Kitabı oku: «Zwei in Italien», sayfa 2

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Ich brauchte Sekunden, bevor ich antworten konnte. »Die bläulichen Schatten sind keine Schatten, sondern Falten«, sagte ich und versuchte frisch und munter zu reden, ohne jeglichen Wehmutswermut. Aber Paul hatte seinen kulanten Tag.

Falten oder Schatten seien völlig egal, sagte er, die Franzosen nannten dergleichen flétri. Man könnte es nicht übersetzen, sie meinten Blumen damit, die aufgeblüht seien und in dieser Aufgeblühtheit die Anmut des leisen Welkens hätten und stärkere Farben des Aufleuchtens vor der Dämmerung …

Wir gerieten immer tiefer in Flétri-Gespräche und dergleichen. In solchen Fällen geschieht es häufig, dass sich von außen her noch ein anregendes Element anschließt. Diesmal war es die Kellnerin, die dieses Element darstellte. Sie war jung und vereinsamt, hier oben, und so ausgehungert nach »Leben«, dass ihre großen Augen wie Saugpfropfen an uns hingen. Sie hielt uns sichtlich für ein liebendes Paar, und ihr Hunger und Neid – wohlwollender Neid – machte sich in tiefen Seufzern Luft, sooft sie uns einen neuen Hellroten oder einen weiteren Käsekuchen brachte.

Jedermann fühlt sich wohl, wenn er beneidet wird, und zufolge des Wohlfühlens trank Paul noch ein weiteres Glas.

Daraus ergab sich, dass seine Augen schmale, glitzernde Seen wurden, in denen freundliche Fische schwammen. Ich wusste, dass es der Wein war, der die Fische erzeugte, aber ich konnte mich der Wirkung nicht gleich entziehen.

Dann legte er seine Hand wie zufällig auf die meine, und sie blieb dort liegen, bis ich meine Hand ebenso zufällig wieder wegzog. Ich zog sie weg, um ihm das morgen Früh zu erwartende schlechte Gewissen zu ersparen. Denn morgen Früh würde er ärgerlich feststellen, dass wir die angenehm erprobte Freundschaftsgrenze überschritten hatten.

Darum sagte ich ziemlich unvermittelt, dass wir das Gelage beenden und an den gesunden Schlaf denken sollten.

Das taten wir auch. Wir gingen, gefolgt von den Blicken der armen Hungrigen, die Treppe hinauf und lachten über die hohen ländlichen Stufen, mit denen wir nur mit viel Kraft und Willen zurechtkamen, denn der letzte Hellrote war zu viel gewesen.

Oben stellten wir fest, dass unsere Türeingänge weit voneinander entfernt lagen, aber nur zufolge eines baumeisterlichen Kniffs, denn die Zimmerwand – eine von vieren – lag »um die Ecke« benachbart, sodass wir uns durch die Wand hätten verständigen können, so deutlich hörten wir jeden Schritt hüben und drüben.

»Ich werde leise sein und auf Strümpfen gehen«, sagte ich, und Paul kam noch einmal herüber und sah in mein Zimmer herein.

»Dieses Zimmer«, sagte er sinnend, »ist ausgesprochen gemütlich, behaglich …«

Und ohne den Ton zu ändern, mit gelassener Ruhe fügte er hinzu: »Ich weiß nicht, ob zwei kluge, vernünftige Leute nicht eine Entgleisung riskieren könnten – um dann nie wieder daran zurückzudenken …«

Ich wusste, dass vernünftige Leute dergleichen riskieren konnten, aber ich wusste auch, dass es schwer sein würde, nie wieder daran zurückzudenken. Was ich fühlte, war die alberne nackte Angst, nochmals und wiederum in den Brunnen zu fallen, der Liebe oder Verliebtheit hieß und möglicherweise so tief war, dass man nie wieder herausklettern konnte, wenn man nicht Seile und Stricke herabgeworfen bekam, an denen man sich anklammern und hochziehen konnte – vorausgesetzt, dass man nicht vorher im Brunnen erfroren war.

Alles das überdachte ich, und dann brachte ich ein tollkühnes Etwas von Heiterkeit und Gelächter zusammen und sagte, dass ich den Scherz zu würdigen wisse und für Scherze viel übrig hätte, aber glücklicherweise nicht so betrunken wäre, einen wirklich guten Scherz nicht zu begreifen.

Ich sagte dreimal »Scherz«! Blamabel, aber nicht mehr zu ändern.

Paul nickte nur, und ich spürte den Hauch von Ernüchterung und Vernunft, der wie kalte Zugluft über uns wegzog, und dann sagte er »Gute Nacht« oder dergleichen und tappte hinüber in sein Zimmer »um die Ecke«.

Ich aber setzte mich auf den nächsten Stuhl und grämte mich. Meine Brunnenangst war schuld, dass ich ihn vertrieben hatte, aber warum hatte ich ihn auf so törichte Weise vertrieben … Ich hätte etwas Witzig-Kaltblütiges oder Witzig-Warmblütiges sagen sollen, aber ich hatte versagt, auf allen Linien, albern versagt, als hätte ich alle Schulen des Lebens umsonst besucht und nicht ein Gran Vernunft daraus gewonnen.

Ich durfte nicht länger lautlos im Sessel sitzen, da er drüben die Lautlosigkeit hören konnte. Aber drüben war es ebenso still wie hier. Weshalb? Kochte der Ärger in ihm, die Enttäuschung – über mich, die alles verdorben hatte, die nicht fähig gewesen war, den Abend mit einer netten, klug überlegten Wendung abzuschließen …

Jedenfalls musste ich es sein, die die tödliche Stille unterbrach. Ich schleppte mich zum Wasserhahn und drehte ihn auf, und während das Wasser unermüdlich plätscherte, legte ich mich auf das Bett, den Kopf nach unten, und dachte darüber nach, wie schwer es war, erwachsen zu sein. Man konnte sich dümmer benehmen als Bohnenstroh, wenn man ein glattes Gesicht mit strahlend jungen Augen besaß und gefeit war gegen die unerbittlichen Forderungen des »reifen« Daseins. Kein Mensch begriff, wie schwer es war, älter zu sein als die eigene Jugend, die innen verborgen immer da war und jung blieb, jung, töricht, zärtlich und sentimental, während man außen die Pflicht hatte, gewitzt und erfahren-wendig zu sein, klug, überlegen, der Falten würdig, die man mit Haltung zu tragen hatte, obwohl man nicht schuld daran war, dass man sie trug.

AM nächsten Morgen, wie es vorauszusehen gewesen war, standen sämtliche Thermometer unter null. Paul hatte schlecht geschlafen, da ihn die Verarbeitung des Lehms, des Kalks und der Holzlatten in Atem gehalten hatte. Klopfen, Hämmern, Ho’s und Jo’s hatten seinen Schlummer »erfolgreich beschossen«, wie er sich ausdrückte. Also war er vor Tau und Tag aufgestanden und hatte den Wagen aus der Garage geholt. Darum saß er gähnend und verärgert beim Frühstück.

Ich war gleichfalls nicht besser gelaunt. Mein Schlaf war durchlöchert gewesen, von albernen Träumen geplagt. Außerdem dachte ich an die Grenze, an der ich zu schmuggeln hatte. Und da zwei Sorgen nicht ausreichten, fühlte ich überdies, dass mir das Abendessen oder sonst etwas nicht gut, nicht sehr gut bekommen war. Die Leitungsdrähte unter der Bauchdecke schienen in Unordnung geraten zu sein. Ich hatte kürzlich gehört, dass diese Drähte mehr als zwölf Meter lang sein sollten, also war irgendein Punkt innerhalb dieser Meter gestört oder beunruhigt und beunruhigte auch mich. Dann stiegen wir in den Wagen, und ich begriff, dass ich die falschen Schuhe anhatte. Denn es hatte zu tauen begonnen, der gestrige Schnee floss in Rinnsalen an der Straße entlang. Aber die festen Schuhe lagen im Koffer und der Koffer im Kofferraum. Ich brachte den Mut nicht auf, die Schwierigkeiten des Schuhwechselns heraufzubeschwören, und so saß ich mit dünnen Sohlen im Wagen und wusste, dass ich die nassen Füße bekommen würde, vor denen die Ärzte mich gewarnt hatten.

Dann packte mich plötzlich die Angst vor dem näher kommenden Zollhaus. Ich sah mich vom scharfen Blick des Zöllners getroffen, ich sah, dass er nach meiner Handtasche griff – denn im letzten Augenblick hatte ich die Geldscheine nicht in die Haarbürste gebracht, sondern nur einfach in die Handtasche geschoben, und wenn der Mann auf Handtaschen trainiert war, dann entdeckte er sie auf den ersten Blick. Ich sah mich abgeführt, untersucht, entkleidet, verhaftet, während Paul weiterfuhr und sicherlich die Bekanntschaft einer Dame machte, einer reizenden Dame mit der entzückendsten Nase der Welt.

Beim österreichischen Zollhaus ging alles glatt vorüber. Aber ich wollte nicht aufatmen, ehe wir das zweite, das italienische, Zollhaus passiert hatten.

Kurz vor dem Zollhaus meldeten die Leitungsdrähte, dass sie empfindlich gestört seien, sie meldeten es eindringlich und unerbittlich.

Ein Zöllner stand vor der Tür, an ein Fahrrad gelehnt, das er besteigen wollte, und im Augenblick, als Paul im Zollhaus verschwand, fragte ich ihn, den Zöllner, eilig, wo die Toilette sei. Daraufhin, als hätte ich ihn um Kaisers Palast gefragt, strahlte er freudig auf, winkte mit königlichen Gebärden und ging mir voran auf das gegenüberliegende Haus zu. Dort überreichte er mir den Schlüssel und öffnete noch die Tür. Mehr konnte er nicht für mich tun, im Augenblick. Aber seinem stolzen Ausdruck entnahm ich, dass er gewissermaßen ein internationales Klosett-Lächeln lächelte, als sei er stolz darauf, dass sein Heimatland nicht hinter anderen Heimatländern zurückstand.

Ich sah noch, dass er sein Fahrrad bestieg und entschwand. Dann schloss ich eilig das Fenster, das so großzügig offen gestanden hatte, mit weitem Fernblick, hinaus und herein, in diesem unschuldig offenherzigen Land.

Als ich zurückkam, sah ich von Weitem schon, dass das Zollhaus auf dem Kopf stand. Oder eigentlich die Menschenansammlung vor dem Zollhaus. Inmitten von Zöllnern, die laut und heftig sprachen, stand Paul, blass und lang wie ein Opferpriester, der religiöse Riten vollzog, er drehte sich hin und her und im Kreis herum, deutete dahin und dorthin, schüttelte heftig den Kopf, deutete wieder und schüttelte wieder, mit bleichem Gesicht und fanatischen Augen.

Er beschwor, er wisse nicht, wo die Signora hingekommen sei. Er sprach ausgezeichnet Italienisch, aber gegen den Schwall von prasselnden Stimmen ringsum kam er nicht an. Darum deutete er.

Plötzlich verstummten alle, denn nun hatten sie mich erblickt, die Frau, die im Wagen gesessen hatte und dann verschwunden war. Und allen voran stürmte Paul auf mich zu.

Wo ich gewesen wäre und ob ich verrückt geworden wäre, schrie er, und das war das Mildeste, was er schrie, denn sie hätten schon angefangen, ihn und den Wagen zu untersuchen, weil ich verschwunden gewesen sei!

Auch die Zöllner fragten mit blitzenden Augen, wo ich gewesen sei. »Auf der Toilette«, sagte ich schlicht, und angesichts dieses Freimuts, dieser Offenheit konnte man sehen, wie einzig nur Menschlichkeit völkerverbindend zu wirken vermag! Denn augenblicklich veränderte sich das Bild: Sämtliche Zöllner lächelten ehrerbietig, verbindlich, herzlich und zutraulich, sie führten mich wie einen Ehrengast in das Zollhaus hinein und wieder heraus, ich war so etwas wie ein Schatz geworden, eine liebe gute Ausländerin, die genau wie sie selber auf Toiletten ging, und sie wehrten es geradezu entrüstet ab, mich nach Devisen zu fragen, ma no prego – sie rissen den Wagenschlag auf und verstauten die Ausländerin, die so grenzenlos menschlich gewesen war und winkten uns lange nach, mit breitem Lächeln und sonnigen Augen.

Einzig Paul war keineswegs sonnig. Im Grunde konnte er mir die Menschlichkeit nicht geradezu vorwerfen, aber musste es in dem Augenblick sein, als er die Pässe vorwies und dachte, dass ich hinter ihm stünde? Als die Beamten sahen, dass »die Frau« nicht hinter ihm stand, hatten sie ihn verdächtigt! Ihn! Der nie im Leben schmuggelte!

»Nein«, sagte ich, »du schmuggelst nicht, du lässt mich schmuggeln, und dann ärgerst du dich noch … Übrigens ist doch alles gut vorübergegangen!«

»Gut! Sie haben mich verdächtigt und beinahe ausgezogen!«

Ich gab es auf.

»Das nächste Mal«, sagte ich bitter, »schmuggelst du eben selbst!«

»Nein. Aber ich lade mir Leute ein, die nicht nervös sind und vor Zollhäusern Angst bekommen.«

Jetzt schwieg ich. Ich war gekränkt und schwieg. Ich war wie ein Ehrengast behandelt worden; ich konnte Schmugglern empfehlen, die reine Menschlichkeit anzurufen, und kein Zöllner würde auch nur daran denken, nach Devisen zu fragen. Es waren menschliche Zöllner, reizende Zöllner, und nur Paul war weder menschlich noch reizend.

Sein Gesicht, als er weiterfuhr, zeigte, wie missliebig ich ihm geworden war. Er hatte die Eisaugen eines Bergsees, der von kalten Böen überfegt wird.

Endlich sagte ich: »Ich habe nun einmal diese leidigen Beschwerden. Aber du hast recht: Ich hätte dir schreiben müssen, dass ich zu alt und zu krank bin, um mit dir zu fahren.«

Paul antwortete nicht gleich. Dann sagte er langsam: »Du bist nicht zu alt, aber du bist krank, weil du dich mit dem ewigen Rauchen krank machst!«

»Rauchen«, sagte ich und bemitleidete mich sofort, sodass mir die Tränen nahe waren, »rauchen ist eine der wenigen, beinahe die einzige Freude, die ich habe!«

Wir schwiegen wieder. Ich war gekränkt und verärgert und hätte gern eine Zigarette geraucht. Ich lechzte danach. Aber im offenen Wagen zu Rauchen war sinnlos. Der Wind trug Funken und Asche weg, es war nicht der geringste Genuss dabei, und darum ließ ich es sein.

Inzwischen hatte sich die Landschaft verändert. Wir waren in den Vorgarten des Paradieses gelangt, in das von Bergen umstandene Tal der Eisack; wir schwebten gleichsam zwischen dem hohen Atem der Berge und dem zärtlichen Hauch des Südens, und niemanden konnte entgehen, dass die Luft sich geändert hatte; sie war weich, mild, sanft und gütig geworden, und die Wiesen standen im hellsten Grün, mit farbigen Büscheln da und dort und dicken Butterblumen an den Bachrändern. Die Weiden mit ihren Blättern und Kätzchen hingen wie sanfte Vorhänge über die Bäche herab.

Wir fuhren durch Sterzing, und das Trübsal in mir hellte sich ein wenig auf, weil ich die lange Straße mit den Ur-Häusern und Ur-Urhäusern wiedersah. Die Erker stützten sich auf Bogensäulen, als lehnten sie die Köpfe auf Ellbogen, und die Fenster sahen klar und klug darüber weg.

Dann fuhren wir neuerlich durch paradiesische Vorgärten, zwischen hellstem und dunklerem Grün, weißen und rosa Blüten. Ich war noch in Gedanken in Sterzing und sah die Gewesenen, Langvergangenen mit schwarzen Kniehosen und prallen, verzierten Leibröcken gemächlich über das Pflaster gehen, ich sah sie rauchend und trinkend im Erker … Ich kannte sie. Denn so erging es mir, dass ich schon oftmals gelebt hatte und darum die Menschen von eh und je in ihren Gewohnheiten, ihren Kleidern und Sitten und Meinungen kannte. In frühester Zeit hatte ich nicht gelebt, oder das Leben wieder vergessen, aber vor etlichen hundert Jahren musste ich öfters dagewesen sein, da ich Häuser, Räume, Möbel, Geräte, Kleider und Bauten wiedererkannte, und sie erkannten mich und gaben sich offen und zutraulich und erzählten mir alles.

Als ich gerade darüber nachdachte, hörte ich Pauls Stimme. Er sagte: »Mit mir zusammen zu sein, ist keine Freude für dich?«

Ich verstand den Zusammenhang nicht gleich. Darum fügte er hinzu, dass ich das Rauchen als einzige Freude bezeichnet hatte, die mir vergönnt sei.

»Ja so«, sagte ich. Aber als ich den Zusammenhang hatte, teilte ich ihm schnell mit, dass das Zusammensein mit ihm die große Freude sei, während die kleinen Freuden darum herumtanzen müssten. Das Rauchen sei erprobterweise die beste Tänzerin. Sie mache alles noch schöner, sie hebe die Lichtpunkte noch lichter hervor und wirke tröstend, wenn dunklere Punkte sich einschlichen. Ich redete so lange, bis Paul mit sanfter und dunkler Stimme sagte: »Nun zünde dir eine an!«

»Denn –«, setzte er hinzu, »ich muss es vermerken und anerkennen, dass du seit Stunden enthaltsam gewesen bist in hohem Maße …«

Enthaltsam! Ich hatte nur darum nicht geraucht, weil das Rauchen im offenen Wagen kein Rauchen war. Sollte ich das nun sagen oder nicht sagen? Wenn ich es sagte, würde das Lob der Enthaltsamkeit wegfallen!

»Ich werde rauchen«, sagte ich, und nahm die Kurve um die Wahrheit herum, »aber erst dann, wenn du zufällig ein bisschen anhältst. Denn das Rauchen im ruhigen Wagen ist schöner als das Rauchen in voller Fahrt.«

»Ach, darum die Enthaltsamkeit«, sagte er, »aber es ist nett, dass du so ehrlich bist und es eingestehst.«

Damit bremste er ab und blieb gerade dort stehen, wo der Blick aus dem engen Tal in die Weite glitt, in den lieblichen Vordergrund, dessen Mitte und Hintergrund zu Kuppen und Gipfeln anstiegen – alle Farben, die es gab, hatten eine Art festliche Aufführung veranstaltet. Hinter den Äckern standen die dunklen Rebstöcke auf grauweißen Steinterrassen, dahinter der hellgrüne, dann der finstergrüne Wald und wieder darüber die bläulich grauen Steinwände, die in den tiefblauen Himmel einschnitten – und über dem allen lagen Sonnenlichter und samtene Schatten.

Wir rechneten uns aus, dass wir in einer Stunde in. Bozen sein würden und dass die Zeit langte, um die Bank, die Paul brauchte, und den Rechtsanwalt, den ich brauchte, zu erreichen, bevor sie die Tore schlossen.

»Was ist es mit diesem Rechtsanwalt, den du Tonio nennst?«, fragte Paul plötzlich, und ich antwortete ein wenig zögernd, dass der Rechtsanwalt Tonio derzeit nur ein Rechtsanwalt sei, aber früher einmal sei er in meinem Traumkoffer etwas mehr gewesen.

Vor mindestens zehn, nein, fünfzehn Jahren. Es ist nicht mehr wahr.

Aber damals fandest du ihn nett?

Sehr. Ich war zur Erholung da gewesen, und es beeindruckte mich, dass er seine Braut umgehend gleichfalls zur Erholung weggeschickt hatte, denn die Braut hätte er ja künftig lebenslänglich, und außerdem sei sie einsichtig und vernünftig, sonst wäre sie nicht seine Braut. Zudem hatte er gut, mehr als gut ausgesehen. Dies wäre ja auch die Ursache gewesen, weshalb er mich nett gefunden hatte.

Paul fragte, wieso?

Weil ich, antwortete ich, je besser ein Mann aussah, desto bessere Chancen hatte, von Anfang an, ihm zu gefallen!

Ich sollte deutlicher erklären, was ich damit meinte. Ich erklärte es: Ein dürftiger, unschöner, ein von der Natur benachteiligter Mann hat den Ehrgeiz, sich mit hübschen oder schönen Frauen zu schmücken. Er meint, dass er zur Geltung kommt, wenn man sieht, dass er imstande ist, ein weibliches Prunkstück zu bezaubern. Schöne Männer haben diesen Ehrgeiz nicht nötig; sie wissen, dass sie gut aussehen; sie können es sich leisten, eine Frau nach ihrem Geschmack zu wählen (da sie alle haben können und zu viele schon gehabt haben); sie wählen zumeist eine heitere, lebhafte Frau, mit der sie nicht nur, sondern auch reden können, lachen, auch ernsthaft sein. Ich war weder schön gewesen noch hatte ich geradezu verboten ausgesehen; aber die meisten Erfolge hatte ich, wie gesagt, bei den schönsten Exemplaren gehabt, aus den erwähnten Gründen.

Paul sah ein wenig nachdenklich drein. Er überschlug anscheinend im Geist die Exemplare, die er seinerseits »gewählt« hatte und schien nachzugrübeln, ob er zu den Ehrgeizigen gehörte oder nicht. »Irgendwo hast du recht«, sagte er plötzlich, »ich erinnere mich, dass ich nicht die besten Erinnerungen an schöne Frauen habe, an klassisch schöne – aber an aparte Frauen.«

»Eben«, sagte ich kühn

»Hältst du dich für apart?«, fragte er mit seinem unverschämtesten Grinsen.

Und wollte ich nicht am Wegrand verenden, so musste ich den Mut aufbringen und diese Frage bestätigen. Ja, sagte ich gemütsruhig und zündete mir (im Fahren) eine Zigarette an.

Paul schwieg. Ich weiß nicht, ob er mir recht gab oder nicht, aber die Kaltblütigkeit meiner Antwort hatte ihm anscheinend Achtung eingeflößt. »Herrn Tonio also hast du geliebt?«, fragte er nach einer Weile; und ich sagte, dass ich dies getan hätte, wenn auch kurzfristig. Ich wusste ja, dass er verlobt war, und alles war von Anfang an auf Kurzfristigkeit und Unverbindlichkeit angelegt gewesen. Darum war es zufriedenstellend verlaufen. Ich hatte die beste Erinnerung an »Herrn Tonio«.

Jetzt, sagte ich, sei es ein bisschen schwierig für mich, ihn nach so vielen Jahren wiederzusehen. Paul sah mich rasch und fragend an. Des Aussehens wegen, erklärte ich, denn inzwischen sei ich gerade um jene Jahre älter geworden, die sich nicht verbergen ließen. Er wird enttäuscht sein.

»Vielleicht auch du!«

Wir kamen an Klausen vorbei, an der Talenge, an der Burg Klausen und an den sanften Weinlaubenhängen, die wie girlandengeschmückte Straßen aussahen. Alles was Stein war, bekam den goldroten Ton dieser Landschaft, die aus Gelb und Rot und Gold gemischt war. Und wir hatten genug zu tun, gleichzeitig zu schauen und unsere Vorhaben zu überdenken: Während ich in Tonios Kanzlei ging, um die kleine Summe zu beheben, würde Paul zur Banca d’Italia gehen, um das Vermögen zu beheben.

WARUM es gerade in Bozen läge, wollte ich wissen, und er antwortete, dass er von Rom, wo er zuletzt gearbeitet hätte, heraufgefahren sei und an der Grenze sein erspartes Geld zurückgelassen habe. Am Zollamt. Die Beamten hatten ihm einen Schein ausgehändigt und gesagt, dass das Geld drei Monate lang an der Grenze liegen würde, dann aber würde es an die Banca d’Italia nach Bozen gesandt werden, wo er es jederzeit mittels Schein beheben könne.

»Und nun wollen wir hoffen, dass das auch stimmt«, bemerkte ich.

»Warum sollte es nicht stimmen? Nach drei Monaten in Bolzano … das steht auf dem Schein!«

»Auf dem Schein. Dann wird es schon stimmen. Ich weiß nur nicht … ich habe sagen hören, dass Italien das schönste Land der Welt sei, dass ihm aber irgendetwas fehle, ich glaube, die Genauigkeit …«

»Lächerlich«, sagte Paul, »ich habe den Schein, ich habe das Geld deponiert, warum unkst du so gottserbärmlich?«

Ich versicherte eilig, dass ich nicht geunkt hätte, ich sei nur ein misstrauischer Mensch von Natur.

»Scheußlich«, sagte Paul, »durch Misstrauen verdirbt man sich nur selber das Leben!«

Damit fuhren wir in Bozen ein. Zuerst fragten wir nach der Silbergasse und fanden sie gleich. Vor dem Haus zog ich den Spiegel heraus. Ein wenig zitterten meine Hände, und Paul sah es. Er schnitt ein spöttisches Gesicht und schwieg.

Dann verschloss er den Wagen und sagte, wir würden wohl um die gleiche Zeit wieder zurück sein, denn die Banca d’Italia sei nur zwei Minuten entfernt. »Addio!«

Also stieg ich die Treppe hinauf. Im Flur, vor dem letzten Stockwerk, zog ich noch einmal den Spiegel heraus und sah lange hinein. Unter den Augen lagen zwei dünne Ringe, Jahresringe, die vor fünfzehn Jahren nicht dagewesen waren. Aber ich war nicht dick geworden, und die Schläfen, die grau gesprenkelt waren wie das Gefieder eines Perlhuhns, hatte ich überfärbt.

In Gottes Namen, dachte ich ergeben, und klingelte an der Tür. Ein Fräulein öffnete, eine gleichfalls gesprenkelte, aber nicht überfärbte Dame, klein, rundlich und freundlich, und sie sagte mir, dass der Herr Rechtsanwalt krank wäre, ja, leider, aber das Geld läge für mich bereit.

Irgendwie atmete ich auf. Einesteils war es beklagenswert, dass Tonio krank war, er tat mir leid, aber andererseits brauchte ich ihm die Jahresringe nicht zu zeigen; ich musste den Ausdruck sanfter Enttäuschung in seinen Augen nicht sehen, und außerdem war – ganz gegen meine Erwartung – das Geld tatsächlich vorhanden. Ich hatte nicht daran geglaubt, dass eine Summe, die ein Ausländer verdiente, das Sperrkonto hatte passieren können. Aber da war es nun.

Ich freute mich so über die Scheine, dass ich viel zu wenig besorgt um Tonios Gesundheit fragte. »Es scheint eine Grippe zu sein«, sagte das Fräulein und zählte das Geld: »Dreißig – fünf – vierzig …«

Ich besaß vierzigtausend Lire. Im Geiste (falls ich nur wenig rauchen würde) kaufte ich mir Schuhe. Denn nirgends auf der Welt gab es schönere Schuhe als in Italien. Zugleich bat ich das Land um Verzeihung, dass ich es der Ungenauigkeit beschuldigt hatte. Ich besaß vierzigtausend Lire.

Dann fragte ich noch anstandshalber, wie es Tonios Frau ginge, und das Fräulein antwortete, dass es ihr gut ginge. »Sie ist noch immer so hübsch!«, sagte sie, und ich schluckte das bittere Wort. Vermutlich hatte sie keine Jahresringe.

Das Bittere saß in meinem Magen und machte es sich bequem. Noch immer so hübsch, konnte kein Mensch von mir sagen.

Ich ging die Treppe hinunter, und die Lire in meiner Tasche waren ein kleiner Trost. Dann fiel mir ein, dass ich zu einer Fahrt nach Italien eingeladen war, trotzdem ich nicht noch immer und überhaupt nicht schön war. Und mein Selbstbewusstsein richtete sich auf wie ein Halm nach dem Sturzregen. Sicherlich gab es wenige Frauen in meinem Alter, die eingeladen wurden, höchstens luden sie selber ein. Das hatte ich also nicht nötig. Mein Halm stand noch höher. Es war kein trostloses Exemplar, das mich eingeladen hatte, kein Trostgreis mit zitternden Kinnladen, sondern einer der bestaussehenden –.

Wo war der Bestaussehende? Ich sah ihn nirgends. Aber er konnte ja nicht lange ausbleiben, da die Bank nur zwei Minuten entfernt war. Schade, dass ich mich nicht in den Wagen setzen konnte. Ich musste danebenstehen und jeden Augenblick Auskunft geben. Denn die Bevölkerung war sportfreudig und autofreudig, und der Wagen fiel jedermann auf.

Ein ältlicher Herr blieb neben mir stehen und erkundigte sich, wie viel er gekostet hätte. Ich sagte, ich wisse es nicht und ging langsam hin und her. Aber der ältere Herr hatte lange in Deutschland gelebt und konnte die Gelegenheit nicht verpassen, mit mir zu plaudern. Er erzählte seine ganze Geschichte. Es kamen viel Pech und die teuflischsten Zufälle darin vor, sodass ich ständig »ach nein« und »wie traurig« sagen musste, obwohl ich fror. Ich fror mitten im südlichen Bozen, weil mein Mantel im Wagen lag und die Sonne verschwunden war, aus der schmalen Gasse. Dann fing ich mich zu ängstigen an. Wo blieb Paul?

Ich unterbrach den älteren Herrn mitten in einer Schraubenmutterspekulation, die ihm missglückt war, und sagte, dass ich den Herrn zurückerwartete, der in die Bank gegangen sei. Aber die Bank sei seit drei Uhr geschlossen! Geschlossen?

Wenn sie seit einer halben Stunde geschlossen war, dann war Paul seit einer halben Stunde abgängig.

Ein jüngerer Mann kam und wollte wissen, wie viel der Wagen gekostet hatte. Dann kam ein Platinblonder und wollte dasselbe wissen. Sie blieben geblendet stehen und redeten angeregt. Einen Augenblick hoffte ich, dass ich es sei, die die Anziehungskraft auf sie ausübte, aber ich irrte mich. Sie gingen nun allesamt einträchtig um den Wagen herum und studierten die Form und den Bau und den Seitenspiegel und das Schaltbrett und den Lack und die Bremsen.

Zuweilen sagte ich, dass der Herr, dem der Wagen gehöre, abgängig sei. Aber nichts ist so lächerlich wie eine Frau, die erzählt, dass irgendein Mann abgängig ist. Er würde schon kommen, sagten sie, so ungefähr, wie man einem Kind sagt, dass das Brüderchen im Himmel sei. Aber wenn er nun wirklich im Himmel war? Überfahren? In ein Schaufenster gestoßen von einem Lastauto – wenn er im Krankenhaus lag? Ich stand hier seit einer, seit zwei Stunden und wartete auf den Herrn, der in die Bank gegangen war! Und die Bank war geschlossen!

Ich hielt es nicht länger aus. Ich ging auf die andere Straßenseite und rief zum Fenster hinauf, zum Fenster des lieben kleinen Fräuleins, dass der Herr, dem der Wagen gehörte und so weiter, und sie solle um Gottes willen sämtliche Krankenhäuser anrufen oder die Polizei!

Das Fräulein antwortete ebenfalls, dass er schon kommen würde, und sie hatte denselben mitleidig-gönnerhaften Ton. Ein Mann, der es nicht eilig hatte zurückzukommen, war eben ein Mann, der es nicht eilig hatte. Offenbar dachten alle, dass der Herr Besseres zu tun hatte, als zu mir zurückzukommen!

Aber sie rief die Krankenhäuser an und zuletzt die Bank. Aber um diese Zeit, sagte sie, sei die Bank geschlossen, und um diese Zeit ginge in den Krankenhäusern kein Mensch an den Apparat. Es war fünf Uhr. Ich wusste nicht, wann in Bozen der Tag und die Arbeit begann, aber um diese Zeit jedenfalls hatte sie aufgehört. Das kleine Fräulein kam die Treppe herab und verabschiedete sich. Über der Straße lag Sonntags- und Abendstimmung. Die Interessenten rund um den Wagen hatten sich um eine Großmutter und einen Großvater vermehrt. Und um drei Halbwüchsige.

Ich starb vor Kälte, vor Hunger und Durst; ich hatte die Zigarettenpackung leer geraucht und konnte vom Wagen nicht weg.

Allmählich nahmen die Damen und Herren und Halbwüchsigen, die um den Wagen standen, mehr Interesse an mir. Eine verlassene Frau! In ihren Augen hatte eine (nicht sehr junge) Dame einen Jüngling als Fahrer und Herzensbegleiter mitgenommen, und nun war der Jüngling weg! Traurige Sache, aber von irgendeinem Standpunkt aus wohlverdient! Man nahm eben keine Jünglinge mit, oder man benahm sich so, dass der Jüngling nicht schon am Anfang der Reise genug hatte und sich verdrückte.

Ich setzte mich still und frierend auf die Stufen vor dem Hauseingang der Kanzlei. Nun war alles gleich. Paul war tot oder verletzt – oder er, der alle Welt kannte, saß gemütlich in einer Trattoria, mit einer entzückenden Frau, die er getroffen hatte.

Von Weitem kam er langsamen Ganges heran. Er ging nicht schneller, obwohl er mich sitzen sah; er keuchte zu sehr, und der Schweiß lief ihm über das Gesicht. Ich wollte ihn fragen, aber er winkte nur ab und setzte sich neben mich auf die Stufe. Verdammte – sagte er, und was und wie er verdammte, war so beängstigend, dass ich mich umsah. Wenn ein Polizist Deutsch verstand –.

In der Bank hatte das Geld nicht gelegen. Hingegen seien alle Bankleute sehr aufgeregt gewesen. Sie hatten um den Direktor geschickt, der um diese Zeit das Bankgebäude nicht ehrte durch seine Anwesenheit. Vermutlich ehrte er sein Sofa daheim. Aber nach einer Stunde kam er an. Eine weitere Stunde brauchte er, um mit der Grenze zu telefonieren. Dabei regte er sich ungemein auf. Nein, die Grenze hatte das Geld nicht abgeschickt, aber sie würde es abschicken. Sofort. Der Ausländer sollte nur noch zuerst auf die Behörde gehen und von dort aus telefonieren lassen. Also ging der Ausländer auf die Behörde. Dort waren alle sehr aufgeregt, aber es war nicht die richtige Behörde.

Außerdem war der Direktor nicht da. Aber nach einer Weile kam er. Und er selber beschrieb dem Ausländer sehr genau, wo die richtige Behörde liege, in welcher Gasse und wie man hinkäme und alles. Dabei benahm er sich wohlwollend und sehr aufgeregt.

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