Kitabı oku: «7 Engel»

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7 Engel

Karin Waldl


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Impressum:

Personen und Handlungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

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© 2021 – Herszprung-Verlag

Mühlstraße 10, 88085 Langenargen

Alle Rechte vorbehalten.

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Taschenbuchausgabe erschienen 2015.

Die Bibelstellen sind der Übersetzung Hoffnung für alle® entnommen, Copyright © 1983, 1996, 2002, Inc.™.

Verwendet mit freundlicher Genehmigung des Brunnen Verlags.

Lektorat: Melanie Wittmann

Herstellung: CAT creativ - cat-creativ.at

Titelbild: Alexandra Bouillon


ISBN: 978-3-99051-022-3 – Taschenbuch

ISBN: 978-3-96074-431-3 – E-Book

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Inhalt

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Die Autorin

Buchtipp

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Für meinen geliebten Ehemann Markus, den besten irdischen Vater für unsere drei bezaubernden Kinder.

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Prolog

Unter Gottes Schutz – Psalm 91, 1-16

¹ Wer unter dem Schutz des Höchsten wohnt, der kann bei ihm, dem Allmächtigen, Ruhe finden.

² Auch ich sage zu Gott, dem Herrn: „Bei dir finde ich Zuflucht, du schützt mich wie eine Burg! Mein Gott, dir vertraue ich!“

³ Er bewahrt dich vor versteckten Gefahren und vor tödlicher Krankheit.

⁴ Er wird dich behüten wie eine Henne, die ihre Küken unter die Flügel nimmt. Seine Treue schützt dich wie ein starker Schild.

⁵ Du brauchst keine Angst zu haben vor den Gefahren der Nacht oder den heimtückischen Angriffen bei Tag.

⁶ Selbst vor der Pest, die im Dunkeln zuschlägt, oder dem tödlichen Fieber, das am hellen Tag die Menschen befällt, fürchtest du dich nicht.

⁷ Wenn tausend neben dir tot umfallen, ja, wenn zehntausend in deiner Nähe sterben – dich selbst trifft es nicht!

⁸ Mit eigenen Augen wirst du sehen, wie Gott es denen heimzahlt, die ihn missachten.

⁹ Du aber darfst sagen: „Beim Herrn bin ich geborgen!“ Ja, bei Gott, dem Höchsten, hast du Heimat gefunden.

¹⁰ Darum wird dir nichts Böses zustoßen, kein Unglück wird dein Haus erreichen.

¹¹ Denn Gott hat seine Engel ausgesandt, damit sie dich schützen, wohin du auch gehst.

¹² Sie werden dich auf Händen tragen, und du wirst dich nicht einmal an einem Stein verletzen!

¹³ Löwen werden dir nichts anhaben, auf Schlangen kannst du treten.

¹⁴ Gott sagt: „Er liebt mich von ganzem Herzen, darum will ich ihn retten. Ich werde ihn schützen, weil er mich kennt und ehrt.

¹⁵ Wenn er zu mir ruft, antworte ich ihm. Wenn er keinen Ausweg mehr weiß, bin ich bei ihm. Ich will ihn befreien und zu Ehren bringen.

¹⁶ Bei mir findet er die Hilfe, die er braucht; ich gebe ihm ein erfülltes und langes Leben!“

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Kapitel 1

Tropfen rannen vom Fensterbrett auf das gemaserte Eichenparkett. Elina Mercy schaute von ihrem Buch auf. Der Sommer zeigte sich nicht gerade von der besten Seite, schier endlos erscheinende Regengüsse breiteten sich seit Tagen über das Land aus. Nicht dass dieses Unwetter, das draußen tobte, schon genug wäre, jetzt war auch noch das Fenster undicht, aufgeweicht von den Unmengen an Wasser. Schnell holte sie ein Handtuch, um das Rinnsal zu hindern, weiter auf den Boden zu laufen.

Unterdessen ratterte in ihrem Kopf der Zahlencomputer – woher sollte sie das Geld für die kostspielige Reparatur nehmen? Gestern erst hatte sie den Handwerker für die Arbeiten am Dach bezahlt, abgestottert von ihrem bescheidenen Einkommen.

Verdammt, es war die wärmste Zeit des Jahres, warum musste gerade jetzt die Sanierungsbedürftigkeit des Hauses vom Regen aufgedeckt werden? Konnte es nicht noch ein paar Monate warten, bis es in sich zusammenfiel? Die schlimmsten Befürchtungen malten gedanklich ein Bild ihrer finanziellen Ängste.

Was hatte sie sich dabei gedacht, das nett gemeinte Angebot ihrer Schwester anzunehmen, die für ein Jahr nach Kanada gereist war? Ruth war gerade einen Monat außer Landes und Elina fiel bereits die Decke auf den Kopf, die Einsamkeit hüllte sie ein und hielt sie fest. Niemand war da, um ihr zu helfen. Und jetzt kamen auch noch die Sorgen um das liebe Geld dazu.

Achtzugeben auf das kleine Landhaus in dem romantischen Städtchen Sevenoaks, gelegen in ihrer Heimat England, war die eine Sache, es instand zu halten, die andere. Sie hatte vergessen, daran zu denken, die finanziellen Angelegenheiten vor deren Abreise mit Ruth zu klären.

Ihre Schwester würde für die Arbeiten am Haus selbstverständlich aufkommen, aber sie war in Vancouver und Elina müsste das Fenster vorerst selbst bezahlen, wenn sie einen größeren Wasserschaden verhindern wollte.

Sie begab sich zum Schreibtisch, setzte sich an den Computer und verfasste eine lange E-Mail an ihre Schwester. Was blieb ihr anderes übrig? Sie konnte ihre Chefin nicht um einen Vorschuss bitten, dafür war diese zu korrekt. Bezahlt wurde grundsätzlich, was sie leistete, pünktlich und genau, zu jedem Monatsende. Darauf konnte man sich hundertprozentig verlassen, was in den meisten Fällen ein großer Vorteil war.

Außerdem war es nicht Elinas Art, Geld auszugeben, das sie nicht besaß. Sie hoffte, möglichst schnell eine Lösung für die fällige Reparatur zu finden. Sie drückte auf Senden und kaum fünf Minuten später erhielt sie eine eilig geschriebene Antwort, Ruth arbeitete anscheinend.

Liebe Elina!

Es musste ja so kommen, wie konnte mir nur entfallen, dir einen Notgroschen für solche Fälle dazulassen? Es tut mir leid, verzeihst du mir? Ich überweise dir sofort einen Teil meines Ersparten auf dein Konto. Das Geld, welches dir übrig bleibt, verwende für zukünftige Arbeiten am Haus. Leg es am besten auf ein Sparbuch.

Ich muss wieder an meinem Artikel weiterarbeiten, Abgabe morgen!

Ich vermisse dich.

Bis bald, deine Ruth

Sie machte sich schon wieder unnötig ein schlechtes Gewissen. Genau das wollte Elina eigentlich verhindern. Ruth war wie eine Mutter geworden, seitdem sie nicht mehr da war. Sie fühlte sich für Elina verantwortlich. Bevor sie abreiste, war ihre größte Angst gewesen, dass ihre Schwester nicht auf eigenen Beinen stehen konnte. Elina wollte ihr das Gegenteil beweisen, weshalb es nun so unangenehm für sie war, sie um das Geld zu bitten. Egal, wenigstens war das finanzielle Problem gelöst.

Nachdem sie ein paar Worte des Dankes an ihre Schwester gerichtet hatte, schaltete sie den Laptop aus und trat ans Fenster. Seufzend sah sie nach draußen, dunkelgraue Wolken verdunkelten den Himmel, grau in grau spiegelte sich die Welt in Elinas Augen. Sie vermisste Ruth, ihre Vertraute und Freundin, seit sie denken konnte. Doch sie wollte nun ihren eigenen Weg gehen, lange genug war sie Elinas Mutterersatz gewesen, aber sie brauchte jetzt keinen Aufpasser mehr. Wenn sie doch nur irgendeinen anderen Menschen kennen würde, der ihr Gesellschaft leisten konnte.

Elina verschlang jedes Buch, das sie in die Finger bekam. Fast in ihrer gesamten Freizeit steckte sie die Nase in die fantasievollen Erzählungen der verschiedenen Autoren. Doch sie wusste, die Geschichten in ihren Büchern, in die sie so gerne flüchtete, waren nicht real. Sie träumte sich in die Figuren hinein, lebte deren Leben, löste ihre Probleme und genoss das Happy End in vollen Zügen. Sobald sie ein Buch weglegte, musste sie sich wohl oder übel der Wirklichkeit stellen, auch wenn es ihr gar nicht gefiel, in das triste Hier und Jetzt zurückzukehren. Kein Prinz wartete auf sie, um sie zu retten. Während sich bei Elina das Gedankenkarussell unaufhörlich weiterdrehte, vernahm sie ein ohrenbetäubendes, lautes Geräusch – direkt vor ihren Augen breitete sich ein gleißendes Licht im Garten aus. Geblendet wendete sie sich reflexartig ab. Vor Schreck taumelte sie, der Stuhl, an dem sie Halt suchte, fiel zu Boden. Elina verlor das Gleichgewicht und krachte mit dem Kopf an den massiven Nussholztisch, an dem sie vor wenigen Augenblicken noch gelesen und mithilfe des Laptops E-Mails geschrieben hatte. Das Dröhnen des Aufschlags war abscheulich. Dunkelheit nebelte sie ein, bewusstlos lag sie am Boden.

„Elina, steh auf und geh in den Garten!“

Sie blinzelte, schaute sich verstört im Raum um. „Wo bin ich? Wer hat mit mir gesprochen?“, kam es ihr in den Sinn.

Sie schüttelte den schmerzenden Kopf, um wieder klar denken zu können. Das war keine gute Idee, das Brennen kehrte mit einem Schlag zurück. Im ersten Moment wollte ihr beim besten Willen nicht einfallen, warum sie hingefallen war. Außerdem war da noch etwas, das für einen Augenblick vernebelt in ihren Gedanken herumschwirrte. Versuchte da nicht jemand, ihr etwas mitzuteilen? Aber es war niemand hier. War es nur Einbildung gewesen?

Erst jetzt bemerkte Elina die Beule an ihrem Kopf, von der dieses schmerzhafte Pochen ausging. Sie schaute zu dem schweren dunklen Holztisch und konnte sich schlagartig an den Blitz erinnern, der scheinbar in den Apfelbaum vor dem Haus eingeschlagen hatte. Schnell rappelte sie sich auf, einen weiteren Schwindelanfall niederkämpfend, und wankte zum Fenster.

Das war es doch, was die Stimme zu ihr gesagt hatte, sie sollte in den Garten schauen. Und das, was sie sah, führte beinahe zu einem weiteren Sturz. Keuchend versuchte sie, ihr Gleichgewicht wiederzuerlangen, und stürzte los. Sie rannte nach draußen, ihre Beine fühlten sich wie Blei an. Nach wenigen Schritten waren ihre Kleider durchtränkt vom strömenden Regen.

Ihr Blick fiel verwundert auf den Apfelbaum, der kerngesund und kaum beschädigt dem Wind trotzte. Unter dem Baum lag ein lebloser Körper, Elina zitterte vor Angst, als sie sich über ihn beugte. Er schien zu leben. Vorsichtig legte sie jeweils eine Hand auf die Schulter und Hüfte der Person, drehte sie zu sich, ihr Gesicht war nun ihr zugewandt. Elina stockte der Atem, noch nie war sie in ihrem Leben von solcher Schönheit geblendet worden. Dabei konnte sie nicht einmal erkennen, ob das Wesen vor ihr männlich oder weiblich war. Sie wusste plötzlich, dass sie keinen Menschen vor sich hatte, ein beruhigendes Gefühl von tiefem Frieden umfing sie, als die Gestalt, die sie in ihre Arme zog, aufstöhnte.

Kurz darauf öffnete die Kreatur die Lider und sah Elina an, die ihren Blick abermals abwenden musste, denn die fremden Augen hatten das Leuchten, den Glanz und das Blau von Saphiren. Ihr Herz wurde von solch überwältigender Liebe erfüllt, dass Elina glaubte, es müsse bersten, hatte sie doch noch nie in ihrem Leben so intensiv empfunden. Dieses Gefühl hatte nichts mit der Liebe zwischen Mann und Frau zu tun, es war allumfassend.

„Elina, kannst du mir helfen?“

Wieder diese Stimme, diesmal aus dem Mund dieses unbekannten Individuums. Elina besann sich, warum sie hinaus in das Gewitter geeilt war, half dieser Schönheit aufzustehen, stützte sie mit ihrem Körper und gemeinsam schleppte sich dieses ungleiche Paar ins Haus.

Im Wohnzimmer legte sie das Wesen auf das Sofa, holte ein Glas Wasser und ein paar Handtücher, um ihrem Gast eine Unterkühlung durch die regennassen Kleider zu ersparen.

„Danke, Elina, aber ich bin nicht mehr nass. Doch das Glas Wasser würde meinen Durst sicher stillen.“

Elina blieb mit offenem Mund stehen und reichte ihm – oder ihr – das Wasserglas.

„Tut mir leid, dass ich mich noch nicht vorgestellt habe, mein Name ist Malak. Ich bin verletzt und brauche deine Hilfe.“

Elina wäre am liebsten im Boden versunken, weil sie aus dem Staunen nicht mehr herauskam, anstatt das Wesen mit dem Namen Malak zu verarzten. „Wo bist du verletzt?“, kam es schuldbewusst über ihre Lippen.

„Mein Bein“, stöhnte der Gast abermals auf.

Elina untersuchte die verletzte Stelle und konnte sich erneut nicht von der Schönheit dieser fast elfenbeinfarbenen, schimmernden Haut lösen. Doch dort, wo sich bei Menschen das Knie befand, war ein tiefgrüner, handflächengroßer Fleck, der besorgniserregend wirkte. Elina teilte Malak ihre Beobachtung mit. Das unbekannte Wesen schloss die Augen und murmelte etwas vor sich hin, das sie nicht verstehen konnte. Sie musste wohl oder übel auf eine Erklärung warten, sofern ihr Gast sie ins Vertrauen ziehen wollte.

Als Malak seine Augen wieder öffnete, fragte Elina, die vor Neugier fast platzte: „Was bist du?“

„Ein Abgesandter, ein Bote Gottes, ein Engel, wie ihr Menschen zu sagen pflegt“, folgte als Antwort.

Elina kniff die Augen zusammen. War sie wieder in einem ihrer Romane gelandet? Nein, er war noch immer da, als sie es wagte, abermals hinzusehen. Geduldig wartete der Engel, bis sie wieder bereit war zu sprechen.

„Aber was machst du hier?“, wollte Elina von dem göttlichen Boten wissen.

„Das kann ich dir nicht sagen.“

„Oh.“ Elina war enttäuscht und vergaß dabei völlig, dass sie bis zu diesem Zeitpunkt die Existenz von Engeln oder anderen übernatürlichen Absurditäten vehement angezweifelt hatte. „Was hast du vorher getan, als deine Augen geschlossen waren?“

„Gebetet“, sprach Malak mit sanfter Engelsstimme.

„Warum?“, fragte Elina verwirrt.

Malak deutete auf sein Bein, das nun unerklärlicherweise ohne Makel war. Das konnte unmöglich sein, Elina hatte das, was sie für eine Art von Bluterguss hielt, gesehen. Wie konnte das so schnell verheilen?

„Gott hat mich geheilt. Danke, Elina, ich muss dich jetzt verlassen, aber ich weiß, dass wir uns wiedersehen werden. Du bist Teil des göttlichen Plans.“ Elina verstand nicht, was der Engel ihr mitteilen wollte, doch bevor sie noch eine ihrer brennenden Fragen loswerden konnte, war Malak schon verschwunden. Verwirrt griff die Frau an ihre Beule, der Schmerz breitete sich bereits über die Halswirbel und die Schultern aus.

Sie bewegte eine Frage: Warum kannte der Gottesbote ihren Namen? Doch da fiel ihr der Lieblingspsalm ihrer Mutter ein, die leidenschaftlich gerne in der Bibel gelesen hatte. Elina konnte nur mehr einzelne Bruchstücke in Gedanken wiedergeben, wie umherschwirrende Schmetterlinge flogen sie wirr durch ihren Kopf. Wer unter dem Schutz des Höchsten wohnt, der kann bei ihm, dem Allmächtigen, Ruhe finden. Auch ich sage zu Gott, dem Herrn: „Bei dir finde ich Zuflucht, du schützt mich wie eine Burg! Mein Gott, dir vertraue ich!“

Und dann war da noch etwas mit Engeln. Denn Gott hat seine Engel ausgesandt, damit sie dich schützen, wohin du auch gehst.

Und irgendetwas, was mit dem zu tun hatte, dass Malak ihren Namen kannte. Gott sagt: „Er liebt mich von ganzem Herzen, darum will ich ihn retten. Ich werde ihn schützen, weil er mich kennt und ehrt. Genau, das waren die Worte ihrer Mutter: „Gott kennt meinen Namen.“ Zu absurd klangen diese erdachten Worte, hatte sie doch schon vor langer Zeit dem Glauben ihrer geliebten Mama abgeschworen, denn er bereitete ihr nur Kummer und Leid.

Elina verspürte den Drang, sich erneut ihrer Schwester anzuvertrauen. Sie schaltete den Computer ein und schilderte, was sich gerade in Ruths Heim zugetragen hatte. Als sie erneut ihre Zeilen überflog, klang das, was sie schrieb, zu unglaublich. Ruth würde sich große Sorgen machen, dass Elina verrückt geworden wäre. Nein, das konnte sie ihr nicht antun, sie wollte schließlich zeigen, wie erwachsen sie sein konnte. Sie trug die volle Verantwortung für ihr Leben. Punkt. Sie drückte auf Löschen und klappte den Laptop zu. Es war besser, nicht darüber zu sprechen.

*

Kapitel 2

Elina erwachte am nächsten Morgen, die Sonne schien hell in ihr Schlafzimmer. Der Kopfschmerz war etwas besser als am Vortag, doch es zog über den Hals den Rücken hinab. Sie hatte leichte Probleme mit dem Kreislauf, ein Schwindelgefühl überfiel sie schlagartig, als sie sich im Bett aufsetzte. Übelkeit kroch ihr bitter die Kehle nach oben, sie schmeckte den sauren Magensaft.

„Malak?“, war ihr erster klarer Gedanke.

Sie rieb sich die Augen, stand vorsichtig auf, stützte sich am Bettrand und an der Wand ab. Nach einer kurzen Ruhepause ging sie ins Badezimmer, um sich das Gesicht mit kaltem Wasser abzuspülen.

Ein Blick in den Spiegel bestätigte ihre Befürchtungen. Sie sah entsetzlich aus, hatte dunkle Ringe unter den rot geränderten Augen. Der Sturz hatte ihr ganz schön zugesetzt, wenigstens sah man die hässliche Beule unter den Haaren nicht.

Die Begegnung mit dem Engel ließ sie nicht los. Wem konnte sie sich anvertrauen? Ihre einzige Vertraute, ihre Schwester Ruth, konnte und wollte sie nicht belasten. Diese hatte in Vancouver wahrscheinlich genug um die Ohren, um sich in ihrem Job zu etablieren. Außerdem hatte sie keine Beweise für den letzten Abend. Wenn das alles nur ein Traum war, ein erdachtes Hirngespinst in ihrem Kopf herumgeisterte?

Elina suchte das Wohnzimmer auf, in dessen Mitte die grüne schwere Couch stand. Dort hatte Malak gestern Abend gelegen. Sie registrierte die gefalteten Handtücher auf der Lehne und daneben das leere Glas auf dem niedrigen Tisch aus Rattan. Sie konnte sich das nicht eingebildet haben.

Trotzdem war es besser, diesen Vorfall aus ihrer Gedankenwelt zu verbannen, wer sollte ihr den Unsinn über einen Engel in ihrem Garten glauben? Sie wollte keiner dieser irrationalen Spinner sein, die für ihren Aberglauben ausgelacht wurden. Hätte ihr jemand anderes die Geschichte von Malak erzählt, Elina müsste sich wegdrehen, um ihr Schmunzeln zu verbergen. Sie würde sich im Stillen halb kaputtlachen. Für solchen Humbug hatte sie noch nie etwas übrig gehabt. Dazu fiel ihr nur eines ein: Reden ist Silber, Schweigen ist Gold. Doch etwas Unbehagen blieb, sie sehnte sich dieses überirdische Gefühl der Liebe, das sie gestern in Malaks Beisein empfunden hatte, erneut herbei. Es kribbelte auf seltsame Art und Weise auf Elinas Haut. Dies erinnerte sie an die wohlige Wärme, die sie verspürte, wenn sie mit Mama oder Papa kuschelte, damals vor so langer Zeit. Dieses schöne, überwältigende Bewusstsein, absolut geliebt zu werden, fehlte ihr sehr. Der Engel hatte das schmerzliche Verlangen nach ihren Eltern wieder geschürt.

Elina war die Einsamkeit gewöhnt, dennoch hatte sie in den letzten Jahren mehrfach versucht auszubrechen. Sie träumte davon, richtige Freunde zu haben, vielleicht sogar eine Partnerschaft einzugehen. Allzu oft wurde sie nach solch einem Tagtraum abrupt in die Realität zurückgeholt, was ihre Sehnsucht nach Gesellschaft aber nicht schmälerte. Ja, das war es. Sie brauchte jemanden zum Reden, eine Person aus Fleisch und Blut. Vielleicht müsste sie sich nur etwas anstrengen, einmal ausgehen, um endlich richtige Freunde zu finden.

Als Elina angezogen war – sie trug ein dottergelbes schlichtes Kleid mit spitzenbesetztem Ausschnitt, der nicht zu viel hervorblitzen ließ – , schminkte sie sich eilig, um ihre Augenränder abzudecken. Im Anschluss gönnte sie sich eine Tasse Kaffee und einen Toast mit Marmelade zum Frühstück. Sie war daran gewöhnt, in der Küche im Stehen an der Arbeitsplatte zu essen. Dort fand sie es erträglicher, ohne ein Gegenüber die Mahlzeiten einzunehmen. Der Blick aus dem Fenster verriet ihr, dass heute ein sommerlich warmer Augusttag vor ihr lag, die Nachwirkungen des Gewitters waren nicht mehr zu spüren.

Nachdem sie die Tageszeitung überflogen hatte, begab sie sich auf ihrem Fahrrad zur Arbeit, ein kleiner, aber feiner Frisiersalon für gut betuchte Frauen im malerischen Sevenoaks. Die Sonne und der Fahrtwind schienen ihre Lebensgeister neu zu wecken. Sie liebte diese Stadt, hier hatte sie, gemeinsam mit Ruth, ihre Heimat gefunden.

Elina beobachtete gerne die Menschen in der Innenstadt, wie sie geschäftig durch die Straßen liefen, an den Schaufenstern vorbeibummelten oder entspannt im Kaffeehaus saßen. Mütter waren mit ihren Kindern unterwegs und Väter kauften den Kleinen ein Eis. Nicht zu vergessen die alten Menschen, denen Elina besonders gerne beim Schachspielen und Zeitunglesen zuschaute. Die Einwohner von Sevenoaks waren so vielfältig wie die Stadt selbst.

Elina träumte davon, sich einfach an einem Kaffeetisch oder auf einer Parkbank neben sie zu setzen und sich am Gespräch zu beteiligen. Sie wüsste gerne mehr von diesen Menschen, sie wollte ihren Geschichten über ihre Hoffnungen, Ängste und Träume lauschen. Aber das traute sie sich nicht, so blieb ihr nichts anderes übrig, als ihnen aus der Ferne zuzuschauen.

Elina bog in die Straße ein, in der sich ihre Arbeitsstelle befand und die von Boutiquen und erlesenen Gastronomiebetrieben gesäumt war, ein Paradies für die reichen Bewohner von Sevenoaks. Auch Touristen verirrten sich gerne hierher, schon alleine wegen der aufwendigen Architektur der Gebäude und dem wunderschönen Blumenschmuck, den die Gemeinde in der warmen Jahreszeit stets anbringen ließ. Da gehörte natürlich auch ein anständiger Frisiersalon dazu, in dem sich die schönheitsbewussten Damen verwöhnen lassen konnten.

Elina übte ihren Beruf mit Begeisterung aus, hatte sie doch bereits von Kindesbeinen an die Gabe, typgerechte Frisuren zu zaubern. Von allen Seiten war ihr nahegelegt worden, ihr Talent zum Beruf zu machen, was trotz finanzieller Entbehrungen erstaunlich gut geglückt war. Ihre vier Jahre ältere Schwester Ruth unterstützte sie in jeder Hinsicht und die beiden hatten mehrfach auf eine Mahlzeit verzichtet, um Elinas Zukunft zu sichern.

Doch einen faden Beigeschmack brachte ihre Arbeit mit sich. Elina bewegte sich hier in einer Welt von Belanglosigkeiten und oberflächlichem Gehabe. Meist drehten sich die Gespräche mit den durchaus höflichen Kundinnen um Schönheit, Reichtum und das Wetter. Tiefe, ehrliche Gespräche ergaben sich eigentlich nie, auch nicht, wenn Elina die Kundin schon mehrere Jahre kannte. Sie wurde von ihrer Chefin angehalten, nie aus dem herkömmlichen Smalltalk auszubrechen, um die Würde der reichen Frauen zu wahren.

Elina stellte ihr Fahrrad in die Seitenstraße neben ihrem Arbeitsplatz und steuerte zielstrebig den Salon mit dem Namen Cabello an. Ihre Chefin Savina Cabello räumte hinter dem Tresen Haarpflegeprodukte in die Regale ein.

Savina, die ursprünglich aus Spanien stammte, war groß, schlank und wirkte durch ihren muskulösen Körperbau etwas männlich, was sie mit ihren langen, gepflegten tiefschwarzen Haaren zu kompensieren versuchte. Doch ihr Gesicht war schön, auch wenn man ihr die fortschreitenden Jahre anhand kleiner Fältchen anmerkte.

Sie war eine gerechte und geschickte Arbeitgeberin, die sehr darauf bedacht war, Privates und Berufliches zu trennen. Letzteres verlangte sie auch von ihrer einzigen Mitarbeiterin Elina. Das erklärte, warum zwischen den beiden nie eine freundschaftliche Beziehung entstanden war. Was das Verhältnis der beiden Frauen ausmachte, war gegenseitiger Respekt.

„Elina, gut, dass du da bist. Du musst heute den Laden für zwei Stunden alleine führen. Ich wurde zu Frau Avaritia Helga beordert. Du weißt doch, die betagte Dame, die gehbehindert ist“, erklärte Savina mit dem spanischen Akzent, der sie so besonders machte.

Elina antwortete höflich, sie betreue gerne den Salon, während ihre Chefin abwesend sei. Diese lächelte und verließ nach ein paar Arbeitsanweisungen den Laden.

Den Besen in der Hand verweilten Elinas Gedanken schon wieder bei Malak, dem schönen Engel. Doch als die Tür sich öffnete, wischte sie die Erinnerungen bewusst beiseite und ärgerte sich, ihren Entschluss, das merkwürdige Erlebnis zu vergessen, schon so bald missachtet zu haben. Sie sah zum Eingang und vor ihr stand ein Mann mit dunklen Haaren und braunen Samtaugen. Seine Muskeln zeichneten sich unter dem hellblauen Hemd, das er an den Ärmeln aufgekrempelt hatte, deutlich ab. Elina hätte längst Worte der Begrüßung über ihre Lippen bringen sollen, aber irgendetwas, was sie nicht benennen konnte, verschlug ihr die Sprache.

„Entschuldigung, ich bräuchte dringend einen Haarschnitt, könnten Sie mich gleich drannehmen?“, fragte der Fremde.

Elina, die noch immer versuchte, die richtigen Worte zu einem Satz zusammenzusetzen, schüttelte den Kopf. „Tut mir leid, dies ist ein Frisiersalon für Damen“, brachte sie schließlich hevor.

„Ich hab einen durchaus wichtigen Termin und möchte dort nicht so ungepflegt erscheinen, könnten Sie nicht eine Ausnahme machen?“, fragte er mit zuckersüßer Stimme. Sein Blick schweifte über den menschenleeren Salon. Elina hatte ihre erste Kundin tatsächlich erst in einer halben Stunde, also wies sie den jungen Herrn zu einem der Waschbecken. Hoffentlich blieb ihre Chefin lange genug weg, um Elinas Abweichung vom Konzept nicht zu bemerken.

„Herzlichen Dank, Sie stehen in meiner Schuld, ich werde mich revanchieren“, sprach der Kunde mit einem schüchternen Lächeln und einem Glitzern in den Augen.

„Ich muss Sie aber warnen, ich hab seit mehreren Jahren keinem Mann die Haare geschnitten“, bemerkte Elina mit Nachdruck.

„Dann wird es wohl wieder einmal Zeit, damit Sie nicht aus der Übung kommen“, gab er frech zurück.

Elina war entsetzt, aber die merkwürdige Vertrautheit in der Stimme dieses Mannes schmeichelte ihr.

Ihre Reaktion blieb nicht unbemerkt, wobei er ihr Entsetzen falsch beurteilte. „Tut mir leid, ich wollte Ihr Talent nicht schmälern.“

„Oh ...“ Elina rang sich eine Antwort ab. „Ich war nur erstaunt, dass ich bei Ihnen das Gefühl habe, Sie ewig zu kennen.“ Nach einer kurzen Pause setzte sie beschämt hinzu: „Eigentlich sollte ich so etwas nicht zu meinen Kunden sagen.“

Während Elina die dichten dunklen Haare mit Wasser und Shampoo wusch, erwiderte er: „Ich möchte Ihnen nicht zu nahe treten, aber irgendetwas an Ihnen fasziniert mich. Ich heiße übrigens Laurenz, Laurenz Winter.“

Sie trocknete seine Haare und bat ihn, am Frisiertisch Platz zu nehmen. Als sie die Schere in die Hand nahm, verspürte sie den Drang, ihm ebenfalls ihren Namen mitzuteilen. „Ich bin Elina Mercy.“

„Schöner Name“, antwortete er mit diesem betont schüchternen Lächeln.

Als sie seine weichen, dichten Haare schnitt, ertappte sich Elina dabei, wie sie seit Langem wieder einmal ihr eigenes Gesicht im Spiegel betrachtete. Grundsätzlich entsprach sie dem gängigen Schönheitsideal mit ihren glatten hellbraunen Haaren, den großen grünen Augen, den gleichmäßigen Lippen und den symmetrischen Gesichtszügen. Trotzdem fehlte ihr das gewisse Etwas, das, was interessant auf andere wirkte. Aber warum machte sie sich gerade jetzt darüber Gedanken? Und warum warf sie dieser Mann so sehr aus der Bahn? Sie kannte diesen Laurenz doch gar nicht!

Er erzählte ihr, er wäre hergekommen, um für einen guten Freund eine Immobilie zu erwerben. Er würde ein paar Tage hierbleiben und in einem schmucken Hotel schräg gegenüber übernachten. Elina nickte, ohne ihn im Spiegel aus den Augen zu lassen.

Er fragte sie, wo sie wohne und ob er sie als kleines Dankeschön für den Haarschnitt am Abend zum Essen ausführen dürfte. Elina sagte, zu ihrem eigenen Erstaunen, zu und beschrieb ihm den Weg zu dem Häuschen ihrer Schwester, wo sie momentan lebte.

Warum um alles in der Welt war sie nur so unvorsichtig und vertraute diesem Fremden blind? War die Begegnung mit dem Engel schuld an dem Übermut, der sie auf einmal beherrschte? Oder die Sehnsucht nach Gesellschaft und nach einem Menschen, mit dem sie über das, was sie bewegte, reden konnte? Elina wusste es nicht, aber sie hoffte, dies nicht zu bereuen.

Laurenz beobachtete sie genau im Spiegel, wie sie gedankenverloren seine Haare stylte. „Alles in Ordnung? Ich bin kein Triebtäter, ich möchte mich nur dankbar für Ihre Hilfsbereitschaft zeigen.“

Hatte sie ihre lautlos geformten Worte doch ausgesprochen oder konnte er Gedanken lesen? Schnell antwortete sie: „Ich bin normalerweise nicht so gut im Umgang mit Menschen, aber ich freue mich auf einen gemeinsamen Abend mit Ihnen.“

Laurenz schien zufrieden und schenkte ihr ein weiteres Lächeln. Elinas Knie wurden weich, ihr Herz begann schneller zu klopfen.

Nachdem sich der Mann zufrieden im Spiegel betrachtet hatte, bezahlte er, wobei er Elina mit einem großzügigen Trinkgeld bedachte, und ging mit freundlichen Worten des Dankes zur Tür hinaus. Anmutig und geschmeidig schritt er die Straße entlang, immer weiter fort von ihr.

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9783960744313
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