Kitabı oku: «Montagsmeeting», sayfa 3

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Ohne jede Würde beginnt Whitney jedoch auf allen Vieren das Trümmerfeld zu ordnen. Dabei wimmert sie leise Flüche, was wie ein orientalisches Gebetsritual wirkt. Ihre aufreizend enge Hüfthose offenbart eklatante Schwächen und gibt den Blick nicht nur auf ein kapitales Arschgeweih frei, sondern gleichwohl dorthin, wo nie die Sonne scheint. Knapp zwei Meter vor mir krabbeln zwei halbentblößte Arschbacken über den Vorwerkteppich, ohne dass Whitney auch nur ansatzweise ahnt, welchen Anblick sie den Anwesenden zumutet. Männer mögen in der Regel zwar Popos, aber nicht das, was sich in der Tiefe dazwischen verbirgt.

Ben blickt zur Decke und lächelt mir dann entschuldigend zu. Fast wirkt es, als sei ihm die Situation peinlich.

Die anderen Männer glotzen mit offenen Mündern und selbst Vogel hat für den Moment den Sendebetrieb eingestellt.

Allein die granatenscharfe Kathrin scheint Whitneys Selbstdemontage richtig zu genießen und lutscht voller Hingabe einen der vom Himmel geregneten Chupa-Chups-Lutscher. Dann kommt sie auf die sensationelle Idee, sich über den Tisch zu beugen und den klebrigen Lutscher am langen Arm in den verrutschten Hosenbund von Whitney fallen zu lassen, wo er präzise zwischen den Pobacken in der Tiefe des Raumes verschwindet.

Whitney stöhnt qiekend auf, wobei sich nicht eindeutig sagen lässt, ob sie wirklich erschrocken ist oder ihr der Lutscher im Arsch nicht doch ganz gut gefällt.

Kathrin grinst und erntet huldigendes Gelächter – interessanterweise ausschließlich von den männlichen Kollegen. Bens Warnung und Verweis auf den nicht ganz astreinen Charakter der Dame gewinnt zunehmend an Glaubwürdigkeit.

Während Whitney, noch immer auf Knien, verzweifelt versucht, sich vom Lutscher zu befreien und mit der Hand von hinten in die Hose greift, lässt Kathrin den Blick triumphierend durch die Reihen wandern. Ich verfolge ungläubig, wie Whitneys Hand bis zur Mitte des Unterarms in der Hose verschwindet und dort verzweifelt herumfingert. ,Das wird hier kein Meeting‘, schießt es mir durch den Kopf, ,das ist die Vorrunde vom ,Supertalent‘!‘ Fast nebensächlich nehme ich angesichts dieses würdelosen Schauspiels wahr, dass Kathrin mich inzwischen ansieht. Ich reiße mich von Whitneys Rektal-Performance los und meine Augen geraten in den Bannstrahl von Kathrins Blick. Fast unmerklich fährt sie sich mit der Zunge über die Lippen und ich spüre, wie sämtliches Blut meinem Kopf entweicht und sich in den Füßen sammelt. Wer mich jetzt nach meinem Namen fragt, wird keine vernünftige Antwort erhalten. Kathrin reduziert mich mit einem einzigen Blick zu einem sabbernden Volltrottel. Alles, was ich in diesem Moment weiß, ist, dass Kathrin die mit Abstand aufregendste Frau der Welt ist. Mein Wissen von charakterlichen Defiziten ist wie weggeblasen, was leider offenbar auch für mein Gehirn gilt. Ich muss aussehen wie ein Idiot im Wachkoma und nehme vollkommen handlungsunfähig zur Kenntnis, wie Kathrin abfällig lächelt und mich so im Gleitflug aufkommender Glückseeligkeit eiskalt abschießt.

„Was ist denn hier passiert? Ist jemand verletzt?“ In der Tür steht eine junge Frau, die schätzungsweise in meinem Alter sein dürfte und ungläubig das Chaos auf dem Boden begutachtet.

„Mir ist das Tablett hingefallen“, untertreibt Whitney.

„Und was um alles in der Welt machst du da?“, fragt die Frau mit kurzem, blondem Pferdeschwanz fassungslos und mustert Whitney, deren Arm noch immer in der Hose wühlt. Für einen Moment herrscht betretene Stille, dann endlich zieht Whitney den feuchten Lutscher hervor und hält ihn, wie einen Beweis ihrer Unschuld, in die Luft.

Die Frau blickt fragend in die Runde, entschließt sich jedoch offenbar, keine weiteren Fragen zu stellen, deren Antworten sie nur verstören würden.

Sie schüttelt den Kopf. „Wie auch immer, die Dahlke und der Hahn sind im Anmarsch. Lasst uns den Saustall hier wegräumen.“

Sie legt ihr Mini-Notebook beiseite und kniet sich zu Whitney, die den Lutscher auf den nächtsbesten Tisch gelegt hat. Gemeinsam sammeln sie die Scherben ein. Die Douglas-Tussen, eigentlich prädestiniert für leichte Aufräumarbeiten, bewegen sich kein Stück und starren, noch immer von dem Schauspiel konsterniert, angeekelt auf den langsam antrocknenden Lutscher.

„Könnte vielleicht mal einer mit anpacken?“, fragt der blonde Pferdeschwanz nach einer Weile und sieht mich an. Ein wenig unschlüssig suche ich Rat bei Ben. Der zuckt die Schultern, steht auf und hilft. Ich folge ihm und vermeide, Kathrin meinen Hintern zuzudrehen.

Während wir so auf allen Vieren versuchen, die Spuren von Whitneys Malheur zu beseitigen, streckt mir die junge Frau die Hand entgegen.

„Neu?“

„Nee, mit Perwoll gewaschen“, erkläre ich und schüttele ihre Hand.

„Riesenwitz“, antwortet sie und wirkt leicht genervt. „Pia.“

„Pia“, wiederhole ich im gleichen Tonfall, als käme ich vom Ork und müsse mir den komplizierten Namen erst gewissenhaft einprägen. Mich selbst vorzustellen, vergesse ich dabei komplett.

„Ja, genau! P-I-A. Wie man’s spricht.“

Ich überlege, ob ich gerade verarscht werde und wiederhole den Namen erneut: „Pia“.

„So prima, jetzt kannst es ja. Und du?“, hakt sie nach. „Oder heißt du etwa auch Pia?“

Ich werde verarscht. Eindeutig.

„Thomas“, sage ich etwas unsouverän und begreife, dass sie diejenige sein muss, in deren Team ich arbeiten soll. Das fängt ja gut an. Im Augenwinkel sehe ich hinüber zu Kathrin, die unseren Reinigungstrupp mit aufreizender Lässigkeit beobachtet. Mein Gott, ist die scharf! In welchem Team die wohl arbeitet, frage ich mich. Ganz gleich, welche Veranstaltungen auch immer sie zu organisieren hat, dort will ich hin – und wenn es Tupper-Partys sind. Vielleicht sollte ich einen Karriereplan entwickeln und Pia nur als vorübergehende Station auf meinem Weg nach oben betrachten. Immerhin ist die mir aber immer noch wesentlich lieber als so hohle Fritten wie Whitney oder Pinella Dahlke.

Wie aufs Stichwort steht die Partykanone prompt in der Tür. Und neben ihr die schmierige James-Bond-Persiflage, der Mann mit den tausend Eiern.

„Was sucht ihr denn da?“, fragt er. „Den Sinn des Lebens?“

„Noch ein Superwitz“, zischt mir Pia zu, steht auf und geht zu ihrem Platz. Kollege Vogel findet den Witz offenbar klasse und beömmelt sich mal wieder, diesmal etwas leiser und verstohlener. Er gibt ein dämlich verkniffenes und peinlich gehemmtes „Gnihihihihi …“ von sich. Oh mein Gott, ist der doof.

Ben und ich, wir setzen uns ebenfalls und fühlen uns wie zwei blöde Schuljungs, die Hofdienst hatten.

Vom Platz aus beobachte ich Pia, die ihr Notebook hochfährt und sich eine Strähne aus der Stirn bläst.

,Eigentlich ganz hübsch‘, denke ich. ,Ihr Problem ist nur, dass sie mit einer Göttin den Raum teilt und da verblasst jeder zwangsläufig zum hässlichen Entlein.‘

„Also, was steht an?“, fragt Danny Hahn und gibt sich als unumschränkte Führungskraft.

„Wollen wir nicht auf den Chef warten?“, unterbricht ihn Pinella mit fast körperloser, gleichbleibend langweiliger Stimme, die garantiert jedes Hörbuch zum Ladenhüter machen würde.

Danny Hahn wirkt pikiert. Autsch, das hat gesessen. Fast glaube ich, er ist eine kleine Mimose, die sich hinter einem Nebel aus großzügig versprühtem Testosteron versteckt.

Ein vollkommen deplatziertes „Gnihihihihi …“ ist zu hören.

Agent 0,07 wirft Kollege Vogel einen bitterbösen Blick zu und nuschelt genervt: „Meinetwegen“. Dann greift er nach einem Lutscher auf seinem Tisch. Danny Hahn kommt offenbar nicht im Traum auf die Idee, dass diese Lutscher normalerweise in klare Folie gewickelt sind, und schiebt sich Whitneys Arschlutscher gelangweilt in den Mund. Jeder im Raum, außer Pinella Dahlke, verfolgt den Vorgang voller Entsetzen, aber keiner sagt ein Wort. Für einen kurzen Moment, der sich anfühlt wie eine kleine Ewigkeit, verharrt er, als würde ihn etwas an diesem Lutscher irritieren. Dann beginnt er genüsslich zu lutschen und fingert sein iPhone aus der Tasche. Endlich weiß auch ich, was Fremdekeln ist.

Fast dankbar für die Zäsur nehme ich die Ankunft eines graumelierten Herrn zur Kenntnis.

Ben stupst mich an. „Dietmar Döbel. Dein neuer Chef.“

„Der Typ?“

Ben nickt. „Eigentlich ganz nett, hat aber ein leichtes Autoritätsproblem.“

„Dietmar Döbel?“, frage ich ungläubig nach.

„Genau so! Leider auch fachlich eine echte Null.“

Der untersetzte Mann, der den Raum betritt, hat eine borstige Glatze, einen ziemlich deplaziert wirkenden Schnurrbart und geht schätzungsweise stramm auf die Sechzig zu. Er sieht aus wie eine Karikatur und könnte nicht nur namentlich, sondern auch optisch einem Benjamin-Blümchen-Hörspiel entsprungen sein. Ich kämpfe einen aufkommenden Lachanfall herunter und gerate fast in Panik, da ich ahne, dass ich hier heute noch unangenehm auffallen werde.

Als Dietmar Döbel zu sprechen beginnt und die Belegschaft mit einem offensiven „So, alle da?“ begrüßt, brechen bei mir sämtliche Dämme und ich lache laut auf. Dietmar Döbel hat eine Stimme ohne jeglichen Bass und krächzt zudem noch heiser wie ein korrupter Mafia-Pate. Etwa zwanzig Augenpaare sehen mich irritiert an und Dietmar Döbel fragt gepresst: „Junger Mann, Sie scheinen hier neu zu sein. Was bitte ist so lustig?“

Ich breche erneut in Lachen aus und könnte gleichzeitig im Boden versinken. Ein schlechterer Einstand am ersten Tag ist wohl kaum denkbar, aber dieser ganze Laden ist einfach zu viel für mich. Richtig normal ist hier keiner. Das ist keine Eventagentur, sondern eine Freakshow! Ich bekomme einen ausgewachsenen Lachkrampf und kann nichts dagegen tun.

Trotz des Rauschens in meinem Kopf höre ich das leise, verkniffene „Gnihihihihi …“ von Kollege Vogel. Diesmal würde ich ihm gerne einen bösen Blick zuwerfen, kann es aber nicht.

Während ich mein Gesicht, vom Lachen inzwischen puterrot, in meinen Handflächen verberge, nimmt Dietmar Döbel langsam Platz. Erst als Ben mich anstupst und mir zuzischelt, dass Döbel vor zwei Jahren Kehlkopfkrebs hatte, klingt mein Lachkrampf ab. Ich blicke in die Runde und in zumeist verständnislose Gesichter. Nur Kollege Vogel hat noch seinen Spaß.

„Gnihihihihi.“

Pia schmunzelt unmerklich. Kathrin dagegen grinst unverhohlen. Sie steht offenbar auf Geschmacklosigkeiten jeder Art. Alle anderen zeigen keine Regung und Pinella Dahlke schüttelt fast unmerklich missbilligend den Kopf. Ich fühle mich wie jemand, der als Einziger im roten Sakko zur Beerdigung erschienen ist und statt Blumen brennende Wunderkerzen auf den Sarg wirft.

„Nun denn, wenn wir es dann haben?“ Dietmar Döbel krächzt in die Runde. Nach einigen gewürgt klingenden Einführungssätzen übergibt er das Wort an Pinella Dahlke, die monoton über die aktuelle Lage der Agentur referiert und mit den Namen illustrer Unternehmen um sich wirft. Nach einer Reihe, den Gesichtern der Versammelten nach zu urteilen, offenkundig sehr positiven Informationen, kommt sie, zumindest ihrer Mimik nach, zu den unerfreulicheren Themen des Tages und stellt mich als neuen Mitarbeiter vor. Sie erklärt, dass ich Pia Sieberts Team unterstützen werde, die mich mit großen Augen ansieht. Ich versuche, sie mit einem Lächeln zu überzeugen, bin aber nur mäßig erfolgreich und wirke offenbar eher hilflos. Sie nickt mir beruhigend zu.

„Apropos, wie läuft’s denn bei dir?“, will Danny Hahn von Pia wissen und ich, aber auch alle anderen, zucken fast zusammen. Im direkten Kontrast zu Dietmar Döbels Mickerstimme und Pinella Dahlkes emotionslosem Vortrag, klingt Danny wie ein Megafon am Anschlag.

„Ganz gut. Wenn nichts schiefgeht, sollten wir den Auftrag für Berlin haben“, antwortet Pia. Sie zupft ihre Ärmel gerade. „Um elf sind zwei Leute vom Konzern hier und dann werden wir ja sehen. Ich bin aber ganz optimistisch.“

„Wen schicken die?“

„Irgendeine Sabrina Monk. Und einen …“ Pia blättert in einer dünnen Projektmappe, „… einen Markus Lecknepper.“

Ich atme schwer. Zwar verstehe ich keine Zusammenhänge, aber bei der Vorstellung, gleich in Pias Team einem Typen gegenüberzusitzen, der „Lecknepper“ heißt, macht mir jetzt schon Angst. Heute darf ich mir kein weiteres Fettnäpfchen mehr leisten.

„Und habt ihr schon über das Budget gesprochen?“

„Das Agenturhonorar liegt bei zwölftausend. Die Fremdkosten bestimmt noch mal bei acht. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass die noch drücken wollen.“

„Noch mehr drücken?“, fragt Dietmar Döbel mit panischem Unterton in der ohnehin schon kämpfenden Stimme. „Ich denke, die wollen die ganz große Nummer!“

Pia zieht ratlos die Schultern hoch. „Klar! Am liebsten Oscarverleihung, aber es darf nichts kosten. Ist doch wie immer.“

Dietmar Döbel prustet empört. „Dass Sie mir das nicht versaubeuteln!“

Ich tippe Ben an und frage leise: „Was für eine Firma ist das denn?“

„’ne Restaurantkette. PastaFigaro.“

„Die?“, frage ich begeistert. „Die gibt’s doch hier in der Innenstadt auch.“

„Die gibt es inzwischen schon fast überall“, antwortet er gelangweilt.

„Und was macht ihr da?“

„Eröffnungsveranstaltung. Mit Promis und so.“

„Nicht schlecht.“ Ich nicke anerkennend.

Wenn ich auch nicht weiß, wie so eine Eröffnung aussieht und was da genau gemacht werden muss, merke ich dennoch, wie in mir Begeisterung wächst. Das PastaFigaro ist eines der angesagtesten Restaurants in der Stadt und immer rappelvoll. Ich war zwar selbst noch nicht drin, weil alle, die hingehen, auf erfolgreich und busy machen, also keine klassischen ,Wash & Go‘-Mitarbeiter sind, aber die Vorstellung, bald auch so cool und lässig zu sein, fasziniert mich.

Noch mehr fasziniert mich allerdings Kathrin.

„Und was für Projekte betreut die?“, flüstere ich Ben zu und nicke in Kathrins Richtung.

„Private Events.“

Ich blicke ein wenig ratlos aus der Wäsche und Ben wird konkreter.

„Meistens Hochzeiten. In manchen Fällen auch mal Geburtstage, wenn irgendein hohes Tier fünfzig wird oder so. Vorletzten Monat war sogar eine Beerdigung dazwischen.“

„Jemand beauftragt für seine Beerdigung eine Eventagentur?“

„Ne“, amüsiert sich Ben, „das haben die Mitarbeiter gemacht. Der Typ, der das Zeitliche gesegnet hatte, war Seniorchef von so ’nem Großunternehmen. Da waren sogar die großen Fernsehsender mit Kamerateams und dem ganzen Firlefanz.“

„So was kann die alles?“

„Ach, alles kein Hexenwerk. Und im Zweifelsfall rettet ihr dann wieder irgendjemand den Hintern. Meistens die Kerle natürlich.“

Wen wundert’s. Ich jedenfalls würde ihr gerne mal den Hintern retten dürfen. Auch wenn mich Hochzeiten jetzt eher nicht so interessieren – der Hintern wäre es Wert, auf jede PastaFigaro-Eröffnung zu verzichten.

„Braucht den Raum hier gleich jemand?“, fragt Pia. „Dann würde ich die PastaFigaros nämlich ganz gerne hier empfangen.“

Keiner der Anwesenden hat Einwände, sodass Dietmar Döbel das erste Montagsmeeting meiner noch jungen Eventlaufbahn beendet und sich nach und nach jeder der Anwesenden aus dem Raum schleicht. Da Pia und Ben sitzen bleiben, tue ich es ihnen gleich und warte ab. Danny Hahn zwinkert mir zu und tippt sich unsagbar cool mit dem Zeigefinger zum Gruß an die Stirn. Dann entsorgt er den abgenagten Stiel seines Lutschers mit einem nachlässigen Wurf knapp neben den Abfallbehälter und greift sich die Tüte mit den restlichen Chupa-Chups-Lutschern. Er runzelt die Stirn und pfeffert die Tüte in den Müll.

„Spinnst du?“ Pinella Dahlke blickt ihn verständnislos an. Seine Antwort kann ich nicht mehr ganz verstehen, da er bereits auf dem Flur ist; es sind nur Satzfetzen, die an mein Ohr dringen. Was ich aber definitiv noch höre ist „… schmecken total scheiße …“ und „… bestimmt schon abgelaufen.“

The Sky is the Limit

„Meinst du“, fragt mich Pia, „es wird dir möglich sein, in den nächsten anderthalb Stunden halbwegs seriös rüberzukommen?“

„Sorry“, sage ich. „Tut mir echt leid.“ Ich mache ein schuldbewusstes Gesicht. „Ich muss mich hier wohl erst akklimatisieren. Wird nicht wieder vorkommen.“

Ben zuckt die Schultern. „Ich fand’s ganz witzig.“

„Du weißt genau, dass der Döbel mich auf dem Kieker hat. Meinst du etwa, ich will mir einen anderen Job suchen?“

„Hast ja recht“, beschwichtigt Ben und verdreht die Augen.

„Ist das ein wichtiger Auftrag?“, frage ich.

Pia macht ein ernstes Gesicht und nickt. „Schon. Ich habe vor drei Wochen erst einen Auftrag verloren.“ Sie hebt resignierend die Schultern. „Da kann man noch so gute Arbeit leisten. Diesmal geht es aber um mehr – Rahmenvertrag! Wenn wir den Job hier gewinnen, sind wir voll drin und touren für die das ganze Jahr durch’s Land. Eine Eröffnungsveranstaltung nach der anderen. Andernfalls machen wir für die wahrscheinlich gar nichts mehr.“

„Aber ihr durftet doch bisher für die arbeiten, oder?“, frage ich.

„Klar, aber auch nicht immer. Die wirklich interessanten Events hat für den Kunden eigentlich immer die Konkurrenz gemacht.“

„Wieso? Sind die billiger?“

„Glaube ich nicht. Aber die haben so eine Tussi, die lässt sich von einem der PastaFigaro-Typen poppen. Das ist ein Verkaufsargument.“

„Dann solltest auch du dein Dienstleistungsspektrum mal erweitern. Wir machen denen ein Angebot, das sie nicht ablehnen können, mit ganz persönlicher Kundenbetreuung“, schlägt Ben mit ernster Miene vor. „Für dich können wir ja Stundensätze angeben – ganz transparent nach tatsächlichem Aufwand abgerechnet.“

„Find ich gut“, antwortet Pia und überlegt. „Sollten wir so machen. Verbrauchsmaterialien werden aber extra berechnet, Kondome und so.“ Sie will ihm noch mehr sagen, doch ihr Telefon klingelt. Das Telefonat ist denkbar kurz und Pia atmet tief durch. „Sie sind da.“

Nach einem kurzen Moment fügt sie hinzu: „Jetzt nur nicht den Sand in den Kopf stecken!“

Ich grinse. „Lothar Matthäus.“

„Wovon redet ihr?“, fragt Ben.

Pia stupst ihm mit der Hand gegen die Stirn. „Gib dir keine Mühe. Von Fußball hast du keine Ahnung.“

Ich blicke zwischen den beiden unsicher hin und her und frage Pia: „Du interessierst dich für Fußball?“

„Ja.“

„Das ist leicht untertrieben“, verrät mir Ben mit verschwörerischem Unterton. „Wenn Marcel Reif bei Günther Jauch säße, wäre Pia bei allen kniffeligen Fußballfragen sein Telefonjoker.“

Ich nicke anerkennend, schmecke jedoch sogleich diesen bitter-sauren Geschmack auf meiner Zunge. Ich denke an die Million, die um Haaresbreite meinem Konto gutgeschrieben worden wäre und mache mir klar, dass ich bei aktueller Vertragslage für die Summe etwa tausend Monate werde arbeiten müssen, ohne einen einzigen Cent ausgeben zu dürfen. Ich versuche, Geschmack und Gedanken zu verdrängen und bleibe mit meinem Blick am Stiel von Danny Hahns Chupa-Chups-Lutscher hängen, der natürlich noch immer neben dem Abfallbehälter liegt. Die Bilder, die sich so Platz in meinem Kopf schaffen, helfen mir auch nicht wirklich weiter, sodass ich dankbar bin für die Ablenkung durch unsere Gäste, die wenig später von Whitney in den Konferenzraum geführt und mit feinstem Cappuccino versorgt werden. Das schnöselige Pack, das unter unausgesprochener Huldigung Einzug hält, bestätigt jedes Klischee überflüssiger Marketingmitarbeiter.

Sabrina Monk ist leidlich hübsch und versucht, mit figurbetonten Klamotten kaum vorhandene Reize zu akzentuieren. Sie hat diesen leicht billig wirkenden Mariah-Carey-Look und hält ihr Filofax fest umschlungen. Ich schätze sie auf Mitte zwanzig und könnte meinen Praktikantenvertrag darauf verwetten, dass sie deutlich mehr verdient als Pia, Ben und ich. Ihr Begleiter ist vermutlich im gleichen Alter und wirkt tendenziell schwul. Markus Lecknepper trägt rote Chinos, in denen eigentlich jeder Mann beschissen aussähe. Chinos sind Hosen, in denen sogar die Knackpopos neunzehnjähriger Beachvolleyballerinnen schlaff und formlos wirken. Wenn jedoch ein affektierter Lackaffe ohne Waden ein solches Höschen trägt, ist der Anblick zum Weglaufen. Hier frisst nicht Arsch Hose, sondern umgekehrt. Dagegen ist mein ,Wash & Go‘-Overall regelrecht männlich.

Alle Anwesenden werden miteinander bekannt gemacht und Sabrina Monk kommt erstaunlich schnell zum Punkt.

„Ihre Agentur hat ja eine Menge Fürsprecher, wir haben uns noch mal schlau gemacht.“

Pia nickt. „Das freut mich zu hören. Ich glaube, Ihre Leute waren bisher auch alle ganz zufrieden mit uns.“

„Ja, sicher. Aber wir haben eigentliche andere Maßstäbe.“

Pia blickt sie fragend an. Dann wandert ihr Blick zu Ben und schließlich zu mir. Urplötzlich habe ich das Gefühl, tatsächlich dazuzugehören. Die PastaFigaro-Zicke nimmt Platz und lächelt. Sie wirkt hinterhältig und ich merke, dass hier Vorsicht geboten ist.

Ihr Lecknepper zupft sich selbstbewusst die Ärmel zurecht. Erst jetzt bemerke ich, dass er eine grüne Jacke mit scheußlichen Hornknöpfen trägt, was man in Bayern wohl Janker nennt.

„Das Angebot haben Sie aber erhalten?“, fragt Ben und schiebt mir mehrere Seiten mit Leistungen und Preisen zu, damit auch ich weiß, worüber gesprochen wird. Ich überfliege das Angebot, vermisse die Erwähnung von Pias optional zubuchbarem Rundum-sorglos-Paket für den männlichen Kunden, verfolge aber weiterhin neugierig das Gespräch.

„Ja, das ist auch alles klar soweit. Aber was wir vermissen, ist die Leidenschaft. Totale Leidenschaft. Wir wünschen uns von einer Agentur bedingungslose Identifikation. Eine Agentur, die unsere Gedanken zu ihren eigenen macht. Machen Sie uns für die nächste Eröffnung doch mal Vorschläge, die uns beeindrucken.“

Ich frage mich, ob hier von einer profanen Restaurantkette die Rede ist oder von einer Sekte und spüre die Anspannung in der Luft. Pia bleibt jedoch vollkommen ruhig und lehnt sich ein Stück zurück.

„Sie waren doch auf unseren bisherigen Eröffnungsevents, oder?“, fragt sie.

„Ja, in Darmstadt haben wir uns ein Bild von Ihrer Leistung machen können.“

„Und?“

„Na ja, ging so. Um zehn gingen die ersten Gäste schon wieder.“

Der Lecknepper beugt sich nach vorn. „Ist das Party? Hallo?“

Ich merke, wie mir übel wird. „Ich finde den Typ ätzend und sollte aufpassen, dass er das nicht merkt.“ Ben geht es offenbar genauso. Er sieht mich an und verdreht unauffällig die Augen zum Himmel.

Pia richtet sich auf. „Wenn Sie da waren, haben Sie eventuell auch bemerkt, dass Ihre Küche um halb zehn den Betrieb eingestellt hatte.“

Sabrina Monk und Markus Lecknepper blicken einander ausdruckslos an. Der Chino-Mann rümpft trotzig die Nase.

„Haben wir nicht gewusst, nein. Aber deshalb muss doch trotzdem nicht gleich die ganze Atmosphäre leiden. Das Licht zum Beispiel ging gar nicht!“

„Und Atmosphäre ist das Wichtigste in unseren PastaFigaro-Restaurants“, bestätigt Sabrina Monk.

„Aber nicht wichtiger als das Essen?“, frage ich und bin mir nicht sicher, ob ich mir die Frage nicht besser hätte verkneifen sollen.

Der Lecknepper zaubert daraufhin einen auswendig gelernten Satz hervor, der einer Imagebroschüre entstammen könnte.

„Bei uns gibt es ausschließlich frische Zutaten, keine Geschmacksverstärker und schon gar kein Convenience Food. Wir sind Lifestyle, wir sind fresh casual, wir sind …“ Er hält inne. Offenbar hat er vergessen, was er noch alles ist.

Alle, sogar Sabrina Monk, ignorieren sein überflüssiges Geblubber, das so fehl am Platz war, dass sich Marietta Slomka im Heute-Journal für die falsche MAZ etschuldigt hätte.

„Wir hatten das gesamte Restaurant beleuchtet und die Atmosphäre war richtig gut. Als die Küche aber schloss, wies Ihr Restaurantleiter seine Leute an, die normale Neonbeleuchtung einzuschalten. Der meinte sogar ‚hoffentlich geht das hier heute nicht so lange, morgen geht’s schon früh los‘.“

Wieder blicken sich unsere Gäste ausdruckslos an. Sie hören diese Dinge offenbar zum ersten Mal und haben sich bisher anscheinend für keinerlei Hintergründe interessiert. Sie glaubten, Pia und Ben abwatschen zu können, ohne ihre Hausaufgaben gemacht zu haben.

„Ja, aber dann müssen Sie da entgegensteuern!“, protestiert der Lecknepper.

„Gegen den Kunden?“, fragt Pia.

„Na, da müssen Sie ihn drauf aufmerksam machen. Also das erwarte ich schon von einer Agentur. Verstehen Sie jetzt, was wir meinen, wenn wir Einsatz sehen wollen?“

Was für ein arroganter Schnösel, denke ich. Und dann sagt dieser Chino-Wicht allen Ernstes: „Ich bin zu lange im Geschäft, um solche Nachlässigkeiten zu akzeptieren.“

„Entschuldigung“, melde ich mich zu Wort und versuche, so höflich wie möglich zu klingen. „Ich bin neu hier im Team und noch nicht ganz im Thema, zumal wir uns ja noch nicht so genau vorgestellt worden sind. Was machen Sie genau bei PastaFigaro? Allgemeines Marketing oder mehr die Events?“

Der Lecknepper zupft sich die Ärmel seines Janker hoch und entblößt rasierte Unterarme. Seine Rado-Uhr hängt locker am Handgelenk und scheußliche Flecken verraten den unsachgemäßen Gebrauch von Bräunungscreme.

„Ich bin im Operations.“

Mit dieser, wie eine Frage klingenden Information, lehnt er sich zurück. Stille im Raum. Drei Augenpaare blicken recht ratlos. Nur Sabrina Monk scheint der Begriff keine Rätsel aufzugeben.

„Operations?“, wiederhole ich, nur dass meine Frage wie eine Aussage klingt. Mein Gehirn assoziiert wie blöde und sucht nach sämtlichen Querverbindungen zu Tätigkeitsprofilen, die auch nur annähernd in den Dunstkreis einer Restaurantkette passen können. Was dieser Typ tatsächlich macht, bleibt mir schleierhaft. Sollte der Knilch etwa eine Art Betriebsarzt sein?

Der Lecknepper macht eine linkische Handbewegung. „Ich mache die Trainings.“

„Trainings?“, vergewissere ich mich und merke, wie sein Berufsbild vor meinem geistigen Auge immer weiter verschwimmt, statt an Kontur zu gewinnen.

„Und die Castings.“

„Okay.“ Darunter kann ich mir, wenn auch nicht in diesem Zusammenhang, zwar etwas vorstellen, jedoch sind die drei genannten Begriffe für mich miteinander derart unvereinbar, dass ich so tue, als hätte ich begriffen, um mich nicht noch weiter in den Schlammassel zu reiten. Pia wirft mir einen ratlosen Blick zu, der mir zeigt, dass auch sie nicht viel schlauer ist als ich.

Erst wesentlich später lerne ich, dass bei PastaFigaro die ungelernten Pizzabäcker und Nudelkocher allen Ernstes ein Casting und späteres Training durchlaufen müssen. Was sich manche Menschen heutzutage für einen Scheißjob alles antun müssen!

„Ich habe selbst eine Ausbildung zum Veranstaltungskaufmann gemacht“, plaudert der Lecknepper aus dem Nähkästchen. „Ich kann Ihre Arbeit also durchaus bewerten. Ich habe mich freiwillig entschieden, einen anderen Weg zu gehen. Mir war das reine Agenturgeschäft irgendwann zu anspruchslos. Ich war zu gut für den Job.“

Ich versuche mir vorzustellen, wie viele Jahre Berufsalltag dieser Typ, der das schulpflichtige Alter noch nicht lange hinter sich gelassen haben kann und aussieht, als hätte er den Führerschein noch auf Probe, wohl auf dem Buckel haben mag.

Einen erneuten Lachanfall werde ich, wenn das so weitergeht, nur mit Mühe unterdrücken können und muss dringend etwas unternehmen. Da Reden gegen Müdigkeit und Gähnen helfen soll – wahrscheinlich, weil die Atmung positiv beeinflusst und der Körper besser mit Sauerstoff versorgt wird – rede ich mir die gleiche Wirkung auch bei eruptiv aufkommender Heiterkeit ein und frage so ernst wie möglich: „Sind Sie schon lange bei PastaFigaro?“

„Fünf Monate.“

Immerhin. Er weiß ja auch nicht, dass ich erst seit zwei Stunden bei LIVE COMMUNICATION bin. Es gab mal Zeiten, da musste man sich in einem Unternehmen ernsthaft die Sporen verdienen. Heute reichen als Rechtfertigung für eine große Fresse und offene Hose offenbar fünf Monate auf geringfügiger Basis.

„Und davor?“, fragt Ben.

„War meine Ausbildung.“

Ben lehnt sich entspannt zurück und flüstert mir zu: „Außer seiner blöden Ausbildung hat der nämlich gar keine Erfahrung.“

Ich nicke empört. Zugegeben – viel mehr kann ich auch noch nicht bieten, aber wenigstens bin ich kein arroganter Wichspimmel.

„Und Sie?“, fragt Pia, wobei sie Sabrina Monk ein einladendes Lächeln schenkt.

„Ich leite die Marketingabteilung.“

„Großes Team?“

„Nein, nur ich. Und im Moment unterstützt mich Herr Lecknepper.“ Sie sieht zu ihm herüber und macht eine etwas unbeholfene Pause. Der besagte Kollege nutzt die Zeit zur Maniküre, indem er seine Nagelhaut mit dem rechten Zeigefinger bearbeitet.

„Ich habe aber studiert“, fährt sie fort. „BWL. Außerdem habe ich im letzten Jahr ein zweimonatiges Praktikum in einer Werbeagentur gemacht.“

„Na, dann sind Sie für den Job ja topfit“, bemerke ich in einem Tonfall, bei dem sogar einem Schimpansen auffallen würde, dass er verarscht wird.

„Aber so was von!“, bestätigt sie und ich frage mich, ob sie mit Whitney verwandt sein könnte.

„Ein anderes Thema ist die Gästeliste. Wir fanden die Auswahl der Gäste nicht besonders gut.“ Der Lecknepper genießt die vernichtende Kraft seiner Worte.

Pia legt ihren Kopf schief. „Das waren über fünfhundert Personen. Vom Bürgermeister bis zum Intendanten des Theaters. Außerdem ganz viele aus dem Einzelhandel. Eben die echten Multiplikatoren. Sie wollen doch Mundpropaganda.“

„Keine Fußballprofis“, bemerkt Sabrina Monk.

„Sie wollen keine Fußballprofis?“, fragt Pia irritiert nach, um sicherzugehen, dass sie sich nicht verhört hat.

Markus Lecknepper verdreht die Augen und beugt sich vor. „Quatsch! Unser Vorstand legt Wert darauf, dass zu den Opening Partys auch möglichst viele Promis kommen. Vor allem bekannte Fußballprofis.“

„Berühmte Fußballprofis aus Darmstadt?“ Ben überlegt und macht ein ernstes Gesicht. „Ich habe zwar von Fußball nicht viel Ahnung, aber sogar ich spüre da einen Widerspruch.“

„Wieso nicht?“ Sabrina Monk reißt die Augen auf, als wären wir nicht gerade die Hellsten. „In München war auch der Philipp Lahm da. Und der Schweiger.“

„Till Schweiger?“

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