Kitabı oku: «Nicht ohne Simon», sayfa 2

Yazı tipi:

Beatrix’ Indienreise

Im Sommer 1971 verliebte sich Beatrix zum ersten Mal. Die 19-jährige Absolventin einer kaufmännischen Lehre bei der Firma Landis & Gyr AG besuchte ihren Freund, einen Arbeitskollegen aus Altdorf, der bei einer Schlummermutter in der Stadt Zug ein Zimmer gemietet hatte. Lediger Mann empfängt ledige Frau, das verstiess gegen das Sittenempfinden der Hausherrin. Diese witterte die Schandtat, durchsuchte das Zimmer des Lehrlings, fand aber nichts, auch nicht im Estrich, wohin Beatrix geflüchtet war und in einem Schrank ausharrte. Später entwischte sie über die Treppe des Nachbarhauses auf die Strasse.

In den 1970er-Jahren galt noch in mehr als in der Hälfte der Schweizer Kantone das Konkubinatsverbot, so auch in Zug. Die Polizei setzte es zwar kaum oder gar nicht mehr durch, aber ein klandestines Rendez-vous zweier Unverheirateter bedeutete damals einen Bruch gesellschaftlicher Normen. Das passte zu Beatrix, der Tochter einer Zürcherin und eines Holländers, die mit zwei Brüdern in der Stadt Luzern aufgewachsen war. Sie war als Teenager rebellisch, progressiv und fasziniert von der Hippiekultur, ein Kind der 1968er-Bewegung, das in der damals gegründeten «Frauenbefreiungsbewegung» (FBB) gegen die Benachteiligung der Frauen kämpfte und an Demonstrationen für das Frauenstimmrecht teilnahm. «Nein, nein, nein, das geht doch nicht», ärgerte sich Beatrix. Es geht doch nicht, dass in der Schweiz, dieser Musterdemokratie, eine politische Geschlechterapartheid herrscht. Es geht doch nicht, dass junge Frauen nicht die gleichen Ausbildungschancen haben wie junge Männer. Es geht doch nicht, dass das Eherecht den Männern allerlei Vorrechte einräumt und zum Beispiel Ehefrauen verpflichtet, den Haushalt zu führen und die Kinder zu betreuen. Ohne den Segen des Ehemanns durften die Frauen theoretisch nicht einmal einen Beruf ausüben. Die Frauen hatten Anrecht auf Haushalts- und ein bisschen Taschengeld, mehr nicht. Das liberale Prinzip der Gleichheit der Individuen, eine Errungenschaft des neuen Bundesstaates von 1848, galt nur für Männer. Erst seit 1981 spricht die Verfassung Mann und Frau die gleichen Rechte zu. Erst 1988 trat das revidierte Eherecht in Kraft, das die Frauen formal vom Gängelband ihrer Gatten befreite.

Beatrix trat aktiv für Frauenrechte ein, beteiligte sich aber später nicht mehr an den Aktivitäten der FBB, die für ihr Empfinden zu stark von Männerhass getrieben war. Das Interesse für die Hippie- und die 68er-Kultur hingegen blieb. Nach der kaufmännischen Lehre und einem Sprachaufenthalt in England betätigte sie sich zunächst als Glasmalerin, später erweiterte sie ihren beruflichen Horizont als Hilfserzieherin in einem Heim für schwerstbehinderte Kinder in Monthey im Kanton Wallis und in einer Sonderschule für Taubblinde in Zürich. Beatrix zog von Luzern nach Wald in den Kanton Appenzell Ausserrhoden, in eine ländliche Gegend, in der sie «ziemlich alternativ» lebte, wie sie sagt. Geld verdiente sie zum Beispiel, indem sie selbst genähte Kleider und «Chriesisäckli» am Rosenhofmarkt in Zürich verkaufte.

In der Mitte der 1970er-Jahre entdeckte Beatrix das Meditieren, eine Leidenschaft, der sie in einer Gruppe von Kolleginnen und Kollegen nachging. Die Gruppenleiter führten auch Meditationen von Bhagwan (1931–1990) durch. Der indische Philosoph, der sich kurz vor seinem Tod in Osho umbenannte, war zeitlebens eine umstrittene Figur. Der charismatische, belesene Mann mit langem, grauem Bart gründete 1974 in der Millionenstadt Pune im Villenviertel Koregaon Park einen Ashram, ein Meditationszentrum, das Zehntausende Europäer nach Indien lockte. Bhagwan hatte realisiert, dass die Menschen im Westen etwas anderes brauchten als die traditionellen Formen der Meditation, um sich aus ihrem von Leistungsdenken geprägten Alltag herauszulösen. Er wollte ihnen bei der Sinnsuche helfen und sie dabei unterstützen, ihre körperlichen und emotionalen Spannungen abzubauen. Bhagwan setzte auf aktive Meditationen. Er entwickelte unter anderem die «dynamische Meditation», eine Kombination aus wilden Atemtechniken und entfesselten Tänzen. Bhagwans Erbe lebt weiter, viele seiner Mediationen werden noch heute rund um die Welt angeboten. Er verstand es, seine Anhängerinnen und Anhänger mit witzigen und provokativen Vorträgen zu amüsieren, oft sorgte er für spontanes Gelächter. Eine Provokation war auch sein Umgang mit der Sexualität. Bhagwan predigte die freie Liebe, hielt die sexuelle Grundenergie für etwas Göttliches, das es dankbar zu akzeptieren anstatt zu unterdrücken gelte.

Im Februar 1977 brach Beatrix mit Freunden zu einer spirituellen Indienreise auf. Diese führte sie nach Pune in Bhagwans Ashram. Jeden Morgen um 6 Uhr besuchte sie eine Meditation. Nach dem Frühstück hielt Bhagwan Vorlesungen. Familien mit ihren Kindern, Männer und Frauen mit langen Haaren schlenderten in langen, orange-roten Einheitskleidern, um den Hals eine Holzperlenkette, durch das Meditationszentrum. Sie töpferten, gärtnerten, knüpften Teppiche, tauchten mit diversen Aktivitäten für ein paar Tage oder Wochen in eine andere Welt ein. Viele Besucherinnen und Besucher stammten aus Deutschland, den USA und Japan. Abends fanden feierliche Darshans, Zusammentreffen zwischen Schülern und Meister, statt. Bhagwan beantwortete ausführlich zuvor eingereichte schriftliche Fragen. Er liess in seine spirituellen Ausführungen Gleichnisse unter anderen aus der indischen, christlichen, muslimischen und jüdischen Kultur einfliessen. Beatrix erinnert sich an eine eindrückliche zehntägige Vipassana-Mediation während ihrer Indienreise im Frühjahr 1977. Auf einem Berg trafen sich fünfzig Personen, man schlief nur vier Stunden pro Tag und redete kein einziges Wort miteinander. In einer kleinen Schachtel bewahrt Beatrix die Holzperlenkette und ein Haar des spirituellen Meisters auf, der ihr den indischen Namen Aradhan, zu Deutsch «glückseliges Gebet», schenkte. Beatrix hat sich später emotional von der Osho-Bewegung distanziert. Bhagwan, Besitzer von mehr als 93 Rolls-Royce, irritierte sie zum Beispiel mit seiner ablehnenden Haltung gegenüber Homosexuellen. Sein Vermächtnis, seine Mediationen, die längst im Mainstream angelangt sind, schätzt Beatrix allerdings nach wie vor. Sie taten und tun ihrem Körper gut und linderten zum Beispiel eine frühere Hautkrankheit.

Ein Mann mit Charisma

Bhagwan zog mit seinem Ashram in Pune auch viele Einheimische in seinen Bann. Im Frühjahr 1977 begegnete Beatrix dort Anil Jetly, einem hübschen Mann mit langem, dunklem Haar, vollem Bart, guten Manieren und solider Bildung. Er war 25-jährig, gleich alt wie sie, stammte aus einer reichen Familie und wohnte in der Millionenmetropole Bombay. Nein, es war nicht Liebe auf den ersten Blick, aber nach und nach kamen sich die beiden näher. Sie merkte, dass er gleiche Vorstellungen vom Leben hatte wie sie: Beide wollten eine stabile Beziehung führen, beide wollten eine Familie gründen, auch ein wirtschaftliches Fundament schien vorhanden. Anil entsprach dem Typus Mann, nach dem sich Beatrix, die zierliche Frau mit braunen Haaren, die fast ihren ganzen Rücken bedeckten, sehnte. Sie fand ihr Glück, ausgerechnet im Umfeld von Bhagwans Ashram, das in hiesigen Breitengraden wegen angeblicher Sexorgien einen zweifelhaften Ruf genoss.

Anil hatte, obwohl er schüchtern war, eine charismatische Ausstrahlung und verstand es, die Menschen zu faszinieren, vielleicht auch um den Finger zu wickeln. Er stammte aus einer angesehenen Familie aus Bombay. Sein Vater, Nand Kumar, benötigte vier Zeilen, um im Briefkopf all seine Ämter und Funktionen aufzulisten. Er wirkte zum Beispiel als Verkehrsminister im Bundesstaat Maharashtra und kannte Premierministerin Indira Gandhi, die 1984 einem Attentat zum Opfer fiel, persönlich. Auch einflussreiche Leute aus der indischen Wirtschaft wie die Führungsriege des Automobilkonzerns Tata gehörten zu seinem Bekanntenkreis. Anil standen alle Türen offen: Ihm, dem ältesten Sohn der Jetlys, der immer Goldschmuck trug und sich beruflich als Vespa- und Kleiderhändler betätigte, lag die Welt zu Füssen.

Beatrix und Anil unterhielten sich auf Englisch. Als frisch verliebtes Paar erlebten sie eine glückliche Zeit in Indien. Sie verlängerte ihren Aufenthalt spontan und tauchte immer tiefer ein in die indische Alltagsrealität. Beatrix wohnte bei Anil und dessen Familie in Bombay im Chembur-Quartier. Es war keine traumhafte Wohnlage, ein eher schmuckloser Flecken, an den sich kaum je ein Tourist verirrte. Auf den nur teilweise geteerten, löchrigen Strassen bildeten sich bei Monsunregen knöcheltiefe Pfützen. Mit der Vespa dauerte es rund eine Stunde, bis man sich vom Chembur-Quartier durch den dichten Verkehr bis ins Stadtzentrum geschlängelt hatte. Tatas und Motorräder gehörten ebenso zum Strassenbild wie Kühe, die manchmal Karren hinter sich herschleppten. Anil führte Beatrix mit der Vespa aus, sie schlenderten durch schöne Parks, besuchten das Taraporewala Aquarium mit seinen tropischen Fischen und dinierten in Restaurants abseits der Touristenströme. Ab und zu machten sie einen Abstecher ins gut 150 Kilometer entfernte Pune, um zu meditieren. Die Jetlys waren zwar wohlhabend – Anils Vater war brahmanischer Priester und stammte aus der obersten Kaste – seinen Reichtum stellte Nand Kumar aber absichtlich nicht zur Schau. Dafür verehrten ihn die Menschen aus tieferen Kasten, pflegte doch ein grosser Teil der Elite in den Wohnvierteln der reichen Oberschicht einen eigenen Lebensstil, abgekoppelt von der Realität des Durchschnittsinders.

Die Jetlys bewohnten ein einfaches, einstöckiges Haus, in dem es kaum elektronische Geräte gab: keinen Staubsauger, keinen Kühlschrank, kein Radio und Fernseher, keine Klimaanlage. Das Wasser zum Duschen wurde auf dem Dach durch die Sonne erhitzt und war im Sommer brühend heiss. In der engen und verwinkelten Küche, die lediglich mit einer kleinen Gasherdplatte ausgestattet war, wimmelte es von Kakerlaken. Insgesamt acht Personen – die Eltern, Anil, seine zwei Brüder und seine Schwester, eine Pflegetochter sowie Beatrix – teilten sich drei Zimmer. Bedienstete, die meist aus den benachbarten Slums stammten, wuschen die Kleider draussen an einem Bach von Hand und kümmerten sich um den Haushalt. Man kaufte in kleinen Geschäften, die Lebensmittel und andere Alltagsgegenstände im Sortiment führten, ein. Nand Kumar Jetly setzte sich für arme Menschen ein und gründete eine Schule für die «Unberührbaren». Sein Verhalten gegenüber den Angehörigen der niedrigsten Kaste war aber ambivalent. Einmal, als er mit Beatrix durch die Stadt spazierte, traf ihn der Schatten einer ärmlichen Person. Das beunruhigte ihn so sehr, dass er sich daheim sofort duschte. Keine Berührungsängste zeigten die Jetlys bei Beatrix. Das ist nicht selbstverständlich in einem Land, in dem noch heute rund neunzig Prozent der Ehen durch die Familie arrangiert werden. Sie schlossen die Schweizerin rasch in ihr Herz, empfingen sie mit offenen Armen. Nand Kumar rühmte ihre Kochkünste und fand, sie bereite den allerbesten Chai-Tee zu. Und schon bald machte Anil Beatrix einen Heiratsantrag.

Die Zeit in Indien empfand ich als eine der glücklichsten in meinem Leben. Ich war sehr verliebt. Bis zu unserer Hochzeit und unserer Abreise in die Schweiz wohnte ich im Haus meiner Schwiegereltern. Sie und die ganze Familie, vor allem meine Schwägerin Veena und die Pflegetochter Usha, gaben mir das Gefühl eines neuen Zuhauses. Ich lernte viele indische Gerichte kochen. Mein Schwiegervater, den ich sehr mochte, nahm mich oft mit zu seinen Verpflichtungen als Brahmane. Wir verbrachten eine wunderschöne Zeit zusammen.

Glücklich verliebt in Indien: Beatrix im Hochzeitskleid, einem roten Sari (oben), und mit Anil in Pune.


Irgendeinmal, im Sommer, tauchten im Haus Jetly Astrologen auf, die das ideale Hochzeitsdatum eruierten. Sie empfahlen den 12. Juli 1977. An diesem Dienstag begann ein dreitägiges, pompöses und generalstabsmässig organisiertes Hochzeitsfest nach indischem Brauch, zu dem 3900 Gäste erschienen, darunter hohe Politiker, Verwandte und praktisch das ganze Quartier. Die Jetlys errichteten über ihrem Wohnhaus eine Art Zelt und stellten im Garten eine Bühne auf, auf der das Brautpaar sass, fest verbunden durch ein rotes und ein weisses Band, neben ihnen stand eine Schale mit Feuer und Kokosnüssen. Beatrix, die zum Hinduismus konvertiert war, trug ein exklusives Hochzeitskleid, einen mit goldenen Mustern verzierten roten Sari. Ihre Hände waren mit Hennamustern bemalt. Auf dem Hochzeitsgelände wurden die Gäste mit einer Parfümdusche begrüsst. Am ersten Tag sangen und tanzten Transsexuelle, die Hijras, die in Indien als heilig gelten und deswegen oft zu Geburten, Hochzeiten und anderen Festen eingeladen werden. Für ihre Segnungen erhielten sie Geld. Für die eigentliche Zeremonie liefen Beatrix und Anil sieben Mal um das Feuer, in das sie Reis als Symbol für Reichtum und Milch für Reinheit gaben. Das Paar schwor einander mit einigen Sätzen auf Hindi ewige Liebe. Dass Beatrix ihren Eltern nichts von der Trauung erzählte und sie vor vollendete Tatsachen stellte, bereitet ihr noch heute ein schlechtes Gewissen.

Beatrix wollte mit Anil in Indien bleiben, dachte, sie würde vielleicht eine Stelle als Sekretärin beim Schweizer Generalkonsulat in Indien finden. Ihre Schwiegereltern hatten bereits eine Wohnung in Bombay für das frisch vermählte Paar organisiert. Doch Anil wollte sich unbedingt in der Schweiz niederlassen. Er hoffte, er könne sich in diesem westlichen und wohlhabenden Land eine neue Existenz aufbauen. Beatrix, die manchmal an Heimweh litt, gab Anils Drängen nach. Im November 1977 zog das Paar in die Schweiz, lebte zunächst in Wald im Kanton Appenzell Ausserrhoden und liess sich danach in der Stadt Zug nieder, wo Beatrix eine Stelle als Sachbearbeiterin bei der Firma 3M East AG antrat. Anil erhielt bei der Verzinkerei Zug eine Anstellung als Hilfskraft in der Elektroabteilung – Beatrix’ Eltern hatten ihm den Job vermittelt. Der Vater, ein Schriftsetzer, und die Mutter, Büroangestellte, verübelten ihr die spontane Hochzeit nicht. Sie nahmen den indischen Schwiegersohn wohlwollend auf.

Das Paar erlebte eine unbeschwerte Zeit. Anil fror zwar im Winter, Schnee und Kälte setzten ihm leicht zu, und Skifahren war seine Sache nicht, doch beim Schlitteln schlug er sich tapfer. Beatrix führte Anil zum Rheinfall in der Gemeinde Dachsen, ihrem Heimatort, den Anil unbedingt besuchen wollte. Und wenn die beiden jeweils mit dem VW-Bus ihrer Eltern zu einem Zeltplatz fuhren, kam sogar wieder ein bisschen Hippiestimmung auf. Beatrix war sich sicher, dass es eine gute Entscheidung gewesen war, zu heiraten. Auch im Haushalt bewährte sich Anil; oft kochten sie gemeinsam Indisch, zum Beispiel Alu Gobi, ein Gericht aus Kartoffeln und Blumenkohl, oder Baingan Bharta, ein Gericht aus Auberginen. Anil mochte es gerne scharf und würzte die mild gekochten Speisen mit Chutneys. Das Paar unternahm viel mit Freunden vom indischen Verein in Zürich. Beatrix trug einen roten Strich auf ihrem Haarscheitel als Zeichen, dass sie verheiratet war. Ein bisschen Heimat in einem fremden Land, das wollte sie ihrem Gatten bieten. Sie spürte schon bald, dass Anil, auch wenn er schnell Deutsch lernte und rasch Freunde fand, Heimweh plagte. Beatrix’ Schwiegermutter Premdevi, die Anil sogar einmal zwei Monate lang in der Schweiz besuchte, schickte ihm fast täglich Briefe, die er mit seitenlangen Briefen beantwortete. Was genau Anil zu Tränen rührte, verriet er Beatrix nie. Aber sie störte sich an diesem fast unnatürlich engen Verhältnis, das Premdevi zu Anil pflegte, den sie mit bloss 13 Jahren geboren hatte. Sie verwöhnte ihn und sorgte sich ständig um ihn, vielleicht auch, weil er einst bei einem Motorradunfall in Indien fast ums Leben gekommen wäre. Bestimmt genoss Anil als ältester Sohn einen besonderen Status bei seiner Mutter, die selbst arg vom Schicksal gebeutelt wurde. Sie, die mit nur acht Jahren mit dem damals vier Jahre älteren Nand Kumar verheiratet worden war, erlitt sechs Fehlgeburten. Solche Heiraten sind in Indien seit 2006 offiziell untersagt. Dennoch gibt es in keinem anderen Land mehr Kinderehen: Gemäss Schätzungen der UNO werden fast die Hälfte aller indischen Frauen vor dem 18. Lebensjahr verheiratet.

Traumatische Geburt

Im Sommer 1978 wurde Beatrix schwanger. Bub oder Mädchen, das spielte für sie keine Rolle, sie wünschte sich ein gesundes Kind. Anil hoffte auf einen Knaben, das würde sein Ansehen in der Familie zusätzlich erhöhen. Manchmal beschlichen Beatrix damals ungute Gefühle. Manchmal kam Anil, der in Indien keinen Tropfen Alkohol getrunken hatte, betrunken nach Hause. Manchmal verspielte er Geld mit dubiosen Kollegen bei illegalen Glückspielen. Doch Beatrix freute sich in erster Linie über die Schwangerschaft, die so reibungslos verlief, und konnte darüber hinwegsehen, dass Anil sich schleichend zu verändern begann.

Nach unserer Heirat arbeitete ich als Sachbearbeiterin bei einer Firma. Beim Weihnachtsessen gewannen wir eine Reise nach Paris. Im Sommer 1978 traten wir diese wunderschöne Reise an. Für Anil war es sein erster Aufenthalt in Frankreich. Wir freuten uns riesig, bald schon wurde ich schwanger.

Beatrix überredete ihren Mann, gemeinsam Geburtsvorbereitungskurse zu besuchen und sie während der Geburt zu begleiten. Für einen Inder war diese Vorstellung aussergewöhnlich. Denn in Indien begaben sich die schwangeren Frauen meistens in ihr Elternhaus, um die Kinder in Abwesenheit ihres Manns zur Welt zu bringen. Beatrix wollte Anil, der sie während der Schwangerschaft liebevoll umsorgte, unbedingt an ihrer Seite haben. Doch dann erlebte er den Schock seines Lebens: Beatrix erlitt eine Fruchtwasserembolie, ein akut lebensgefährdendes Ereignis, das äusserst selten und nur bei einer von 50 000 Geburten auftritt. Die Ärzte sagten ihr damals, eine Fruchtwasserembolie verlaufe in mehr als neunzig Prozent der Fälle tödlich. Laut Studien des Universitätsspitals Zürich sind gesamtschweizerisch in den letzten dreissig Jahren 16 Frauen daran gestorben. Beatrix, die auf Wunsch von Anil glücklicherweise auf eine Hausgeburt verzichtet hatte, verlor viel Blut, sie lief dunkelblau an. Die Hebamme und die Ärzte erfassten die dramatische Lage rasch und holten den Buben am 24. März 1979 im Spital in Baar per Kaiserschnitt auf die Welt. Die Eltern nannten ihn Asheesh. Dieser indische Name bedeutet auf Deutsch «Segen».

Nach der Geburt erlitt Beatrix weitere Komplikationen. Ihre Gebärmutter zog sich nicht zusammen, und die Ärzte mussten sie entfernen. Beatrix rang um ihr Leben. Sie hatte ein Nahtoderlebnis, sah alles von oben, schwebte über ihrem Körper, als plötzlich ein himmlisches Wesen auf ihre Schultern klopfte und ihr mitteilte, sie habe einen hübschen Sohn geboren. Das Wesen fragte sie, ob sie lieber mit ihm mitgehen oder mit Asheesh leben möchte. Beatrix wollte zu ihrem Sohn zurück. Sie entrann dem Tod knapp und lag während rund vier Wochen im Koma im Kantonsspital in Walchwil. Als der Genesungsprozess genug weit fortgeschritten war, durfte sie heim in ihre Wohnung an der Aegeristrasse in Zug. Sie sah Asheesh zum ersten Mal und weinte vor Glück über den kleinen Buben, der seine Mami vom Stubenwagen aus anblinzelte. Anil und Beatrix’ Eltern hatten sich in der Zwischenzeit um das Baby gekümmert, ihm ging es bestens. Gleichzeitig betrübte sie die Tatsache, dass sie keine weiteren Kinder mehr haben würde. Zuerst aber musste sie sich von ihrer dramatischen Geburt erholen, wieder lernen, richtig zu sprechen, wieder lernen, wie man mit Gabel, Messer und Löffel isst. Die sprachlichen und motorischen Fähigkeiten kehrten bald zurück. Bis sie sich aber körperlich vollständig erholt hatte, dauerte es rund drei Jahre. Der Umgang mit der Nahtoderfahrung, die Beatrix bis heute prägt, gestaltete sich schwieriger. Sie nahm psychologische Hilfe in Anspruch.

Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.

₺1.459,80
Türler ve etiketler
Yaş sınırı:
0+
Hacim:
188 s. 15 illüstrasyon
ISBN:
9783039199587
Telif hakkı:
Bookwire
İndirme biçimi:
epub, fb2, fb3, ios.epub, mobi, pdf, txt, zip