Kitabı oku: «Münchhausen», sayfa 5
Aber diesem rascherblühten Lenze der Liebe folgte ein verheerender Sturm, der alle Rosen jählings zu knicken drohte. In Emerentien erwachte nämlich die ganze Dialektik feinfühlender weiblicher Herzen, wenn sie nicht wissen, was sie wollen. Die Arme fühlte sich durch einen scharfen Konflikt der Gefühle zerspalten. Der Nußknacker war ihr Ideal, ein Fürst von Hechelkram ihre Zukunft, der Birmane Rucciopuccio aus Siena die Gegenwart und Wirklichkeit. Sollte sie dem Ideale und der Zukunft untreu werden um Gegenwart und Wirklichkeit? Sollte sie Wirklichkeit und Gegenwart opfern und bei Ideal und Zukunft vielleicht eine alte Jungfer werden? Böse Wahl, schreckliche Kämpfe, die alle Götter und Dämonen ihres Busens aus dem Schlummer weckten! Eine weibliche Feder wird in einem Anhange zu den gegenwärtigen Erzählungen diesen Teil von Emerentias Geschichte ausmalen. Nur eine Schriftstellerin versteht sich auf die Entzaserung aller der geheimen Fasern und Zasern, welche das Gewebe solcher Nöte bilden.
Endlich siegten Gegenwart und Wirklichkeit über Zukunft und Ideal. Das Schicksal räumte nämlich zuvörderst das Ideal hinweg, indem es die Hand der Mutter leitete. Diese ergriff, als sie einmal sich von der Tochter unbemerkt wußte, den Nußknacker, und ließ ihn auf den Kehricht hinter dem Hotel werfen. Dahin gehörte er auch, nachdem er seine Mission erfüllt, und die Idee, deren hölzerner Träger er gewesen war, volles geschichtliches Leben in Rucciopuccio gewonnen hatte. Rucciopuccio aber schwor, als er bei seiner Geliebten auf den Grund des Kummers gedrungen war, ihr mit heiligen Eiden bei dem Affen Hannemann: Er sei eigentlich ein Hechelkramischer Fürst, ein vertauschter Knabe, durch teuflische Kabale nach Siena gebracht, und von dort zu den Birmanen verschlagen. Bald werde er nach Hechelkram zurückkehren, sein väterliches Reich unter Vorlegung authentischer Urkunden in Anspruch zu nehmen.
Zweites Kapitel
Emerentias Liebe glaubte, was Rucciopuccios Liebe beschworen hatte, besonders da der Eid auf den Affen Hannemann abgelegt worden war, der in Hindostan eines noch größeren Ansehens genießt, als je einem Affen in Europa, wo sie doch auch viel gelten, zuteil geworden ist. Alles hatte sich nun in den schönsten Einklang gesetzt; die Bestimmung der Tochter aus dem Gesamthause Schnuck, das Nußknacker-Ideal und der Fürst von Hechelkram unter der Hülle des kaiserlich birmanischen Kriegsbeamten aus Siena. Man konnte in diesem Falle sagen, die Erfüllung habe die Erwartung überflügelt.
War Emerentia in das tiefste Geheimnis ihres Rucciopuccio eingedrungen, so konnte sie sich dagegen nicht entschließen, ihm ihren wahren Namen zu entdecken. Der Geliebte war arglos und schwatzhaft; das merkte sie nach kurzer Bekanntschaft. Wie leicht war es möglich, daß er das Geheimnis ausplauderte, daß es über die Alpen zu den sechs feurigen Landjunkern drang, daß diese ihr Wort lösten, und nachgesprengt kamen, und dann — ade, du stilles Himmelsglück in Nizza! Für Rucciopuccio blieb Emerentia daher die Freiin von Schnurrenburg-Mixpickel, und hieß Marcebille, weil ihr dieser Taufname besonders süß und romantisch klang.
Es waren nun für beide Liebende die herrlichen Tage angebrochen, in welchen die Leute einander beständig beim Kopfe haben, Lippen auf Lippen pressen, in welchen, wenn die Geliebte nieset, der Liebende Äolsharfen und Engelsgesang zu vernehmen meint, und wenn der Geliebte ein Gähnen verbirgt, die Liebende einen neuen himmlischen Ausdruck in seinen teuren Zügen entdeckt, in welchen, lustwandeln sie miteinander, Sonne, Mond und Sterne beschworen werden, auf ihr Glück herabzuschauen, wenn sie sonst nichts zu sprechen wissen. Rucciopuccio und Emerentia machten alle diese Krisen der Liebe gründlich durch; besonders gingen sie viel miteinander spazieren. Er führte sie an das Meer, er führte sie auf die Alpen, er führte sie in Gärten, er führte sie in Olivenwäldchen, er führte sie bei Tage, er führte sie bei Nacht, und zärtlich rief sie oft, noch nie sei sie so anmutig geführt worden.
Ein leichtes Wölkchen am Horizonte ihrer Freuden war es, daß der Prätendent von Hechelkram nie Geld hatte. Er versicherte sie, er habe so und so viel tausend Lack Rupien vom Birmanen-Kaiser an rückständigem Solde zu beziehen, die jeden Posttag eintreffen könnten; indessen bis zum Eingange dieser Zahlung mußte sie ihm freilich mit ihrer Sparbüchse aushelfen. Als diese erschöpft war, sagte er, es müsse nun durchaus ein Wechsel des Schicksals vor der Tür stehen, und um diesem gleichsam symbolisch vorzuarbeiten, wolle er kleine Papierstreifen beschreiben, die in der Welt auch Wechsel genannt würden, weil sie die wunderlichsten Abwechselungen von Freiheit und Notwendigkeit hervorzubringen pflegten.
So flossen abermals einige Wochen in Liebesglück und Wechselverfertigung hin. Eines Abends gingen sie wieder in einer paradiesischen Gegend spazieren, angeweht von jenen Lüften dort, welche in die Brust des Kranken wie Balsam dringen, und der Wange des Gesunden gleich seidnen Händchen schmeicheln. Sie hatten sich ganz in hohe Ahnungen über Gott und Unsterblichkeit verloren, sie sprachen, daß es gleich in den Stunden der Andacht hätte abgedruckt werden können, da standen plötzlich acht Juden und sechszehn Häscher, denn jeder Jude hatte sich zwei Häscher auf den Leib gemietet, vor dem seligen Paare. Die Juden hielten Rucciopuccion ganze Hände voll symbolischer Papierstreifen unter die Augen, und die Häscher riefen auf italienisch: »Marsch!« indem sie ihre Spieße wie wegweisend ausstreckten.
»Um alle Heiligen, Geliebter!« rief Emerentia, »was ist dieses?« »Nichts, meine Teuergeschätzte, als eine höllische Kabale, Wechselarrest geheißen«, versetzte Rucciopuccio, der keinen Augenblick seine Fassung verlor. »Der Kaiser aller Birmanen ist ein Tyrann. Ein Tyrann, sage ich; ein schmählicher Tyrann! Er kann mich nicht entbehren, er reklamiert mich; ich soll ihm auch die siebente, achte und neunte Elefantenkompanie, die er inzwischen gebildet hat, organisieren helfen. Auf gradem Wege setzt er es nicht durch, da spielt er denn mit den ruppigen Juden unter einer Decke, (o wie klein für einen Kaiser!) die müssen mich hier in Wechselarrest setzen, und von da komme ich auf den Schub von Gefängnis zu Gefängnis, bis nach Hinterindien; ich sehe es voraus. O Fürstendienst! Fürstendienst! ******** Verlasset Euch nicht **** auf die Kinder der Menschen, weil bei ihnen kein Heil zu hoffen ist!«
Rucciopuccio hob bei diesen Worten die Augen gen Himmel und legte die Hand auf sein Herz, wie der Graf von Strafford, als man ihm ankündigte, daß Karl Stuart es sich gefallen lassen wolle, daß er, Strafford, sich für den König köpfen lassen wolle.
Emerentia aber näherte sich ihm zitternd, und rief: »Du verlässest mich, da — —« Sie flüsterte ihm etwas in das Ohr. Über das hellrotglänzende Antlitz Rucciopuccios legte sich eine Totenblässe, worauf ein Farbenspiel in demselben sichtbar ward, welches von allen sonst in menschlichen Gesichtern vorkommenden Färbungen so sehr abwich, daß selbst die Juden und Häscher erstaunt zurücktraten, und Emerentia außer sich hätte geraten müssen, wäre sie nicht mit sich und ihrem Geschick zu sehr beschäftigt gewesen.
Rucciopuccio erholte sich aber bald wieder, und sagte zu Emerentien mit ruhiger Freundlichkeit: »Dieses sind natürliche Folgen natürlicher Ursachen, die kein weiser Mann bestaunt. Verlasse dich auf mich, Marcebille, ich sprenge die Ketten des Tyrannen, ich komme wieder als Hechelkramischer Fürst, und hole dich ab von dem Schlosse deiner Väter zu Schnurrenburg. Der Geist legt mir ein Trostlied auf die Lippen, bewahre es im tiefsten Schrein des Herzens als heiliges Gemütsgeheimnis; daran wollen wir uns einst wiedererkennen:
Einst liebtest du den Nußknacker,
Nach dem Nußknacker liebtest du mich;
Nun holet das Schicksal, der Racker,
Erst den Nußknacker, dann holt es mich!
Der Nußknacker sank auf den Kehrich,
Und mich rauben die wilden Birmanen;
Nußknacker kehrt nicht, aber kehr‘ ich,
Hol‘ ich ab dich vom Schloß deiner Ahnen!
Die Häscher verhinderten die Fortsetzung dieser Ode, indem sie ihn abführten. Emerentia sank in Ohnmacht. Zwei Juden brachten sie ihren bestürzten Eltern.
Drittes Kapitel
Weitere Nachrichten von dem alten Baron und seinen Angehörigen
Als die Eltern nach einer ziemlich trübseligen Reise mit Emerentien wieder auf dem Schlosse Schnick-Schnack-Schnurr angekommen waren, wollten die feurigen Landjunker ihre unterbrochnen Werbungen erneuern, aber das verstimmte Fräulein wies sie jetzt noch entschiedner zurück, als früherhin. Ihre Gesundheit hatte offenbar durch den Kummer gelitten, die Züge des Gesichtes nahmen oft einen seltsamen Ausdruck an, die Speisen machten ihr Widerwillen, sie befand sich hin und wieder sehr übel. Der alte Baron ließ einen Arzt kommen; der Arzt sprach mit dem Fräulein unter vier Augen, kam mit einem länglichten Gesichte aus dem Zimmer und sagte zu den Eltern: »Die Luft von Nizza ist ihr zu nahrhaft gewesen, das ist eine Luft für Schwindsüchtige, aber nicht für Vollblütige, es entstand eine Überfüllung von Säften in ihr, sie muß in eine zehrende Luft, in ein anderes Bad, da kommt alles wieder in das Gleichgewicht. Auch allein muß sie reisen, damit sie Trübsal hat und Sehnsucht, dann zehrt sie um so eher ab.« Die Eltern glaubten dem guten verständigen Arzte, und ließen Emerentien in ein anderes Bad, worin eine zehrende und abmagernde Luft wehte, reisen, ganz allein ließen sie sie reisen, weil der Arzt es so haben wollte.
Die Kur mußte sehr gründlich und nachhaltig vorgenommen werden, wenn sie anschlagen sollte; das Fräulein blieb deshalb viele Monate lang im Bade. Dann kam sie zurück, gesünder und wohler, als sie je zuvor gewesen war. Auch ihre Stimmung hatte sich ganz wieder erheitert; sie lebte in dem festen Vertrauen, daß Signor Rucciopuccio als glücklicher Prätendent von Hechelkram eines Tages ankommen werde, sie aus dem Schlosse abzuholen. Die Mutter sagte: »Wenn das ist, so steht alles wohl, dann hast du in Nizza nur deine Bestimmung erfüllt.«
Viele Jahre verflossen seitdem. Der alte Baron war nun wirklich ein alter Baron, Fräulein Emerentia eine alte Jungfer geworden, die alte Baronesse aber inzwischen an einem erblichen Familienübel des Zweiges Schnuck-Muckelig-Pumpel gestorben. Die Jahre hatten das Alter gemehrt und die Gelder gemindert, woraus sich aber der Baron wenig machte. Sagte ihm sein Rentmeister: »Herr Baron, die Pächte und die Zinsen reichen nicht zu«, so war die Erwiderung: »Tut nichts, wenn alles aufgezehrt ist, gehe ich in das höchste Kollegium, und lebe von meiner Besoldung; ich bin geborner Geheimer Rat. Geld muß ich haben, also verkauft nur einige liegende Gründe, lieber Rentmeister.«
Der Rentmeister richtete sich nach diesen Worten, und verzettelte nach und nach alle liegenden Gründe, die zum Schlosse gehörten, Felder, Wiesen, Triften, Holzungen. Als er das letzte Stück losgeschlagen hatte, trat er wieder zu dem alten Baron in das Zimmer und sagte: »Ew. Gnaden, mit den liegenden Gründen wären wir nun fertig; ich begehre meinen Abschied, denn wo keine Renten sind, da ist kein Rentmeister mehr vonnöten.«
»Sehr wahr!« versetzte der alte Baron, »so wahr, als wie, daß zweimal zwei vier tun; ich will Euch ein Attest schreiben über wohlgeführte Administration; was mich betrifft, so gehe ich jetzt in das höchste Kollegium und werde Geheimer Rat.«
Ach! aber als er nach dem höchsten Collegio fragte, so war ein solches nicht mehr vorhanden, und als er nach den Fürsten von Hechelkram fragte, so sagte man ihm, die hätten längst aufgehört zu regieren, und als er sich bei dem Reichstage erkundigen wollte, wie er seine wohlhergebrachten Ansprüche durchzusetzen habe, so hörte er, das deutsche Reich wäre schon vor so und so vielen Jahren einmal unversehens dem Kaiser unter den Händen weggekommen. »Sonderbar!« rief der alte Baron, »wie ist das nur zugegangen?« Er versank in tiefes Nachdenken, und dachte mehrere Jahre lang darüber nach, wie nur das deutsche Reich habe wegkommen, der Hechelkramische Fürstenstamm aufhören können, zu regieren, und wie es möglich sein sollte, daß er nicht mehr geborner Geheimer Rat im höchsten Collegio sei? Für die beiden ersten Probleme fand er zuletzt noch eine Lösung, aber das letzte, das Geheimrats-Problem blieb ihm unlösbar, und deshalb kam er endlich auf den Gedanken, die gegenwärtigen Verhältnisse seien nur ein kurzer Übergang, die alte, gute Zeit stehe schon wieder vor der Türe, und werde bald anklopfen. Mit diesem Gedanken erhielt er seine ganze Heiterkeit zurück. Er nahm sich vor, in der daraus entspringenden Überzeugung zu leben und zu sterben.
Inzwischen waren die Brillanten, Perlen, Roben und Spitzen der seligen gnädigen Frau vertrödelt worden, dann wurde das eiserne Gitterwerk von der Pforte abgebrochen und, benebst den Pflastersteinen des Hofplatzes, samt allen entbehrlichen Hausmobilien, nach und nach in Geld umgesetzt. Derweilen biß auch der Wappenlöwe in das Gras, darauf bröckelte der Bewurf von den Wänden, und dann wich die Giebelmauer gefährlich aus ihrer lotrechten Stellung, ohne daß eine Reparatur versucht werden konnte, weil die rohen Handwerksleute nur, wenn sie Geld sehen, Hand und Fuß regen.
Viertes Kapitel
Die blonde Lisbeth
In dem nach und nach sotanerweise herabgekommenen sogenannten Schlosse Schnick-Schnack-Schnurr mußte sich der alte Baron mit seiner Tochter Emerentia, die seit dem Eintritte in die stehenden Jahre so sehr an Fülle zunahm, wie die Mittel abnahmen, kümmerlich und einsam behelfen. Die Jagd hatte natürlich aufgehört, weil die Waldgründe verschwunden waren, in denen dieses Vergnügen sich betreiben läßt, und an Spiel war auch nicht mehr zu denken; man hätte um Rechenpfennige die Stiche machen müssen. Allmählig waren daher auch die Freunde seltener geworden, zuletzt blieben sie ganz aus, waren auch wohl zum Teil gestorben. Vater und Tochter hätten sich am Ende den Kaffee und die spärlichen Mahlzeiten selbst bereiten müssen, denn auch die Bedienten und Mägde schlichen sich allgemach aus Mangel der Bezahlung weg, wäre diesem dürftigen und zusammensinkenden Haushalte nicht eine Stütze in der blonden Lisbeth erwachsen, welche, sobald sie die Hände zu Dienstleistungen zu regen imstande war, dem alten Baron und dem Fräulein wie die geringste Magd aufwartete, kochte, wusch, säuberte, dabei aber immer hold und freundlich aussah, und wenn sie das Schwerste verrichtet hatte, so tat, als habe sie nichts getan.
Die blonde Lisbeth war ein Findelkind. Ein altes Weib hatte einst vor Jahren eine große Schachtel, mit kleinen Löchern versehen, auf das Schloß gebracht, sie einem Bedienten übergeben, und ihm gesagt, darin sei ein Geschenk für den Herrn, welches ein guter Freund schicke. Indem nun der Bediente die Schachtel zu dem gnädigen Herrn hineintrug, fing das Geschenk darin an, sich zu regen, und ein feines Geschrei zu erheben. Der Mensch hätte es bald vor Schreck zu Boden fallen lassen, besann sich indessen doch, und setzte die Schachtel vorsichtig auf einen Tisch in des gnädigen Herrn Zimmer. Der alte Baron öffnete den Deckel, und ein kleines Mägdlein von höchstens sechs Wochen streckte ihm aus den Lümpchen, womit der arme Wurm kümmerlich bekleidet war, wie hülfeflehend die Ärmchen entgegen, indem die kleine Kehle sich wacker in den ersten Lauten übte, welche die Menschheit von sich gibt.
Übrigens lag das Kindlein weich in Baumwolle gebettet. Sonst aber fanden sich durchaus keine Amulette, Kleinodien, Kreuze, versiegelte Papiere, welche auf den Ursprung des kleinen Wesens hindeuteten, und ohne welche ein wohlkonditionierter Romanenfindling sich eigentlich gar nicht sehen lassen darf. Kein Mal unter der linken Brust, kein eingebranntes, oder eingeätztes Zeichen am rechten Arme, von welchem sich dermaleinst im Schlafe das Gewand verschieben konnte, daß jemand, der zufällig die Schlafende sieht, Soupçon bekommt, und weiter nachfragt, wie? oder wann? und so fort — kurz nichts, gar nichts, so daß mir selbst um die Wiedererkennung bange wird.
Nur ein graues Blatt Papier lag in der Schachtel, mit der Nachricht beschrieben, daß das kleine Mädchen christlich getauft sei und Elisabeth heiße. Die Worte waren kaum leserlich; der Schreiber hatte offenbar seine Hand verstellt. Ringsumher in den Ecken des Blattes wimmelte es von Buchstaben, Krähen- und Krackelfüßen, die aber trotz aller Bemühungen, sie zusammenzustellen, sich denselben ebensowenig fügten, als die Charaktere, welche auf dem Papiergelde sich zerstreut vorzufinden pflegen. Dieses Blatt war um einen Zylinder geschlungen, welcher zwei optische Gläser einfaßte. Der alte Baron nahm den Zylinder, blickte durch das Okularglas, richtete das Perspektiv gegen das Freie, um sich die Erläuterung des Fundes aus der Luft zu holen, aber soviel er auch richtete und durchblickte, er bekam nichts, als blaue Luft und verworren-schwimmende Gegenstände zu sehen.
Über diesen vergeblichen Anstrengungen, die Krackelfüße zusammenzustellen, und durch das optische Glas die Wahrheit zu entdecken, war wohl eine halbe Stunde vergangen, während welcher der Baron noch gar nicht dazu gekommen war, sich nach dem Geber der vor ihm liegenden Gottesgabe zu erkundigen. Auch der Bediente, der mit aufgesperrtem Munde bald das Kind, bald die Anstrengungen seines Gebieters betrachtete, hatte bisher verabsäumt von dem alten Weibe zu reden. Endlich verfiel der alte Baron auf die unter den obwaltenden Umständen so natürliche Frage, der Bediente gab die Auskunft, die er erteilen konnte, wurde der Spitzbübin nachgesandt, rannte einen halben Tag lang in allen Richtungen umher, kam aber unverrichteter Sache zurück, denn er hatte weder das alte Weib gesehen, noch jemand getroffen, der sie gesehen hätte.
Inzwischen waren die Frauen, die alte Baronesse, welche damals noch lebte, und Fräulein Emerentia, in das Zimmer getreten, und der alte Baron, der mit seiner eigenen Verwunderung noch zu schaffen hatte, mußte jetzt dem Sturme von Ausrufungen und Fragen Rede stehn, welcher über die Lippen der Gemahlin und Tochter strich. Eine Dienerin war gefolgt und sorgte, während die Herrschaften über die Exegese des Ereignisses verhandelten, für die notdürftige Fütterung und Stillung des noch immer schreienden Kindes.
Als dieses still, lächelnd und schlummernd wieder in seiner Schachtel lag, setzte sich die Familie um den Tisch, worauf letztere stand, zu einer Beratung nieder, was mit dem Findlinge zu beginnen sei. Der Haus- und Schloßherr, dessen Torheiten nur von seiner unverwüstlichen Gutmütigkeit übertroffen wurden, war sofort der Meinung, daß das Kind zu behalten, und wie ein eignes aufzuziehen sei. Seine Gemahlin leistete ihm einigen Widerstand, bequemte sich indessen doch bald zum milderen Entschlusse, da ihr einfiel, daß der ältere Zweig der graumelierten Linie, der Zweig Schnuck-Muckelig-Pumpel selbst mütterlicherseits von einem Findlinge abstamme, in welchem eine Tochter hoher Herkunft gesteckt habe. Den heftigsten Einspruch hatte er von Emerentien zu erleiden. Das Fräulein war nach ihrer zweiten Badereise so überaus tugendsam, zartsinnig und verschämt geworden, daß auch die entfernteste Beziehung auf die Verhältnisse, durch welche wir entstehen und werden, sie tief verletzen konnte. Sie mochte die Blumen nicht mehr leiden, seitdem ihr ein durchreisender Professor die Bedeutung der Staubfäden auseinandergesetzt hatte, sie war vom Tische aufgestanden, als man erzählte, daß die braune Diane sechs Junge geworfen habe, und hatte vor ihrem Fenster Scheuchanstalten besonderer Art gegen die Sperlinge anbringen lassen, um die Schnäbeleien nicht mit ansehen zu dürfen, womit diese Tiere nach der Lebhaftigkeit ihres Naturells leider gegeneinander nur zu freigebig sind.
In dem Findlinge ahnete sie nun, wie sie sagte, (und die Ahnung der Frauen ist stets sicher und wahr) eine Frucht verbotener Liebe. Worte, die sie vor Scham kaum hervorzubringen vermochte! Sie erklärte, daß sie eine solche nur mit Abscheu anzusehen vermöge, daß ihr das Verbleiben der Kreatur unerträglich sein werde. Sie beschwor ihren Vater, das Kind einer öffentlichen Anstalt zu übergeben. Aber der alte Baron blieb fest bei seinem Vorsatze, und da die Mutter, wie schon berichtet worden ist, auch auf seine Seite getreten war, so mußte sich Emerentia endlich, wiewohl mit großem Widerwillen, fügen.
Diesen ließ sie aber in der Folge auf jede Weise an dem Kinde aus, und selbst, als die blonde Elisabeth, oder Lisbeth, wie sie im Schlosse genannt wurde, heranwuchs, und das beste, zutätigste Wesen wurde, mochte sie sich selten dazu verstehen, ihr einen gütigen Blick zu gönnen. Lisbeth dagegen war durch nichts in den sonderbaren Neigungen, die ihr die Natur vorgezeichnet zu haben schien, irre zu machen. An dem Fräulein, die ihr so übel begegnete, hing sie mit einer unglaublichen Zärtlichkeit, sie verrichtete freudig das Schwerste für sie, ließ sich von ihr schelten, und lächelte danach noch eins so freundlich, wogegen sie dem alten Baron, der doch eigentlich ihr alleiniger Beschützer und Wohltäter war, nur eine Empfindung widmete, welche die Grenzen der Dankbarkeit nicht überschritt.