Kitabı oku: «68er Spätlese»

Yazı tipi:

Jost Baum

68er Spätlese

Der 1. Eddie-Jablonski-Krimi aus dem Ruhrgebiet

© 2014 Oktober Verlag, Münster

Der Oktober Verlag ist eine Unternehmung der

Verlagshaus Monsenstein und Vannerdat OHG, Münster

www.oktoberverlag.de Alle Rechte vorbehalten

Satz: Roland Tauber

Umschlag: Thorsten Hartmann unter Verwendung eines Fotos von simon2579/iStockphoto.

Herstellung: Monsenstein und Vannerdat

ISBN: 978-3-944369-32-7

eBook-Herstellung und Auslieferung:

readbox publishing, Dortmund

www.readbox.net

Statt eines Vorworts

Wenn du zur Arbeit gehst

am frühen Morgen,

wenn du am Bahnhof stehst

mit deinen Sorgen:

da zeigt die Stadt

dir asphaltglatt

im Menschentrichter

Millionen Gesichter:

Zwei fremde Augen, ein kurzer Blick,

die Braue, Pupillen, die Lider –

Was war das? Vielleicht dein Lebensglück …

vorbei, verweht, nie wieder.

Kurt Tucholsky,

Augen in der Großstadt, 1931

Kurt Tucholsky, »Augen in der Großstadt« aus:

Kurt Tucholsky, GESAMMELTE WERKE, Band III/Seite 379

Copyright © 1960 Rowohlt Verlag GmbH, Reinbeck

»Die Medien wollen, daß wir etwas falsch machen. Denn erst, wenn das geschieht, lohnt es sich, etwas Längeres zu schreiben.«

Manfred Rommel, 61

Stuttgarter Oberbürgermeister

1.

Pohlig empfing die Herren sehr zuvorkommend.

Er war von seinem schweren Mahagonischreibtisch aufgestanden, der fast die Hälfte des Raumes einzunehmen schien, war auf sie zugekommen, hatte jedem von ihnen die Hand geschüttelt und auf die bereitstehenden Stühle gewiesen, die um einen Konferenztisch gruppiert waren.

Eddie Jablonski ließ den Blick in die Runde schweifen.

Hinter dem Mahagonischreibtisch hing ein Ölgemälde an der mit Seide bespannten Wand, von dem ein streng blickender älterer Herr mit Rauschebart und Nickelbrille auf die Runde starrte.

Hubert Heisenberg, Patriarch und Verlagsgründer des Bochumer Stadtanzeiger war im hohen Alter von sechsundachtzig Lenzen gestorben.

Ein Schicksal, was mich bestimmt eher ereilen wird, dachte Jablonski grimmig und faßte Pohlig ins Auge.

Dr. Udo Pohlig, Mitte vierzig, klein, starker Bauchansatz, trug eine dezent gemusterte Krawatte über einem blütenweißen Hemd. Nur die Schuppen, die bei jeder Kopfbewegung von seinem schütteren schwarzen Haar, das in der Mitte gescheitelt war, auf den grauen Anzug rieselten, trübten den seriösen Eindruck, den Pohlig bei einem flüchtigen Betrachter hinterließ.

Rechts neben Jablonski nahm Willi Rehnagel Platz. Der baumlange Mann mit den schlaksigen Bewegungen einer Marionette hatte seine dünnen Beine mit Mühe unter den ovalen Tisch bugsiert und die feingliedrigen Hände über seinen Bauch gefaltet, der aussah, als hätte er einen Fußball verschluckt. Rehnagel stieß Jablonski an, grinste gequält und flüsterte: »Junge, halt die Ohren steif, wird schon nicht so schlimm werden!«

Dann legte er seine Kamera vorsichtig auf den Tisch und versuchte, seine knochige Gestalt auf dem Stahlrohrstuhl zurechtzurücken. Kampmann, der Kulturredakteur, war in einen ausgebeulten Leinenanzug gehüllt, der die zwei Jahre, die der Mann bis zur Pensionierung noch vor sich hatte, wahrscheinlich nicht ohne weitere Blessuren überstehen würde. Seine eisgrauen Augen fixierten Pohlig, und ein spöttisches Lächeln umspielte seinen schmalen Mund. Einzig Hüser schien sich in der Anwesenheit des Justitiars wohl zu fühlen. Hüser war mit federnden Schritten auf Pohlig zugeeilt, hatte ihm kräftig, fast kumpelhaft-vertraut, die Hand gedrückt, aber dabei einen ehrerbietigen Diener angedeutet.

Der Sportredakteur trug ein Gewinnerlächeln in seinem Gesicht, das jeder Stuyvesantreklame alle Ehre gemacht hätte. In der Mitte des ovalen Konferenztisches stand das übliche Tablett mit kleinen grünen Mineralwasserflaschen und der entsprechenden Anzahl Gläser.

»Jetzt könnte ich einen Cognac vertragen«, dachte Jablonski, fühlte seine Finger schweißnaß werden, spürte den beißenden, scharfen Geschmack des Alkohols auf der Zunge, und er verlangte nach der Wärme, die das Gesöff in seinem Magen zurücklassen würde.

»Nun gut«, begann Pohlig und legte eine bedeutungsschwangere Pause ein, in der er mit hochgerecktem Kinn einen Punkt an der Decke des Raumes fixierte und fuhr fort:

»Wie Sie sich bestimmt schon gedacht haben, sind wir hier nicht versammelt, um Lorbeerkränze zu verteilen. Im Gegenteil, die Verlagsleitung hat mich beauftragt, Ihnen einige Richtlinien und Anweisungen plausibel zu machen, an die Sie sich alle zu halten haben … ansonsten können Sie mit personellen Konsequenzen rechnen«, schloß Pohlig scharf, wobei er Jablonski anpeilte, der diese Drohung bereits erwartet hatte.

»Sehen Sie, Jablonski«, sagte Pohlig und breitete dabei die Arme weit auseinander, »die Verlagsleitung und ich wissen beim besten Willen nicht, warum Sie ständig Themen für Ihre Titelstory aussuchen, die unsere Inserenten einfach vor den Kopf stoßen müssen. Nehmen wir einmal Ihre Geschichte über diese Penner, die sich in der Fußgängerpassage aufhalten, die Passanten belästigen, anpöbeln und dafür auch noch reichlich beschenkt werden wollen. Was meinen Sie, wie mich dieser Juwelier aus der Weststraße angeraunzt hat, vor dessen Ladentür sich diese Gestalten ständig aufhalten. Er hat damit gedroht, demnächst nur noch in der ›WAZ‹ zu inserieren statt bei uns. Wissen Sie, was das heißt?« erregte sich Pohlig und lockerte mit einer hastigen Handbewegung die Krawatte. »Der Mann lanciert jede Woche eine halbe Seite Werbung … und wir, … ach was … Sie Jablonski, beschreiben die Penner, die vor der Tür dieses Geschäfts in ihrer eigenen …«, Pohlig rang nach Worten, » … Kotze … liegen, als arme, ausgestoßene Wesen unserer Gesellschaft, die unser Mitgefühl verlangen.«

»Wissen Sie was, Jablonski, wenn Sie so weitermachen, landen Sie eines Tages selbst in der Gosse, nicht zuletzt wegen Ihres Alkoholkonsums.«

Willi, der Fotograf, hob zaghaft wie ein Schuljunge die Hand.

»Moment!« stieß Pohlig hervor. »Ich bin noch nicht fertig. Mir ist zu Ohren gekommen Jablonski, daß Sie ihre Recherchen mehr als ernst genommen haben. Nicht nur, daß man Sie mit einer vollen Flasche Rotwein …«

»Coteaux d’Aix-en-Provence«, warf Jablonski ein und grinste.

»… gesehen hat«, fuhr Pohlig unbeirrt fort. »Nein, es schien, als hätten Sie sich einen Monat weder gewaschen noch Ihre Kleider gewechselt«, dröhnte Pohlig und ließ dabei seine Hand auf den Konferenztisch klatschen.

»Das stimmt, Herr Pohlig«, warf der Sportredakteur diensteifrig ein … »ich habe den Kollegen Jablonski mehrfach darauf hingewiesen …«

»Arschkriecher«, ließ sich Kampmann mit ruhiger, aber lauter Stimme vernehmen, holte ein zerknülltes, blau-weiß-gestreiftes Taschentuch aus der Anzugjacke und tupfte sich die Stirn ab.

»Ich verbitte mir diesen Ton!« meldete sich Pohlig und blickte wie ein Löwenbändiger mit gefletschten Zähnen in die Runde. »Also, ich erwarte von Ihnen in Zukunft Themen, die in unser neues redaktionelles Konzept passen.«

»Und das wäre?« fragte Jablonski, der Mühe hatte, die nötige Portion Interesse zu heucheln.

Pohlig atmete aus und ließ sich in seinen bequemen Ledersessel fallen.

»Wir erwarten von Ihnen Berichte und Fotos über Stadtfeste, Geschäftseröffnungen, Aktionen von Fitneßstudios, Geburtstage von lokalen Größen, Interviews mit Gattinnen von Lokalpolitikern … na ja, Sie wissen schon, wer mit wem, warum, wieso, weshalb …, die Leute lesen sowas gerne!«

Und die Inserenten kriegen das für’s Geld, was sie verlangt haben, dachte Jablonski grimmig und hatte Mühe, nicht sofort aufzustehen, einfach zu gehen und die Tür des Konferenzsaals hinter sich ins Schloß zu werfen. Den Rest der Diskussion verfolgte Jablonski nur mit halbem Ohr, er träumte von einem schäumenden, kühlen Pils, das ihm eine halbnackte Südseeschönheit unter Palmen servierte, während er braungebrannt in einem Liegestuhl ein Nickerchen hielt.

Der Sportredakteur monierte, daß kein Wort über seine, wie er fand, wichtigen Berichte von lokalen Sportereignissen erwähnt wurde. Kampmann erhielt von Pohlig einen Abriß dafür, daß er sich beständig weigerte, an Eröffnungen neuer Galerien teilzunehmen. Nur Willi Rehnagel kam mit heiler Haut davon, seine Fotos schienen keinen Menschen zu interessieren.

Zum Abschied gab Pohlig jedem die Hand. Er hielt Jablonski am Arm zurück, als die anderen drei schon durch die gepolsterte Flügeltür in das Vorzimmer entschwunden waren.

»Sie sind nicht umsonst verantwortlich für die Lokalredaktion, Jablonski«, begann Pohlig mit warnendem Unterton, »Sie wissen, es gibt Personen in Ihrem Umfeld, die Ihren Posten gerne übernehmen würden, also halten Sie sich daran«, schloß der Justitiar, schaute Jablonski dabei tief in die Augen, drückte ihm noch einmal besänftigend die Hand und schob ihn vorsichtig, aber bestimmt aus dem Konferenzsaal.

»Ich mag diese Wohltätigkeitsklamotten nicht. Ich finde, in meinem Unternehmen sollte es ein Gefühl der Sicherheit geben, das daher rührt, daß alle wissen, ihre Arbeit wirft Profit ab.«

Samuel Irving Newhouse,

amerikanischer Verleger und Multimillionär über die Drucklegung engagierter Texte

2.

Der Fahrstuhl hielt mit asthmatischem Stöhnen, klappernd und stockend öffneten sich die Schiebetüren und gaben den Blick in den schwach beleuchteten Metallkorb frei. Jablonski trat ein, drückte auf einen der Bedienungsknöpfe und lehnte sich an die breite Aluminiumleiste, die in Hüfthöhe angebracht war. Leise rumpelnd setzte sich das Gefährt in Bewegung, glitt an den Büros der Vorstandssekretärinnen vorbei, passierte die Etage, in dem der Vortragssaal und das Büro des Betriebsrats untergebracht waren, schaukelte erst an der Sportredaktion, dann an der Lokalredaktion vorbei und stoppte im Erdgeschoß, in dem die Rotationsmaschinen standen.

Jablonski verließ den Fahrstuhl und stieg die gewundene Marmortreppe zur Kantine hinunter, aus der ihm der faulige Geruch von gedünstetem Blumenkohl entgegenschlug, fischte sich ein Plastiktablett von einem halbhohen Stapel und reihte sich in die Menschenschlange ein, die auf ihr Mittagessen wartete.

Nachdem ihm die Küchenhilfe einen Schlag matschiger Dampfkartoffeln, ein angekohltes Kotelett und einen Berg zerkochten Blumenkohl auf das Tablett gehäuft hatte, griff sich Jablonski eine Flasche Pils aus der Kühltheke, drückte der Kassiererin die Essensmarke in die Hand, zahlte das Bier und suchte den Tisch, an dem Willi Rehnagel und Kampmann saßen. Die beiden hatten sich hinter einer Säule verkrochen und winkten Jablonski zu sich, als sie ihn im Gewühl der Mittagsgäste entdeckten.

»Na, ist dir der Appetit doch noch nicht vergangen?« scherzte Kampmann, trank einen Schluck Bier, rülpste leise und tupfte sich den grauen Vollbart mit einer Serviette ab. »Was meint Pohlig eigentlich damit, wenn er sagt, es gäbe Leute, die auf meinen Posten scharf sind«, erwiderte Jablonski angriffslustig und ließ sich in den roten Plastikstuhl fallen, der an dem Kantinentisch stand. »Nun, es gibt doch genug Freie, die jetzt für sechzig Pfennig pro Zeile arbeiten und die alles tun würden, um fest eingestellt zu werden«, nuschelte Rehnagel zwischen zwei Bissen, wobei ihm ein wenig Blumenkohl aus dem Mund quoll. »Ja, ja der Mensch ist käuflich«, grinste Jablonski, schob den Teller weit von sich, nachdem er die lauwarmen Kartoffeln gekostet, ein Stück von dem vertrockneten Kotelett probiert und das Ganze mit einem großen Schluck Bier hinuntergespült hatte.

»Das lukrative Annoncengeschäft hat den Zeitungseigentümern die Mittel gegeben, ein geistiges Proletariat, ein stehendes Heer von Zeitungsschreibern zu unterhalten, durch welche sie konkurrierend ihren Betrieb zu vergrößern und ihre Annonceneinnahmen zu vermehren streben«, zitierte Jablonski Ferdinand Lasalle aus dem Gedächtnis, wobei ihn Kampmann verständnislos anstarrte und mit dem Kopf schüttelte.

»Du redest dich noch um Kopf und Kragen, Eddie«, sagte er warnend, widmete sich dann aber wieder seinem Kotelettknochen.

Um sich abzulenken, leerte Eddie mit einem Zug das Bierglas aus und bedauerte im selben Augenblick, daß er nicht gleich zwei Flaschen gekauft hatte. Er mußte sich zwingen, nicht sofort ein weiteres Glas Bier in einem Schluck hinunterzustürzen.

Schließlich nahm er sich vor, mindestens solange zu warten, bis Kampmann oder Rehnagel mit dem Nachtisch, einer Portion Wackelpudding, die mit einem Klecks Schlagsahne garniert war, beginnen würden. Innerhalb der nächsten zwei Minuten war ihm klar, daß er dieses selbstgesteckte Ziel niemals erreichte. Er stürzte das zweite Glas mit wenigen, gierigen Schlucken hinunter und stand auf. »Übrigens«, sagte er zu Rehnagel, wobei er ihm zuzwinkerte, »falls mich jemand suchen sollte, ich habe einen Termin bei der SPD-Ratsfraktion, das kann etwas später werden«, stellte die leere Bierflasche auf das Tablett und bugsierte den Geschirrberg zu einem der fahrbaren Ablageregale, die in Reih und Glied neben der Kantinentür standen. Jablonski spürte, daß er gleich explodieren würde, wenn er nicht bald ein paar Kurze oder einen doppelten Cognac zu trinken bekäme. Er beschloß, in seine Stammkneipe zu fahren, dort nicht allzusehr zu versacken, und später in die Redaktion zurückzukehren.

Um in sein Büro zu gelangen, benutzte er diesmal die Wendeltreppe, die sich wie eine Girlande an dem quaderförmigen Fahrstuhlschacht emporschlängelte. Er war sich dabei sicher, daß er so keinen fragenden Blicken und belanglosen Gesprächen ausgesetzt sein würde. Sein Arbeitsplatz war ein mit Stellwänden abgetrennter Raum an der Fensterfront des Redaktionssaales. Jablonski hatte den verchromten, schweren Metallschreibtisch vor das Kippfenster rücken lassen, damit er an grauen Regentagen nicht nur dem kalten Neonlicht ausgesetzt war. Er blickte nun direkt auf die seelenlose Spiegelglasfassade der Stadtsparkasse. Wenn er sich ein wenig vorlehnte, sah er die schmale Fußgängerpassage, in der der naßkalte Novemberwind die letzten Blätter von den jungen Bäumen schüttelte.

Eddie nahm den Trenchcoat vom Garderobenhaken, den er vom Hausmeister auf eine der Stellwände hatte schrauben lassen, angelte ein frisches Päckchen Gauloises aus der obersten Schreibtischschublade, steckte den Autoschlüssel ein und verließ eilig die Redaktion.

»Ich denke immer, wenn ich einen Druckfehler sehe, es sei etwas Neues erfunden.«

Johann Wolfgang von Goethe

3.

Jablonski hatte die weinrote Alfa Giuletta in der nahen Tiefgarage geparkt. Er konnte sich immer wieder an den barocken Formen der zwanzig Jahre alten Karosse erfreuen. An den hohen, geschwungenen, aggressiv wirkenden Kotflügeln, den verchromten Sportfelgen und an dem scharf abfallenden Heck, in das breite Rücklichter eingelassen waren.

Der starke Sechszylinder der Giuletta sprang nach dem zweiten Startversuch an und blubberte leise im Leerlauf. Jablonski betrachtete in stiller Andacht das in Rosenholz gefaßte Armaturenbrett, wartete bis der Öldruckanzeiger das grüne Feld erreicht hatte, gab vorsichtig Gas und ließ den Alfa wie ein gebändigtes Raubtier aus der Parklücke gleiten.

Um ein tadelloses Mitglied einer Schafherde zu sein, muß man vor allem ein Schaf sein, erinnerte sich Jablonski grinsend an einen Spruch von Einstein, den er einmal gelesen hatte und wunderte sich über sein ausgezeichnetes Gedächtnis, da er annahm, er habe die Hälfte seines Gehirns bereits durch den hohen Alkoholkonsum der letzten Jahre ruiniert.

Die Betonung liegt auf tadellos, sinnierte Eddie weiter, als er sich in den träge fließenden Verkehr einreihte. Nein, ich bin weder ein Schaf noch tadellos, ich bin als Wolf in eine Schafherde geraten.

Ja, ich bin ein Wolf in einem Schafspelz, schmunzelte Eddie, packte mit einer Hand das Speichenlenkrad fester, holte mit der anderen die Zigarettenpackung aus der Manteltasche, klopfte das Päckchen gegen das Armaturenbrett, zupfte eine filterlose Zigarette mit zusammengepreßten Lippen aus der Papierhülle und steckte den Glimmstengel mit dem elektrischen Anzünder in Brand, der mit einem lauten Klack aus seiner Halterung gesprungen war.

Eddies Insel lag hinter einer Jugendstilfassade verborgen. ›Das Treibhaus‹ war im Schicki-Micki-Bauhausstil eingerichtet und zu jeder Tages- und Nachtzeit gerammelt voll wie bei einem Sommerschlußverkauf.

Der Journalistenstammtisch stand wie ein Fels in der Brandung vor einem bleiverglasten Rundbogenfenster, dessen Scheibe mit bunten Ornamenten reich verziert war. Luigi, der Besitzer dieser Oase, ein kleiner rundlicher Italiener mit einem weit ausladenden Schnauzbart, hatte das Chaos fest im Griff. Jablonski begrüßte ihn mit einem kurzen Kopfnicken, als er sich auf eine Bank hockte, die dicht vor dem Fenster stand, hinter der ein Heizkörper angebracht war, der wohlige Wärme ausstrahlte.

»Wie immer?« fragte Luigi und hielt ein Cognacglas hoch.

»Einen Doppelten«, bestätigte Eddie, stand noch einmal auf, zog den Trenchcoat aus und hielt fröstelnd die Hände über die Rippen der Heizung.

»Schon Feierabend?« grinste Luigi, als er Jablonski den Cognacschwenker brachte.

»Setz dich«, antwortete Eddie, »oder besser, hol dir auch einen auf meine Rechnung«, ergänzte er.

»Was ist, gab’s Ärger?« antwortete Luigi stattdessen, stemmte die kräftigen Arme auf den polierten Holztisch und blickte ihn fragend an.

»Ach Quatsch, laß mich in Ruhe, wenn du keine Zeit hast«, antwortete Jablonski mürrisch, der damit gerechnet hatte, mit Luigi ein paar zu trinken, und den ganzen Ärger damit einfach zu vergessen.

»Du siehst doch, der Laden quillt über, ich hab’ alle Hände voll zu tun und kann dann nicht schon am frühen Nachmittag saufen, das mußt du doch verstehen!« entschuldigte sich der Wirt und streckte hilfesuchend die Arme aus.

»Okay, okay«, nölte Eddie enttäuscht und prostete Luigi zu, »ich dachte zwar, du wärst ein Kumpel … aber was soll’s.«

»Der Cognac geht auf meine Rechnung«, tröstete Luigi und klopfte ihm beruhigend auf die Schulter. Eddie nickte kurz und nahm einen kräftigen Schluck. Der Alkohol brannte in seiner Kehle und schon bald breitete sich ein angenehm wohliges Gefühl in seinem Magen aus. Die Tische rings um ihn herum waren mit Mittagsgästen besetzt. Kleine Angestellte wie er, die alle ein wenig ihre Pause überzogen hatten, um noch schnell einen Kaffee zu trinken und dabei von ihrem Urlaub oder dem letzten Kinobesuch zu plaudern. Er merkte ihnen ihr schlechtes Gewissen an ihren unruhigen Blicken an, die sie ab und zu zur Glastüre warfen, als warteten sie darauf, daß ihr Chef sie persönlich abholen und sie an ihren Schreibtisch führen würde.

Jablonski stöhnte bei der Überlegung, wie er das neue Zeitungskonzept umsetzen sollte. Ihm wurde schon schlecht bei dem Gedanken, über die Eröffnung eines neuen Sonnenstudios oder über die Verleihung des goldenen Käsemessers schreiben zu müssen. Er wäre nichts weiter als eine männliche Klatschspaltenhure, die Zeile für Zeile Belanglosigkeiten aneinanderreihen müßte.

Eine Stunde und zwei, drei Cognac später war sein Zorn ein wenig abgeklungen und einem leichten Rausch gewichen, der ihn die Dinge zwar klarer, aber auch von weiter weg betrachten ließen.

Er war immer noch der schlecht bezahlte Lokalredakteur in einer zweitklassigen Tageszeitung, der stramm auf die Vierzig zueilte, ein Reihenhäuschen abbezahlte, dessen Gattin einer Halbtagsbeschäftigung als Lehrerin nachging, mit der er einmal die Woche die Ehe vollzog, dabei vor Jahren einen Sohn zeugte und ansonsten im Halbtran dem Leben ein paar positive Seiten abzutrotzen suchte.

Jablonski merkte, daß ihn der Alkohol spitz wie eine Horde Hochseefischer kurz vor dem Landgang machte. Eddie wußte aber auch sehr gut, daß er mit dieser Cognacfahne nicht bei Uschi landen konnte. Sie hatte feste Regeln. Dazu gehörte der allwöchentliche Beischlaf am Mittwochabend nach ihrem Gymnastikkurs, von dem sie behauptete, daß diese Art von Bewegung ihre Verspannung lockern würde. Jablonski resignierte, sein Schniedelwutz würde sich vermutlich noch zwei Tage gedulden müssen.

Er stand auf, holte tief Luft, kramte ein Pfefferminzbonbon aus seiner Manteltasche, um ein wenig die Alkoholfahne zu vertreiben, ging zum Tresen und ließ sich von Luigi das Telefon geben. Die Tagungsergebnisse der SPD-Ratsfraktion waren wie immer in drei Sätzen zusammenzufassen: ›Wir Genossen stehen fest zusammen.‹, ›Die Arbeitslosigkeit ist ein schlimmes Übel.‹, ›Der Individualverkehr hat Vorrang (schließlich wollen wir es uns nicht mit Opel verderben).

Jablonski hatte nichts anderes erwartet. Er zahlte seine Zeche, atmete noch einmal kräftig durch, bevor er in den Alfa stieg und in gedrosseltem Tempo zur Redaktion zurückfuhr.

Er hatte Glück, weder die toupierte Mittvierzigerin in der Portiersloge musterte ihn, wobei ihr sonst vermutlich seine hochroten Wangen aufgefallen wären, noch lief ihm ein Kollege über den Weg, bevor er seine Klosterzelle erreichte.

Jablonski hackte zwanzig Zeilen über das Ergebnis der Fraktionssitzung in den Textcomputer und speicherte die Pressenotiz ab. In der untersten Schreibtischschublade fand er, wonach er suchte. Eine Flasche Courvoisier im Westentaschenformat. Eddie pfiff leise durch die Zähne. Flachmänner sind die geilste Sache seit Erfindung des Toastbrots, dachte er und steckte das Gesöff in die Innentasche seines Jackets.

Er nahm die Diskette, beschriftete das Etikett und ließ das schwarze Plastikquadrat in eine Hülle gleiten. Dann trat er auf den Mittelgang, der die Klosterzellen der Redakteure miteinander verband.

Drei Arbeitsplätze weiter fand er Kampmann in einem tiefsinnigen Gespräch über kommunale Theaterarbeit verwickelt.

Die Frau, die dem Kulturredakteur gegenübersaß, trug halblange schwarze Haare, mit einem kräftigen Schuß Kupferrot. Ihre strengen Gesichtszüge waren stark geschminkt. Die scharfen Konturen ihres Gesichts wurden von zwei großen goldenen Ohrringen unterstrichen, die sie ein wenig wie eine Zigeunerin aussehen ließen. Das schwarze enganliegende Wollkleid betonte ihre kräftige, kleine Figur. Sie strahlte die geballte Energie eines Panthers aus.

»Tschuldigung, ich störe wohl?« murmelte Jablonski, der die Frau geistesabwesend anstarrte, und wollte sich schon wieder umdrehen, als Kampmann ihn zurückrief:

»Ach was, bleib hier, darf ich vorstellen? Frau Petricelli vom Kulturamt … Jablonski, unser Lokalredakteur«, und wies dabei auf Eddie.

»Angenehm«, murmelte Jablonski und blieb regungslos im Türrahmen stehen.

»Sind Sie der Autor des Artikels über die Bochumer Pennerszene?« fragte die Frau interessiert und musterte ihn mit einem neugierigen Blick.

»Wieso,« antwortete Eddie, »sehe ich so aus?« und hoffte inständig, daß der Flachmann sein Jacket nicht ausbeulte.

»Ja«, lachte der Panther, »zwar nicht wie ein Penner, aber wie einer, der über Penner schreibt!«

Kampmann blickte demonstrativ auf seine Armbanduhr.

»Zeit, daß ich meinen Artikel in die Setzerei bringe«, sagte er, stemmte sich aus seinem Bürostuhl und kramte seine Unterlagen zusammen. Der Kulturredakteur war ein feinfühliger Mensch, er hatte instinktiv begriffen, daß er momentan überflüssig war.

»Wenn Sie wollen, erzähle ich Ihnen ein bißchen was über die Pennerstory«, grinste Eddie, der merkte, daß nicht nur seine Aktien stiegen.

»Ich habe Hunger«, antwortete sie stattdessen, stand ebenfalls auf, stellte sich mit ihren knallroten Pumps vor Jablonski und blinzelte ihn unternehmenslustig an.

»Das trifft sich gut«, reagierte Eddie schnell, »ich kenne da einen netten kleinen Italiener, gar nicht weit von hier, wir könnten zu Fuß hingehen.«

»Okay«, nickte die Frau und griff ihren Mantel, den sie über einen Stuhl gelegt hatte.

»Nimmst du meine Diskette in die Setzerei mit?« bat Eddie den Kulturredakteur und zwinkerte ihm zu.

»Glückspilz«, murmelte Kampmann, griff einen Stapel Manuskripte von seinem Schreibtisch, verabschiedete sich von dem Panther und verschwand auf dem Korridor.

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