Kitabı oku: «Das Arrangement»
Das Arrangement
Ein Roman von Justin C. Skylark
Impressum
© dead soft verlag, Mettingen 2022
© the author
Cover: Irene Repp
http://www.daylinart.webnode.com
Bildrechte:
Covermodel: François Schoder
http://www.option-model.com
Fotograf: Maurizio Montani
Hintergrund:
© fiphoto – shutterstock.com
1. Auflage
ISBN 978-3-96089-508-4
ISBN 978-3-96089-509-1 (epub)
Für François
Inhalt:
Nielo Becker, Physiotherapeut, und Robert Saxen, Chef eines Schwulenclubs, sind glücklich verheiratet – eigentlich! Wäre da nicht der junge, hübsche François, der im Club als Poledancer arbeitet und dem Robert grenzenlos verfallen ist.
Um seine Ehe zu retten, stellt Nielo knallharte Bedingungen auf, die Robert und François zwar einen gemeinsamen Tag in der Woche einräumen, aber ansonsten dafür sorgen, dass Nielos Nebenbuhler auf Abstand gehalten wird.
Nach einem tragischen Todesfall, den es zu vertuschen gilt, sehen sich die drei Männer jedoch gezwungen, gemeinsam an einem Strang zu ziehen. Und schon gerät das Arrangement zwischen ihnen außer Kontrolle …
Prolog
François …
Allein wie er seinen Namen aussprach, bescherte mir eine regelrechte Gänsehaut, dabei hatte ich eigentlich keinen Grund, um eifersüchtig zu sein.
Ich hatte in gleichem Maße Rechte wie er. François … Rechte und Pflichten … Sogar mehr als das.
Aber nun der Reihe nach:
Zwischen Robert, François und mir gab es diese Abmachung. Ich weiß gar nicht, wann alles genau angefangen hatte. Vermutlich in den Tagen, in denen Robert gestresst nach Hause gekommen war und ich ihm nichts weiter bieten konnte als meine langweiligen Praxisgeschichten und aufgewärmtes Essen.
Die Luft war buchstäblich raus gewesen; nicht unüblich nach 5 Jahren fester Beziehung. Es hieß allerdings nicht, dass wir uns nicht mehr liebten. Das taten wir – von ganzem Herzen.
Vor zwei Jahren hatte Robert mir sogar einen Antrag gemacht. Er wurde mein Ehemann. Wir wohnten zusammen und die Zukunft lag uns zu Füßen.
Alltag und Stress machten uns dagegen zu dem, was wir inzwischen waren: ein schwules Paar, das alles hatte und doch einiges vermisste …
Robert war älter als ich. Am Anfang meiner Karriere, als ich das erste Mal auf ihn stieß, hatte er bereits sein Lebenswerk erbaut. Während ich plante, als examinierter Physiotherapeut eine eigene Praxis zu eröffnen, besaß er schon ein Etablissement in der Stadt und das riesige Haus am Waldrand. Aber das war nie der springende Punkt gewesen.
Vom ersten Moment an hatte er mich umgarnt und auf Händen getragen.
Vermutlich hätte ich mich nicht so schnell auf ihn eingelassen, doch seine liebreizende Art nahm mich sofort gefangen. Ich lernte von ihm. Er war mir ein Vorbild und es war nicht so, dass ich beim Sex immer unten lag. Wir harmonierten, ja, eigentlich auf allen Ebenen.
In dem Augenblick, in dem er mir beichtete, dass er der Besitzer des einschlägigen Schwulenclubs im Rotlichtviertel war und der Chef der dazugehörigen Meute, hatte es mich bereits erwischt. Von da an gab es kein Zurück mehr.
Ursprünglich war er zu den Massageterminen gekommen, weil er an einem hartnäckigen HWS-Syndrom litt, das ich mit gezielten Handgriffen lockern und vertreiben konnte.
Später nutzte er die arrangierten Hausbesuche, um mich zu ficken. Das ging keine zwei Wochen gut. Mein damaliger Arbeitgeber bekam Wind von der Sache und ich flog im hohen Bogen raus.
Nach weiteren vierzehn Tagen zog ich bei Robert ein und kaufte mit seiner Unterstützung eine eigene Massagepraxis, die auf Anhieb zum Selbstläufer wurde, sodass ich meine Schulden im Handumdrehen begleichen konnte. Ums Finanzielle war es also auch nie gegangen, obwohl ich mir vorstellen kann, dass das der ein oder andere hinter unserem Rücken behauptete.
Der Sugardaddy und sein Gespiele – ja, ich denke, das dachten einige über uns.
Aber das brachte uns nicht aus der Ruhe.
Jedoch ging die Leidenschaft ihre eigenen Wege und irgendwann glänzte sie zwischen unseren Laken mit Abwesenheit.
Sie können mir nicht folgen? Dann von Anfang an …
François …
I.
Es war ein Tag wie jeder andere gewesen. Die vielen Kunden in der Praxis brachten mich zur Erkenntnis, dass ich mein Leben im Griff hatte.
Inzwischen konnte ich mir drei Mitarbeiter und eine Auszubildende leisten und auch mal Urlaub nehmen. Oftmals war ich am Ende des Tages aber ebenso erschöpft wie meine Klienten. Dann sehnte ich mich nach einem entspannten Feierabend, einem heißen Bad, einem Glas Sekt … ein paar gemütlichen Stunden auf dem Sofa … zusammen mit Robert.
Das Problem an der Sache war, dass der immer häufiger nicht zeitig nach Hause kam. An einigen Abenden fand er überhaupt keinen Weg in unser Bett.
Ich verfolgte den Zustand ein paar Wochen, bis mir der Kragen platzte, denn ich ahnte, wer der Grund für sein Verhalten war.
François …
Ich ging nicht gern in diesen Club und nicht nur, weil er Robert gehörte. Bars und Diskos … Okay, die hatte ich zu Jugendzeiten auch besucht, aber Striptease und Poledance standen nicht auf meiner favorisierten Liste.
Robert besaß dieses Etablissement bereits, als er mich noch gar nicht kannte. Ich ging davon aus, dass hinter den Kulissen mehr lief, als er mir erzählte. Aber ich hatte nie danach gefragt. Vielleicht wollte ich es nicht wissen.
Da es der einzige Club in der Stadt war, der sich auf ein schwules Publikum eingeschossen hatte, war er stets gut besucht. Das Geschäft boomte.
Ich beklagte mich nicht, denn Roberts Arbeit verhalf uns zu einem gehobenen Lebensstandard, den ich nicht missen wollte.
Die schwarzen Zahlen auf unseren Konten waren ausschlaggebend dafür, dass ich meinen eigenen Job gelassen und dennoch fokussiert anging.
Mir saßen keine Darlehen im Nacken. Am Ende des Monats konnte ich nicht behaupten, den Gürtel enger schnallen zu müssen. Kurz gesagt: Uns ging es gut – bis zu diesem Abend:
Piet stand hinter dem Tresen, lediglich mit Krawatte und String bekleidet, aber das war hier bei den Angestellten so üblich. Der Club lebte von Freizügigkeit und exzellenten Stripshows. Wer darauf abfuhr, kam auf seine Kosten – wortwörtlich gemeint. Für ein Glas Sekt blätterte man 10 Euro hin, für eine Flasche einen Fünfziger und die Kunden waren so verrückt, das zu zahlen.
Ich war der Ehemann vom Chef. Piet erkannte mich auf den ersten Blick und der sah fast erschrocken aus.
„Nielo? Was machst du denn hier?“
Eine verdammt blöde Frage. Was sollte ich hier schon machen – mitten in der Woche? Abgesehen davon, ging es ihn etwas an?
„Mach mir mal einen Scotch, einen doppelten!“, forderte ich. Er nickte und machte sich sofort an die Arbeit. Derweilen sah ich mich um. Auch unter der Woche war der Laden gut besucht, dabei rückte der Zeiger auf Mitternacht. Aber ich wusste: Je später der Abend, desto frivoler die Shows.
An den Seiten der Tanzfläche standen zwei Podeste mit Polestangen und einem Metallkäfig, in dem ein Erwachsener mühelos Platz finden konnte. Die kleinen Bühnen wurden vom bunten Laserlicht angestrahlt. Rings um das Parkett gab es Sitzgelegenheiten, einige auch nah am Geschehen.
Was ich suchte, fand ich nicht.
„Wo ist Robert?“, warf ich in Piets Richtung. Mein Drink stand inzwischen vor mir und ich nahm einen kräftigen Schluck. Musste ich ja nicht bezahlen. Vielleicht sollte ich extra viel trinken – auf Roberts Kosten.
„Der?“ Ich bemerkte das Zögern in Piets Gesichtsausdruck. Er wusste genau, wo sich mein Angetrauter herumtrieb, doch er haderte mit sich, mir das zu sagen. „Ich glaube, der ist im Büro.“
Aha. Ich trank mein Glas aus, deutete mit dem Zeigefinger darauf. Das Signal reichte aus. Piet füllte nach. Sein Blick wirkte verunsichert, seine Bewegungen fahrig. Befürchtete er, dass es an diesem Abend zu einem Eklat kommen würde? Angedeutet hatte es sich ja schon seit einiger Zeit. Sicher sprach man hier im Club hinter unserem Rücken.
Über Robert und mich. Über den stinkreichen Inhaber und seinen jüngeren Mann, der so arrogant war, den Laden zu meiden, der es immer noch für nötig hielt, als Physiotherapeut zu arbeiten, anstatt sich aushalten zu lassen. Ja, so war ich: Nielo Becker. Sogar den Nachnamen hatte ich nach der Eheschließung behalten.
Um nichts in der Welt wollte ich Saxen heißen, denn Roberts Familienname war der Inbegriff von dem, worüber man in der Stadt nur hinter vorgehaltener Hand sprach.
Die Musik im Club wurde lauter. Auf der Tanzfläche sammelten sich die Gäste. Sie waren in muntere Gespräche vertieft. Einige hantierten mit ihren Handys herum, sicher mit der Absicht, bei der folgenden Darbietung Fotos und Videos zu machen. Mit deren Hilfe konnten sie sich zu Hause einen runterholen. Absolut ekelerregend.
Ich leerte das zweite Glas. Die Drinks beruhigten mich etwas. Sie halfen mir, runterzufahren. Trotzdem waren meine Finger flatterig. Ich schloss und öffnete sie, ballte eine Hand und spürte die Muskeln des Oberarms, wie sie sich spannten und dehnten, als warteten sie nur auf ein Zeichen.
Ja, vielleicht sollte ich an diesem Abend endlich ein Zeichen setzen. Mit der Faust. Ohne Worte. Direkt in sein feines Gesicht. François.
Aus dem Augenwinkel heraus sah ich, wie sich der Vorhang neben der Bar bewegte. Dahinter befand sich der Flur zu den privaten Räumen – und zum Büro. Ich sah Robert in seiner ganzen Pracht. Mit einer Größe von 1,90 Meter überragte er die meisten. In den letzten Jahren hatte er an Gewicht verloren, was ich seinem stressigen Alltag zuschrieb.
Obwohl er Besitzer des Clubs war, trieb er sich dort ständig herum. Irgendetwas gab es immer zu klären und ich wusste, dass er es liebte: Das Ambiente, leicht bekleidete Jungs, sexhungrige Typen, die eine Menge Geld einbrachten. Es gab ausreichend Security; am Eingang, am Ausgang, in jeglichem Winkel. Robert ließ es sich jedoch nicht nehmen, jeden Abend selbst nach dem Rechten zu sehen.
Er trug wie so oft schwarze Jeans, ein graues T-Shirt dazu und eine dünne Lederjacke. Kennen Sie Jeffrey Dean Morgan? Piet hatte mir mal anvertraut, dass man Robert im Club hinter seinem Rücken Negan nannte. Nicht nur, weil er so schlaksig war, keinen sichtbaren Arsch in der Hose hatte, sondern weil sein grau meliertes Haar und der Dreitagebart etwas Magisches in sein Gesicht zauberten. Etwas Charmantes und Angsteinflößendes zugleich. Scheiße, ich stand auf ihn wie am ersten Tag. Das war das eigentliche Problem an der Sache. Und François …
Ja, Robert trat tatsächlich aus dem gesonderten Bereich, als hätte er etwas Wichtiges im Büro zu erledigen gehabt. Aber ich kannte ihn und ebenso erkannte ich die lose Haarsträhne, die ihm abstrus ins Gesicht fiel, was eine körperliche Anstrengung offenbarte.
Selbstverständlich war er nicht allein. François tippelte neben ihm her, den Blick auf die Tanzfläche gerichtet. Mit geschminkten Augen und roter Fliege um den Hals symbolisierte er, gleich Teil der Show zu sein. Mit knappen, engen Pants bekleidet visierte er das erste Podest an.
Überdies sah ich, wie Robert sich von ihm verabschiedete: mit einem leichten Klaps auf sein festes Gesäß.
Mir blieb die Luft weg, obgleich sich mir all das bot, was ich vermutet hatte.
Ehe ich einen neuen Drink orderte, blickte Robert in meine Richtung. Kurz hielt er inne, doch er sah nicht erschrocken aus, eher besorgt. Mit großen Schritten kam er auf mich zu.
„Nielo? Was ist los? Ist etwas passiert?“
Eine berechtigte Frage. Als ich das letzte Mal unangekündigt in den Club gekommen war, hatte ein Besoffener unsere Katze über den Haufen gefahren. Fix und fertig war ich Robert damals um den Hals gefallen. Es war eine lange, eine frustrierte, aber auch sinnliche Nacht geworden. Er gab mir alles, was ich brauchte und in beschissenen Momenten benötigte.
Doch inzwischen besaßen wir kein Haustier mehr und mein Besuch hatte einen anderen Grund; und zwar das bildhübsche Flittchen, das in den Käfig stieg, sich obszön zur Musik bewegte und die Männer in der ersten Reihe fast zum Weinen brachte.
Ich sah es mir nur einen Moment an und verzog meine Lippen zu einem spöttischen Grinsen.
„Bei mir ist nichts passiert, aber du scheinst vergessen zu haben, wo dich deine Beine nach Feierabend hinzuführen haben.“
Er stand vor mir und sagte zuerst nichts. In dreister Weise tat er nachfolgend ahnungslos. „Was meinst du denn?“
Das Lachen verging mir. Ich beugte mich vor und zischte ihn an. „Was ist so wichtig, dass du mich die dritte Nacht am Stück allein lässt?“
Er trat von einem Bein auf das andere und strich sich über den kurz geschorenen Nacken. „Es ist Monatsende. Die Abrechnung, das weißt du doch …“
„Und François hilft dir neuerdings dabei?“
„Was?“
Mit einem Kopfnicken zeigte ich zum Käfig, aber ich sah nicht hin. Ich wollte nicht sehen, wie François seinen makellosen Körper zur Schau stellte, wie die fremden Männer sich die Lippen nach ihm leckten und ihm die Geldscheine hinter die Hotpants schoben.
„Wusste gar nicht, dass er auch Buchhaltung kennt. Dachte immer, er kann nur die Beine breitmachen!“ Ich wurde laut. So laut, dass Piet besorgt in unsere Richtung blickte.
Robert fasste mich sanft am Arm. „Wir gehen besser ins Büro.“
„Gut.“ Mürrisch stieß ich mich vom Tresen ab, entkam somit seinem Griff und marschierte voraus.
Es ging durch den Vorhang und den Flur; von dort in den hintersten Raum, wo sich das Büro befand.
Die Luft war stickig. Vielleicht bildete ich es mir auch ein, denn die Angelegenheit schnürte mir die Kehle zu.
Kaum hatte Robert die Tür hinter uns geschlossen, nahm ich meinen Schlüsselbund aus der Jackentasche. Mit nervösen Fingern zog ich den Haustürschlüssel ab und knallte ihn auf den Schreibtisch.
„Was soll das?“, fragte er.
„Ich ziehe aus“, erwiderte ich schnippisch, als wäre es eine logische Konsequenz, die ich aus den Umständen zog. „Hab das Nötigste gepackt, den Rest hole ich später.“
Robert schüttelte den Kopf und lächelte irritiert. „Das kannst du nicht machen. Wir sind verheiratet.“
„Das scheinst du vergessen zu haben“, konterte ich.
Er atmete schwer und strich sich über den Dreitagebart. Grau war er geworden. Aber ihm stand das. Ohnehin machte ihn das Alter nicht weniger attraktiv.
„Wir haben damals geschworen, uns Freiräume zu lassen“, meinte er.
Ich nickte, denn daran konnte ich mich gut erinnern.
„Freiräume, ja …“, sinnierte ich. „Mal ein Date zwischendurch, ein Flirt, keine große Sache … aber du …“ Ich presste die Lippen aufeinander. Mir wurde schlecht bei dem Gedanken, was er hinter meinem Rücken anstellte. Mein Blick fiel auf den Schlüssel, der auf einem Haufen Papier lag. Daneben stapelten sich Ordner. Das zeigte mir auf, dass er sich tatsächlich mit der Abrechnung befasst hatte.
Es änderte aber nichts an der Tatsache, dass er mehr als tolerabel fremdging.
Er stritt es ja nicht einmal ab! Er stand vor mir und verteidigte sich nicht.
„Entscheide dich“, forderte ich ihn auf. „François oder ich?“
*
Allein sein Zögern sorgte dafür, dass wir an diesem Abend auf keinen Nenner kamen. So machte ich Nägel mit Köpfen und zog aus. Mit den nötigsten Sachen quartierte ich mich in ein Hotel ein.
Von da an nahm das Elend seinen Lauf.
Wenn ich am späten Nachmittag von der Arbeit dort einkehrte, stand Robert schon davor. Manchmal wartete er in der Lobby oder vor meiner Zimmertür.
Er war ständig da. Plötzlich hatte er Zeit. Jeden Tag. Und jeden Tag schickte ich ihn weg.
Er machte Telefonterror, bombardierte mich mit SMS und Sprachnachrichten, ließ mir Blumen zusenden, die ich postwendend in den Abfalleimer warf.
Er lud mich zum Essen ein – zu dem ich nicht erschien. Ich ließ ihn warten, ließ ihn zappeln.
Er litt. Von Tag zu Tag wurde er schwächer. Ich quälte ihn mit meiner Ablehnung, folterte ihn mit meiner Abwesenheit.
Bis er vor mir auf die Knie ging und flehte. Es war das erste Mal, dass ich ihn hatte weinen sehen.
Es zerbrach mir das Herz, denn selbstverständlich konnte ich sein Leid nicht ertragen.
Zermürbender war allerdings die Tatsache, dass er sich nicht entscheiden konnte.
Überspitzt erzählte er mir von François, der bislang nirgends Fuß fassen konnte.
Dabei war das Tanzen sein Leben. Robert hatte ihn unterstützt, seit dem ersten Moment, in dem er im Club nach einem Job gefragt hatte. Dadurch hatte er sich fangen können.
Wenn François den Raum betrat, ging die Sonne auf. Wenn er sich auf der Bühne bewegte, blieb einem das Herz stehen.
Aus Roberts Gutmütigkeit wurde Schwärmerei, letzten Endes die Leidenschaft.
Er war François verfallen und ich konnte es ihm nicht einmal verübeln.
Bisweilen hatte ich über den Zustand gelacht und redete mir ein, selbst standhaft zu bleiben, indem ich wegsah.
Ich ging nicht in den Club und mied die Konfrontation. Wenn ich ihm begegnete, sah ich ihm nicht in die grün-blauen Augen.
Robert hätte das niemals gekonnt und das wusste ich.
Eine Lösung musste her, ansonsten hätte ich ihn verloren und das wäre wohl die größte Niederlage meines Lebens gewesen.
„Oh bitte, Nielo, schick mich nicht mehr weg!“, jammerte er. Vornübergebeugt krümmte er sich auf dem Boden. Er klammerte sich an meine Beine und schluchzte auf. „So kann das nicht weitergehen. Ich liebe dich doch so sehr!“
Es waren die Worte, die ich hören wollte, und ehrlich gesagt schmeichelte es mir, wie der große Robert Saxen vor mir kroch wie ein Wurm und mir das Blaue vom Himmel versprach.
In diesem Moment hatte ich ihn in der Hand. Ich hatte ihn so weit und so weit waren meine Überlegungen gewesen.
„Es wird weitergehen“, sagte ich kühl. Mein Herz machte einen Sprung, denn was ich mir überlegt hatte, war eigentlich genial. „… unter einer Bedingung.“
*
Der Augenblick war perfekt gewesen, denn François hatte erst vor kurzem seine Bleibe verloren.
Sein Vermieter hatte ihm die Wohnung gekündigt, kaum hatte er davon Wind bekommen, dass sich sein schwuler Mieter die Brötchen beim nächtlichen Poledance verdiente. Seitdem wohnte er in einem Hinterzimmer im Club.
Das war der Punkt, an dem ich ansetzte, der Trumpf, den ich ausspielte. Es war das As im Ärmel zu meinen Gunsten.
Mit dieser Strategie, so glaubte ich, konnte ich sie auseinanderbringen – zumindest für gewisse Zeiten.
„Was für eine Bedingung?“, fragte Robert. Mit geweiteten Augen sah er mich an. Meinen Triumph über ihn kostete ich aus.
„Wir haben die freie Einliegerwohnung“, startete ich und er nickte sofort, denn seit Monaten suchten wir einen Nachmieter für die Räume im Untergeschoss. Da Robert aber keine Zeit hatte und ich keine Lust, einen Makler zu aktivieren, geschweige denn eine Anzeige aufzugeben, stand die Wohnung leer. Wir nutzten sie nicht. Unser Haus bot genug Platz.
„François wird dort einziehen“, bestimmte ich.
Die Überraschung war mir gelungen. Roberts Augen leuchteten plötzlich und ich grinste in mich hinein. Er erkannte die Heimtücke in meinem Beschluss nicht.
„Meinst du das ernst?“ Er rappelte sich auf und strich die Falten aus seinem Anzug. Das Trauerspiel vor meinen Füßen hatte ein Ende genommen. Die Verhandlung über unsere Ehe begann.
Ich bejahte. „Er wird nicht mehr im Club schlafen, nur noch dort arbeiten. Wir nehmen ihn als Untermieter auf, jedoch muss er sich an gewisse Regeln halten.“
„Okay …“ Robert nickte die Ansage ab, ohne Details zu wissen. Das war sein Fehler. Aber ich hatte ihn längst in der Hand.
„François hat den Hintereingang zur Wohnung zu nutzen. Am Haupteingang des Hauses hat er nichts zu suchen. Er darf den Rasenabschnitt Souterrain betreten, aber nicht unseren Garten. Sein Auto, sollte er eins haben, steht weder in unserer Auffahrt noch in der Garage. Kein Nachbar soll auf die Idee kommen, irgendeine Verbindung zwischen dir und ihm zu sehen.“
„Gut.“ Robert stimmte auch dem zu, aber ich registrierte die Nachdenklichkeit in seinem Gesichtsausdruck. Er ahnte wohl, dass das nicht alles war. Der Clou fehlte und den präsentierte ich ihm mit einem siegreichen Lächeln auf den Lippen.
„Er hat auch in unserem Haus nichts zu suchen. Die Treppe von der Einliegerwohnung ins Erdgeschoss ist für ihn tabu. Ich will ihn dort nicht sehen.“
Robert nickte verhalten, aber er sagte nichts, denn ich war noch nicht fertig mit meiner Aufzählung.
„Du siehst ihn im Club …“ Ein sarkastisches Lachen konnte ich mir nicht verkneifen. „… lässt sich ja auch kaum vermeiden, wenn er weiterhin dort arbeitet. Aber nach Feierabend trennen sich eure Wege.“
Robert stutzte wie erwartet. Sein Körper bog sich etwas nach hinten, er neigte den Kopf in den Nacken, sah mich dennoch prüfend an. „Wie meinst du das?“
„Du kommst jeden Abend nach Hause.“
„Nielo, das geht nicht so einfach. Der Club hat bis 5 Uhr geöffnet.“
„Spätestens um 1 Uhr liegst du bei mir im Bett und am Samstagabend gehst du gar nicht hin, lediglich im Notfall.“ Mir war bewusst, dass das eine strenge Forderung war, denn besonders am Wochenende herrschte reges Treiben im einschlägigen Milieu. Doch auf der anderen Seite wusste ich, dass selbst ein Robert Saxen entbehrlich war. Früher, als unsere Beziehung noch frisch gewesen war, hatte er die Abende ja auch lieber mit mir als im Club an der Bar verbracht.
„Du kannst Sonntagabend nach dem Rechten gucken, aber generell gehört das Wochenende uns.“
Er zögerte mit der Antwort. Ich sah ihm an, wie er überlegte und die Sachlage im Kopf durchspielte. Schließlich lächelte er unsicher. „Du möchtest, dass François in die Wohnung zieht, aber ich soll ihn nicht außerhalb der Dienstzeit privat treffen?“
Das hatte er richtig erkannt. Doch da ich wusste, dass er dem niemals zugestimmt hätte, hatte ich eine klitzekleine Ausnahme in das Regelwerk eingebaut.
„Ich überlasse euch den Freitag. An den anderen Tagen hast du dich zu benehmen wie ein treuer Ehemann.“
„Aber …“ Es war absehbar, dass er mit Gegenargumenten kam, doch ich hörte sie mir erst gar nicht an.
„Das ist keine Sache, um die wir feilschen werden“, stellte ich klar. „Das sind Regeln, an die ihr euch halten werdet.“
Er schwieg und gab kein Kontra mehr. Somit verdeutlichte ich:
„Ich räume dir einen Tag in der Woche ein, an dem du etwas mit François unternehmen kannst. Du gehst in den Club, um deine Arbeit zu machen, und nicht, um mit ihm rumzuvögeln. Abgesehen davon will ich ihn nicht sehen. Er kann in der Wohnung wohnen, damit du es nicht weit zu ihm hast, aber er hat sich von unseren Räumen fernzuhalten. Wenn du freitags zu ihm gehst, werde ich mich ins Dachgeschoss zurückziehen.“
„Aber wieso das?“, fragte er perplex.
„Das Haus wird aufgeteilt. Oben ist mein Bereich, in der Mitte wohnen wir beide und unten François.“
Er schüttelte den Kopf. „Verstehe ich nicht, du hast doch alles.“
Ich atmete tief durch und stemmte die Hände auf die Hüften. „Du hast den Bogen überspannt, Robert“, verdeutlichte ich. „Und ich gebe dir hiermit eine letzte Chance. Jeder hat Rechte und Pflichten, an die er sich halten wird. Wenn François eine Bleibe bei uns findet, beanspruche ich ebenso einen Rückzugsort für mich. Sieh es als eine eingebaute Notbremse an, falls ich eine Auszeit benötige.“
„Na gut.“ Er lächelte verhalten. Ich konnte ihm ansehen, dass er mit der Regelung nicht glücklich war, aber ihm blieb keine andere Wahl. Selbstverständlich räumte ich mir meinen eigenen Wohnbereich unter dem Dach nicht nur ein, um mit François auf einer Ebene zu stehen, sondern auch, weil ich sichergehen wollte, dass ich nichts davon mitbekam, wenn die beiden sich trafen. Ja, so stellte ich mir das vor. Ich würde mich an den Freitagabenden in mein kleines Reich zurückziehen und mich mit allen möglichen Dingen ablenken, aber gewiss nicht an ihn denken. François …
Es war ein raffinierter Plan, ein perfektes Arrangement, so dachte ich.
Aber wie so oft im Leben machte einem das Schicksal einen Strich durch die Rechnung … Und so geschah es auch bei uns …
*
In den ersten Monaten lief alles nach selbst auferlegter Vorschrift.
Zuerst wurde der Dachboden nach meinen Vorstellungen umgestaltet. Dabei ließ ich Robert richtig bluten. Bei der Auswahl der Baumaterialien sowie der Inneneinrichtung gab ich mich nicht mit Standards zufrieden. Meine eigenen zwei Zimmer mit Bad kosteten eine Menge. Selbstverständlich musste Robert dafür aufkommen und er versuchte erst gar nicht, gegenzusteuern, sondern zahlte die Rechnungen.
Es wurde ein großes Oberlicht zwischen die Dachgiebel eingebaut, durch die ich vor dem Schlafengehen den Sternenhimmel betrachten konnte. Ich orderte ein Boxspringbett, einen Massagesessel und natürlich einen Schreibtisch mit ergonomischer Sitzgelegenheit. Es wurden Kabel und Rohre verlegt, damit ich unter dem Dach eine kleine Kochnische bekam und im Bad installierte man eine Wellnesswanne mit integrierten LEDs und Massagedüsen. Abgerundet wurde das Ganze mit einer Wildledercouch, einem Kamin und Schränken aus Mahagoni.
Es war fast zu schade, die Räumlichkeiten nur ein Mal in der Woche zu nutzen, aber wenn schon, denn schon, sagte ich mir. Wenn Robert meinte, sich weiterhin mit François treffen zu müssen, sollte es mir in der besagten Zeit zumindest an nichts fehlen.
Für die Einliegerwohnung galten andere Bestimmungen. Dort hatte Robert nichts zu erneuern. Um etwaige Renovierungsarbeiten und Neuanschaffungen musste sich François selbst kümmern.
Mögliche Unkosten hatte er aus eigener Tasche zu zahlen.
An einigen Nachmittagen wurde es richtig laut in den unteren Räumen.
Ich sah Robert an, dass es ihn wurmte, nicht helfen zu dürfen, aber er sagte nichts.
Derweilen grübelte ich darüber, ob der Schönling es tatsächlich selbst war, der in der Wohnung werkelte oder ob er Handwerker geordert hatte. Eins musste ich ihm lassen: Seinen Einzug bemerkte ich nicht. Er nutzte den Nebeneingang und auch sonst sah ich niemanden, der den Weg zu ihm suchte; nicht einmal den Möbeltransporter bekam ich mit. Vermutlich, weil ich tagsüber in der Praxis war.
In den Stunden, in denen François seiner Freizeit nachging, war ich dabei, Kunden zu massieren, sie in Bäder oder Packungen zu legen. Wenn ich Feierabend machte, befand sich François schon im Aufbruch. Kam ich nach Hause, ging er in den Club.
Wenn er sich frühmorgens nach einer langen Nacht ins Bett legte, klingelte bei mir der Wecker.
Wir lebten quasi im selben Gebäude nebeneinander her, doch sahen und trafen wir uns nicht.
Vielleicht mag es grotesk erscheinen, dass ich den Liebhaber meines Mannes so nah bei uns wohnen ließ, doch genau das war der springende Punkt.
Ich hatte sie unter Kontrolle – und das wussten sie. Ausnahmen oder Patzer waren indiskutabel. Die tolerierte ich nicht.
Ich war sozusagen das Bindeglied unserer Abmachung, der Schiedsrichter, der die Fäden in den Händen hielt.
Robert war so schlau, sich dem zu beugen, und François kuschte – denn aus seiner Reihe hörte ich keine Worte des Protestes. Zumindest kamen sie mir nicht zu Ohren.
Kurz gesagt: Das Miteinander lief bestens. Ich bildete mir ein, dass es für unsere ungewöhnliche Dreierkonstellation keine brillantere Lösung gab.
*
An einem dieser besagten Freitagabende lag ich entspannt in der Wellness-Wanne und telefonierte mit meiner Schwester. Das tat ich zu selten und obwohl sie in der Nähe wohnte, trafen wir uns meist nur an Feiertagen. Sie war also nicht auf dem neusten Stand und ich berichtete ihr von den aktuellen Ereignissen.
„Wir haben den Dachboden für mich ausgebaut“, schilderte ich. „Robert hat keine Kosten gescheut. Es ist brillant geworden. Momentan genieße ich den Whirlpool.“
„Wow“, erwiderte sie. „Das klingt gut, aber wieso bist du schon wieder allein am Abend? Und wieso benötigst du Raum für dich? Habt ihr Probleme?“
Es war zu erwarten gewesen, dass sie nachfragte. Innerlich hatte ich mich auch darauf eingestellt. Sie wusste nicht, was sich in den letzten Wochen entwickelt hatte. Vielleicht hatte ich das Gespräch bewusst auf das Thema gelenkt, damit ich mir endlich von der Seele reden konnte, was mir auf dem Herzen lag.
„Robert hat viel zu tun“, sagte ich und das war nicht einmal gelogen. „Aber wir haben jetzt eine Abmachung, die vorsieht, dass er sich zumindest in der Woche nicht die Nächte im Club um die Ohren schlägt.“
„Und am Wochenende?“, hakte sie nach.
Ich nahm einen Schluck aus dem Champagnerglas. „Sonntags sieht er mal nach dem Rechten, aber ansonsten ist er zu Hause.“
„Aber heute wohl nicht …“ Sie hatte es richtig erkannt. Da ich zuerst schwieg, fragte sie weiter. „Hat er denn noch immer dieses Faible für den jungen Tänzer. Wie hieß er noch?“
„François.“ Ich half ihr auf die Sprünge, dabei widerstrebte es mir, diesen Namen auch nur auszusprechen. „Ja, er schwärmt noch für ihn. Das wird er wohl nicht ablegen.“
Sie seufzte. „Ach, Nielo, ich habe es immer gesagt: Typen, die im Rotlichtmilieu arbeiten, sind schwierig.“
Ich gab ihr kein Kontra, denn es stimmte. Ob sie sich nun auf Robert bezog oder François, es war egal. Es würde wohl auch in Zukunft stets etwas außergewöhnlich laufen …
Später lag ich im Bett und betrachtete den Sternenhimmel genau so, wie ich es mir gewünscht hatte. Bad und Schampus hatten mich zufriedengestellt, aber mein Körper geriet augenblicklich unter Spannung, kaum hörte ich den lauten BMW-Sportwagen in die Einfahrt und die Garage fahren.
Roberts Auto verriet mir immer, wenn er nach Hause kam – auch an diesem Abend.
Erneut haderte ich mit mir und wurde nicht zum ersten Mal schwach. Ich kroch aus dem Bett, öffnete die Tür und horchte in den Flur. Die Wohnungstür wurde aufgeschlossen, das hörte ich sogar im Dachgeschoss. Und da war er wieder, der winzig kleine Moment, in dem ich hoffte, dass Robert die Treppe nach oben nehmen würde – zu mir, seinem Ehemann, der sich unter dem Dach verschanzt hatte wie ein Igel im Winterschlaf.