Kitabı oku: «Beweisantragsrecht», sayfa 3

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Anmerkungen

[1]

Der Gang der Reform im Überblick ist nachzulesen bei Rüping/Jerouscheck Grundriss der Strafrechtsgeschichte, 1998, S. 80 ff. und 86 ff.; detaillierter bei Eb. Schmidt Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, 1983, §§ 284 ff., 287 ff.

[2]

Vgl. zur unterschiedlichen Rechtslage in Preußen, Sachsen und Bayern die instruktive Darstellung bei Schatz Beweisantragsrecht, S. 42 ff.; zur Rechtslage in Hessen-Nassau: Hoffmann Der unerreichbare Zeuge, S. 37 ff.

[3]

Vgl. zur Entstehungsgeschichte der gesetzlichen Regelungen: Schatz Beweisantragsrecht, S. 57 ff.

[4]

Im Gesetz zur Änderung von Vorschriften des Strafverfahrens und des GVG vom 28.6.1935, RGBl. I, 844; zu den Reformbestrebungen um die Jahrhundertwende: Schatz Beweisantragsrecht, S. 72 ff.

[5]

RGSt 1, 61.

[6]

RGSt 1, 189; weitere Nachweise aus der reichsgerichtlichen Rechtsprechung bei Schatz Beweisantragsrecht, S. 85.

[7]

Vgl. hierzu Rn. 249 ff.

[8]

RGBl. 1925 I, 475.

[9]

Im Gesetz zur Abänderung der StPO vom 27.12.1926, RGBl. 1926 I, 529.

[10]

RGBl. 1932 I, 285.

[11]

Vgl. hierzu Schatz Beweisantragsrecht, S. 102/103. Zeitgenössische Kommentare: Hellwig JW 1932, 2672; von Pestalozza JW 1932, 2675; Koffka JW 1932 1930.

[12]

RGBl. 1935 I, 844.

[13]

RGBl. 1939 I, 1658.

[14]

RGBl. 1942 I, 508.

[15]

Zur Reaktion der Rechtsprechung auf diese Gesetzesänderungen vgl. Schatz Beweisantragsrecht S. 117 ff.

[16]

BGBl. 1950 I, 455, 629.

[17]

BGBl. 1979 I, 1645.

[18]

Siehe auch Hamm NJW 1993, 289, 293.

[19]

BGBl. 1993 I, 50.

[20]

BGBl. 1994 I, 3186.

[21]

BGBl. 2017 I, 3202, 3209; hierzu: Börner JZ 2018, 232.

[22]

Vgl. hierzu Hamm StV 2018, 535.

[23]

Gesetz zur Einführung der elektronischen Akte in der Justiz und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs vom 5.7.2017, BGBl. I, S. 2208.

[24]

Hierzu Hassemer StV 1982, 275 ff.

[25]

Vgl. auch BGH Beschl. v. 14.6.2005 – 5 StR 129/05 = NJW 2005, 2466 = StV 2006, 113 m. Anm. Dahs = JR 2006, 125 m. Anm. Gössel = JZ 2005, 1010 m. Anm. Duttge und BGH Beschl. v. 23.9.2008 – 1 StR 484/08 = BGHSt 52, 355 = NJW 2009, 605 = StV2009, 64.

Teil 1 Theoretische Grundlagen › III. Die Unverzichtbarkeit des Beweisantragsrechts

III. Die Unverzichtbarkeit des Beweisantragsrechts

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Seiner Funktion nach ist das Beweisantragsrecht nicht lediglich eine menschen(rechts)freundliche Verbesserung der Interventionsrechte des Beschuldigten im Strafverfahren und auch nicht lediglich eine Ergänzung der richterlichen Aufklärungspflicht; es bezweckt nicht nur eine Konkretisierung dieser Pflicht. Es ist viel tiefer begründet; es folgt nämlich zwingend aus der menschlichen Wahrnehmungs- und Beurteilungsfähigkeit sowie aus dem verfassungsrechtlich gestützten Prinzip, dass der Beschuldigte nicht nur Objekt, sondern auch Subjekt des Verfahrens ist.

Teil 1 Theoretische Grundlagen › III. Die Unverzichtbarkeit des Beweisantragsrechts › 1. Vorurteil und Sinnerwartung

1. Vorurteil und Sinnerwartung

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Das Beweisantragsrecht ist ein Teil der Beweisaufnahme im Strafverfahren und ein Instrument der Wahrheitsfindung. In der Beweisaufnahme hat das Gericht die Tatsachen festzustellen, welche als empirische Grundlage des Urteilsspruchs benötigt werden. Hier geht es also um „Wahrheit“, um empirische Erkenntnis. Nur ein Urteil, dessen Tatsachenfeststellungen den Tatsachen entsprechen, kann auch gerecht sein. Tatsachenfeststellung ist fast immer ein komplizierter Prozess mit vielen Fehlerquellen. Das Beweisantragsrecht lässt sich verstehen als Konsequenz aus der Einsicht, dass die menschliche Fähigkeit, Tatsachen richtig zu erkennen und festzustellen, begrenzt und vielfach gestört ist.

Die modernen Wissenschaften vom Menschen, seiner Wahrnehmungs- und seiner Erkenntnisfähigkeit haben alte Einsichten der philosophischen Erkenntnistheorie ausdifferenziert, neu bestätigt und begründet. Was wir für wahr halten, ist nicht nur das Ergebnis von Erkenntnis und Wahrnehmung der Welt, sondern auch von Vorurteil und Sinnerwartung, nicht nur von Anschauung, sondern auch von Auseinandersetzung:

Teil 1 Theoretische Grundlagen › III. Die Unverzichtbarkeit des Beweisantragsrechts › 2. Konvergenzphilosophie

2. Konvergenzphilosophie

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Die Überzeugung, dass der Mensch einer Sache niemals vollständig und adäquat habhaft werden kann, gehört nicht nur zur Tradition der europäischen Philosophie. Sie durchzieht die philosophische Anthropologie aller Kulturvölker: Es fehlt nicht nur ein hinlänglicher Beweis für die Existenz einer Außenwelt, es gibt auch keine Methode, sich dieser Außenwelt verlässlich zu vergewissern. Auch gehört es zu unseren Alltagserfahrungen, dass Dinge, Gegenstände, Tatsachen für unterschiedliche Betrachter Unterschiedliches bedeuten. Was wir bei der Feststellung von Tatsachen erwarten können, ist nicht Objektivität, sondern bestenfalls Intersubjektivität.

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Auf diese Erfahrung antwortet eine lange Tradition europäischer Erkenntnistheorie mit der „Konvergenzhypothese“[1]. Sie geht davon aus, dass sich auch die empirisch wahrnehmbare Welt – um die es in der Beweisaufnahme ja geht – dem einzelnen Beobachter nur von der Seite her präsentiert, von der her er die Dinge anschaut. Folglich darf dieser Beobachter nicht hoffen, dass ihm die Anschauung der Dinge vollständig, dass sie ihm adäquat gelinge. Er ist vielmehr – will er sich der Gegenstände verlässlich vergewissern – auf die Beobachtung derselben Gegenstände durch andere zwingend angewiesen. Also wird von ihm Austausch, Kommunikation verlangt. Nicht schon von der Sicht eines einzelnen Beobachters, sondern erst von der Konvergenz der unterschiedlichen Zugänge zu einem Gegenstand darf Verlässlichkeit erwartet werden. Auch diese Verlässlichkeit ist freilich nur eine historische und relative: menschliche Erkenntnis ist immer verbesserungsbedürftig, sie kann sich ihres Gegenstands niemals vollständig, sondern nur asymptotisch vergewissern.

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Daraus folgt, dass „wahre“ Erkenntnis nicht erhofft werden kann von den Beobachtungen eines einzelnen Individuums – und seien sie auch noch so sorgfältig. Erkennen ist vielmehr ein Annäherungsprozess, an dem unterschiedliche Sichtweisen beteiligt sein müssen und der auf eine Konvergenz dieser Sichtweisen abzielt. Dabei kommt es nicht darauf an, dass die Beobachter sich untereinander konfliktfrei oder „friedfertig“ austauschen; auch im Streit kann sich Konvergenz herstellen, so lange die streitenden Beobachter sich auf die Sache beziehen. Auf diese Sicht menschlicher Erkenntnisfähigkeit kann sich zwanglos berufen, wer das Beweisantragsrecht im Strafprozess begründen will.

Teil 1 Theoretische Grundlagen › III. Die Unverzichtbarkeit des Beweisantragsrechts › 3. Konsensustheorie der Wahrheit

3. Konsensustheorie der Wahrheit

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Die „Kritische Theorie“ der Frankfurter Schule hat den Grundgedanken der Konvergenzphilosophie differenziert und weiter ausgebaut.[2] Auch diese „Konsensustheorie der Wahrheit“ vermag die Unverzichtbarkeit des Beweisantragsrechts im Strafverfahren einsichtig zu machen.

Gemeinsamer Ausgangspunkt ist, dass es Wahrheit aus bloßer Anschauung nicht geben kann, wie dies noch die frühe „Korrespondenztheorie der Wahrheit“ behauptet hatte. Dort war die Wahrheit der Erkenntnis durch die schlichte Übereinstimmung zwischen Sache und erkennendem Subjekt bestimmt worden („adaequatio rei et intellectus“); die Sichtweise der Korrespondenztheorie ist freilich zu simpel. Eine solche Übereinstimmung (und damit die Wahrheit) lässt sich nämlich nur feststellen, wenn die Sache, die „res“, außerhalb des Erkenntnisprozesses zur Verfügung steht – wie sonst sollte eine „adaequatio“, eine Übereinstimmung, erkannt werden können? Eine solche Voraussetzung ist nie erfüllbar. Es gibt kein Maß außerhalb unserer Erkenntnis, an welchem sich diese Erkenntnis als „wahr“ erweisen könnte.

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Wenn nicht in der Korrespondenz von Beobachtungsgegenstand und Beobachtung – wo sonst ist dann die Wahrheit von Erkenntnis begründet? Die Antwort der Frankfurter Schule, dass es nämlich um den Konsens der beteiligten Beobachter geht, ist eigentlich zwingend. Denn wenn es kein objektives Kriterium wahrer Erkenntnis gibt, so muss die Übereinstimmung der beteiligten Subjekte das Wahr-Zeichen sein. Oder anders gedacht: Wenn die Wahrheit nicht in den Inhalten, den Gegenständen liegt, so muss man sie im Verfahren suchen, welches sich mit diesen Gegenständen befasst.

Dass sich, nach Ansicht der Kritischen Theorie, die Wahrheit im „herrschaftsfreien Diskurs“ der Beteiligten herstellt, diskreditiert diese Theorie nicht etwa deshalb, weil es im Strafverfahren niemals „herrschaftsfrei“ zugehen könnte. Das ist zwar heute richtig und mag möglicherweise für immer richtig sein, ändert aber nichts daran, dass Wahrheit nur in einem diskursiven Vorgehen aller Beteiligten erwartet werden darf. Man kann die Verfahrensregeln der StPO, und speziell auch die des Beweisantragsrechts, durchaus verstehen als Regulierungen einer Auseinandersetzung, welche Fairness und Waffengleichheit herstellen sollen. Dass es nicht um einen „privaten“ oder freiwillig geführten Diskurs, sondern um Auseinandersetzung innerhalb einer Institution geht, ändert nichts daran, dass die Auseinandersetzung regelgeleitet sein muss. Nur wenn diese Regeln jedem Beteiligten eine faire Chance der Intervention geben, kann sich die Auseinandersetzung auf die Herstellung, anstatt auf die Unterdrückung, von Wahrheit zubewegen. Dass es am Ende nicht um „Konsens“ in einem alltäglichen Verständnis gehen kann, ist klar. Es geht vielmehr – im Strafverfahren – eher um eine regelgeleitete Verarbeitung von Dissens.

Einer der wichtigsten Bestandteile dieser Regeln ist das Beweisantragsrecht. Es ordnet die Auseinandersetzung um den richtigen Weg zur Erkenntnis von Tatsachen, die als wahr, als bestätigt, als verlässlich gelten dürfen. Es geht davon aus, dass an der Auseinandersetzung um diesen Weg kontroverse Sichtweisen beteiligt sind, und es teilt jeder dieser Sichtweisen Durchsetzungschancen zu. Es reguliert – etwa in § 244 Abs. 3–5 StPO –, welche Wege zur Feststellung von Tatsachen nicht begangen werden dürfen, und es ordnet – etwa in § 244 Abs. 6 StPO – ein Verfahren für die Verarbeitung von Dissensen an.

Teil 1 Theoretische Grundlagen › III. Die Unverzichtbarkeit des Beweisantragsrechts › 4. Wahrnehmungsphysiologie, Wahrnehmungspsychologie

4. Wahrnehmungsphysiologie, Wahrnehmungspsychologie

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Dass nicht die Inquisition eines einzelnen Beobachters, sondern die Auseinandersetzung mehrerer Beteiligter der richtige Weg zur Feststellung von Tatsachen ist, wird auch von modernen Erkenntnissen der Physiologie und Psychologie der Wahrnehmung bestätigt. Diese Erkenntnisse belegen ebenfalls, wie wenig verlässlich die Wahrnehmung des Menschen ist.

Ausgangspunkt ist die einfache Erkenntnis, dass es nicht menschenmöglich ist, sämtliche Informationen aus der Außenwelt zu verarbeiten, die im jeweiligen Zeitpunkt der Beobachtung zur Verfügung stehen. Selbst innerhalb der kleinsten Zeiteinheit, in der wir die Außenwelt wahrnehmen, steht uns eine übergroße Zahl an möglichen Informationen zur Verfügung, die wir nur der Möglichkeit nach, nicht aber in Wirklichkeit verarbeiten können: im Gerichtssaal beispielsweise Einzelheiten der Kleidung oder der Mimik aller Anwesenden, Einzelheiten des Raumes, in dem verhandelt wird, des Lichts, der Farben, Geräusche und Gerüche, unwillkürlichhe Körperreaktionen usw.

Wir sind gewohnt, den übergroßen Teil dieser Informationen als „irrelevant“ gar nicht erst in die Wahrnehmung einzubeziehen. In der Sprache der modernen systemtheoretischen Handlungslehre[3] heißt das „Reduktion von Komplexität“. Damit ist gemeint, dass jedes System – und so auch das handelnde und wahrnehmende Individuum – die Informationen aus seiner Außenwelt reduzieren muss, weil sie sonst in ihrer übergroßen Komplexität nicht verarbeitet werden könnten. Dies bedeutet zwar nicht, dass unsere Wahrnehmung „falsch“ ist; jedenfalls aber ist sie unausweichlich selektiv. Wie aber lässt sich diese Selektion sichern?

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Die Vernünftigkeit und Verlässlichkeit jeglicher Wahrheitssuche besteht in der vernünftigen und verlässlichen Unterscheidung von relevanten und bedeutungslosen Informationen aus der Außenwelt. Die Vernünftigkeit und Verlässlichkeit jeglicher Selektion von Informationen aus der Außenwelt steht und fällt ihrerseits mit der Vernünftigkeit und Verlässlichkeit des Kriteriums, mit dessen Hilfe die Auswahl vorgenommen wird. Selektion ohne Kriterien gibt es nicht – und sei es das Kriterium des Zufalls, welcher die Auswahl steuert, welcher die eine Information als relevant auswählt und die andere als bedeutungslos verwirft. Werden die falschen Informationen ausgewählt und die richtigen verworfen, so sind Chaos und Desorientierung die notwendige Folge.

Natürlich überlassen wir im Alltagsleben die Wahrnehmungsselektion nicht dem Zufall. Und wir können auch unsere Selektionskriterien nicht jeweils von Fall zu Fall neu bilden, weil wir sonst die Kontinuität und die Intersubjektivität unserer Wahrnehmung nicht herstellen könnten. Die Orientierung jedes Einzelnen im Alltag und die Verständigung unter Menschen setzen vielmehr voraus, dass die Kriterien der Selektion auf Dauer gestellt sind und dass sie – jedenfalls zu einem guten Teil – allen gemeinsam sind, die miteinander umgehen. Sehr allgemein betrachtet, folgen wir bei der Auswahl für uns relevanter Informationen einer „Erwartung“. Wir beziehen das mit in unsere Wahrnehmung ein, was wir erwarten, wir achten auf „Sinn“ oder auf „Gestalt“ und reduzieren die Komplexität unserer Umwelt hinsichtlich der Informationen, welche in unsere Sinnerwartung nicht „passen“.

Dies bedeutet nicht, dass es keine Veränderung in den Auswahlkriterien für Informationen gäbe oder dass die Selektionskriterien für alle Individuen einheitlich verbindlich wären. Es bedeutet aber, dass Veränderungsprozesse der Sichtweisen langsam vonstatten gehen und dass die Kriterien der Auswahl zu derselben Zeit und in demselben Kulturkreis in einem hohen Maße allgemein verbindlich sind. Eine Chance für „Fortschritt“ und „Vielfalt“ von Erkenntnis liegt mithin in Kommunikation und Austausch. Übertragen auf das Strafverfahren, widerspricht diese Einsicht dem Prinzip der Inquisition und der Hoffnung, die pure gerichtliche Sachaufklärung sei der Königsweg zur Wahrheit; sie schließt aus, dass es eine bestimmte Wahrheit „gebe“, die nur zu „finden“ sei.

Teil 1 Theoretische Grundlagen › III. Die Unverzichtbarkeit des Beweisantragsrechts › 5. Hermeneutik

5. Hermeneutik

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Die Lehre vom Verstehen, die Hermeneutik, hat diese Einsichten in die Selektivität unserer Erkenntnis intensiv begründet und sie – in der Variante der „juristischen Hermeneutik“ – auch in den Zusammenhang des Rechts und rechtlicher Verfahren gestellt.[4]

Es geht um Verstehen: von Texten, von Menschen, von historischen Situationen, von Prozessen. Es geht also auch um die Beweisaufnahme im Strafverfahren. Die wichtigste Botschaft der Hermeneutik hierzu ist: Es gibt kein Verstehen ohne Vor-Verständnis, kein Urteil ohne Vor-Urteil und kein Erkennen ohne Sinnerwartung.

„Vorverständnis“ und „Vor-Urteil“ sind nicht abwertend gemeint. Damit ist vielmehr zum Ausdruck gebracht, dass kein Mensch irgendetwas verstehen kann auf der tabula rasa einer je neuen und originären Zuwendung zur Sache, die verstanden werden soll. Verstehen kann er nur aufgrund der Fragen, welche er an die Sache hat, nur aufgrund der Vorverständnisse und Erwartungen, mit denen er an solche Sachen heranzugehen gewohnt ist. Solche Vor-Urteile sind durchaus auch Besonderheiten, die aus der jeweiligen individuellen Lebensgeschichte resultieren; es sind darüber hinaus im Wesentlichen aber auch die Sedimente unserer Kultur, unserer Tradition und unserer jeweiligen Schicht.

Dies ist andererseits aber auch weniger harmlos als es klingt. Wenn der Prozess des Verstehens nicht nur von der Sache geleitet wird, welche verstanden werden soll, sondern auch von Vorverständnissen, welche an diese Sache herangetragen werden und außerhalb ihrer bestehen, so kann man auf ein „reines“ oder „wahres“ Verstehen nicht hoffen. Das, was wir verstehen, ist zumindest teilweise auch das Produkt unserer Vorurteile, es ist nicht nur abgeschaut, sondern auch konstituiert.

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Als Ausweg aus diesem Dilemma empfiehlt die Hermeneutik nicht, man solle seine Vor-Urteile ablegen. Dies kann sie schon deshalb nicht empfehlen, weil sie zuvor gezeigt hat, dass es ohne Vor-Urteil ein Verstehen nicht geben kann. Es wäre aber auch naiv, dem Menschen ein Aussteigen aus seiner eigenen Geschichte und aus seiner kulturellen Tradition, seiner Welt-Sicht zu empfehlen. Derjenige, welcher von sich behauptet, er sei ohne Vor-Urteil, ist wohl dessen erstes Opfer. Der richtige Umgang mit dem Vorverständnis besteht – für das verstehende Individuum – in der Entschlossenheit, das Vorverständnis zu erkennen und transparent zu halten, sowie – für die Beteiligten am Verstehensprozess – darin, unterschiedliche Vor-Urteile zueinander in Vergleich und Konkurrenz zu setzen und ein Verfahren einzurichten, in welchem sämtliche Vorverständnisse eine faire Chance der Durchsetzung haben.

Teil 1 Theoretische Grundlagen › III. Die Unverzichtbarkeit des Beweisantragsrechts › 6. Konsequenzen

6. Konsequenzen

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Was allen diesen Einsichten in den menschlichen Erkenntnisprozess gemeinsam ist, lässt sich leicht sehen. Es ist auf der einen Seite die Relativität, Selektivität und Subjektivität menschlicher Erkenntnis, auf der anderen Seite die Empfehlung, diese Begrenzungen durch ein regelgeleitetes Verfahren zu überschreiten, in welchem jede einzelne Erkenntnis eine Chance hat, sich zur Geltung zu bringen.

Übertragen auf das Erkenntnisverfahren im Strafprozess, sprechen diese Einsichten eine deutliche Sprache. Sie erweisen ein reines Inquisitionsverfahren bzw. die alleinige Zuständigkeit des Gerichts für die Aufklärung des Sachverhalts als naiv. Sie votieren demgegenüber für einen Prozess der Wahrheitsfindung, an dem mehrere unterschiedliche Vorverständnisse und Sinnerwartungen und damit mehrere Sichtweisen des Geschehens (und sogar Interessen) gleichmäßig beteiligt sind. Es versteht sich, dass der institutionelle Diskurs des Strafverfahrens die letzte Entscheidung über den richtigen Weg der Wahrheitssuche auch institutionell zuteilen muss (vgl. § 244 Abs. 6 Satz 1 StPO). Vor dieser Entscheidung muss sich, nach dieser Betrachtungsweise, ein Prozess der Konkurrenz von Vorverständnissen regelgeleitet abgespielt haben.

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Vor diesem Hintergrund kann man das Beweisantragsrecht verstehen als den gesetzlich garantierten Versuch, Wahrnehmungsfixierungen des am Ende entscheidenden Gerichts dadurch aufzubrechen und bis zum Ende der Wahrheitssuche offen zu halten, dass konkurrierende Verständnisse in den Prozess der Wahrheitsfindung eingebracht, dass sie für die Wahrheitsfindung und ihr Ergebnis folgenreich und bedeutsam gemacht werden. Die Suche nach Wahrheit wird auf mehrere Wahrnehmende differenziert verteilt und einem transparenten Verfahren unterworfen. Das Beweisantragsrecht und seine Unentbehrlichkeit lassen sich vor diesem Hintergrund stark begründen. Es ist nicht nur eingerichtet im Interesse dessen, dem dieses Recht zusteht, sondern auch im Interesse des Beweisverfahrens, dem es auf die Feststellung der „wahren“ Tatsachen ankommt, auf die größtmögliche prozedurale Annäherung an das, was wir als die materielle Wahrheit niemals vollständig erreichen können, den Urteilen im Strafverfahren aber gleichwohl zugrunde legen müssen. Das Beweisantragsrecht ist eingerichtet im Interesse eines fairen, auf Wahrheit verpflichteten Verfahrens.

Teil 1 Theoretische Grundlagen › III. Die Unverzichtbarkeit des Beweisantragsrechts › 7. Justizförmigkeit der Wahrheitssuche

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