Kitabı oku: «Inselromane», sayfa 5

Abb. 3: Titelblatt der Ausgabe von 1904 (Foto privat)
Eine Neuausgabe hat der Roman – trotz des Verdikts von Jens Kistrup und Jurij Moskvitin in Weekendavisen – in jüngster Zeit wieder erlebt: der online-Verlag eBibliotek 1800 hat Øen i Sydhavet 2013 im epub-Format herausgebracht. Als Grundlage für die Publikation diente nicht etwa Gyldendals verhältnismässig modern anmutende Ausgabe, sondern jene Liebenbergs von 1862, d.h. dessen Version der gekürzten Romanfassung. Der Verlag gibt an, er nehme für seine Publikationen aus der Zeit zwischen 1800 und 1945 jeweils eine „schonende Bearbeitung“ vor, indem er die „typographischen Hindernisse“, wie „altmodische Rechtschreibung und gotische Schrift“ beseitige und „in gewissen Fällen“ auch Teile des Textes sprachlich modernisiere.20 Die epub-Ausgabe von Øen i Sydhavet wurde mit einem farbenprächtigen Cover geschmückt: Das Gemälde Miranda – The Tempest des präraffaelitischen Malers John William Waterhouse von 1916 prangt nun als virtueller Buchdeckel auf Oehlenschlägers Werk, eine Wahl, die der Autor vielleicht gebilligt hätte, besonders angesichts der wichtigen Rolle, die ShakespeareShakespeare, William – und nicht zuletzt The Tempest – in seinem Roman spielt. Es ist zu hoffen, dass das dramatische Coverbild21 und die veröffentlichte „Leseprobe“ attraktiv genug sind, um das Interesse der Lesenden zu wecken und festzuhalten, auch wenn man es bedauern mag, dass nicht die ungekürzte Fassung für diese neue Publikation gewählt wurde; in deren Impressum wird die Erstausgabe von 1824–1825 immerhin noch aufgeführt.

Abb. 4: Buchcover der dänischen e-book-Ausgabe. © eBibliotek 1800
Was nun die deutsche Kurzfassung betrifft, so wurde sie im Jahr 1911 nochmals ediert, zu einer Zeit also, da Oehlenschläger im deutschen Sprachgebiet kaum mehr zu den bekannten oder gar berühmten Dichtern zählte.22 Das literarische Umfeld dieser Publikation scheint darauf hinzuweisen, dass sie mit dem seit einiger Zeit wieder erwachten Interesse an Schnabels Insel Felsenburg zusammenhängen könnte. Ausschlaggebend für diese neue Aufmerksamkeit dürfte einerseits gewesen sein, dass der Literarhistoriker Adolf Stern in einem längeren Artikel Näheres zu Schnabels bis dahin im Dunkeln gebliebener Biographie veröffentlicht hatte (Stern, A. 1880: 317–366), andrerseits wurde die Insel Felsenburg in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zunehmend als historischer Roman gelesen, eine Gattung, die sich gerade in jener Zeit ausserordentlicher Beliebtheit erfreute.23 Auch Stern selbst sah Schnabels Roman teilweise als historiographisches Dokument, was allein schon die Veröffentlichung seines Artikels, der sich mit der Insel Felsenburg ebenso befasst wie mit der Person ihres Verfassers, im Historischen Taschenbuch zeigt,24 was aber auch in seiner Auffassung deutlich wird, Schnabel habe durch die vielen eingeflochtenen Biographien ein prägnantes Bild der bürgerlichen Welt Deutschlands in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts gezeichnet (Stern, A. 1880: 342). Mit Sterns Artikel setzte eine eigentliche Forschungstätigkeit zu Schnabel und seinem Werk ein, die zu einer neuen Edition von Band 1 der Erstausgabe der Insel Felsenburg führte,25 sowie in den Jahren 1911/12, also gleichzeitig mit dem Erscheinen der Neuausgabe von Oehlenschlägers Inselroman, erste Dissertationen hervorbrachte.26 Zudem erschien, ebenfalls 1911, unter dem Titel Der deutsche Robinson, eine stark gekürzte und sprachlich vereinfachte Lebensgeschichte des Albert Julius, bearbeitet und herausgegeben von Wilhelm Fischer (Stach 1991: 117).
In der Einleitung des Berliner Literaturwissenschaftlers Richard Moritz Meyer zur Neuausgabe von Oehlenschlägers Inseln im Südmeer wird die vermutete, vom Interesse für Schnabel und sein Werk ausgehende Motivation für die Neuauflage von Oehlenschlägers Roman greifbar, denn diese Einleitung befasst sich viel ausführlicher mit Schnabel und der Insel Felsenburg als mit dem Roman, dem sie vorangestellt ist. Zunächst jedoch beschreibt Meyer das äussere Erscheinungsbild der verschiedenen Werke, die er in seinem Aufsatz behandelt:
Vor mir liegen die „Wunderlichen Fata einiger Seefahrer“ in drei Bearbeitungen. Da ist zunächst die Originalausgabe oder vielmehr eine der Originalausgaben mit dem schön in Rot und Schwarz gedruckten Titel, Band drei mit einer zweiteiligen Abbildung von Sarg und Grabpyramide des Albertus Julius verziert; dann die beiden Erneuerungen, auf schlechtem Papier und in grauem Druck: TiecksTieck, Ludwig „Insel Felsenburg“ in sechs und Öhlenschlägers „Inseln im Südmeer“ in vier Bänden, jene von 1828, diese von 1826. (Meyer [1911]: VII)27
Der Aufsatz offenbart die Hochschätzung Meyers für Schnabels Roman, während er die damals noch allgemein Tieck zugeschriebene Bearbeitung weitgehend negativ beurteilt, vor allem in Bezug auf die sprachlichen Neuerungen, die ein „ziemlich mattes Deutsch zweiter Hand“ ergeben hätten (Meyer [1911]: XIII). Diese Einschätzung Meyers scheint eine Entsprechung in der äusseren Gestaltung der Ausgaben zu finden: Das schön geschmückte und mit einer Abbildung verzierte Buch repräsentiert Schnabels Werk in würdiger Form, der „graue Druck“ auf „schlechtem Papier“ dagegen passt zu „TiecksTieck, Ludwig unzureichender Modernisierung“ ([1911]: XIV). Ganz anders verhält es sich bei Oehlenschläger, in dem Meyer den „einzige[n] wirkliche[n] ‚Bearbeiter‘ des Buches“ sieht ([1911]: X), der durch seine Erneuerung Schnabels Werk gewissermassen zu neuem Leben erweckt, ja, eigentlich zu höherer Vollendung geführt habe, indem er „in die planlose Fülle der Erlebnisse des alten Buches ein ordnendes Prinzip einzufügen“ vermochte ([1911]: XV). Auch Meyer liest Schnabels Insel Felsenburg stellenweise als historischen Roman, wie schon Adolf Stern, den er explizit erwähnt. Oehlenschläger hat in Meyers Augen die Gattung im Vergleich zu Schnabel weiterentwickelt, da er sich auf Walter ScottScott, Walter, den grossen Lehrmeister auf diesem Gebiet, stützen konnte. Ausserdem hebt Meyer die Fähigkeit Oehlenschlägers hervor, das Kunstgespräch, ein Hauptelement des romantischen Romans, auf natürliche Weise mit den Figuren und der Handlung zu verknüpfen. Was aus Meyers Einleitung implizit hervorzugehen scheint: Das „schlechte Papier“, der „graue Druck“, sind Oehlenschlägers Werk nicht angemessen. Deshalb erscheint dieses jetzt – was Meyer allerdings nicht erwähnt – analog zur schönen Ausgabe der Insel Felsenburg in einer sorgfältig gestalteten, der Erscheinungszeit entsprechend mit Jugendstilelementen verzierten Edition, deren meerblauen Einband goldene Lettern und eine goldfarbene Vignette mit Schiffsmotiv schmücken. Weitere Vignetten zeigen auf den reich ornamentierten Vorsatzblättern neben Titel und Autornamen eine Burg auf felsiger Insel im Meer – eine graphische Umsetzung der Bezeichnung „Insel Felsenburg“ also. Dass dieses Buch aber nicht etwa die vierbändige Erstausgabe von 1826, die Meyer eingangs erwähnte, sondern einen orthographisch modernisierten Neudruck der gekürzten Version von 1839 enthält, darüber wird der Leser nicht informiert.28

Abb. 5: Buchdeckel der Ausgabe von 1911 (Foto privat)
Die Ausgabe von 1911 wurde von Franz Deibel ganz im Sinne von Meyers Einleitung rezensiert; er nennt den „eben den Staubkammern der Weltliteratur entrissene[n] Roman des Dänen Adam O e h l e n s c h l ä g e r“ (gesperrt im Original) ein „verschollenes Werk […], das wohl von einem nordischen Autor stammt, aber von den Quellen deutschen Geistes und deutscher Dichtung gespeist ward“ (Deibel 1911: Sp. 1515–1516). Hier wird also Oehlenschläger weniger als Vermittler zwischen deutscher und dänischer Kultur gesehen, sondern als ein von deutschem Schrifttum abhängiger Dichter.29Andersen, Hans Christian In enger Anlehnung an Meyer, auf den Deibel sich explizit beruft, spricht er von Oehlenschläger als dem „GoetheGoethe, Johann Wolfgang von des Nordens“ (Sp. 1516). (Meyer nannte ihn den „dänischen Goethe“ [1911: XIV).30Goethe, Johann Wolfgang vonAndersen, Hans Christian Auch Deibel befasst sich in aller Ausführlichkeit mit der Insel Felsenburg, und auch er hält, wie Meyer, die Inseln im Südmeer für eine Aktualisierung, teilweise sogar Verbesserung von Schnabels Werk.
Nur am Rande sei erwähnt, dass Arno SchmidtSchmidt, Arno seit 1959 ein Exemplar der Ausgabe von 1911 besass, wie aus der Katalogisierung seiner Bibliothek hervorgeht (Gätjens 1991: 295). Einem Vermerk auf dem Vorsatzblatt zufolge hatte er Oehlenschlägers Roman bereits 1945 im Rahmen seiner kriegsbedingten Stationierung in Oslo erstmals gekauft; das Buch ging jedoch noch im selben Jahr auf der Flucht aus Schlesien verloren und wurde von Schmidt 1959 ersetzt. Anlässlich seiner Beschäftigung mit der Insel Felsenburg kommt Schmidt in mehreren Texten auf „Öyene i sydhavet“ (sic) zu sprechen, u.a. in den Dialog-Essays Herrn Schnabels Spur (1989: 240) und Das Gesetz der Tristaniten (1995: 311); beide Dialoge stellen Schnabels Roman ausführlich dar, wobei Schmidt vor allem in Herrn Schnabels Spur durch z.T. seitenlange Zitatenmontagen eine besonders anschauliche Präsentation anstrebt, die das Leserinteresse auf den Roman lenken und einen Aufruf an die Verleger für eine Neuausgabe untermauern soll (1989: 257–258).31
SchmidtsSchmidt, Arno Einsatz erstreckte sich bedauerlicherweise nicht auf Oehlenschlägers Roman. Dennoch gibt es seit kurzem eine Neuausgabe des ersten Bandes der IS, d.h. der Fassung von 1826. Für die Herstellung wurde ein vor vielen Jahren angefertigtes und im Internet veröffentlichtes Digitalisat der Bayerischen Staatsbibliothek München unverändert gedruckt, zu einem Taschenbuch (mit nichtssagendem Buchdeckel) gebunden und 2018 vom Verlag „Inktank Publishing“ herausgebracht.32 Im Gegensatz zur redigierten dänischen e-book-Ausgabe, die auf einem gedruckten Buch beruht, bietet die deutsche Taschenbuchausgabe ein genaues Abbild des Digitalisats, was aus buchwissenschaftlicher Perspektive und zu Studienzwecken sicher vorzuziehen ist, leider aber auch die Mängel des Digitalisats (unleserliche Stellen, Flecken, etc.) aufweist. Eine Auskunft darüber, ob der Verlag die weiteren Bände ebenfalls herausgeben werde, war trotz mehrfachen Nachfragens nicht zu erhalten. Es ist natürlich sehr zu begrüssen, dass der Roman neu aufgelegt wird, und zwar in der ungekürzten Fassung von 1826; allerdings bestehen gewisse Zweifel, ob das Buch in dieser nicht sehr ansprechenden Aufmachung die Leser erreichen wird.
Nach der insgesamt eher ablehnenden Rezeption der Erstausgabe von Oehlenschlägers Roman, den dadurch bedingten, kaum erfolgreicheren gekürzten Fassungen und deren gestalterisch verbesserten Neuauflagen zu Beginn des 20. Jahrhunderts bedeuten die elektronischen Publikationsverfahren der neuesten Zeit immerhin eine Möglichkeit, auch weniger erfolgreiche Werke ohne grossen Aufwand und Verlust für Verlage und Buchhandlungen dem Lesepublikum wieder näherzubringen.
1.6 Fazit
Die Darstellung hat den Entstehungsverlauf des Romans gezeigt, von der ersten Inspiration, wie der Autor sie in seiner Vorrede schildert, bis zur letzten von ihm hergestellten gekürzten Fassung des deutschen und dänischen Textes. Einbezogen wurden zudem die nach seinem Tod erschienenen Editionen. Es ist deutlich geworden, in welchem Ausmass andere Akteure als der Autor selbst an der Entwicklung des Werkes beteiligt waren: Sowohl das Lesepublikum wie die Rezensenten, aber auch die Verleger wirkten auf die Gestaltung und insbesondere die weiteren Umschreibungen und Neufassungen des Romans ein. Die Tatsache, dass Oehlenschläger umgearbeitete Fassungen des Romans herausgab, ist an sich kein Novum in seiner Produktionsweise: Von den meisten seiner Werke existieren unterschiedliche Versionen, was kaum überrascht, da die Folgeausgaben oft Jahre nach der Erstfassung entstanden – eine zeitliche Distanz, in der sich Anschauungen und Urteile, ja, auch der literarische und kulturelle Horizont des Autors naturgemäss verändert hatten.
Natürlich ist schon die Entstehung der beiden Erstausgaben in einem Umfeld bestimmter Ideen, Vorstellungen und Konzepte zu sehen, die zum Teil lange vor dem Erscheinen des Romans wirksam gewesen waren, wie z.B. Werke von HerderHerder, Johann Gottfried, ScottScott, Walter oder TieckTieck, Ludwig zeigen; andrerseits war auch eine Bearbeitung von Schnabels Insel Felsenburg nichts völlig Aussergewöhnliches, hatte sich doch gerade Tieck nur wenig später ebenfalls mit Schnabels Roman beschäftigt, nachdem schon Achim von ArnimArnim, Achim von, aber auch Karl Lappe etliche Jahre zuvor den Roman oder doch Teile davon neu gestaltet hatten. In diese verschiedenen teils zeitgenössischen, teils bereits traditionell gewordenen Felder ist Oehlenschlägers Text eingebettet.
Dennoch handelt es sich bei dem Roman Die Inseln im Südmeere um eine Neuschreibung, die sich ganz wesentlich von den genannten Bearbeitungen unterscheidet, da der Text weder eine Nacherzählung von Schnabels Roman, noch eine gekürzte Fassung, aber auch keine Bearbeitung im herkömmlichen Sinn präsentiert. Der Autor hat aus den Schnabelschen Grundgegebenheiten ein gänzlich neues Werk geschaffen, das zwar deutlich von der einst in Deutschland so fruchtbaren Ideenfülle der Frühromantik geprägt ist, jedoch durch die Konstruktion auf der Folie des Romans aus dem 18. Jahrhundert ein ganz eigenes Kolorit gewinnt und sich deshalb nicht ohne weiteres einer gängigen Kategorisierung zuordnen lässt. Im nächsten Kapitel wird ein Inhaltsüberblick über die beiden Romane von Schnabel und Oehlenschläger gegeben, der Näheres zur Charakterisierung von Oehlenschlägers Neuschreibung vermitteln soll.
2 Die wunderlichen Fata und Die Inseln im Südmeere: Grundzüge
Die folgende Übersicht über die inhaltlichen und strukturellen Grundzüge der beiden Inselromane würde sich für Schnabels Text eigentlich erübrigen, da dieser, wie die grosse Zahl von aktuellen Forschungsarbeiten dokumentiert, die sich seit Jahrzehnten bis heute mit den Wunderlichen Fata beschäftigen,1 zumindest im Gedächtnis der einschlägigen Forschung noch durchaus präsent ist. Wenn hier dennoch die wichtigsten Elemente von Schnabels Roman kurz in Erinnerung gerufen werden, so geschieht dies, um Oehlenschlägers Inseln im Südmeere, die, wie gezeigt wurde, nicht einmal in Fachkreisen eine auch nur annähernd vergleichbare Beachtung gefunden haben, in kontrastiver Beschreibung zu den Wunderlichen Fata soweit darzustellen, dass das Verständnis der in den folgenden Kapiteln vorgenommenen Analysen etwas erleichtert wird. Diese Detailuntersuchungen entsprechen in ihrer Anordnung nicht dem Handlungsablauf der Inseln im Südmeere, deshalb möchte die folgende Darstellung einen kohärenten Überblick über das Romangeschehen bieten. Einzelne Passagen gehen dabei über ein blosses Handlungsreferat hinaus und versuchen, Hinweise auf bestimmte, im Text verhandelte Themen und Anschauungen zu geben, so dass schon an dieser Stelle der besondere Charakter von Oehlenschlägers Roman erkennbar werden könnte.
2.1 Die wunderlichen Fata
Jeder der vier Teile von Schnabels WF, entstanden in den Jahren 1731–1743, wird von einer an den Leser gerichteten Vorrede eingeleitet (vgl. dazu Kap. 4.1.2 dieser Arbeit). Über die zentralen Begebenheiten im ersten Teil orientiert schon das zeittypisch ausführliche Titelblatt:

Abb. 6: Titelblatt der Erstausgabe des 1. Teils der Wunderlichen Fata.
Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel Lm1059. © Verlag Zweitausendeins
Darauf wird als erster Name, hervorgehoben mit grossen roten Antiqua-Lettern, jener von Albert Julius genannt, der sich als einer von vier Schiffbrüchigen auf eine unbewohnte Felseninsel retten konnte und dort zusammen mit der ebenfalls geretteten Concordia eine Familie gründete, die durch mehrere Generationen noch zu Alberts Lebzeiten auf über 300 Mitglieder anwuchs.1Neville, Henry Sein Urgrossneffe Eberhard Julius, dessen Name auf dem TitelblattNeville, Henry ebenfalls in roter Antiqua erscheint, hat die Wunderlichen Fata „entworfen“, während sie von Gisander im Jahr 1731 redigiert und in Druck gegeben wurden. Das Titelblatt bietet also eine Fülle von Informationen und lenkt in seiner variantenreichen Gestaltung (rote und schwarze Fraktur- und Antiqua-Buchstaben in verschiedenen Schriftgrössen und durchkomponierten Absätzen) die Auffassung des Lesers hinsichtlich Gewicht und Bedeutung des Mitgeteilten,2 verrät aber nichts vom erzählerischen Reichtum, den das Buch vor allem in den turbulenten, dramatischen Lebensläufen der Inselbewohner birgt, und lässt auch nichts von der komplexen Struktur des Romans erahnen, dessen kunstvolles Erzählgeflecht auf mehreren Zeitebenen und in verschiedenen Rahmungen spielt und die ursprünglich leere Insel nicht nur mit Menschen, sondern vor allem mit Erzählungen anfüllt, wobei gewissermassen das „Erzählen des Erzählens“ immer wieder thematisiert wird.
Die näheren Umstände der auf dem Titelblatt des ersten Teils angekündigten Rettung nach dem Schiffbruch erfährt der Leser aus Alberts Lebenserinnerungen, die dieser dem engsten Kreis seiner Vertrauten auf der Insel Felsenburg Abend für Abend vorträgt; jedoch ist seine Erzählung eingebettet in die Biographie Eberhards, der seinerseits als Ich-Erzähler das eigene Leben schildert: Dank einem geheimnisvollen Brief seines Urgrossonkels Albert gelangt auch er auf die Insel Felsenburg, zusammen mit anderen, nach ihren beruflichen Funktionen und Fähigkeiten sorgfältig ausgewählten Europäern, unter ihnen ein protestantischer Pfarrer namens Schmeltzer, der alle religiösen Handlungen für die streng lutherische Inselgemeinschaft verrichten soll; ausserdem Litzberg, ein Literat und Mathematiker, ferner Kramer, ein Chirurg, und Lademann, ein Musiker und Tischler, sowie weitere, auf der Insel Felsenburg benötigte Handwerker. Eberhard verkörpert die übergeordnete Erzählstimme, die durch den Gang der Handlung führt. Seine Aufzeichnungen bilden, wie auf dem Titelblatt angegeben, die Grundlage der Wunderlichen Fata und bestehen zur Hauptsache aus den zahlreichen Lebensgeschichten, die auf der Insel Felsenburg, aber auch – wie jene des Kapitäns Wolffgang, der Eberhard zur Insel bringt – schon auf hoher See erzählt werden. Eberhards eigenes Ich tritt dabei zurück und lässt Raum für das Ich des jeweiligen Erzählers, wie z.B. im Fall von Albert Julius, dessen Erzählung sich über gut 300 Seiten des ersten Teils erstreckt und ihrerseits wiederum andere Lebensläufe in sich aufnimmt, wie z.B. jenen des Kapitäns Lemelie, der sich mit Albert zusammen auf die Insel Felsenburg retten konnte; seine kurz vor dem Tod erzählte, verbrecherische Lebensgeschichte ist nun als Ich-Erzählung in Alberts Bericht integriert, wie auch einige Biographien von später auf die Insel gelangten Schiffbrüchigen. Auf diese Weise präsentiert sich der erste Teil der WF weitgehend als dreistufiges Erzählmuster, indem der Ich-Erzähler Eberhard Alberts Ich-Erzählung aufzeichnet, in die wiederum mehrere andere Ich-Erzählungen eingelassen sind. Den Rahmen dieser intensiven polyphonen Erzähltätigkeit bildet die Begehung der Insel: Eberhard und die mit ihm angereisten Europäer werden durch die Besiedlungsräume der Insel geführt und erfahren deren Hauptzüge und Merkmale jeweils in den Erzählpausen. Diese werden dabei zu eigentlichen Ruhepausen zwischen den vorgetragenen Lebensgeschichten, denn der idyllische Charakter der Inselräume kontrastiert aufs schärfste mit den erzählten Biographien, die zumeist von allen Formen der Gewalt, von Hunger, Armut, Elend und überhaupt allen erdenklichen Übeln und Gräueltaten geprägt sind, so dass die Erzählenden sich glücklich schätzen, auf der Insel Felsenburg Asyl3 gefunden zu haben.
Im Anhang zum ersten Teil der WF zeigen genealogische Tabellen die Entwicklung von Alberts Nachkommenschaft, die sich, wie genauestens vorgerechnet wird, im Jahr 1725 auf 346 Personen beläuft, jene Europäer mitgezählt, die mit Kapitän Wolffgang auf die Insel gereist sind.
Ein weiterer Anhang bringt die Lebensbeschreibung des Don Cyrillo de Valaro. Aus dem lateinischen Manuskript, das Eberhard ins Deutsche übersetzt hat, geht hervor, dass auch Cyrillo als Schiffbrüchiger an die Küste der Insel Felsenburg geworfen wurde, und zwar gut 130 Jahre vor Albert. Dieser Verlängerung der Zeitachse entspricht auch eine geographische: Von den Erzählungen aus dem Raum Deutschland – England – Holland (und ein einziges Mal Frankreich, im Fall von Lemelie) verlagert sich der Schauplatz nun nach Spanien, woher Cyrillo stammt. Im Gegensatz zu den meisten andern Erzählenden bewegte er sich nicht in Bürger- oder Handwerkerkreisen, sondern wuchs als Adliger am kastilischen Königshof auf. Seine Biographie umspannt ein grosses Spektrum verschiedenster Lebensformen: Dem Beginn mit Tournieren, Duellen, Kriegszügen und Intrigen in der Adelswelt folgen nach der Teilnahme an den Eroberungs- und Raubzügen der spanischen Konquistadoren schliesslich Schiffbruch und Strandung an der Insel Felsenburg, wo sich Cyrillo zum frommen Einsiedler wandelt, der im Alter von 105 Jahren seine Biographie für zukünftige Ankömmlinge auf der Insel niederschreibt, und zwar, wie Cyrillo dabei mitteilt, in zwei Sprachen: lateinisch und spanisch (WF I: 648).4 Am Schluss des ersten Teils der WF steht folglich ein Manuskript, das den eigentlichen Beginn menschlichen Daseins auf der Insel Felsenburg beschreibt und überdies statt des Erzählens das Schreiben thematisiert.

Abb. 7: Titelblatt der Erstausgabe von Teil 2 der Wunderlichen Fata.
Herzogin Anna Amalia Bibliothek Weimar 32,3: 59b. © Verlag Zweitausendeins
Der zweite Teil der WF präsentiert sich schon im Titelblatt als Fortsetzung und erwähnt nun auch den Namen „Insel Felsenburg“ – in roten gotischen Buchstaben, was die Hauptperson Albert Julius (in schwarzer Antiqua) optisch etwas zurückdrängt; sonst aber bringt das Titelblatt im Vergleich zu jenem des ersten Teils wesentlich weniger Informationen, wohl, weil der Leser ja schon weiss, worum es sich bei dem neuen Buch handelt, das 1732, also nur ein Jahr nach dem ersten Teil, erschienen und ganz ähnlich wie dieser strukturiert ist: Eberhard führt wiederum als Ich-Erzähler durch die Handlung, welche die Geschehnisse auf der Insel, d.h. in der Erzählgegenwart, mit biographischen Erzählungen kombiniert. Diesmal sind es keine eigentlichen Seefahrer-Geschichten, denn es erzählen die Europäer, die von Kapitän Wolffgang für die Insel rekrutiert und mit Eberhard zusammen auf die Insel Felsenburg gebracht wurden; sie haben zwar eine Seefahrt hinter sich, doch wurde diese von Eberhard schon im ersten Teil geschildert, würde also hier keinen neuen Stoff mehr bieten und verlief zudem ohne Schiffbruch, so dass die Passagiere unbeschadet auf der Insel Felsenburg landen konnten. Nach neun Erzählauftritten schaltet sich der Herausgeber Gisander mit einer Fussnote ein: Eberhard habe die restlichen vier Lebensläufe auch an dieser Stelle eingefügt, jedoch wolle er, Gisander, sie für den unfehlbar bald folgenden dritten Teil sparen, da sonst „dieser andere Theil des Wercks, den Ersten um viele Bogen übertreffen dürffte, […]“ (WF II: 538–539). Stattdessen folgt doch noch eine Seefahrer-Geschichte: Kapitän Horn, der nach der Landung Eberhards und der anderen Europäer auf der Insel Felsenburg das Schiffskommando von Wolffgang übernommen hatte und nach Ostindien weitergesegelt war, kommt auf die Insel zurück und schildert seine durch furchtbare Stürme und anderes Ungemach immer wieder aufs äusserste gefährdete Seereise, die aber schliesslich doch glücklich endete. Nach Horns Bericht übernimmt Eberhard für den Rest des Buches wieder die Erzählerrolle. Inhaltlich tritt nun ein neuer Schauplatz in den Vordergrund: Die Leute, die Kapitän Horn mitgebracht hat, werden auf der Insel Klein-Felsenburg einquartiert, einer kleineren Nachbarinsel, deren Entdeckung Albert schon im ersten Teil kurz erwähnt hatte (WF I: 465), und die Eberhard mit seinen Freunden später genauer erkundete, obwohl Albert dies eigentlich nicht wünschte und von Eberhard dazu überredet werden musste. Horns Passagiere erhalten, bis auf wenige Auserwählte, keinen Zutritt zur Insel Felsenburg: Gewisse Abschottungs- und Ausschlusstendenzen, die schon im ersten Teil sichtbar geworden waren, verstärken sich im zweiten Teil deutlich.
Eberhard schifft sich mit Kapitän Horn nach Europa ein, um seinen Vater und seine Schwester zu suchen und mit ihnen zur Felsenburg zurückzukehren. Unter grossen Mühen und Anstrengungen – die Schwester muss aus einer erzwungenen Verlobung freigekauft werden – gelingt es Eberhard, alle Verhältnisse soweit zu ordnen, dass er mit Vater und Schwester nach Amsterdam reisen kann, wo ihn Kapitän Horn zur Einschiffung nach der Felsenburg erwartet. Vor der Abreise sorgt Eberhard noch dafür, dass sein Manuskript in Druck gegeben wird, und verspricht eine Fortsetzung. Ein Anhang, bestehend aus einigen Briefen, orientiert andeutungsweise über die Reise nach Amsterdam und letzte Vorbereitungen auf die Abreise von Europa.

Abb. 8: Titelblatt und Frontispiz der Erstausgabe des 3. Teils der Wunderlichen Fata.
Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel Lo 6958. © Verlag Zweitausendeins
Das Titelblatt des dritten Teils, mit den gleichen graphischen und farblichen Elementen gestaltet wie die vorhergehenden Titelblätter, erwähnt Alberts Tod im Alter von 103 Jahren. Diese in kleiner, unauffälliger Schrift gedruckte Mitteilung erhält besondere Aufmerksamkeit durch das beigefügte Frontispiz, welches in der oberen Hälfte das Grabmonument für Albert Julius mit dessen Lebensdaten zeigt, während die untere Hälfte seinen von neun Kerzen umstandenen Sarg abbildet.5 Alberts Sterben, das sich über mehrere Seiten hinzieht, ereignet sich ungefähr in der Mitte des dritten Teils, steht also in dessen Zentrum. Nach Alberts Beerdigung wird die Grabpyramide, die der Leser schon vom Frontispiz her kennt, errichtet und mit mehreren Symbolen und lobpreisenden Inschriften in lateinischer, deutscher und englischer Sprache geschmückt. Wenig später begeben sich Eberhard und seine Freunde auf die Insel Klein-Felsenburg, wo ihnen seltsame Phänomene erscheinen, wie Flammen und Feuerkugeln, begleitet von schrecklichen Stimmen, die Unverständliches sprechen. Sie finden zehn steinerne Urnen mit rätselhaften Zeichen und Figuren, später einen Tempel mit zwölf goldenen Götzenbildern sowie eine grosse Zahl von beschriebenen Tafeln aus Stein, Kupfer und Gold. Alles wird auf die grosse Felseninsel gebracht, wo man nach längeren Diskussionen auf den Rat Pfarrer Schmeltzers beschliesst, die Tafeln zur Entzifferung nach Europa zu senden. Erstmals wird nun auf der Insel Klein-Felsenburg erzählt, was auch sie zu einem Erzählraum macht.
Kapitän Horn reist mit verschiedenen Aufträgen wieder nach Europa, u.a. soll er eine voll ausgerüstete Druckerei samt allen dafür benötigten Fachleuten auf die Insel bringen, auch soll er die Tafeln der Insel Klein-Felsenburg entziffern lassen und Eberhards Manuskript des dritten Teils der WF an Gisander übergeben. Dieser fährt nun anstelle von Eberhard, dessen Manuskript ja abgeschlossen ist, mit der Erzählung fort; er berichtet, dass Kapitän Horn seine Redaktion der beiden bisherigen Bände gelobt und ihn gebeten habe, ihm den dritten Teil vorzulesen, wobei Horn das Manuskript stellenweise verbessert habe. Es folgt – von Gisander aufgezeichnet – der Bericht Horns, wie er versuchte, jemanden zu finden, der die Klein-Felsenburger Tafeln entziffern konnte; dies gelang ihm jedoch nicht, so dass er sie unentschlüsselt bei einem Gelehrten zurücklassen musste, der versprach, sie an die „vornehmsten Societäten der Künste und Wissenschaften in Europa“ zu senden. Gisanders Schlusswort orientiert den Leser noch über die Einschiffung Horns nach der Felsenburg und über die endgültige Redaktion der „Felsenburgische[n] Geschichtsschreibung“. (WF III: 485–486)

Abb. 9: Titelblatt der Erstausgabe des 4. Teils der Wunderlichen Fata.
Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen 8° Fab.Rom. VI, 2525b.
© Verlag Zweitausendeins
Der vierte Teil der WF, der im Gegensatz zu den Teilen 2 und 3 von Schnabel nicht angekündigt wurde, bringt im Titelblatt, nach der bereits bekannten Fortsetzungsformel, in roten Antiqua-Grossbuchstaben den Namen der persisch-candaharischen Prinzessin Mirzamanda, deren Lebensgeschichte „fast ein Haupt-Stück der Felsenburgischen Geschichte“ ausmache. Dies unterstreicht das dreigeteilte Frontispiz, dessen grösstes und detailreichstes Bild ein schreckliches Ereignis im Leben der Mirzamanda darstellt, nämlich die Ermordung ihrer Mutter, die sie als ganz kleines Kind miterlebte.

Abb. 10: Szene aus dem Frontispiz des 4. Teils der Wunderlichen Fata.
Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen 8° Fab.Rom. VI, 2525b.
© Verlag Zweitausendeins
Möglicherweise sollte das persische Element im Titel dem Leser signalisieren, dass in diesem Roman von Magie, Zauberei, Geisterbeschwörung und Ähnlichem die Rede sein würde,6 und tatsächlich durchziehen solche Phänomene nicht nur Mirzamandas Lebensgeschichte, sondern breiten sich über grosse Teile des vierten Bandes aus. Als eine Art Gegenkraft zu diesen heidnischen Praktiken mag man die zahlreichen, sich über viele Seiten ausdehnenden frommen Predigten, Kantaten, Gebete etc. des vierten Teils verstehen. Die Zaubereien und Geisterauftritte werden zwar jeweils als real erlebte Ereignisse geschildert, gleichzeitig aber implizit verurteilt, denn sie sind mit dem Fremden, mit Irrglauben und Aberglauben verbunden und gehen von der Insel Klein-Felsenburg aus; dort treibt einer der auf der Insel stationierten Portugiesen schwarze Magie, und dort strandet auch Mirzamanda als Schiffbrüchige – in Begleitung einer Teufelsanbeterin, die später in einer schauerlichen Spukszene vom Satan geholt wird.