Kitabı oku: «Traumwandler»
Julia Skye
Traumwandler
Waldflüstern
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Inhaltsverzeichnis
Titel
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Impressum neobooks
Kapitel 1
„Kein Schnee mehr“, seufzte ich erleichtert. Ich schwelgte in dem Gefühl, weiches Gras unter meinen Füßen zu spüren. Keine eisige Kälte mehr, die mir durch die Kleidung in die Haut eindrang. Warme Sonne, die auf mein Gesicht schien. Für einen Moment lange erlaubte ich es mir, stehen zu bleiben und meine Augen zu schließen.
Dann spürte ich plötzlich einen Blick auf mir. Nicht nur irgendeinen Blick – seinen Blick. So eindringlich, dass ich wie immer das Gefühl hatte, er würde geradewegs in mich hineinsehen.
Ich spürte, wie eine Wärme in meinem Inneren aufblubberte, die viel stärker war als die der Sonne. Fast, als würde ich magnetisch von seinem Blick angezogen werden, schlug ich die Augen wieder auf.
Solas sah mich leicht belustigt an.
„Was?“, sagte ich, spürte aber, wie mir leichte Röte ins Gesicht stieg. Seit Caro und ich unser Gespräch über den Elfen geführt hatten, musste ich die ganze Zeit daran denken – was nicht gerade sehr hilfreich, aber vermutlich von ihr beabsichtigt gewesen war.
Nicht, dass das gerade mein größtes Problem wäre.
Tag für Tag wartete ich darauf, wieder zurückgeholt zu werden, um meine neue Mission zu bekommen – und ob diese mich von ihm spalten würde. Denn immerhin ging die Mission vor, wie Helen mich so schön erinnert hatte.
Himmel, ich war eigentlich immer pflichtbewusst gewesen, aber dieses ganze Tamtam ging mir dann doch sehr auf die Nerven.
Ich bemühte mich, mir meine Gedanken nicht allzu sehr anmerken zu lassen, da ich wusste, dass Solas mir vermutlich alles vom Gesicht ablesen konnte.
Er schüttelte kaum merklich den Kopf. „Nichts“, murmelte er und wandte den Blick wieder ab.
Seit ich mich von Caro und meinen Eltern verabschiedet hatte und wieder hierher gekommen war, hatte ich mich bemüht, mich so normal wie möglich gegenüber ihm zu verhalten. Keiner von uns hatte unseren Kuss – und unseren Fast-Kuss – erwähnt. Ich wusste ja nicht, wie es ihm ging, aber neben meinen Problemen war dies so das Einzige, was mir ständig im Kopf herumging.
„Wie lange dauert es noch, bis wir bei den Schneeelfen sind?“, sagte ich hastig.
Er zuckte die Achseln. „Vermutlich nur etwa einen Tag. Allerdings“, erneut warf er mir einen belustigten Blick zu, „müssen wir uns nun dafür wieder Richtung Norden wenden.“
„Aber nicht so weit nach Norden wie vorhin“, argumentierte ich. „Sind wir überhaupt schon auf der Halbinsel?“
„Ja“, sagte er.
Tolle Antwort. Ich versuche hier, Konversation zu führen, okay? „Interessant“, kommentierte ich. Ich hätte schwören können, dass er sich schon wieder über mich lustig machte.
Ich wollte mehr über die Schneeelfen herauskriegen, weil ich immerhin ein paar Informationen über sie brauchte. Natürlich könnte ich dafür zurückgehen und Helen fragen, aber… ich wollte einfach nicht.
Andererseits war ich mir darüber im Klaren, dass es ziemlich verdächtig war, wenn ich nichts über sie wusste. Deshalb versuchte ich, meine Fragen möglichst harmlos zu formulieren.
„Die Schneeelfen sind vermutlich froh, dass wir die Wölfe irgendwie getötet haben, hm?“, sagte ich. Argh, blöde Frage!
Er verkniff sich ein Lächeln. „Vermutlich.“
Konnte er mir vielleicht einmal eine längere Antwort geben? „Wirst du sie… fragen wegen dem… was geschehen ist?“, sagte ich zögernd. „Ich meine, weil wir nicht wirklich verstehen, was passiert ist.“
Sofort sah ich wieder, dass ihm das Ganze zu Schaffen machte. „Ich… ja, wahrscheinlich schon“, seine Antwort war genauso zögernd, beinahe vorsichtig formuliert. Dann sah er mich plötzlich direkt an. „Lilíth wird sicherlich einige Antworten haben.“
„Lilíth“, wiederholte ich. Hoffentlich sah er mir nicht an, dass ich keine Ahnung hatte, wer das war.
Sein Blick wurde leicht seltsam. „Meine Mutter.“
Es dauerte ein paar Sekunden, bis ich schaltete. Ich starrte ihn an. Wie meinte er das? „Deine Mutter?“, echote ich, wie ein Papagei.
Er nickte. „Lilíth, die Königin der Schneeelfen, ist meine Mutter.“
Ach. Du. Scheiße.
Ich war überhaupt nicht darauf vorbereitet, seine Mutter zu treffen! Verdammt, würde er ihr sagen, dass wir… dass wir… was waren wir? Überhaupt gar nichts. Und er würde ihr wohl kaum anvertrauen, dass er mich geküsst hatte.
„Oh“, sagte ich schwach. Ob ich das nun wissen müsste – keine Ahnung. Doch im Moment konnte ich nicht so tun, als wäre ich mir dieser Tatsache schon bewusst. Meine Schauspielkünste hatten mich verlassen. Verdattert starrte ich ihn an.
Er hob leicht die Braue. „Das wusstest du nicht, nehme ich an?“
Verblüfft schüttelte ich den Kopf. „Nein.“ Meine Gedanken rasten. War sie die Frau, mit der sein Dad meine Schwester betrogen hatte? War sie deshalb im Norden – weil sie das mit Melody herausbekommen hatte? Allmählich wurde ich mir bewusst, dass unsere zwei Familiengeschichten ziemlich ineinander verstrickt waren.
Was würde er tun, wenn er je herausfand, dass Melody meine Schwester war?
Plötzlich bekam ich Panik: Ich wusste, dass Melody und ich uns ziemlich ähnlich sahen. Was, wenn Lilíth mich erkannte? Hatte sie Melody gekannt?
Das weißt du alles gar nicht, versuchte ich mich zu beruhigen.
„Aber wenn du… ein Waldelf bist“, fing ich zögerlich an. „Wieso ist deine Mutter dann die Königin der Schneeelfen? Sollte sie nicht die Königin der Waldelfen sein?“
Sein Blick wurde ein wenig dunkler. „Sollte“, wiederholte er. „Vermutlich schon… allerdings ist sie schon seit Jahren nicht mehr im Wald gewesen.“
Ich wäre beinahe gestolpert. „Warum?“ Ich quiekte fast.
Dieses Mal schien er so in seinen Gedanken versunken zu sein, dass er meinen merkwürdigen Stimmungsumschwung gar nicht bemerkte. „Mein Vater ist tot“, sagte er schließlich. „Wusstest du das?“
Ich war verblüfft darüber, wie wenig Gefühle in seiner Stimme mitschwangen. Keine Trauer, keine Wut… er sagte es ganz sachlich, als würde er es mir aus einem Geschichtsbuch vorlesen.
Irritiert darüber, dass er mir das erzählte, schüttelte ich nur lahm den Kopf. „Nein“, log ich, meine Stimme war leise. „Ist sie deshalb gegangen?“, fügte ich hinzu. Bitte sag, sie ist deshalb gegangen!
Eine Faust schloss sich um mein Herz, als er den Kopf schüttelte. „Nein.“ Er stieß die Luft aus. „Kurz vor seinem Tod… hat mein Vater sie betrogen. Mit einer anderen Frau.“ Er warf mir einen kurzen Blick zu. „Sie hat es herausgefunden.“
Aber hatte er sie dann benutzt, um meine Schwester zu betrügen? Oder war noch eine dritte im Spiel gewesen? Du liebe Güte, sein Vater war ja ein richtiger Casanova gewesen!
Hieß das, er war auch so? Unwillkürlich dachte ich an unseren Kuss.
„Oh“, sagte ich erneut; dieses Mal war meine Stimme kaum mehr zu hören.
„Es tut mir leid“, sagte ich schließlich lahm. „Wegen… deinen Eltern.“
Er zuckte nur die Achseln. „Mir nicht. Es war die Entscheidung meiner Mutter zu gehen – ich denke, ich hätte dasselbe getan.“
„Ja, ich auch“, murmelte ich. „Dein Vater ist ja ziemlich… naja… frauenfreudig“, platzte es dann aus mir heraus. Gleich darauf wurde ich knallrot.
Vielen Dank fürs Gespräch, Caro.
Einen Moment lang sah er mich überrascht an, dann lachte er auf einmal laut los.
Ich merkte, wie mir warm wurde. Ich liebte sein Lachen so sehr. Automatisch stahl sich auch ein Lächeln auf meine Lippen.
„Allerdings“, sagte er schließlich, als sein Lachen verebbt war. Amüsiert sah er mich an.
Ich schluckte mein „Ich hoffe, das ist nicht vererbbar“ herunter. „War er ein König?“
Solas wurde wieder ernst. Er schüttelte den Kopf. „Bei den Waldelfen gibt es so etwas nicht. Er war… der Anführer, ja. Allerdings haben wir nicht einen König wie die Schneeelfen oder die Seeelfen.“
„Sie haben auch keinen König“, erwiderte ich. „Sondern eine Königin, richtig?“ Ich konnte nicht anders, als ihn auftrumpfend anzublicken.
Erneut sah es so aus, als müsse er sich ein Lächeln verkneifen. „Allerdings. Sehr verspottet von den Menschen. Dort wäre es undenkbar, dass es eine Königin gäbe.“
„Ach, kein Wunder haben die immer nur Krieg“, erwiderte ich schnippisch. „Und soweit ich mich erinnere, waren diese Idioten, die die Burgen gebaut haben und gleich darauf einen Krieg anfingen, auch Männer, nicht wahr?“ Ich hob die Augenbrauen.
Er warf mir einen entwaffnenden Blick zu; musste aber eingestehen, dass ich Recht hatte. „Was ist mit dir?“, sagte er plötzlich.
Ich blinzelte verdutzt. „Ich? Ich bin keine Königin.“
Sein Mundwinkel zuckte. „Das meinte ich nicht. Was ist… mit deinen Eltern?“ Und dann sprach er plötzlich genau meine Gedanken aus: „Unglaublich, dass ich schon wochenlang mit dir unterwegs bin und überhaupt nichts über dich weiß.“
Unglaublich, dass ich dich schon geküsst habe und gar nichts über dich weiß, spann ich seine Gedanken weiter. Für einen Moment bildete ich mir ein, genau diese Worte in seinen Augen aufblitzen zu sehen.
„Meine Eltern“, wiederholte ich. Unwillkürlich musste ich an Mum und Dad denken, wie ich sie das letzte Mal gesehen hatte. Dads Worte: Wenn er dir je wehtut, sag ihm, dass er ein Wörtchen mit mir zu reden hat. Unwillkürlich musste ich grinsen.
„Meine Eltern sind...“ Ich dachte an ihre Blicke, als ich ihnen von Solas erzählt hatte. „Sie haben einen ausgeprägten Beschützerinstinkt“, sagte ich schließlich vage.
Der Elf hob die Brauen. „Das sagt mir jetzt natürlich alles“, erwiderte er, leicht spöttisch.
Ich konnte es nicht verhindern; erneut wurde ich rot. „Mein Vater ist… ähm… nun ja, er wollte mich niemals, alleine nachts nach draußen lassen und so“, sagte ich und versuchte verzweifelt, Solas etwas zu erzählen, was nichts von alldem preisgab.
Er sah verwirrt aus. „Warum denn das?“
„Weil es gefährlich ist“, sagte ich. „Ich meine… dachte er.“ Lahm verstummte ich. Er schien es absolut nicht zu verstehen. „Meine Mutter“, redete ich hastig weiter, „sie ist… wie meine beste Freundin. Mit ihr kann ich über alles reden“, ich verlor mich für den Augenblick in meinen Erinnerungen, „du weißt schon; über meine Freundinnen, über Jungs und über -“ Abrupt brach ich ab.
Jungs.
Verdammt. Was dachte er nun, wie alt ich war? Wäre ich 1000 Jahre alt, hätte ich sicher schon mindestens 900+ Jahre nicht mehr über Jungs nachgedacht.
„Ich meine, Männer“, korrigierte ich mich hastig; drei Stunden später.
Wieder hob er die Brauen und sein Blick wurde so eindringlich, dass mein ganzer Körper zu prickeln begann. „Interessant“, sagte er nur, in einem Ton, der mir das Blut zum Kochen brachte.
Für den Bruchteil einer Sekunde hätte ich schwören können, dass sein Blick zu meinen Lippen wanderte. Dann drehte er sich wieder weg und ging weiter.
Ich nahm mir einen Moment, um mir gedanklich auf die Stirn zu schlagen und mich und Caro zu verfluchen, dann folgte ich ihm.
„Deine Mutter weiß aber nicht, dass wir kommen oder?“, versuchte ich, das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken. Vermutlich nicht gerade eine bessere.
Er schüttelte den Kopf. „Nein.“
„Glaubst du, sie haben von alldem etwas mitbekommen?“, wollte ich wissen. „Ich meine, dass die Wölfe tot sind?“
Erneut ein Kopfschütteln. „Ich weiß es nicht. Vermutlich nicht. Ich kann es nicht sagen.“ Er seufzte leise. „Ich habe noch immer das Gefühl, etwas daran ist falsch. Das, was im Norden geschehen ist… ich verstehe es einfach nicht.“
Ich fühlte mich unglaublich schuldig. „Doch Lilíth kann helfen?“, sagte ich vorsichtig.
Solas nickte. „Sie weiß beinahe alles. Sie ist über 5000 Jahre alt – frage sie etwas und sie wird die Antwort wissen.“
Oh. Na super. Dann würde ich schon einmal fleißig anfangen, eine Liste von Fragen zu schreiben. Die erste gleich: Hat Solas Gefühle für mich? , gefolgt von Wie endet die achte Staffel von Game of Thrones?
„5000 Jahre...“, sinnierte ich vor mich hin. „Wie alt bist du?“, hörte ich mich fragen. Natürlich wusste ich es schon; Berta die Grimmige hatte es mir netterweise damals im Flugzeug erzählt. Allerdings wollte ich es von ihm selbst hören, damit ich mir auch sicher sein konnte, dass es stimmte.
Er lächelte. „1503 Jahre alt.“
„Wow“, sagte ich. Es fühlte sich an wie ein Schlag in den Magen. „Das ist… ja ganz jung“, sagte ich lahm.
Er konnte an meinem Blick sehen, dass ich log. Allerdings erwiderte er nichts darauf. „Wie alt bist du?“, sagte er dann plötzlich.
Mist.
„So etwas fragt man eine Frau nicht, oder?“, war das Einzige, was mir darauf einfiel.
Erneut dieser verwirrte Blick. „Wieso denn nicht?“
„Naja, weil...“ Ich konnte mich selbst nicht mehr an den Grund dafür erinnern. „Weil es unhöflich ist?“, sagte ich schließlich einigermaßen vernünftig.
Er sah mich belustigt an. „So alt also?“
Ich zuckte nur die Schultern und murmelte etwas vor mich hin. 19. Das war ja nur ein Wimpernschlag für ihn! 1503 Jahre alt. Ich war nicht gut mit Zahlen, aber selbst ich wusste, es war beinahe das Hundertfache meines Alters.
„Na gut“, hörte ich schon Caro in meinem Kopf. „Du hattest in deinen 19 Jahren einen Freund. Dann rechne das Mal hundert – und du weißt, wie viele Frauen er hatte! Easy-peasy. Allerdings“, ich konnte sie die Augen zusammen kneifen sehen, „hatte ich zum Beispiel schon drei Beziehungen und bin auch erst neunzehn. Dann hatte er vielleicht auch schon 300 Freundinnen?“
Ärgerlich verbannte ich sie aus meinem Kopf. Verstohlen sah ich zu dem Elfen hin. Die Frage brannte mir auf der Zunge; doch ich hätte mir diese eher abgebissen als ihn zu fragen.
Deshalb schwieg ich; genauso wie er. Ein paar Minuten lange noch versuchte ich, neue Gesprächsthemen zu finden, doch mir fielen keine mehr ein.
Außerdem hatte ich mich heute schon genug blamiert.
Also hielt ich den Mund, während wir wieder weiter nach Norden drangen. Allmählich wurde es wieder kälter; ich war enttäuscht, als das Gras unter meinen Füßen nach und nach wieder durch eine weiße Schneedecke ersetzt wurde.
Dann kam die Kälte wieder; es war keine schneidende, klirrende Kälte wie sie oberhalb des Flusses präsent gewesen war. Sie legte sich eher auf meine Haut; so fein wie ein Hauch. Beinahe körperlich konnte ich spüren, dass wir uns einem Elfenreich näherten.
Die Landschaft um uns herum war atemberaubend; gigantische, schneebedeckte Berge ragten vor uns auf; eine wilde, kahle, aber wunderschöne Natur. Unwillkürlich wurde ich an Norwegen erinnert; doch die Landschaft dort, die ich bisher gesehen hatte, war vergleichsweise sehr mild und nicht annähernd so wild und frei wie die Natur hier.
Ich konnte nicht anders, als mich ständig umzublicken; es war einfach so atemberaubend hier. Ich wusste nicht, wohin ich meinen Blick wenden sollte; der Himmel war klar, weshalb ich weit in die Ferne sehen konnte. Alles um mich herum bestand aus Eis und Schnee.
Leider bedeutete dies auch, dass die Rutschgefahr sich erheblich steigerte. Ich versuchte, langsam und vorsichtig zu laufen, doch Solas war so sicher und schnell auf den Füßen, dass ich uns nicht verlangsamen wollte. Er schien überhaupt gar nicht daran zu denken, dass nicht jeder so über den Boden schweben konnte wie er.
Verbissen konzentrierte ich mich darauf, meine Füße so aufzusetzen, dass ich nicht ausrutschte. Dies erwies sich als gar nicht so einfach, weshalb ich vollauf mit meinen Bewegungen beschäftigt war. Somit hatte sich eine Fortsetzung unseres Gesprächs sowieso erledigt.
Als es dämmerte, hielt Solas plötzlich an.
Fast wäre ich gegen ihn geknallt, weil ich so sehr damit beschäftigt war, auf meine Füße zu blicken.
„Was ist?“, sagte ich und kam leicht strauchelnd zum Stehen.
Er sah mich an. „Wir sind beinahe angekommen“, sagte er.
Ich fragte mich, weshalb wir dann Halt machten. „Und?“
Er lächelte leicht. „Ich weiß nicht, wie viel Zeit wir haben, wenn wir dort sind. Und ich wollte, dass du die Lichter siehst.“
„Die Lichter?“, wiederholte ich fragend.
„Komm mit.“ Er nahm meine Hand, als wäre es vollkommen selbstverständlich.
Natürlich erlitt ich wieder einen kleinen Anfall, als ich seine warme Hand um meine spürte. Mein Atem und mein Herzschlag beschleunigten sich prompt; ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen.
Es war so viel einfacher zu laufen, wenn er mich festhielt. Schnellen Schrittes bewegten wir uns über das Eis und den Schnee; schon bald merkte ich, dass es leicht bergauf ging. Als wir auf einem kleinen Hügel angekommen waren, war es schon ganz dunkel.
Solas zog mich vollends zu ihm her, dann ließ er mich los. Gerade breitete sich die Enttäuschung in mir aus, als seine Hand plötzlich auf meiner Schulter lag. Er schob mich ein wenig vor sich, dann deutete er nach Norden.
„Siehst du sie?“
Ich starrte in den Nachthimmel hinauf. Wie könnte ich nicht?, war meine erste Reaktion.
Es waren die Polarlichter – oder etwas ähnliches. Die Polarlichter dieser Welt. In allen Farben des Regenbogens spannten sie sich magisch über den nachtschwarzen Himmel; rot und grün, ein wenig gelb und orange. Ich konnte nicht anders, als gebannt dort hinauf zu starren. Die Lichter formten eine Spirale; ich bildete mir sogar ein, dass sie sich bewegten.
Ich war so gefangen von diesem Anblick, dass ich erst nach einer Weile bemerkte, dass Solas‘ Hand noch immer auf meinem Arm lag. Und dass er mich ansah.
Langsam wandte ich den Kopf. Sein Blick war so tief, dass ich augenblicklich darin versank.
„Wunderschön“, sagte ich krächzend. Ich wusste nicht, ob ich die Lichter oder ihn meinte.
„Allerdings“, murmelte er.
Ich versank in seinem Blick. Die Hitze formte sich wieder in meinem Inneren, kroch durch mich hindurch und schloss sich um mein Herz. Trotz der eisigen Kälte des Nordens wurde mir heiß.
Ich konnte nicht mehr atmen.
Aus dem Augenwinkel sah ich, dass die Lichter noch immer wunderschön und leuchtend am Horizont waren; doch ich konnte ihnen keine Beachtung mehr schenken. Ich war so gefangen von seinem Blick.
Er flüsterte meinen Namen.
Für einen Moment dachte ich, er würde nun sagen, dass er mich liebte. Stattdessen beugte er sich zu mir herab. Als seine Lippen auf meine trafen, konnte ich nicht anders, als aufzuseufzen.
Augenblicklich zog er mich fester an sich. Ein heißer, kribbelnder, feuriger Blitz schoss durch mich. Ich hatte das Gefühl zu fliegen. Ich schlang die Arme um ihn und er hielt mich fest. Sein Kuss war sanft, seine Lippen warm. Die ganze Welt um uns herum verblasste; ich vergaß alles; Zeit und Raum.
Alle meine Gedanken waren vollkommen ausgeschaltet. Ich genoss die Wärme seines Körpers, unsere Nähe. Ich fühlte mich so leicht und sicher, als würden wir schweben.
Wieder einmal hatte ich keine Ahnung, wie lange wir uns geküsst hatten, als er sich von mir löste.
Meine Beine hatten sich in Pudding verwandelt. Mir war leicht schwindelig.
Die Lichter waren schon am Verblassen. Allerdings konnte ich auch dem keine Beachtung schenken. Ich war auf seine Augen fixiert, die so dunkel waren, dass mir der Atem stockte. Sie glühten.
„Wie gesagt, wunderschön“, sagte ich etwas atemlos.
Er lächelte. Sein Blick war so warm, dass mein Blut zu kochen begann. „Allerdings.“ Ich hätte schwören können, dass er mich gleich noch einmal küssen würde.
Dann durchbrach plötzlich ein lautes Horn die Stille.
Heftig zuckte ich zusammen; auch Solas hob überrascht den Blick, sah aber kein bisschen verängstigt aus.
Seine Hand lag noch immer auf meiner Wange; und er stand so nahe bei mir, dass ich seine Körperwärme spüren konnte.
Doch als das Horn noch einmal erschallte, löste er sich plötzlich von mir und trat einen Schritt zurück.
Es war wie ein Schlag ins Gesicht.
„Wer ist das?“ Mein Gehirn war noch immer vollkommen benebelt. Ich konnte kaum einen Satz formulieren.
„Die Schneeelfen“, sagte er. Ich war mir nicht sicher, aber ich bildete mir ein, dass seine Augen sich erneut ein wenig verdunkelten.
„Die Schneeelfen“, wiederholte ich sehr einfallsreich. War er deshalb von mir zurückgetreten? Wollte er nicht, dass sie sahen, wie wir uns küssten?
Na, dann…
Sicherheitshalber trat ich noch einen Schritt zurück. Und noch einen. Von mir aus konnte ich mich auch gleich von dem Berg herunterschmeißen, wenn ihn das beruhigte.
Ich wusste nicht, ob er meinem Blick ansah, wie verletzt ich war. Allerdings konnte er sonst auch immer meine Gedanken lesen.
Auch dieses Mal schien er genau zu wissen, was ich dachte. „Rose -“, begann er.
„Solas!“, durchschnitt da eine Stimme die Luft.
Der Elf sah mich noch ein paar Sekunden lange an und ich hätte schwören können, dass etwas in seinem Blick aufblitzte – beinahe, als schiene er verärgert darüber, dass er unterbrochen wurde. Schließlich stieß er einen leicht resignierten Seufzer aus und wandte sich zu der Hügelkuppe, die wir vorhin hochgekommen waren.
Anstatt zwei Elfen zu Fuß allerdings sah ich plötzlich ein ganzes Regiment von Elfen, die auf uns zu geritten kamen. Ich merkte, wie mir der Mund aufklappte; diesen Auftritt hatte ich nicht erwartet.
Die Pferde schnaubten und trabten um uns herum, bis sie einen lockeren Kreis bildeten; es war nicht drohend, eher so, als würden sie uns beschützen wollen.
Plötzlich fiel mir ein, dass Solas, wenn seine Mutter ihre Königin war, ja irgendwie auch ihr Prinz war. So halbwegs.
Wow. Ich hatte einen Prinzen geküsst.
Und danach hatte ich von einem Prinzen einen Korb bekommen.
„Solas!“ Einer der Elfen schwang sich so elegant vom Pferd, dass mir die Kinnlade noch weiter herunterklappte. Aus dem Augenwinkel bemerkte ich Solas‘ halb verärgerten, halb belustigten Blick, der auf mir ruhte.
„Tair!“, begrüßte er den Neuankömmling. Er sagte etwas in der Elfensprache, was ich nicht verstand, der andere antwortete in derselben Sprache.
Und dann wendete sich der Neuankömmling, Tair, plötzlich zu mir um – und sagte etwas zu mir in der fremden Sprache.
Ich starrte ihn an.
Siedend heiß wurde mir bewusst, dass noch nie jemand von ihnen versucht hatte, in der Sprache der Elfen mit mir zu reden. Deshalb wusste auch keiner, dass ich sie nicht verstand. Nicht einmal Solas.
Verdammt, verdammt! „Ich...“, fing ich an, unschlüssig, was ich sagen sollte. „Ähm...“ Sollte ich ihm einfach auf französisch antworten und behaupten, das wäre die Sprache der Elfen wo ich herkam? Immerhin wusste keiner, wo das war? „Bonjour“, kramte ich die Sätze in meinem Gedächtnis zusammen, die mir noch einfielen. „Ähm… ca va? La vie, Paris… très bien. Äh, Tair?“
Solas, Tair und die anderen starrten mich an, als hätte ich gerade einen Rückwärtssalto gemacht.
Na gut, blöder Vergleich.
„Wie bitte?“, sagte Solas.
„Was für eine Sprache ist das?“, setzte Tair neugierig hinzu.
Französisch – noch nie in Paris gewesen? „Die Sprache der Elfen, wo ich herkomme“, sagte ich und hob leicht den Kopf.
Ich konnte Solas ansehen, dass er mich schon wieder durchschaute – und mir nicht glaubte. Allerdings hätte ich schwören können, dass er auch leicht bewundernd aussah. Ha! Das hatte er wohl nicht von mir erwartet!
„Wo kommt Ihr her?“ Der Elf klang noch immer neugierig, nicht aggressiv oder misstrauisch.
Ich warf Solas einen raschen Blick zu und öffnete schon den Mund, um irgendeine Lüge aufzutischen, als Solas plötzlich das Gespräch unterbrach.
„Tair, Rose ist verwundet. Wir sollten so schnell wie möglich zu Lilíth und mit ihr reden. Wir haben einige dringende Angelegenheiten, die wir mit ihr besprechen sollten.“
Ich war verblüfft. Hatte er gerade für mich gelogen? Ja, ich war verwundet, doch immerhin war es nur ein Kratzer! Es erforderte überhaupt keine Eile; und auch die anderen Angelegenheiten waren nicht so dringend, oder nicht? Ich meine, wir waren nicht hierher gejoggt oder so; und immerhin hatte er sich auch die Zeit genommen, um mir die Lichter zu zeigen?
Wie immer schaffte er es, mich in kürzester Zeit vollkommen zu irritieren.
Auch Tair schien leicht verwirrt. „Natürlich“, sagte er allerdings sofort – klar, Solas war der Prinz.
Der mir gerade einen Korb gegeben hatte.
Ich spürte einen leichten Stich in meiner Brust. Mein Ego war ziemlich angekratzt und am liebsten hätte ich dem Elfen eine Ohrfeige gegeben – oder ihn angebettelt, mich bitte wieder zu küssen.
„Gebt Solas und seiner Gefährtin zwei Pferde!“, sagte Tair.
Pferde.
Ich hatte mal vor einigen Jahren ein paar Reitkurse belegt; ob mir diese Künste ausreichten, um erfolgreich bis zu Lilíth zu gelangen, wagte ich zu bezweifeln. Allerdings hatte ich mich schon genug verdächtig gemacht, deshalb sagte ich nichts.
Die Elfen brachten zwei wunderschöne Stuten zu uns – zumindest glaubte ich, es waren Stuten. Ich redete mir einfach ein, dass die Pferde weiblich waren, weil ich dann weniger Angst hatte.
Ich lief zu einem der Pferde hin. „Hallo, du“, sagte ich leise. Dann sah ich zu Tair. „Sie ist wunderschön.“
Er sah mich irritiert an.
Solas sah aus, als müsse er sich ein Lachen verkneifen. „Er ist ein Hengst.“
Shit.
Der Elf blickte zu den Schneeelfen „Geht voran“, befahl er. „Rose und ich folgen euch.“
Auch wenn sein Befehl schon wieder Verwirrung auszulösen schien, wagte keiner zu widersprechen. Die Elfen zogen ab; genauso schnell und plötzlich, wie sie gekommen waren.
Ich hoffte, dass Solas jetzt vielleicht erklären würde, warum er mich vorhin einfach so weg geschubst hatte – na gut, nicht wörtlich, aber fast.
Stattdessen sah er mich scharf an. „Du verstehst die Elfensprache nicht?“
Ich zwang mich, ebenso scharf zurückzublicken. „Du verstehst meine Elfensprache auch nicht.“
„Deine Elfensprache?“ Ungläubig sah er mich an.
„Die, wo wir sprechen, wo ich herkomme!“, blaffte ich ihn an. „Oder bildest du dir ein, du kennst die ganze Welt nur weil du uralt bist?“
„Uralt?“ Er runzelte die Stirn.
„Älter“, schob ich schnell hinterher. Natürlich wusste ich, dass 1500 Jahre für einen Elfen vermutlich überhaupt gerade das Gegenteil von uralt waren – allerdings war ich im Moment so wütend auf ihn, dass ich solche Details außer Acht ließ.
„Können wir jetzt bitte los reiten?“, blaffte ich schließlich, weil ich seinen Blick nicht mehr länger auf mir spüren wollte. Ich ergriff die Zügel meines Pferdes – und dann sah ich nach oben; der Sattel auf dem Rücken des Hengstes schien weiter entfernt zu sein als der Gipfel des Berges.
Ich hatte keine Ahnung, wie ich dort hinaufkommen sollte. Hilflos bemühte ich mich, meinen Körper dort hoch zu manövrieren. Ich schaffte es nicht. Gleichzeitig war ich mir peinlich bewusst, dass er mich noch immer beobachtete.
„Hast du überhaupt schon einmal ein Pferd gesehen?“, sagte er schließlich. Es klang nicht spöttisch, nur verwundert.
„Natürlich!“, schnauzte ich ihn an.
„Warum dachtest du dann, es sei eine Stute?“, fragte er.
In dem Moment riss meine Geduld. Ich wirbelte herum; beinahe hätte ich ihm mit meinem Finger ins Auge gestochen. „Warum? Warum? Was stellst du überhaupt so viele Fragen?“, blaffte ich. „Soll ich vielleicht mal meine stellen?
Gleich einmal angefangen mit Warum küsst du mich die ganze Zeit wenn du mir überhaupt nicht vertraust?. Oder noch besser Warum küsst du mich und bringst dann einen Sicherheitsabstand von drei Metern zwischen uns wenn deine Elfenfreunde kommen? Wenn du mir diese Fragen beantwortest, bitteschön, dann erfährst du meine Antworten. Vorher nicht!“
Ich versuchte erneut, mich in den Sattel zu schwingen, weil ich seinen ungläubigen Blick nicht mehr ertragen konnte. Dieses Mal war ich so voller Wut und Adrenalin, dass es mir gelang.
„Wir sollten los“, sagte ich grob.
Solas griff mir in die Zügel.
„Was ist?“, sagte ich unfreundlich. Mit aller Kraft versuchte ich, meine Gefühle in mir zu halten. Am liebsten wäre ich in Tränen ausgebrochen und hätte mir eine Tafel Schokolade und Caro geholt.
Doch wenn ich jetzt zurückging… wer weiß, was ich verpassen würde.
„Rose“, sagte er eindringlich. Er verstummte kurz, als schien er selbst nicht so recht zu wissen, was er sagen sollte. „Es tut mir leid, wenn ich dich… aufgewühlt habe. Ich verspreche dir, wir unterhalten uns sobald wir mit Lilíth geredet haben. Bitte, Rose.“ Er sah mich mit so einem Blick an, dass meine Wut auf einen Schlag verrauchte.
Ich spürte, wie ich nickte; erneut vollkommen unter seinem Bann. „Nein!“, hörte ich Caro schreien – die vielen Male vor dem Fernseher, wenn wir diese kitschigen Liebesschnulzen mit drei Tüten Popcorn angeschaut hatten und die Frau sich einfach so von dem Mann benebeln ließ.
Ja, nun war ich diejenige, nach der Caro ihr Popcorn schmeißen würde.
Solas sah mich noch eine Weile lang so eindringlich an, dass ich mich zwingen musste, um nicht zu erschaudern. Dann drehte er sich um – und schwang sich auf den Sattel, noch viel eleganter als der andere Elf abgestiegen war. Ich musste mich beherrschen, um ihn nicht anzuglotzen, als er sein Pferd neben meines führte.
„Ich verspreche es dir“, sagte er. „So bald wie möglich.“ Sein Blick hielt meinen fest, nur wenige Sekunden lange. Dann trieb er sein Pferd an, und ich folgte ihm, bemüht, mich auf dem Sattel zu halten.
Auf zu den Schneeelfen.
Falls ich mich solange auf dem Pferd halten konnte.