Kitabı oku: «Gretge. „mit Hexen verwandt, als Hexe verbrannt“», sayfa 2
Auf dem Altar standen zwei eiserne Kerzenleuchter mit großen gelbweißen Weihnachtskerzen, deren Flammen ein warmes Licht über dem gesamten Gebetstisch verbreiteten. Die Leuchter hatte der alte Scheeßeler Schmied Johann Alvers gefertigt. Eine Orgel gab es in dieser Kirche nicht.
Die Kirchengemeinde war nach der Weihnachtspredigt in der Kirche geblieben. Sie saß auf den hölzernen Bänken mit den Brettern zum Knien, die, wie auch der Beichtstuhl, gleich rechts neben dem Haupteingang, noch aus katholischer Zeit stammten. Alle warteten neugierig auf die neuen Erdenbürger.
Zur Weihnachtszeit waren überall in der Kirche Kerzen aufgestellt. Sie leuchteten den Raum in einer anmutenden Art aus, die nicht nur Kinderaugen zum Staunen brachte. Nun warteten alle gespannt auf die Täuflinge. Der Küster geleitete die Paten, die die Kinder im Arm trugen, in die Kirche und führte sie zum am Altar stehenden Taufbecken.
Das hölzerne Taufbecken war reichlich mit Einlagen und Ornamenten aus Metall verziert, sowie mit einer versilberten Eisenschale versehen, welche das gesegnete Taufwasser enthielt. Den Beckenrand zierte die Inschrift: „Lasset die Kinderlein zu mir kommen denn solcher ist das Reich Gottes.“
VIII
Die alte Margarethe war sehr stolz und aufgeregt, würde doch ihre Enkelin im nächsten Moment auf ihren Namen getauft werden. Die anderen Paten standen um das Becken versammelt. Gretge sah in dem Taufkleidchen, auch wenn es nur geliehen war, für die Anwesenden himmlisch aus. Zuvor war der Knabe getauft worden, welcher am gleichen Tag wie Gretge geboren wurde. Nun war Gretge an der Reihe. Sie lächelte die umstehenden Menschen an, als sie die Taufe empfing. Beide Kinder waren während der Zeremonie ruhig geblieben und alle lobten, wie brav sie doch schon seien.
Anschließend gingen die Menschen ins Freie, aber dort war es noch kälter als in dem ungeheizten Gemäuer. Da sich die Leute aber bewegten, kam es ihnen nicht so vor. Sie gingen traditionell noch zu den Gräbern ihrer Lieben, die auf dem Kirchhof bestattet waren.
Die alte Margarethe ging mit der kleinen Margarethe, die sie warm eingepackt hatte, zu den Gräbern ihrer Eltern und Großeltern und zeigte ihnen symbolisch das neue Familienmitglied. „Kieck Modder un Vadder, de Deern heet ok Gretge as du Modder, und dien Modder.“ Dann fasste Tietke sie liebevoll am Arm. Die Tränen in den Augen seiner Frau hatte er wohl bemerkt. Er führte sie zum Wagen, in dem schon die anderen saßen. Sie fuhren langsam, denn sie hatten sich eine Menge zu erzählen und brauchten fast eine volle Stunde, bis sie zuhause ange-kommen waren.
Auf dem Kirchplatz zerstreute sich die Gemeinde. Die meisten fuhren oder gingen nach Hause, wenige kehrten noch in den Amtskrug ein. Der Amtskrug und die wenigen Kirchenkötnerstellen, wie die des Schmiedes Christoph Wohlberg sowie des Krämers Johann Bellmann waren rund um die Kirche platziert.
Die kleine Tauffeier für Gretge fand im Haus in Westeresch statt. Anne und der Jungknecht Peter Indorf hatten das Feuer geschürt, um das Flett recht warm werden zu lassen. Die Tiere waren versorgt, das Mahl vorbereitet. Dabei hatte eine Nachbarin, die alte Sophia, geholfen. Sie war auf dem rechten Bein ein wenig lahm, nachdem sie vor etlichen Jahren durch die Bodenluke gefallen war. Glücklicherweise hatte sie sich dabei nicht das Genick gebrochen wie viele andere vor ihr.
Es war ein bescheidenes, aber gemütliches Fest, an dem außer der Familie nur noch der Nachbar Henrich Ratchen mit seiner Frau Sophia und Hibbel, die Bademutter, teilnahmen. Die alte Hibbel aus Westerholz konnte aber nicht lange bleiben, denn während der Feier wurde sie zu einer weiteren Geburt gerufen. Sie schnackte noch kurz mit der alten Margarethe, nahm das Taufkleidchen wieder an sich und ging nach draußen, wo schon der alte Großknecht Lewerenz mit dem Wagen auf sie wartete.
Lewerenz war als Tietke Meinkens jüngster Bruder Claus` Onkel. Er war ledig als Knecht beim Bruder auf dem Hof geblieben, hatte so sein Auskommen und war nun der Großknecht seines Neffen.
Der Nachbar war mit seiner Familie der Einzige, mit dem Gretges Familie im Dorf noch Kontakt hatte. Der alte Bauer war ein guter Freund ihres Großvaters, aber davon wusste das eben getaufte Mädchen noch nichts. Sie spürte aber dessen herzliche Ausstrahlung und sein freundliches Wesen. So wuchs Gretge geborgen im Kreise der Familie auf. Sie war nun schon zwei Jahre alt. Viele neugeborene Kinder hatten den letzten sehr langen und harten Winter nicht überlebt, auch nicht der Junge, der am gleichen Tag wie Gretge geboren und getauft wurde. Ihre Eltern und Großeltern waren froh und zufrieden, was das Kind betraf. Sie gedieh prächtig, lachte viel und strahlte, wo immer man sie sah.
Es war wieder einmal Weihnachten und der lange grausame Krieg war nun vorbei, so erzählte man es sich überall. Die Menschen in den ausgebluteten und durch die kaiserlichen Truppen geschundenen Dörfern schöpften Hoffnung. Dennoch trauten sie dem Frieden nicht. Auch die schwedischen Truppen hatten ihre Spuren durch Ein-quartierungen und erhöhte Abgaben, durch Plünder-ungen, Diebstahl und vielerlei anderen Ärger hinterlassen. Die jungen Soldaten stiegen den Mädchen in den Dörfern nach und machten ihnen schöne Augen, was die Jungs und Männer aus den Dörfern gar nicht lustig fanden. Es gab viel Streit und Zank, auch untereinander.
Im Hause Meinken gingen alle ihrer Arbeit nach, waren fleißig und dennoch verhallten die Gerüchte über die Zauberkunst von Mettes Mutter und Großmutter nicht.
Das lastete schwer auf Mettes Mann Claus, der ja hier im Dorf geboren und aufgewachsen war. Sein Vater sagte ihm immer wieder, dass es den Menschen schlecht ging und sie stets einen Sündenbock für die eigene Misere suchten. Die Worte des Vaters brachten Claus dennoch keinen Trost. Beim morgendlichen Dreschen in der Tenne spielte sich seit Urgedenken das gleiche Zeremoniell ab, und Claus konnte hier richtig Dampf ablassen.
Er stand mit seinem Groß- und seinem Jungknecht mit dem Dreschflegel um den Haufen Getreide, welches sie selbst droschen und die Frauen später mit der Hand zu Mehl mahlten, weil es ihnen beim Müller zu teuer war.
Als der älteste der Drescher begann er die Arbeit mit folgendem Morgenspruch, den er vom Vater, der ihn von seinem Vater und das über die Generationen zurück erlernt und übernommen hatte:
„Duk unner, duk unner
de Welt is di gram
du kannst nich mehr leben
du musst dar man dran!“
Dabei wurde ein bitterernstes Gesicht gemacht und jeder schaute sich um, ob auch alle Türen im Hause geschlossen waren und kein Mithörer in der Nähe war.
Sie wussten nicht mehr, warum sie es so machten, aber es war genauso überliefert und was alle wussten, der Pastor durfte es auf keinen Fall wissen.
Alles machte einen unheimlichen Eindruck, zumal wohl kaum jemand den tieferen Sinn dieser Übung verstand.
Danach sagten sie den nächsten Vers auf und nach jedem wiederholte sich das ungewöhnliche Verhalten, welches auch auf den Nachbarhöfen in gleicher Weise geschah.
„Duk unner, duk unner
de Noord is noch free
dor kämpfen wi witer
to Lann un to See”
„Denn wor di eisk Korl
du Sachsenslachter
denn wer wi di kiddeln
von vörn un von achter.“
„Von Noorden un Süden
von West und Noorosten
un skullt us denn sölben
dat Leben ok kosten.“
„Allvoader ward helpen
dat use Sachsen ward free
dat free blieft de Norden
un free blieft de See.“
„Dat der Norden free blieft
un us Volk an Leben
wo kunn wie för Gröters
user Leben hingeben.“
„Un blieft wi in See
denn is dat ok good
denn finnen wi jo doch noch
een artigen Dod.“
Den Dreschflegel trieb Claus bei jeder Zeile mit einer Wucht in das Getreide, die einem Mann den Schädel spalten konnte.
Langsam ging der Winter vorbei und es wurde wieder Frühling. Die schwere und dunkle Zeit des Winters schwand mit jedem Tag ein wenig mehr und damit die drückende Last der kalten Jahreszeit. Endlich konnte er wieder auf die Felder, einfach nur raus aus der Enge des Dorfes und des Hauses.
IX
An einem sonnigen Frühlingstag, es war schon recht warm und die ersten Blumen waren schon längst im Garten bunt anzusehen, da spielte Gretge mit einem niedlichen Kätzchen vor der kleinen Seitentür. Über der Tür stand am Querbalken mit Stecheisen eingearbeitet „arbeite und bete“ sowie die Jahreszahl Ao 1322.
Plötzlich rannte das Vieh schnurstracks in das Haus des gegenüberliegenden und von den Eltern ungeliebten Nachbarn. Gretge gefiel das gar nicht, denn sie wollte mit dem kleinen Miezekätzchen spielen. Sie stand auf und lief hinterher und verschwand im Hause des Nachbarn. Dass es ihr verboten war, hatte sie vergessen, denn ihr Spielzeug war weg.
Mette hat das Verschwinden ihrer kleinen Tochter, als sie Holz von draußen hereinholen wollte, nicht gleich bemerkt. Die Stille auf dem Hof wurde plötzlich durch Geschrei im Nachbarhaus unterbrochen. Mette horchte auf und schaute hinüber zum anderen Hof, denn sie kannte die Stimme.
Dann sah sie ihre kleine Gretge weinend aus dem Haus laufen. Sie rannte direkt in die Arme ihrer Mutter. Die Tür des Nachbarhauses schloss sich, aber niemand war zu sehen.
Sie nahm ihre Tochter mit ins Haus und bemerkte erst hier, dass das Kleidchen von Gretge zerrissen war und sie an Armen und Brust blaue Flecken hatte. Gretge weinte noch immer und Mette nahm sie auf den Arm und tröstete sie.
Sie holte ihr ein anderes Kleidchen und zog es dem Kind an. Die beiden waren alleine im Hause, und Mette war froh darüber. Die Schwiegereltern und ihr Mann waren mit dem Knecht zur Schwester von Claus gefahren, um dort einen Geburtstag zu feiern.
Da Mette erst vor wenigen Wochen einem kleinen Knaben das Leben geschenkt hatte, konnte sie noch nicht mit. So blieb sie mit den beiden Kindern alleine im Haus zurück. Sie drückte Gretge fest an sich und strich ihr mit der Hand tröstend über das Haar. Dabei fragte sie sich, was im Nachbarhaus wohl vorgefallen war. Sie überlegte, ob sie es ihrem Mann nach dessen Rückkehr erzählen sollte. Sie traute sich aber nicht. Sie hatte Angst, dass die alten Geschichten von ihrer Mutter und Großmutter wieder auf den Tisch kamen. Sie litt sehr darunter und beschloss zu schweigen. So in sich versunken, liefen ihr Tränen über die Wangen.
Gretge bläute sie ein, es niemanden zu sagen. Dann machte sie ihrer Tochter, wie sie es von der Mutter gelernt hatte, aus Kräutern Umschläge, damit die blauen Flecken schneller verschwänden und das Mädchen bald keine Schmerzen mehr haben würde. Sie nähte schnell das zerrissene Kleidchen wieder zusammen, damit es niemand bemerkte.
Zwischendrin schaute sie nach dem kleinen Sohn, der nach dem Schwiegervater Tietke getauft worden war. Er schlief fest in seinem kleinen Bettchen, in dem schon Gretge als Säugling gelegen hatte. Es war so alt, dass Mette dachte, schon ihr Claus könnte darin gelegen haben.
Von diesem Tag an war dass allen bekannte fröhliche und unbeschwerte Lächeln von Gretges Gesicht für Jahre ver-schwunden.
Am Abend kam die Familie zurück. Gretge und Tietke hatte sie schon schlafen gelegt. Sie spann den Faden und saß am Feuer, als Claus eintrat. Er fragte, ob es ihr gut ginge und sie erzählte ihm, dass sie ihr Tagwerk geschafft habe und die Kinder schon zur Nacht gebettet seien.
Nachdem alle wieder im Hause waren, aßen sie zu Abend und gingen alsbald selbst zur Nachtruhe. Mit Kerzen und Holz musste man sparsam sein. Außerdem mussten alle am nächsten Morgen wieder früh raus auf die Felder.
X
Mette konnte mit keinem Menschen im Dorf, auch nicht mit ihrem Mann Claus über ihre Sorgen reden. Deswegen besuchte sie ab und an ihre Schwester in Bülste oder ihren Bruder in Höperhöfen. Mit den beiden konnte sie sich aussprechen und ausweinen. Bei den Besuchen nahm sie Gretge stets mit, denn sie fürchtete, das Mädchen könnte doch noch über den Vorfall reden. Auf Gretges Brüderchen passte dann die alte Margarethe auf. Sie war zu den Kindern sehr lieb, und auch Mette hatte in ihr eine gute Schwiegermutter, auch wenn es am Anfang sehr schwer war, es ihr recht zu machen.
So ging Mette auch an diesem Morgen zu Fuß los. Sie würde bis Mittag bei der Schwester sein. Da das Gespann auf dem Hof benötigt wurde, wollte sie sich nicht fahren lassen. Sie fühlte sich dann auch frei, konnte die Vögel beobachten und Heilkräuter sammeln. Die Stellen – an denen sie wuchsen - kannte sie gut. Das hätte sie mit dem Wagen, den der Großknecht fuhr, nicht gekonnt.
So schlenderte sie auf den Wegen und Pfaden alleine um-her. Ein Weg führte sie durch das Hochmoor, wo kein Pferd und kein Wagen hätten fahren können, wo es aber die richtigen Kräuter gab. Dieser Weg war den Menschen in der Gegend wohl bekannt.
Viele hatten sich durch das Hochmoor einst vor den kaiserlichen Truppen versteckt und damit gerettet. Ihr Bruder Harm selbst hatte sich mit seiner Familie hier versteckt und war unbeschadet auf seinen Hof zurück-gekommen, den er geplündert vorfand, aber nicht abge-brannt.
Auf der halben Wegstrecke und nachdem sie das Hochmoor hinter sich gelassen hatte, kam sie an einem Stein vorbei, der die Grenze der beiden Ämter Ottersberg und Rotenburg markierte. Er stellte aber auch die Grenze zwischen zwei Bistümern dar, denn Rotenburg gehörte zum Bistum Verden, welches nach dem großen Krieg von den Schweden kassiert und zum Herzogtum umbenannt wurde, während Ottersberg zum Erzbistum Bremen gehörte, welches ebenfalls zum Herzogtum wurde. Das war alles große Politik, wovon Mette aber nichts wissen wollte.
Sie traf an diesem Morgen nur wenige Menschen. Gretge, die Mette mehr tragen musste, als ihr lieb war, begleitete sie. Sie zeigte ihrer Tochter die Natur, erklärte ihr dabei Bäume, Sträucher und Kräuter sowie deren Nutzen und Wirken. Gegen Mittag sah sie schon das Dorf ihrer Schwester Tipke, deren Hof gleich am Ortsrand lag.
Es war ein ganzer ungeteilter Hof, wie der ihres Mannes. Das Fachwerk war sehr alt, das Dach strohgedeckt und die Giebelzier anders als in Westeresch, indem die Pferdeköpfe nach außen und nicht nach innen schauten. Die Menschen erzählten sich, dass es eine Tradition aus alten Zeiten war, dass verschiedene Stämme durch bestimmte Zeichen an den Giebelzierden zu erkennen waren.
Zwar wusste niemand mehr, welcher Stamm die Pferdeköpfe nach außen und welche sie nach innen trug. Gewiss war man sich aber darin, dass sie friedlich neben-einander gelebt haben mussten, denn die Nachbardörfer hatten schon mal eine andere Zier.
Es gab auch Dörfer, die hatten gar keine Pferdeköpfe, nicht einmal Windfedern.
Der Hof war von alten Eichen, die teilweise mehr als 250 Jahre alt waren, umgeben. Der Hofplatz war mit einer Steinmauer umrahmt, wobei die Steine lose aufeinander einen halben Meter hoch gelegt waren.
Der Hof hatte ein großes Vierfachständerhaus, wie es im Land überall zu finden war. Es gab noch ein kleines Backhaus, in dem wöchentlich einmal Brot gebacken wurde, wie auch ein Schauer, in dem die Fuhrwerke untergestellt waren. Ihr Schwager hatte zwei gute Acker-pferde, zehn Milchkühe und einen Ochsen. Die Hühner liefen frei auf dem mit Kopfsteinpflaster ausgelegten Hofplatz herum.
Eine Scheune und ein Häuslingshaus standen unweit vom Haupthaus entfernt. Beim letzten Mal hatte die Sau sieben Ferkel geworfen, und Mette hatte eines als Geschenk mit nach Hause gebracht.
Die Nachbarn waren neidisch, was Mette an deren Bemerkungen deutlich spüren konnte. Dennoch war es ihr egal, na ja, nicht so ganz, aber ein Hausschwein war schon ein kleiner Reichtum, auf den man gut aufpassen musste.
Zwischen den großen Eichen wuchsen Hestern und allerlei weitere kleine Bäumchen.
Nun waren sie fast am Hoftor angekommen, als sie ihre Schwester schon aus dem Haus kommen und winken sah.
Sie nahm Gretge auf den Arm und ging einen Schritt schneller. Vor ihr stehend, nahm die Schwester beide in den Arm und freute sich sehr über den unerwarteten Besuch. Sie bemerkte wohl, dass Mette etwas umtrieb, bat sie aber erst einmal ins Hausinnere. Sie war mit ihren vier Kindern Hans, Anne, Mette und Peter allein im Haus.
Ihr Ehemann Cord war heute zur Ableistung seiner Dienstpflichten unterwegs und würde erst am späten Abend heimkehren.
Die Schwiegereltern lebten im Häuslingshaus auf Altenteil, nahmen aber an den gemeinsamen Mahlzeiten im großen Haus am Tisch teil. Soweit es ging, halfen sie auf dem Hof oder in der Küche.
Auf dem Hof arbeitete der Knecht und hackte bei der Scheune Holz. Die beiden jungen Mägde kümmerten sich um die Kinder und das Vieh.
Mettes Schwester Tipke schlug einen kleinen Spaziergang vor, wie sie es immer taten, wenn sie sich trafen. Das Haus hatte viele Ohren und die Schwestern hatten schon immer ein sehr inniges Verhältnis zueinander gehabt. Sie gingen aus dem Haus und schlenderten über den Hof, wobei die Holzklotschen klapperten, als sei ein ganzes Fuhrwerk unterwegs. Sie hakten sich unter und verließen den Hof Richtung Bach, der einige hundert Meter entfernt am Rand einer Wiese floss.
Am Bachlauf standen etliche alte, sehr hohe Pappeln, die im Sommer viel Schatten gaben. An einer Kurve, die der Bachlauf nahm, lag ein großer Findling. Das war der Platz, den die beiden Frauen immer aufsuchten.
Sie setzten sich und Mette erzählte ihre Sorgen, was Gretge widerfahren war in allen Einzelheiten. Sie waren sich einig, dass Claus davon nie etwas erfahren dürfte, denn sie fürchteten, er würde im Hause des Nachbarn wüten oder sonst etwas Schlimmes anstellen.
Die Sorgen konnte Tipke ihrer Schwester nicht nehmen, aber es war beiden nach den stundenlangen Gesprächen stets wohler. Wer genau hinschaute, konnte erkennen, dass die beiden Zwillinge waren. Tipke war nur zweimal bei Mette im Dorf gewesen, einmal bei der Hochzeit und danach noch einmal kurze Zeit später. Die Menschen in dem Dorf waren ihr nicht geheuer. Dass man sie dort die doppelte Hexenbrut nannte, hatte sie über drei Ecken gesteckt bekommen.
Hier in ihrem Dorf, wo sie nun lebte, waren die Nachbarn anders und es grenzte sie keiner aus, kannte man doch die Geschichten und Gerüchte über die Mutter und Groß-mutter der beiden. Wer am Moor lebte, und wer sich keinen Arzt leisten konnte, war auf die Kräuterfrauen angewiesen, und die gab es zu Hauff. Sie waren allerdings sehr vorsichtig geworden, denn wer geglaubt hatte, nun, wo man nicht mehr katholisch war, würden die Strafen der Hölle die Menschen nicht mehr erreichen, wurde eines besseren belehrt.
Auch hier im Amt, wo Tipke nun lebte, wurden, seit die Großmutter um die Jahrhundertwende verstorben war, mehrere Frauen der Zauberei angeklagt und drei lebendig verbrannt.
Mette blieb über Nacht bei ihrer Schwester Tipke und ging erst am nächsten Morgen mit Gretge wieder nach Hause.
Es hatte ihr gut getan, mit der vertrauten Verwandten zu reden und intime Sorgen besprechen zu können. Sie beneidete sie ein wenig, gönnte es ihr aber von Herzen, in Cord einen guten, fleißigen Mann gefunden zu haben, der in einem Dorf lebte, wo die Welt noch in Ordnung war, jedenfalls sah es Mette so.
Gegen Mittag waren sie wieder in Westeresch ange-kommen und der kleine Tietke lachte seine Mutter mit hellen Augen strahlend an.
Claus sah diese Ausflüge mit gemischten Gefühlen, denn die Leute im Dorf redeten darüber, warum die Frau über Nacht fortblieb und was sie wohl machte. Die Vermutungen gingen so weit, dass man offen darüber sprach, die ging in den Wald zu den Waldhexen und lehrte ihre Tochter Gretge, die sie stets mitnahm, das Hexen.
Er konnte Mette weder davon abbringen, sich vom Knecht fahren und auch abholen zu lassen, noch verstehen, warum sie dann wieder unbedingt zu Fuß gehen wollte. Darüber hatten sie häufig gestritten.
Im Grunde genommen machte er sich große Sorgen um seine Frau und seine Tochter. Claus’ Mutter hingegen verstand Mette und unterstützte sie immer wieder, wes-wegen Claus stets einlenkte, denn gegen beide Frauen kam er nicht an. Eigentlich wollte er es auch gar nicht.
XI
Gretges Mutter wurde noch dreimal schwanger und gebar noch zwei lebende Töchter, aber auch noch einen toten Knaben.
Dass sich die Eltern im Laufe der Jahre immer weniger verstanden, bemerkten die Kinder kaum. Der Vater arbeitete den ganzen Tag, schob Probleme auf die schweren Zeiten, und auch die Großeltern sprachen nicht darüber. Die alte Margarethe fand auch kein Mittel, hier gütlich Einfluss zu nehmen.
Gretges Vaterbruder Peter lebte mit seiner Familie auf ihres Vaters Hof und hatte drei Kinder, Anna, Johann und Tietke. Sie spielten kaum mit ihrer Cousine Gretge. Meist heckten sie nur Dummheiten aus und neckten Gretges kleinen Bruder Tietke, der einst den Hof erben sollte. Er war ja der älteste und einzige Sohn von Claus. Dass alles anders kam, erlebte sein Großvater, der alte Tietke, nicht mehr.
So wurde Gretge älter und übernahm als älteste Tochter immer mehr Pflichten auf dem Hof. Sie musste der alten Großmutter, die immer kümmerlicher wurde, und der Mutter im Haushalt helfen, aber auch auf die kleineren Geschwister achtgeben. Mit den Nachbarkindern durfte sie nicht spielen. Das hatte ihr die Mutter verboten, und sie passte auf, dass Gretge sich an das Verbot hielt.
Gretge wuchs zu einem ansehnlichen Mädchen heran, welches lange, schön geflochtene dunkelblonde Zöpfe trug wie die meisten anderen Mädchen auch.
Am Ende waren sie mit einer blauen Schleife zusammen-gebunden. Ihre Großmutter trug einen Dutt, wie es viele ältere Frauen taten und darüber meist ein Kopftuch. Das hielt die Haare zusammen und die Ohren warm, schützte sie zugleich vor Zugluft.
Sie war sehr zurückhaltend, hatte keine Freundinnen und wurde von den Nachbarkindern häufig als „Hexenbrut“ gehänselt, wenn kein Erwachsener dabei war. Es wurde auch hinter vorgehaltener Hand über sie getuschelt und gekichert. Das schmerzte Gretge sehr. Sie sah die Mutter auch oft leise weinen, wenn der Vater und die Großeltern nicht im Hause waren. Dann ging sie zu ihr und sie nahm sie in die Arme, wie es sonst die Mutter bei ihr oder die Tante bei Gretges Mutter tat.
Gretges Familie stand vor und nach dem Kirchgang meist alleine und abseits vor der Kirche und fuhr häufig schnell wieder heim.
Mette hatte sich einst der Frau von Pastor Dornemann, wegen der Geschichte mit dem zerrissenen Kleidchen anvertraut. Sie wurde eher hinaus komplimentiert als angehört. Mette hatte auf Zuspruch und Hilfe gehofft, fand sie aber nicht. Die Pastorenfrau sprach von Missverständ-nissen und falschen Deutungen, denn das würde der beschuldigte Nachbar nie im Leben machen und strafte somit Mette Lügen.
Da von ihr kein Verständnis oder gar Hilfe zu erwarten war, sprach sie die Frau nicht mehr an. Selbst die Beichte unterließ sie, denn nun traute sie auch dem Pastor nicht mehr.
Gretge war nun in dem Alter, in die Kirchengemeinde aufgenommen zu werden und besuchte den Unterricht aller Konfirmanden. Die Unterrichtung nahmen der Pastor und der Küster, der zugleich der Schulmeister war, vor.
Auswendiglernen von Psalmen und Gebeten war hier an der Tagesordnung. Die Geschichte von Moses und Noah fand Gretge sehr interessant. In den Konfirmationsstunden wollte kaum jemand aus Gretges Dorf neben ihr sitzen. Sie würde sich später an einige von ihnen erinnern und diese der Hexerei beschuldigen.
Am Tag ihrer Konfirmation zog Gretge ein aus schwarzem Tuch gefertigtes Ehrenkleid an, wie es alle Mädchen im Kirchspiel Scheeßel trugen.
Ihre Großmutter Margarethe schenkte ihr zur Konfir-mation eine reich verzierte Brustspange, wie sie auch ihre Mutter eine hatte, die den unteren Kragen zusammenhielt, und über der Schulter ein mit feiner Stickerei verziertes weißes Tuch. Eines mit Spitzenvolant konnte sich die Familie nicht leisten. Sie sollte das Kleid weiterhin tragen, bis sie eine Braut sein würde. Dass es aber dazu nicht kommen sollte, konnte zu dieser Zeit kein Mensch ahnen.