Kitabı oku: «Stimmen gegen das Schweigen», sayfa 2
Teil 1: Politische Haft
Politische Haft in Syrien ist im Wesentlichen willkürliche Haft50 und erzwungenes Verschwinden51. Die Gefangenen verschwinden für Monate oder gar Jahre. Während dieser Zeit wird ihnen das Recht verwehrt zu erfahren, wo sie sich befinden und was ihnen vorgeworfen wird. Ihren Angehörigen wird es nicht erlaubt, sie zu besuchen und so zu wissen, ob sie noch am Leben sind oder nicht. Die Gefangenen werden verhört und dabei gefoltert und misshandelt, um ihnen Geständnisse abzuringen. Sie kommen in Isolationshaft und man verwehrt ihnen sämtliche rechtliche Garantien, gerechte Gerichtsverfahren und ein Mindestmaß an medizinischen und humanitären Bedingungen.52
Alle unsere Zeug*innen wurden wegen ihrer politischen Aktivitäten oder als Geiseln aufgrund der Aktivitäten von Angehörigen inhaftiert. Deshalb wurden sie vom ersten Augenblick ihrer Haft an einer Reihe von Verletzungen ihrer körperlichen Integrität ausgesetzt. Einige von ihnen wurden von der Straße weg entführt, andere verschwanden während der Zeit der Verhöre, ohne dass ihre Familien wussten, wo sie sich befanden. Die meisten waren viele Jahre in den Gefängnissen verschwunden, ohne dass sie ein Gerichtsverfahren erhielten und ohne zu wissen, wann sie freikommen würden. Jene, die von außerordentlichen Gerichten verurteilt wurden,53 berichteten davon, dass in diesen Gerichten jegliche Bedingungen für Gerechtigkeit fehlten und keinerlei Beweise vorlagen, und so blieben sie lange Jahre inhaftiert, selbst noch nach Ende der eigentlichen Haftzeit.
Verhaftungsmethoden und Haftdauer
Der Moment der Verhaftung hat sich bei den Gefangenen als ein Scheidepunkt zwischen zwei Zeiten eingeprägt. Viele beschreiben ihn als einen Moment, in dem sie einen dunklen Tunnel betraten, ohne Hoffnung, ihn wieder zu verlassen, einen Moment, in dem sie ihrer Menschlichkeit beraubt und allen Gefahren ausgesetzt wurden, darunter auch, zu sterben und auf ewig zu verschwinden. Die meisten begannen in ihren Zeugnissen mit diesem Moment, mit dem Schmerz, den diese Erinnerung verursacht, und der Angst, die sie verspürten, weil die Geheimdienste darauf bedacht waren, bei einer Verhaftung so furchteinflößend aufzutreten wie nur möglich. Damit sollten die Verhaftungsmethoden nicht nur die Verhafteten vor dem Verhör psychisch fertigmachen, sondern sie waren auch eine Lektion für die gesamte Gesellschaft und für jene, die in Zukunft etwas Verbotenes tun und sich politisch betätigen würden.
„Sie umstellten meine Schule mit Panzern; ich erinnere mich bis heute, dass ich gerade eine Prüfung im Fach Bürgerkunde hatte. Als sie mich vor das Feldgericht stellten, war ich 15 Jahre und vier Monate alt.“ LAMA
Lama54 wurde 1981 aus ihrem Gymnasium in Aleppo heraus verhaftet. Sie blieb neun Jahre im Gefängnis. Nach dem Grund für ihre Verhaftung befragt, antwortete sie, dass sie es bis heute „nicht wisse“.
„Sie haben mich von der Straße weg verhaftet. Ich rannte weg, aber sie folgten mir. Ich suchte Schutz bei den Passanten. Als sie den Leuten sagten: ‚Wir sind von der Sicherheit‘, liefen alle weg. Die Leute haben Angst vor ihnen. Die meisten haben sogar Angst davor, einer Verhaftung aus der Ferne zuzusehen. Bei meiner zweiten Verhaftung 1984 kamen sie nach Hause, durchsuchten die Wohnung und nahmen meine Gäste fest. Sie blieben für ein paar Wochen im Gefängnis und wurden dann wieder freigelassen.“ SARA
Als Sara55 1982 in Damaskus verhaftet wurde, zerrten sie die Leute vom Militärgeheimdienst in unwürdiger Weise durch die Straße. Bei ihrer Verhaftung 1984 wurde sie zu Hause festgenommen und mit ihr ihre Freund*innen, die sie gerade besuchten.
„Sie umzingelten unsere Straße mit sehr vielen Autos. Mehr als 40 Bewaffnete drangen in unser Haus ein. Sie begannen, mich an der Haustür zu schlagen. Die Gefühle meiner Familie oder der Nachbarn waren ihnen egal. Ich war damals 17 Jahre alt, meiner Mutter sagten sie das Übliche: ‚In fünf Minuten ist er zurück.‘“ MOHAMMAD
Die Familie und die Nachbarn Mohammads56 waren bei seiner Verhaftung 1980 in großer Angst. Er blieb 13 Jahre im Gefängnis.
„Sie verhafteten mich aus dem Klassenzimmer heraus. Der Direktor schickte nach mir. Ich fragte sie, was sie von mir wollten. Sie antworteten arrogant: ‚Das wirst du erfahren, wenn wir in der Geheimdienstabteilung sind.‘ Sie beschlagnahmten alle meine Papiere, darunter eine Liste mit den Namen der Schüler, die an einem Ausflug teilnehmen sollten. Vor dem Direktor behandelten sie mich noch normal, aber als ich zwischen zweien von ihnen in ihrem Auto saß, änderte sich das …“ SAWSAN
Sawsan57 arbeitete zur Zeit ihrer Verhaftung als Lehrerin in einer Grundschule in Latakia. Sie erinnert sich an den Moment, in dem die Geheimdienstleute kamen, um sie festzunehmen. Sie hatte sie durch das Fenster des Klassenzimmers kommen sehen und versucht, sich ihre Unruhe vor ihren Schülern nicht anmerken zu lassen und den Unterricht fortzusetzen, aber kurze Zeit später wurde sie ins Büro des Direktors gerufen.
Mit Beginn der Revolution im Jahr 2011 wurden willkürliche Verhaftungen und erzwungenes Verschwinden von Aktivist*innen und allen, von denen man vermutete, dass sie die Revolution unterstützten, zu den wichtigsten Unterdrückungsmethoden für die Zerschlagung der Revolution. Die Geheimdienste wandten ihre brutalen Verhaftungsmethoden nicht nur vor den Augen der Syrer*innen, sondern vor den Augen der gesamten Welt an.
„Auf der Präsidentenbrücke in Damaskus standen zwei Geheimdienstleute und fragten mich nach meinem Ausweis. Dann begannen sie, mich auf der Straße zu schlagen. Es waren viele Leute unterwegs. Sie zerrten mich zu einer ‚Baracke‘58 in der Nähe und schlugen unaufhörlich auf mich ein. Eine alte Frau kam vorbei … sie begann zu weinen.
Als wir bei der ‚Baracke‘ angekommen waren, sagte einer von ihnen: ‚Gut, dass du jetzt hier bist, wir haben schon ewig keine Frau angefasst.‘ Sie steckten mich dort mit einem jungen Mann hinein, den sie auch festgenommen hatten. Alle paar Minuten kam einer von ihnen herein, spuckte uns an und ging wieder hinaus.“ LAYAL
Layal59 erzählt, wie enttäuscht sie vom Schweigen der Leute war, die ihre Festnahme beobachteten. Nicht einer von ihnen protestierte dagegen, wie sie gedemütigt wurde. Das zeigt die große Angst unter den Menschen, die vielleicht sogar in Betracht zogen, Layal oder irgendjemandem in einer ähnlichen Lage zu Hilfe zu kommen, sich aber an schmerzliche Erfahrungen erinnerten und Abstand davon nahmen.
Sie erzählt auch von ihrer eigenen Angst, als sie hörte, wie die beiden Sicherheitsleute sich darüber unterhielten, wie toll es war, dass sie als Ersatz für ihre Frauen in der „Baracke“ war. Das war für sie ein klarer Hinweis auf ihr sexuelles Bedürfnis, was sie als offene Androhung von Vergewaltigung betrachtete.
Yara60 berichtet von ihrer vierten Verhaftung im Jahr 2016 bei einer Durchsuchung der Wohnung, in der sie und ihre Familie lebten:
„Sie hoben die Tür aus den Angeln und kamen herein. Es waren 15 bewaffnete Männer. Ich war in meinem Zimmer; sie kamen herein, ohne sich um die Bitte meines Vaters zu kümmern, mir kurz Zeit zu geben, mich umzuziehen. Sie durchsuchten die Wohnung und machten absichtlich alles kaputt, sogar die Jalousien.“
Anfang der 1980er Jahre, als das Regime seine Krallen offen zeigte, begnügten sich die Geheimdienste nicht mehr damit, Oppositionelle zu verhaften und sie für kurze Zeit verschwinden zu lassen, sondern griffen zu einer schmerzhafteren Strafe – ihr Leben durch Warten zu vergeuden, während sie die Jahre im Gefängnis zählten, ohne zu wissen, wann sie vorüber sein würden.
„Acht Jahre meines Lebens habe ich im Gefängnis verbracht, ohne Gerichtsverfahren, ohne zu wissen, wann ich freikommen würde. Der verantwortliche Offizier in der Verhörabteilung sagte zu mir: ‚Du wirst im Gefängnis verrotten.‘“ SARA
„1980 wurden viele politische Aktivisten verhaftet. Nach vier Jahren kam ich frei, doch viele andere blieben für viele Jahre im Gefängnis, und einige sind heute noch dort. Vor Hafiz al-Assad hatten wir keine Angst vor politischer Haft. Meine Brüder und viele meiner Freunde wurden vor mir verhaftet und blieben nur für kurze Zeit im Gefängnis. Hafiz al-Assad begnügte sich nicht damit, Oppositionelle zu verhaften. Er stahl ihnen ihr Leben.“ AKRAM61
Aziza62, die als Geisel für ihren Mann verhaftet wurde, blieb elf Jahre im Gefängnis, ohne je vor ein Gericht gestellt zu werden oder zu wissen, wann sie wieder herauskommen würde.
„Ich war elf Jahre im Gefängnis, ohne Haftgrund und Verfahren. Ich war eine Geisel für meinen Mann. Aber mein Mann starb, und sie wussten das. Meine Kinder wurden groß während dieser Zeit. Ich wurde alt und verlor die besten Jahre meines Lebens im Gefängnis. Jeden Tag sagte ich mir, dass ich morgen entlassen werden würde. Es wäre für mich und meine Kinder bestimmt einfacher gewesen, wenn ich gewusst hätte, zu wie vielen Jahren man mich verurteilt hatte.“
Rehab63 wurde mit einer Gruppe von Jugendlichen verhaftet, darunter zwei aus ihrer Familie, weil sie Forderungen an Wände in ihrer Stadt geschrieben hatten. Sie wurden mehrerer Dinge beschuldigt, unter anderem der „Bedrohung der Sicherheit des Staates und Destabilisierung des Herrschaftssystems“, so fasste Rehab die Anschuldigungen zusammen, die sie bei jeder neuen Runde der Folter zu hören bekam.
„Ich blieb sechs Monate lang in meiner Zelle in der Palästina-Abteilung. Danach brachten sie mich in ein Zivilgefängnis und die Gerichtsverhandlungen begannen. Ich erwartete täglich, dass sie mich entlassen würden. Zwei Jahre vergingen mit Warten. Bei der Urteilsverkündung erklärte mich der Richter für unschuldig. Die Jüngeren verurteilte er zu zwei Jahren wegen Verunglimpfung des Staates.“ REHAB
Hafiz al-Assad starb am 10. Juni 2000 nach drei Jahrzehnten Herrschaft, während derer er den Weg für seinen Sohn als Nachfolger geebnet hatte. Dieser trat schnell in seine Fußstapfen und setzte politische Haft als erfolgreiches Mittel ein, um seine Gegner*innen und die Kritiker*innen seiner Politik aus den Reihen der Verfechter*innen der Menschenrechte, der politischen Gruppierungen, der Intellektuellen und Studierenden in Schach zu halten.
Im Jahr 2009 wurde Ayat64 aus der Philosophischen Fakultät der Universität Damaskus heraus verhaftet. Sie war damals im ersten Studienjahr. Man beschuldigte sie, auf dem Campus Flugblätter verteilt zu haben. Sie blieb neun Monate in Haft und wurde dabei zwischen der Abteilung für Politische Sicherheit und der Palästina-Abteilung hin- und hergebracht und dort schlimmster Folter ausgesetzt.
„Als mein Vater nach neun Monaten kam, um eine Bürgschaft zu unterschreiben und mich abzuholen, sagte der Offizier zu ihm: ‚Du kannst Gott dafür danken, dass sie rauskommt. Hier kommen sonst nur Alte raus.‘“ AYAT
Nach Beginn der Revolution im Jahr 2011 begegnete das syrische Regime den Aktivist*innen der Revolution mit systematischer Unterdrückung. Tausende von Frauen und Männern und sogar Kinder wurden ins Gefängnis gesperrt, Tausende durch Folter getötet und Zehntausende sind bis heute verschollen,65 darunter etwa 8.000 Frauen.
Mehrfaches Leid
Durch die harten Bedingungen im Gefängnis und die psychische und familiäre Situation ist es für die gefangenen Frauen sehr schwer, mit dem Faktor Zeit umzugehen. Besonders für die Mütter unter ihnen wird die Haftdauer zu Klauen, die jeden Tag neu nach ihren Seelen greifen, weil sie so weit von ihren Kindern entfernt sind und sich nicht um sie kümmern können.
Als Aziza 1979 zum ersten Mal verhaftet und gefoltert wurde, war sie mit ihrem dritten Kind schwanger. Obwohl die Vernehmungsoffiziere und Folterer das wussten, war das absolut kein Grund, die Folter abzuschwächen:
„Sie steckten mich in einen Reifen66 und schlugen mich abwechselnd, ununterbrochen zwölf Stunden lang. Dann setzten sie meine Zehen unter Strom, bis ich ohnmächtig wurde. Immer, wenn eine Folterrunde vorüber war, kam einer zu mir und sagte: ‚Du hast noch nichts davon gesehen, was dich hier noch erwartet!‘ Ich fragte mich, was noch Schlimmeres passieren könnte. Ich wollte nur, dass irgendetwas die Folter beenden würde. Ich wünschte mir, eine Fehlgeburt zu haben. Stell dir vor, so weit zu sein, dass du dir den Tod deines Kindes wünschst, nur damit sie aufhören, dich zu foltern.“
Beim zweiten Mal wurde Aziza 1980 gemeinsam mit ihren drei Kindern festgenommen. Ihr Sohn, der nach ihrer ersten Verhaftung geboren wurde, war noch ein Säugling und wurde von ihr gestillt. Deshalb musste er bei ihr im Gefängnis bleiben. Sie bekam kein Gerichtsverfahren wie die anderen den Muslimbrüdern zugerechneten Frauen. Sie wurde beide Male als Geisel für ihren Mann verhaftet und wartete täglich auf ihre Freilassung. Doch auch wenn sie als Mutter nicht zu besorgt war, da ihr Kind bei ihr war, hegte sie Schuldgefühle ihm gegenüber.
„Ich war sieben Jahre lang im Zentralgefängnis Aleppo und mein Jüngster war bei mir. Als sie mich zum zweiten Mal inhaftierten, war er noch ein Säugling. Als er vier war, gab ich ihn zu meiner Mutter. Das war sehr schwer für mich, denn mit ihm war ich weniger einsam und spürte die Zeit nicht so sehr, aber ich hatte kein Recht, ihn noch länger bei mir zu halten. Das wäre ein Verbrechen an ihm gewesen. Es war der schwerste Tag im Gefängnis. Als er weg war, konnte ich einen ganzen Monat lang nicht reden.“
In der Verhaftungskampagne von 1987, als Dutzende junge Frauen und Männer aus der Kommunistischen Arbeitspartei festgenommen wurden, verhaftete man auch ein Ehepaar. Während sie darauf warteten, dass einer von ihnen freigelassen wurde, blieben ihre Kinder bei Verwandten. Für sie war das eine mehrfache Strafe. Einigen Müttern blieb es jahrelang versagt, ihre Kinder zu sehen. Wenn sie überhaupt von ihnen besucht werden durften, dann oft nur einmal im Monat für eine kurze Zeit und unter scharfer Beobachtung. Das hinterließ große Wunden in der Erinnerung der Kinder.
Lina67 wurde 1987 ebenfalls als Geisel für ihren Mann verhaftet, der in der Kommunistischen Arbeitspartei eine führende Rolle innehatte. Sie sagt:
„Im Traum sah ich meine Tochter mit ungekämmtem Haar und schmutziger Kleidung. Am Ende eines der Besuche zusammen mit ihrer Großmutter rief sie auf dem Weg nach draußen plötzlich: ‚Mama!‘ Der Wärter hatte mich bereits am Arm gefasst und weggeführt. Ich drehte mich um und wollte zu ihr laufen, um sie zu beruhigen und ihr zu versprechen, dass ich bald nach Hause kommen würde, doch der Wärter hinderte mich daran und befahl mir, mich nicht umzudrehen. Ich denke, dass die Situation, die sie durch unsere Abwesenheit erlebte, sich in ihr Gedächtnis eingebrannt hat. Ich ging zurück zu den Zellen und war voller Kummer und Wut. Noch immer habe ich nach all diesen Jahren Schuldgefühle ihr gegenüber.“
Es ist verständlich, dass die meisten inhaftierten Frauen, die vor der Verhaftung bereits Mütter waren, nach der Freilassung nicht zur politischen Arbeit zurückkehren wollten. Sie hatten gesehen, dass es ihre Kinder waren, die den größten Preis dafür zahlten, und wollten ihnen diese Last nicht mehr aufbürden.
„Meine Tochter war anderthalb Jahre alt, als ich und ihr Vater verhaftet wurden. Bis zu meiner Freilassung wohnte sie bei verschiedenen Verwandten, und danach warteten wir beide acht weitere Jahre auf die Freilassung ihres Vaters. Nach meiner Entlassung dachte ich nicht daran, erneut politisch tätig zu werden. Erst als ich Syrien verlassen hatte und der Verhaftungsgefahr entronnen war, wurde ich wieder aktiv. Aus Angst um meine Tochter wollte ich diese Erfahrung in Syrien nicht wiederholen.“ LINA
Nach Beginn der Revolution wurden viele Frauen verhaftet, darunter auch Schwangere. Mütter wurden gemeinsam mit ihren Kindern ins Gefängnis gesteckt. Von einem Moment auf den anderen wurden sie zu Nummern in den Geheimdienstabteilungen und Gefängnissen, ohne dass ihrer besonderen Situation Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Wenn man über ihre Erfahrungen spricht, muss man feststellen, dass diese Zeit in ihrem Leben äußerst hart war und bei ihnen und ihren Kindern große psychische Folgen hinterlassen hat.
„Eine Wärterin sagte zu mir: ‚Wenn dich jemand nach deinem Namen fragt, antworte: 1000.‘ Im Militärkrankenhaus 601 traf ich Nummer 995. Wir flüsterten miteinander. Sie nannte mir ihren Namen, Alma, und erzählte mir, dass sie nichts getan habe. Sie war nicht einmal zu einer Demonstration gegangen. Als man sie vor anderthalb Jahren inhaftierte, war sie gerade in der Stillzeit. Sie klagte über Schmerzen in ihren Brüsten und bat den Vernehmungsoffizier, sie gehen zu lassen, damit sie zu ihrem Baby zurückkehren und es stillen könnte. Er begann, seine Schläge nun auf ihre Brüste zu richten, und wiederholte immer wieder: ‚Deinen Sohn stillen willst du? Da hast du dein Stillen!‘“ YARA
Einige Mütter bekamen vor und während der Revolution ihre Kinder im Gefängnis. Wenn sie Verwandte hatten, wurde das Kind im Alter von einem Jahr an diese gegeben. Hatten sie keine, blieb es bei ihnen im Gefängnis, bis sie entlassen wurden.
„Als ich aus der Abteilung ins Gefängnis Adra gebracht wurde, gab es dort auch schwangere Gefangene. Eine von ihnen brachte ihre Tochter im Gefängnis zur Welt und nannte sie Hanin. Der Gefängnisdirektor verweigerte ihr Milch und Medikamente. Sie hatte Gelbsucht und starb sechs Tage nach ihrer Geburt.“ HALA68
Frauen als Geiseln und Mittel der Rache
Die Geheimdienstapparate haben seit den 1980er Jahren Frauen systematisch als Geiseln benutzt. Einige unserer Zeuginnen berichteten, dass die Frauen, die mit der Anschuldigung der Zugehörigkeit zu den Muslimbrüdern festgenommen wurden, meist Geiseln für Männer aus der Familie waren. Einige wiesen auch darauf hin, dass es tatsächlich bei den Muslimbrüdern keine organisierten Frauen gab. In konservativen Kreisen durften die Frauen zumeist keine eigene Meinung haben, und sie hatten kaum Informationen über die politischen oder militärischen Aktivitäten ihrer Angehörigen.
Waad69 sprach über Frauen, die mit ihr im Schlafsaal der politischen Häftlinge im Gefängnis Duma waren, als sie 1988 dorthin verlegt wurde.
„Ich habe dort eine Frau aus der Umgebung von Aleppo getroffen. Sie war in den Sechzigern und Analphabetin und hatte keine Ahnung von Politik. Sie war Diabetikerin, und die Krankheit hatte begonnen, ihr Sehvermögen zu verschlechtern. Man hatte sie als Geisel für ihren Mann verhaftet, der in den Irak geflüchtet war. Als ich sie kennenlernte, saß sie bereits fünf Jahre im Gefängnis.“
Luna wurde 1987 als Geisel für ihre Schwester festgenommen, die von den Geheimdiensten gesucht wurde.
„Sie fragten mich unaufhörlich nach dem Aufenthaltsort meiner Schwester. Ich sollte ihnen sagen, wie sie zu ihr gelangen könnten. Ein ganzes Jahr blieb ich im Gefängnis. Sie sagten mir immer wieder, dass ich diese Strafe verdient hätte und dass sie mich so lange behalten würden, bis meine Schwester käme.“
Mit Beginn der Revolution begnügte sich das Regime nicht mehr damit, Frauen als Geiseln festzunehmen. Man verwendete sie auch als ein Mittel der Rache an den Gebieten, in denen die Revolution besonders große Aufnahme fand. Sehr viele Frauen wurden an Kontrollpunkten festgenommen, nur weil sie in einer bestimmten Gegend wohnten oder wegen des Familiennamens auf ihrem Ausweis. So rächte man sich an den aufständischen Gebieten und Städten oder an den Familien, deren Söhne am Aufstand teilnahmen. Menschenrechtsorganisationen haben dokumentiert, dass das Regime gefangene Frauen,70 darunter auch Minderjährige,71 dazu zwang, im Fernsehen aufzutreten und dort zuzugeben, dass sie auf Verlangen ihrer Angehörigen, die in der Freien Armee waren, „sexuellen Dschihad“72 begangen hatten. Damit wollte sich das Regime rächen und diese Frauen diffamieren.
Die meisten Zeuginnen berichteten uns, dass sie in den Jahren im Gefängnis Frauen getroffen hätten, die weder politisch aktiv gewesen waren noch an Protesten teilgenommen hatten.
Rania73, die verhaftet worden war, weil sie an einem friedlichen Protest gegen die Ermordung von Zivilisten teilgenommen hatte, erzählt:
„In der Palästina-Abteilung gab es eine junge Gefangene, die schwanger war. Als der Vernehmungsoffizier sie holte, brach sie vor lauter Angst zusammen. Mehr als einmal wurde sie beim Verhör auf den Bauch geschlagen, mit einem Kabel schlug sie der Offizier auf den Bauch. Man hatte sie als Geisel für ihren geschiedenen Mann festgenommen, der der Freien Armee beigetreten war, obwohl sie inzwischen mit einem anderen Mann verheiratet und von ihm schwanger war.“
Mary74 wurde festgenommen, weil sie während der Revolution zivilgesellschaftlich aktiv war und sich in Hilfsorganisationen engagierte. Sie wurde von einem Gefängnis ins andere verlegt, bis sie schließlich im Gefängnis Adra landete. Dort bemühte sie sich darum, die anderen gefangenen Frauen psychisch zu unterstützen, vor allem Mütter und Minderjährige. In ihrer Aussage erzählt sie:
„Mehr als 80 Prozent der Frauen, die ich im Gefängnis getroffen habe, hatten keinerlei Verbindung zur Revolution und waren nicht aktiv gewesen. Sie waren nur deshalb verhaftet worden, weil sie aus aufständischen Gebieten stammten oder weil Männer aus ihren Familien in der Freien Armee waren. In der Abteilung 227 begegnete ich drei Frauen aus Darayya, die nur aus diesem Grund im Gefängnis waren. Auch Frauen aus Duma, aus dem Flüchtlingslager Jarmuk und anderen Gebieten, die sich der Kontrolle des Regimes entzogen hatten, wurden verhaftet. Sie nahmen sie an Kontrollpunkten fest, der Wohnort auf dem Ausweis genügte dafür.“
Das Regime verhaftete Frauen auch, um den Schwestern, Ehefrauen und Müttern der Verhafteten Schaden zuzufügen und sich damit an den gefangenen Männern zu rächen und sie zu demütigen.
Munir75 berichtet, dass während der Zeit seiner Gefangenschaft Gerüchte über seine Ehefrau verbreitet wurden, sie sei eine Hure. Dadurch wurden sein Schmerz und Kummer noch größer.
„In der Abteilung 215 rief mich der Vernehmungsoffizier zum Verhör. Im Zimmer waren noch andere Offiziere, die ich aber nicht sehen konnte, weil man mir die Augen verbunden hatte. Der Offizier begann folgendermaßen: ‚Du tust mir wirklich leid, wäre ich an deiner Stelle, würde ich sie töten!‘ Ich antwortete: ‚Ich hoffe, es ist nichts Schlimmes passiert!‘ Er erwiderte: ‚Deine Frau ist eine Hure.‘ Dieses Gerücht verbreiteten sie auch unter den anderen Gefangenen. Einer von ihnen erzählte mir davon und entschuldigte sich bei mir. Das war sehr schmerzlich und bereitete mir großen Kummer.“
Munir erzählt auch davon, wie die Geheimdienstleute immer mit den Gefangenen umgingen, selbst auf dem Weg zum Gericht:
„Auf dem Weg von der Abteilung, in der wir inhaftiert waren, zum Gericht begannen sie im vollgestopften Bus, uns zu foltern und zu beschimpfen. Sie begannen normalerweise mit einem der jüngeren Gefangenen und fragten ihn: ‚Bist du verheiratet?‘ Wenn er verneinte, verlangten sie von ihm die Telefonnummer seiner Schwester. Sie schlugen ihn und machten sich über ihn lustig: ‚Wir werden sie anrufen … Wir wollen uns ein bisschen mit ihr vergnügen.‘
Als ich an der Reihe war, sagte ich, dass ich verheiratet war. Er schlug mich mit dem Gewehrkolben und verlangte die Telefonnummer meiner Frau. Er sagte: ‚Du hast schon lange nicht mit ihr geschlafen. Ich werde sie anrufen und das für dich tun.‘ Diese Demütigungen, Beschimpfungen und Schläge hielten auch noch an, als wir bereits im Gericht waren.“
Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.