Kitabı oku: «Münchhausen», sayfa 13
Fünftes Kapitel
Der Jäger verdingt sich zum Wildschützen, und des Abends erzählen Knechte und Mägde die Ergebnisse ihres Nachdenkens über die moralischen Sprüche
Er fragte nämlich den jungen Mann, ehe und bevor er ihm Quartier zusagte, ob er, wie sein grüner Anzug, das Gewehr und die Weidtasche zu lehren scheine, ein Liebhaber von der Jagd sei? Jener erwiderte darauf, daß, solange er denken könne, er mit Leidenschaft, ja mit einer wahren Raserei gepirscht habe, wobei er denn freilich verschwieg, daß durch sein Pulver und Blei außer einem Sperlinge, einer Krähe und einer Katze noch kein Gottesgeschöpf vom Leben zum Tode gebracht worden war. Wirklich verhielt es sich so. Er konnte nicht leben, ohne nicht des Tages einige Male geknallt zu haben, schoß aber regelmäßig vorbei und hatte nur in seinem achtzehnten Jahre einen Sperling, in seinem zwanzigsten eine Krähe, in seinem vierundzwanzigsten eine Katze erlegt; das war alles. Ein sonderbares Ereignis vor seiner Geburt mochte ihm die bei so wenigen Erfolgen sonst unbegreifliche Neigung, wie ein Mal, aufgedrückt haben. Wenigstens hielt er selbst dafür, daß aus dieser Signatur der Hang abzuleiten sei, über den er in besonnenen Stunden höchst verdrießlich werden konnte.
Nachdem der Hofschulze die bejahende Antwort des Gastes empfangen hatte, rückte er mit seinem Antrage hervor, welcher dahin ging, daß der Jäger täglich ein paar Stunden gegen das Wild im Felde liegen solle, welches seinen Kornbreiten, besonders den die Hügel hinansteigenden manchen Schaden zufüge. »Dort in den Bergen«, sagte der alte Bauer, »sind die großen Jagden der Edelleute; die Kreaturen haben mir schon in den vergangenen Jahren Saat genug abgeatzt und daniedergewälzt, aber in diesem ist es erst recht schlimm geworden, denn der junge Graf drüben ist auch ein scharfer Jäger und hat seinen Wildstand vermehrt, so daß die Hirsche und Rehe wie die Schafe aus dem Walde treten und mein‘ Mühe und Schweiß verruinieren. Ich verstehe mich nicht auf die Sache und den Knechten mag ich es nicht gerne erlauben, weil sie unter dem Vorwande, sich auf den Anstand zu stellen, mir leicht unordentlich werden können, darum haben die Bestien mitunter gewirtschaftet, daß sich einem das Herz im Leibe umwenden mußte. Nun kommen Sie mir gerade zupaß, und wenn Sie mir diese vierzehn Tage bis zur Ernte die Höllenteufel aus dem Korne halten, so sollen Sie damit Ihr Quartier bezahlt haben.«
»Was? Ich ein Wildschütz? Ich ein Wilddieb?« rief der junge Mann und lachte so herzlich und schallend auf, daß er den Hofschulzen ansteckte. Noch lachend strich dieser über das feine Tuch, aus welchem die Kleidung seines Gastes gemacht war, und sagte: »Eben darum, weil es bei Ihnen wohl keine sonderliche Gefahr haben wird, wenn Sie auch attrapiert werden. Sie werden sich schon eher loszumachen wissen, als so ein armer Knecht. Die Fliegen fangen sich in den Spinnweben, die Wespen schlüpfen durch. Doch was ist das überhaupt ein Verbrechen, sein Eigentum gegen die Ungetüme, die es fressen und zugrunde richten, zu verdefendieren!« rief er, indem plötzlich der lachende Ausdruck seines Gesichts in den des loderndsten Zornes überging. Die Stirnadern schwollen ihm an, das Blut trat dunkelrot in seine Wangen, die Augäpfel verloren ihr Weißes und wurden rötlich; man hätte vor dem Alten erschrecken können.
»Ihr habt recht, Vater, es gibt nichts Unvernünftigeres, als die sogenannten Jagdgerechtsame«, sagte der Jäger, um ihn zu beruhigen. »Deshalb will ich die Sünde über mich nehmen, zum Frommen Eures Gutes am Wildbann der hiesigen Edelleute zu freveln, obgleich ich eigentlich dadurch — —«
Er wollte etwas hinzusetzen, brach aber schnell ab und ging auf andere gleichgültige Gegenstände über.
Wer aber glaubt, daß die Unterhaltung dieses westfälischen Hofschulzen und schwäbischen Jägers so flüssig vonstatten gegangen sei, wie meine Autorfeder sie niedergeschrieben hat, der irrt sich. Vielmehr waren noch oft mehrmalige Wiederholungen nötig, ehe und bevor ein notdürftiges Verständnis zwischen ihnen eintrat. Hin und wieder mußte selbst die Finger- und Zeichensprache zu Hilfe genommen werden. Denn der Hofschulze hatte in seinem Leben nichts von einem: ch hinter dem: s gehört, auch brachte er alle Töne hinten aus der Gurgel, oder wenn man will, aus dem Rachen hervor. Dagegen war dem Jäger das göttliche Geschenk, welches uns von den Tieren unterscheidet, ganz zwischen die Lippen und Vorderzähne gelegt worden, von wo denn die Laute mit wundersamer schwerträchtiger Fülle und sausendem Zischen ausbrachen. Aber durch diese fremden Schalen hindurch hatten der alte und der junge Mann bald aneinander Behagen gefunden. Da sie beide vom echtesten Schrot und gewichtigsten Korn waren, so mußten sie wohl einer des andern Kern erkennen.
Auf seiner Eckstube hatte jedoch der Jäger auch Schalen entdeckt, die ihn nach ihrem Kerne verlangen machten. Er sah nämlich, als er seine leichten Habseligkeiten und schweren Goldrollen aus der Jagdtasche nahm, um sich häuslich einzurichten, in der Ecke des Zimmers ein Nachthäubchen, ein Tüchlein und ein Röckchen sauber über die Lehne eines Stuhles gehängt. Alle diese Stücke waren, wie der Augenschein lehrte, getragen, dennoch leuchteten sie von Schneeweiße. »Ei!« rief der Jäger, »hat hier vor mir ein hübsches Maidel gehaust? Da werde ich schon Glück haben.« Er wollte in einer Laune, die ihn plötzlich anstieß, sich das Nachthäubchen aufsetzen, es war aber viel zu klein für sein Haupt. Er maß an der Zerknitterung der Bänder das Oval des Gesichtes ab und fand dieses ohne Tadel. Das Röckchen deutete auf den zierlichsten Leib und das Tüchlein ließ nach den Falten und nach der Beugung, die es behalten, vermuten, daß unter ihm ein junger, runder Busen geschlagen habe. Plötzlich aber errötete er unter diesen Spielereien bis hoch hinauf zu den Schläfen, er schämte sich ihrer, die ihn freventlich bedünken wollten, er stellte den Stuhl mit den Kleidungsstücken hinter einen Schirm, um sie nicht ferner zu sehen, und setzte sich zum Schreiben nieder, die schweifenden Gedanken in Ordnung zu bringen.
Als er abends in den Flur hinunter zum Essen gerufen wurde, fand er die Knechte und Mägde, die ihr Abendbrot schon früher genossen hatten, im vollen Erzählen um den Hofschulzen.
Dieser hatte auch bereits seinen Salat verzehrt, hörte zu, und bestätigte oder bestritt, was seine Moralschüler vorbrachten. Der rothaarige Knecht, welcher die Warnung vor dem Zanken erhalten hatte, sagte: »Das ist ein rechtes Glück, Baas, daß Ihr mir gerade heute die Lehre gegeben habt, denn ich begegnete, wie ich die Pferde in die Nachtweide trieb, dem Pitter vom Bandkotten, auf den ich schon längst fuchsfalsch bin, und da habe ich ihm die Nase braun und blau geschlagen.«
»Dieses ging ja aber schnurstracks gegen die Vermahnung!« rief der Hofschulze.
»Behüte Gott«, versetzte der Rothaarige. »Als zum Beispiel, so führte ich einen Zaunpfahl bei mir, um damit die Pferde einzutreiben, und wie ich nun den Pitter ansichtig wurde und ihn niedergeschmissen hatte, so dachte ich, du willst dem Hund mit dem Pfahl eins versetzen, daß er auf Lebenszeit genug hat, weil er nämlich an allen Mädchen herumkaressiert, so daß man gar nicht mehr ankommen kann. Aber da dachte ich auch, daß ich soviel darüber nachgedacht hatte: »Jach sein zum Hader, zündet Feuer an, und jach sein zum Zanken, vergießt Blut,« und gab ihm bloß einen Puff auf die Nase und damit gut, und dann noch einen Tritt ins Kreuz und ließ ihn laufen.«
»Nun insofern mag es gut sein, aber künftig kannst du auch das Puffen und Treten unterlassen, wenn du über den Spruch nachgedacht hast,« erwiderte der Hofschulze.
Der kleine Schwarzäugige, Verwegne sagte: »Meiner Treu, es ist und bleibt wahr, daß ein Sperling in der Hand besser ist, als ein Reiher auf dem Dache. Darum habe ich die Gedanken auf die Gertrud drüben eingestellt, weil sie gar zu hoffärtig ist, und auf Michael einen Verspruch mit dem Wicht von Hölschers getan, die ich kriegen konnte.«
»Magst du sie denn leiden?« fragte der Hofschulze.
»Ne«, erwiderte der Kleine, »es wird aber doch schon gehen.«
Der dicke Langsame, welcher zur Ameise geschickt worden war, ihre Weise anzusehen, erklärte, dabei nichts gelernt zu haben, »denn«, sagte er, »ich bin auf keine Ameise gestoßen.« Dagegen sagte die erste Magd: »Euer Spruch, Baas, trifft nicht zu. »Hast du Vieh, so warte sein, und trägt dir‘s Nutzen, so behalte es.« Denn ich habe die Kühe zu Abend gehörig gemelkt und abgewartet, und Nutzen würden sie mir auch tragen, aber behalten darf ich sie darum doch nicht.«
»Der Spruch geht auf eine eigene Wirtschaft, und wenn du eine bekommst, so wird er eintreffen«, antwortete der Hofschulze. »Ja so«, sagte das Mädchen. — »Aber Ihr habt eine eigene Wirtschaft, Baas, und das Vieh trägt Euch Nutzen und Ihr behaltet es, und doch wartet Ihr nicht sein.«
»Es ist ein Spruch für Frauenzimmer, nicht für Mannsleute«, antwortete der Hofschulze etwas barsch. »Und nun laß dein Fragen und schließ die Milchkammer zu.«
Das Mädchen, welches am Mittage von dem Spruche: »Es ist nichts so fein gesponnen, es kommt endlich an die Sonnen,« rot geworden war, hatte bisher seitwärts und in sich gekehrt gesessen, an ihrer Schürze gezupft und scheu vor sich nieder geblickt.
Als nun die übrigen Knechte und Mägde gegangen waren, schlich sie sich zu ihrem Herrn, zupfte ihn verstohlen am Rock und ging mit ihm vor die Türe ins Freie. Nach einiger Zeit kam der Hofschulze allein zurück und sagte zu seiner Tochter:
»Es ist richtig, die Gitta hat mir‘s eben gestanden, sie hat sich mit dem Matthies vergangen. Sprich du weiter mit ihr und sag ihr, wenn sie sich sonst ordentlich halte, wolle ich sorgen, daß der Matthies an ihr seine Schuldigkeit tue.«
»Ich habe mir‘s gleich gedacht«, antwortete die Tochter, ohne über die Entdeckung und den ihr erteilten Auftrag verlegen zu werden.
Nach ihrer Entfernung sprach der Jäger seine Verwunderung über die Gewalt aus, welche er seinen Wirt in diesem Falle hatte üben sehen. »Das ist ganz leicht«, versetzte der Hofschulze. »Ein jeder weiß, daß er nicht bei mir in Dienst bleibt, wenn ich auf ihn einen Argwohn habe, und er nicht bekennt und zu Kreuz kriecht. Tut er das aber, so vergebe ich ihm oder nehme mich seiner an. Da es mir meine Umstände zulassen, bei allem Lohn einen Taler mehr zu geben, als meine Nachbaren, so mag keiner vom Oberhof herunter. Kriege ich nun von etwas Wind, so ziele ich darauf mit einem Spruche hin, und gemeiniglich wird dann gebeichtet, weil nämlich der Sünder weiß, daß außerdem ihm der Dienst aufgesagt ist.«
Sie wünschten einander gute Nacht, und der Jäger ging auf sein Zimmer. Er entkleidete sich, schlug die Decke des Bettes zurück und sah an kleinen Fältchen der übrigens blendend weißen Leintücher, daß die Leute nicht für nötig gefunden hatten, dieselben nach dem letzten Besuche, welcher auf dieser Stube geherbergt, zu wechseln. Eine wunderbare Empfindung durchrieselte ihn; er hatte das Mädchen, welches hier geruht, schon ganz vergessen gehabt, nun fiel ihm das Nachthäubchen wieder ein, er nahm es vom Stuhl, maß abermals an der Zerknitterung das Oval des Gesichtes ab, drückte es an seine Wange, wie um sie zu kühlen, und brach plötzlich in heftige Tränen aus. Denn in dieser jungen, saftschwangern Natur lagen noch alle Widersprüche des Ernsten und Närrischen, welche das Leben später bis zur Gleichgültigkeit abdämpft, chaotisch nebeneinander.
Seine Unruhe, als er sich zwischen den Decken ausgestreckt hatte, wurde vermehrt, als er sich auf einmal erinnerte, daß er bei dem Abschiede von dem alten Jochem diesem ja gar nicht gesagt habe, wo er während dessen Spürfahrt verweilen wolle.
Sechstes Kapitel
Der Jäger schreibt an seinen Freund Ernst im Schwarzwalde
»Mentor, mein Mentor, dem leider der verständige Jüngling Telemachos fehlt, was wirst Du sagen, wenn Du meine Hand und die Überschrift des Briefes zu schauen bekommst? Du, unter Deinen Tannen und Uhrmachern, wirst mich nach Reisen und Fahrten aller Art endlich weich und still auf meiner Alm im Schlosse meiner in Gott ruhenden Väter wissen und ausrufen, nachdem Du Gegenwärtiges gelesen: »Unser Wissen ist eitel Stückwerk!« Du wirst Dir einbilden und wohlgefällig (Du Treuer!) Dir sagen, wenn Du abends in der Schreibtafel die Agenda durchstreichst, weil sie Nummer für Nummer Acta geworden sind: »Endlich wird er nun sich zur Decke gestreckt haben, des Feldbaus warten, oder eine nützliche Anlage, etwa eine Papiermühle, machen, und das heiße Blut höchstens an den Sauen und Hirschen seines Wildbanns auslassen«, und ist von allem dem nicht ein Tüttelchen wahr, obgleich ich auch hier, Gott sei es geklagt, auf die Jagd gehe, aber im Dienste eines westfälischen Bauern als Wilddieb gegen meine Herrn Standesgenossen.
Ich bitte Dich, verliere die Geduld nicht; denn wenn seltsame Dinge von der Seele heruntergebeichtet werden sollen, so darf der Sünder schon etwas stocken und zaudern, und der Beichtvater muß es sich gefallen lassen, das Tüchel lange vor dem Antlitz zu halten. In der Ohrenbeicht‘ aber fühle ich mich trotz meines guten Tübinger Protestantismus immer Dir gegenüber, wenn ich etwas habe auslaufen lassen, was nicht innerhalb der Schnur war. Die Sünde kann ich nicht verschwören, aber, ist sie begangen, so verspüre ich wie ein Gläubiger der allgemeinen Kirche ein wahres Reinigungsbedürfnis in der Seele, und mein moralischer Reiniger bist Du. Du hast mich in hundert Nöten der Art schon losgesprochen — — ach nein! das hast Du nicht, Du hast immer bitter gezankt und gescholten, aber es ist nun einmal mein Schicksal; ich kann die Last nicht bei mir verschließen, ich lege sie an der Schwelle des Tempels der Athene, heißt des wohlbekannten Oberamtmannshauses unfern der Hölle (bei Donaueschingen) nieder, und habe dann neue Kraft und frischen Mut zu Gutem und Bösem. — Also: Iterum confiteor ohne aufs Absolvo zu rechnen.
Confiteor... aber was?
Seit vierzehn Tagen aus Schwaben, liege ich seit acht hier in einem sogenannten Oberhofe unweit — —
Ich mußte gestern abbrechen, denn nachdem ich geschrieben, wo ich sei, fehlte mir auf einmal die Brücke zu der Eröffnung, warum und weswegen ich hergekommen? Ich muß also die Sache auf eine andere Weise einleiten. Trotz der bunten Schreibart, die vielleicht noch mit unterlaufen wird, bin ich ernst, klar und in mir gefaßt. Daher sollen Dir Dinge entdeckt werden, die Du wenigstens in dieser bestimmten Gestalt noch nicht von mir vernommen hast.
Die Geschichtschreiber pflegen an die Spitze ihrer Werke zuweilen allgemeine Sätze zu stellen, in denen sich der innerste Sinn der Begebenheiten, welche sie schildern wollen, ausprägen soll. Einige solcher Betrachtungen werde ich jetzt meiner Geschichtserzählung voranschicken, weil sie Dir dadurch vielleicht faßlicher wird.
Nach der scharfsinnigen und fruchtbaren Hypothese eines tiefblickenden Naturlehrers entspringen die Instinkte der Tiere aus traumartigen Vorstellungen von den Dingen, welche der Instinkt erstrebt. Der Zugvogel träumt von den fernen Gegenden, in welche er wandert, in traumartigen Umrissen sieht die sibirische Waldschnepfe die deutschen Sumpfstrecken, die Schwalbe den Küstensaum Afrikas. Traumartig schweben der Spinne die Umrisse und Radien ihres Netzes, der Biene die Sechsecke ihres Stockes vor. Es ist eine Hypothese, aber ich nannte sie sinnreich und fruchtbar, weil sie die Kreatur gerade in dem, was ihre bedeutendste Tätigkeit ist, aus der Region des Maschinenmäßigen in ein gottdurchleuchteteres Gebiet hebt.
Wir armen bewußten Menschen scheinen nun von dieser göttlichen Sicherheit des Angreifens und Fassens alles Stoffes entblößt zu sein. Aber es ist nur scheinbar. Alles Genie und Talent ist nichts weiter als Instinkt. Nenne mir den Künstler, den Dichter, der beides nicht aus sogenanntem dunklem Drange geworden wäre! Wir andern haben freilich so bestimmte Fingerzeige nicht in uns, indessen sind fast jedem Menschen — vielleicht jedem — auch ganz feste Richtungen, unverrückbare Punkte eingeboren, welche außen oft als Launen, Grillen, Seltsamkeiten, Liebhabereien erscheinen, dennoch aber vielleicht auf das allerfesteste Gesetz der Seele hindeuten. Es sind dieses nicht die sogenannten Grundsätze, Maximen, Lebensweisen, Gewöhnungen — das alles kann angebildet und angelernt werden — nein, was ich meine, ist etwas ganz anderes, aber freilich schwer zu beschreiben.
Diese Lichter des innern Menschen sind Halbträume des Instinkts. Von dem nüchternen Tagesscheine des Verstandes entscheucht, von der wühlenden Hand der Selbstbeschauung zerschlagen, wirken sie nicht so siegreich, wie bei dem Wandervogel und bei der Biene das unwiderstehliche Muß, glücklich ist aber derjenige, der die Stimme jener Träume hört und ihr folgt.
Das Genie wird geboren, sagt man, und darüber ist jeder einverstanden. Ich füge hinzu: Nicht alle werden als Genies, aber dazu wird jeder geboren, sich sein Schicksal zu machen. Selbst die willkürlich scheinenden Grillen sind zuweilen feste Wegweiser zum Glück. Erinnerst Du Dich noch des armen Tagelöhners in Ludwigsburg, welcher, sonst verständig und fleißig, sich steif und fest einbildete, im Park lägen Granaten, und der zu jeder Freistunde in den Alleen danach suchte, Kiesel und Quarz aufhob und betrachtete? Die Leute hielten ihn für verrückt, und eines Abends fand er in einem der dunkelsten Gänge, eifrigst auf Granaten erpicht, eine vollgespickte Brieftasche, die er ehrlich genug war, dem Verlierer einzuhändigen. Dieser belohnte ihn mit einem Geschenke, welches seine Umstände auf Lebenszeit verbesserte. Das Sonderbarste war, daß, sobald jener Fund getan war, sein Suchetrieb in ihm versiegte.
Ich habe nun auch in mir ganz bestimmte Instinkte, denn ich will sie nur geradezu so bei mir nennen. Meine Jagdlust mag ich nicht anführen, denn es bleibt mit der abenteuerlichen Seite der Region, welche ich Dir bezeichnete, allerdings immer etwas Mißliches, obgleich ich nicht berge, daß ich des Gedankens nicht Meister werden kann, mein beständiges Schießen und Fehlen müsse doch irgendeinen, mir freilich nicht begreiflichen Zweck haben. Aber lassen wir diesen weidmännischen Instinkt, der mir den Spitznamen: »der wilde Jäger«, bei Euch zugezogen hat, vorderhand auf sich beruhen!
Aber ein Zweites in mir ist etwas Ernsteres, und doch kein Vorsatz, keine Überzeugung, keine Leidenschaft — sondern ein wahrer Instinkt. Es ist ein unbeschreibliches Gefühl für die Frauen. So lange ich denken kann, wohnt es mir bei. Ich kann es Dir eigentlich nicht schildern. Mich durchsäuselt die Ahnung einer unendlich milden Lösung aller Schmerzen, das Vorempfinden des überschwenglichsten Erfüllens und Ergänzens, sehe ich eine Frau. Und nicht bloß Jugend und Schönheit, Reiz und Anmut bewegen meine Seele in einem Bade so erquickender Fluten, sondern in der Unscheinbarsten gewahre ich etwas Göttliches, wenn sie mir begegnet. Oft hat mich ein solches zufälliches und gleichgültiges Treffen von trüben leidenschaftlichen Aufregungen wie mit einem Zauberschlage geheilt; oft habe ich mich auch scheu vor allen weiblichen Zirkeln zurückgehalten, weil in mir etwas vorgegangen war, was ich unter Frauen zu bringen für unerlaubt hielt. Seit einiger Zeit habe ich angefangen, meine Blicke auf die Verwickelungen der Welt und Zeit zu richten. Da muß ich Dir nun gestehen, daß unter allen den Dingen, nach deren Rückkehr die Menschen seufzen, mir die Herstellung des wahren und beseligenden Verhältnisses zwischen den beiden Geschlechtern als das sehnenswerteste erschienen ist. Aber freilich mag dieser Friede wohl der Lohn sein, welcher andern, erst in den übrigen Punkten zum Frieden gelangten Zeiten aufbewahrt wird.
Dich werden diese Bekenntnisse überraschen, denn Du hast mich nicht gar zu selten rauh und tölpisch im Umgange mit Frauen gesehen, auch war ich noch nie verliebt. Vielleicht werd‘ ich es auch nie. Das schlimmste Unrecht tätest Du mir, wenn Du glaubtest, daß aus mir noch gar ein Süßling werden könnte. Nein, dazu passen wir überhaupt bei uns zulande nicht. Nimm meine Worte, wie sie geschrieben sind — sie stammeln von einem Naturgeheimnis.
Nun genug der Reflexion und jetzt eine schlichte Historie. Als ich eben nach den Gütern zurückgekehrt war, lernte ich in der Nachbarschaft meine Verwandte, Baroneß Clelia kennen, die sich früher in Wien aufgehalten hatte. Ich benahm mich gegen sie, wie es einem schwäbischen Vetter geziemte, sie desgleichen, wie meinem Mühmchen zukam. Keines von beiden dachte an eine Verbindung, wohl aber mochte der Verwandtschaft eine solche gar paßlich vorgekommen sein, denn aus freundlichen Blicken, geselligen Aufmerksamkeiten und zwei oder drei Händedrücken, wie sie ein unbefangenes Wohlwollen gibt und nimmt, war bald für uns ein Netz zusammengestrickt worden, aus welchem wir schlechterdings als Braut und Bräutigam hervorgucken sollten; und der alte Oheim fragte mich eines Tages ganz naiv, wann denn die öffentliche Erklärung vor sich gehen werde.
Wir waren gewaltig betroffen, und wie zwei Leute sonst alles mögliche anwenden, um einander habhaft zu werden, so ließen wir nichts unversucht, in der Meinung der Sippschaft voneinanderzukommen, was in der freundlichsten Einigkeit von beiden Seiten geschah. Mühmchen Clelia hatte bei diesen Lockerungsbestrebungen ein noch größeres Interesse, als ich, denn es ließ sich bald vermerken, daß ihr Herz ihr nach Schwaben nur an einem Faden gefolgt war, den ein schöner Kavalier in den österreichischen Erblanden hielt.
Bei den Anstrengungen, die wir solcherweise machten, fielen die lächerlichsten Szenen vor, insbesondere von meiner Seite, der ich für diese spitzfindigen Kombinationen der Verhältnisse gar nicht zugerichtet bin. Ich wollte alle Schuld, daß ein Schein von Neigung entstanden war, auf mich nehmen, verwickelte mich darüber in die unsinnigsten Erklärungen, bekannte mich endlich für schon anderweit im Auslande verlobt, widerrief diese Lüge im nächsten Augenblicke — kurz, ich stellte bei der ganzen Sache den Helden einer ziemlich lustigen Novelle dar.
Indessen würde diese nur im Kreise der nächsten Bekanntschaft angeklungen und verklungen sein, wenn sich nicht ein fremder Störenfried herbeigemacht und sie zur Befriedigung seines schlechten Witzes gemißbraucht hätte.
Es hielt sich nämlich damals seit einiger Zeit bei uns ein Mensch auf, namens Schrimbs, oder Peppel, wie er andererorten geheißen hat. Der Himmel weiß, wieviel Namen er überhaupt in der Welt geführt haben mag und noch führt! Schon das Äußere dieses Menschen war höchst auffallend, er sah im Gesichte ganz verwittert aus, und dennoch konnte man kein rechtes Alter an ihm abnehmen, denn trotz der Runzeln auf Wangen und Stirn war unter seinen Haaren kein weißes zu entdecken, und seine Haltung ungebeugt, sein Muskelfleisch straff, sein Benehmen jugendlich-petulant. Ich weiß nicht, wie ich dir diesen Schrimbs oder Peppel beschreiben soll; er war alles und jedes. Wie der Aal entschlüpfte sein Geist jeglichem Bemühen, ihn in einer bestimmten Lage festzuhalten, wie Quecksilber zerrann dieses kalte, schwere, und doch unendlich flüchtige und trennbare Wesen unter der leisesten Berührung in lauter perlende Kügelchen, die denn doch immer wieder zu einer größeren koagulierten. Du mußt von ihm gehört haben, denn er war nach und nach in vielen Städten unter den verschiedensten Gestalten. Vielleicht ist er sogar in Deine Nähe gekommen. In Tübingen machte er den Magister und focht sich theologisch herum, in Stuttgart abwechselnd den Politiker und lyrischen Dichter, in Weinsberg half er unserem alten Justinus noch mehr Geister sehen, als dieser schon mit seinen zwei Augen erblickt.
Dieser Mensch hatte eine Gabe zu fabulieren und zu schwadronieren, wie ich sie noch nimmer bei jemand wahrgenommen habe. Er besaß einen aristophanischen Witz, eine gaukelnde Einbildungskraft und eine unerschöpfliche Laune, vor allem aber eine Lust und Freude am Lügen, die wirklich auch genial war. Keiner achtete ihn und doch war er überall eingeführt; unsre geschlossenen Gesellschaften taten ihre Türen vor ihm auf, unsre Familien- Wein- und sonstigen Kränzchen flochten ihn sich als Blume ein, denn du weißt wohl, daß, so schwerfällig und abgesondert wir uns halten, es doch noch von je alle Scharlatane bei uns mit uns durchgesetzt haben. Man hielt ihn für nichts Besseres, als für ein Stück honnetten Gauners und doch blickte man sehnsüchtig nach ihm aus, ließ er einmal auf sich warten. Obgleich ich überzeugt bin, daß er eigentlich schlechte Streiche nirgends begangen hat, denn sonst würde er leiser, versteckter, künstlicher aufgetreten sein. Eine gewisse theoretische Unwahrhaftigkeit war in ihm zur andern Natur geworden; gegen die Gesetze wird er sich nicht verfehlt haben.
Du fragst: Wodurch fesselte er Euch denn? Ja, wodurch? Durch tolle Märchen, die er uns erzählte, durch Sarkasmen, Luftsprünge. In seinen Märchen griff er mit unerhörter Dreistigkeit das Nächste auf, oder eine öffentliche Person, und drehte und wendete und drillte sie so lange, bis sie unter seinen Händen ein phantastischer Popanz wurde, der dann, wenn man ihm näher in das Gesicht sah, in Blasen auseinanderplatzte. Mir war oft bei seinen Geschichten zumute, als sehe ich eine Wasserhose entstehen, wandeln, sich auflösen. Eine schwache Wolke schwebt über dem Meere, diese faßt mit einem langen, feinen Finger in den unendlichen Ozean, aufwärts kocht, wirbelt und tanzt das emporgestörte Wasser, es pfeift und zischt; Nebel und Schaum ringsumher, und Blitz ohne Donner! so rückt das Phantom, welches nicht Dunst und nicht Woge mehr ist, sprungweise vor, bis es plätschernd zerbricht.
Ich sagte zuweilen für mich: In diesem Erzwindbeutel hat Gott der Herr einmal alle Winde des Zeitalters, den Spott ohne Gesinnung, die kalte Ironie, die gemütlose Phantasterei, den schwärmenden Verstand einfangen wollen, um sie, wenn der Kerl krepiert, auf eine Zeitlang für seine Welt stille gemacht zu haben. Dieser Schrimbs oder Peppel, dieser geistreiche Satiricus, Lügenhans und humoristisch-komplizierte Allerwelts-Haselant ist der Zeitgeist in persona; nicht der Geist der Zeit, oder richtiger gesagt: der Ewigkeit, der in stillen Klüften tief unten sein geheimes Werk treibt, sondern der bunte Pickelhäring, den der schlaue Alte unter die unruhige Menge emporgeschickt hat, auf daß sie, abgezogen durch Fastnachtspossen und Sykophanten-Deklamation von ihm und seiner unergründlichen Arbeit, nicht die Geburt der Zukunft durch ihr dummdreistes Zugucken und Zupatschen störe. Denn zweierlei war das Merkwürdigste an dem Vagabunden: Erstens, er trug nicht reine Märchenpoesie vor, sondern die grotesken Erfindungen und Gestalten wurden von ihm mit solcher Ruhe, Überzeugung und Ernsthaftigkeit hingestellt, sie saßen ihm so in Fell und Fleisch fest, daß man in währender Erzählung zu keinem dichterischen Behagen gelangte, man mußte ihn entweder für verrückt halten, oder an seinen Sachen, wie unsinnig sich das ausnahm, auf eine Stunde glauben. Zweitens, wenn er auch meistens in seinen milesischen Fabeln die Toren und Schächer der Zeit durchnahm, so fühlte man bald — wenigstens ich hatte die Empfindung nach kurzer Bekanntschaft — daß der Hohn nicht aus einer tugendhaft-erzürnten Seele quoll, sondern aus einem Sinne, dem eigentlich das Verkehrte lieb, notwendig, Bedürfnis und Stoff des Daseins war. Und darin kennst Du nun meine Grundsätze. Ich halt‘ mich ans Positive. Begeisterung und Liebe ist die einzig würdige Speise edler Seelen. Einen Schwank mag ich wohl leiden. Aber das Spötteln, Nergeln und Grinseln um den Kehricht her, dem schon viel zuviel Ehre geschieht, wenn er nur genannt wird, ist mir im innersten Mute zuwider.
Als ich zurückkam, fand ich ihn in unserm ganzen Kreise eingebürgert. Die alten Öhme und Vettern wollten sich ausschütten über seine Einfälle oder sperrten den Mund so weit auf, als die Muskeln es vertragen wollten, wenn er ihnen ihre eigenen hausbackenen Personen, in wunderbaren Capriccios diese zurückspiegelnd, zeigte. Ich hörte mit zu, war wechselsweise von seinen Reden berauscht und unangenehm ernüchtert. Es kann selbst sein, daß ich mich Clelien nicht so genähert haben würde, hätte ich nicht bei den verzwickten Schnurren ein doppeltes Bedürfnis nach einer einfachen, wahren Geselligkeit empfunden. — Zu den Abenteuerlichkeiten des Schrimbs oder Peppel gehörte auch, daß er sich regelmäßig des Tages drei Stunden über mit drei jungen Leuten einschloß, die kurz nach ihm eingelaufen waren und die Unbefriedigten hießen. Sie sprachen nämlich nie ein anderes Wort, als: sie fühlten sich unbefriedigt, und sahen immer starr und sonderbar vor sich hin. Woher die gekommen waren, wußte auch niemand, da sie aber still und nüchtern lebten, so konnten sie nicht verdächtig erscheinen. Mit den drei Unbefriedigten schloß sich also Schrimbs, wie gesagt, täglich drei Stunden lang ein. Was sie zusammen trieben, erfuhr keiner. Aber weder ein Geschäft, noch eine Einladung, noch ein Spaziergang mit andächtigen Zuhörern, noch sonst etwas, konnte ihn abhalten, wenn die Stunde des Einschließens kam, alles aufzugeben, und in das Haus zu gehen, worin die geheimnisvollen Zusammenkünfte stattfanden. Wollte man ihn darüber ausforschen, so pflegte er mit seiner abscheulichen Ruhe und Würde zu sagen, die Unbefriedigten studierten ihn; wollte man den Sinn dieses rätselhaften Ausdrucks kennenlernen, so versetzte er gemeiniglich, es sei ihrer Studien wegen, daß sie ihn studierten, und fragte man ihn, was für Studien diese seien, so war die Auskunft: diejenigen, weswegen ihn die Unbefriedigten studierten.
Nun zum Schluß der Geschichte. Unsere ganze Nicht-Liebesnovelle, Clelias und meine, hatte er mit durchgelebt, schien indessen nicht sehr darauf geachtet zu haben. Als die Sache aber allmählig wieder in das Gleiche kam, bringt mir, wie ich mich zum Besuch in der Stadt aufhalte, Freund Pfleiderer bestürzt ein lithographiertes Blatt, worauf unser ganzes Verhältnis, alle unsere Wendungen und Schritte, um ohne Aufsehen in eine gleichgültige Ferne auseinanderzurücken, zur wildesten Bambocciade verstellt zu lesen sind. Sie hieß: »Geschichte von Gänserich und Gänschen, die sich in ihren Herzen irrten«.