Kitabı oku: «Solange es sie noch gibt. Forscher und Artenschützer im Einsatz für die bedrohte Tierwelt», sayfa 2
Die Projektarbeit ging weiter. Das Reservat wurde in drei Zonen gesplittet: im Zentrum eine menschenleere Kernzone, die vor allem Zufluchtsstätte für Elefanten sein soll, eingerahmt von einer Pufferzone mit einfachen Straßen und Furten für Patrouillen, rundherum eine wirtschaftlich genutzte Zone von 11.700 Quadratkilometern.
Naturschutz, Forschung und kommerzielle Nutzung müssen unter einen Hut. Den Menschen am Rande des Chinko soll die Idee mit Hunderten weiteren Jobs schmackhaft gemacht werden und so das Wildern ausgetrieben werden. Schon jetzt ist Mararvs Business der wichtigste Arbeitgeber in der Region. Hundertzwanzig angestellte Mitarbeiter hat der Naturpark, darunter sechzig Ranger, die vor Ort ausgebildet wurden. Mararvs Safariunternehmen zählt gar rund vierhundert Angestellte - und ist damit einer der größten Arbeitgeber in der Z.A.R.
Aebischer und Hickisch sind keine Verehrer großer Kaliber und protziger Trophäen, denken aber pragmatisch. Nach ihren ersten Visiten im Busch erklärten sie noch: „Der Nutzen durch die Jagd ist größer als der Schaden.“ Alle Menschen raus aus dem Chinko und Zaun drum, das funktioniere leider nicht. Wichtig seien strikte Abschußquoten, Nachhaltigkeit eben. CAWA beteuerte vor dem Jagdmoratorium, die Wildbestände laufend zu erfassen und jährlich nicht mehr als zwei Prozent zum Abschuß freizugeben. Anderswo würden Lizenznehmer Jagdgebiete binnen zehn Jahren leerschießen lassen. Zur Jagdethik gehöre auch, daß es keine Jagd vom Auto aus gebe und Mutter- wie Jungtiere geschont würden.
Ein langfristig etabliertes Chinko-Schutzgebiet wäre nicht nur ein wichtiges Rückzugsgebiet für das Überleben von Waldelefanten, Wildhunden oder Löwen, sondern auch ein Verbindungsstück zu anderen Resten urwüchsiger Natur wie dem Southern National Park im Südsudan, Zakouma im Tschad oder Garamba in der Demokratischen Republik Kongo - und ein Zeichen gegen die Massaker an Afrikas letzten Waldelefanten.
An Nationalparks in Zentralafrika herrscht zwar kein Mangel, die meisten existieren aber nur auf dem Papier. Seit ihrer Schaffung hat sich kein Mensch mehr um die Paper Parks - Nationalparks, die praktisch nur auf dem Papier existieren - gekümmert, obwohl manche der Parks als Weltnaturerbe gelten. Für Aebischer und seine Mitstreiter bietet das Chinko-Projekt die seltene Gelegenheit, „ein noch funktionales Ökosystem mit noch großen Populationen von Wildtieren und Pflanzen zu schützen“. Trotz Rebellion und Wilderei sind die Ausgangsbedingungen nicht übel. Denn in dem Reservat gibt es keine Dörfer und damit keine Konkurrenz zwischen Landwirtschaft und Wildlife.
Für den landläufigen Safaripauschaltouristen, der mit gezückter Kamera im klimatisierten Allradauto sonst durch den sauber asphaltierten südafrikanischen Krüger-Nationalpark kreuzt, wird die Gegend auf absehbare Zeit eher eine No-go-Zone bleiben. Dafür fehle es im Chinko an einer „stabilen politischen Situation, funktionierender Infrastruktur und Konzentration von Großwild“, meinte Aebischer nach seinen Chinko-Touren - sprich: einer bühnenartigen Präsenz riesiger Gnuherden wie in der Serengeti oder gelangweilter Löwen, die sich selbst an einer Wagenburg Landrover um sie herum nicht stören. Der völlig entlegene Chinko ist eher etwas für den zeitgenössischen Ernest-Hemingway-Imitator mit dickem Scheckbuch, Jagdzeitschriftenabo und gutgeführtem Impfpaß.
Thierry Aebischer hat die Artenvielfalt der urigen Gegend derweil zum Thema seiner Doktorarbeit an der Uni Fribourg gemacht. Arbeitstitel: „Evolutive Prozesse und die biologische Vielfalt am Beispiel des heterogenen Wald-Savannen-Mosaiks Zentralafrikas.“ Zuletzt war er wieder am Chinko: Kamerafallen auswerten, Mikrofone in die Bäume hängen, um Singvögel zu identifizieren, die Gegend kartieren, Arten bestimmen und dokumentieren - bevor sie eine Kugel trifft. Denn im Chinko, da ist noch was im Busch.
Der Räuber aus dem Bruchwald
Der Europäische Nerz. Rückkehr eines Verschollenen
Das Tausend-Seelen-Dorf Winzlar, Kreis Nienburg, ein Flecken niedersächsischer Backsteinidylle: scharlachrot geklinkerte Höfe, Streuobstwiesen, Rapsfelder, eine Biobäckerei, im Dorfzentrum ein offenes Bücherregal zum Buchtausch. Zum Steinhuder Meer sind es keine zwei Kilometer Fußweg durch das Naturschutzgebiet Meerbruchswiesen. Feuchtwiesen umsäumen den Fuß- und Radweg. Singdrossel und Mönchsgrasmücke lassen ihre Lieder hören. Zwei Nilgänse fliegen auf. „Invasive Art!“ ruft Thomas Brandt den Teilnehmern einer Zoologentagung zu. Gegen die Neubürger hat er nichts. „Die hindern nicht andere Vögel am Brüten.“
Das Steinhuder Meer, dreißig Kilometer nordwestlich von Hannover, 29 Quadratkilometer Wasserfläche, Deutschlands größter Flachsee, rein pflanzlich ein Raritätenkabinett. Wo der See verlandet, da blättert sich ein Botaniklexikon auf: Sumpfdotterblume, Kuckuckslichtnelke, Fieberklee, Schlangenwurz, Froschbiß, Teichsimse, im Hochmoor Natternzunge und Keulenbärlapp, im Grünland Mäuseschwänzchen und Wasser-Greiskraut.
Und es ist ein Paradies für Vögel. Man lasse einem Ornithologen nur ein „B“ zufliegen, und er zählt auf: Bekassine, Brachvogel, Braunkehlchen, Bartmeise, Brandgans. Alles da: von A wie Alpenstrandläufer bis Z wie Zwergstrandläufer. Als fehlten nur noch Vogelstrauß und Kondor.
Und da, großes Federvieh! Mit dem Fernglas macht Brandt einen besetzten Seeadlerhorst aus. Voriges Jahr habe das Paar das Brutgeschäft nach fünfzig Tagen abgebrochen. „Vermutlich war das Feuer eines Fesselballons die Ursache“, sagt er. Brandt, Biologe und seit 1994 wissenschaftlicher Leiter der Ökologischen Schutzstation Steinhuder Meer e.V. (ÖSSM) in Winzlar, wirkt wie eine verjüngte Kopie von Peer Steinbrück. Dessen schnoddrigen Witz hat er auch in den Genen. Bloß sieht sich Brandt als „Ökotrüffel“, und das Beste an einer Bank ist für ihn, daß man sich auf sie setzen und Vögel beobachten kann. Er sei mal, erzählt Brandt, empört zu einem gelandeten Ballon hingelaufen. „Da standen dann drei Geländewagen. Wie in der 'Bacardi'-Werbung.“ Zur Rede gestellt, behaupteten die Ballonfahrer: ‘Wir sind hier notgelandet.’“
Seit dem Jahr 2000 brüten die Seeadler wieder an dem Meer, das keines ist. 2006 kehrte ein erstes Fischadler-Paar zurück - dank Nisthilfe. Beide Adlerarten waren lokal schon vor 1900 ausgestorben. Jagd, die Zersiedelung der Landschaft und später das Insektizid DDT hatten ihre Bestände bis in die 1970er Jahre europaweit einbrechen lassen. Jede Störung ist pures Gift für die Brut: Beide Greifvögel haben eine Fluchtdistanz von zweihundert bis fünfhundert Metern. Am See wurden darum Schutzgebiete ausgewiesen und kleinere Wege gesperrt.
Im Gebäude der ÖSSM, einem ökologisch restaurierten früheren Bauernhof in Winzlar, dem östlichen Ortsteil von Rehburg-Loccum, zeigen Livecams die Kinderstuben von Seeadler und Fischadler. Der Fischadlerhorst thront in vierzehn Metern Höhe auf einer Schwarzerle. Bilder der Brut zeigt die Station im Internet. 2014 war das bis dato beste Brutjahr: Das Seeadlerpaar zog zwei Jungen auf, vier Fischadlerpaare in Seenähe elf Jungvögel. Über dem Hof selbst kreist ein Schwarzmilan. Im Lerngarten bestimmen Schüler auf Klassenfahrt Wassertiere und Hochmoorpflanzen.
In den vergangenen Jahren haben die Artenschützer im Naturpark Steinhuder Meer noch ein Tier heimgeholt, das wie kaum ein anderes in Europa vom Aussterben bedroht ist: Der Europäische Nerz wurde wieder angesiedelt. 110 Nerze sind bereits unterwegs. 2015 begann ein Monitoring, „um die Entwicklung der Population zu begleiten“, sagt Eva Lüers von der ÖSSM.
Die junge Landschaftsökologin und Thomas Brandt könnte man die Zieheltern der Steinhuder Nerze nennen. Zeit für Zeugnis und Bilanz: „Die Europäischen Nerze kommen im Ansiedlungsgebiet sehr gut zurecht, wie Telemetriedaten und Beobachtungen zeigen“, berichtet Eva Lüers. Strenge Winter überleben die Tiere problemlos. Ein weiteres Erfolgsindiz: Freigelassene Tiere nutzen fast schlagartig nicht mehr das Futter, das ihnen noch tagelang weiter angeboten wird.
Bislang kamen kaum Nerze zu Tode. Pro Jahr wurden durchschnittlich zwei bis drei Tiere tot aufgefunden. „Die Überlebensrate ist somit als recht hoch einzuschätzen und dürfte nicht unter der einer freilebenden Population liegen“, sagt Lüers.
Eines der 36 Sender tragenden Tiere biß ein Fischotter tot, „eine große Ausnahme“, so Lüers, „der Hauptprädator bei uns im Gebiet ist wahrscheinlich der Fuchs“. Zwei abwandernde Nerze fielen Autofahrern zum Opfer. Andere bezogen planmäßig Reviere am See. Wie überall in der Natur gab es auch Unvorhergesehenes: Mal ließ eine Fähe ihre Jungen im Stich und tummelte sich in den Vorgärten der Dörfer, wo sie am Ende eingefangen wurde, mal verlor sich der Funkkontakt zu einem Rüden, der nach Unbekannt abgewandert war.
Auf den ultimativen Erfolgsnachweis haben die Nerzschützer eine Weile warten müssen: die Sichtung von Nachwuchs. „Äußerst schwierig“ sei das, so Lüers. „Selbst bei täglicher Telemetrie bekommen wir die Tiere manchmal wochenlang nicht zu Gesicht, trotz Kenntnis des Aufenthaltsortes.“
2015 gelang der ÖSSM der langersehnte Erfolgsnachweis, daß die Nerze in der Sumpf- und Seenlandschaft Fuß gefaßt haben: Nachwuchs in freier Wildbahn. Den Fortpflanzungsnachweis führten die Artenschützer per Kamerafalle. Auswertungen aufgestellter Fotofallen zeigten eine Nerz-Fähe, die mindestens drei noch unselbständige Jungtiere nacheinander im Maul zu einem neuen Versteck trägt. „Die Wurfhöhle kannten wir schon, mieden das Gebiet jedoch großräumig, um das Nerzweibchen nicht zu stören“, berichtet Eva Lüers, die das Nerz-Projekt bei der ÖSSM koordiniert. Bei den Fotos handele es sich um die ersten aus Deutschland überhaupt, die im Freiland gezeugte und geborene Nerze zeigen.
Sumpfiger Bruchwald und Verlandungszonen am See sind ideal für den Nerz, aber für Menschen kaum betretbar. Automatische Kamerafallen, die per Bewegungsmelder auslösen, helfen auch nur bedingt, wenn Nachwuchs nachgewiesen werden soll, denn die Nerze haben anders als Baummarder oder Luchs keine individuelle Fellmusterung. Darum helfen Fotos nicht, einzelne Individuen zu bestimmen und freigelassene Tiere von in Freiheit geborenen abzugrenzen. Was noch fehlte, war folglich die Aufnahme oder Sichtung eines Muttertieres, das Junge umherträgt oder seinen Nachwuchs zum Jagdunterricht ausführt.
2010 startete das Projekt von ÖSSM, dem Verein EuroNerz und der Wildtier- und Artenschutzstation im nahegelegenen Sachsenhagen. Von allein wäre der Nerz nicht wiedergekommen, darum war Nachhilfe gefragt. Die naturnahen Uferzonen des Steinhuder Meers waren für das Projekt ideal. Zudem fehlt hier der Erzrivale, der Amerikanische Nerz, kurz: Mink. Von 2010 an wurden jährlich im Schnitt zwanzig Nerze ausgewildert. Alle tragen einen Transponder - einen Passivchip, der auf kurzer Distanz ausgelesen werden kann. 36 Tiere tragen auch einen aktiven Radiosender. Die Tiere stammen aus einem Europäischen Erhaltungszuchtprogramm (EEP), das der Zoo von Estlands Hauptstadt Tallinn leitet.
Vor der Auswilderung am Steinhuder Meer wurden bereits im Saarland und im Unteren Hasetal im Emsland Europäische Nerze ausgewildert. Im Saarland wurden von 2006 bis 2013 in den Tälern der Ill 162 Nerze angesiedelt. In Sachen Reproduktion in freier Wildbahn hatte es dort schon früh Erfolg gegeben: 2008 ging ein Jungtier in eine Falle. Im Tal der Hase wurden bereits ab dem Jahr 2000 Nerze ausgewildert - bis 2009 rund fünfzig, alle mit Sender. Später fand man dort Tiere ohne Sender - ein Indiz für Nachwuchs.
Zur Auswilderung wurden am Seeufer Gehege aufgebaut, in denen die Nerze gefüttert wurden und sich an die neue Umgebung gewöhnen. Nach zwei Wochen wurde eine Klappe geöffnet, die Nerze konnten entweichen - mußten aber nicht. Erst wenn keine Nerz-Spuren mehr im Gehege zu finden waren, endete die Fütterung. Die Kolonisten erhielten alle Namen, das erleichtert die Zuordnung. Geschwistertiere haben den gleichen Anfangsbuchstaben: Mia, Mona, Max und Moritz, Queenie und Quentin, Theodor und Trixie. Mit Zorro war das Alphabet erschöpft.
Die Sender, Passivchips und Bilder von Kamerafallen liefern fortan Informationen, wo es die Tiere hinzieht und ob sie überleben. „30.000 Euro kostet das Nerz-Projekt im Jahr. Der Verteidigungsetat beträgt 32 Milliarden“, sagt Thomas Brandt. Das Nerz-Geld stamme aus „der Bingo-Lotterie“, von der Niedersächsischen Bingo-Umweltstiftung.
Vor dem Seeufer liegt sumpfiger Erlenbruchwald, seit anno Tobak nicht mehr genutzt. Die Bäume kippen irgendwann um, dem Nerz dienen die Wurzelteller als Versteck. Ein hölzerner Beobachtungsturm am Seeufer gibt Ausblick auf sein Reich. Im Treppengang des Turms brüten unbeirrt sechs Paare Rauchschwalben. Im Winter, erzählt Brandt, liefen die Nerze auch über den zugefrorenen See ans andere Ufer: „Zwölf Kilometer!“
In Deutschland war der Europäische Nerz lange ausgestorben. Letzte Populationen hatte es in den Einzugsgebieten der Flüsse Leine und Aller gegeben, unweit des Steinhuder Meeres. 1925 war das letzte Tier im Allertal gefangen worden.
Der langsame Artentod des Wildnerzes in Deutschland hatte schon im 17. und 18. Jahrhundert begonnen, als große Wälder gerodet und Feuchtgebiete trockengelegt wurden. Die weiteren Ursachen für das Verschwinden von Mustela lutreola waren seine Bejagung, die Begradigung von Flüssen und Bächen, Gewässerverschmutzung, der Bau von Wasserkraftwerken und der Niedergang ihrer Leibspeise, der europäischen Flußkrebsbestände, durch die „Krebspest“, eine hochinfektiöse Pilzerkrankung, ab 1895. Nicht zu vergessen die Konkurrenz durch Iltis, Fischotter und Amerikanischen Nerz, der größer und aggressiver ist als sein kleiner europäischer Verwandter und ihn aus seinen Revieren verdrängt. Wo der Mink auftaucht, flieht der Wildnerz in Nebengewässer. Und da droht ihm der Hungertod.
„Amerikanische Minks gibt es bei uns nicht“, sagt Eva Lüers. Deren nächstgelegene Population sei im Raum Diepholz, etwa achtzig Kilometer entfernt. Sollte der Mink aber in den Naturpark Steinhuder Meer einwandern, könnte das ganze Nerz-Projekt für die Katz' gewesen sein.
In den 1970er Jahren war bereits spekuliert worden, ob der Europäische Nerz, der einst Sumpf- oder Krebsotter genannt wurde, insgesamt ausgestorben ist. „Die europäische Art M. lutreola ist heute wohl völlig ausgerottet“, hieß es 1973 in einer Neuausgabe von „Brehms Tierleben“. Da hatten die Autoren nicht gen Osten hinter den „Eisernen Vorhang“ geschaut. Heute listet ihn die Weltnaturschutzunion (IUCN) als „vom Aussterben bedroht“, und in allen Ländern, wo er vorkommt, ist er geschützte Art.
Ursprünglich war der Euro-Nerz im Westen, Osten und der Mitte Kontinentaleuropas verbreitet. In der Schweiz wurde er letztmals 1894 gesichtet, aus Österreich verschwand er um 1880. Heute leben nur noch kleine, isolierte Bestände im Westen Frankreichs, in Nordspanien, in Rumäniens Donaudelta, in Estland, der Ukraine und in Rußland westlich des Urals. „Die in Rumänien sind vermutlich die beste Population, die es noch gibt“, sagt der Biologe Tiit Maran vom Zoo Tallinn, der führende Experte für Europäische Nerze. Auf bis zu 1.500 Tiere schätzt er den Bestand im Donaudelta, vielleicht seien es auch nur dreihundert. Europaweit gibt es nur noch wenige Tausend freilebende Individuen.
Nerze, deren nächste Verwandte der Europäische Iltis und das Sibirische Feuerwiesel sind, haben hohe Ansprüche. Die Einzelgänger aus der Familie der Marder brauchen bewaldete und schilfbewachsene Ufersäume von See, Bach, Fluß oder Sumpf, und das Wasser muß sauber sein. „Der Nerz ist Lebensraumspezialist für diese Uferbereiche“, berichtet Christian Seebass vom Verein EuroNerz in Hilter bei Osnabrück. Zum Schutz vor Freßfeinden braucht er Deckung und Unterschlupf. Den nehme ihm aber der Mensch. Der Biologe zählt die Übel auf: „Kahlschlag, Bebauung, Begradigung, Anlage von Uferböschungen, Weidevieh direkt am Ufer.“
Am Ufer bewohnt das wendige Leichtgewicht - die Männchen wiegen achthundert Gramm, die Weibchen nur ein halbes Kilo - bis zu drei Meter lange unterirdische Baue. Zur Not tun es auch Reisighaufen oder Höhlen unter Baumwurzeln. Weiter als hundert Meter entfernt er sich selten von seinem Gewässer, dafür macht er sich am Ufer breit. In Südwesteuropa, fanden Forscher heraus, frequentierten männliche Nerze Uferlinien von bis zu siebzehn Kilometern.
Nerze sind dank ihrer Schwimmhäute zwischen den Zehen gute Schwimmer und Taucher. Fische, Frösche und Krebse sind ihre Alltagskost, aber auch Vögel, Insekten, Kriechtiere und Kleinsäuger, vor allem Waldmäuse, verschmähen sie nicht. Am Steinhuder Meer, sagt Thomas Brandt, fresse der Nerz vor allem Rotaugen, eine Karpfenart. „Er tötet auch auf Vorrat.“ Angeblich auch kiloweise Frösche, die während der Winterstarre unter der Eisdecke ein leichter Fang sind. Dazu hält sich der Nerz Eislöcher offen. „Die Beute deponiert er dann. Wie auf dem vietnamesischen Wochenmarkt.“
Im Mai wirft das Weibchen meist vier oder fünf zehn Gramm leichte Junge, die erst mit fünf Wochen sehen. Mit drei Monaten sind Nerze von der Mutter entwöhnt. Die Lebenserwartung beträgt vier bis fünf Jahre, in Menschenobhut bis zu zehn.
Vom US-Nerz ist der Euro-Nerz, der nie auf Farmen gezüchtet wurde, nur schwer zu unterscheiden: Sein Fell hat einen Rotstich, die weiße Partie unterm Kinn reicht ihm - anders als beim etwas größeren Amerikaner - bis hoch zur Nase. Sehen läßt er sich kaum: Das agile Fellbündel ist nicht nur scheu, sondern auch dämmerungs- und nachtaktiv.
Vor allem die osteuropäischen Bestände sind kaum erforscht, alle Informationen sind Puzzlestücke. Beispiel Rußland: Einst war der Nerz dort in sechzig Regionen verbreitet. In 39 gilt er als ausgestorben, zählt Tiit Maran auf, in acht Regionen gebe es ihn noch, in neun weiteren werde er vermutet, in vier Gebieten sei die Lage unklar. Weißrußland? „Ausgestorben“, sagt Maran. Dafür ist der Europäische Nerz im Mündungsgebiet des Dnjestr in der Ukraine wieder aufgetaucht. Die schlechte Nachricht: Seit 2003 wird der US-Nerz im ukrainischen Teil des Donaudeltas gesichtet. Den Euro-Nerzen im Delta droht damit Ungemach.
Maran, dem EEP-Zuchtbuchkoordinator und führenden Experten für Europäische Nerze, gelang es in Tallinn erstmals, junge Nerze im Zoo zu züchten. Auf der estnischen Ostseeinsel Hiiumaa, auf der zuvor der Amerikanische Nerz ausgerottet wurde, setzte der Biologe vierzig Tiere aus. Auch aus Estland war der Nerz zuvor verschwunden, letzte Sichtung 1996. Nächste Nerz-Kolonie wurde die Insel Saaremaa. Und was gefährdet den Nerz heute? „Die größte Gefahr“, sagt Maran, „sind Füchse und verwilderte Hunde.“
Die größte Bedrohung für den Wildnerz ist langfristig aber der Mink. Der Vetter aus Amerika wurde um 1920 als Pelzlieferant nach Europa verschifft und auf Farmen gezüchtet. Erst entkamen einzelne Tiere. In den 1980er Jahren beschleunigten militante Aktivisten den Lauf des Unheils, indem sie Farmnerze aus ihren Käfigen befreiten. An Artenschutz ist den in Fragen der Ökologie unbedarften Pelzgegnern wenig gelegen. „Eine Art verspürt keinen Schmerz, Individuen sehr wohl“, hieß es in einem Bekennerschreiben der „Animal Liberation Front“, nachdem die selbsternannten Tierfreunde 2007 im Jerichower Land (Sachsen-Anhalt) 10.000 Minks der Pelztierfarm Bärwinkel die „Freiheit geschenkt“ hatten. Am Steinhuder Meer droht dieses Szenario nicht: In der Region gibt es keine Nerzfarmen.
Acht Nerzfarmen gab es 2015 nach Angaben des Deutschen Tierschutzbundes noch in Deutschland, die beiden größten in Mecklenburg-Vorpommern. Jährliche Pelzproduktion bundesweit: etwa 100.000 Nerze. Mittlerweile haben die meisten aufgegeben. Nur noch die Farm in Radhen im Kreis Minden-Lübbecke existiert noch. Nach Angaben der radikalen Tierschutzorganisation PETA werden dort rund 5.000 Minks gehalten. Eine weitere Hobbyzucht mit rund 180 Tieren gab es zuletzt außerdem noch im niedersächsischen Melle im Landkreis Osnabrück.
Wie es auf Pelztierfarmen zugeht, berichtet ein anonymer Tierschutzaktivist auf der Internetseite ariwa.org der Tierschutzorganisation „Animal Rights Watch e.V.“ (ARIWA). In dem Report heißt es: „Die erste Farm auf unserer ersten Tour war direkt eine der unzugänglichsten Anlagen. Sie liegt unmittelbar am Rande eines Wohngebietes. Um unbemerkt dorthin zu gelangen, mußte zuerst einmal eine halbstündige Wanderung quer durch den Wald unternommen werden. Dort angekommen, standen wir vor einer zwei Meter hohen Blechwand zusätzlich mit zwei Reihen Stacheldraht versehen. Aus der Farm hörten wir die ersten Schreie der Nerze. Etwa 12.000 Tiere sollen hier gehalten werden. Vorsichtige Blicke über den Blechzaun brachten Gewißheit: Reihe an Reihe mit schwarzen und weißen Nerzen. Inmitten der Farm Käfige anderen Typs: Füchse? Waschbären? Wir konnten es von außen nicht erkennen. Die Einblicke wurden immer wieder unterbrochen, als Arbeiter durch die Farm gingen. An diesem Tag hatten wir keine Chance, auf das Farmgelände zu gelangen.“ Die Aktivisten kehren zwei Tage später zurück und überwinden den mit Stacheldraht bewehrten Zaun. „Am anderen Ende der Farm wurde noch gearbeitet. Da waren sie nun: Käfig an Käfig, Reihe an Reihe, Schuppen an Schuppen: Tausend arme Seelen, die nichts anderes kannten außer Drahtgitter oben, unten, links, rechts, vorn und hinten. Ein ewiges Hin und Her, stereotypische Bewegungen, Leid und Qual, wohin man schaute. Ein unwürdiges Dasein, ein unerträglicher Anblick. Auf den Käfigen der stinkende, unappetitliche Futterbrei, zusammengequirlt aus Schlachtabfällen oder toten Artgenossen.“
Mittlerweile hat sich die Situation der Zuchtnerze in Deutschland aus Tierschutzsicht verbessert. Am 1. September 2017 war ein neues Gesetz zur Regulierung von Pelzfarmen in Deutschland in Kraft getreten. Ein Verbot trat nicht in Kraft, es gilt aber ein Erlaubnisvorbehalt. Auf der Internetseite von PETA heißt es: „Die Vorgaben der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung von größeren Käfigen, Schwimmbecken und Klettermöglichkeiten wurden vom Parlament in ein höherrangiges Gesetz mit Erlaubnisvorbehalt umgewandelt. Der Bundesrat hatte in seiner Entschließung zum Gesetzesentwurf wie PETA ein klares Pelzfarmverbot im Tierschutzgesetz durch die Bundesregierung gefordert.“ Wirtschaftsnahe Teile der CDU/CSU-Fraktion hatten ein Verbot verhindert.
Zentrum der europäischen Nerzzucht bleibt damit Dänemark. Laut Tierschutzbund werden dort auf 1.665 Nerzfarmen jährlich siebzehn Millionen Minks getötet - mit Gas, Strom oder Knüppeln.
Natur- und Artenschützer, die das Schlachten von Minks für Modezwecke genauso widerlich finden wie die Käfigzerstörer, halten von den Befreiungsaktionen radikaler Aktivisten gar nichts. Weil sich Nerze Nahrungsvorräte anlegen, können die Massenfreilassungen von Minks für Bestände an Amphibien und Reptilien den Garaus bedeuten. Nachdem Tierbefreier 2010 aus der Nerzfarm Frankenförde südlich von Potsdam 4.000 Minks hatten entweichen lassen, fanden Geflügelhalter in der Nachbarschaft Tage später reihenweise tote Hühner und Enten in ihren Ställen und Gärten - Vorratstötungen hungriger Minks. Zur gleichen Zeit rühmten sich die Tierrechtler, 18.000 US-Nerze in Schweden freigesetzt zu haben.
Minks sind fähig, in einer Nacht bis zu hundert Vögel zu töten. Wo sie als invasive Art neu auftauchen, können sie Vogelbestände arg dezimieren. Nachgewiesen wurde das zum Beispiel für die Brut von Lachmöwen und Bläßhühnern. Europaweit breitet sich die Art immer weiter aus, die Mink-Populationen wachsen zusammen. Allein mit Jagd ist der invasiven Art nicht beizukommen. Zu anpassungsfähig ist der Mink, dem jede Art von Gewässer genügt. Anders als der Europäische Nerz ist er nicht auf wenige Beutetierarten spezialisiert, sondern nimmt, was er kriegt, und pflanzt sich noch munterer fort als sein europäischer Vetter.
Christian Seebass von EuroNerz hat Hinweise, „daß der Mink als eingeschleppte und größere Art mit sehr ähnlichen Lebensraumansprüchen den Nerz aus seinen Lebensräumen verdrängt“. Wiederansiedlungen des Euro-Nerzes seien darum nur da sinnvoll, wo der Mink nicht vorkommt. In Weißrußland ging das Verschwinden des Wildnerzes einher mit der Ankunft des Minks.
Längst ist neben dem schmalen Gen-Pool des Euro-Nerzes, der Forschungsstudien zufolge noch zum Problem werden kann, die Paarung zwischen Wildnerz und Mink der nächste Fluch. Bekannt ist, daß Minkmännchen sich mit Weibchen des Europäischen Nerzes paaren. Nach der Befruchtung stirbt der Embryo ab. Das Weibchen fällt aus dem Vermehrungszyklus heraus, der Wildnerz-Bestand wird gemindert. Bei einem weiteren Mink-Verwandten, dem Europäischen Iltis, auch Waldiltis genannt, kam es noch schlimmer. Von beiden Arten gibt es bereits Bastarde.
Um den Europäischen Nerz zu retten, braucht es Inseln wie vor Estlands Küste oder andere naturnahe minkfreie Gewässer. „Es ist noch unklar, ob die Gebietskulisse am Steinhuder Meer groß genug ist für eine dauerhafte Besiedlung“, sagt Brandt. Die Naturschützer haben ihren Teil geleistet, nicht nur für den Nerz: 160 Wiesentümpel wurden binnen fünfzehn Jahren angelegt. „Aber der Nutzungsdruck auf den See ist hoch“, sagt Brandt. Im Sommer kommen bis zu 8.000 Gäste am Tag an Niedersachsens größten Binnensee. Allein über 3.000 Segelboote liegen an den Stegen von Mardorf und Steinhude - von November bis März ständig, denn dann gilt zum Schutz der Rastvögel Fahrverbot.
Grüne Verlandungszonen umgürten den Flachsee, der im Mittel nur 1,5 Meter tief ist. An seinen tiefsten Stellen sind es gerade mal drei Meter - für die Segelsportler und Fischer reicht das. Den See, der erst vor 15.000 Jahren entstand, speist vor allem Grundwasser. Den Wasserüberschuß transportiert der naturnahe Meerbach ab, der bei Nienburg in die Weser mündet.
Das „Tote Moor“ am Ostufer hat der Torfabbau größtenteils zerstört, viele Feuchtwiesen fielen mit der Intensivlandwirtschaft trocken, artenarmes Grünland entstand. Einige Hundert Hektar Hochmoorflächen wurden inzwischen wiedervernäßt und renaturiert. Sonnentau, Wollgras und Rosmarinheide machen sich breit, Moorspezialisten wie Kreuzotter, Schwarzkehlchen und Ziegenmelker finden dort ihr Idealbiotop. Anderswo eher nicht. Auch Teile des 310 Quadratkilometer großen Naturparks „vermaisen“ für den Biogasboom. „Wo es früher Schlingnattern, Kreuzkröten und Zauneidechsen gab, ist heute nur noch Mais“, kritisiert Brandt.
Lieber störten sich die Anwohner am vielen Wasser. „Wenn die Keller volllaufen, waren es die Ökotrüffel“, gibt Brandt den örtlichen Diskurs nach Unwettern wieder. Er habe schon bei Ortsterminen Schäden besichtigt „da wurde mir glaubhaft gemacht, daß Wasser auch bergauf fließt“.
Bauern nutzen Teile der Meerbruchswiesen noch immer, aber nur noch extensiv. Die Mahd erfolgt spät, um die Nester von Bodenbrütern zu schonen. In den Feuchtwiesen halten seit 2003 rund siebzig Wasserbüffel das Gras flach. Die asiatischen Rinder sind zwar winterhart, aber gegen Jahresende geht ihnen die trockene Weidefläche aus, und so stehen die zahmen Büffel winters im Stall. Höfe mit Vieh suchen die Tiere auch sommers auf. „Die Büffel stehen oft abends beim Bauern vor der Tür“, witzelt Brandt, „weil sie meinen, ihre beste Freundin wäre dort.“
Ab dem Frühjahr sorgen die Büffel wieder dafür, daß die angelegten Tümpel nicht zuwachsen. Das freut den Laubfrosch, auch der ein Rückkehrer. 2005 siedelte die ÖSSM den Wetterfrosch, den einzigen Baumkletterer unter den Lurchen, in den dortigen Teichen und Tümpeln wieder an. Seit 1978 war er lokal ausgestorben. Gut tausend Kaulquappen setzten Lurchi-Liebhaber aus. 2006 quakten die ersten vierzig Rufer aus den Tümpeln, 2014 hopsten schon rund 7.000 Laubfrösche durch 85 Gewässer.
In den Meerbruchwiesen brachte die Wiedervernässung, bezahlt aus Landes- und EU-Geldern, die Artenvielfalt zurück. Löffel-, Krick-, Knäk- und Schnatterente, Wasserralle, Rohrweihe und Schilfrohrsänger brüten dort - und auch nicht hochmoortypische Vögel wie Kiebitz, Graugans und Flußregenpfeifer. In der Zugzeit zeigen sich dort bis zu dreißig Watvogelarten. Die Exemplare mancher Spezies lassen sich an einer Hand abzählen, seien es Waldwasserläufer, Drosselrohrsänger oder Raubwürger. Kaum mehr sind es bei Kranich oder Weißstorch. Dafür sind viele Rastvögel und Wintergäste tausendfach vertreten: Bläßgans, Graugans, Tafelente, Stockente, Haubentaucher und Kormoran.
Eine Preziose unter den Gefiederten ist die Moorente, Deutschlands seltenste Entenart. In Zentraleuropa brütet sie nur selten. Ihren Bestand an Brutvögeln schätzt der Naturschutzbund (NABU) auf deutschlandweit zehn bis zwanzig Paare, verteilt auf Bodensee und Lausitz. Ihrem Wiederauftauchen am Steinhuder Meer hat vor allem Florian Melles vom NABU Niedersachsen nachgeholfen. Von 2012 bis 2014 wurden 240 in Zoos und Tierparks nachgezüchtete Exemplare der kastanienbraunen Tauchenten am See freigelassen - ohne Auswilderungsvoliere. „Hard release“, Freilassung auf die harte Tour, nennt Melles das im Zoologen-Jargon. „Einfach die Auswilderungsbox auf und fertig!“ Damit die Aktion nicht zum Dinner für Fuchs und Habicht gerät, entlassen die Fauna-Ingenieure nicht „alle meine Entchen“, sondern nur flugfähige Moorenten.
Seitdem beschäftigen den Diplom-Geographen Fragen: Brüten die scheuen Zugvögel am See? Oder machen sie sich auf die Reise? Und wohin? Gelbe Fußringe mit zweistelliger Buchstabenkombination sollen das Wiedererkennen erleichtern. Melles erstes Resümee: „Etwa zwanzig Prozent sind noch da, und zwar auch im Winter.“ Auf Vogelzug hatten die schon mal keine Lust. „Die anderen sind sofort abgesaust, sobald wir die Kiste aufgemacht haben.“ Sichtungen deuten darauf hin, daß etliche Enten sich ins Münsterland und in den Raum Braunschweig davongemacht haben, andere haben es sich im fünf Kilometer entfernten Hagenburger Kanal wohnlich gemacht.
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