Kitabı oku: «Erinnerungen an die "68er": Damals in Dahlem», sayfa 3

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2. Vorher

Bis zum Aufblühen der Bundesrepublik waren Krieg, Besatzung, Teilung Deutschlands, das Entstehen eines neuen Status für die alte Hauptstadt Berlin sowie die Nachkriegszeit prägende Phasen in der politischen Sozialisation junger Menschen. Wer später einmal in den sechziger Jahren zu einer Universität des demokratisierten Landes gehen würde, hatte zuvor die letzten Jahre des Nazi-Reiches, das zerbombte Land, die unterschiedlichen Besatzungsmächte, den institutionellen und architektonischen Aufbau als auch wachsenden Wohlstand mit- oder nacherlebt.

Den Sechsjährigen faszinierte der expressionistische Glanz der Diktatur, stieß der Mief der Welt des Militärs ab, ängstigte die Gewalt des Krieges, begriff das Inferno seines Endes nicht und bewunderte die uniformierten ausländischen Sieger. Später erfüllte ihn eine Leistungsschau der Berliner Polizei mit lokalpatriotischem Stolz, verehrte er den Antikommunismus der westlichen Berliner Medien und Politiker. Das altmodische Gehabe einer Turnerschaft hingegen vergraulte ihn.

Die Augen über den verbrecherischen Charakter der Diktatur öffnete ihm eine Lektüre über die Vernichtungslager des Nationalsozialismus. Er fragte sich, ob dem mittlerweile allgemein angeprangerten anderen „Totalitarismus“, dem Kommunismus, ebensolches zuzutrauen wäre.

Noch Krieg
Er wäre so gerne den Hitlerjungen gefolgt

In Berlin-Spandau, gegenüber dem Straßenbahnhof marschierte in den vierziger Jahren ein Trupp der „Hitlerjugend“ (HJ)1 auf dem Bürgersteig Richtung Rathaus. Es mochten vierzehn Burschen – etwa 12-jährige – gewesen sein, die in vier Dreierreihen einen kleinen Block bildeten. Alle hatten kurze Hosen und Kniestrümpfe an, Blusen mit Schlipsen, und auf den Köpfen trugen sie Käppis. Ihre Farbe war braun: die Hosen dunkel – fast schwarz, die Blusen hell – fast weiß. Diese wurden gehalten durch „Koppel“ genannte Gürtel, an denen jeweils ein „Fahrtenmesser“ hing. Vor dem Block marschierten zwei ebenso gekleidete Jünglinge. Der eine betätigte eine Trommel, die vor seinem Bauch hing, der andere reckte eine Stange in die Höhe, an der ein Wimpel befestigt war.

Diesen Jungen entgegen kam die junge Mutter mit ihrem sechsjährigen Sohn an der Hand. Die Mutter trug ein schwarz-weiß gestreiftes Kostüm, einen Hut mit einer überdimensionierten Krempe und Handschuhe – bei der Wärme! Als er die Hitlerjungen sah, war der Kleine gleich begeistert. Die Trommel, das Fähnlein, die Uniformen und der Gleichschritt faszinierten ihn, und der Bub rief: „Da will ich auch hin!“ Doch die Mutter zog ihn weiter, vorbei an dem Trupp, und der kleine Junge schaute den marschierenden Burschen hinterher. Passanten eilten weiter ihrer Wege. Sie hatten den Vorfall offensichtlich nicht bemerkt.

Der Bub hatte gespürt, dass die Mutter nicht so wie er von den Hitlerjungen angetan war. Er schaute auf die andere Straßenseite zum zerbombten Straßenbahnhof, schmollte und fand die Mutter gemein.

Er wäre so gerne den Hitlerjungen gefolgt!

Der junge Mann ist tot

Die Straßenszene mit der HJ war bald vergessen.

Mutter und Bub waren zu Hause. Der Junge durfte noch etwas draußen spielen. Dass der Vater nicht da war, störte ihn nicht. Schließlich war der ja „im Feld“; das würde schon in Ordnung sein. Nun nahm die Buddelkiste das Kind vollends in Anspruch. Da ertönte von überall her Sirenengeheul: „Fliegeralarm!“ Der Schreck fuhr Alt und Jung in die Glieder. Schon stiegen am Horizont im Westen dunkle Flugzeuge auf, „Bomber“, die Unheil bringen würden. Das Kind flüchtete in einen Keller des Wohnhauses. Dieser hieß „Luftschutzbunker“: Auch die Mutter und andere Hausbewohner kamen – angstgezeichnet – schnell herbei. Alle kauerten sich an die Wände des Kellerraumes und warteten.

Die Sirenen verstummten nach einer Weile. Im Keller hatte es einen gewaltigen „Rumms“ gegeben. Das Mietshaus war getroffen, aber nicht zerstört. Von der Decke rieselte Kalk. Es entstand ein kleines Chaos. Dann war alles vorüber. Der Junge hörte eine Männerstimme: „Das war eine englische Brandbombe, wohl für die Kaserne da drüben bestimmt. Die haben ihr Ziel verfehlt!“ – Eine Frauenstimme rief: „Aber der junge Mann hier in der Ecke ist tot.“

Alle verließen schweigend den Bunker, kehrten in ihre Wohnungen zurück und schlossen gut hinter sich ab: Der „Fliegeralarm“ war vorbei.

Mottenkugeln in der Kaserne

Nach dem Bombenangriff ging es in die Kaserne, wo kein Schaden entstanden war. Die „feindlichen“ Bomber hatten ihr Ziel ja verfehlt. Die Mutter hoffte vergebens, etwas über ihren „Liebsten“ im Feld zu erfahren. Doch in der Kaserne wusste niemand etwas.

Der Bub merkte, dass die in der Kaserne „Stationierten“ in ihren dicken grauen Uniformen ihn besonders herzen wollten – dachten sie dabei wohl an ihre eigenen Familien. Aber der Knabe mochte diese Umarmungen der Wehrmachtsangehörigen nicht, rochen doch deren Uniformen nach Schweiß und Mottenkugeln.

Als er und die Mutter nach Hause gingen, war das Kind froh, die Kaserne wieder verlassen zu dürfen.

Abgeholt

Tante Elly, eine Schwester des Vaters, war zu Besuch. Sie kam aus dem Bayerischen Viertel in Berlin-Schöneberg. Dort hatte die Frau aus Pommern sich einst als Dienstmädchen bei einer Direktoren-Familie verdingt. Diese „Herrschaften“ besaßen eine geräumige „Berliner Wohnung“. Tante Elly hatte eine Kammer zugewiesen bekommen. Die Gemahlin des „Herrn Direktors“ wurde von der Bediensteten mit „Gnädige Frau“ angesprochen. Die „Gnädige“ sagte zu ihr „Fräulein Elly“, obwohl diese schon 36 Jahre alt war.

Mutter, Tante Elly und Sohn saßen in der Küche. Da flüsterte die Tante plötzlich: „Die Meyer über uns hat den Gashahn aufgedreht!“ Schweigen. Und: „Die Schulzen von nebenan haben sie gestern früh abgeholt!“

Mutter und Sohn erstarrten, wussten sie doch: Meyers und Schulzes waren Juden! Das schreckliche Wort „abgeholt“ wollte niemand gehört haben.

Doch es hatte sich in den Gehirnen festgebrannt.

Budapest

Der „Großdeutsche Rundfunk“ berichtete von der Front. Da war die Rede von Budapest. Darum – („Ist das eine Stadt, ein Land oder was?“, fragte sich der Bub.) – tobte offensichtlich eine Schlacht, die laut Radio natürlich die Wehrmacht gewann. Der Junge aber fand, so müsse man das nicht ausdrücken: „Pest“ war nämlich ein schlimmes Wort in jener Zeit.

Der Krieg ist verloren

In Großvaters Wohnstube in Bernau bei Berlin wurden alle Fenster verdunkelt und abgesichert. Dann stellte der Opa den „Londoner Rundfunk“ an und sprach ganz leise. Wie der „Großdeutsche Rundfunk“ war auch der „Londoner“ zu 100 Prozent politisch. Nur berichtete London vom Rückzug der Wehrmacht und nicht vom Vormarsch. Großvater schaltete auf Heimatsender um, sprach wieder lauter, öffnete die Fenster und sprach währenddessen: „Der Krieg ist verloren!“ Er ging in die Küche, wo sein TBC-kranker2 Sohn auf einer Liege darbte und teilte ihm das mit.

Großvater hatte Recht: Der Krieg ging verloren. Dann starb sein Sohn, denn das eigentlich schon bekannte Mittel gegen seine Krankheit wurde Deutschen nicht zur Verfügung gestellt.

Alle tot

Tage später kamen Mutter und Sohn in die Adamstraße in Berlin-Spandau, normalerweise eine Einkaufsstraße. Aber nun hatte es wieder einen Bombenangriff gegeben – wesentlich heftiger als die vorigen. Die Häuserzeilen rechts und links der Straße waren zerstört worden; Feuer und Rauch zündelten aus den Ruinen. Es stank. Überall lagen Männer im grauen Tuch – alle tot. Neben ihnen lagen Pferde mit aufgerissenen Augen.

„Was ist mit den Pferden? Warum haben sie die Augen auf? Ich denk', die sind tot?“

„Alle sind tot, die Soldaten auch. – Komm!“

Diesmal hatte der „Feind“ sein Ziel nicht verfehlt. Alles war tot und zerstört. Der Junge jedoch wuchs in diesem Inferno heran und dachte, dass alles so sein müsse, denn es waren schließlich die „Erwachsenen“, die handelten.

Panzersperren3

Die „Rote Armee“ der Sowjetunion wollte Berlin erobern. Um sie daran zu hindern, errichteten die „Verteidiger“ auf den Hauptstraßen der Stadt Erdwälle, quer zum Fahrbahnverlauf. Diese nannten sie „Panzersperren“. Doch die Panzer der Sowjets fuhren durch diese Wälle einfach hindurch.

Jetzt waren sie da, die Eroberer! Die Älteren unter den Geschlagenen wussten Schauriges über Raub, Gewalt und Vergewaltigungen durch die Sieger zu berichten.

Auf den Straßen herrschte Apokalypse: Oberleitungen der Straßenbahnen waren herabgefallen. Die gelben Waggons der einstigen „Elektrischen“ standen leer und funktionslos herum.

Der Sechsjährige erkannte allmählich, dass hier Ungewöhnliches vor sich ging. Das musste die „Befreiung“ sein, von der jetzt so viele redeten.

Nachkriegszeit
Du Straße fegen

„Berlin ist ja so groß!“, lautete ein Gassenhauer Otto Reutters. Mutter und Sohn verifizierten das, nachdem 1945 die Rote Armee – „die Russen“ – Berlin und sein Umland eingenommen hatten. Sie machten sich – zu Fuß! – auf den Weg in das nördlich von Berlin gelegene Bernau, wo die Großeltern lebten. Die Entfernung betrug mehr als 30 km.

Dabei mussten die beiden das Brandenburger Tor passieren. Da kam ein „russischer“ Soldat auf die Mutter zu: „O Schreck!“. Er hielt einen Reisigbesen in der Hand und befahl der Mutter: „Du Straße fegen!“

Die Gattin eines besiegten Wehrmachts-Soldaten nahm den Besen, fegte auf der weltberühmten Straße „Unter den Linden“, bis der Sowjetsoldat befand, es sei genug. Sie und ihr Sohn durften weiterwandern.

Es waren Polen

Endlich nach einem langen Fußmarsch in Bernau angekommen, hatten sie die zerbombten Bezirke Spandau, Charlottenburg, Tiergarten, Mitte und Pankow hinter sich gelassen. Da kam ihnen ein Trupp Besatzungssoldaten entgegen. Einer ging plötzlich direkt auf den Kleinen zu: „Oh je!“

Der Soldat beugte sich zu dem Kind hinab, griff in seine Hosentasche und holte eine kleine Tüte aus Packpapier hervor. Er lächelte den Jungen an, gab ihm die Tüte in die Hand und sagte auf Deutsch: „Bitte!“ Der Kleine schaute in die Tüte hinein: Sie war gefüllt mit Karamellbonbons.

Der Mutter fiel ein Stein vom Herzen. Und sie bemerkte: Diese Soldaten waren Polen.

Das gibt’s nur einmal

Später fuhr die S-Bahn wieder in den Vorort Bernau. Dort war wie eh und je Endstation. Der Bahnsteig lag oberhalb der Straßenebene. Alle Passagiere mussten eine Treppe hinuntersteigen, an deren Ende rechts und links je ein Schalterhäuschen war, so dass die Menschen wie durch einen Trichter in die Stadt gingen. Doch bevor ihnen das genehmigt wurde, mussten sie sich einer Kontrolle unterziehen – jeder einzelne! Das dauerte, und die Treppe darüber blieb überfüllt mit all den Wartenden.

Da stimmte einer den Schlager von Lilian Harvey an:

„Das gibt’s nur einmal, das kommt nicht wieder. Das ist zu schön, um wahr zu sein!“

Schon war eine barsche Stimme zu hören: „Wer war das? – Wer war das?“

Keiner meldete sich! Der mitgereiste Junge fand das nicht in Ordnung: Wenn ein Erwachsener Meldung fordert, müsse man reagieren, meinte er.

Da sitzt Du nun, Du Herrenmensch!

Die Großeltern besaßen ein Siedlungshäuschen. Ein Garten war auch dabei. Unmittelbar nach 1945 lieferte dieser manche Mahlzeit. Denn die Alten züchteten verschiedene Gemüse: Stangenbohnen, Gurken, Kohl-, Mohrrüben usw. Auch ein kleiner Kartoffelacker war da. Als besondere Köstlichkeiten galten Obstfrüchte: Johannis- und Stachelbeeren, Süßkirschen, Äpfel und Birnen reiften heran. Kleinvieh wurde ebenfalls gehalten – eine Ziege, Kaninchen und Hühner. Viele Produkte dieser „Minilandwirtschaft“ bewahrte die Großmutter eingeweckt im Keller auf. Das waren die Vorräte für den Winter.

Wenn der mittlerweile aus dem Krieg heimgekehrte Schwiegersohn aus dem „Westen“ – aus Berlin-Spandau – zu Besuch kam, schenkte der Großvater ihm selbstgefertigten Obstwein ein. Der wurde im Keller in großen Glasbehältern mit roten Gummistöpseln drauf aufbewahrt.

Im Übrigen diente der Keller als Aufbewahrungsort für mancherlei unbrauchbar Gewordenes.

Da geschah es: Im Keller wurde eingebrochen! Ein Teil der Vorräte und manches Aufbewahrte wurden gestohlen. Den Großeltern war sofort klar: Die Einbrecher waren russische Soldaten aus der nahegelegenen Kaserne.

Großvater war deprimiert. Aber die Großmutter wurde aktiv: „Da sitzt Du nun, Du Herrenmensch!“ Sie eilte – angetan mit Hut, Mantel und Handtasche – zur Kaserne und meldete den Vorfall. Daraufhin mussten sich alle verdächtigen Soldaten in einer Reihe aufstellen, und jeder hatte sein Hab und Gut in einem Bettlaken vor sich zu bündeln. Sodann erschienen zwei Offiziere, und einer befahl einem nach dem anderen Soldaten: „Aufmachen!“

So fanden sie das Diebesgut bei zwei Soldaten – „Muschiks“. Einer der Offiziere hob aus einem geöffneten Laken eine vergoldete Tanzsandale hervor, hob sie in die Höhe und sprach bewundernd: „Mutterr! Goldene Schuhe!“

Die Diebe aber wurden abgeführt – wer weiß, wohin?

Der Bub hatte all das beobachtet. Ihm ging es durch den Kopf: „Das waren also Russen!“

Neues Deutschland

Wieder ging es mit der S-Bahn nach Bernau. Endlich im Siedlerhäuschen der Großeltern angekommen, berichtete die Großmutter Grässliches über die Besatzer, diese „Russen“. Sie seinen ungebildet, grausam und könnten noch nicht einmal richtig Deutsch. „Diese Russen“ würden deutschen Frauen vergewaltigen und ihnen die „Brüste abschneiden“.

Der Großvater, ein ehemaliges USPD-Mitglied4 schob alles auf die politische Ebene: „Der Amerikaner hätte mit uns gleich weitermarschieren sollen – bis nach Moskau. Da wäre heute einiges anders!“

Bei der Rückfahrt mit der S-Bahn las dort einer das „Neue Deutschland“. Der Junge sah das und fragte die Mutter: „Was ist das ‚neue‘ Deutschland?“ Die schwieg verängstigt.

Doch ein Mitreisender zeigte mit einem Finger auf einen im Gang stehenden Sowjetsoldaten:

„Aha!“

Ordnung kehrte ein

Irgendwie flimmerte das Bild immer wieder auf: Die „Russen“, die Sowjetunion und der Kommunismus waren schlecht, die „Westalliierten“ – Amerikaner, Briten und Franzosen, also die USA, Großbritannien und Frankreich – somit die „freie Welt“ – waren besser. Die Spandauer freuten sich, dass „Russen“ bei ihnen abzogen und Briten kamen. Spandau gehörte von nun an zum „Westsektor“ Berlins. Engländer waren die neuen Herren. Diese wurden von den Deutschen „Tommies“ genannt. Sie warfen Apfelsinenschalen und bunte Zigarettenschachteln auf die Erde, und Kaugummis hatten sie auch.

Für den Jungen waren das unbekannte Kulturgüter.

Nach und nach wurde Ordnung geschaffen. Frauen in Schürzen und mit Kopftüchern stapelten die in den Ruinen herumliegenden Ziegelsteine. Die Oberleitungen der Straßenbahnen wurden wieder gespannt. Autos mit Holzöfen tuckelten immer öfter durch die Stadt. Händler klatschten Salzheringe aus Holzfässern in Zeitungspapier und überreichten sie den „Schlange stehenden“ Hausfrauen. Gemüsehändler verkauften Kartoffeln mit Hilfe von Holzschaufeln. Durch die Häuserblocks zogen Personen mit Handwagen und boten „Brennholz für Kartoffelschalen“ zum Tausch an. Dazu bimmelten sie mit Handglocken, wie einst „Bimmelbolle“ für seine Milch geworben hatte.

Kinder verlegten ihre Spiele nach und nach aus den Ruinen heraus und von den Straßen hinfort auf die gepflasterten Gehwege, die „Bürgersteige“ genannt wurden. Manche erschienen sogar per Fahrrad und prahlten, dies sei noch aus dem „Frieden“ und daher gut.

Die Wohnungsgesellschaften hatten Buddelkästen anlegen lassen. Darin saßen die Kleinen und formten Kuchen, Brücken oder Häuser aus Sand. Um zwölf Uhr öffneten die Mütter die Fenster ihrer Mietwohnungen und riefen: „Reinkommen! Mittagsessen!“, und um sechs Uhr abends tönte es: „Feierabend! Abendessen und dann ab ins Bett!“

Der Vater

Der nunmehrige Schüler konzentrierte sich auf seine mit Kreide auf den Bürgersteig gemalte „Hopse“. Da fiel der Schatten eines Mannes auf ihn. Der Mann trug eine ehemalige – nunmehr abgewrackte und der Rangabzeichen beraubte – graue Uniform, hatte einen aus Aluminium gefertigten Essnapf am Gürtel dabei und sagte: „Peter!“ Der erkannte den pommerschen Tonfall sofort, und es schoss ihm in den Kopf: „Der Vater!“

Der Vater war wieder da!

Aus Neapel sei er gekommen, sagte die Mutter, und zwar im Eisenbahntransport über Magdeburg und Brandenburg. – Neapel, Magdeburg, Brandenburg: Für den Erstklässler waren das Böhmische Dörfer. Er ahnte, dass nun, wo der Vater wieder da war, neue Zeiten beginnen würden.5

Ihr Völker der Welt

Immer tiefer spaltete sich die Stadt Berlin. West-Berlin wurde zur „Insel der Freiheit“, Ost-Berlin zur „Hauptstadt der DDR“. Die Berliner fanden den Westen hell, den Osten dunkel. Vom 24. Juni 1948 bis 12. Mai 1949 blockierte „der Osten“ die Westsektoren Berlins und schuf damit ungewollt West-Identitäten.

Der RIAS6 wurde zur Institution und schmiedete den Westen zusammen. Das Kabarett „Die Insulaner“ verspottete über seine Wellen den „Osten“ gnadenlos. Sendungen wie „Mach mit“, „Dalli, dalli“, „Das ideale Brautpaar“ oder „Schlager der Woche“ wurden regelmäßig ausgestrahlt und in ganz Deutschland mit Inbrunst gehört. Selbst die Kindersendung „Onkel Tobias vom RIAS“ war ein Knaller und wurde von den Kleinen leidenschaftlich rezipiert. Regelmäßig gingen Geburtstagsgrüße über den Äther, die stets mit den Worten endeten: „Besser essen, besser essen!“ Das konnte man sich schon wieder leisten, aber über die „DDR“ – „Zone“ genannt – berichteten „Die Insulaner“:

„Die Leute, die hier wohnen

im Dorf und in der Stadt,

die brauchen nicht zu hungern,

die haben’s alle satt.“

Der Regierende Bürgermeister von West-Berlin wurde zur Institution. Er löste den gesamtberliner „Oberbürgermeister“ (OB) ab, residierte im Rathaus Schöneberg im Westen der Stadt und hatte den früheren Dienstsitz im Roten Rathaus in Berlin-Mitte verlassen. Nach deutschem Recht war er nicht nur Bürgermeister, sondern auch Ministerpräsident eines Landes der Bundesrepublik Deutschland. Die westlichen Besatzungsmächte teilten diese deutsche Rechtsauffassung nicht und hielten am Viermächtestatus für ganz Berlin fest: kompliziert.

Der „Regierende“ persönlich war überaus populär. Er hieß Erst Reuter und hatte eine eigene Sendereihe: „Wo uns der Schuh drückt“. Ernst Reuter war es, der am 9. September 1948 vor 300.000 versammelten Berlinern appellierte: „Ihr Völker der Welt, schaut auf diese Stadt!“

Kriminalpolizei

Der Vater suchte und fand wieder Arbeit. Am Ende ging er erneut zur Polizei. Anfangen musste er als Streifenpolizist. Dann ging er zur Polizeischule und lernte fleißig. Schließlich kam er zur Kriminalpolizei – „Kripo“ genannt.

Also: Fort mit der Uniform und hinein ins Büro!

Drei Utensilien in dieser Zeit waren beeindruckend für den Junior: Die – abends zu Hause an der Garderobe abgelegte Pistole („Das Magazin ist raus.“), der Dietrich („Damit kann ich jedes Schloss öffnen.“) und die Polizeimarke aus Messing (Aufschrift nebst Berliner Bären: „Kriminalpolizei“).

Der Job bei der Polizei hatte manche Vorteile. So waren öffentliche Veranstaltungen zu schützen, und zu diesem Zwecke „musste“ der Vater mit einer Begleitperson – der Mutter – beispielsweise Kinoveranstaltungen besuchen. Da sah er sich in den Diensten der Sicherheit umsonst alle hereinkommenden Filme an. Niemals übrigens kam es während der Vorstellungen zu Vorfällen.

Sehr viel später hatte der Kriminalbeamte den amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy zu bewachen, als der 1961 nach dem Mauerbau in West-Berlin weilte. Als Dank überreichte ihm der Präsident eine aus Messing gefertigte Krawattennadel in Form eines U-Bootes. Der ehemalige U-Boot-Kommandant ließ grüßen.

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23 aralık 2023
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150 s. 1 illüstrasyon
ISBN:
9783838276052
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