Kitabı oku: «7 Engel», sayfa 2

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Abermals wurde Elina mit einem nagenden Gefühl der Leere im Herzen zurückgelassen, auch wenn diese Empfindung eine ganz andere war als die am Abend zuvor. Die Achterbahnfahrt der Gefühle schien weiterzugehen.

Zu Hause angekommen drehte sich alles um das Essen mit Laurenz Winter. Was sollte sie anziehen, welche Frisur, welche Schuhe und was war mit Make-up? Sollte sie es wagen, sexy zu wirken? Nein, das war zu riskant, schließlich wollte er sich nur erkenntlich zeigen für den Haarschnitt. Also doch lieber elegant, aber nicht zu aufdringlich.

Elina wirbelte durch das Haus wie ein verrücktes Huhn. Duschte, zog sich an, machte ihre Haare und schminkte sich. Als sie eine Halskette auswählen wollte, fiel ihr ein, dass Ruth vielleicht eine Antwort auf die letzte E-Mail geschickt haben könnte, in der sie sich für das Bezahlen der Reparaturen am Haus bedankte. So viel Zeit musste sein, sie schaltete den Computer ein und checkte ihren Posteingang.

Geliebte Schwester!

Alles geregelt, du solltest das Geld bald erhalten.

Die Arbeit als Journalistin nimmt mich immer mehr ein, ich muss so viel dazulernen, da sich das Zeitungswesen hier in einigen Punkten deutlich von dem britischen unterscheidet. Aber es macht mir Spaß und es tut gut, Neues auszuprobieren. Mein Chef ist zufrieden mit meinen Fortschritten. Auch mit den Arbeitskollegen verstehe ich mich gut, hier herrscht ein angenehmes Arbeitsklima. Es war die richtige Entscheidung hierherzukommen.

Leider muss ich schon wieder zu einem Meeting aufbrechen, vierundzwanzig Stunden am Tag sind mir gerade etwas zu wenig, vor allem Schlaf könnte ich dringend gebrauchen.

Es tut gut, deine Zeilen zu lesen.

Gott segne dich!

Deine Ruth

Ach, Ruth und ihr tiefer Glaube an Gott. Elina wusste, dass sie sich dieses Vertrauen in Jesus auch für ihre kleine Schwester wünschte. Sie verstand nicht, warum sie den Glauben, den ihre Eltern ihnen ins Herz gelegt hatten, ablehnte. Doch für Elina war die Erinnerung zu schmerzhaft, es war so schon schwer genug, die Vergangenheit zu ertragen. Kurz überlegte sie, was sie zurückschreiben sollte, entschied sich aber, die Antwort auf später zu verschieben, vielleicht ereignete sich heute noch Erzählenswertes, wenn sie mit Laurenz ausging.

Außerdem würde es Ruth nicht gutheißen, wenn sie sich mit einem fremden Mann traf. Nein, sie war momentan mit Arbeit eingedeckt, sie sollte nicht den Eindruck haben, Elina hätte ihr Leben nicht im Griff. Sie musste vorsichtig sein. Es war besser, ihr erst im Nachhinein davon zu erzählen, wenn der Abend nett verlaufen war.

Elinas Wanduhr ließ sie abermals in Hektik geraten, sie musste noch ihre Handtasche packen und die Schuhe auswählen, was bei dem geringen Angebot nicht allzu schwierig sein würde. Vielleicht fand sie auch noch passenden Schmuck, ehe Laurenz vor ihrer Türe stand.

*

Kapitel 3

Elina feilte gerade am letzten Schliff ihres Outfits – eine rote Korallenkette zum kurzen, aber eleganten schwarzen Kleid –, als es an der Tür klingelte. Ein erneuter Blick auf die Uhr verriet ihr, dass Laurenz einer dieser Männer war, die überpünktlich kamen. Letzte Kontrolle im Spiegel, die Frisur war perfekt, das dezente Make-up ließ sie etwas strahlender wirken, im Großen und Ganzen war sie zufrieden mit ihrem Erscheinungsbild. Es konnte losgehen, sie atmete tief durch und bemühte sich, ein freundliches Lächeln aufzusetzen, um ihre Nervosität zu überspielen.

„Einen Moment, bitte“, rief Elina, ehe sie zur Tür eilte, um diese zu öffnen.

Laurenz trug einen blaugrauen, geradlinigen Anzug, kombiniert mit einem weißen Hemd. In der Hand hielt er eine Sonnenblume, die er ihr galant überreichte. „Tut mir leid, dass ich zu früh bin, aber ich wollte nicht im Auto warten, ich ... Sie sehen atemberaubend aus“, ertönte es aus seinem Mund, untermalt von diesem süßen verlegenen Lächeln, das Elina so verzauberte.

Am liebsten hätte sie ihn in ihre Arme gezogen und ihm zur Begrüßung einen Kuss auf die Wange gedrückt, wohl wissend, dass man dies nur bei sehr guten Freunden zu tun pflegte. So streckte sie ihm nur die Hand entgegen. Doch nicht einmal auf diese Berührung war sie gefasst, denn ein unbekanntes Verlangen kroch aus einem längst vergessenen Winkel ihres Herzens hervor. Elina musste sich in diesem Moment eingestehen, dass sie Laurenz Winter begehrenswert fand. Das Blut stieg ihr ins Gesicht, was sie erröten ließ. Sie hoffte, das frisch aufgelegte Make-up ließ nicht zu viel durchblitzen.

Als ob er ihre Unsicherheit spüren konnte, schaute er ihr fast etwas zu tief in die Augen, nahezu unverschämt verführerisch. „Sind Sie so weit, können wir fahren?“

„Ja, natürlich. Entschuldigen Sie, ich war in Gedanken.“

Das Glitzern in seinen Augen machte es nicht besser und Elina schmolz dahin, schwelgte in dem Chaos ihrer neuen Gefühle. Hitze machte sich in ihr breit, die Hände begannen zu schwitzen, ihr Mund fühlte sich trocken an.

Während der Autofahrt in einem silbern lackierten Audi R8, was Elina darauf schließen ließ, dass Laurenz zu den reicheren Menschen dieser Erde gehörte, erzählte er unbekümmert von seinem Termin mit dem Makler am Nachmittag. Das Anwesen, das er erwerben wolle, sei in einem guten Zustand und als Rückzugsort für einen guten Freund gedacht, in dessen Auftrag er nach Sevenoaks gekommen sei. Schon morgen könnte er zur Besichtigung des Hauses antreten, um anschließend die weiteren Formalitäten zu klären, wenn die Immobilie das hielte, was der Makler verspräche. Dann würde sich Laurenz um die Renovierung und die Möblierung kümmern, die Infrastruktur der Umgebung auskundschaften, Einkaufsmöglichkeiten aller Art in Erfahrung bringen und viele andere Kleinigkeiten regeln, um seinem Freund den Start in dieser Gegend möglichst einfach zu gestalten. Betont freundschaftlich bat er Elina, ob sie ihm ein paar Empfehlungen geben könne, was ihr Herz etwas höher hüpfen ließ, als sie freudig einwilligte.

„Haben Sie ein Foto dieses Hauses?“, wollte sie wissen.

Laurenz deutete wortlos auf das Handschuhfach seines Autos, die andere Hand ruhte betont lässig auf dem Lenkrad. Elina fand eine Mappe, deren Inhalt eine Beschreibung der Immobilie mit Fotos war. Plötzlich musste sie schmunzeln. „Wissen Sie, dass dieses Haus in meiner direkten Nachbarschaft steht?“

„Sie haben Nachbarn? Ihr Haus steht doch mitten im Nirgendwo!“

„Haben Sie nicht die Bäume bemerkt, die mein Grundstück im Osten abgrenzen?“

Laurenz nickte. „Doch, die habe ich gesehen.“

„Dahinter ist eine Böschung und unterhalb steht dieses beeindruckende Anwesen“, erklärte Elina und deutete mit ausladenden Handbewegungen auf die Fotos.

„Na, dann werden wir Nachbarn, zumindest für die nächsten paar Tage.“

„So könnte man das nennen, Herr Nachbar“, lachte Elina laut auf.

Laurenz wirkte auf einmal sehr still, irgendetwas wollte er ihr sagen. Es schien, als wäre er in Gedanken.

„Darf ich Sie um etwas bitten?“ Er schmierte ihr Honig um den Mund mit seiner zuckersüßen Stimme.

„Natürlich.“ Elina war sichtlich nervös.

„Sag bitte Du zu mir. Ich finde es persönlicher.“

„Mir ist es auch lieber, es kommt mir jetzt schon so vor, als wären wir seit Ewigkeiten Freunde.“

Sie hatte sich schon lange nicht mehr so frei gefühlt in der Gegenwart einer anderen Person. Es war so unbeschwert und leicht, mit ihm eine Unterhaltung zu führen. Dankbar lehnte sie sich zurück und genoss den Rest der Autofahrt.

Im Restaurant The Swan angekommen, führte sie Laurenz in den mit Rosen umsäumten Gastgarten. Er rückte ihr den Stuhl zurecht und orderte ein hervorragendes Menü, das für Elinas Geldbeutel eindeutig zu teuer gewesen wäre. Sie kannte dieses Gasthaus vom Hörensagen, schwärmten ihre Kundinnen doch regelmäßig von den exzellenten, ausgefallenen Speisen, die hier angeboten wurden. Nie hätte sie damit gerechnet, selbst in den Genuss dieser Gaumenfreuden zu kommen.

Doch sie war hier, gemeinsam mit Laurenz, und erfreute sich an dem Dinner und dem köstlichen Wein. Sie versuchte, das starke Empfinden hier nicht hinzugehören, so gut es ging, zu ignorieren. Ein Job in der Küche oder als Kellnerin wäre eher ein geeigneter Platz für sie gewesen. Unter normalen Umständen wäre ihr diese exquisite Umgebung noch unangenehmer gewesen, aber Laurenz schien sich auf gewöhntem Terrain zu bewegen und zog sie ein Stück weit mit hinein in das Flair dieses noblen Restaurants.

Sie gestand dem schönen Mann, der ihr gegenübersaß, dass das Haus, in dem sie wohnte, das Eigentum ihrer Schwester sei und dass sie bis vor Kurzem in einer Einzimmerwohnung in der Nähe des Frisiersalons gewohnt hätte. Sie habe aber die Enge nicht mehr ausgehalten und deshalb das Angebot dankbar angenommen, ein Jahr das Häuschen mit dem Garten zu hüten, während ihre Schwester in Vancouver als Reporterin für eine Tageszeitung arbeitete. Ruth hätte einen Tapetenwechsel gebraucht, sie wollte Elina überreden mitzukommen, aber ihre Schwester mochte ihre Arbeit als Friseurin hier. Außerdem wäre der Wunsch, ins Ausland zu reisen, nicht der ihre, sondern Ruths.

Elina erzählte oberflächlich von ihrer Kindheit, in der sie und Ruth sich alleine durchboxen mussten, bis sie beide beruflich Fuß gefasst hatten. Sie waren stolz darauf, ein geregeltes Einkommen zu haben, was vieles in ihrem Leben erleichterte.

Laurenz hörte gespannt zu, nippte an seinem Weinglas und stocherte mit der Gabel in seinem Dessert herum. Er erkundigte sich vorsichtig nach den Eltern der beiden Mädchen. Elina traten die Tränen in die Augen, nein, sie konnte und wollte nicht über ihre Mutter und ihren Vater sprechen, nicht jetzt.

Laurenz legte verständnisvoll die Hand auf ihre Schulter, was in Elina einen weiteren Gefühlsschwall hervorrief, seine Hand auf ihrer Haut war Balsam für die Seele. Einfühlsam winkte er dem Kellner zum Bezahlen. Sie ärgerte sich, dass ihr Geheule den Abend so abrupt enden ließ. Laurenz war ein Gentleman und brachte sie umgehend zum Wagen. Auf der Fahrt zurück bedankte er sich abermals für seinen Haarschnitt am Morgen.

„So, das war es. Jetzt weiß er, dass ich eine dumme Gans bin. Ab jetzt wird er nichts mehr mit mir zu tun haben wollen“, dachte Elina bei sich.

Warum hatte sie Laurenz nicht ermutigt, von seinem Leben zu sprechen, während sie interessiert genickt hätte? Vielleicht wäre dann alles anders verlaufen. Angestrengt überlegte sie, wie sie das wieder in Ordnung bringen konnte. Hatte sie noch eine Chance? Konnte sich das Blatt noch zu ihren Gunsten wenden? Vielleicht war sie einfach nicht für Beziehungen jeglicher Art geschaffen ...

Zu Hause angekommen hielt Laurenz Elina die Tür seines Sportwagens auf und geleitete sie zum Eingang. Er hob seine Hand. „Darf ich?“ Sie nickte und schloss kurz die Augen. Er strich ihr vorsichtig über die Wange, sodass Elinas Knie abermals weich wurden. Sie war verwundert, hatte sie doch nicht alles vermasselt? Sie badete in seinen dunklen Samtaugen. „Ich möchte dich morgen gerne wiedersehen, am liebsten gleich in der Früh, damit wir den Tag nutzen können. Bist du einverstanden?“

Elina hätte am liebsten laut „Ja!“ geschrien, begnügte sich aber mit einem begeisterten Lächeln. Irgendetwas hatte sie wohl doch richtig gemacht, innerlich führte sie einen Stepptanz auf.

Sie verabredeten sich für den nächsten Tag zum Brunch bei Elina. Gott sei Dank musste sie diesen Freitag nicht arbeiten. Ihre Chefin Savina Cabello gönnte sich ein verlängertes Wochenende, um zu verreisen. Erst am Dienstag musste Elina wieder bei der Arbeit erscheinen, sie freute sich innerlich über diese Fügung. So konnte sie mehr Zeit mit Laurenz verbringen, nur in seiner Nähe zu sein, reichte ihr schon aus. Endlich jemanden zum Reden zu haben, wenn auch nur vorübergehend, war das schönste Gefühl auf Erden.

Der kleine Kuss, den er zum Abschied auf Elinas Stirn drückte, ließ ihr endgültig die Röte ins Gesicht steigen.

Zärtlich flüsterte er ihr noch ein „Auf Wiedersehen!“ zu.

Sie wandte sich beschämt ab, um die Tür aufzusperren. Damit hatte sie wahrlich nicht gerechnet, Laurenz Winter wollte sie wiedersehen und küsste sie flüchtig. Heute war Elinas Glückstag. In ihr brach ein weiteres Jubelgeschrei los.

Nicht einmal, als sie das Auto wegfahren hörte, traute sie sich, einen Blick zurückzuwerfen. Plötzlich keimten in ihr Selbstzweifel auf und verstummten den restlichen Abend über nicht.

„Was denke ich mir bloß dabei, solche Gefühle einem Fremden entgegenzubringen und ihm so viel Nähe zu schenken?“, kam es ihr in den Sinn.

Bevor sie im Bett die Augen schloss, gönnte sie es sich endlich, glücklich zu sein. Alles war so neu, so geheimnisvoll, fast so wie in Elinas Büchern. Oder wie in einem ihrer romantischen Filme, die sie ab und zu anschaute, um die Zeit totzuschlagen. Nun spielte sie die Hauptrolle in einem dieser Streifen. Es war nicht nötig, sich unbegründete Sorgen zu machen. Das Schicksal meinte es endlich einmal gut mit ihr. Mit einem Lächeln auf den Lippen und der Erinnerung an seine dichten dunklen Haare unter ihrer Schere schlief sie zufrieden ein.

Unbewusst war es der jungen Frau gelungen, an diesem Abend nicht an Malak und sein ungewöhnliches Erscheinen am Vortag zu denken.

*

Kapitel 4

Elina fuhr schweißgebadet aus einem Traum in die Höhe. Ihr Herz raste, schwer atmend schnappte sie nach Luft. Ihr Nacken war verspannt, sie musste sich aufsetzen. Sie ging in die Küche, um ein Glas Wasser zu trinken. Das kühle Nass rann wohltuend ihre Kehle hinunter. Verschwommen versuchte sie sich zu erinnern, was sie so aufgeregt hatte, dabei massierte sie ihre schmerzenden Schultern und ließ den Kopf kreisen, um die Verspannungen zu lösen.

Langsam kamen ihr die Szenen des Traumes wieder in den Sinn. Sie hatte sieben Engel gesehen, deren Anführer eindeutig Malak war und die eine Botschaft für Elina hatten. Wenn sie nur wüsste, was sie zu ihr gesagt hatten, es schien alles im Nebel ihrer Erinnerungen zu verschwimmen. Sie versuchte angestrengt, die Worte in ihrem Kopf zu finden, konnte aber nur an eine Traum-Elina denken, die sich summend die Ohren zuhielt, um der erneuten Begegnung mit dem Übernatürlichen zu entgehen. Nun ärgerte sie sich, so töricht gewesen zu sein, sie hätte zumindest abwarten können, was Malak ihr mitteilen wollte. Es erschien ihr im Nachhinein klüger, die Entscheidung auf später zu verschieben, ob sie darauf eingehen wollte oder nicht. Nun hatte sie ihre Chance eindeutig vertan.

Ein Gefühl des Ungehorsams beschlich sie, so wie damals, als sie noch ein Kind gewesen war und ihre Eltern, die immer liebevoll und gütig gewesen waren, bewusst hintergangen hatte. Es waren ganz normale Dummheiten und Streiche einer Minderjährigen gewesen, die im Nachhinein betrachtet sehr wertvoll für ihre Gewissensbildung waren. Aber das Wissen, seine eigenen Eltern verletzt zu haben, war nicht einmal aus heutiger Sicht erträglich. Doch sie waren nachsichtig, gerade weil sie noch ein Kind war. Oder weil sie vielleicht nur zu gut wussten, dass auch Erwachsene genug Fehler machten, die unüberlegt waren und erst im Nachhinein Reue aufkommen ließen.

Doch ein paar Fragen blieben. Was, wenn sie die sieben Engel vor einer großen Dummheit bewahren wollten? War sie im Begriff, einen Fehler zu begehen, der für sie unangenehm werden könnte? Und warum berührte sie die erneute Engelsbegegnung so sehr? Elina hatte doch beschlossen, die Sache als Einbildung abzutun. Spielte ihr das Unterbewusstsein einen Streich? Sie wusste, welch große Bedeutung Träume in der Bibel haben konnten. Nein, davon wollte sie nichts mehr wissen. Das würde unweigerlich zu erneutem Leid führen, wenn sie sich mit dem Glauben ihrer Eltern beschäftigte, der in den Aussagen der Bibel verwurzelt war.

Noch ein weiterer Gedanke beschäftigte sie. Malak hatte gesagt, sie würden sich wiedersehen. Aber schon nach so kurzer Zeit? Oder zählte eine Begegnung im Traum nicht? Sie musste es nüchtern betrachten. Was hatte sie in der Schule über Träume gelernt? Irgendetwas mit Ängsten, Vorfreude und Verarbeitung. Das musste es sein, sie verarbeitete die Begegnung, die sie so gerne vergessen würde.

Fragen über Fragen schwirrten Elina im Kopf herum, am liebsten hätte sie laut „Stopp!“ geschrien, sich wieder unter der Bettdecke verkrochen und wäre vor dem Wirrwarr in ihrem Kopf geflohen.

Was in aller Welt war los? Klar, sie wollte ihr Leben ändern, aber so, wie sie es gerne hätte, und nicht durch unerklärliche Dinge, die ihren Verstand überstiegen. Warum konnte sie nicht einfach von Laurenz träumen? Sie sehnte seine Umarmung herbei, wollte in seinen starken, muskulösen Armen Schutz suchen. Sie könnte stundenlang in seine sanften Augen blicken und darin versinken. Alles, was um sie herum geschah, wäre nicht mehr wichtig, hätte keine Bedeutung für Elina.

Stattdessen träumte sie von Engeln. Konnte dies wirklich einen Sinn haben, hatten sie eine Botschaft, die nur für Elina und ihr weiteres Leben bestimmt war? Nein, jetzt dachte sie schon wieder darüber nach, alles schien sich im Kreis zu drehen. Je mehr sie versuchte, die merkwürdigen Begegnungen zu verdrängen, desto häufiger schienen sie in ihre Gedanken zurückzukehren. Mit dieser Einsicht ging Elina wieder ins Bett. Sie schlief erneut ein, wälzte sich jedoch unruhig hin und her, bis der nächste Tag anbrach.

Mit dunklen Augenringen stand sie vor dem Badezimmerspiegel, schon wieder. Gott sei Dank hatte sie noch zwei Stunden Zeit, ehe Laurenz vor ihrer Tür stehen würde. So konnte sie in aller Ruhe duschen, ihre Augen kühlen, sich anziehen und alles für den Brunch vorbereiten. Die Geschehnisse der Nacht mussten auf die lange Bank geschoben werden. Es war besser so!

Laurenz erschien abermals überpünktlich, aber diesmal war Elina darauf gefasst und bat ihn, ordentlich herausgeputzt, in ihr vorübergehendes Zuhause und an den gedeckten Tisch im Wohnzimmer. Es duftete nach Kaffee und frischem Gebäck. Dazu mischte sich nun der Geruch der frischen Wiesenblumen, die sie mit gerötetem Gesicht von ihrem Gast entgegennahm und die nun in einer Vase auf dem Tisch standen.

Als sie den Kaffee einschenkte, lächelte Laurenz wieder dieses schüchterne, aber bezaubernde Lächeln. Elinas Herz setzte für einen Moment aus. Warum brachte er sie so aus der Fassung? Sie erwischte sich bei einem Tagtraum, händchenhaltend mit diesem atemberaubenden Mann.

Abermals musste sie sich selbst zur Aufmerksamkeit mahnen, wenn Laurenz fragen sollte, an was sie dachte, wäre sie um eine Antwort verlegen. Konzentration war eindeutig nicht ihre Stärke.

Sie versuchte, ein unverfängliches Gespräch zu führen. „Was werden wir heute erledigen?“

„Könntest du mir bitte einen Überblick über die Stadt verschaffen? Eine Hausbesichtigung stünde auch noch auf meinem Plan, sofern du mich begleiten möchtest.“

„Natürlich“, erwiderte Elina, fast hätte sie hinzugefügt: „Überall, wo du hingehst, komme ich mit.“ Stattdessen biss sie sich auf die Lippen. Sie spielte ein riskantes Spiel und musste unbedingt ihre Gedanken ordnen, das konnte doch nicht so schwer sein. Laurenz machte einen souveränen Eindruck, warum hatte sie ihre Gefühle nicht unter Kontrolle? Elina lenkte das Gespräch auf das Nachbaranwesen, welches er kaufen wollte, um endlich ihre Verwirrtheit auszublenden. Und für kurze Zeit gelang ihr das auch. Sie plauderten nett miteinander.

Nach dem ausgedehnten späten Frühstück erblickte Laurenz ein Foto aus Elinas Kindheit. Neugierig nahm er den Bilderrahmen in die Hand und betrachtete ihn aufmerksam. „Das ist Ruth, meine Schwester. Und das sind“, sie machte eine kurze Pause, „das sind meine Mama und mein Papa. Sie starben, als Ruth zwölf und ich acht Jahre alt waren, das ist nun vierzehn Jahre her.“

„Das tut mir leid. Darf ich erfahren, wie sie gestorben sind? Oder findest du das unpassend?“, fragte Laurenz betroffen.

„Oh, ist schon gut. Sie brachen zu einer Missionsreise nach Burma auf und kamen nach den vereinbarten drei Monaten nicht wieder zurück. Es ist nur eine Vermutung, dass sie tot sind, denn nach einer gewissen Zeit, etwa zwei Monaten, schickten sie uns keine E-Mails mehr und niemand konnte uns über ihren Verbleib Auskunft geben. Wir wissen nur, dass sie ein kleines Boot ausgeliehen haben, das nicht mehr an die Anlegestelle zurückkehrte.“

Jetzt war es heraus und Elina war wider Erwarten erleichtert, das erste Mal flossen keine Tränen über ihre Wangen, wenn sie über ihre Eltern sprach. Irgendetwas war in ihr zur Ruhe gekommen, über den Tod ihrer Mutter und ihres Vaters legte sich plötzlich das Tuch des Friedens. Elina wusste nicht, was dies so plötzlich bewirkt hatte, denn gestern Nacht hatte sie noch mit diesem Problem gekämpft.

„Und was war mit dir und Ruth?“, unterbrach Laurenz die Stille.

„Wir waren während der Abwesenheit meiner Eltern bei Nachbarn untergebracht, die selbst drei Kinder hatten. Als ihnen bewusst wurde, dass sie auf Dauer nicht fünf hungrige Mäuler durchfüttern konnten, meine Eltern hatten ihnen nur genug für drei Monate Kost und Logis gezahlt, steckten sie uns in ein Kinderheim in London. Ich kann es ihnen nicht einmal verübeln, sie hatten keine andere Wahl. Dort verbrachten wir vier Jahre, in denen wir lernten, nur uns selbst zu vertrauen. Das ging so lange, bis Ruth alt genug war, um mit mir eine sozial geförderte Wohngemeinschaft zu beziehen. Wir teilten sie mit anderen Jugendlichen. Aber die Situation war unerträglich, Sex, Gewalt und Drogen bestimmten den Alltag unserer Mitbewohner. Mehrfach waren wir gefährlichen Situationen ausgesetzt, obwohl wir uns sehr bemühten, unsichtbar zu sein. Unsere Betreuer hatten keine Handhabe, sogar die Polizei gab meistens klein bei. Wir waren ungeschützt, hatten nur uns selbst. Ruth beschloss schweren Herzens auszuziehen, wir hatten keine finanziellen Mittel, aber wir fürchteten um unser Leben. Meine Schwester setzte alles in Bewegung, damit wir unser Erbe antreten konnten. Nur um dann zu erfahren, dass es nicht ausbezahlt werden würde, da das Verschwinden unserer Eltern ungeklärt wäre. Man brachte sie mit einem Millionencoup einer Drogendealerbande in Verbindung. Ein paar Verantwortliche wurden geschnappt und verurteilt. Mutters und Vaters Wertsachen zog man als finanzielle Entschädigung ein, da sie zur Verbüßung ihrer Strafe nicht ins Gefängnis wandern konnten. Meine Schwester und ich haben nie an ihrer Unschuld gezweifelt, aber wir konnten sie nicht beweisen.

Heute kann ich darüber lachen, meine Mama und mein Papa, Julia und Luke Mercy, die moralisch korrektesten Eltern auf dieser Welt, sollen mit Drogendealern unter einer Decke stecken? Aber glaube mir, damals war es nicht lustig für eine junge, fast erwachsene Frau, mit ihrer Teenagerschwester und ohne finanzielle Mittel dazustehen. Unser Elternhaus, wie man uns mitteilte, wurde verkauft und daraus wurde ein gut besuchtes Pub.

Aber Ruth beharrte mit Nachdruck auf unserer schulischen Ausbildung und stieg mit sechzehn bei einer Zeitungsredaktion ein. Sie war wild entschlossen, sich hochzuarbeiten und Journalistin zu werden. Später war sie genauso verbissen, was meine Friseurlehre anging. Wir hielten uns mit Gelegenheitsjobs über Wasser, wobei Ruth darauf bedacht war, nur moralisch unbedenkliche Arbeiten anzunehmen, das seien wir unseren Eltern schuldig, meinte sie. So putzten, bügelten, kochten und nähten wir, pflegten Gärten, strichen Zäune und erledigten viele andere Dinge, für die berufstätige Menschen zu wenig Zeit haben. Daneben absolvierten wir unsere Ausbildungen.

Nach kurzer Zeit waren wir nicht mehr auf Übernachtungsmöglichkeiten angewiesen, sondern konnten uns ein kleines Zimmer zur Untermiete bei einem älteren Ehepaar nehmen, das unsere Hilfe im Haushalt dankbar annahm. Es war eine harte Zeit, es ist schrecklich, obdachlos zu sein. Aber wir haben es geschafft, dank des Durchhaltevermögens von Ruth. Sie schaffte es immer wieder, mich zu motivieren.

Vor zwei Jahren kaufte meine Schwester dann dieses Haus für uns beide, aber ich wollte etwas Unabhängigkeit und mietete mir eine kleine Wohnung direkt in Sevenoaks. Doch als Ruth nach Vancouver ging, kündigte ich den Mietvertrag. Den Rest der Geschichte kennst du ja schon.“

Elina redete sich alles von der Seele und Laurenz hörte aufmerksam zu, mit wachsender Bewunderung für die beiden Schwestern.

„Entschuldigung, ich rede nur über mich, was ist mit dir? Ich weiß noch gar nichts über dich. Wie bist du aufgewachsen?“

Laurenz fand nicht gleich die richtigen Worte, so sehr hatte ihn Elinas Erzählung gefesselt. „Also, ich ... tut mir leid ... ich ...“ Er räusperte sich und versuchte es noch einmal. „Also, ich bin in Notting Hill, in London, mit wohlhabenden, aus Österreich stammenden Eltern aufgewachsen. Und ich bin ein Einzelkind. Meine Mutter und mein Vater erkannten sehr bald mein Talent als Schauspieler, obwohl ich durch mein Theater eigentlich nur Aufmerksamkeit erregen wollte. Meine Eltern hatten nie Zeit für mich, sie sind richtige Karrieremenschen, meine Kindermädchen trieb ich in den Wahnsinn.“ Laurenz verdrehte die Augen, Elina musste lachen.

Er fuhr fort: „Die Kunst des Schauspielens von Kindesbeinen an zu erlernen, machte mir jedoch Spaß. Meine Eltern steckten Unsummen von Geld in meine Ausbildung und am Ziel meiner Träume, der Royal Academy of Dramatic Art in London, lernte ich Richard, deinen zukünftigen Nachbarn, kennen. Wir waren sofort beste Freunde und spornten uns zu Höchstleistungen an, hatten beide bald unseren Abschluss in der Tasche. Mein Talent war groß, Richards überragend. Ich gönne ihm von Herzen seine Engagements in weltbekannten Kinofilmen, was uns schließlich einen Umzug nach Kalifornien ermöglichte, um in Hollywood abrufbereit zu sein. Die Abwechslung und die Distanz zu meinem Zuhause kamen mir sehr gelegen. Immer wieder bekomme ich kleine Nebenrollen, da Richard für mich ein gutes Wort einlegt. Er ist bis heute mein bester Freund geblieben, sein Ruhm ist ihm nicht zu Kopf gestiegen. Und mein Erfolg lässt sich, dank Richard, ebenfalls sehen. Es könnte viel schlechter laufen.“

„Du meinst aber nicht Richard Benigna?“, unterbrach Elina Laurenz’ Redefluss.

„Genau den, seinetwegen bin ich hier.“

„Wow, ein berühmter Schauspieler wird mein Nachbar und einer, der auf dem Weg ist, weltberühmt zu werden, sitzt in meinem Wohnzimmer: Laurenz Winter“, bemerkte Elina mit einem ironischen Grinsen.

Der Geschmähte boxte ihr sanft auf den Oberarm, er benahm sich wie ein kleiner, liebenswerter Lausbube. „Das ist lieb von dir, du solltest aber keinem von Richards Plänen erzählen, er möchte hier etwas Ruhe finden. Du hättest es als Nachbarin zwar sowieso erfahren, er ist kein Typ der vollkommenen Einsamkeit. Aber er hält den ständigen Rummel um seine Person nicht mehr aus, er fühlt sich eingesperrt. Wenn er vor die Tür geht, folgen ihm sofort die Paparazzi und hartgesottene Fans. Man sagt, dass sei der Preis, den man für den Erfolg zahle, aber Richard sieht das anders. Er findet den Preis zu hoch, er wünscht sich mehr Freiheit.“

„Ich wüsste nicht, wem ich es erzählen sollte außer Ruth. Und die wird es gezwungenermaßen ohnehin erfahren.“

Laurenz strich Elina sanft über das Haar, was sie an eine warme Sommerbrise erinnerte, die sie streichelte. Wie gut tat ihr diese flüchtige Berührung. Sie stellte sich vor, wie sie über seinen Handrücken strich, aber den Mut, es wirklich zu tun, fand sie nicht.

Inzwischen war es Mittag geworden, die Zeit war wie im Flug vergangen. Wie gut tat es, einfach nur zu reden, ausnahmsweise mal keine Selbstgespräche zu führen.

„Elina, ich beende ungern unser Gespräch, aber wir sollten ein paar Erledigungen machen.“

Sie starrte erstaunt auf die Wanduhr. „Entschuldigung, ich habe nicht auf die Uhrzeit geachtet.“

„Du brauchst dich nicht zu entschuldigen, auch mich hat unsere Unterhaltung die Zeit vergessen lassen. Wir haben unsere Kindheit so nahe beieinander verbracht, aber doch so unterschiedlich gelebt. Es ist unfassbar. Aber komm, wir brechen jetzt auf!“

Elina räumte das Notwendigste auf, um anschließend in Laurenz’ Sportwagen in Richtung Stadt zu düsen. Sie genossen beide den geschäftigen Nachmittag, Elina zeigte ihm Einkaufsmöglichkeiten, den großen Supermarkt für Lebensmittel, den Bäcker mit den besten Brötchen der Stadt, den Marktplatz, wo einmal in der Woche die frische Ware der umliegenden Bauernhöfe angeboten wurde, den Metzger mit den würzigen Fleischspezialitäten, die Apotheke, die Drogerie, Bekleidungs- und Schuhgeschäfte und viele andere, die von Elina als empfehlenswert eingestuft wurden. Außerdem erwähnte sie das Rathaus, verschiedene Ärzte, den Friseur für Männer, die Wäscherei, das Fitnessstudio und noch vieles mehr. Laurenz notierte alles fein säuberlich in seinem Smartphone.

Zum Abschluss suchten sie den Makler auf, bei dem Laurenz um sechzehn Uhr einen Termin für die Hausbesichtigung hatte. Der wohlbeleibte Verkäufer, dessen Namen sich Elina beim besten Willen nicht merken konnte, fuhr in einem dunkelblauen VW Sharan voraus zu dem Anwesen, das Laurenz erwerben wollte. Sie folgten ihm.

Elina war schon oft an diesem durchaus beeindruckenden Haus vorbeigefahren, hatte es aber noch nie so bewusst wahrgenommen wie jetzt, als sie aus dem Wagen ausstiegen. Ein romantischer englischer Garten mit einem kleinen Teich, an dessen Ufer eine Trauerweide ihre Blätter ins Wasser hängen ließ. Der Holzpavillon ergänzte die Kulisse der kleinen, im neunzehnten Jahrhundert erbauten Backsteinvilla perfekt. Efeu rankte sich von zwei Seiten an den Wänden hoch. Sowohl der Garten als auch das Haus wirkte gepflegt und dürfte regelmäßig instand gesetzt worden sein.

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9783960744313
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