Kitabı oku: «Die Poesie des Biers 2», sayfa 2

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Wolkengewölle, dahin und wieder

daher

Er freue sich »sehr auf dieses ernsthafte, tannendunkle Gebirge«, schrieb Karl Immermann vor einer Wanderung zum Ochsenkopf und anschließend nach Wunsiedel. »Gott gebe schönes Wetter.«

Wir wissen nicht, wie der Wettergott dann gestimmt war, aber die meteorologischen Realitäten im östlichen Oberfranken sind – sogar im Hochsommer – zumeist ernüchternd, manch einer behauptet: beschämend. Schon in der Gegend von Bayreuth quetschen sich für gewöhnlich aschige und bedrohlich finstere Wolkenknäuel und -kleckse in- und übereinander, fürwahr wütend wirkt das. Auf Aufhellungen zu hoffen ist in der Regel sinnlos, das Fichtelgebirge kennt in Sachen Witterung selten Spaß.

»Die Gegend um Wunsiedel ist sehr kalt«, hielt Immermanns Zeitgenosse Ludwig Tieck im berühmten Briefwechsel mit seinem Freund Wilhelm Heinrich Wackenroder über ihre »Pfingstreise von 1793 durch die Fränkische Schweiz, den Frankenwald und das Fichtelgebirge« fest. Hätten die beiden Erlanger Studenten ausschließlich das granitene Rumpfgebirge durchstreift, die nachträgliche Korrespondenz wäre nicht zum Gründungsdokument der deutschen Romantik geworden.

»Man nennt diese Gegend ›das bayerische Sibirien‹«, sagt der aus Hof stammende Theaterregisseur und -dramaturg Helmut Schödel. »Das Gefühlsleben der Menschen hat Frostbeulen, und ihre Sprache ist knapp, schroff und karg.«

Die Wölfe kehren zurück, wird erzählt. Die Raubtiere benötigen dünnbesiedelte Habitate, und das Fichtelgebirge entvölkert sich seit Jahren geradezu. Eine Stadt wie Selb liegt gewissermaßen in Agonie, die Porzellanindustrie weithin am Boden. Ortskerne veröden und zerbröseln, Wunsiedel soll zu einer Stadt der Senioren werden. Vor dem Fall der Mauer kamen wenigstens noch die Westberliner und machten Urlaub. Auch vorbei.

An der Autobahn hinter Bayreuth prangt ein Schild: »Genußregion Oberfranken – Land der Brauereien«. Kurz nach Bad Berneck, wo ein Getränkemarkt mit dem Slogan »Lust auf Durst?« verzweifelt um Kundschaft buhlt, kasteln uns Fichtenrigipswände ein. Über uns hetzen Wolkengewölle dahin und wieder daher.

Bischofsgrün kauert im Holz. »Das Wetter war sehr trübe, und es regnete sogar etwas«, klagte Tieck. »Wir kamen in eine ziemlich uninteressante Gegend. Das Wetter ward immer unangenehmer; ein kalter, schneidender kleiner Regen trieb uns entgegen; ein feuchter Nebel stieg aus den Bergen und Wäldern auf.« Und jetzt schiebt sich der Nebel wie ein Schleier über den schummerigen Fichtelsee und eine einsame, herzergreifend stille Landschaft, deren herbe Schönheit, da müssen wir Tieck widersprechen, an manchen Ecken beinahe Züge von Amönität gewinnt.

Eine Viertelstunde Fahrt gen Osten, durch einen undurchdringlichen Forst, nach Wunsiedel. Eine »gute, lichte Stadt« sei sein Geburtsort, meinte Jean Paul, Kollege Tieck hielt dafür: »Die Stadt ist klein. […] Sie hat ein sonderbares Aussehen«, während Reisegefährte Wakkenroder das unbestechliche Urteil fällte: »Die Straßen gehen bergauf, die Häuser sind ziemlich gut.«

Die Straßen gehen auch wieder bergab, und einige Häuserzeilen im Zentrum, herausgeputzt, lakkiert, poliert, sind tatsächlich schön anzusehen. Doch die »Stadt der Brunnen«, die auf Grund der hiesigen Niederschlagsmengen keines künstlichen Zulaufs bedürfen, empfängt uns mit energisch verwitternden Häuserwänden, heruntergewirtschafteten hölzernen Fensterläden und Hoftoren, unlesbaren Wegweisern, graubraunen, geduckten, merkwürdig zusammengewürfelten Bauten, mit Geschäften mit Billigstangeboten und mit der stillgelegten Sechsämtertropfen-Manufaktur.

Von der Gaststätte Schelter, eigentlich: Gaststätte Wiesental, in Wintersreuth war im Vorfeld die Kunde gegangen, von einer schlichten Bauern- und Brotzeitwirtschaft, wie es sie kaum mehr gebe. Ein Kleinod des Unprätentiösen sei die Schelter, früher ist sie geführt worden vom Schelters Gorch, vom Georg Schelter, heute regieren der Sohn, der Metzgermeister Rudi, und die alte Frau Schelter in der Küche, und im Schankraum hat die Anni das Sagen, Rudis Frau.

Also wieder Richtung Osten, allerdings bloß ein paar Kilometer. Wintersreuth. Im Mai, im Juni, im Juli kann hier Winter sein. Felder und Wiesen ziehen sich wie Samt übers sanfte Tal. Bachbäume, Buschsäume, Obstbaumsolitäre vor Fichtenparavents, die naßglänzende Straße schlängelt sich durch übermütig sprießendes Grün, der Himmel ergraut in allen denkbaren Anthrazittönen, der Nebel schleicht umher.

Neben dem unauffälligen Wirtshaus ein kleiner, ordentlich eingefeuchteter Biergarten mit Blick auf die mild geböschte Umgebung – und, inmitten einer Wiese, ein kniehoch hölzern eingezäunter Kräutergarten, ein Sinnbild für Franken. »Nichts will hier imponieren«, lobte der Reiseschriftsteller Horst Krüger Ende der siebziger Jahre Franken, »das andere, stille Deutschland«. Und wir schließen uns ihm an: »Ich bin jedesmal wieder erstaunt, daß es so etwas gibt: intakte Provinz, eine unzerstörte Region.«

»Wos wollts ’n ihr?« Wenn jemand bodenständig freundlich, gutmütig forsch ist, dann die Anni Schelter. Aus dem ganzen Landkreis kommen sie hierher, Ärzte, Arbeiter, Angestellte. Dieses Elysium, heißt es, sei stets vollbesetzt. Zur Mittagszeit stehen die Leute Schlange, um an die konkurrenzlos günstigen Edelspeisen zu gelangen, abends bevölkern Wurstbrotesser, Plauderbedürftige, Dämmerschoppentrinker und andere Spezialkräfte die segensreiche Normalkneipe.

»Do hast a Bea!« Es kann passieren, daß das Bier, wenn Anni es auf den Holztisch knallt, überschwappt. Das Interieur ist von jener Art, daß man es nicht zu beschreiben braucht – ehrwürdig, einfach. Warum verschwinden allerorten solche Lokalitäten? Warum werden sie von der Welt verschluckt? Warum muß alles, was eben nur scheinbar überkommen ist, weg? Zugesperrt, abgerissen werden? Im Namen des Fortschritts, der Walter Benjamin zufolge die Katastrophe ist, in der wir uns eingerichtet haben? Und die wir daher nicht mehr sehen?

Von legendären Schlachtschüsseln, von Schweinernem auf höchstem Niveau, von seraphischer Sülze und gnadenreichem Büchsenfleisch, von Bratwürsten, die man vergolden möchte, von Stockfisch und vielem anderen geht die Rede – ohne Ausnahme im Familienbetrieb hergestellt. Wir bestellen die Spezialität des Hauses, angebratene Göttinger mit Sauerkraut, das hier durch die Beigabe von Kartoffelstärke zu einem deliziös cremigen Gericht gerät und uns wie ein synästhetisches Echo auf die zauberhaft spröde Gegend mit ihren Rundungen, Wiesenbuchten und Waldbögen dünkt.

Nun will man nichts mehr – außer etliche redliche, gezapfte Biere von örtlichen Brauinstituten zu trinken und betört-belemmert den halb auf düsterfränkisch, halb auf oberpfälzisch geführten Debatten über Wagner-Inszenierungen in Bayreuth zu lauschen. Denn wie schrieb Jean Paul? »Sie sahen erfreut dem Freuen zu.«

Ja, das ist es, das Jean Paulsche »Vollglück in der Beschränkung«, Schutz findend vor den Unbilden der Zeit, der Welt und des Wetters, in der Schelter in Wintersreuth.

Das elektronische Huhn

»Bayreuth trotz Bier und Gegend unaushaltbar.« Jean Pauls bekanntes Diktum gilt hier und heute, im Biergarten der Schloßgaststätte in der unter Markgräfin Wilhelmine mit allerhand Schnickschnack wie Grotten und Ruinentheater ausstaffierten Eremitage, in keiner Weise. Das Einnordungsbier mundet vorzüglich, das Essen auch, und man wähnt sich wahrlich in jenem »Vorhimmel«, den Jean Paul pries.

Der von beinahe unermeßlicher Liebe zu den kleinen Leuten erfüllte poetische Enzyklopädist wollte ohne Bier nicht sein. Er kenne »keinen Gaumen-, nur Gehirnkitzel«, notierte er, »und steigt mir eine Sache nicht in den Kopf, so soll sie auch nicht in die Blase«.

Bloß sehen, riechen, lauschen – dem leis’ knisternd in sich zusammensinkenden Bierschaum über einem rechtschaffen goldenen Flüssigkeitszylinder. Höheres, meint man zuweilen, gibt es kaum. Derweil erzählt die Kulturwissenschaftlerin und -managerin Karla Fohrbeck, die ein Büro in Jean Pauls letzter Wohnstätte unterhält, im »Schwabacher Haus« in der Friedrichstraße, den Antipreußen und Antimilitaristen par excellence habe »Disziplin überhaupt nicht interessiert«, und sie fügt hinzu: »Ich denke, er brauchte diesen Schwebezustand, den er durchs permanente Biertrinken erzeugte, um es hier auszuhalten.«

Jean Paul labte sich am »Zaubergürtel« der Natur, am »so grün angestrichenen Präsentierteller von Gegend« und an den »wie schimmernden, aus dem Äther gesunknen« Baulichkeiten, und wahr bleibt, was Ludwig Börne in seiner Denkrede am 2. Dezember 1825 aussprach: »Er sang nicht in den Palästen der Großen, er scherzte nicht mit seiner Leier an den Tischen der Reichen. Er war der Dichter der Niedergeborenen, er war der Sänger der Armen«, und er verachtete die Indolenz des Adels.

Gleichwohl litt er unter den »illiterarischen« Inhabitanten: »Bayreuth hat einen Fehler, daß zu viele Bayreuther darin wohnen.« Das hat man ihm offenbar verziehen. Jean Paul sei heute, sagt Karla Fohrbeck, eine der maßgeblichen Initiatoren des Ende 2012 fertiggestellten, rund zweihundert Kilometer langen Jean-Paul-Wegs von Joditz bei Hof bis zum Felsengarten Sanspareil im Kulmbacher Land, »die Corporate-Identity-Figur für Oberfranken«: »Sie nehmen ihn als einen der ihren wahr.«

Für allerlei touristische Werbung hält Jean Paul mittlerweile her. Wird er dadurch wieder öfter gelesen, soll es so sein. Auf dem nach ihm benannten Wanderweg informieren Textstelen und -tafeln an hunderteinundsechzig Stationen über Leben und Werk. Die sich von Norden nach Südwesten durch Oberfranken schlängelnde Route sei »eine Energielinie«, erläutert Karla Fohrbeck, sie sei »das geistige Rückgrat der Region« und »die geheime Lebensader des alten Markgrafentums Bayreuth-Brandenburg«.

Vierzehn Kilometer nordöstlich von Bayreuth führt der Jean-Paul-Weg durch Goldkronach. Eine erste Ansiedlung an der Handelsstraße nach Böhmen datiert man ungefähr auf das Jahr 1000, seit Mitte des 13. Jahrhunderts war das Städtchen im Besitz des Grafen von Andechs, ein Jahrhundert später fiel es an die Nürnberger Burggrafen, 1792 wurde es preußisch.

Wem weniger nach einer »Kultwanderung«, wie es im üppigen Begleitbuch zum Jean-Paul-Weg heißt, zumute ist, hockt sich in oder vor einen der zwei Gasthöfe des Ortes und trinkt »ein Nößel Bier« (Jean Paul). Die Leute wollen »weg vom Eventtourismus«, sagt der Vertreter der Tourismuszentrale Fichtelgebirge, Ferdinand Reb, und da sind wir hier am goldrichtigen Platz – »der stille laue Himmel« (Jean Paul) über uns, das Gesetz der Friedlichkeit in uns, des »heiligen Hinbrütens und ruhigen Anschauens« (Friedrich Schlegel).

Hier, im Nordosten Bayerns, werde nichts inszeniert, unterstreicht Ferdinand Reb. »Wenn der Fels dasteht, dann steht der da. Denn der ist echt.« Dem Hotel-Gasthof Alexander von Humboldt ist eine echte Metzgerei angegliedert, die Metzgerei Kleinheinz, die bietet zum Beispiel Brotzeitbauch und Debreziner an. In ihr riecht es sagenhaft gut, und in einer beheizten Vitrine thront ein riesiger Leberkäse, so schickt sich das. Die Metzngerei Hentschel wurde leider aufgegeben, im Schaufenster informiert ein Aushang über die nächste Zusammenkunft des Handarbeitskreises, dafür gibt es zwei echte Bäckereien, die praktischerweise beide Beck heißen. Über dem Firmenschild des »Straßen-Beck« glänzt eine goldene Brezel. Anisbrezeln sind eine Spezialität, ebenso die frischen Küchla einmal pro Woche.

»Gehst zum Beck oder zum Beck?« Nein, wir bleiben sitzen, auf der typisch fränkisch-funktionalen Terrasse des Hotels Humboldt, eingebettet in Stille. Rotbraune Schindeldächer über uns, über denen die Mauersegler Fangen spielen. Jemand stellt die Frage: »Was kann man denn zu Goldkronach noch erzählen, außer daß ein Vogel auf dem Dach sitzt?« Muß man denn?

Außer dem Gegurgel des Brünnchens zwischen den Tischen und den Bierbänken und einem zaghaft herüberwehenden Glockenschlag vernimmt man nichts. Das Bier steht stad im Glas. Die Luft kräuselt sich lind in sich. Die Welt hat zu Ende meditiert. »Die Sonne schien, da sie keine Wahl hatte, auf nichts Neues.« (Samuel Beckett) Nichts weiter braucht es, gar nichts weiter.

In einer der anrührendsten Erzählungen der deutschen Literaturgeschichte, in Jean Pauls Idylle Leben des vergnügten Schulmeisterlein Maria Wutz in Auenthal, delektiert sich der Protagonist am »Schwalben-Scharmutzieren über sich«, »voll Durst, einen Himmel auszutrinken«. Er mißbilligt die »Hatztage, wo die ganze Erde ein Hatzhaus ist«, und pflegt in seiner herzergreifenden Milde und Bedürfnislosigkeit die »Kunst, fröhlich zu sein«, die er mit einem freundlichen Imperativ auf den Punkt bringt: »Man soll zufrieden sein mit dem, was man hat – und das mit offenen Sinnen auskosten.« Also Dinge seinlassen, gewähren lassen, sich nicht belästigen lassen durch die dummen, endlos wiederholten Wettbewerbsparolen unserer Zeit.

Goldkronach, das »Tor zum Fichtelgebirge«, hat ohne die eingemeindeten Ortsteile kaum zweitausend Einwohner. Will man die wunderbare »Trink-Leere« (Jean Paul) ein bißchen füllen, geht man gemach Ekken gucken. Auch hier verstehen es die Einheimischen selbstverständlich, abscheulichste Baumarktvorgärten und Fertigbetongaragen ins Ortsbild zu stopfen, und warum sollten sie in Goldkronach fehlen, die Waschbetonmauern an abfallenden Bürgersteigen, die Fassadenverkleidungen aus Eternit- und PVC-Paneelen, die Klinkermauerbänder, die uniform häßlichen Normtüren und -balkone, die steril gepflasterten Hofeinfahrten, die nordbayerischen Varianten dilettantischer Lüftlmalerei (besonders ein antikisierter Doppelfensterbogen mit Silberreiher und Ara überzeugt uns) und die obligatorische triste Sitzgruppe (hinter der neugotischen Pfarrkirche St. Erhard). Und natürlich muß es Baulanderschließung geben, direkt am Schloßpark, unter dem Motto »Modernes Wohnen« freilich, die gelbgrüne Wiese hat da nichts verloren, und die freie Sicht auf den Goldberg im Osten ist viel zu pittoresk.

Gleichwohl erspähen wir tröstliche Winkel: eine würdevoll verwitternde große Scheune, vor der die Malven sprießen, buschige violette Geranien vor sattgelbem Putz, eine ungeöffnete, von der Sonne illuminierte Flasche Kulmbacher Bier hinter einem Schuppen, Fenster, hinter denen sich surreal wirkende Skulpturen aus Draht und Stahlteilen zeigen, eine blitzschöne pechschwarze Schindelhausfront. An der Bayreuther Straße steht ein ob seiner Schlichtheit und klaren Form geradezu anmutiges Werkstattgebäude. An einer bemoosten Granitwand in einer Seitengasse lehnen ausrangierte Bauernhausfenster und Bauernhausfensterrahmen. Das schwarzrotgoldene Banner (das einzige in der Stadt), das in einer Blechgießkanne steckt, übersehen wir.

Am südlichen Ortsausgang schwankt eine Gartenblockhütte auf einem provisorischen Fundament aus Ytong-Steinen. An ihrem mit einer grünen Plastikplane abgedeckten Dach hängt die Frankenfahne (die einzige in der Stadt). Wenige Meter weiter zerbröselt ein weißviolettes Haus, dann erquickt uns eine schmutzige olivgrüne Gebäudlichkeit, die den Kosmetiksalon Ile de Beauté beherbergt.

Nach ein paar Schritten stoßen wir auf das 1865 gegründete Lebensmittelgeschäft Grieshammer in einem hübschen hellblauen Haus. Wir fühlen uns an unsere Kindheit im Mittelfränkischen erinnert, als wir beim Krämer für den gutmütigsten aller Großväter kühle Bauernflaschen Bier kauften: Fleisch- und Wurstgerüche im dämmrigen Geschäft, offenes Obst und Gemüse, verschlafene Lokalzeitungen, frisches Brot, und an der altmodischen Kasse sitzt ein genügsamer, grundfreundlicher Mann, der uns einen angenehmen Tag wünscht.

Von mehreren Brandkatastrophen wurde Goldkronach heimgesucht, die letzte ereignete sich 1836. Danach baute man den Ort im zurückhaltend eleganten Stil des Biedermeier wieder auf. Die Sandsteinhäuser an der leicht geschwungenen Hauptstraße und rund um den Marktplatz hinterlassen mit ihren weitgehend einheitlichen Traufhöhen, ihren Sprossenfenstern und ihren Gauben den Eindruck von bodenständiger Geschmackssicherheit.

Am malerischen Marktplatz residiert der – neben unserem Hotel – letztverbliebene Gasthof, die Goldene Krone. Das Wirtshaussterben auf dem Land ist einer der elendsten Kulturvernichtungsvorgänge unserer Tage. Die Gastwirtschaften Glückauf, Beck, Rosenau und Roter Adler schlossen in den achtziger und neunziger Jahren. »Die ganze Wirtshauskultur funktioniert nemmer.« Inge Bär, eine unprätentiös selbstbewußte, schelmisch lächelnde Frau, führt den prachtvollen Schwarzen Adler im Ortsteil Nemmersdorf. Die Wirtsstube ist umwerfend sorgsam konserviert, Braten, Gemüseeintöpfe, Bratwürste und selbstverständlich selbstgemachte Klöße bereitet sie auf einem Holzherd zu, weder Kroketten noch Pommes kommen ihr ins Haus. Frau Rausch vom Nordbayerischen Kurier nickt.

Die Feuerwehr und der Sportverein hätten ihre eigenen Lokale, erklärt Inge Bär. »Früher war der Freitag der Fortgehtag, das ist auch vorbei.« Samstagfrüh laufe es noch zwei Stunden, da rücken die Jäger und der Bulldogstammtisch an, und der sonntägliche Mittagstisch erfreue sich großer Gunst. Doch sonst?

Um dem Jammer zu trotzen, pflanzen wir uns in den Straßenbiergarten der Krone. Die Linden an der vor langer Zeit kanalisierten, den Marktplatz teilenden Kronach wiegen ihre Zweige zart, die Steineinfassungen lauschen dem wohltemperierten Rauschen des Wassers. Nie schien, scheint’s, die Sonne schöner als jetzt, und »in des Goldes Scheine« (Wagner) erfüllt uns eine geradezu »närrische Freude« (Wutz), das Maisel’s-Weißbier vor uns, dem wir sogar den Apostroph verzeihen.

Nun behauptet zwar der Förderverein für Roggen-Kultur in Weißenstadt, das unter seiner Ägide just Ende Juni eröffnete, man spitze die Ohren, Pädagogisch-Poetische Informationszentrum für Roggenkultur Rogg-In dokumentiere, daß der Roggen das »eigentliche Gold des Fichtelgebirges« sei. Allein, da beißt weder eine Fichtelgebirgsmaus einen Zwirn durch, noch kann man uns gelegentlichen Einfaltspinseln dergleichen weismachen. Das Gold des Fichtelgebirges, das niemand, irgendeinem Alberich wehrend, bewachen, sondern das man einfach bestellen muß, ist das Bier, Punkt – oder allenfalls zudem der Hafer am Rande von Goldkronach, genaugenommen ein Haferfeld, das sich im gnädigen Frühabendlicht wie verträumt und selig schlummernd an einen sanft geformten Hang schmiegt.

»Bratwöscht?« – »Jawoll.« Acht Herren hocken friedvoll drei Tische weiter, einer von ihnen, ein glücklich geerdeter, daseinstüchtiger älterer Mann, schlendert irgendwann zu uns herüber. »Sie ham sich den richtigen Platz ausg’sucht.« Er grinst wie ein Bub’. »Ein schattiges Plätzla, des is’ vernünftig. Sonst brennt’s dir des Resthirn weg.« Gülden. Jedes Wort gülden.

»Das Bier auf seine schönste Weisse«, steht auf dem Aschenbecher. Drüben werden die leuchtenden Pokale wie Monstranzen ins wacker ermattende Abendlicht gehoben. Beiläufig werfen die Bäume Schatten. Der Hausrotschwanz auf der Dachrinne macht einen Knicks, als verneige er sich vor alledem. »Genau.« – »Jawoll.« –»Genau so is’ es nämlich.«

Am nächsten Morgen Bierschinken und Göttinger Wurst zu Kaffee und Brötchen, lediglich echtes Landbrot fehlt auf dem Büffet. Die fröhlichen Damen des Hauses plaudern, gänzlich unfränkisch, ausgelassen. Item itzo diese höchst wohlige Gestimmtheit: Es genügte vollauf, »nie mehr begehrend als die Gegenwart« (Wutz), den ganzen Tag damit zu verbringen, in die Luft zu gukken, neben sich zwei, drei Flascherl Bier mit Schraubverschluß. Die säkulare Vita contemplativa, sie wäre das Naheliegendste und Einfachste, und man spürte endlich einmal die Zeit, ohne daß sie bedrohlich erschiene. Gegen Abend fielen schließlich die »Goldfäden« (Wutz) der wandersmüden Sonne aufs Turmkreuz von St. Erhard, vorm sacht wolkendurchwebten Himmelsfond.

Doch Goldkronach ist ja nicht zuletzt Alexandervon-Humboldt-Stadt, dem sollte man Rechnung tragen. Der nachmalige Universalwissenschaftler und »Wissenschaftsfürst«, dessen Ceterum censeo die Freiheit (»Alle sind gleichmäßig zur Freiheit bestimmt«) und der ein inständiger Anhänger der Französischen Revolution war, ward 1792 als Bergbauingenieur von Berlin aus für fünf Jahre nach Franken entsandt, um den Erzabbau in den Fürstentümern Ansbach und Bayreuth zu reorganisieren. 1793 beförderte man ihn zum Oberbergmeister, im nämlichen Jahr trat er seinen Dienst in Goldkronach an.

Humboldt war bestrebt, »dieser romantischen Gegend nur einen kleinen Teil ihres Glanzes wiederzugeben«. Bereits im Januar 1794 ließ er seiner Begeisterung in einem Brief die Zügel schießen: »Mit dem Bergbau geht es überhaupt hier jetzt vorwärts. In Goldkronach besonders bin ich glücklicher, als ich es je wagen durfte zu glauben.«

Am Rande Goldkronachs wurde seit 1363 Goldbergbau betrieben, der erste schriftliche Nachweis des Namens Goldtkranach stammt aus dem Jahr 1398. Die Blütezeit der Goldgewinnung aus leicht zugänglichen Bodenschichten dauerte bis ins 15. Jahrhundert an (manche Quellen sprechen vom 16. Jahrhundert), die Schächte im Goldberg, im heutigen Stadtteil Brandholz, wo vermutlich das größte Goldvorkommen Deutschlands lag, hießen »Name Gottes«, »Unverhofft Segen Gottes«, »Schickung Gottes«, aber auch »Fauler Nickel« oder »Goldener Hirsch«.

Humboldt war – wie Jean Paul und dessen Figur des Maria Wutz (er »war allen Menschen gut«) – ein wahrer Philanthrop. Im Sinne seines Credos, »das Studium der physischen Natur mit dem der moralischen zu verknüpfen«, rationalisierte er nicht nur die Arbeitsabläufe im seit Mitte des 17. Jahrhunderts maroden Bergbau, sondern er verbesserte die Sicherheit der Hauer, Steiger und Fördermänner, führte die Bergbauhilfskasse und das »Büchsengeld« für Witwen und Waisen ein und gründete Ende 1793 in Steben auf eigene Kosten die Erste Königlich Freie Bergschule.

Der Goldbergbau verdankte Humboldt eine merkliche Renaissance, die ein gutes halbes Jahrhundert anhielt (endgültig Schicht im Schacht war allerdings erst 1925). Trotz seines Enthusiasmus gab er sich jedoch keinen übermäßigen Illusionen hin. Man dürfe »nichts von der Natur erzwingen wollen, was sie nicht leisten kann«, und die Abholzung der Wälder nannte er einen »Menschenunfug […], der die Naturordnung stört«.

Im vor zehn Jahren eröffneten, liebevoll gestalteten Goldbergbaumuseum im ehemaligen Forstamt an der Bayreuther Straße, in dem Humboldt ab und an Quartier nahm, werden in sieben übersichtlichen Abteilungen Werkzeuge, Grubenrisse, Befahrungsprotokolle, Karten, Modelle, ein nachgebauter Stollen, Gesteinsproben aus goldhaltigen Quarzgängen und anderen Montanformationen, Zeugnisse der Goldverarbeitung und viele aufschlußreiche Dokumente mehr präsentiert. Gold, erfährt man, widersteht Alkalien und Säuren, ist unzerstörbar, verliert seinen Glanz nie und symbolisiert daher Macht, Göttlichkeit und die Ewigkeit. Vielleicht bestrafte darob der Goldkönig in der Goldkronacher Goldbergsage die Gier der Menschen, die sich mit dem Edelmetall zu schmücken gedachten, mit schlimmer Not und Armut.

Vor etwa zwanzig Jahren fand in Goldkronach eine Goldwasch-WM statt, ins Leben gerufen vom damaligen, wir scherzen nicht, Bürgermeister Blechschmidt. Auf sie folgte die seither alle zwei Jahre ausgetragene Deutsche Goldwaschmeisterschaft auf dem Goldberg. Der sei, schmunzelt der zuvorkommende Rathausangestellte, der uns durchs Museum geleitet, auf Grund der »durchschlägigen Stollen« ein »Schweizer Käse«, mithin ein Beispiel für jene »durchsichtigen Berge voller Goldadern«, die wiederholt Topographien der Jean Paulschen Traumwelten sind.

Am Humboldtweg auf dem Goldberg liegen die zwei Besucherstollen »Schmutzlerzeche« (zugänglich seit 1985) und »Mittlerer Name Gottes« (seit 1993), die wie das Museum sonn- und feiertags geöffnet sind. Es empfiehlt sich, frei von Platzangst zu sein, schlüpft man in die engen Gänge hinein und versucht, ein Goldfinserl zu finden, eines der nach wie vor dort dösenden, zwischen einem halben und einem Millimeter kleinen Goldkörner.

Die Goldkronacher Goldvererzung ist das Resultat einer geologischen Singularität. Exakt durch die Stadt verläuft die Fränkische Linie, eine tiefe und lange Abbruchkante, die durch das Aufeinanderprallen des afrikanischen und des europäischen Kontinents entstand. Das Fichtelgebirge, wesentlich älter als die dusseligen Alpen, diese »Tyrolerberge bei München« (Jean Paul), die zusammenpacken und nach Hause gehen dürfen, schob die weichen Gesteine des Vorlandes von sich weg. Jene senkten sich ab, das stolze, bockelharte Fichtelgebirge hob sich an. In den nach dem geologischen Ringkampf zurückgebliebenen Rissen löste sich unter dem Einfluß von Wasser und Sauerstoff peu à peu Gold, und das chemische Element mit der Ordnungszahl 79 fand fortan in der »Wohlfühlregion Fichtelgebirge« neben vielerlei anderen Gesteinskameraden eine kommode Heimstatt.

»Daß es geologisch mal drunter und drüber ging« (Museumsfaltblatt), ist an den zahlreichen Goldkronacher Geopunkten zu studieren, zumal im Kellergewölbe des Schlosses, in dem ein aufmüpfiger Muschelkalksporn, der normalerweise hätte in der Horizontale verbleiben müssen, das Fundament des strahlend weißen Prunkgebäudes bildet.

Gudrun und Hartmut Koschyk zeichnen hier im Namen des Alexander-von-Humboldt-Kulturforums seit 2008 für Symposien, Vorträge, Konzerte, Liederabende, Ausstellungen und Theateraufführungen verantwortlich. »Daß Humboldts Genialität hier in Franken zur Entfaltung kam«, betont Hartmut Koschyk zu Recht, und er habe sich »immer gewundert, warum man so wenig aus Jean Paul gemacht hat. Der Jean-Paul-Preis wird in München verliehen.«

Sein Anliegen ist es, »Bewußtsein für Humboldt in der Region zu wecken«. Mittlerweile kämen Humboldtianer »aus China, Afrika und der arabischen Welt« in diesen »beschaulichen Ort«, in diese dörfliche Stadt, man müsse indes, wolle man den »Wegbereiter der Globalisierung«, der in dieser Kleinwuselwelt regelrecht aufblühte, den Menschen nahebringen, die hiesigen Gesangvereine und Posaunenchöre einbeziehen, was, verrät ein Blick in die Programme der Goldkronacher Kultursommer, offenbar bestens gelingt.

»Die Leute sind offen für das geistige Erbe Frankens«, für den interkulturellen Dialog, nicht minder für die Vermarktungspotentiale jener beiden Intellektualgrößen, die sich nie begegneten und die nie miteinander ein »braunes Bier« (Jean Paul) auf der Terrasse des Goldkronacher Schlosses goutierten, das grünblaugoldene Landschaftspanorama förmlich in sich hineinsaugend.

Wir treffen den Schauspieler und Rezitator Hans- Jürgen Schatz in Goldmühl, das bereits zu Bad Berneck gehört. Humboldt wohnte 1793/94 in der Alten Mühle. Im Schwarzen Roß nebenan, in fünfter Generation in Familienbesitz, kredenzt man uns zum seraphischen Steak dunkles Beck’n-Bier aus Büchenbach. Hans-Jürgen Schatz, künstlerischer Leiter der im Oktober stattfindenden ersten Jean-Paul-Tage in Bad Berneck, versucht seit 1992, die »Nachempfindbarkeit der Entstehungsbedingungen der deutschen Romantik« durch akribisch arrangierte Lesungen zu befördern und Jean Paul »durchzusetzen«. »Man braucht Ruhe, um Jean Paul zu lesen«, merkt er an, auch als Vortragender müsse man sich seine wildwüchsigen, gestrüppartigen, gewissermaßen avant la lettre postmodern mäandernden artistischen Welterkundungen »zäh erschließen«. »Doch wenn man Jean Paul kommentierend und einordnend vorstellt, sagen die Leute: ›Vorgelesen ist es gar nicht mehr so schwer.‹«

Der in sich schlingernde Schwebezustand, das ist womöglich die Jean Paulsche Lese- und Lebensempfindung. Das gute Goldkronacher Gefühl. Sehr groß ist er, mit Rilke zu raunen, der Sommer, sehr groß ist sie, die kleine »geflügelte Welt« (Jean Paul: Siebenkäs). Das Firmament blank und heiter. »Man kann die seligsten Tage haben«, schwärmt Jean Paul, »ohne etwas anderes dazu zu gebrauchen als den blauen Himmel.«

Laß uns vor die Tore der Stadt wandern, nur ein paar Meter. Laß uns behaglich die Luft und die gescheckten, sich in die Ferne hineinschmiegenden Wolken atmen. Laß uns die Untererde der Gesteine vergessen und das grüntrunkene Gehügel, Gesäume und Gebüschel schauen, das herumwackelnd’ Getier, das brummelnd und bummelnd sich wandelnde Wimmeln, die gnadenreiche Illumination all dessen, laß die Wonne Oberhand gewinnen in einem Kosmos, den Jean Paul ersonnen haben muß und aus dem man langsam, langsam herausfallen möcht’, weich und zeitverzögert.

»Weizen?« – »Ja, gerne.« Die schlanke, kleinwüchsige Bedienung der Krone kennt uns unterdessen. Ein Einwortfragesatz langt. Die Bachstelze flaniert wippend vorbei. Der Koch tritt vor die Tür und erkundigt sich beim Mittagstisch, ob es schmecke. Ein altes, dürres Weiblein, die Nachbarin, sitzt auf der Bank vor ihrem Haus und lugt.

Das zweite Weizen kommt. »Brauch’ mer net anschreib’n, oder?«

In der milchig beleuchteten Schwemme, in der die olfaktorische fränkische Signatur von Sauerkraut und Angebratenem prosaisch verwunschen herumwabert, ist sie noch einmal zu spüren, die fußläufige Weltläufigkeit der beharrlich geschmeidigen Jean Paulschen Seele, und an der Wand hängt ein Schild: »Als der Herrgott die Arbeitsstunden der Wirtsleute mit deren Einkommen verglich, drehte er sich um und weinte bitterlich.«

Daß sich innere und äußere Welt »wie zwei Muschelschalen aneinanderlöten und dich als ihr Schaltier einfassen«, das ist uns, »doppelselig« (Wutz), beschieden. Es ist gar recht dies alles, vor allem, wenn man wähnt, geistig in den Seilen zu hängen, die durch die Leere gespannt sind.

Ein Mann in einem grünen Poloshirt schlappt mit einer goldenen Tuba auf den Marktplatz. Stände sind aufgebaut, anläßlich des alljährlichen Marktplatzfestes. Sie bieten Waffelbruch, Schaumwaffeln, gebrannte Mandeln, Kokosmakronen feil, wie in unserer Kindheit. Luftballons flattern im linden Wind, und vom Stand des Kleintierzuchtvereins Goldkronach gackert ein Huhn so unablässig und mechanisch herüber, als sei es eine elektronische Attrappe. Erst als wir es begutachten, gewahren wir: Es lebt. Es ist ein Zwerg-Vorwerkhuhn.

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