Kitabı oku: «Der moderne Knigge», sayfa 2
An nichts Böses und somit auch nicht an Tischmusik denkend, flanierte ich Unter den Linden, als ein Musiker auf mich zutrat, dessen ersten Worten ich sofort anmerkte, daß er sich zu einem Hühnchenpflücken anschickte. Ich nahm also das Wort: »Mein lieber Freund, vor einigen Tagen war ich in einer Gesellschaft, in welcher ich nach einem langen und sehr ermüdenden Diner das Glück hatte, einen mir sehr lieben Kollegen mit seiner Tochter, einer jungen, sehr schönen und geistvollen Dame, zu treffen. Eine heitere Unterhaltung entspann sich, aber sie war eben im besten Entspinnen, als Sie anfingen, fortwährend ziemlich laut Klavier dazwischen zu spielen, so daß wir kaum unser eigenes Wort zu hören vermochten. Das finde ich doch, um einen ganz milden Ausdruck zu wählen, nicht nett von Ihnen. Unsere Plauderei war wirklich interessant, aber gerade bei Gelegenheit der feinsten Pointen wurden wir durch Ihr Spielen gestört. Sie sahen uns scharf an, ich merkte es wohl. Sie können also nicht zu Ihrer Entschuldigung behaupten, Sie hätten nicht gewußt, daß wir uns vortrefflich unterhielten, wie Sie es unserer lebhaften Art zu sprechen anmerken mußten. Ich kann Ihnen auch nebenbei versichern, daß der Gegenstand unseres Gedankenaustauschs ein mindestens so erfreulicher war wie der berühmte Danse macabre, mit dem Sie uns fortgesetzt unterbrachen. Während einer lebhaften Unterhaltung sollte überhaupt nicht Klavier gespielt werden. Das ist höchst unpassend, und ein gebildeter Pianist wird sich auch nicht so ungehörig benehmen. Mein Gott, wenn man Klavier spielen will, so braucht man sich doch nicht gerade den Saal, in dem geplaudert wird, dazu auszusuchen, man unterläßt es entweder, oder geht, wenn man die Tasten nicht halten kann, bescheiden in einen anderen Raum des Hauses und spielt sich dort aus. Es ist merkwürdig, daß gerade die Musiker so rücksichtslos zu sein pflegen und immer, wenn sich die Gesellschaft eben zum Plaudern niedergesetzt hat, dazwischen musizieren. Wie würde es Ihnen gefallen, wenn ich, während Sie mit einem alten Freunde etwas besprechen, plötzlich die Trommel rührte oder ins Waldhorn stieße!«
Man muß nicht glauben, daß ich diese Rede ohne Unterbrechung hielt. Im Gegenteil, mein Musiker versuchte, in jeder zweiten oder dritten Zeile mit einem »Erlauben Sie« zu Wort zu kommen, um mir, wie ursprünglich beabsichtigt war, die bittersten Vorwürfe darüber zu machen, daß ich es gewagt hatte, während seines musikalischen Vortrags mit einem interessanten Menschenpaar zu plaudern. Man thäte gut, gegen derlei anmaßende Künstler allgemein in meiner Weise vorzugehen und so die Gleichberechtigung aller Gäste zu wahren. Dann wird die Unterhaltung der Gäste wenigstens nicht häufiger von den Musikern, als die Musik von der Unterhaltung gestört werden.Ziemlich mühelos, dagegen sehr dankbar ist die Kunst, auf einem Ball interessant zu erscheinen. Man stehe in einer Ecke und sei stumm. Das wird im allgemeinen für Philosophie oder unglückliche Liebe, häufig wohl auch für beides gehalten. Wird man aber zum Reden gezwungen, so erkläre man alle durchgefallenen Stücke für Meisterwerke und behaupte auch sonst immer das Gegenteil von dem, was allgemein, namentlich von Gebildeteren, gesagt wird. Man wird infolgedessen sehr bald als Charakter gelten, aber man entferne sich dann ziemlich früh, besonders wenn eigentlich nichts mehr kommen kann. Denn der Balltitel-Charakter hat keine rechte Festigkeit und wird nur zu leicht in Hansnarr oder dergleichen umgewandelt.
Wenn man das Unglück hat, einer Dame den Saum des Kleides abzutreten, so sei man nicht untröstlich. Das wird ja doch nicht geglaubt. Sagt aber die betreffende Dame mit bezauberndem Lächeln: »O bitte, das macht nichts, das ist rasch repariert«, so meint sie: Sie sind ein ganz gemeingefährlicher Tölpel!
Man rede eine Dame nicht an, während sie ihren Fächer graziös vor dem Gesicht hält, so daß man nur ihre Augen sieht. Sie gähnt nämlich in diesem Augenblick. Auf Bällen ist Gähnen eines der unveräußerlichsten Menschenrechte, und ihm verdankt der Fächer einen großen Teil seiner Existenz. Gäbe es eine wirkliche Fächersprache, so würde dies noch deutlicher ausgesprochen werden.
Man mache einer schönen Frau keine Komplimente, denn sie wird doch immer behaupten, daß man ihr nichts neues sagt. Sie hat schon alles gehört. Läßt sie dies merken, so revanchiere man sich dadurch, daß man von der Schönheit einer andern Frau spricht.
Einmal tanze man mit der Schwiegermutter des Ballgebers. Das ist die Gewerbesteuer.Während der Ruhepausen im Kotillon suche man seine Dame bestens zu unterhalten. Von den Gegenständen, welche dabei thunlichst zu vermeiden sind, nenne ich den Käse, den Lustmord, den Zinsfuß, die ägyptische Augenkrankheit, die Müllabfuhr, die Klauenseuche und das Hühnerauge. Auch die Wanderraupe berühre man nur flüchtig.
Beim Dessert strenge man sich an, dem Vielliebchenessen[die Sitte, Zwillingsfrüchte oder die in Krachmandeln etc. vorkommenden Doppelkerne geteilt zu essen, worauf die Beteiligten sich beim Wiedersehen mit »Guten Morgen, Vielliebchen« zu begrüßen haben und derjenige, der dies zuerst tut, vom andern ein Geschenk erwartet.] auszuweichen. Die Damen gewinnen immer, und dann weiß man nicht, was man nicht schenken soll.
Wenn man eine größere Reise anzutreten gedenkt, so verschweige man dies namentlich den Damen, weil diese bekanntlich bitten würden, ihnen von allen Stationen eine bunte Postkarte zu senden. Da man dies natürlich verspräche und sicher nicht thäte, so ärgert man sich später, daß man es versprochen hat.
Die Ballmutter soll man in Ehren halten. Es verkörpern sich in ihr die Mutterliebe, die Sorge und die Selbstlosigkeit. Keiner Parteien Gunst und Haß vermochte ihr Charakterbild in der Geschichte der Menschheit ins Schwanken zu bringen. Sie mag vielleicht auf den Bällen häufig in die Notwendigkeit versetzt werden, Verkehrsstörungen herbeizuführen, indem sie sich hier und dort in den Weg stellt, um sich zur Geltung zu bringen und allen Anwesenden klar zu machen, daß sie nicht zum Vergnügen erschienen sei, am allerwenigsten zum Vergnügen der jungen Männer, aber das erhöht ihre Würde. Selbst wenn sie, noch in den Jahren unter dem Äquator des Lebens, tanzt, so soll sich der Ballgast sagen, daß sie dies nur aus Liebe zu ihren Töchtern thut. Sie mischt sich gewissermaßen in der Maske der Tänzerin unter die Menge wie ein Kriminalbeamter, der sich auf der Jagd nach einem Gesuchten vermummt hat, um auf die Spur desselben zu kommen. Der junge Mann, der sich über sie beklagt oder lustig macht, verrät dadurch einen gänzlichen Mangel an Gemüt, denn er trifft nicht nur damit vielleicht seine eigene Mutter, er bekundet auch den Mangel an Talent, das Ballleben von seiner ernsten Seite zu betrachten. Die Ballmutter ist der ruhende Pol in der Erscheinungen Flucht. Während alles um sie wechselt, bleibt sie unverändert. Sie ist ewig. Die jungen Männer werden älter, entfremden sich dem Tanz, verheiraten sich, werden den Frauen uninteressant und werden Philister, die jungen Mädchen werden durch die Ehe vom Ballboden rasiert, verschwinden in irgend einen Beruf, blühen zu Mauerblümchen heran und verstecken endlich Hals und Arme in die diskretesten Fabrikate der Textilindustrie, jede Ballsaison bringt neue Menschen, wie sie neue Walzer und neue Eisnamen bringt, Tanzgeschlechter kommen und verschwinden, Assessorenfluten wälzen sich durch die Säle, neue Schwärme von Backfischen tauchen auf und werden von der Zeit wieder verschlungen, aber die Ballmutter bleibt, unberührt von Hitze und Langeweile, im Sturm der Pflicht wetterfest geworden, achtunggebietend durch die Patina der Erfahrung, die sich in jedem ihrer Blicke bemerkbar macht, stolz im Bewußtsein erfüllter Pflicht, ängstlich durch ihre Kenntnis von der Verruchtheit des männlichen Geschlechts und immer Mutter, zu jedem Opfer und zu jeder Liebesthat bereit. Deshalb soll man sie in Ehren halten. Dies soll in erster Linie der junge Mann, der nur zu gern geneigt ist, bei diesem ehrenvollen Titel dumm zu lächeln. Er soll wenigstens aus Klugheit den Respekt nicht vernachlässigen. Denn die Ballmutter kann auch furchtbar werden, wie jedes Geschöpf, das ein Junges zu verteidigen gezwungen ist. Ein junger Mann hat gar keinen Begriff davon, wie er von einer Ballmutter durchschaut wird, die mit ganz besonders scharfen Röntgenstrahlen sieht. Wird er von einer Ballmutter vernichtet, so ist es seine eigene Schuld, ich habe ihn gewarnt.
Bekommt man beim Tanz einen derben Tritt auf den Fuß, so habe man keine Hühneraugen.
Schreibt eine Kotillontour Damenwahl vor und wird man von keiner Dame aufgefordert, so ist dies kein Kompliment, aber man bemerke es nicht. Man ist vielleicht, wie es in höheren Töchterschulen heißt, ein Ekel. Wird man von dieser seiner Unbeliebtheit überzeugt, so verlasse man vor Beginn der Damenwahl, indem man Schwindel vorschützt, der es ja auch ist, den Salon, und komme erst nach Schluß der Tour zurück.
Ist man ein Ekel, so gebe man sich keine Mühe, ein liebenswürdiger Mensch zu werden. Es nützt absolut nichts. Ein Ekel bleibt ein Ekel.
Fast auf jedem Ball finden sich einige alleinstehende weibliche Familienmitglieder älterer Zeitrechnung vor, welche in der Voraussicht eingeladen werden, daß sich im Laufe des Abends eine Familie findet, welche in ihrer Nähe wohnt und sie bis zur Ecke mitnimmt. Von der Ecke bis zu ihrer Thür gehen sie schon allein, da sie bis dahin von ihrem Alter vollständig vor jeder Gefahr, angesprochen zu werden, geschützt sind. Diesen ehrenwerten Familienmitgliedern des gastlichen Hauses bleibe man sorgfältig fern, sonst muß man selbst die beschriebene Begleitung leisten, die von einer ganzen Familie leichter getragen wird. Fällt also im Lauf des Abends die Frage: »Wo wohnen Sie?« so höre man vorbei und antworte: »O ich danke, ich kann nicht klagen,« oder ähnlich. Ein anderes Mittel ist noch nicht erfunden.
Ein großer Übelstand ist auch die große Achtung und Verehrung, die man in vielen Kreisen genießt. Findet in einem dieser Kreise ein Ball statt, an den sich ein Souper schließt, und man ist eingeladen, so wird man dadurch ganz besonders ausgezeichnet, daß man neben eine der Großmütter des Hauses placiert wird. Solche Damen pflegen sich das schöne Vorrecht des Alters, die Schwerhörigkeit, ungetrübt bewahrt zu haben, und die Unterhaltung gestaltet sich dadurch nicht besonders kurzweiliger. Weil der betreffende Platz nur zu dem Zweck gewählt worden ist, dem Gast ein Zeichen unbegrenzter Verehrung zu liefern und ihn an die Spitze der Gesellschaft zu stellen, so wird man das Herbe, das mit dieser Verehrung verbunden ist, leicht überwinden, aber man begreift doch nicht, weshalb jemand, der keinen Anspruch auf Achtung und Verehrung zu erheben hat, neben ein junges, blühendes, weibliches Geschöpf gesetzt wird, während man denjenigen, den man auszeichnen will, gar nicht vorher fragt, ob er nicht vielleicht bereit wäre, auf die Großmutter des Hauses zu verzichten und dafür vielleicht mit drei Damen, deren Jahre zusammengerechnet die der Großmutter ausmachen, zu soupieren, nur um in bescheidener Weise die öffentliche Huldigung abzulehnen.
Ist die Schwerhörigkeit der verliehenen Dame noch nicht weit vorgeschritten, so verliere man indes nicht den Mut, dann kann im Laufe des Abends noch alles gut werden, und man wird sich leichter trösten, wenn ich mitteile: Ich wurde eines Abends derart unverdient glänzend ausgestattet, daß ich an die Seite einer Dame gesetzt wurde, mit der nur ein schriftlicher Verkehr möglich war. Als ich mich ihr vorstellte, überreichte sie mir zu einem Bleistift einen ziemlich blätterreichen Block, den ich dann auch gewissenhaft aufplauderte. Sie las und gab mir dann eine Antwort, die mir aber stets den Bleistift wieder in die Hand trieb. Im Nachlaß der Dame muß sich denn auch eines der größten Manuskripte meines Lebens gefunden haben, denn ich habe selten anhaltender gearbeitet, als infolge der mir zu teil gewordenen Auszeichnung. Fürchtet man solche, so bringe man für alle Fälle ein Heftpflaster mit auf den Ball und lege es auf den Zeigefinger der rechten Hand, wenn Block und Bleistift zu erwarten sind. Zum Schreiben mit krankem Finger kann man von keiner Großmutter gezwungen werden. Übrigens ist das schriftliche Verfahren in der Unterhaltung bei Tisch noch nicht die schlimmste Form. Als ich eines Tages einer Tischgreisin, welche mich durch ihre Nachbarschaft auszeichnen sollte, vorgestellt wurde, reichte sie mir ein schlankes Instrument entgegen, welches ich im ersten Augenblick für eine Flöte hielt, so daß ich in meiner Verlegenheit nichts als die Worte hervorzubringen vermochte: »Bitte, nach Ihnen.« Dann erst bemerkte ich, daß es ein Kabel war, welches unsere Unterhaltung vermitteln sollte. Ich weiß seit jenem Abend nicht, welches die angenehmere Form der Unterhaltung ist: die durch die Vermittelung des Bleistifts oder der Hörflinte.
Wenn man von einem Ballgast um einen Thaler angepumpt wird, so wird dieser nicht ganz als Trinkgeld gebraucht. Der Thaler ist von jenem Ballgast entweder völlig oder bis auf eine Mark rein verdient.
Man gehe niemals ohne kleines Geld auf einen Ball. Das bei der Steuer angestellte Dienstpersonal kann niemals wechseln, obschon es ja das ganze kleine Geld hat.
Daß im Laufe des Abends musiziert wird, ist leider zu erwarten. So ein Klavier ist rasch geöffnet, und die Dame, welche es pauken gelernt hat, ist immer in der Nähe. Sträubt sie sich, so traue man ihr nicht. Es ist eine nur zu kurze Täuschung. Sieh, da sitzt sie schon und streift die Handschuhe ab, die unsere letzte Hoffnung waren. Auch eine Meistersingerin oder ein Meistersinger ist bald gefunden. Der Umstand, daß diese sich nicht einmal der Handschuhe zu entledigen haben, macht sie bedeutend gefährlicher als die Tastenhandwerker.
Man beklage sich nicht über die Wahl der Musik- und Gesangsnummern, so wenig sie zu der dem Zeitvertreib gewidmeten Ballnacht passen mögen. So viel ich mich erinnere, habe ich in unzähligen mitternächtlichen Stunden den Vater durch Nacht und Wind mit seinem Kinde reiten hören müssen. Ich bin in großen Gesellschaften immer etwas ängstlich, und es ist mir daher um Mitternacht ein heiteres Lied viel angenehmer als eine Gespenstergeschichte. Es ist aber merkwürdig, mit welcher Schadenfreude meist kleine oder größere Lieder gesungen werden, die mit irgend einem Tode enden. Dagegen im Nebenzimmer anzurauchen, ist schon schwer, aber wenn man im Saal in der Nähe des Flügels sich befindet und das in Musik gesetzte Ableben angesichts des mit gefurchter Stirn und weit aufgerissenen Augen Vortragenden mitmachen muß, so fühlt man so was wie eine Gänsehaut, es fällt einem ein, daß man irgend ein körperliches Leiden hat, und man möchte, wie der Hirsch nach dem Wasser, nach Udel schreien. Man glaube aber nicht, daß mein absichtlich herzloses Urteil über die Wahl der traurigen Liedertexte irgend etwas nützen wird. Nach wie vor werden die Gäste rücksichtslos in eine ernste Stimmung versetzt und mit der Macht der Töne auf die Nichtigkeit alles Irdischen aufmerksam gemacht. Alle Sänger und Sängerinnen scheinen sich einzubilden, oder uns einreden zu wollen, daß nur durch den Tod Leben in die Bude komme. Erst vor einiger Zeit war ich genötigt, eine Dame, welche am Flügel schon fast eine Stunde lang Tote in allen Tonarten hatte singen lassen, zu fragen, ob sie nicht vielleicht auch eine Geburt auswendig wisse, da dies die Gesellschaft erheitern würde. Nein, sie hatte in ihrer Notenmappe nur Selbstmord, Stimmen aus dem Jenseits, Tod an gebrochenem Herzen, langsames Hinsiechen in der Verlassenheit und die beliebtesten Arten des Ruhefindens im Grabe. Sonst war die Dame sehr umgänglich und lebenslustig, nur suchte sie gern ganze Gesellschaften zu verstimmen und zwar meist mit glänzendem Erfolg. Hier ist noch viel zu thun, die Diners und Ballkreise vor musikalischen Hausfriedensbrüchen zu schützen. Auch sollten namentlich Damen nur solche Lieder und Arien singen, welche ihnen der Gast wenigstens halbwegs glaubt. Ich habe aber nur zu häufig in der bekannten Meyerbeerschen Arie von Damen um Gnade flehen hören, deren Erscheinung auch nicht im entferntesten den Gedanken aufkommen ließ, daß ihr irgend jemand zu nahe getreten sein konnte. Ihr Schreien um Gnade machte vielmehr den Eindruck, als wäre sie einer Bedrängung gegenüber durchaus geneigt, Gnade für Recht ergehen zu lassen. Und es war, als antworte ihr nach ihrer Gnadenarie der Applaus nichts als: Gewiß doch!
Man applaudiere immer, wenn gesungen ist, denn wenn nicht applaudiert wird, so hat dies nur die Folge, daß weiter versucht wird, durch Gesang den Applaus zu erzwingen, und es wird auch gewöhnlich durchgesetzt.
Keinenfalls bleibe man bis zum letzten Tanz, da später alle Garderobe bis auf einen Hohenzollernmantel und Helm fort zu sein pflegt.
Im Saale behalte man immer den Chapeau claque unter dem Arm, bis dies lästig wird und man ihn fortlegt. In diesem Augenblick verschwindet er, aber man vermißt ihn erst, wenn man den Paletot angezogen hat und fortgehen will. Dann ziehe man den Paletot wieder aus und suche im Speise- und Tanzsaal. Wird noch getanzt, so werfe man einen Blick auf jeden Sessel, von dem sich eine Dame erhoben hat. Auf einem dieser Sessel pflegt man den Hut zu finden. Da die Dame längere Zeit auf dem Hut gesessen haben kann, so untersuche man den Mechanismus des Hutes nicht im Saal, da man ein zu dummes Gesicht macht, wenn der Hut nicht mehr springen kann, und ausgelacht wird, sondern man gehe hinaus und versuche, ihn im Vorzimmer oder im Korridor hutartig zu gestalten. Gelingt dies, so verlasse man trällernd das gastliche Haus. Um die Dame, welche wieder Platz genommen und der nun der Hut, auf dem sie so mollig gesessen, fehlt, bekümmere man sich nicht weiter. Die beiden in Gold gestickten Initialen, welche sich in deinem Hut befinden, können in dem neuen, den man kauft, wieder verwendet werden, wodurch eine Kleinigkeit erspart wird.
Weniger Vorteile und weniger Nachteile bietet der Jour fixe.
Er hat vor allem das Gute, daß man nicht zu erscheinen braucht, oder, wenn man erscheint, sich bald wieder entfernen kann. Die Anzeige, daß eine Dame an einem bestimmten Tag zu gewissen Stunden zu Hause sein wird, verpflichtet nur die Dame, zu Hause zu sein, was ihr allein unangenehm zu sein pflegt. Man macht von der Anzeige nur dann Gebrauch, wenn man gern erscheint, und auf eine Viertelstunde erscheint man auch da gern, wo man auf längere Zeit nicht gern erschiene.
In Häusern, wo der Jour noch nicht entartet ist, geht auch die Verpflegung nicht über eine leichte Anfeuchtung und kurzes Kuchenknabbern hinaus. Da aber das Trinkgeld fortfällt, so sieht man daran, daß es auf der Welt keine reine Freude giebt.
Da man stets Gäste anwesend findet, so mische man sich sofort nach dem Händeschütteln ins Gespräch über das Radeln. Selbst über das rauhe Wetter, obschon bereits das nötigste darüber gesagt ist, lasse man einige bedeutungsvolle Worte fallen. Denn es schickt sich nicht, ausschließlich Erfrischungen zu nehmen und wieder fortzugehen, obschon dies das Einfachste ist.
Auf die Frage: Thee oder Cognak? entscheide man sich für beides.
Auf die Frage: Wie geht‘s? antworte man nicht: Wie man‘s treibt. Man suche nicht mit diesem alten Scherz zu beweisen, das einem nichts einfällt. Das wissen die Anwesenden ohnedies.
Der Frau des Hauses sage man, sie sehe sehr vortrefflich aus, selbst wenn dies wirklich der Fall ist. Man braucht einen Jour fixe nicht für eine Gesellschaft zu halten und deshalb zu lügen.
Wird über Kunst und Litteratur gesprochen, so beteilige man sich an dieser Unterhaltung, auch wenn man etwas davon versteht. Es ist dies allerdings nicht allgemein gebräuchlich.
Werden die anwesenden Gäste vorgestellt, so merke man sich die Namen nicht. Dann braucht man sie nachher nicht zu vergessen. Nur die Namen Müller und Meier behalte man im Gedächtnis.
Man esse von den angebotenen Kleinigkeiten nicht viel, denn es sieht erstens nicht gut aus und zweitens sehr schlecht. Auch vermehrt es nicht die Sättigung, wenn man schon gegessen hat, und verdirbt den Appetit, wenn man erst zu Tisch gehen will.
Wird man einem dekorierten Herrn vorgestellt, so nenne man ihn Exzellenz. Er ist es nicht, aber er nimmt den Titel nicht übel. Er ist überhaupt liebenswürdig.
Dies sei man auch. Man höre alles mit lebhaftem Interesse an, namentlich das Gleichgültige, das erzählt wird. Wird eine Verlobung gemeldet, so gebärde man sich, als habe man endlich ein langerstrebtes Glück gefunden, auch wenn man die Verlobten nicht kennt. Stößt man unverschuldet auf eine Dame, welche eine halbe Stunde lang ohne Pause sprechen kann, so sage man sich: Wen Gott lieb hat, den züchtigt er, und lasse die Dame über sich ergehen. Lautes Murren ist unschicklich und wird von der Dame auch als ein Zeichen des Wohlbehagens aufgefaßt. Im übrigen ist nach meinen Beobachtungen das Geschlecht der Rasch- und Vielsprecherinnen in Berlin im Aussterben begriffen. Es existieren nur noch einige guterhaltene Exemplare, wie von den echten Möpsen. Das Telephon und die bunten Postkarten, welche die Menschen zwangen, sich kurz zu fassen, haben unter den Plaudertaschen furchtbar aufgeräumt.
Man bleibt nur ganz kurze Zeit. Das ist das Bezaubernde des Jour fixe. Alle anderen gesellschaftlichen Veranstaltungen könnten von ihm lernen, thun es aber nicht. Ein halbwegs beweglicher Jourfixer kann in einigen Nachmittagstunden rund ein halbes Dutzend solcher Besuche zurücklegen. Allerdings giebt es Besucher, welche den Jour fixe bis zur Nagelprobe auskosten und nicht wanken und weichen, bis das letzte Kaviarbrötchen verschwunden ist. Solche Besucher gehen mit dem Fluch der Gesellschaft beladen umher, sind auf das Tiefste verabscheut, können nach der allgemeinen Ansicht kein gutes Ende nehmen und merken es nicht. Sie sind in Jour fixe-Kreisen schon deshalb sehr gefürchtet, weil sie niemals fehlen. Alle Hoffnung auf eine starke Erkältung, die sie ans Bett fesseln würde, ist eitel, es sind auffallend starke, gesunde Leute. Andeutungen, daß der Jour fixe nur eine Station des gesellschaftlichen Lebens sei, verstehen sie nicht. Werden sie in der kommenden Saison nicht wieder aufgefordert, so halten sie dies für ein dem Hause sehr unangenehmes Versehen, das sie durch ihr Wiedererscheinen auszugleichen suchen. Bei dieser Gelegenheit wird ihnen voll Abscheu die Hand gedrückt, was sie für große Beliebtheit halten. Diese dauerhaften Besucher sprechen sich gewöhnlich sehr wegwerfend über den Jour fixe aus und lassen durchschimmern, daß sie ihn nur aus Gefälligkeit mitmachen, um dem Hause ein angenehmes Gesellschaftsmitglied zuzuführen. Sie werden es dahin bringen, daß der Zutritt zum Jour fixe nur gegen Vorzeigung der Einladung gestattet wird. Völlige Sicherheit vor ihnen wird dies aber auch nicht gewähren. »Herr,« würden sie den Portier anschreien, »sehe ich aus wie ein Mensch, den man nicht einlädt?« Hui, und sie sind drinnen, und herausgeworfen wird nicht. Diese Mitteilungen werden genügen, jedem Besucher eine kurze Anwesenheit zur Pflicht zu machen.
Man nehme keine Cigarre an. Die Jour fixe-Cigarre gehört zu den menschenfeindlichen Sorten, da das Rauchen am Jour fixe nicht Sitte ist und der Hausherr, der nicht anwesend zu sein pflegt, jede Verantwortlichkeit für die Cigarre ablehnt.
Es kommt vor, daß die Dame des Hauses ein ganz kleines Töchterchen in die Arena sprengen läßt. Man sei entzückt. Ist das Kind ein Affe, so nenne man es eine künftige Venus von Milo. Giebt die Mutter Zeichen der Unzufriedenheit, so lege man noch eine der drei Grazien zu, man gehe aber nicht höher. Wird das Kind dann wieder hinausgeführt, so gebe man seiner Freude durch bedauernde Worte Ausdruck.
Zu anderen häuslichen Gesellschafts-Episoden ist nur wenig zu bemerken.
Die Geburtstage vergesse man. Das ist natürlich nicht leicht, aber durch Übung kommt man dahin. Wie man durch die Mnemonik das Gedächtnis stärken kann, so ist man wohl auch imstande, ein System zu schaffen, mit dessen Hilfe man das Vergessen erleichtert. Gratuliert man aber, so kaufe man kein kostbares Blumenarrangement, wenn man nicht weiß, daß die zu beglückwünschende Dame eine große Blumenfreundin ist. Giebt sie nichts auf Blumen, so wird der eintreffende Blumenaufsatz nicht freundlich empfangen, da die Empfängerin berechnet, was sie für den Betrag, den die Blumen verschlungen, Nützliches hätte haben können.
Man verhindert solche zu nichts führende Betrachtung durch ein persönliches Erscheinen. Dies ist auch wegen der Billigkeit vorzuziehen.
Schriftliche Gratulationen verfasse man in Prosa, denn es sind immer schon schlechte Verse eingetroffen, und ein wirklicher Unsinn tritt in der Prosa nicht so bemerkbar hervor. Man lasse überhaupt das Dichten zu Geburtstagen. Meist wird doch von Leuten gedichtet, die es nicht können. Der Umstand, daß das nicht bestraft wird, ist doch kein hinreichender Grund, es zu thun.
Schickt man ein Geschenk mit einer Visitenkarte, so setze man auf diese nicht das Wort: Gartula! Es ist ebenso falsch, wie gebräuchlich.
Hat man den Geburtstag versäumt und möchte noch am folgenden Tag ein Geschenk senden, so fasse man Mut und thue es. Selbst noch acht Tage später wird es angenommen. Man darf niemals an der Güte der Menschen zweifeln.
Ist man irgendwo zum Gratulieren erschienen und erfährt, daß anonyme Geschenke eingetroffen sind, so spreche man von diesen in einem Ton, welcher es vermuten läßt, daß man einer der anonymen Geber sei, besonders wenn man es thatsächlich nicht ist. Ich habe schon mindestens sechs Torten gesehen, zu welchen mehrere Väter genannt wurden, die sämtlich unschuldig waren, den Torten hat es aber nicht geschadet.Man spende keine Torte, welche die Zahl der Jahre der Beschenkten durch Wachslichtchen ausdrückt. Es giebt Damen, welche, schon zwei Jahrzehnte lang nicht über dreißig alt werdend, beim Anblick einer solchen Danaertorte sich einer Ohnmacht näher als sonst fühlten und nach einem flüchtig taxierenden Blick auf den Lichterkranz schwuren, keinen Bissen von diesem Geschenk zu essen, auch wenn es ihre Leibtorte sei. So boshaft darf nur eine gute, liebe Freundin sein, für einen Mann schickt sich das nicht.
Vor allem merke man sich das Folgende, damit man es an Geburtstagen nicht laut werden zu lassen versäume: Der offizielle Titel der oder des den Geburtstag Feiernden vom 35. Jahre aufwärts lautet »Geburtstagskind«. Das Geburtstagskind sieht immer vorzüglich aus. Noch gestern wurde davon gesprochen. So möchte man selber aussehen. Auch könnte man das Geburtstagskind, wenn es Frau und Mutter ist, für eine Schwester der Tochter halten. Hat das Geburtstagskind keine Tochter, so bearbeite man den Satz passend durch Heranziehung ihres Sohnes oder ihrer jüngsten Schwägerin. »Eine jüngere Schwester ihres Mannes« aber sage man nur im äußersten Notfall.
Vorsichtig sei man bei älteren Geburtstagskindern mit dem Wunsch: bis zum hundertsten Wiegenfest. Manchen ist dies zu wenig, da sie nicht weit genug von demselben entfernt sind.
Alle auf dem Geburtstagstisch ausgestellten Geschenke finde man blendend, selbst die fürchterlichen gestickten Sofakissen. Sind die aus guten Delikatessenhandlungen abgesandten »Stillleben« mit dem ganzen Komfort der Friandise ausgestattet, so nehme man vertrauensvoll die Einladung zum morgigen Mittagessen an.
Als Gatte des Geburtstagskindes esse man möglichst viele von den auf den Schüsseln ausliegenden belegten Butterbrötchen, sonst muß man sie am anderen Tage essen. Dann sind sie aber vertrocknet.
Von den öffentlichen festlichen oder gesellschaftlichen Veranstaltungen sind etliche zu betrachten, welche mancherlei Gefahren und Unbequemlichkeiten bergen, auf die warnend und ratend hinzuweisen ist. Hier ist in erster Linie der Bazar zu nennen.
Der Bazar ist eine Wohlthätigkeits-Unthat, welche sich bis jetzt der irdischen Gerechtigkeit zu entziehen gewußt hat, obschon die beliebte Frage bei jeder bekannt werdenden Unthat: Où est la femme? jedesmal sofort keine Frage ist. In jeder Bude, an jedem Tisch, hinter jedem Buffet des Bazars stehen zwei bis mehrere.
Man nähere sich ihnen vorsichtig. Nur wer gewöhnt ist, für eine Cigarette, eine Rose, oder ein Glas Bier bis zu zehn Mark zu bezahlen, trete vertrauensvoll näher.
Man unterlasse das Flirten. Jede Artigkeit, und sei sie auch ehrlich gemeint, treibt die Preise in die Höhe.
Man zeige keine Hundertmarkscheine. Die blaue Papierfarbe reizt die Damen.
Wenn man verheiratet ist und hat etwas billig gekauft, so nehme man den Gegenstand nicht mit nach Hause. Die Gattin pflegt ihn ärgerlich hinauszuwerfen und den unglücklichen Käufer vorwurfsvoll daran zu erinnern, daß er Familienvater sei. Ist dieser vorsichtig, so giebt er den Gegenstand dem Taxameterkutscher als Trinkgeld und verschweigt seiner Gattin, daß er den Bazar besucht habe.
Man bestimme vor dem Bazarbesuch genau eine größere Summe, die man verausgaben will, damit man nachher bestimmen kann, wieviel mehr man losgeworden ist.Man nehme von den Verkäuferinnen keinen Kredit, denn sie geben keinen.
Giebt man für einen Gegenstand aus dem Fünfzigpfennigladen der schönen Verkäuferin eine Mark und sie sagt: »Danke bestens,« so heißt dies: »Mein Herr, das ist sehr lumpig!« Hieraus mache man sich nichts.
Läßt man sich ein Gläschen deutschen Sekt für fünf oder zehn Mark einschenken, so kann man überzeugt sein, nicht betrogen zu werden. Es ist dann sicher kein französischer.
Rosen sind sehr teuer. Man stecke also eine ins Knopfloch, bevor man den Bazar betritt.
Wenn man in einem Bazar von den Damen sehr liebenswürdig behandelt wird, so daß man allgemein beneidet wird, so sei man Millionär, je mehrfacher, desto besser.
Bei Einkäufen und Zahlungen hat man zu wählen, ob man als Knauser oder als Potsdamer (wienerisch: Wurzen) gelten will. Das erstere ist billiger.
Ist mit dem Bazar eine Lotterie verbunden, so kaufe man Lose und verschenke sie. Man kennt ja immer den Einen und die Andere, denen man gern einen Schabernack spielt. Denn die Gewinne, welche solche Lotterie bringt, erschrecken selbst den Anspruchslosen. Es sind Ladenhüter von ehrwürdigem Aussehen, die einer längst verschwundenen Epoche der Industrie angehören und selbst nicht mehr die Kraft haben, die bescheidene Stellung eines Ladenhüters auszufüllen. Auch Abreißkalender eines verflossenen Jahres werden gewonnen, oder man gewinnt im Glücksfall einen solchen Kalender vom laufenden Jahr im Dezember, so daß man, um ihn noch ausnützen zu können, erst etwa 350 Tage abreißen muß. Allgemein gefürchtet werden auch Partituren durchgefallener Opern, welche von solchen Damen für die Verlosung gestiftet worden sind, die sich nicht sicher fühlen, daß sie sie dennoch eines Tages wieder durchspielen. Auch Bücher werden gewonnen, deren Titel lautet: »Tisch für Diabetiker«, oder »Der Klumpfuß heilbar«. Ja, ich habe sogar einen Herrn gekannt, der von einem Makartbouquet[Einer allgemeinen, aber nicht lange andauernden Beliebtheit erfreute sich der nach dem Wiener Maler Hans Makart benannte Makartstrauß aus getrockneten Gräsern, Palmwedeln und Blüten- wie Fruchtständen mancher Kompositen, die man schließlich auch noch färbte, vergoldete und versilberte.] erreicht worden ist. Er hat lange daran gelitten. Verlassen wir dies düstere Bild!