Kitabı oku: «Du bist doch wer», sayfa 2
Unser Leben ist die Summe unserer Erfahrungen
Ich war sehr beeindruckt von einer Schauspielerin, die in der Radiosendung „Mensch Otto“ interviewt wurde. Sie war zwei Mal an Leukämie erkrankt und hat es trotz der schlechten Prognose geschafft, die Krankheit zu überwinden. Sie meinte zum Erstaunen der Zuhörer, dass die Krankheit wichtig und positiv für sie und ihr Leben gewesen sei. Sie könnte nun die schönen Seiten viel intensiver genießen. Sie hat sich ihr Schicksal in einem Buch von der Seele geschrieben und ist auch davon überzeugt, dass wir es selber in der Hand haben, ein glückliches und erfülltes Leben zu führen.
Derselben Meinung ist die Schauspielerin Anna Loos, die mit großer Ernsthaftigkeit in der NDR Talk-Show 3 nach 96 meinte: „Wir sind die Summe der Geschehnisse, die uns widerfahren. Aber wir sind es selber, die unser Schicksal beeinflussen.“
In so vielem zeigt die Individualisierung in unserer Gesellschaft auf der anderen Seite der Medaille üble Auswüchse von Egomanie.
2 Gesund leben in einer kranken Welt
Man spürt es, wenn man die Grenze nach Deutschland überfährt. Plötzlich ist es anders. Alles wird schneller, im Grunde wahnsinniger. Mit 160 km/h auf der linken Spur muss man vorsichtig sein, damit man nicht von einem AUDI, BMW, Mercedes, Porsche … mit 230 km/h „weggeblasen wird“. In keinem anderen Land der Welt kann man mit 280 km/h über die Autobahn brettern. In den USA fährt man auf einsamen Straßen stundenlang lässig mit Tempomat. Unser Land ist dagegen dicht besiedelt, da gehen 280 Sachen auf der Autobahn. Und diese irrsinnige Gegebenheit ist mittlerweile ein Wirtschaftsfaktor: Man fliegt aus China und von sonst wo ein, mietet sich am Flugplatz eine Turbomaschine und dann geht`s los, mit 220 ab nach Rothenburg, Heidelberg, Neuschwanstein und ins Outlet-Factory.
Die Autobahn ist nur ein Beleg für dieses fragwürdige Turboleben. Ein solches sehe ich auch in dem Leben mit Kindern in diesem Land. Ab einem Jahr geht es in die KITA, dann in den Kindergarten, aber bitte mit Vorschulprogramm: Förderung erwünscht, nur nicht zu viel sinnentleertes Spielen. Denn umso früher, umso besser, ab in die Schule zum Lernen, Vorbereitung auf das Grundschulabitur in der vierten Klasse, das alle Türen öffnet: Abitur nach neun Jahren. Wer nicht funktioniert bekommt Ritalin. Zur Einschreibung an der UNI müssen Papa oder Mama mit, schließlich ist man noch nicht volljährig. Dafür ist man dann mit 21 mit seinem Bachelor fertig. Dann kann man 50 Jahre arbeiten und in die Sozialkassen einzahlen. Neben Turbo heißt das Motto Funktionieren: Leistung zeigen, im Wettbewerb bestehen. Hat man es geschafft, sein Leben mit einer ertragreichen Berufstätigkeit selber in die Hand zu nehmen, freut sich die Wirtschaft. Man ist der Konsument, den sie sich wünscht, beschäftigt mit Kaufen all der schönen Produkte, die man erwerben kann: insbesondere ein dickes Auto, tolle Kleidung, später ein schönes Haus. Man zeigt, was man hat. Und Haben ist wichtiger als Sein.
In meiner Schulklasse hatte ich eine sehr kommunikative, diskussionsfreudige Schülerin, die mit Leidenschaft ihre Argumente mit einem nachdrückliche „Is so!“ bekräftigte. In der Klasse wurde diese Wendung Kult.
Ich dachte mir: In der Tat, wir leben in einer Welt des „Is so!“. Eigentlich ist alles klar. Es ist so vieles selbstverständlich, was für mich nicht selbstverständlich ist und das ich als krank empfinde: Dieses Denken, dass Geld die Welt regiert, es wie gesagt um Kaufen, Kaufen, Kaufen geht. Das wichtigste ist die Wirtschaft und man lebt Hierarchien: Der Ober sticht den Unter – „is so!“. So vieles ist in meinen Augen pathologisch: Diese Unmengen an Schönheitsoperationen, dieser ganze Jugend– und Fitnesswahn, dieser Körperkult. Wo ist der Respekt vor dem Alter? Juli Zeh beschreibt genial diese Selbstoptimierer, deren Smartphones und Apps es möglich machen, seine Schritte, seine Kalorien, seinen BMI, … zu bestimmen und am PC zu zählen.7 Es herrscht ein Machbarkeitswahn im Streben nach Schönheit, Erhaltung der Jugend und des Glücks. Die Positive Psychologie suggeriert „Flourishing“: Du bist Herr deines Glücks. All das macht Stress! Die Zunahmen an Depressionen, das Phänomen Burnout, das wundert mich nicht! Bei diesem Denken werden Kinder zu einem Unglück, die körperlichen Veränderungen in einer Schwangerschaft zum Supergau für das eigene Ego. Eine Kabarettistin beleuchtete die Problematik: Da nimmt man sich eine Leihmutter aus Asien, setzt ihr die befruchtete Eizelle ein und lässt sich das Kind austragen. Das ist eine Win-Win-Situation, da leistet man sogar noch Entwicklungshilfe.
Und sieht man junge Menschen an der Bushaltestelle oder gemeinsam im Cafe sitzen, so glotzen sie nur auf ihre Smartphones. Man spricht nicht miteinander, hat aber 300 Freunde auf Facebook und WhatsApp. Wir bekommen eine Gesellschaft des gesenkten Hauptes.
So leben viele haltlos Werte, die zu hinterfragen sind: Konsum, Spaß, Schönheit, Jugend, Körperkult, Glück, Machtstrukturen, Konventionen. Eigentlich ist dagegen nicht viel einzuwenden – nur:
Die Dosis macht das Gift!
Insgesamt sind viele, wie ich es sehe, extrem haltlos. Mir kommt es vor als seien die Richtlinien, die Geländer, die Orientierung gaben, an denen man sich im Leben entlang hangeln konnte, in dieser kranken Welt von Wirtschaft, Konsum, Medien und in dieser radikalisierten Arbeitswelt verloren gegangen. Aber: „Is so!“ wird dagegen gehalten. Ich denke, ein Problem ist der Verlust von Werten. Man muss sich schon fragen: Was hat sich geändert? Welche Werte werden heute wirklich gelebt?
Ich diskutierte darüber mit einer Kollegin. Sie machte mich auf so viel Paradoxes in unserer Zeit aufmerksam. Wir haben: Große Häuser, aber kleine Familien, mehr Bildung, aber weniger Verstand, eine erweiterte Medizin, aber einen schlechteren Gesundheitszustand. Wir waren am Mond, kennen aber unseren Nachbarn nicht. Wir besitzen ein hohes Einkommen, aber weniger Seelenfrieden. Wir weisen einen höheren IQ auf, aber weniger Emotionen, gewinnen immer neue Erkenntnisse, besitzen aber weniger Weisheit. Wir werden immer mehr Menschen, aber die Welt wird immer weniger menschlich.
So spüren wir doch, dass etwas nicht stimmt. Es ist an der Zeit, innezuhalten, sich zu besinnen und gesunde Haltungen zu finden und zu leben. Früher fanden Menschen Orientierung im Glauben an externe Mächte, zum Beispiel im Glauben an Gott. Das gelingt Menschen in unserem Land immer weniger. Dagegen finden viele die Befriedigung der Sehnsucht nach einer tieferen Spiritualität im Buddhismus, beim Yoga und Meditieren, auch beim Wandern auf dem Jakobsweg.
Ich denke, Haltungen, Orientierung, Werte, Sinn, das finden wir vor allem in uns – wo denn sonst?
Denn das ist bei aller Kritik das Gute, wir leben in einem freien Land voller Möglichkeiten und man hat die Wahl, wie man leben will, vorausgesetzt die persönlichen Parameter lassen es zu. Ein selbstbestimmtes Leben ist möglich. Jeder kann entscheiden, inwieweit er Opfer der kranken Auswüchse unserer Gesellschaft wird. Ich werde versuchen, diesen Weg zu einer gesunden Lebensweise in den nächsten Kapiteln zu beschreiben. Am Anfang des Weges stehen Bewusstsein, Erkenntnisse, Wissen, Überzeugungen, die menschliche Werte beinhalten: Den Respekt vor dem Anderssein, Toleranz, das Leben des Prinzips Menschlichkeit (siehe 2. Kapitel ab Seite 27).
Wichtiges Rüstzeug auf dem Weg sind ein stabiles Selbst, der unbedingte Willen zu einer selbstbestimmten Lebensweise, das Leben der Haltungen „Ich bin gut, so wie ich bin“ sowie „Egal, was passiert, ich kann es schaffen“. Selbstbewusstsein, ein gesundes Selbstwertgefühl, im Grunde Selbstliebe zu entwickeln, das bedarf der Arbeit. Innere Stärke entwickeln wir aus der Art, wie wir Erfahrungen verarbeiten und aus dem, was uns Mitmenschen spiegeln (siehe 3. Kapitel ab Seite 65).
Womit wir beim Wesentlichen ankommen, der Frage: Wie wollen wir mit anderen leben? Die Haltung „Ich bin okay, du bist okay“ trägt uns zu respektvollen, gleichwürdigen und liebevollen Beziehungen. In ihnen finden wir als altruistische Wesen unser Glück, sie sind der wesentliche Baustein des Sinns im Leben. Der Weg zu gelingenden Beziehungen wird im vierten Kapitel beschrieben. Dabei ist vieles im Umgang mit anderen eine Frage der Kommunikation, der Entwicklung einer persönlichen Sprache.
Gelingt es derartige Haltungen zu leben, tragen sie uns zur eigenen Identität. Erst sie ermöglicht ein freies, selbstbestimmtes Leben. Sie ist die Grundlage dessen, kranken Gegebenheiten persönliche Stärke entgegensetzen zu können. Wir dürfen es nicht zulassen, Opfer zu werden, auch nicht im Umgang mit anderen Menschen und Gegebenheiten in Systemen, in denen wir in Machtstrukturen, Hierarchien und fragwürdigen Konventionen eingepresst werden. Die Welt des „Is so!“ muss nicht die eigene sein. Die eigene Welt ist die, in der man seine Integrität wahrt: die eigenen Werte lebt, die eigenen Bedürfnisse kennt und auch kommuniziert. Das klingt egomanisch, ist es aber nicht, wenn diese Haltung von Verantwortungsbewusstsein, Respekt, Toleranz, den Prinzipien Gleichwürdigkeit und Menschlichkeit getragen wird. Es ist nur das Einfordern dessen, was jedem zusteht: eine eigene Würde.
Natürlich bewegen wir uns nicht in einem luftleeren Raum. Wir leben ebenso Konsum, Spaß, bringen die in unserer Gesellschaft geforderte Leistung, wir stehen unseren Mann/unsere Frau, so schwer es auch ist, all die Rollenerwartungen zu erfüllen, die das mit sich bringt. Nur sollten wir dabei die Dosis wahren und zu einem gesunden, natürlichen Umgang mit uns, unseren Kindern und der Natur finden. Die dafür erforderliche Achtsamkeit und ein natürliches, gesundes Leben sind für mich das Gebot der Stunde. Diese Natürlichkeit muss jeder in sich suchen und finden.
Darüber hinaus sind für ein erfülltes Leben Haltungen hilfreich, die in den Geheimnissen der Weisen verborgen liegen. Sie werden im zweiten Kapitel ab Seite 60 dargestellt. Eine wesentliche „Ich lebe im Augenblick“ war Gegenstand eines Vortrags:
Außerdem: Ab 30 ist man für sein Gesicht selber verantwortlich
Der Vortrag war einfach schön und aus meiner Sicht gelungen. Ich durfte in einem kleinen Ort vor Mitgliedern des katholischen Frauenbundes sprechen und das waren meine Botschaften: Glückliche Eltern generieren glückliche Kinder und starke Eltern haben starke Kinder. Es bereitete mir Spaß, über die Funktionsweise von Spiegelneuronen zu berichten und Eltern zu einer gewissen Gelassenheit zu führen, werden doch ihre Kinder so wie sie. Das ist zumindest meine gut begründbare These. Irgendwann erzählte ich, dass Kinder am Tag ungefähr 200 Mal lachen, wir Erwachsene vielleicht 15 Mal und in diesem Zusammenhang äußerte ich meine Überzeugung: Ab 30 ist man für sein Gesicht selber verantwortlich - will heißen, man hat es in der Hand, wie man leben will. Alles ist eine Frage von Einstellung und von Haltung. Was hindert einen daran, am Morgen aufzustehen und sich auf den Tag zu freuen, wohl wissend, dass man ja nur diesen einen Tag in seinem Leben hat, den man nur einmal leben darf, eben heute, und somit soll es trotz all der Verpflichtungen, des schlechten Wetters, was immer, ein schöner Tag werden. Kein Tag, der nur so vorüber geht. Wenn schon arbeiten, dann mit Freude. Man muss nicht griesgrämig rumlaufen, sich bis ins Letzte stressen lassen und sich am Abend fertig vor den Fernseher legen und einschlafen. Und vor allem, mit Humor geht alles leichter. Wenn schon Falten im Alter, dann Lachfalten!
Die Bedeutung derartigen Humors beschreibe ich ab Seite 85. Wenden wir uns zunächst aber den Basics zu, der Psychologie, wie Menschen ticken, der Philosophie, was Erfolg, Glück, Sinn im Leben generiert und den Lebensweisheiten der Senioren.
2. KAPITEL: Halt in Weisheiten finden
„Wir können niemals mit dem, was wir wissen, oder zu wissen meinen, zufrieden sein.“
Jürgen Habermas
3 Wissen und Verständnis tragen mich durch das Leben
„Wer mehr weiß, sieht anders.
Wer mehr sieht, sieht anders.
Wer anders sieht, verhält sich anders,
sich selbst und anderen gegenüber.“
Gisela Hammerl (ILP-Coach)
Der Neurobiologe und Psychotherapeut Joachim Bauer betrachtet es als die Königsdisziplin, Verständnis zu entwickeln für die Motive und das Verhalten seiner Mitmenschen. Ich denke, es ist eine Frage von Toleranz, aber auch von Willen, andere Menschen verstehen zu wollen. Nur Verständnis ermöglicht die Haltung „Du bist okay“ als Grundlage für gelingende Beziehungen.
Ich will verstehen und ich will wissen, was Kinder brauchen, wie pubertierende Jugendliche ticken und was die Grundlagen des Verhaltens von Erwachsenen sind. „Das ganze Leben ist Psychologie“ behaupte ich gerne und es ist in der Tat spannend, sich mit Psychologie zu beschäftigen. Im Folgenden werden zahlreiche Fragen geklärt.
Was beeinflusst unser Verhalten? Was für ein Bild haben wir von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen? Ist der Mensch des Menschen Wolf, auf Rivalität und Egoismus ausgerichtet oder ein altruistisches, auf Gemeinschaft eingestelltes Wesen? Und falls das so ist, warum zeigt er so viel Aggressivität und Gewalt? Derartiges psychologisches Wissen beeinflusst natürlich unsere Einstellungen anderen gegenüber und unser Verhalten. Es führt bei der Betrachtung von Menschen dazu, seine Perspektive zu erweitern, andere Perspektiven einzunehmen und seine Perspektive zu wechseln, ganz einfach um Menschen in ihrer Einzigartigkeit und Verschiedenheit gerecht zu werden. Es ist im Sinne Habermanns eine Frage von Toleranz.
Magische Erkenntnisdreiecke:
Menschen sind ungemein unterschiedlich und jeder ist auf seine Weise einzigartig. Leider neigen wir dazu, sehr schnell anderen gegenüber einen Standpunkt einzunehmen und ich sehe es als wirkliches Problem an, dass viele Mitmenschen andere bewerten. Was Kinder anbelangt forderte Pestalozzi, man solle nicht ein Kind mit einem anderen vergleichen. Ich habe mir eine erweiterte Perspektive von Kindern angewöhnt. Erstens: Wie sehr verfügen sie über Sachkompetenz? Wie viel beweisen sie an Wissen und Kenntnissen? Das war jahrelang das Kerngeschäft von Schule. Zweitens: Welche Sozialkompetenz zeigen sie? Wie verhalten sie sich gegenüber Mitschülern? Wie sehr sind sie in Gemeinschaften integriert, sozial eingestellt oder Egozentriker? Und drittens, und darauf lege ich das Hauptmerkmal meiner pädagogischen Arbeit: Wie steht es um ihre Selbstkompetenz? Dahinter stehen Antworten auf spannende Fragen: Wie ist um ihre Motivation, ihre Einstellung zur Arbeit und vor allem zu sich selbst bestellt? Selbstkompetenz ist der Schlüssel zu einer starken Persönlichkeit. Dieses Buch ist im Grunde nichts anderes als ein Versuch, Wege zu einer stabilen Selbstkompetenz zu zeigen. Und was für Kinder und Jugendliche gilt, gilt natürlich ebenso für Erwachsene.
Gerald Hüther behauptet, jedes Kind – und ich behaupte, jeder Mensch – ist hoch begabt. Eine interessante Perspektive, die ich mir zu Eigen gemacht habe. Es ist eine Frage der Sichtweise, was man darunter verstehen will. Ich folge da vollkommen dem ganzheitlichen Konzept der acht Intelligenzen8 des Erziehungswissenschaftlers Howard Gardner. 1983 entwickelte er die einflussreiche Theorie multipler Intelligenz. Er sieht folgende Intelligenztypen: sprachlich-linguistisch, logisch-mathematisch, bildlich-räumlich, körperlich-kinästhetisch, musikalisch-rhythmisch, interpersonal (auf andere Personen bezogen) und intrapersonal (auf die eigene Person bezogen). Vor kurzem hat Gardner eine achte Intelligenz hinzugefügt: die naturalistische Intelligenz (naturalist intelligence), worunter er die menschliche Fähigkeit versteht, Pflanzen, Tiere und andere Phänomene der natürlichen Umwelt zu erkennen und damit umgehen zu können. Mit Erstaunen registrierte ich, dass an vielen Schulen Dänemarks dieses Konzept der multiplen Intelligenzen Grundlage der pädagogischen Arbeit ist. Gardners Modell ist ein schönes Konstrukt, respektvoller an die breite Palette an Fähigkeiten und Kompetenzen von Kindern und Jugendlichen und Menschen im Allgemeinen heranzugehen.
Ein interessantes Konstrukt zum Verstehen von Menschen eröffnete sich mir nach einem Gespräch mit einer befreundeten Heilpraktikerin. Sie erzählte mir von ihrer Ausbildung in ILP (Integrierte Lösungsorientierte Psychotherapie). Diese psychotherapeutische Methode von Dietmar Friedmann beruht auf dem im Grunde einfachen Enneagramm von drei Persönlichkeitstypen, dem Sach-, Handlungs- oder Beziehungstypen.9 ILP geht davon aus, dass psychische Probleme mitunter darin begründet liegen, dass manche zu sehr in einem Typ behaftet sind. Die Behandlung besteht darin, den jeweils anderen Persönlichkeitstypen zu wecken – eine interessante Perspektive.
Ist der Mensch des Menschen Wolf?
In einem Gespräch mit meinem geistigen Mentor Professor Peter Paulig kamen wir zu einer entscheidenden Fragestellung. Nachdem er mein Buch „Gelassene Eltern“ gelesen hatte, meinte er: „Wir müssen uns einmal über Ihr Menschenbild unterhalten.“ Er ist der Ansicht, dass der Mensch aufgrund der Biologie des Menschen Wolf ist, ein Wesen, das durch Erziehung sozialisiert und wohl auch diszipliniert werden muss. Dem stimme ich nicht zu, vor allem nicht der These eines Buebs, dass Jugendliche diszipliniert werden und Autoritäten Gehorsam leisten müssten, wie er es in seinem Bestseller „Lob der Disziplin“10 behauptet. Dies entspricht meiner Ansicht nach einem Denken von gestern. Ich glaube auch nicht, dass meine Überzeugung blauäugig ist. Nach dem Gespräch mit Professor Paulig fiel mir Michael Tomasellos Buch „Warum wir kooperieren“11 in die Hände. Der Kodirektor des Max-Planck-Instituts in Leipzig ist evolutionärer Anthropologe, vielfach ausgezeichnet für seine Beiträge zur Philosophie und Kognitionswissenschaft. Er berichtet von Studien, wonach wir Menschen nicht nur sehr intelligent, sondern auch ausgesprochen nett sind. Anhand der sozialen Struktur der Kinder hat er gezeigt, wie sich Denken entwickelt und Kultur übertragen wird. Kinder sind demnach ab einem Alter von 12 Monaten von Natur aus hilfsbereit, großzügig im Umgang mit Informationen und Gegenständen. Interessant ist, dass dieses Verhalten nicht das Ergebnis von Belohnungen, Training und kultureller Prägung ist. Die Hilfsbereitschaft tritt von sich auf zutage und beruht nicht auf dem Einfluss von Erwachsenen. Nur, in der weiteren Entwicklung können kulturelle Belohnungen diesen Altruismus, wie man uneigennütziges Verhalten bezeichnet, jedoch fördern und seine Ausprägung beeinflussen. So wird die Hilfsbereitschaft von verschiedenen Faktoren bestimmt. Das ist zum einen von der Erwartung, dass das Vorgelebte auf Nachahmung beruht, zum zweiten, dass man sich altruistisch verhält, weil man ansonsten einen schlechten Ruf erntet und drittens ist Hilfsbereitschaft schlichtweg eine soziale Norm, die man einfach befolgen muss.
Der gleichen Problematik stellt sich der Neurobiologe Joachim Bauer in seinem überzeugenden Buch „Prinzip Menschlichkeit“. Er stellt die Frage „Streben Menschen ihre Ziele rücksichtlos an oder arbeiten sie von Natur aus lieber zusammen?“ Eindrucksvoll widerlegt er die weit verbreitete These, der Mensch sei primär auf Egoismus und Konkurrenz eingestellt.
Er schreibt in einer Zusammenfassung12: „Die Argumente, die den Menschen aus biologischer Sicht als Beziehungsmensch ausweisen, beziehen sich auf drei fundamentale Kriterien: Zum einen sind die Motivationssysteme des Gehirns in entscheidender Weise auf Zuwendung und Kooperation ausgerichtet und stellen unter andauernder Isolation ihren Dienst ein. Zweitens führen schwere Störungen oder Verluste maßgeblicher zwischenmenschlicher Beziehungen zu einer Mobilmachung biologischer Stresssysteme.“ (Darin sieht Joachim Bauer die Grundlage menschlicher Aggression). (…) „Dies macht deutlich, dass Menschen nicht für eine Umwelt „gemacht“ sind, die durch Isolation und ständige Konflikte gekennzeichnet sind. Ein drittes Kriterium, das den Menschen als Beziehungswesen kennzeichnet, ist das System der Spiegelnervenzellen. Das System dieser besonderen Zellen sorgt dafür, dass ein Individuum das, was es bei einem Individuum der gleichen Art wahrnimmt, im eigenen Organismus – im Sinne einer stillen inneren Simulation – nacherlebt. Dadurch ergeben sich weitreichende Möglichkeiten sozialer Resonanz. Im Falle des Menschen ermöglichen Spiegelnervenzellen eine besondere Form sozialer Verbundenheit: Mitgefühl, Empathie.“
Diese Spiegelneuronen sind ein frisch erforschtes, erstaunliches Phänomen, die Grundlage so vieler menschlicher Interaktionen, dem Flirten, der Liebe und letztlich auch die Erklärung, warum wir von Modellen und Vorbildern lernen – ganz ohne Worte.
Zusammenfassend lässt sich also sagen, Kinder wie auch Erwachsene, sind tatsächlich auf Altruismus vorbereitet, dessen Entwicklung ist aber erfahrungsabhängig.
Diesem Denken schließt sich auch der renommierte Familientherapeut Jesper Juul an. Er behauptet auch, dass Kinder von Geburt an kooperativ und sozial eingestellt sind. Es hätte seinen Grund, dass sie sich nicht immer so verhalten. Der Schweizer Kinderarzt Remo Largo entwickelt eine ganz einfache Formel: „Gut gebundene Kinder gehorchen. Zeigen Sie mir ein gut gebundenen Kind, das nicht gehorcht.“13Ich kann das nur anhand meiner alltäglichen Beobachtungen bestätigen. In gesundem Maße geliebte Kinder sind wirklich sehr sozial und kooperativ eingestellt. Verhaltensauffälligkeiten von Kindern und Jugendlichen beruhen sehr oft auf Bindungsproblemen oder Beziehungsstörungen mit den Eltern oder Gleichaltrigen und man kann sie im Grunde nur bedauern, so sehr diese „Sargnägel“ einem das Leben auch schwer machen. Mangelnden Bindungserfahrungen sind der Grund dafür, dass diese Kinder nicht in ausreichendem Maße Selbstkontrolle erlernen. Sie sind daher oft einfach nicht in der Lage ihr impulsives, emotionales Verhalten zu steuern.
Warum sind Menschen aggressiv und gewalttätig?
Joachim Bauer beantwortet in seinem Buch „Prinzip Menschlichkeit“ auch die Frage, warum Menschen Aggressionen zeigen, obwohl sie doch neurobiologisch eigentlich friedliche Gemeinschaftswesen sind. Joachim Bauer stellt fest:
„Wo Aggression stattfindet, geht es – direkt oder indirekt – immer um das Bemühen um gelingende Beziehungen, um die Verteidigung einer Beziehung oder um eine Reaktion auf ihr Scheitern (S. 86).“
Er sieht fünf Varianten für die Entstehung von Aggression: Erstens, die Verteidigung bestehender Beziehungen. Zum zweiten entsteht Aggression im Kampf um Liebe und Anerkennung. Drittens entstehen Aggressionen innerhalb von Beziehungen, wenn die Verteilung von Vorteilen und Nachteilen in eine Schieflage gerät, welche die Bindung für einen Partner zum Gefängnis werden lässt. Aggression dient außerdem dazu, durch gemeinsamen Kampf Gemeinschaft herzustellen. Fünftens geht Aggression von Menschen aus, die entweder aufgrund schwerer Verwahrlosung keinerlei gute Beziehungserfahrungen machen konnten, durch selbst erlittene massive Gewalt traumatisiert wurden oder eine intensive Lerngeschichte in Sachen Gewalt hinter sich haben. Problematisch ist, dass fehlende Bindungserfahrungen in der Prägungsphase des Lebens oder Traumatisierungen Aggressionen verursachen. Außerdem besitzt erlebte Aggression die Tendenz weitere Aggression hervorzurufen.
Mit dieser Vorstellung erteilt Bauer der Idee, Aggression sei ein Naturgesetz im Kampf um das Überleben, eine Absage. Diese Interpretation, Leben als Kämpfen ist eine Ideologie, deren Ausgangspunkt in den Naturgesetzen Charles Darwin darstellt. Für Darwin war der von Lebewesen gegenseitig geführte Überlebenskampf das alles dominierende Prinzip. Seine Vorstellungen waren die Grundlage des Rassendenkens von 1870 bis in die Nazizeit. In unserer Zeit werden diese Gedanken durch die Sozialbiologie weitergetragen. Jetzt muss der Stellenwert der Aggression auf der Grundlage der Erkenntnisse der Neurobiologie und Psychologie neu bestimmt werden. Demnach ist nicht Kampf und Aggression, sondern Kooperation die optimale Lebensstrategie. Es sei nochmals betont: Aggression steht im Dienste sozialer Beziehungen, sie dient deren Verteidigung. Aggressionen vorbeugen bedeutet Beziehungen herstellen und erhalten. Letztlich schafft Vertrauen wiederum Vertrauen, Misstrauen und Ablehnung begünstigen aber Aggression.
Damit möchte ich einen Bogen spannen zu Kindern und Jugendlichen. Es stellt sich die interessante Frage: Wenn also Menschen von Natur aus soziale Wesen sind:
Wie viel Disziplin und Erziehung braucht das Kind?
Diese Fragestellung möchte ich mit einem persönlichen Aha-Erlebnis beantworten: Ich las Joachim Buebs Buch „Lob der Disziplin“ und war beunruhigt. Darin fordert er, dass Eltern, Lehrer und Erzieher eine Führungsrolle einnehmen sollten und Kinder und Jugendliche Disziplin und Gehorsam lernen müssen. Ich bin nicht der Typ Lehrer, der mit Regeln, Disziplin und Sanktionen arbeitet. Ich war erleichtert als ich kurz danach in Joachim Bauers Buch „Lob der Schule“14 eine Gegendarstellung fand, die ganz meinem Umgang mit jungen Menschen entspricht. Der Gehirnforscher belegt, dass gelingende Beziehungen die Grundlage allen pädagogischen Handelns bilden. Er beweist anhand der Wirkungsweise der Spiegelneuronen die Bedeutung der nonverbalen Kommunikation und der Vorbildwirkung des Lehrers. Eigentlich eine Weisheit, die man schon seit Pestalozzi kennt. Pestalozzi behauptet: „Erziehung ist Liebe und Vorbild, sonst nichts.“ Ich denke, auch in Anlehnung an Jesper Juul und der überrachenden Erkenntnisse von Super-Nanny Katharina Saalfrank in ihrem tollen Buch „Du bist okay, so wie du bist“, dass wir unser Erziehungsverhalten und viele Erziehungsmaßnahmen überdenken müssen. Es sollte im Leben mit Kindern weniger um Erziehung als vielmehr um Beziehung gehen. Das sehe ich auch allein darin bestätigt, dass Eltern aus meiner Generation ein recht inniges Verhältnis zu ihren Kindern haben, das anders gestrickt ist als das zu unseren eigenen Eltern. Meiner Generation ist es offensichtlich intuitiv gelungen gleichwürdige Beziehungen zu leben, wie es Jesper Juul vorschlägt. Sowohl Jesper Juul als auch Katharina Saalfrank fordern eine Transformation von ER-ziehung zu BE-ziehung.15
Diesem Themenfeld ist der 14. Abschnitt ab Seite 113 gewidmet.
Wie ticken Menschen? – Die Welt der Gefühle und Bedürfnisse
Man sieht, es ist ungemein interessant in die Welt der Psychologie einzudringen um den Menschen in seinem Wesen und seinem Verhalten zu verstehen. Für mich begann der Weg psychologischer Erkenntnisse vor Jahren mit einem Titelblatt der Zeitschrift Stern, auf dem eine lachende Frau gezeigt wurde. Die Überschrift lautete: „Die Macht der Gefühle“ und ich dachte mir: „Das ist es!“ Wir sind durch und durch Gefühlswesen und bei aller Ratio werden wir von unseren Emotionen gelenkt. Mit dieser Titelseite erhielt ich den Impuls, mich auf eine lange Suche zu begeben um herauszufinden, wie wir Menschen ticken. Die Psychologie liefert spannende Antworten, angefangen bei Adam Maslow, der Transaktionsanalyse und der Prozesskommunikation von Taibi Kahler und anderen Modellen. Diese Theorien führen letztlich zu einem psychologischen Wissen und Verständnis, auf deren Grundlage man durchaus sein Verhalten gegenüber Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen immer wieder auf den Prüfstand stellt. Es hilft seine Perspektive hin zu mehr Verständnis zu verschieben. Wegweisende Einblicke liefert Abraham Maslow.
Unsere Gefühle zeigen, wie sehr unsere Bedürfnisse befriedigt werden – die Erkenntniswelt von Abraham Maslow:
Maslow gilt als der wichtigste Gründervater der Humanistischen Psychologie, die eine Psychologie seelischer Gesundheit anstrebt und die menschliche Selbstverwirklichung untersucht. Er lebte vor etwa 100 Jahren in New York. Als Sohn wohlhabender, jüdischer Kaufleute hätte er nie arbeiten müssen. Er wollte aber studieren, um zu erfahren, wie Menschen ticken. Er wurde zum Vordenker der Positiven Psychologie. Seine Erkenntnisse münden in seiner fünfstufigen Bedürfnispyramide – siehe Übersicht: Danach teilen alle Menschen die gleichen psychischen Bedürfnisse, sie streben nach Zugehörigkeit, Achtung, Liebe und Selbstverwirklichung. Das Ganze vollzieht sich auf verschiedenen Ebenen.
Bedürfnispyramide nach Abraham Maslow:

Danach teilen alle Menschen die gleichen psychischen Bedürfnisse, sie streben nach Zugehörigkeit, Achtung, Liebe und Selbstverwirklichung. Das Ganze vollzieht sich auf verschiedenen Ebenen.
Auf der untersten Ebene stehen die physiologischen Grundbedürfnisse nach Nahrung, Luft, einem Dach über dem Kopf und sexuelle Befriedigung.
Darauf folgt die zweite Ebene, das Streben nach Sicherheit, Geborgenheit, nach Stabilität, die Sehnsucht angstfrei zu leben. Als sehr bedeutsam sehe ich die dritte Ebene an. Ich habe ganz den Eindruck, dass der Wunsch, seine sozialen Bedürfnisse befriedigt zu wissen, Menschen antreibt. Das zeigt sich in der Sehnsucht, in seiner Familie und im Freundeskreis Bindung zu finden, in dem Verlangen nach Partnerschaft, nach Intimität, Liebe und Kommunikation. Diese drei Ebenen bezeichnet Maslow als Defizitbedürfnisse. Das bedeutet, dass diese Bedürfnisse befriedigt sein müssen, damit man zufrieden und glücklich ist. Darauf bauen die sogenannten unstillbaren Bedürfnisse auf. Auf der vierten Ebene die Bildung von Selbstwertgefühl, das heißt einer gewissen mentalen Stärke dank empfundenem Respekt, Wertschätzung und Anerkennung. Maslow meint, dass die unstillbaren Bedürfnisse kaum zu befriedigen sind. Das gilt insbesondere für seine fünfte Ebene, die Stufe der Selbstverwirklichung durch das Ausleben seiner Talente und seiner Individualität.
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