Kitabı oku: «Das Gold der Felder»
K.P. Hand
Das Gold der Felder
Teil 1 - Gérard
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Inhaltsverzeichnis
Titel
Das Gold der Felder I – Gérard
Wenn die Pfirsichblüten erblühen
Wo die Sehnsucht erwacht
Im Netz des Verlangens
Schattige Schicksalswege
Vorschau
Impressum neobooks
Das Gold der Felder I – Gérard
Dieses Buch widme ich dir. Du weißt schon, dass du gemeint bist. Danke für die Idee hierzu, und dass du mein Testleser warst, danke für deine mentale Unterstützung und ehrliche Meinung. Aber vor allem für die vielen heiteren Momente, amüsanten Gespräche und ermutigenden Worte, wenn das Tief mich wieder hinab zog.
Vorweg:
Bei dieser Geschichte liegt der Schwerpunkt eindeutig auf der Romanze. Und viele Stellen wurden sehr ausgeschmückt. Erwartet keine Action, dafür aber eine sehr verträumte Schilderung.
Alle Personen sind frei erfunden, es hat sie nie gegeben.
Wenn die Pfirsichblüten erblühen
Provinz Roussillon, Südfrankreich, 1487
Am Fuße des Pic du Canigou wuchsen Pfirsichbäume.
Sie standen wie Soldaten in Reih und Glied auf einer hellgrünen Wiese, als erwarteten sie ein Heer Feinde. Ihre gerade erst erblühten Knospen öffneten sich durch den warmen Kuss der Sonne und erstrahlten in einem blassrosafarbenen Meer, das sich vor der Silhouette des mächtigen Berges im flachen Tal ergoss.
Bunte Vögelchen sangen und jagten tänzerisch durch die Lüfte, und irgendwo muhte eine Kuh. Die Provinzler Roussillions gingen geschäftig ihren Gepflogenheiten nach, während der junge Soldat Gérard an ihren Feldern und Höfen vorbeiritt.
Einige Mädchen, die auf den Ackern tatkräftig mitarbeiteten, hoben die Köpfe und sahen dem schlaksigen Reiter nach, der ganz allein und einsam durch die Provinz ritt und in seiner schicken, nigelnagelneuen Uniform recht ansehnlich wirkte. Sie nahmen jedoch unter den wütenden Blicken ihrer Väter schnell wieder ihre Tätigkeiten auf.
Gérard bemerkte nichts davon, denn ihn plagten andere Sorgen. Er glaubte allmählich, sich in der ländlichen Gegend verritten zu haben. Dabei hätte er bereits vor Stunden bei seinem neuen Posten eintreffen sollen. Er hielt an einer Kreuzung an und fragte einen Bauern, der neben einem Ochsen und einem Pflug stand, nach dem Weg zu der hier stationierten Kompanie des Königs.
Nachdem der alte Griesgram recht unhöflich der strahlenden Sonne entgegen gewiesen hatte, zerrte Gérard die Zügel seines dunkelbraunen Pferdes herum und ritt in die ihm vorgegebene Richtung. Unhöflichkeit war er gewohnt, er kam aus der Stadt und war so gut wie auf der Straße großgeworden. Umso wichtiger war es ihm, nicht all zu spät bei seinem neuen Vorgesetzten einzutreffen. Gérard hatte sein Leben um jeden Preis verbessern wollen, und der Eintritt in die Armee war ihm am klügsten erschienen, weil selbst ein Gossenjunge, wie er, im Rang aufsteigen konnte, sofern er nur stark und mutig genug war, sich als Held zu beweisen.
Und genau deshalb konnte Gérard es kaum erwarten, seinen Posten anzutreten. Er konnte nun der Stadt entfliehen und seinen Rekruten-Rang ablegen. Endlich lohnte sich all sein Fleiß.
Die Kompanie lagerte direkt am Fuße des Pic du Canigou, der sich nun majestätisch vor Gérard emporhob.
Die Zeltspitzen des Lagers bildeten auf brachliegenden Feldern einen Kreis, am südlichen Rande befand sich ein Übungsplatz, für jenen eine von dürren Bäumen umringte Weide hatte herhalten müssen. Statt grünem Gras fand man dort nur noch staubigen, braunen Grund vor. Niemand übte auf dem Platz, als Gérard daran vorbei ritt, alles war ruhig wie auf einem Friedhof, die Übungsschwerter standen unberührt in den Ständern. Eine kleine Scheune gehörte zu dem recht kleinen Soldatenlager, sie stand etwas abseits auf einer einsamen aber weitläufigen Wiese.
In unmittelbarer Nähe befand sich ein bescheidenes Dorf, dessen ländliche Idylle so manchen Künstler ins Schwärmen gebracht hätte. Wie auf einem Gemälde standen die rustikalen Bauernhäuser umringt von Getreidefeldern und grünen Kuhweiden in einer ebenen Landschaft. In der Mitte dieser Siedlung befand sich eine malerische kleine Kapelle mit Glockenturm. Keine Mauern sperrten die Menschen ein, auf dem Land herrschte eine geradezu sorglose Freiheit.
Gérard stieg aus dem Sattel und führte sein müdes Pferd am Zügel in das ruhige Lager der königlichen Armee. Durch die Sonne schwitzte sein dunkelbraunes, gelocktes Haar unter seinem Spangenhelm, doch er war diszipliniert genug, ihn trotzdem aufzubehalten. Er durfte keinen schlechten Eindruck erwecken, denn er sah diese Chance als seine einzige und letzte um aus seinem Leben wirklich etwas Wertvolles zu machen. Im Kampf zu sterben war besser als auf der Straße abgestochen zu werden.
Doch was er schließlich erblickte, ließ ihn wahrlich staunen.
Die Männer lagen oder saßen faul herum, sonnten ihre entblößten Oberkörper in der Sonne, winkten und schmunzelten träge den Bauernmädchen auf den Feldern zu.
Gérard war doch erstaunt, immerhin war er in Paris ausgebildet worden, wo strenge Ordnung und Disziplin herrschte. Einen solchen Haufen sich räkelnder Faulpelze hätte dort niemand geduldet!
Während er langsam durch die ruhigen Zeltreihen ging, verfolgte ihn der schmale Blick eines scheinbar dösenden Mannes. Er lag nur in Unterkleidern auf einem Stapel Fässer und um ihn herum standen Vorratskisten, die er offensichtlich nicht sehr gut bewachte. Sein Panzerbrecher steckte in der ledernen Schwertscheide und lehnte an einem geöffneten und geleerten Weinfass, sein abgelegter Plattenpanzer lag daneben auf dem plattgetretenen Boden.
»He, Knäblein!«, rief ihm der Mann unerwartet hinterher. »Wo wollen wir denn hin?«
Gérard zuckte leicht zusammen, da er geglaubt hatte, der Mann würde tief und fest schlafen. Er blieb stehen und drehte sich neben dem Kopf seines müden und durstigen Pferdes zu dem Faulenzer um.
Erst da begriff er, wie er genannt wurde, und setzte eine ärgerliche Miene auf. Er sollte mittlerweile an die bissigen Bemerkungen seiner Kameraden gewöhnt sein, trotzdem störte es ihn, dass er wegen seines jungen Alters und seiner knabenhaften Statur nicht ernst genommen wurde.
Der Mann machte sich nicht die Mühe, aufzustehen oder auch nur den Blick zu heben. Er kaute lässig wie ein Landstörzer auf einem Strohhalm herum, die Arme gemächlich hinter dem Kopf verschränkt. Sein Leinenhemd stand offen, sodass die Sonne auf seine mit braunem Haar bedeckte Brust schien. Sein dunkelbraunes Kopfhaar reichte ihm bis zu den Schultern, es schimmerte wie eine Kastanie im Sonnenschein, und hing ihm so tief in der Stirn, dass es beinahe seine Augen bedeckte.
Trotz, dass die Lider wegen der grellen Sonne und offensichtlichen Argwohns zusammengekniffen waren, schimmerte das helle Braun der Iris bis zu Gérard herüber.
Dieses Schimmern sorgte letztlich auch dafür, dass er den anderen Mann einfach nur mit offenen Lippen staunend ansehen konnte.
Was war das? Dieser seltsame Druck in seinem Bauch? Er fühlte sich plötzlich unwohl und befürchtete, sich auf der Reise eine Krankheit eingefangen zu haben.
Der Mann zog eine dunkle Augenbraue in die Höhe. »Hat es Euch die Sprache verschlagen, Bursche?«
Gérard riss sich ruckartig zusammen. Er erinnerte sich an seine Ausbildung und an die große Ehre, hier sein zu dürfen, obwohl er noch recht jung für seinen Dienstrang war.
»Ich suche den Capitaine dieser Kompanie«, verkündete er und bemühte sich, stramm zu stehen.
Ein schiefes Schmunzeln breitete sich auf den geschwungenen Lippen des anderen Mannes aus. »Ist das so?«
Gérard nahm überdeutlich die tiefen Grübchen in dessen Mundwinkeln wahr. »Ganz recht«, bestätigte er und neigte formell sein Haupt. »Wenn Ihr also die Güte hättet, Euren faulen Mittagsschlaf zu beenden, um mir den Weg zu Eurem Capitaine zu weisen, verrate ich ihm vielleicht nicht, dass Ihr während dem Dienst schlaft.«
Der Faulenzer streckte sich genüsslich, sich keinem Fehlverhalten bewusst. »Es ist schon Mittag?«
Gérard war schockiert über den Mangel an Disziplin! Und darüber, dass dieser Soldat sich augenscheinlich nicht dafür schämte. Dort wo Gérard herkam, wurden noch nicht einmal hängende Schultern gestattet; und es war schon gar nicht erlaubt, faul während dem Dienst in der Sonne zu liegen.
Er wollte sich jedoch nicht bereits am ersten Tag bei den Männern der Kompanie unbeliebt machen, also wartete er geduldig ab, bis sich der andere Mann gestreckt hatte und dann lässig auf die Beine kam.
Eine unbekannte Hitze stieg Gérard in die Wangen, als er den unzureichend bekleideten Mann in aufrechter Haltung vor sich sah. Er war beeindruckend groß und breitschultrig. Seine schlanken Muskeln waren schon vom Weiten einschüchternd, dabei wirkte sein Körper keineswegs hünenhaft.
»Nun denn, Bursche.« Er sprang von den Fässern und landete mit der Grazie einer Katze auf dem Boden. Sich die Hände abklopfend, schlenderte er auf Gérard zu, sodass dieser den Kopf in den Nacken legen musste, um zu ihm auf sehen zu können. Der große Mann blieb stehen und lächelte dünn: »Der Capitaine steht vor Euch.«
Herzstillstand. Gérard starrte aus großen Augen zu ihm auf und schluckte trocken. »Oh. Ich … äh … «
»Und wer seid Ihr«, verlangte der Capitaine zu erfahren, sein musternder, sehr strenger Blick glitt schräg an Gérards Körper auf und ab, »Knabe?«
Es kostete Gérard einiges an Überwindung, unter dem harten Blick des Capitaine nicht furchtvoll den Kopf einzuziehen.
Warum war ihm nur plötzlich so heiß? Vermutlich wegen seines unverzeihlichen Fauxpas.
Gérard überspielte seine Unsicherheit, indem er verkrampft Haltung annahm. »Die Armee schickt mich, Capitaine. Ich bin Euer neuer Sergent.«
***
»Das soll wohl ein Scherz sein.« Capitaine Brix sprach nicht mit Gérard, sondern mit einem seiner Unteroffiziere. Er umrundete seinen Tisch im Inneren seines halbdunklen Zelts und stellte sich dahinter, während er den Soldaten entnervt ansah.
»Sie ziehen den armen, alten Louie von hier ab, und mir schicken sie einen … einen …«, er suchte nach einem für ihn passenden Begriff und schwenkte abschätzig seine Hand in Gérards Richtung, » … einen Knaben von … von … Bei dem allmächtigen Herrn, wie alt seid Ihr?«
Gérard stand augenblicklich noch etwas strammer und ließ sich seinen Ärger über den herablassenden Tonfall des Capitaine nicht anmerken. »Neunzehn, Capitaine. Ich bin neunzehn Jahre alt.«
Nun … jedenfalls offiziell, und mehr brauchte er auch nicht zu wissen.
Der Capitaine verengte argwöhnisch seine Augen und starrte Gérard einen nicht enden wollenden Moment lang an.
Es schien, als wollte er mit diesem durchdringenden Blick direkt in Gérards Kopf und Gedanken sehen – oder ihn zumindest dazu bringen, vor ihm einzuknicken.
Da Gérard standhaft und seine Miene unbewegt blieb – obwohl er innerlich zitterte wie ein verlorenes Lamm im Regen – nahm der Capitaine diese Antwort hin. Doch sein Argwohn wollte nicht aus seinem strengen Blick weichen.
»Reichlich jung«, bemerkte er schließlich, »obwohl ich Euch sogar für noch jünger halte. Wie kommt Ihr zu diesem Dienstrang?«
Er fragte dies in einem Wortlaut, der deutlich machte, dass er Gérard für einen Schwindler hielt.
Gérard starrte weiterhin die Zeltwand hinter seinem Vorgesetzten an. »Ich glänzte durch taktisches Geschick, Klugheit und Disziplin, Capitaine. Ich führe eine Empfehlung der Krone mit mir.«
Natürlich hatte Gérard nie persönlich den König oder auch nur einen von dessen Beratern angetroffen, aber die Krone verteilte derweil viele Anträge, um Soldaten zu den Heerlagern zu entsenden. Sie rüsteten auf, ganz gleich wie jung der Nachschub sein mochte.
Als der Capitaine winkte, kramte Gérard in seinen Taschen und überreichte diesem das offizielle Dokument.
Routinemäßig brach Capitaine Brix das Siegel des Königshauses und brauchte dann einen Moment um die Zeilen zu lesen. Gérard war sich sicher, dass danach alles geregelt sein müsste, und konnte dahingehend nur Erleichterung empfinden.
Seit dem Missverständnis vor einigen Augenblicken herrschte nämlich eine gewisse Spannung zwischen ihm und dem Capitaine, die er als dessen neuer Sergent gerne überwunden hätte. Solch ein erstes Zusammentreffen hätte niemals repräsentabel für ihre zukünftige Zusammenarbeit stehen dürfen. Gérard konnte nur hoffen, dass der Capitaine ihm seine Arroganz verzieh.
Doch die geschwungenen Lippen des Capitaine wurden schmal. Er blickte von dem Dokument auf und fasste Gérard scharf ins Auge. »Sie schicken Euch, um zu lernen.«
Es war keine Frage, trotzdem antwortete Gérard: »So ist es, Capitaine. Ihr habt noch immer einen lobenswerten Ruf als einer der besten Schwertkämpfer, Capitaine. Ich bin hier, um von Euch zu lernen.«
Gérard nahm an, der andere Mann würde sich dadurch geschmeichelt fühlen, immerhin war es eine große Ehre, ein Lehrer zu sein. Es bewies, dass Capitaine Brix` Fähigkeiten herausragend waren und noch immer sind.
Doch der Capitaine warf die Nachricht recht ernüchtert auf seinen Tisch und fuhr sich dann durch das braune Haar als sei er erschöpft. Er wandte sich an den anderen Soldaten, der stumm und ratlos neben ihm stand. »Sie wollen einen Lehrer aus mir machen …«
Der Soldat schwieg, betrachtete den Capitaine aber mit einem bedauernden Blick.
»Sie werden mich nicht mehr an die Front versetzen und kämpfen lassen«, murmelte Capitaine Brix und schüttelte frustriert den Kopf, »stattdessen soll ich andere auf das Kämpfen vorbereiten.«
Die darauffolgende Stille im Raum sprach Bände. Gérard wurde allmählich bewusst, worum es bei seiner Anwesenheit ging. Er hatte den Drang, sich zu entschuldigen, doch da schien sich der Capitaine zusammen zu reißen und wandte ihm mit einem dünnen Lächeln das Gesicht zu.
»Nun denn …«, er las den Namen von dem Dokument ab, da er ihn vergessen hatte, » … Gérard. Wisst Ihr, welchen Aufgaben ein Sergent nachgehen muss?«
»Der Sergent ist dem Capitaine verantwortlich und sorgt für die Ordnung in der Kompanie«, antwortete Gérard einstudiert.
Der Capitaine lächelte dem anderen Soldaten zu, sie tauschten stumme Blicke aus, die vor Belustigung nur so sprühten.
Sie schienen sich über seine Worte zu amüsieren, dabei konnte Gérard sich beim besten Willen nicht erklären, was er so falsches gesagt haben könnte. Man hatte ihm exakte Anweisungen gegeben, bevor man ihn hergeschickt hatte, und genau jene hatte er lediglich wiederholt.
Er befolgte nur Befehle.
»Verzeiht, Capitaine Brix«, wagte Gérard das Wort an diesen zu richten und sah zwischen den beiden Männern unsicher hin und her, »aber vielleicht sollte ich mich einfach meinen Aufgaben widmen. Kann ich irgendetwas für Euch tun?«
Der Capitaine zog die dunklen Augenbrauen soweit nach oben, dass sie fast seinen Haaransatz berührten. »Etwas für mich tun?«
Gérard nickte voller Tatendrang. »Wobei kann ich Euch helfen? Ich würde mich gerne sofort nützlich und mit allem vertraut machen.«
Wieder tauschte der Capitaine mit dem anderen Soldaten ein Lächeln aus. Sie amüsierten sich ganz offensichtlich über Gérard, den die Arroganz seines Vorgesetzten allmählich auf eine Art zu reizen begann, die er so in jener ausgeprägten Form noch nie verspürt hatte. Er konnte sich nicht entsinnen, sich jemals derart über einen anderen Menschen geärgert zu haben wie über Brix, dabei konnte er nicht einmal benennen, was ihn eigentlich genau an diesem missfiel.
»Ihr wollt etwas tun?« Der Capitaine fuhr sich mit seiner Hand über den Mund, um sich das Schmunzeln aus dem Gesicht zu wischen, doch das belustigte Funkeln in seinen hellbraunen Augen wollte einfach nicht abnehmen. »Na dann kommt mal mit.«
Der Capitaine krümmte lockend einen Finger und bedeutete Gérard, ihm zu folgen.
Er führte ihn durch das Lager, ohne ihm jedoch irgendetwas zu zeigen oder zu erklären. Mit einem erhobenen Kinn, die Hände in seinem leichten Hohlkreuz verschränkt, stolzierte er Gérard voraus, bis sie am Rande des Lagers ankamen.
»Hier!« Der Capitaine gab den Blick auf die vollkommen friedliche Landschaft preis.
Verwirrt trat Gérard neben ihn und betrachtete mit gerunzelter Stirn das Meer aus Pfirsichbäumen, das sich vor ihm am Fuße des Pic du Canigou ergoss. Eine leichte Windbrise blies durch die Baumkronen und zerrte an den rosafarbenen Blüten, einige segelten wie farbiger Schnee zu Boden. Mehr war nicht zu sehen.
Fragend sah er den Capitaine wieder an.
»Ihr wolltet doch etwas tun«, schmunzelte dieser humorlos und klopfte Gérard zum Abschied grob auf die Schulter. »Ihr könnt den Pfirsichen beim Wachsen zusehen.«
***
Gérard konnte Brix nicht ausstehen. Und seine Meinung über den Capitaine schien sich mit jedem dahinfließenden Tag zu festigen.
Es lag keineswegs daran, dass Gérard ihn für einen Faulpelz hielt, denn schon nach nur einer Nacht hatte er feststellen müssen, dass es in diesem Lager bis auf die üblichen kleinen Aufgaben überhaupt nichts zu erledigen gab. Der Capitaine hatte sich nicht nur über ihn lustig machen wollen, als er ihm vorschlug, den Pfirsichen beim Wachsen zuzusehen, er hatte ihm damit lediglich zeigen wollen, was es hier zutun gab: Nämlich gar nichts.
Kein Feindesheer war in Sicht oder hatte gar die Absicht, hier einzufallen, keine aufständischen Bauern gingen umher, nicht einmal die wilden Tiere trieben ihr Unwesen. Es gab hier nichts und niemanden, den sie hätten zur Ordnung rufen müssen.
Roussillon wurde vor vielen Jahren von den Engländern als Pfand an den König abgetreten, und der einzige Grund, weshalb hier überhaupt Kompanien stationiert wurden, war, um einfach nur präsent zu sein. Sie waren nur anwesend, um mit der Flagge des Königs zu winken.
Was natürlich dazu führte, dass es rein gar nichts zu tun gab, außer in der Sonne zu liegen und den Bauernmädchen zuzusehen, wie sie über die Felder tanzten oder unten am Bächlein die schmerzenden Füße ins kalte Wasser hielten.
Gérard versuchte, das Beste daraus zu machen, und anders als der erste Eindruck erweckt hatte, schien es dem Capitaine ebenso zu ergehen. Sie suchten Aufgaben für ihre Kompanie, um die Männer bei Laune zu halten, und sorgten dafür, dass sie nicht zu auffällig den Mädchen nachstellten, damit die Bauern nicht revoltierten. Der Capitaine ließ nicht zu, dass seine Männer aus der Übung kamen und striezte sie täglich bei einem kurzen aber intensiven Training.
Brix war in der Kompanie sehr angesehen, was Gérard überhaupt nicht verstehen konnte. Der Capitaine war viel zu arrogant.
Warum war er nur so gleichgültig?
Und immer diese kühlen Blicke, mit denen er alles überwachte. Immer dieser gewisse Argwohn, der in seinen hellbraunen Augen schimmerte, wenn er sich mit jemanden unterhielt. Sein leicht hochgestrecktes, langes und spitzes Kinn, seine hochnäsige Nase und ihr markanter Hocker, der davon zeugte, dass der Knochen schon des Öfteren gebrochen worden war.
Und natürlich seine unerschütterliche Fähigkeit, Gérard bis auf das Notwendigste zu ignorieren, selbst wenn dieser mit ihm sprach. Der Capitaine hatte sich bereits mehrfach mitten im Gespräch einfach abgewandt und war gegangen, Gérard mitten im Satz stehen lassend.
War das zu fassen? Dieser arrogante Mann!
Gérard fühlte sich hintergangen. Er hatte geglaubt, nach Roussillon versetzt zu werden, damit er echte Kampferfahrungen sammelte, stattdessen kam es ihm eher so vor, als hätten sie ihn schon aus dem Dienst entlassen.
Es fühlte sich wie ein vorzeitiger Ruhestand an, obwohl Gérard sich seit dem Beginn seiner Ausbildung zum Schwertkämpfer nichts sehnlichster gewünscht hatte, als in eine echte Schlacht zu ziehen. Das musste offensichtlich warten.
Um die Kunst des Schwerkampfes noch besser zu erlernen, hatte er sich weiter erniedrigen und den Capitaine geradezu anflehen müssen, ihn zu trainieren. Erst am dritten Tag hatte dieser sich erbarmt und sich Gérard in einem Duell gestellt.
Doch statt ihm etwas beizubringen, hatte Brix ihn lediglich vor seinen neuen Kameraden innerhalb eines Wimpernschlags zu Fall gebracht und die Übungen damit beendet.
»Übt lieber noch ein wenig mit den anderen, Bursche«, hatte er ihm geraten, sein Schwert in die Scheide gesteckt und war über ihn hinweggestiegen.
Auch die restlichen Soldaten nahmen Gérard als Sergent überhaupt nicht ernst. Er war viel zu jung, um geachtet zu werden, und hatte noch in keiner Schlacht gedient, um sich ihren Respekt zu verdienen. Nur einer der Jüngeren war nachsichtig mit ihm. Der freundliche Jean mit den hellbraunen Haaren, die er immer zu einem Zopf zusammenband, nahm sich ein Herz und sprach wenigstens gelegentlich mit Gérard. Dieser war auch jener Soldat gewesen, der bei dem Capitaine gestanden hatte, als Gérard ihm die Empfehlung der Krone überreichte.
Am Abend nach Gérards Blamage bei dem Duell, setzte sich Jean zu ihm. Er klopfte ihm auf die Schulter und ließ sich mit einem Seufzen neben ihm nieder. »Trink einen Becher davon, dann vergeht die Schmach.«
Ohne hinzusehen, nahm Gérard den Becher Wein an sich und nahm einen kräftigen Schluck.
Er lehnte mit den Armen auf einem Fass bei den Vorräten, starrte hinüber zu dem entfachten Lagerfeuer, dessen Funken in den nachtschwarzen Himmel schwebten, und beobachtete aus schmalen Augen den Capitaine, der bei seiner Kompanie saß und ausgelassen lachte und Geschichten erzählte.
Die Männer und der Capitaine waren zuvor durch das eiskalte Bachwasser gewatet, weshalb seine Leinenhose noch hochgekrempelt war, und Gérard sich fragen konnte, woher die wulstige Narbe stammte, die sich von einem wirklich strammen Unterschenkel soweit hinauf schlängelte, dass sie unter dem ausgeblichenen Leinenstoff wieder verschwand.
Schon seit einer Ewigkeit starrte er dieses Bein an, das erst vom Schein der Abendsonne und nun vom Flackern der Flammen angeleuchtet wurde. Er konnte nicht genau bestimmen, was ihn neugieriger machte, die lange Narbe oder diese mit hellen Löckchen übersäten strammen Muskeln, die ihm selbst mehr als deutlich fehlten.
Gérard hatte immer hart trainiert, doch sein Körper war im Vergleich zu dem des Capitaine nur knabenhaft und schlaksig. Je länger er den Capitaine anstarrte, je mehr wurde ihm bewusst, wie dürr er im Gegensatz zu diesem war. Umso mehr sollte er sich fragen, weshalb es ihm nicht gelingen wollte, ihn nicht ständig anzustarren.
Zumal er sich bei jedem Blick maßlos ärgerte. Der Anblick des Capitaine sorgte durchweg dafür, dass Gérard einen gereizten Magen hatte, der unentwegt vor unterdrückter Wut rumorte.
Er konnte aber immer noch nicht bestimmen, was ihn eigentlich so zornig werden ließ.
Vielleicht, weil Brix täglich mit diesem selbstsicheren Gang herumstolzierte, obwohl er nicht einmal die Rüstung trug, die ihn als Kämpfer und Anführer kennzeichnete. Und ganz bestimmt wegen der Art, wie er arrogant die Augenbrauen hochzog.
Wie er sich allgemein benahm, bewegte und sich zeigte. Als wäre er über alles erhaben und als wäre er etwas so Besonderes mit seinen hellbraunen, strengen Augen und dem kastanienbraunen, längeren Haar. Als wäre er der imposanteste Mann ganz Frankreichs, mit den breiten Schultern, den strammen Schenkeln und schlanken Bauch- und Brustmuskeln, die er jedem präsentieren musste, weil er nur in diesen leichten Kleidern durch die Sonne stakste.
Als hätte er den brütenden Blick bemerkt, drehte der Capitaine plötzlich den Kopf und sah Gérard ohne Umschweife in die Augen.
Wie jedes Mal, wenn das geschah, blieb Gérard aus unerfindlichen Gründen der Atem fort.
Der Blickkontakt hielt einige Momente lang stand, und Gérard konnte sich nur bis tief in den brodelnden Bauch darüber ärgern, wie das warme Licht der Flammen das markante Gesicht des Capitaine anstrahlte und dessen lange Wimpern, seine geschwungenen Lippen und das federleichte Haar, das sich in einer leichten Windbrise bewegte, hervortreten ließ. Sein Anblick war für Gérard auf eine ihm unerklärliche Weise so fesselnd, als würde er ein exotisches Tier im Unterholz entdecken. Er war nicht fähig, wegzusehen, noch sich zu bewegen. Sein Herz klopfte so schnell und hart in seiner Brust, als wollte es ihm wie ein Vogel davonfliegen, direkt in diese hellbraunen Augen, die ihn mit ihrem bohrenden Blick festhielten.
Alles an diesem Mann reizte ihn so sehr, dass er sich buchstäblich die Haare ausreißen könnte. Sein Anblick war das Allerschlimmste an ihm, weil Gérard einfach außerstande war, die Augen von ihm zu nehmen. Doch er konnte sich nicht erklären, warum.
Wäre Brix wenigstens nicht so arrogant!
Er zuckte zusammen, als Jean ihm unerwartet in die Seite stieß.
Jean lachte: »Worüber denkst du immer so angestrengt nach?«
Gérard antwortete nicht gleich, er sah von Jean zurück zum Feuer, aber Brix hatte seine Aufmerksamkeit längst wieder seinen Männern zugewandt.
»Ach … über gar nichts«, murmelte Gérard und senkte aus unerfindlichen Gründen enttäuscht den Blick. Ein bitterer Geschmack, wie von giftigen Pilzen, machte sich auf seiner Zunge breit.
Jean lehnte sich zu ihm und gab ihm den guten Rat: »Leg dich nicht mit dem Capitaine an. Mal abgesehen davon, dass du sein Sergent bist, genießt er auch ein hohes Ansehen.«
Gérard runzelte neugierig seine Stirn. »Du meinst, über diese Kompanie hinaus?«
Jean nickte eifrig. »Oh ja, er war wirklich ein begnadeter Schwertkämpfer, und Held einiger Schlachtfelder, bevor er verwundet wurde.«
Nachdenklich betrachtete Gérard erneut Brix, sein Blick glitt zu dessen Bein. »Hat er daher die Narbe?«
Jean nickte bestätigend. »Hat er sich bei einer Schlacht gegen die Habsburger zugezogen. Der Feind hat ihn beinahe komplett aufgeschlitzt, sagt man. Von der Hüfte bis zum Knöchel. Es war ein Wunder, dass er das überlebt hat und das Bein behalten konnte. Sie sagten, er würde nie wieder kämpfen können, doch er biss sich durch. Anfangs konnte er nur humpeln, davon merkt man fast gar nichts mehr. Trotzdem wollen sie ihn nicht in die Schlacht ziehen lassen. Obwohl er ja wieder ganz der Alte ist, wa?« Jean schlug ihm gegen den Arm, sodass Gérard beinahe samt Fass, auf dem er lehnte, umgekippt wäre.
Gérard starrte weiterhin auf den Capitaine. Die Vorstellung, ihn blutend inmitten eines Schlachtfelds liegen zu sehen, gruselte ihn, obwohl er ihn doch gar nicht leiden mochte. Gleichzeitig verspürte er eine wirklich ärgerliche Bewunderung, die bei dieser Geschichte unversehens aufkam, die heller und heißer brannte als jede trübe Verärgerung.
Jean sprach plötzlich ernst weiter: »Und dann schicken sie dich! Sieht fast so aus, als solltest du ihn zu gegebener Zeit ersetzen. Würde mir dann auch nicht gefallen, wäre ich der Capitaine.«
Damit stand er auf, legte Gérard zum Abschied noch ein letztes Mal die Hand auf die Schulter, als wollte er ihn trotz seiner Bemerkung aufmuntern, und torkelte dann betrunken vom Wein zu seinen Kameraden, die ihn grölend empfingen.
Gérard lehnte sich auf das Fass und stützte das Kinn auf seinen Handrücken, während er weiterhin ungeniert den Capitaine beobachtete, der gelegentlich zu ihm hinübersah und die stummen Blicke erwiderte.
Das warme Glühen des Lagerfeuers spiegelte sich in seinen hellbrauen Augen, während er über den Rand seines Bechers hinweg Gérard unmissverständlich in die Augen blickte, als wollte er ihn herausfordern.
Gérard seufzte innerlich wohlig unter diesem Blick, konnte sich aber nicht erklären, was die plötzliche Hitze, die seinen Magen verbrannte, zu bedeuten hatte.
***
Es war der Morgen des dreizehnten Tages, als Gérard runter zum Bach ging, um sich eine kleine Waschung zu gönnen. Wie jeden Morgen brauchte er das eiskalte Wasser im Gesicht, um sich den klebrigen Schweiß der schwülen Nacht abzuwaschen und gleichzeitig seine Müdigkeit abzuwerfen, die er wegen zu heißer Nächte verspürte, in denen er keinen Schlaf finden konnte.
Doch an jenem Morgen war er dort nicht allein.
Als er den leichten, von Bäumen bestickten Wiesenhang zum Bach hinunter schlenderte, und die Blätterkronen Schatten spendeten, glaubte er noch, das leise Plätschern in der Umgebung gehörte zum Bachverlauf. Doch je näher er kam, je lauter und unregelmäßiger wurde es.
Langsam näherte Gérard sich dem Ufer, es könnte ja gut sein, dass eines der Bauernmädchen durch den Bach watete, und vielleicht könnte er einen Blick auf ihre zarten Fesseln erhaschen. Dann hätte er später Jean etwas zu erzählen, der sich vor Neid in den Hintern beißen würde.
Aber es war kein Mädchen, das im Bach badete, sondern Brix. Und er stand vollkommen nackt im Wasser.
Über seine strammen Muskeln perlten Wassertropfen, die im schwachen Schein der Morgensonne funkelten. Sie flossen wie ein Wasserfall aus Diamanten über seinen stählernen Körper. Auf seinem Rücken zeichneten sich kreuz und quer blasse Striemen auf der gebräunten Haut ab, sodass Gérard im ersten Moment glaubte, über Brix` Rücken läge ein weißes Netz. Tatsächlich waren es aber alte Narben, wie von brutalen, blutigen Peitschenhieben, die ihm die Haut von den Knochen geschlagen hatten.
Wurde er ausgepeitscht? Wann? Wo? Von wem?
Gérard gingen so viele Fragen im Kopf herum, als er Brix zusah, jedoch verloren sie sich in dem Wirrwarr der gleisenden Gefühle, die bei seinem Anblick unter der Oberfläche zu brodeln begannen.
Er war so … männlich. Seine Schenkel so stramm, dass man hineinbeißen wollte, seine Muskeln von weichem Haar umgeben, das man streicheln wollte. Sein Körper war eine einzig tödliche Waffe, auf ihre gefährliche Weise faszinierend wie der Tod selbst. Gérard blieb wie angewurzelt stehen, während sich seine Augen selbstständig machten und auf dem strammen Soldatenkörper auf Wanderschaft gingen. Er verfolgte den Lauf des klaren Wassers, das durch jede Körperrille floss, und spürte, wie sein Herz raste wie das eines Kaninchens, das aus der Ferne einen Fuchs beobachtete, der seine Beute noch nicht gewittert hatte. Er wusste nicht, woher die seltsame Hitze in seinem Körper kam, aber je mehr sie sich ausbreitete, je größer wuchs in ihm der Wunsch, Brix` nackten Körper statt mit den Augen, mit seinen Händen sehen zu können. Wie ein Blinder, der eine der dekadenten und sündhaft schönen Männerstatuen aus dem alten Rom ertastete.