Kitabı oku: «Seelsorgelehre», sayfa 7

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Literatur

Eine fundierte, den Leser freilich auch fordernde Darstellung der Anfänge christlicher Seelsorge bis ins 5. Jahrhundert bietet Thomas Bonhoeffer (1985). Ergänzend können die biblischen und altkirchlichen Kapitel in Christian Möllers Geschichte der Seelsorge I (1994) herangezogen werden. Einen gründlichen Einstieg in die paulinischen Grundlagen der Seelsorge geben die Monographien von Roland Gebauer (1997) und Ulrich Heckel (1997). In beiden Arbeiten sind exegetische und poimenische Aspekte in eindrucksvoller Weise miteinander verbunden. Heckel gibt zudem ganz praktische Hinweise für eine Seelsorge mit der Bibel. Dafür sei schließlich auch auf das aus der Praxis erwachsene Buch von Peter Bukowski (1996) verwiesen.

Bonhoeffer, Thomas: Ursprung und Wesen der christlichen Seelsorge, München 1985

– Zu Entstehung des Begriffs „Seelsorge“, in: Archiv für Begriffsgeschichte XXXIII, Bonn 1990, 7–21

Breuning, Wilhelm (Hg.): Seele. Problembegriff christlicher Eschatologie, Freiburg/Basel/Wien 1986

Bukowski, Peter: Die Bibel ins Gespräch bringen. Erwägungen zu einer Grundfrage der Seelsorge, Neukirchen 31996, 92013

– Die christliche Tradition im Blickpunkt der Seelsorge, in: HbS 186–201

Fritsch, Stefan. Die chassidische Seelsorge. Pastoralpsychologische Aspekte und Impulse für die therapeutische Arbeit, Frankfurt a.M. 1997

Gebauer, Roland: Paulus als Seelsorger. Ein exegetischer Beitrag zur Praktischen Theologie, Stuttgart 1997

Heckel, Ulrich: Kraft in Schwachheit. Untersuchungen zu 2 Kor 10–13, Tübingen 1993

– Schwachheit und Gnade. Trost im Leiden bei Paulus und in der Seelsorgepraxis heute, Stuttgart 1997

Henning, Gerhard: Wie redet die Bibel von der Seelsorge? In: Theologische Beiträge 32, 2001, 181–191

Kähler, Christoph: Jesu Gleichnisse als Poesie und Therapie, Tübingen 1995

Jüttemann, Gerd u.a. (Hg.): Die Seele. Ihre Geschichte im Abendland, Weinheim 1991

Lückel, Kurt: Geschichten erzählen vom Leben. Hinterfragte Lebensmuster, Göttingen 1993

Mickel, Tobias: Seelsorgliche Aspekte im Hiobbuch, Berlin 1990

Möller, Christian (Hg.): Geschichte der Seelsorge in Einzelporträts, Bd. 1, Göttingen 1994

Piper, Hans-Christoph: Heil und Heilung. Zur Hermeneutik der neutestamentlichen Heilungsgeschichten, in: Klessmann, Michael/Lückel, Kurt (Hg.): Zwischenbilanz, Bielefeld 1994, 57–69

Tacke, Helmut: Mit den Müden zur rechten Zeit zu reden. Beiträge zu einer bibelorientierten Seelsorge, Neukirchen 1989

2.2Wandlungen des Seelsorgeverständnisses

Eine wirkliche „Geschichte der Seelsorge“ kann hier nicht dargeboten werden. Sie ist bisher ohnehin nur in Ansätzen geschrieben worden.26 Vom Genus her ist gar nicht klar, was da hineingehört. Seelsorge und Seelsorgelehre lassen sich nicht so einfach voneinander trennen. Einen formal definierten Seelsorgebegriff gibt es für die Alte Kirche so wenig wie für das Neue Testament. Was Seelsorge ist, lässt sich für die einzelnen Epochen, vor allem der älteren Kirchengeschichte, nicht so klar sagen. Predigt und Katechumenat sind eindeutigere Handlungsfelder. So sind notgedrungen bei einer geschichtlichen Darstellung von Seelsorge ganz unterschiedliche Genera interaktiven Glaubensvollzugs im Blick: religiös-sittliche Erziehung, Spiritualität, Dienste der Liebe, pastorales Handeln in der Gemeinde, apologetische Auseinandersetzung. Und es müssen sehr unterschiedliche Sorten von Quellentexten herangezogen werden: aszetisches Schrifttum, Briefe, Schriftauslegungen, geistliche Betrachtungen, pastoraltheologische Traktate usw. Wie tatsächlich Seelsorge getrieben wurde, von Mensch zu Mensch, ist uns im Grunde wenig bekannt. Verbatims von Seelsorgegesprächen gibt es erst in der Neuzeit. Sehr interessante Einblicke in die Seelsorgegeschichte bieten Einzelporträts in der von Christian Möller herausgegebenen „Geschichte der Seelsorge“27. Da wird Seelsorge jeweils im Kontext einer Biographie und eines Lebenswerkes konkret und kohärent dargestellt. Aber es kommt dadurch natürlich noch kein Epochenbild zustande. In unserer unvermeidlich sehr gedrungenen und eklektischen Darstellung wollen wir versuchen, jeweils eine charakteristische Inhaltbestimmung für einen Zeitabschnitt zu formulieren und dieser Einzelaspekte zuzuordnen. Wir gehen dabei von der Hypothese aus, dass jede Epoche einen für das Gesamtverständnis von Seelsorge wichtigen Teilaspekt besonders betont hat. Keiner dieser Teilaspekte ist nur Vergangenheit. Ihre genaue Wahrnehmung kann die Augen öffnen für vergessene oder unterbetonte Aspekte unserer Seelsorge und Seelsorgelehre von heute. Ohne gewisse Vergröberungen geht es dabei nicht.

2.2.1Seelsorge als Kampf gegen die Sünde (Alte Kirche)

Für das im endzeitlichen Erwartungshorizont lebende frühe Christentum spielt das Streben nach möglichst sündloser Seinsweise eine bedeutsame Rolle. Die gläubig gewordenen Christen wollten unversehrt dem Tag der Parusie entgegengehen und ohne Angst dem kommenden Endgericht mit Zuversicht entgegensehen können. Das Streben nach Reinheit und Unversehrtheit kann sehr unterschiedlich begründet sein. Bei Origenes etwa heißt es – und dabei wird die Auseinandersetzung mit dem „griechischen“ Hintergrund besonders deutlich –: „Ich glaube, wir haben unsere Seele selbst und unser Leben als eine Leihgabe von Gott erhalten … Die Leihgabe also, die du ohne Zweifel bekommen hast, musst du unversehrt zurückerstatten.“28 Seelsorge kommt hier dem sehr nahe, was auch dem Ideal der christlichen Erziehung entspricht.29 Diese aber kann ebenso scheitern wie die Bemühung des Einzelnen, durch sittliches Handeln und asketische Lebensführung die Macht der Sünde zu überwinden. Die Gnadenlehre des Paulus mit dem Gedanken einer durch das Versöhnungswerk Jesu Christi erwirkten Vergebung hatte es indessen schwer, sich in der Alten Kirche wirksam durchzusetzen.

Ein Beispiel dafür ist der „Hirt des Hermas“30, eine apokryphe Apokalypse aus der ersten Hälfte des zweiten Jahrhunderts. Den Hintergrund dieser Schrift bildet die Frage, ob es für diejenigen eine Rettung gibt, die nach der „ersten Buße“, also der Taufe und der durch sie zugeeigneten Vergebung, wieder in Sünde gefallen sind. Die Antwort lautet: Es gibt noch eine zweite, freilich allerletzte Chance zur Buße. Einmal noch kann der Mensch umkehren zu einer glaubensgemäßen christlichen Existenz. Das Leben des Christen aber muss nun in dem beständigen Versuch bestehen, dem Einfall des Teufels in das Alltagsleben zu widerstehen. Der Hinweis auf die Möglichkeit eines „Zu spät“ hat bei Hermas wohl vor allem pädagogische Bedeutung31 und gibt ihm die Möglichkeit, seine mild moralisierende christliche Sittenlehre den Lesern ans Herz zu legen. Was dabei über bestimmte Gemüts- und Seelenzustände gesagt wird, zeugt durchaus von seelsorglichem Einfühlungsvermögen. So heißt es etwa: „Wirf den Zweifel von dir und zweifle nie daran, ob du etwas von Gott erbitten sollst.“32 Nicht nur der „Zweifel“, auch der „Jähzorn“, die „falschen Begierden“ und nicht zuletzt die „Traurigkeit“ werden als „Tochter“ oder „Schwester“ des Teufels gesehen.33 Damit werden diese glaubens- und lebensfeindlichen Regungen des Menschen in eine Distanz gebracht, die die Freiheit des Einzelnen für eine Auseinandersetzung mit ihnen erhöht.

Sehr viel direkter, wohl auch realitätsnäher, nämlich als Kampf gegen das Böse und zuweilen auch Dämonische, geschieht Seelsorge bei den Wüstenvätern und Wüstenmüttern des vierten und fünften Jahrhunderts34. Die Wüste ist „Ort der größten Wirksamkeit diabolischer Gewalten“, aber auch „Ort der erfahrbaren Nähe Gottes“35. Der Einzelne ist dem Bösen ausgeliefert und der Kampf dagegen erfordert alle Kräfte. Die Menschen, die zu Tausenden in die Wüste aufbrachen, um eine alternative spirituelle Existenz zu begründen und so wahre Erlösung zu erlangen, fanden offensichtlich in der Kirche und bei den Sakramenten nicht die Gewissheit, die sie brauchten und nicht die Wegweisung, die sie suchten36. Von den Vätern in der Wüste lernten sie, dass einzig die Nachfolge und eine echte Bußgesinnung ihnen Rettung verspreche. So lehrt Antonius, Prototyp des anachoretischen Mönchtums: „Das ist die größte Tat des Menschen: er kann seinen Fall über sich hinaus vor das Angesicht Gottes werfen. Im übrigen rechne er mit Versuchung bis zum letzten Atemzug.“37 Die seelsorgliche Weisung der Väter war diagnostisch klar, oft scharf konfrontierend, aber nicht entblößend, stets ermutigend38. Es handelte sich hier um eine sehr existenzbezogene Seelsorge. Ihre personale Voraussetzung bildeten die Aufrichtigkeit und das unbedingte Vertrauen39. Ihr außerordentlicher Ort wurde zu einer Art „Gegenwelt“, in der die konkreten Probleme des alltäglichen Kampfes besprechbar wurden und tragfähiger Glaube wachsen konnte.

Bei den Wüstenvätern und Wüstenmüttern rückte der Einzelne in den Blickpunkt. Auch wenn aszetische Ideale im Spiel waren, die uns heute fremd sein mögen, so ist doch festzuhalten: Hier ereignete sich eine Seelsorge, die in die Tiefe ging40, die innere Anfechtungserfahrungen kannte und die darum wusste, dass allein Wahrhaftigkeit den Weg zur Freiheit und damit zur Heilung und Rettung der Seele bereiten konnte.

Dort wo die Seelsorge in die Tiefe geht, wird auch deutlich, dass eine Heilung nur möglich ist bei gleichzeitiger Bereitschaft zu radikalkritischer Selbstwahrnehmung. Solche Introspektion ist die Voraussetzung, um die Sünden zu erkennen, die Leidenschaften wahrzunehmen, sich der guten und bösen Regungen des Herzens bewusst zu werden. Seelsorge hat es oft auch mit dem zu tun, was unter der Oberfläche verborgen ist und was nur behutsam in das Licht des Bewusstseins gebracht werden kann. „Abbas Poimen sprach: Lehre deinen Mund sprechen, was in deinem Herzen ist.“41

Gerade die Bereitschaft zur Introspektion ist etwas, das auch sonst in der seelsorglichen Tradition der Alten Kirche gefordert wird. Der Origenes-Schüler Gregorios Thaumaturgos schreibt beispielsweise: „Dadurch vor allem, dass unsere Seele ihre Unordnung erkennt, vermag sie sich daran emporzuarbeiten… Zuerst muss sie sich selbst wie in einem Spiegel beschauen: die Uranfänge und Wurzeln des Bösen, all ihr unvernünftiges Wesen … aber auch alles, was den besseren Teil unseres Wesens ausmacht, die Vernunft.“42 In dieser – gewiss viel vernunftoptimistischeren Sichtweise als bei den Wüstenvätern – fungiert Introspektion im Dienste der Seelenerziehung und Seelenbildung.

In der monastischen Tradition – vor allem des Westens – gerät dann Introspektion stärker unter die Vorstellung einer kontrollierten Seelenführung, bei der auch das methodische Element eine wichtige Rolle spielt. Johannes Cassian (gest. um 435) hat das Modell dafür entwickelt. In seinen Mönchsregeln wird die intensive Selbstprüfung und Selbsterforschung dem einzelnen Mönch zur strengen Pflicht gemacht. Die Schäden und Laster der Seele müssen deutlich erkannt und benannt werden, damit sie überwunden werden können. Der Weg zur Wahrheit wird nun zu einer von Misstrauen geprägten Selbstkontrolle und zur Suche nach den Schlupflöchern des Bösen in den Winkeln des menschlichen Herzens. Es geht um Selbstenthüllung – und zwar in der Form der exagoreusis, die im Unterschied zur exomologesis, dem öffentlichen Sündenbekenntnis, zu einer selbstzwecklichen geistlichen Gehorsamsleistung im Dienste permanenter Kontrolle wird. „Sie erheischt die unablässige analytische Verbalisierung von Gedanken im Zeichen des absoluten Gehorsams.“43

Zwischen der Seelsorgetradition der Wüstenväter und dem Regelwerk Cassians liegen ganze Welten. Da spielt schon der Gegensatz von Osten und Westen hinein. Aber vor allem haben wir hier den Unterschied zwischen einer charismatischen Seelsorge, die stets die konkrete Einzelbegegnung im Blick hat, und einer regulativen Seelsorge, die bestimmte seelsorgliche Techniken zum Zwecke der Selbstveränderung institutionalisieren und für den besonderen Bereich des monastischen Lebens verbindlich machen möchte. Und in gewisser Weise deutet sich – trotz der zeitlichen Nähe – auch schon der Überschritt zur Seelsorgepraxis der mittelalterlichen Reichskirche im Zeichen von Buße und angeleiteter Selbsterforschung an.

2.2.2Seelsorge als Beichte (Mittelalter)

Länger als ein Jahrtausend hindurch war die Seelsorge der Kirchen entscheidend geprägt von der Institution der Beichte im Rahmen des Bußsakraments. Dabei verbergen sich unter dem Begriff „Beichte“ natürlich sehr verschiedene Vollzugsformen geistlicher Praxis. Das Grundthema der bisherigen christlichen Seelsorge – nämlich die Auseinandersetzung mit dem das Seelenheil bedrohenden Phänomen der Sünde – bleibt unverändert in Geltung. Seine seelsorgliche Behandlung jedoch erfolgt nun in ungleich stärker institutionalisierter und formalisierter Weise, sodass schon die Frage aufkommen kann, inwieweit wir es hier wirklich mit einer Gestalt von „Seelsorge“ oder vielleicht doch eher mit Kirchenzucht zu tun haben. Diese Frage freilich ist kaum beantwortbar, und man muss sich aus der historischen Distanz und ohne gründliche Quellenrecherchen vor schnellen Bewertungen hüten. Das aber ist klar: Intentional ging es um seelsorgliches Handeln, mögen auch andere – z.B. kirchenzuchtliche – Motive ebenfalls eine Rolle gespielt haben.

Beginnen wir jedoch zunächst mit einigen Erinnerungen zur Entstehung und Entwicklung von Beichte und Bußsakrament.44 Ausgangspunkt war die seit der apostolischen Zeit anstehende Problematik einer Vergebungsmöglichkeit für die nach der Taufe begangenen Sünden. Während die rigoristischen Gruppen (Montanisten, Novatianer) eine zweite Buße strikt ablehnten, setzte sich in der Großkirche zunehmend eine mildere Bußpraxis durch. Dies geschah vor allem in Zusammenhang der Frage nach dem Umgang mit den unter dem Druck der Verfolgung abgefallenen Christen, den so genannten Lapsi. Eine Vergebung war dabei an die geistliche und jurisdiktionelle Kompetenz der Bischöfe gebunden (Cyprian, Hippolyt). Und die Voraussetzung der Rekonziliation war das öffentliche Bekenntnis der Sünden (exomologesis) im Gottesdienst der Gemeinde. Nur das Aussprechen geheimer Sünden konnte vor dem Bischof allein erfolgen. Darüber hinaus war auch eine geschwisterliche „Zurechtweisung“ der Einzelnen untereinander bekannt. Augustin etwa schätzte sie sehr hoch, unterschied sie aber noch von der unverzichtbaren öffentlichen Buße.45 Seit dem fünften Jahrhundert nimmt die Tendenz zu, die Beichte lebenszeitlich möglichst weit hinauszuschieben, um nicht durch erneutes Sündigwerden des ewigen Heils verlustig zu gehen.

Der entscheidende Anstoß zu einer Veränderung der Beichtpraxis kam aus der keltischen Kirche. Dort war das öffentliche Sündenbekenntnis im Gottesdienst unbekannt. Dagegen war – ähnlich wie in den Klöstern – die private und wiederholbare Beichte vor einem Seelsorger mit Zuspruch der Absolution in Übung. Im Zuge der Missionstätigkeit iroschottischer Mönche kam die Praxis der Privatbeichte auf den Kontinent und wurde hier – zunächst erst einmal im Westen, später auch im Osten – seit dem sechsten Jahrhundert zur herrschenden Beichtform. Mit der Individualisierung der Beichte kamen „wichtige monastische Ideale in das Leben und Denken der Gesamtkirche hinein.“46 Und wo die Beichte im Dienste der Tilgung der Alltagssünden verstanden wurde, war auch die Laienbeichte verbreitet.47 Die regelmäßige Beichte gab den Gläubigen die Möglichkeit, sich der dunklen Seiten des individuellen Lebens und der Erfahrungen des Bösen immer wieder bewusst zu werden. Sie bot Gelegenheit auszusprechen, was die Seele belastete, und so neue Freiheit zum Handeln und zum Glauben zu erlangen. Sofern die Beichte nicht in ihrer Ritualisierung erstarrte, konnte sie zum Stimulans bewusster Existenz werden. Wie weit es möglich wurde, die in dem Institut der Privatbeichte liegenden Chancen auch wirklich zu realisieren, steht auf einem anderen Blatt.

Einschneidend war gerade in dieser Hinsicht dann die Erhebung der Privatbeichte zur Pflichtleistung für jeden Christen. Tendenzen dazu bestanden seit dem 8. Jahrhundert. Endgültig kanonisiert wurde die Pflichtbeichte auf dem 4. Laterankonzil 1215. Jeder Christ war fortan verpflichtet, einmal im Jahr vor einem Priester zu beichten.

Eine durch das ganze Mittelalter hindurch diskutierte Frage war, welche Voraussetzungen erfüllt sein mussten, um auf das Bekenntnis der Sünden die Vergebung zusprechen zu können. Genügte das Beichtbekenntnis? War also das Aussprechen schon der Vergebungsgrund? Oder war dies erst die sich damit verbindende Reue (contritio cordis)? So etwa sah und vertrat es Abälard. Oder aber waren bestimmte Vergeltungsleistungen erforderlich – gemäß dem Entsprechungsdenken: jede ungute Tat musste durch eine ihr entsprechende Bußhandlung gesühnt werden (satisfactio operis). Der Hauptstrom der mittelalterlichen Entwicklung wies in diese Richtung. Die vielen Bußbücher mit einer ausgeführte Kasuistik48, in der die einzelnen Bußstrafen minutiös festgelegt wurden und aus der heraus sich dann auch das Ablasswesen konstituieren konnte, gehören in diesen Zusammenhang. Sie geben Zeugnis von einem Prozess der Verrechtlichung und Veräußerlichung der christlichen Beichtpraxis. Es muss freilich auch gesagt werden, dass die hier erkennbare Sakramentalisierung der Buße gemildert wurde durch spirituelle Bewegungen, die bewirkten, dass immer wieder „neue Wellen der Bußgesinnung und tätiger Bußbereitschaft“49 die Beichtpraxis belebten und verinnerlichten.

Die Institutionalisierung der Pflichtbeichte in der mittelalterlichen Kirche entsprang dem Wunsch, „alle Gläubigen seelsorglich zu erfassen“50. Und es verband sich damit das Bestreben, die Pfarrer möchten ihre seelsorglichen Aufgaben bei ihren Gemeindegliedern – auch über die Formen des Beichtrituals hinaus – ernsthaft wahrnehmen bzw. die Beichte als eine Gelegenheit zur Seelsorge nutzen. Einzelne Stimmen unterstrichen dies immer wieder und wiesen damit direkt oder indirekt zugleich auf die unbefriedigenden Seelsorgezustände in den Gemeinden hin. Der Reformtheologe Johannes Gerson etwa meinte, ein Pfarrer begehe „Ehebruch“, wenn er es an Seelsorgeeifer mangeln lasse; denn auch den „einfachen Seelen“ solle man „mystische Erfahrungen“ zutrauen. Gerson vertrat eine verinnerlichte Beichtpraxis, die eine einseitig „sakralinstitutionelle“ Frömmigkeit überwinden bzw. positiv ergänzen wollte.51

An grundlegenden Konzepten für eine individuelle und realitätsnahe Seelsorgepraxis hat es gewiss nicht gefehlt. Hier ist auf die monastischen Traditionen mit ihren ausgeprägten Seelsorgepraktiken hinzuweisen. Besonders aber muss die „Regula pastoralis“ Gregors des Großen (gest. 604) erwähnt werden, die das ganze Mittelalter hindurch hohes Ansehen genoss.52 Natürlich geht es in dieser für die Geschichte der Seelsorge so bedeutenden Schrift vor allem und zuerst um den Kampf gegen die Sünde, aber die Regula pastoralis leitet die Seelsorger zu differenziertem Vorgehen an. Gregor gibt ihnen hier, so schreibt Christian Möller, eine „christliche Sittenlehre“ an die Hand, um sie „für eine kontextuelle Seelsorge zu sensibilisieren“53. Unter Bezugnahme auf Gregor von Nazianz weist er darauf hin, „dass nicht für alle die gleiche Art der erbaulichen Belehrung zuträglich ist“54. Die ganze Regula dient ausschließlich der Anleitung zu einer person- und situationsspezifischen Seelsorge: „Anders sind die Männer anzusprechen, anders die Frauen; anders die jungen Männer, anders die Senioren, anders die Armen, anders die Reichen … anders die Hochmütigen, anders die Kleinmütigen … anders die Gesunden, anders die Kranken …“55. Die Genera von Predigt und Gespräch mögen dabei nicht immer ganz klar unterschieden sein, aber der seelsorgliche Grundtenor ist ganz eindeutig. Und es geht Gregor um eine konfrontierende und zugleich ermutigende Seelsorge. Den „Hochmütigen“ z.B. gilt es zu zeigen, „Dass ihre vermeintlich guten Taten eigentlich Sünde sind“, während es für die Kleinmütigen angemessen sei, „wenn man nebenbei ihre guten Seiten streift und so einiges anerkennt und lobt, während man anderes an ihnen rügen muss; auf diese Weise soll ihr schwaches Selbstwertgefühl wieder gehoben werden, das durch die Rüge niedergedrückt wurde.“56 Das ist eine Seelsorge, die den Einzelnen und seine materielle wie seelische, seine geistige wie geistliche Befindlichkeit im Auge hat, auch wenn uns vielleicht der erzieherische Unterton heute eher befremdlich erscheinen mag. Wichtig bleibt, dass Seelsorge nur dann wirklich gelingt, wenn der Seelsorger selbst in dem, worin er andere „ermahnt“, ein Vorbild darstellt. Es geht nicht an, wenn einige „Kenntnisse zur Schau zu stellen versuchen, die zu erwerben sie unterlassen haben“57. Das nur „Richtige“ nützt nicht und hilft keinem. Erst die eigene Erfahrung des Seelsorgers macht seinen Rat wertvoll für andere. Darum sollen, so Gregor, Seelsorger fähig werden zur Introspektion: Ehe sie anderen einen Weg weisen, „sollen (sie) zuvor die Gedanken auf sich richten“58.

Gegen die gesamtkirchlich umfassende Verwirklichung einer aus diesem Geist fließenden Seelsorge- und Beichtpraxis sprachen vor allem zwei Faktoren. Die immer stärkere Konzentration des Priesterdienstes auf den korrekten Vollzug des Messgottesdienstes einerseits und der überaus geringe Bildungs- und Ausbildungsstand des gemeinen Klerus andererseits. Mit der Einführung der Pflichtbeichte waren Beichte und Seelsorge immer stärker an die Ortsgeistlichen gebunden. Diese waren aber oft zu nicht mehr in der Lage, als die Sonntagsliturgie einigermaßen richtig zu lesen und zu vollziehen. In der Stadt mag die Situation geringfügig besser gewesen sein als auf dem Dorf, vor allem auch dank der seelsorglichen Aktivitäten der Bettelorden. Aber der Bildungshorizont der meisten Pfarrer war in jedem Fall gering. Erst gegen Ende des 15.Jahrhunderts gibt es eine größere Anzahl akademisch gebildeter Seelsorger in den Gemeinden. Ein anschauliches Bild der pastoralen Situation auf dem Dorf vermittelt Arnold Angenendt: „Die Seelsorge vor Ort oblag „Vikaren“, den „Leutpriestern“, die oft kaum ihr Auskommen hatten und es an Seelsorge, die jetzt auch auf dem Dorf verlangt wurde, mangeln ließen. Der eingesessene Dorfpfarrer war überdies Bauer unter Bauern, hatte zur Subsistenz die mit dem Pfarrhof verbundene Landwirtschaft zu betreiben, lebte nicht selten mit seiner Magd ehelich zusammen und hatte seine Kinder zu versorgen, was oft genug zu Lasten des Pfarrgutes ging.“59

Die Betrachtung der seelsorglichen Landschaft in der mittelalterlichen Kirche zeigt, dass es nicht unproblematisch ist, wenn die Wahrnehmung der Seelsorgeaufgaben zu stark in die Nähe des liturgischen Dienstes rückt, ihre ursprüngliche, bei Klemens und Origenes besonders betonte, Verbindung zu Kultur und Bildung dagegen in den Hintergrund tritt.

Denn gerade die bei Gregor dem Großen geforderte Kontextualität von Seelsorge verlangt von den Seelsorgern eine hohes Maß an Sensibilität und sprachlichem Ausdrucksvermögen. Die Form der Beichte stand dem vom Prinzip her keineswegs entgegen, in ihrer stark formalisierten und ritualisierten Gestalt aber führte sie dazu, dass das, was sie eigentlich intendierte, immer weniger möglich wurde.

Dazu trug freilich auch bei, dass die neutestamentliche Gnadenbotschaft, die eigentliche Grundlage einer theologisch verantwortlich ausgeübten Seelsorge und Beichtpraxis, nicht mehr in ihrer ursprünglichen Klarheit gegenwärtig war und das Leben und Denken der mittelalterlichen Kirche nicht mehr deutlich genug prägte.

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