand so nette, einfühlsame Worte für mich gefunden. Dennoch war ich hin- und hergerissen. Von dem abgesehen, dass ich nicht im Ansatz wusste, wer diese Christine und Sophie waren. Seine oder etwa meine Kinder? Außerdem macht es einen beträchtlichen Unterschied, schönen Worten zu lauschen oder sich gleich mit einem alles andere als gebrechlich wirkenden Körper konfrontiert zu sehen. Sein jugendliches Charisma sank auf jeden Fall beträchtlich, als er zu mir ins Bett schlüpfte. Sämtliche Alarmglocken begannen zu läuten, laut und eigentlich unüberhörbar.

Vielleicht hörte er diese tatsächlich, denn vorerst wurde ich nicht berührt. Stattdessen setzte sich der frischgebackene Ehegatte brav mit etwas Abstand an meine Seite und blickte mich abwartend an.

Ich wollte meinem Nebensitzer an dieser Stelle gern mitteilen, dass dies alles ein Versehen, bessergesagt nur ein Traum war, ich in echt Ronja heiße und darum unmöglich seine Frau sein konnte. Doch natürlich kam keine Silbe über meine Lippen. Ich saß bloß wie versteinert da und hielt meinen Teil der Bettdecke immer noch bis unters Kinn geklemmt.

„Hat man dir schon jemals gesagt, dass du schön bist?“, hörte ich ihn in die angespannte Stille hinein fragen.

Das Unerwartete passierte. Meine Lippen öffneten sich: „Das bin ich nie und nimmer.“ Meine Stimme klang merkwürdig. Und sowieso hatte ich das überhaupt nicht gedacht. Warum sagte ich es also? Gut, ich finde zwar, dass es an meinem Körper Verbesserungspotential gibt, aber das diskutiere ich normalerweise nicht in der Öffentlichkeit und gleich gar nicht mit irgendwelchen Fremden, die glauben, mit mir verheiratet zu sein.

Leider besaß ich wenig Macht über die Regie dieser Szene. Das Einzige, was ich aus freiem Willen tun konnte, war: denken, fühlen und riechen. Bei allem anderen wurde ich zur Statistin degradiert. Ob mich dies aber davor schützte, gleich dem körperlichen Vollzug einer Ehe beizuwohnen, war fraglich. Meine einzige Chance bestand darin, diese Marie, deren Rolle ich einnahm, irgendwie zu überzeugen, dass wir keinen Sex in der Hochzeitsnacht wollten.

Der Traum begann, leicht schizophrene Züge zu entwickeln.

Dermaßen in meine nervösen Überlegungen gefangen, hätte ich fast die Fortsetzung des Gesprächs verpasst.

„Na so was? Dann sind wir in diesem Punkte wohl unterschiedlicher Ansicht, denn ich halte dich für durchaus begehrenswert. Aber du hast Recht, ich muss das natürlich erst nachprüfen.“ Er zwinkerte mir schalkhaft zu. Anschließend kam seine Hand wie in Zeitlupe zu mir herüber und strich vorsichtig eine meiner Locken aus der Stirn.

Seine Berührung empfand ich wie einen elektrischen Schlag und meine letzten Hoffnungen schwanden dahin. Ich konnte ihn nicht nur spüren, meine Nervenenden befanden sich sogar auf der höchsten Sensibilitätsstufe. Falls ich nicht rechtzeitig aufwachte, würde dies eine erkenntnisreiche Nacht werden.

„Mir gefällt dein Haar. Wenn man darüberstreicht, fühlt es sich wie kleine Sprungfedern an.“ Der Bräutigam zog neckend an einer Strähne, die sich aus meinem Zopf befreit hatte.

Diese Definition ist neu. Man hat meine rebellische Naturmähne schon für eine missglückte Dauerwelle gehalten. Meist binde ich meine Haare darum zusammen. Aktuell trug ich sie zu einem Zopf geflochten.

„Und deine dunkle Haut stört mich mitnichten“, ergänzte er und fuhr mit seinem Zeigefinger über meine Stirn, die Schläfen entlang, rüber zur Nase und von dort bis zum Mund.

Seine Berührungen erschreckten mich und begannen mir gleichzeitig zu gefallen. Unabhängig davon irritierten mich seine Worte. Ich werde von Freundinnen regelmäßig für meinen südländischen Teint beneidet, den mir ein unbekannter Vorfahr vererbt hat. Vor hundert Jahren sah man dies aber offenbar anders. Mein hellhäutiger Ehemann galt vermutlich als Adonis, während ich ein hässliches Entlein war, denn zu meiner Dauerbräune und der wallenden Mähne besitze ich einen eher schlanken Körperbau mit BH-Körbchen-Größe B, optimistisch veranschlagt. Maries Selbsteinschätzung ergab daher Sinn. Rubens Madonna wird nie als meine Zwillingsschwester durchgehen.

Durch meinen ästhetischen Gedanken-Ausflug hätte ich fast erneut den Anschluss verpasst. Vielleicht versuchte ich mich aber auch mit aller Gewalt abzulenken, denn der Finger strich mittlerweile sanft die Konturen meiner Lippen nach. Mein Puls schraubte sich dadurch steil nach oben und ich bekam trotz der kühlen Raumtemperaturen Hitzewallungen.

Jetzt näherte sich sein Mund. Das dazugehörige Gesicht geriet zur Nahaufnahme. Der Bräutigam wartete geduldig bis ich zu ihm hochschaute. Dann nickte er und murmelte: „Doch am schönsten sind deine Augen. Man glaubt, in ihnen zu ertrinken.“

Ab da war ich verloren. Wenn hier jemand ertrank, dann ich, und zwar in zwei tiefblauen Seen. Selbst für den Fall, dass ich mich hätte retten können, wäre kein Mucks an Gegenwehr mehr von mir gekommen. Weiche Lippen legten sich auf meine und große, warme Hände umfingen meinen Kopf. Man soll beim Küssen besser keine Vergleiche ziehen, aber es war schöner als alles, was ich je in dieser Hinsicht erlebt hatte. Ich schmolz förmlich dahin…

… bis mir der Atem knappwurde, weil mein zweites Ego beschlossen hatte, keine Luft mehr zu holen. Dies bemerkte auch unser Bettgenosse und brach unvermittelt ab.

Marie und ich kämpften anschließend um Sauerstoff. Sie schnappte nach Luft und ich empfand sehr eindrucksvoll die dazugehörige Atemnot.

„Es lag nicht in meiner Gesinnung, dich mit dem ersten Kuss gleich zu meucheln. Wir müssen das unbedingt fortan üben“, stellte unser Gatte vergnügt klar, während Marie und ich zu einem normalen Atemrhythmus zurückzufinden versuchten. „Was hältst du davon, wenn wir jetzt schlafen? Du wirkst erschöpft.“

Ich starrte ihn verblüfft an und Marie sprach ausnahmsweise die passenden Worte dazu, so in ungefähr zumindest: „Werden Sie…? Äh… Willst du nicht…? Ich meine…“

„Wir haben genug Zeit, eine ganze Ehe lang. Leg dich nieder. Du fühlst dich eiskalt an.“

Marie rutschte zögernd nach unten, sorgsam darauf bedacht, dass ihr Nachthemd diese Reise mit antrat.

Danach wurden die Kerzen ausgeblasen und das letzte Stück Vorhang zugezogen. Zum Schluss rückte unser Bettnachbar neben sie. So dicht, dass auch ich ihn spüren konnte. Eine Hand glitt in der Dunkelheit um unsere Taille und verblieb dort.

Obwohl sonst tatsächlich nichts passierte, wirkte Marie wie erstarrt. Ihr Herz schlug schmerzhaft von innen gegen die Rippen. Sie misstraute ihrem Ehemann. Das war anhand ihrer Reaktion klar. Aber warum?

„Keine Angst, dir wird nichts geschehen. Ich will dich bloß wärmen. Schlaf gut, Marie.“ Er drückte seine Lippen auf ihren Scheitel, umschlang sie noch etwas fester und schlief irgendwann ein, wie ich an seinen tiefer werdenden Atemzügen erkennen konnte.

Positiv zu vermerken war, dass er im Gegensatz zu Florian nicht schnarchte. Ich weiß dies, seit ich ihn einmal nach einem feuchtfröhlichen Männerabend auf dem Sofa bei Monas Freund vorgefunden habe. Das sägende Geräusch hätte mich auch blind zu seiner Schlafstätte geführt.

Marie und ich lagen in dieser Nacht noch lange wach. Mit einem Pulsschlag von über hundert, schafft man es schwer einzuschlafen. Dadurch bekam ich ausreichend Gelegenheit, über diese Situation nachzudenken.

Das, was gerade passierte, war total verrückt. Wie konnte es sonst sein, dass man im Schlaf mitten in die Geschichte zweier Menschen geriet, ohne jegliche Distanz wahren zu können und sich gleichzeitig vom Verstand und seinen Sinnen hellwach fühlte? Inzwischen fand ich diesen Traum aber gar nicht mehr übel. Deshalb beschloss ich, jede weitere Sekunde auszukosten.

Ich meinte sogar den Geruch unseres Bettgefährten wahrnehmen zu können. Natürlich benutzte er kein Deo oder Aftershave. Auch Dusch- und Körperlotionen dürften damals unbekannt gewesen sein. Dennoch roch er frisch und angenehm bodenständig. Ein wenig nach Wald. Wie eine Mischung aus Holz und Erde mit einem Hauch Zitrone. Auf jeden Fall anders als sämtliche Männer, die ich kannte.

Das war das letzte, was sich mir einprägte, bevor ich eingeschlafen sein musste, denn als ich aufwachte, lag ich in meinem Bett, allein, in meiner mir vertrauten Welt und mein Wecker zeigte, dass es höchste Zeit war aufzustehen.

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