Kitabı oku: «Ragnarök»

Yazı tipi:

K.T. Rina

Ragnarök

Der letzte Einherjer

Vorwort

Die Geschichte „Ragnarök – Der letzte Einherjer“ ist keine akkurate Repräsentierung der nordischen Mythologie. Vielmehr nutzt sie die Charaktere und Welten als Fundament, um die Geschichte des Ragnarök und der nordischen Mythen in einer zusammenhängenden Geschichte neu zu interpretieren und wie diese—wären sie real—Einfluss auf das Leben der Menschen haben würden.

Die erwähnten Menschen, ihre Leben und genannte Orte sind frei erfunden.

Die Menschen im Norden sprachen von 9 Welten, die durch die Esche Yggdrasil verbunden waren.

Oben auf der Krone des Weltenbaums lebte der Riese Surtur gemeinsam mit den abscheulichen Söhnen der Welt, die man Müspelheim nannte. Es war ein Ort der Glut, der Hitze, des Lichts. Geysire schossen vom Boden und von dort floss alles Wasser hinab in die unteren Welten.

Eine solche war Albenheim, die Heimat der Alben. Sie lebten dort friedlich und ohne Streit mit den anderen Welten. Isoliert waren sie dennoch nicht: Ihr König war Frey, Sohn Njörds, der ihm als Junge Albenheim als Zahngeschenk gegeben hatte.

Njörd und Frey waren Teil des ältesten der Göttergeschlechter, den Wanen. Njörd, ihr Anführer, herrschte über Wanenheim, welches auf der gegenüberliegenden Seite von Yggdrasils Stamm und Albenheim lag.

Im Süden Yggdrasils und tiefer noch lag Asgard, die Heimat des Göttergeschlechts der Asen. Einst beherrscht von Bor, wurde die Führung in die Hände von seinem Sohn Odin gelegt.

Die Welt unter Asgard, Midgard genannt, wurde von demselben Bor und seinen drei Söhnen Odin, Ve und Vili geschaffen. Sie hatten den Riesen Ymir erlegt und aus seinem unermesslichen Körper eine Welt für Nicht–Götter erschaffen: Aus dem Fleisch wurde Midgards Erde, aus Ymirs Blut die Seen und Meere, die nicht von einem Wasserfall geflutet wurden, kreiert; aus seinen Brauen formten sie die Berge und seinen Schädel zertrümmerten sie und warfen die Splitter in Ginnungagap, die Schwärze, die Dunkelheit, die Yggdrasil einhüllte, die Leere, die der umstehende Kosmos war. Jene Splitter waren bekannt als Sterne und ab und an füllten die Götter die Schwärze mit weiteren glänzenden Objekten, um neue Konstellationen zu formen.

Doch Midgard war zweigeteilt: Auf der warmen Südseite lebten die unschuldigen Tiere, auf der kalten Nordseite wurde die verräterische Jotenrasse verbannt. Deshalb wurde diese kalte Hälfte Jotunheim genannt. Die Joten, die von Ymir abstammten, wurden dorthin verjagt, weil sie es wagten sich gegen die Götter zu stellen. Sie wurden Joten („Verschlinger“) genannt, weil sie alles in ihrer Gier und Bosheit verschlangen.

Unter Midgard lagen zwei unterschiedliche, jedoch ähnlich dunkle Welten verborgen. Eine lag unter der Nordhälfte unter Jotunheim und beherbergte die Zwergenrasse. Nidavellir war die Heimat dieser, welche besonders geübt waren in der Kunst des Schmiedens. Die einzigen Lichter, welche sie sahen und verehrten, waren das Feuer der Schmiede und die Funken von geschlagenem Stahl.

Unter der Südhälfte Midgards lag eine weitere Höhlenwelt, eine von Göttern verborgene und so trug sie keinen Namen. Die Söhne Bors erschufen sie bei der Kreierung Midgards als geheimen Zufluchtsort vor ihren Eltern. Diese Höhlenwelt war von Pilzen an der turmhohen Decke erleuchtet, wo Wasser aus den Seen und Meeren hinuntertrickelte; sogar Gras wuchs auf dem kalten Boden, doch Tiere lebten dort nicht.

Noch tiefer, tief am Stamm des Weltenbaums, wo einige Wurzeln herauswirbelten und die meisten in unendlicher Tiefe verborgen waren, war die Welt Niflheim. Nichts lebte dort. Es war ein Ort der Kälte und des Eis. Der Boden war eine graue Decke, doch war es kein Schnee, sondern Asche die vom Himmel hinabstreute. Kein Horizont. Keine Grenzen.

Der Weltenbaum Yggdrasil, so wurde gesagt, wurde durch das Kollidieren der Glut Müspelheims und des Frosts Niflheims erschaffen. Wo zwei unterschiedliche Kräfte aufeinander prallen, dort wird Leben erschaffen…oder Leben zerstört.

Blut floss aus der Wunde. Der Schnee tränkte sich rot. Der Wolf röchelte nicht mehr, als der Mann mit dem Fuchspelz den Pfeil aus dem Hals des Tieres zog. Er war auf die Knochen runtergehungert, genau wie der Jäger. Die Kälte hatte den Wolf zum Lagerfeuer gezogen. Er war verzweifelt in diesem frühen Winter, in diesem Winter ohne Sonne—womöglich wollte er sterben. Sigurd zog den Wolfskörper zum Feuer und weidete ihn dort aus. Das Fleisch war kostbar, die Leber köstlich. Die Knochen brachen widerstandslos in seinen Händen wie die eines jungen Kükens. Er saugte jedes Tröpfchen Mark aus diesen heraus. Er wusste nicht, wann er wieder essen würde, wann er wieder den plagenden Hunger stillen konnte. Um den Tod sorgte sich Sigurd nicht. Er war schon einmal gestorben.

Vor dem Licht
Ein neuer Freund

Thor spaltete dem letzten fliehenden Joten den Schädel. Seit drei Jahren durfte er nun alleine durch die Welten reisen. Sein Vater Odin empfand, dass ein Junge abenteuerlustig sei und er wusste von Thor, dass ihm nichts zustoßen würde. Thors Stärke war bereits als kleines Kind gleichzusetzen mit der von seinem Vater.

Das Blut aus den Leichen des Ehepaares färbte den Schnee um sie rot. Jotunheim war ein kalter, trostloser Ort, indem der Winter nie aufzuhören schien; nur selten verirrten sich wärmende Strahlen, wenn Sol ihr brennendes Gespann vorbeizog. Deshalb blieb Thor an der Grenze zwischen Jotunheim und Midgard, damit die Asengeschwister, die Sonne und Mond über den Himmel zogen, ein Auge auf ihn werfen konnten.

Thor wischte seine Axt an den Leibfetzen eines der Toten sauber, als er einen Jungen aus einer Höhle kommen sah. Der Junge hatte schwarzes Haar und trug einen weißen Bärenpelz um seine Schultern. Seine Augen glühten rot. Thor schmiss seine Axt nach ihm, aber der Junge rollte frühzeitig zur Seite. Blitzschnell zog Thor eine weitere Axt von seiner Hüfte und warf es auf jenen. Abermals wich der Junge im Eisbärenpelz aus und rannte auf Thor zu. Odins Sohn nahm naheliegende Steine und warf sie nach ihm. Nach drei misslungenen Würfen war der Junge in Armreichweite, seine Augen brannten rot wie die Glut eines Holzblocks, kurz bevor es erlosch. „Hab dich!“ sagte der Junge, als er Thor am Arm antippte. Danach rannte er wieder von Thor weg, doch hielt ihn im Auge, sodass der Ase ihn nicht sogleich fing. Thor lachte, warf den Stein in der Hand zu Boden und rannte dem Jungen hinterher. Thors orange Haare wehten mit dem kalten Wind.

Thor und Loki spielten immer zusammen, wenn Thor wieder in Jotunheim war. Wegen seiner Stärke hatte Thor von seinem Vater die Aufgabe erhalten, Midgard, das Reich der Tiere, von den Wanderern des Eis zu schützen—Thors Vater sagte, dass jeder sein Reich erhalten hatte, damit es zu keinen Streitigkeiten komme; leider jedoch gäbe es immer welche, die sich nicht an die Regeln hielten. „Du, Loki: Willst du mich mal in Thorheim besuchen kommen? Da ist es nicht so kalt und ich kann dir meine Sammlungen zeigen. Ich habe sehr schöne Schwerter zum Namenstag geschenkt gekriegt. Dann können wir mal richtig gegeneinander kämpfen.“

„Hihihoh“, lachte Loki, doch dann sank sein Kopf. „Aber ich bin ein Jote…“

„Das macht nichts. Mein Vater hat einen guten Freund namens Mimir mal nach Asgard eingeladen, der auch ein Jote ist. Ich bin sicher, Vater wird nichts dagegen haben, wenn du kommst.“ Die roten Augen des Jungen strahlten und er fragte seinen Freund, wie er denn nach Thorheim komme. „Also erst gehst du in Richtung Midgard; du läufst dahin, wo Sol Midgard verlässt“, Thor zeigte mit seiner Hand nach Westen. „Dann hältst du Ausschau nach einem Baum im Felde, dessen Früchte keine Vögel anlocken. Dieser Baum hat ein Loch und blickst du dort hindurch, kannst du Bifröst sehen. Es ist die bunte Brücke im Himmel, die von Midgard nach Asgard führt. Bist du erstmal dort, wird Heimdall dir zeigen, wie du zu mir nach Hause kommst.“

„Gut. Ich komme dann in fünf Tagen, ja?“

Thor nickte und sie warfen sich wieder mit Schneebällen ab.

Loki fand Bifröst dank Thors Beschreibung problemlos. Pfeifend hüpfte er über die Regenbogenbrücke und blickte durch das bunte Glas: Unter ihm war Midgard und weit im Osten sah er sein Zuhause, wo er damals Thor getroffen hatte. Es schien ihm alles so winzig von dort oben. Das Tor zum Reich der Asen war eine Festung. Es war der Palast von Heimdall und er entschied, wer sein Haus betreten und hindurch nach Asgard schreiten durfte. Der kleine Junge im weißen Bärenpelz blickte hoch auf die gigantischen Eingangstore. Er hob seine Faust, um daran anzuklopfen, doch die Tore knarrten vorher auf. Heimdall erwartete ihn bereits, er erspähte ihn schon über Bifröst kommen. Der Wächter hielt einen Speer in seiner rechten Hand und sein rechtes Auge drehte ständig umher, ständig wachend. Dann fixierten beide braunen Augen auf Loki und er fühlte sich unwohl. „Thor hatte mir schon gesagt, dass ein Wanenjunge kommen würde. Thorheim liegt ganz im Westen. Geh durch die Eingangshalle durch und du gelangst nach draußen. Lauf geradeaus und du gelangst nach Idafeld. Dort steht Odins Palast Gladsheim, du biegst aber zuvor links ab und gehst den Pfad entlang bis du einen Palast siehst, der noch im Bau steht. Thor wollte dort auf dich warten.“

Loki bedankte sich und ging durch die Eingangshalle. Am anderen Ende öffneten zwei riesige Asen die Tore und ein wärmendes Licht empfing ihn. Asgard eröffnete sich vor ihm. Saftig grün war das Gras, wolkenlos der Himmel. Selbst das Atmen schien ihn mehr mit Luft zu füllen. Am Horizont blitzte etwas Goldenes: Es müsste Gladsheim sein. Loki folgte dem Funkeln. Je näher er dem Gold kam, desto mehr sah er von Asgard. Imposante Häuser und prunkvolle Gärten tummelten sich über den ganzen Horizont. Eins war schöner als das andere, glänzender als die Regenbogenbrücke Bifröst, die er hierher überquerte. Er lief am ersten Palast vorbei, der ihn den Weg mit seinem blitzenden Dach zeigte, rüber zu einem riesigen Platz. Der Boden dort war bemalt und zeigte die Geschichte Odins und seiner Brüder Ve und Vili, wie sie Midgard aus dem Körper des Urvater der Joten, Ymir, geschaffen haben; Ve und Vili rissen ihm die Augen raus, während Odin ihn festhielt. Loki kannte die Geschichte, denn auch unter den Joten zollte man den Asen Respekt, wenn nicht unbedingt Wohlgefallen, aber er hatte sich Ymir immer größer vorgestellt.

Nach einem langen Marsch sah er den Palast im Bau und hielt Ausschau nach seinem Freund. In der Ferne sah er eine orange Fahne vom Haupt eines Jungen wehen und winkte ihm zu. Dieser begrüßte ihn mit einem Wurf eines Steins, dem er wie gewohnt auswich. Thor rannte zu ihm und wirbelte hinter sich eine riesige Staubwolke, sodass sich die Arbeiter am Palastbau vehement beschwerten. Thor berührte Loki an der Schulter, sagte „Du bist“ und rannte blitzschnell davon.

Nach einigen Stunden des Spielens kam Odin mit Heimdall an seiner Seite. Sie sahen wie Thor und der Junge mit Schwertern und Schilden gegeneinander kämpften. „HALT!“ hallte der tiefe Bass Odins durch Asgard. Thor ließ gehorsam sofort mit dem Kämpfen ab, Loki sah aber darin seine Chance und schlug Thors Schwert aus seiner Hand. Als er für den letzten Schlag ausholen wollte, griff Odin ihn am rechten Arm und drückte so fest, dass er die Waffe fallenließ. Blut floss aus der Stelle, wo die Fingernägel eindrückten. Loki blickte hoch auf den blondbärtigen Mann mit den blauen Augen. Lokis Knie zitterten. Es war das erste Mal, dass er Angst um sein Leben verspürte. „Ein Jote…Was hast du dir dabei gedacht, Thor?“

„Er ist mein Freund, Vater!“

Odin ließ Loki los und sprach gutmütig: „Wir können keine weiteren Joten hier aufnehmen.“

„Und dennoch stehst du hier! Und er auch!“ erwiderte Loki und zeigte auf Heimdall.

Heimdall hob seinen Speer, doch Odin lachte und wies dem Wächter, sich zurückzuhalten. Odin ballte seine rechte Faust, bis seine Nägel in seine eigene Handfläche schnitten und Blut herausfloss. Er packte mit der blutigen Hand die Wunde an Lokis Arm. Der Junge blickte in die blauen Augen Odins und bemerkte, wie sich dessen rechtes Auge von blau nach rot färbte. „Loki“, sagte Thor und zeigte auf Lokis rechte Auge, „Dein Auge ist blau.“

Odin ließ ihn los. Loki kniete sich vor das liegende Schwert und betrachtete sein Spiegelbild in der polierten Klinge. Er hatte nun ein blaues und ein rotes Auge. „Du hast nun Asenblut in dir“, erklärte Odin. „Du hast mein Blut in dir. Du darfst jetzt hier bleiben und keiner wird dir mein Gastrecht nehmen. Komm, Heimdall. Lass die Jungs weiterspielen.“ Odin kehrte ihnen den Rücken und ging zurück nach Gladsheim. Heimdall blickte skeptisch auf den Jungen, der Odin mit weiterem Jotenblut verschmutzt hatte, bevor auch er zurück zu seinem Wachposten in Himinbjörg ging. Wieder hatte der Allvater diese Joten aufgenommen. Zuvor hatte Odin dasselbe Blutmischen mit Mimir ausgeführt. Odin war willkommen zu den Joten, da seine Mutter Bestla selbst eine Jotin war. Auch sein Sohn Thor hatte eine Jotin zur Mutter, genannt Jörd. Heimdall mistraute der hinterhältigen Art der Joten, da er sie besser verstand als alle anderen—der Ase war selbst erschaffen worden von neun Jotinnen, neun Hexen; geschaffen worden, um ihnen als Wächter zu dienen.

Am Abend sammelten sich alle Asen und feierten die Aufnahme Lokis in ihre Reihen. Der Junge gefiel vielen dank seiner witzigen und verspielten Art, dem ständigen spielen von Streichen und erzählen von Witzen. Bevor der Met, welcher aus der Ziege Heidruns Euter gemolken wurde, ausgeschenkt wurde, brachte die Asin mit dem erdgleichem Haar jedem eine Himbeere und legte sie auf die Teller. „Nur eine Beere?“ fragte Loki seinen Freund Thor verwundert.

„Haha, natürlich nicht. Das richtige Festmahl kommt gleich. Idun sammelt Früchte und Nüsse über ganz Asgard, die uns Lebensenergie spenden. Deshalb sieht mein Vater immer noch so jung aus, obwohl er schon hunderte Jahre alt ist.“ Loki schaute auf den bärtigen Mann, den sie Allvater nannten. Ein rotes und ein blaues Auge…so wie er es nun hatte.

Der Krieg der Götter

Einige Asen sahen Odins Blutmischen mit den Joten als Zeichen der Schwäche. Sie waren nicht alleine in dieser Ansicht. Das andere Göttergeschlecht, die Wanen, nahmen die Gelegenheit wahr und bereiteten sich auf einen Konflikt gegen die Asen vor. Sie schickten die wunderschöne Freya, um die Asen zu korrumpieren. Die Wanin nutzte Seidr, eine mysteriöse Magie, um Unmengen an Gold zu kreieren und die Asen goldgierig zu machen. Sie becircte den Allvater mit ihrer Schönheit und ihrem Charme und zog ihn in ihren Bann. Er vernachlässigte seine Beziehung zu Jörd, um mit der Wanin Tag und Nacht zu verbringen.

Freya unterschätzte jedoch wie schwer Gier den Verstand der Götter einnehmen würde. Die Asen verlangten mehr und mehr Gold und als Freya ihre Gier nicht befriedigen wollte—und konnte, da es nur ein Zauber war—, drohten sie mit ihrem Leben und verbrannten sie letztlich.

Vergeblich.

Sie stand aus der Asche des Pfahls auf, an den sie gebunden war. Dreimal stand sie im Feuer und dreimal lebte sie erneut, bevor sie flüchten, ihren Falkenmantel anziehen und nach Wanenheim fliehen konnte.

Darauf sammelten die Asen sich zu einem Rat und beschlossen das weitere Vorgehen gegen die Wanen. Die eine Hälfte der Asen bestanden auf die Versprechungen Freyas: Sie wollten Gold; so viel Gold, dass sie ihre Häuser damit einkleiden konnten; sie stimmte somit für eine Plünderung Wanenheims. Die andere Hälfte besann sich ihrer Vernunft: Die Wanen wären von ebenbürtiger Stärke und ein Kampf gegen sie würde niemals enden. Odin war sich ebenfalls unschlüssig und suchte den Rat bei seinem Freund Mimir. Er ging von einem Ast Yggdrasils zu dessen Stamm und rutschte hinunter zu Mimirs Brunnen. Das Wasser darin sollte einem mit Weisheit überströmen, weshalb Mimir, der täglich daraus trank, so Weise war. Als er dort ankam, sah er den Joten mit einem schwarzen Horn Wasser aus dem Brunneneimer schöpfen. Der Brunnen sah gewöhnlich aus, der Ring errichtet aus Steinbrocken. „Mimir“, sprach Odin, „ich benötige deinen Rat. Die Asen sind zwiegespalten: Einige sehnen sich nach einer Plünderung Wanenheims, die anderen wollen den Frieden beibehalten.“

„Und du suchst nun die richtige Entscheidung, Odin?“ sagte Mimir in seiner ruhigen Stimme, golden blitzten seine Zähne. Er stoß den Eimer am Brunnenrand hinunter. Eine Weile verging, aber nie hallte der Aufprall auf das Wasser aus dem Brunnen heraus. Mimir hielt Odin davon ab, in den Brunnen zu blicken. Der Jote strich mit einer Hand über seinen langen Bart, die andere legte er an das enorme Horn an seiner Hüfte auf. „Ich bin keine Norne, mein Freund. Ich vermag es nicht zu sagen, welche Entscheidung den Asen besser kommt. In der Tat: Die Entscheidung mag schon längst gefallen sein. Nur weil wir nicht hören wie das Wasser platscht, heißt nicht, dass der Eimer nicht bereits hinuntergeworfen wurde. Es bedeutet lediglich, dass der Brunnen tief ist, dass es dauert, bevor wir die Folgen meines hinunterschubsen des Eimers erkennen können.“

„Oder der Brunnen ist leer“, entgegnete Odin.

„Was würdest du für die Wahrheit opfern?“ grinste Mimir hinab auf den Gott—der Jote war ein Kopf größer als der Ase.

Odin zögerte und gewichtete seine Antwort überlegt: „Mein Auge.“

„Nur eines? Nun gut, deine Entscheidung…Welches wird es sein?“ Sein Grinsen verlies Mimirs Mund, als er Odin ein Messer in die Hand legte. Odin drückte die Klinge an sein blaues Auge, dann entschied er sich jedoch, dass rechte, rote Auge zu entfernen. Blutverschmiert legte er die sehende Kugel in Mimirs Hand. Dieser schmiss das Auge in den Brunnen.

Der Eimer platschte auf Wasser auf. „Nur zu, mein Freund. Zieh es hoch und ergötze dich an der Erleuchtung“, sprach Mimir sanft und trat beiseite. Odin schaute hinein und der Eimer schwamm an der Oberfläche, die er problemlos ohne auszustrecken berühren konnte. Er sah sein Auge nirgends noch Spuren von Blut. Er zog den Eimer voll klarem Wasser hoch. Ein Einäugiger starrte in der verschwommenen Oberfläche auf Odin. Er tränkte seine Hände hinein und das Wasser mischte sich mit dem Blut an seinen Händen und färbte sich zinnoberrot. Er schöpfte und trank einen Schluck. Er merkte nichts Außergewöhnliches. Er leerte den Eimer bis zum Boden, doch nichts geschah. Er warf den Eimer wieder hinab in den Brunnen und er platschte beinahe umgehend auf. Abermals zog er ihn hinauf und leerte ihn.

Nichts.

„Was soll das, Mimir? Ich habe mein Auge geopfert!“

„Du hast das Auge eines Joten geopfert, nicht deins. Du hattest dich falsch entschieden.“ Odin hob voll Zorn seinen Speer Gungnir und stieß die Spitze gegen Mimirs Brust, doch stoppte, bevor er ihn berührte. Er verstand nun. Er verstand nun Mimirs Worte: Die Entscheidung war schon längst gefallen. Er kehrte dem Joten den Rücken und ging zum Stamm des Weltenbaums. „Endlich hat das Wasser dich erleuchtet“, rief Mimir ihm hinterher, während er mit dem Eimer aus dem Brunnen schöpfte.

Odin kletterte zurück nach Asgard und wurde von seinem Sohn Thor und Loki begrüßt, die eifrig auf seine Ankunft gewartet hatten. „Was wirst du nun tun, Vater?“ fragte der kleine Thor—Jahrzehnte vergingen, bevor Asen sichtbar älter wurden; Loki befiel dasselbe Schicksal, seit Odin ihm sein Blut schenkte.

Odin lief wortlos an ihnen vorbei und zum Strand im Osten, von dem Wanenheim zu erblicken war. Er hob Gungnir und schmiss den Speer hinüber, der einen Wanen aufspießte und umgehend tötete. „ODIN IST GOTT ALLER GÖTTER“ schrie Odin. Der erste Krieg zwischen Wanen und Asen begann.

Der Krieg war erschöpfend für beide Seiten ohne einen klaren Sieger hervorzuheben. Die Verluste trafen Odin besonders: Er verlor seine Brüder Vili und Ve, und Jord, die Mutter Thors. Die Asen und Wanen besannen sich nach einer Waffenruhe, einem Frieden. Beide Seiten gaben der anderen Geiseln, um den Waffenstillstand zu gewähren. Die Wanen übergaben ihren König Njörd und seine zwei Kinder Frey und Freya, die an Odin vermählt wurde; man erhoffte sich einen währenden Frieden von ihrer Ehe. Die Asen gaben als Zeichen der Versöhnung Odins Speer, Gungnir, und zwei entbehrliche Geiseln: Hönir, einem hübschen Schwätzer, und Mimir, dem Odin seine Opferung des Auges nicht verziehen hatte.

Die Wanen achteten Mimir nicht, da er zum Stamm der Joten angehörte. Hönir hingegen erwies sich als hervorragender Berater. Sie ahnten jedoch nicht, dass er nur die Worte Mimirs nachsprach wie ein Schwätzer es nun mal tat.

Ein Jahr verging in Frieden. Die Wanen in Asgard lebten friedlich mit den Asen. Freya gebar Odin einen Sohn, den sie auf den Krieg anspielend Hermod nannten—Die Rage des Krieges. Er würde seinem Vater in Statur und Gesicht so ähneln, dass man ihn manchmal für den kleinen Odin hielt.

Derweil in Wanenheim missfiel der Rat Hönirs den Göttern dort stets mehr. Er antwortete ihnen auf ihre Nachfragen letztlich stets ehrlich mit: „Fragt jemand anderes.“ Sie wurden zornig, dass die Asen sie getäuscht und für das mächtige Haus des Njörds solch lausige Geiseln erhalten hätten. Sie behielten den Asen Hönir am Leben, um ihn eventuell gegen Frey auszutauschen, und köpften stattdessen Mimir. An Gungnir gebunden schmissen sie seinen Kopf nach Asgard, wie es Odin damals zum Start des ersten Krieges tat. Odin wusste von Freya, dass sie ihren Körper bei den Verbrennungen durch Seidr verwandelt hatte und bat sie nun, Mimirs Körper wiederherzustellen. Sie hatte es oft versucht, doch schaffte es nicht. Ihr gelang es nur dem kahlen Kopf, der mit Gungnir nach Asgard kam, Leben einzuhauchen. „Du Narr“, schimpfte Mimir Odin an, „Hönir, der Schwätzer, hat nun den zweiten Krieg ausgelöst.“

„Dann hab ich alles, was ich wollte“, grinste der Einäugige.

Der zweite Götterkrieg war eher vorbei als es beim ersten der Fall war. Mit dem Fehlen der Familie Njörds waren die Wanen schwächer als die Asen. Sie einigten sich bald auf einen endgültigen Frieden. Keine Geiseln wurden diesmal ausgetauscht. Stattdessen brachte Idun den Anführern und Mächtigsten der beiden Götterrassen ihre gesammelten Beeren. Die zerkauten Früchte wurden dann in einen Kelch gespuckt. Saga füllte den goldenen Behälter mit Wasser aus ihrem Bach in Sökkwabeck, dann rührte Freya die Lösung unter Einwirkung von Seidr. Das Kind einer Asenmutter und eines Wanenvaters wurde auserkoren, den Kelch auszutrinken und als Botschafter zwischen den beiden Göttergeschlechtern zu dienen. Die magische Kraft, die in den Zutaten innewohnte, brachte eine unerreichte Intelligenz im ausgewählten Jungen. Ehrlich und ergiebig konsultierte Kvasir sowohl Asen als auch Wanen mit seinem vermögenden Wissen und seiner geschickten Zunge. So endete der Krieg der Götter und dank Kvasir hielt ihr Frieden.

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