Kitabı oku: «Münchhausen», sayfa 58
Sechstes Kapitel
Ernste und feierliche Erklärungen zwischen der Baronesse und dem Oberamtmann
Die junge Dame Clelia hatte inzwischen die ermüdendsten Tage verlebt. Das Medizinieren unterhielt sie wohl anfangs, indessen war doch der Reiz der großen Arzeneiflasche, welche der alte Silen gefällig verschrieben hatte, bald abgebraucht. Sie fand, daß die Mixtur nach gar nichts schmecke und ließ sie, nachdem sie einige Eßlöffel voll zum Teil eingenommen hatte, ärgerlich zum Fenster hinauswerfen. Sie sagte, sie wolle die Naturkräfte walten lassen, die ganze ärztliche Kunst sei Scharlatanerie.
Es fiel ihr ein, daß sie einige Briefschulden abzutragen habe; Fancy mußte daher das mit gepreßtem braunem englischem Leder überzogene und mit Goldstäben gezierte Reiseschreibzeug auf den Tisch setzen, öffnen, die feinen roten, gelben und blauen Briefblättchen, die Stahlfedern mit silbernem Griff, die Oblaten von Mundlack mit Devisen und den bronzenen Briefbeschwerer herausnehmen. Als dieser geschmackvolle Apparat bereitgestellt war, erklärte Clelia, daß sie nicht wisse, was sie aus dem elenden Orte schreiben solle. Fancy packte still den bronzenen Briefbeschwerer, die farbigen Blättchen, die Oblaten und die Stahlfedern ein, schloß das Schreibzeug zu und stellte es wieder weg.
Gern wäre Clelia mit ihrem Vetter öfter zusammengekommen, aber es blieb bei kurzen, formellen Besuchen, denn ihre Gutmütigkeit konnte im Bewußtsein dessen, was geschehen sollte, eine befangene Stimmung nicht überwinden. Auch Oswald war einsilbig; er sehnte sich nach Lisbeth und entbehrte sie schmerzlich. Diese blieb mehrere Tage lang aus, und die Qual des Harrens gab der jungen Baronesse die übelste Laune, die sich plötzlich gegen das arme Kind wendete.
»Fancy«, sagte sie am dritten Tage, »wenn das Mädchen morgen nicht kommt, wenn ich noch länger hier herumgeführt werde, so fürchte ich bei der Unterredung von meiner Heftigkeit.«
»Es wäre nicht zu verwundern, wenn die gnädige Frau heftig würden, denn so lange auf sich warten zu lassen, ist unerlaubt«, erwiderte Fancy.
Die junge Dame bedachte sich und sagte: »Aber wenn mir recht ist, so habe ich ihr ja gar nicht ankündigen lassen, daß ich mit ihr reden wollte.«
»Nein, sie weiß nichts davon«, sagte Fancy.
»Nun, so darf ich ihr ja auch deshalb nicht zürnen!« rief Clelia zornig.
»Wenn Sie sonst nicht wollen, gnädige Frau, nein.«
Der Stramin, dieser Zeitvertreiber, wurde abermals zur Hand genommen. Clelia nähte eine halbe Dreifaltigkeitsblume, seufzte aber plötzlich, ließ den Stramin in den Schoß sinken und sagte gepreßt und schwer: »Edmund kann es nie verantworten, was er an mir getan hat.«
Fancy seufzte auch und sprach: »Ich hätte das nimmermehr von dem Herrn gedacht.«
»Jungfer«, sagte ihre Gebieterin mit einem strengen Tone, »ich verbitte mir alle Bemerkungen über meinen Gemahl.«
»O mein Gott!« rief Fancy und weinte, »nun sehen die gnädige Frau, was es zur Folge hat, wenn Herrschaften ihre Untergebenen durch zu große Güte verziehen. Ich erlaube mir schon Bemerkungen über den gnädigen Herrn.«
Sie schluchzte und konnte sich über ihren Fehler gar nicht zufriedengeben.
»Laß es doch nur gut sein, das Schluchzen!« rief Clelia ärgerlich. — »Ich habe mich jetzt ganz kurz entschlossen. Meine Gesundheit kann ich hier nicht zusetzen. Ich werde die Sache doch dem Oberamtmann überlassen.«
Fancy war die Beredsamkeit selbst, diesen Entschluß zu loben. »Ja«, sagte sie nach einer preisenden Rede über die doch stets so richtigen Gedanken der Herrin, »ja, der Herr Oberamtmann mag nur die Leutchen, die nicht zusammengehören, auseinander bringen. Für die gnädige Frau paßt das auch nicht, Sie haben zu so etwas Feinem und Verwickeltem keine Anlage, nicht ein Kind könnten Sie, wenn es eine dumme Unart auslassen will, davon abhalten, aber der Herr Oberamtmann ist darauf gewitzigt, o der hört das Gras wachsen und macht einen mit der feinen List nach seiner Pfeife tanzen, wie er will. Ich wette darauf, womit Sie sich in Gedanken schon drei Tage lang ängstigen, das hat er morgen in einem Viertelstündchen fertig; die Mamsell reist sacht ab, weint ein paar Tränen, trocknet sie auf der nächsten Station, den jungen Herrn Grafen wird er auch bald herum haben, denn er besitzt einen ganz außerordentlichen Verstand in dergleichen Sachen, und so klug Sie sind, gnädige Frau, darin stehen Sie ihm nach. — Nein, Ihre Gesundheit dürfen Sie nicht zusetzen und noch dazu umsonst, denn es würde Ihnen schwerlich glücken, aber der Herr Oberamtmann ist der Mann dazu. Gleich hole ich ihn her, damit Sie ihm Ihre veränderte Meinung sagen können.«
Die Baronesse hätte gern den unaufhaltsamen Fluß dieser Reden gehemmt, es war ihr aber nicht möglich, Fancys Zunge zum Schweigen zu bringen. Jetzt endlich konnte sie zum Worte kommen. Hochrot, und mit den kleinen Füßen stampfend, rief sie: »Nein! Nein! Nein! du sollst den Oberamtmann nicht holen, ich bin ebenso klug als er, Fancy bleib hier, Fancy! Fancy!« — Aber Fancy hörte nicht, sondern sprang fort. — »Gott!« rief Clelia fast weinend vor Verdruß, »es ist doch zu arg mit einer solchen Gans von Mädchen, die immer das Echo von einem macht, da bringt sie wahrhaftig den Aktenmenschen schon herauf; der Himmel sei ihm gnädig, wenn er sich über mich mokiert! Aber was sage ich ihm? denn nicht um die Welt lasse ich ihn sich einmischen.«
Der Oberamtmann betrat mit Fancy das Zimmer. Fancy hatte ihm wirklich gesagt, die gnädige Frau wisse sich durchaus keinen Rat, die Mesalliance zu hindern, und der erfahrene Geschäftsmann konnte seinen Triumph darüber nicht verbergen. Es wäre möglich gewesen, daß Clelia ihm dennoch die ganze Angelegenheit in seine Hände zurückgegeben hätte, aber dann mußte er sich respektvoll, ernst und zurückhaltend nehmen. Er kam jedoch schmunzelnd, mit einer gewissen Überlegenheit in Blick und Haltung, er nahm sich vor, einen Scherz aus der Sache zu machen, sie nicht zu wichtig zu nehmen. Es war der erste Scherz, den der arme Oberamtmann auf der Reise ausgehen ließ und Ort und Stunde konnten dazu nicht unglücklicher gewählt sein.
Sobald Clelia das Schmunzeln ihres Geschäftsfreundes und ehemaligen Nebenvormundes sah, sobald sie bemerkte, daß er ihr leichthin imponieren wolle, und gar, als sie mit weiblicher Ahnungsgabe seine Absicht, scherzen zu wollen, spürte, kehrte sie in den Besitz ihrer ganzen Festigkeit zurück, die wir an ihr zu bewundern schon mehrmals Gelegenheit gehabt haben.
Er trat ihr nahe und sagte lächelnd: »Nun, liebes Kind, muß der Ritter von der traurigen Gestalt dennoch vorrücken?« — Er wollte ihre Hand ergreifen. Clelia zog sie zurück und entfernte sich von ihm. Seine früheren Beziehungen zu ihr hatten ihm das Recht vertraulicher Anreden gegeben, und wie oft war von ihm dieses Recht geübt worden! Aber heute wollte Clelia nicht sein liebes Kind sein, heute verlangte sie die volle Courtoisie und Titulatur von ihm.
Er folgte ihr nach. — »Clelchen«, sagte er noch schmunzelnder, »es ist mir lieb, daß Sie einsehen, für dergleichen nicht zu passen. Nun, schämen Sie sich nur nicht; Don Quixote tritt vor den Riß.« — Abermals trachtete er nach ihrer Hand, die er zärtlich küssen wollte, denn Geschäftsmänner sind nie galanter, als wenn sie den Gegenstand ihrer Aufmerksamkeit in Verlegenheit sehen. Clelia riß jedoch beinahe ihre Hand zurück und rief mit scharfem Akzent: »Herr Oberamtmann, ich weiß durchaus nicht, was Sie bei mir und von mir wollen!«
Der Oberamtmann machte ein Gesicht, ähnlich dem, was er zu machen pflegte, wenn einer seiner Inkulpanten, von dem er behaglich das unumwundenste Geständnis erwartete, plötzlich sich auf ein entschiedenes Leugnen verlegte. — Er sah Clelia starr an, dann ging er im Zimmer auf und nieder. Hierauf nahm er den Stramin in die Hand, als ob dieser ihm einen Faden in dem Labyrinthe darleihen könne, dann öffnete er das Schreibzeug und blickte tiefsinnig das farbige Postpapier an, endlich stellte er seine Uhr, obgleich sie richtig ging. Nach diesen vorbereitenden Handlungen trat er vor Clelia und sagte mit dem tiefsten Ernste: »Gnädige Frau, ich bin kein Narr.«
Clelia versetzte nicht minder ernsthaft: »Und ich bin nicht Ihr liebes Kind und nicht Ihr Clelchen, Herr Oberamtmann.«
Die Feierlichkeit dieser gegenseitigen Äußerungen war so groß, daß Fancy ein Lachen verbeißen mußte. Es trat wieder ein langes Schweigen ein. Endlich unterbrach es der Oberamtmann und sagte: »Ich muß Sie ersuchen, bis morgen abend die Einwilligung der sogenannten Braut, welche wie ich höre, heute abend zurückkommen wird, herbeizuschaffen. Wofern Umstände dies verhindern sollten, so werden Sie entschuldigen, wenn ich das Versprechen Ihrer Mühwaltung in der Sache, als von Ihnen widerrufen betrachte und mich derselben unterziehe.« — Nach diesen Worten, die er gemessen und kalt vorgebracht hatte, empfahl er sich mit einer steifen Verbeugung.
Clelia kam an diesem Abende nicht zu Tische. Fancy suchte sie durch eine Vorlesung zu zerstreuen. Sie las ihr nämlich ein vierzehn Tage altes rheinisches Zeitungsblatt vor, welches auf dem Zimmer lag. Sie las es von Anfang bis zu Ende, erst las sie von den Verwickelungen im Orient, dann von den Kreuz- und Querzügen der Christinos und Karlisten, dann, wie liebenswürdig sich der und der da und da benommen, dann von der soundsovielsten großen ministeriellen Krisis in Frankreich, endlich von einigen deutschen Händeln. Hierauf ging sie zu den Anzeigen über, an deren Spitze die Verkündigung von Assisen in Elberfeld stand. Es folgten zu vermietende Wohnungen, brave Mädchen sagten, daß sie gut nähen und bügeln könnten und ein Anstreicher suchte einen gesitteten Jüngling für sein Geschäft. Später sehnte sich jemand nach einem entflogenen Kanarienvogel, einem anderen war dagegen ein brauner Dachshund zugelaufen. Dazwischen fuhren die Dampfschiffe regelmäßig alle Morgen, auch waren rein gehaltene Bleicharte zu haben, wobei aber ein zweifelsüchtiger Leser ein großes Fragezeichen mit Rotstift gesetzt hatte. Zuletzt wurde Harmoniemusik an verschiedenen Orten gemacht, und dazu der Saison angemessene Speise dargeboten.
Clelia widmete dieser ganzen Vorlesung wenig Aufmerksamkeit. Nur als sie von den Assisen hörte, mochten ihre Gedanken, welche sich noch immer ärgerlich bei dem Oberamtmann aufhielten, angeregt werden, weil sie ihn so oft sehnsüchtig davon hatte reden hören. Sie rief: »Nun dahin könnte man ihn ja gleich schicken, wenn er sich hier lästig machen will!«
Spät hörte man einen Wagen vorfahren. Lisbeth kehrte zurück.
Clelia befahl ihrer Jungfer, das Mädchen gegen die Mittagsstunde des folgenden Tages zu ihr zu rufen, »denn«, sagte sie, »wenn man jemand wider seinen Willen zu etwas bestimmen will, so darf man ihn nicht im Negligé empfangen.« Sie ging mit vieler Würde zu Bett und dachte in dieser Nacht, wenn sie erwachte, nicht einmal an ihren pflichtvergessenen Gemahl, sondern nur an die Aufgabe des folgenden Tages.
Siebentes Kapitel
Was Lisbeth auf die Ermahnungen zu einer uneigennützigen und entsagenden Liebe antwortete
Fancy nahm im ersten Morgenstrahl von dem Blumenbrette vor ihrem Fenster, wo der Diakonus einige seiner schönsten Exemplare aufbewahrte, ein prächtiges Myrtenbäumchen herein, musterte die längsten und frischesten Zweige, an denen sich zugleich Knöspchen und runde frische Blüten befanden, wehte mit einem leichten bunten Federwedel etwas Staub, der sich auf die Blätter gesetzt hatte, ab, summte dazu, aber so leise, daß ihre Gebieterin nebenan es nicht hören konnte, die alte »veilchenblaue Seide« aus dem »Freischützen«, lächelte, seufzte dann, legte die Hand auf die Brust und ließ das Myrtenbäumchen im Zimmer stehen, um es gleich zu haben, wie sie für sich sagte. Hierauf ging sie zu Lisbeth, und richtete ihre Bestellung aus. Lisbeth war ernst und wehmütig, denn sie hatte bei dem alten Pfleger eine trübe Probe zu bestehen gehabt. Fancy wollte ihr etwas sagen, aber diesem ernsten Antlitze gegenüber erstarb ihr schlaues Wort auf der Lippe.
Die junge Dame, der im wahren Interesse ihres nächsten Verwandten ein so schwieriges Geschäft oblag, erhob sich und sagte nach dem Frühstück: »Fancy, was ziehe ich denn wohl heute an?« — »Gnädige Frau«, erwiderte Fancy, »Sie müssen ganze Toilette machen.« — »Nun, nur nicht zu übertrieben«, sagte die Baronesse. »Nein, nicht zu übertrieben«, versetzte Fancy.
Sie kramte hierauf in den Koffern und Kartons und nahm den gewähltesten Putz heraus. Zum Anzuge bestimmte sie das noch nicht getragene prächtige Kaschmirkleid von violetter Farbe mit einer Schnippentaille, und fügte dem Kleide einen weißen Mousseline-de-Soie-Schal hinzu. Unter den Strümpfen suchte sie die feinsten à jour gewebten aus und unter den Schuhen ein Paar von schwarzem Atlas. Kurze weiße Handschuhe mit Spitzen garniert nahm sie aus einem Karton. Als es nun an die Musterung des Schmuckes ging, so schien ihr eine schwere Chatelaine mit goldenen und silbernen Gliedern, gotischem Schloß und Medaillon schicklich zu sein. Drei Armbänder dünkten ihr nicht zuviel, eins mit Steinen, deren Anfangsbuchstaben den Namen: Clelia zusammensetzten, ein prächtiges Geschenk des abwesenden Herrn und zwei einfachere, das eine ein schlichter Goldreifen, das andere mit Türkisen besetzt. Für die Haarflechten legte sie eine goldene Kette zurecht; ein blitzendes Diadem wollte sie nachfolgen lassen, bedachte sich aber noch zur rechten Zeit, daß man im Guten zuviel tun könne und stellte es wieder beiseite. Es versteht sich, daß ein gesticktes Taschentuch vom feinsten Batist nicht vergessen wurde.
Während dieser ernsten und gründlichen Vorbereitung rüstete sich Clelia ebenfalls und zwar in höherer Weise zu der Unterredung mit Lisbeth. Sie las einen Roman und erwog dabei, was sie dem Mädchen sagen wollte. In der Tat war Oswalds Abenteuer so sehr gegen alle Voraussetzungen seiner Verhältnisse, daß ihr die stärksten Gründe, hergenommen aus dem Wesen uneigennütziger Liebe, echten Schicklichkeitsgefühls und frommer Ergebung in reicher Fülle zuströmen mußten; Gründe, die nach ihrer Meinung eine schlagende Wirkung auf ein edles weibliches Gemüt nicht verfehlen konnten. Sie erging sich mit Wohlgefallen in den Reden, welche diese Gründe näher entwickeln sollten, und las dazwischen immer einige Seiten des Romans. Da er zu denen gehörte, welche bei uns zweite Auflagen erleben, so leitete er ihre Gedanken von dem Gegenstande, der ihre Seele beschäftigte, nicht ab. Sie war so sehr in ihr Vorhaben vertieft, daß sie auf Fancys Tun und Treiben nicht achtete und des Fluges der Stunden ebenfalls nicht inneward, die unter solchen Übungen innerer Beredsamkeit rasch zu verfließen pflegen.
Fancy mußte sie erinnern, daß die Zeit gekommen sei, sich kleiden zu lassen. Noch immer in ihre Gedanken und Gründe verloren widmete sie dem Anzuge keine Aufmerksamkeit. Sie ließ die einfachen Strümpfe von den zierlichen weißen Füßen streifen und diese mit den spinnwebenfeinen durchbrochenen bekleiden, es fiel ihr nicht auf, als Fancy, nachdem sie die Flechten gemacht, dieselben mit der goldenen Kette umwand, sie schlüpfte in das prächtige Kaschmirkleid, empfing die schwere Chatelaine um die schöne Taille, und ließ sich den Schal von Mousseline-de-Soie um Hals und Schultern legen, ohne bei einem dieser Stücke eine Erinnerung zu machen. Nur als ihr Fancy die weißen garnierten Handschuhe mit blaßroten Bandschleifen brachte, stutzte sie und sagte: »Fancy, das sind ja Ballhandschuhe.«
»Gnädige Frau«, versetzte Fancy ernst, »sie gehören zur vollen Parüre.«
Clelia musterte sich, trat vor den Spiegel und rief: »Mein Gott, der Anzug ist ja viel zu recherchiert! Du hast mich geputzt, als führen wir zu Liechtensteins in die Soirée. Den Augenblick ein anderes Kleid her, die Chatelaine fort, die Goldkette aus den Flechten!«
»O Himmel, was habe ich wieder gemacht!« jammerte Fancy. »Ich dummes Mädchen!« — Es klopfte. — »Ach! Ach! Da ist die Lisbeth schon!«
»Hinaus, sag ihr —«
»... daß die gnädige Frau zu recherchierte Toilette gemacht hätten, sich einfacher anziehen müßten...« Fancy wollte fort.
»Bleib!« rief Clelia außer sich. »Du wärest albern genug, auch so etwas zu sagen. Ich glaube, du hast in dem Neste deinen Verstand verloren. — Es klopft schon wieder... Sie hat uns reden hören, es fällt mir kein Vorwand ein. — Ach, du Imbezille, in welche Verlegenheit setzest du mich! Handschuhe!«
»Hier«, sagte Fancy.
»Weg damit! Soll ich wie eine Opernprinzessin dasitzen, welche sehen lassen will, wie freigebig ihre Liebhaber sind? Willst du mir nicht auch noch gar einen Fächer in die Hand geben? — Schwarze, bescheidene!«
»Schwarze, bescheidene!« rief Fancy und brachte die Verlangten.
»Armband!«
Fancy knüpfte mit unerhörter Schnelligkeit die drei Armbänder um, während Clelia nach der Türe sah.
»Fertig?«
»Ja.«
»Herein! — Himmel, du hast mir ja drei Armb-« aber sie vollendete das Wort nicht und der Überfluß des Armschmuckes war nicht mehr zu beseitigen. Denn schon trat Lisbeth herein. Es war ein großer Gegensatz, diese schlanke, vornehme junge Gestalt im einfachen Gewande der etwas zu kleinen und vollen Baronesse im höchsten Putz gegenüber. Sie trat bescheiden aber sicher auf, Clelia wollte sich anfangs Airs geben, dieses Bestreben zerbrach indessen sogleich an ihrem grundguten Wesen. Sie reichte verlegen-freundlich Lisbeth die Hand, setzte sich ins Sofa, ließ einen Sessel stellen und flüsterte Fancy zu, sie solle sich in ihrem Zimmer nebenan aufhalten. Als ob es zufällig geschähe, breitete sie ihr Taschentuch aus und entzog dadurch wenigstens die Pracht der Chatelaine und der Armbänder (denn sie wußte auch die linke Hand mit dem Tuche zu bedecken) den Blicken Lisbeths. Wie viel würde sie darum gegeben haben, wenn sie statt des Kaschmirkleides das von Mousseline-de-Laine angehabt hätte! Der volle Putz raubte ihr die Hälfte ihrer Festigkeit. Sie suchte eine Zeitlang vergebens nach einem schicklichen Anknüpfungspunkte des Gesprächs und so saßen beide, als Fancy sie allein gelassen hatte, eine Zeitlang schweigend einander gegenüber. Lisbeth sah vor sich hin und hatte keine Ahnung von dem, was folgen sollte, denn Clelia war ihr immer gütig begegnet.
Endlich sammelte sich diese so weit, um die Unterredung beginnen zu können. Sie sagte ihrem Besuche, daß bis jetzt der Gedanke an Oswalds Krankheit alle anderen Vorstellungen in den Hintergrund gedrängt habe, daß aber nun mit seiner Herstellung die Verhältnisse des Lebens in ihr Recht wieder einzutreten begännen, und daß sie daher wünsche über die Gestaltung der Zukunft mit ihr ein ebenso ernstes als vertrauliches Wort zu reden. — Da sie diesen Eingang zwar mit aller ihr zu Gebote stehenden Würde aber doch höchst liebreich vorgebracht hatte, so konnte Lisbeth denselben nur für eine Vorrede zu freundlichen Erklärungen ansehen. Schüchtern versetzte sie, daß die Baronesse ihr mit solchen Worten eine große Freude mache, und faßte nach Clelias Hand, um sie zu küssen. Indem sie aber ihre Lippen der Hand näherte, fiel ihr ein, wer sie durch Oswalds Liebe sei, sie richtete sich daher sanft auf und ließ die Hand Clelias fallen, welche ein Erstaunen über diesen Hergang nicht verbergen konnte.
»Nun also, mein Kind, wie soll denn das nun werden?« sagte Clelia, etwas verlegen mit dem Schal spielend.
Lisbeth errötete, senkte ihr Haupt wieder und versetzte: »Von der Zeit unserer Verbindung ist zwischen uns noch nicht die Rede gewesen, zwischen dem Grafen und mir.«
»Verbindung!« rief Clelia lebhaft. »Ei! Ei! mein liebes Kind, Sie sprechen ja von der Verbindung mit meinem Vetter, als sei diese eine ausgemachte und sich von selbst verstehende Sache.«
Lisbeth hob langsam ihr Antlitz empor, sah Clelien mit großen Augen an und fragte: »Wovon wollten Sie denn mit mir reden, gnädige Frau?«
Die Wirkung einer einfachen aber zur rechten Zeit angebrachten Frage ist oft groß. Clelia hatte sich auf eine begeisterte Versicherung, auf flammende Reden gefaßt gemacht und würde diesen Gluten mit gleichem Feuer begegnet sein. Nun aber sollte sie schlichtweg sagen, was sie wolle? und diese Zumutung setzt in vielen Lagen des Lebens in eine nicht geringe Verlegenheit. An ihr war jetzt die Reihe, die Augen niederzuschlagen; sie sprach, daß man es hätte ein Stottern nennen können: »Sie scheinen gar nicht erwogen zu haben, Lisbeth — denken Sie nur nicht, mein liebes Mädchen, daß ich Sie kränken will — Nein gewiß nicht — und wären Sie nur — so wäre ich ja voll Freude — indessen gibt es doch Dinge in der Welt — unwiderleglich vorhandene Dinge — Dinge, Lisbeth — mein Gott, Sie müssen mich ja wohl verstehen...«
»Ja, gnädige Frau, ich verstehe Sie nun«, sagte Lisbeth mit einem Tone als unterdrücke sie ein stilles Weinen.
»Auf denn also, Lisbeth, Mut!« rief Clelia, Atem schöpfend. — »Nur zeigen darf man einem so reinen Gemüte das Richtige, und es ergreift es. Die wahre Liebe liebt das Glück des Geliebten. Und das Glück? Ist es ein trunkener Augenblick, ist es die Aufwallung der Flitterwochen? Ach nein. Das wahre Glück besteht doch zuletzt nur in der Harmonie mit allen Verhältnissen des Lebens; in dem Gefühle von dieser Harmonie. Sie dem Gegenstande der Neigung unverstimmt zu lassen, das ist Liebe, das ist tugendhafte Liebe. Sie fühlen ja nun selbst, teure Lisbeth, was ich gern unausgesprochen lasse. — Es geht nicht, es geht wahrhaftig nicht. Mein Gott, wären Sie doch nur — aber — Sie empfinden es, wenn Sie meinen Vetter aufrichtig lieben, so dürfen Sie ihn nicht heiraten. Und nun kommen Sie, mein armes Kind, kommen Sie an meine Brust, und weinen Sie sich aus, denn wahrhaftig, ich weiß mit Ihnen zu empfinden.«
Sie breitete ihre Arme gegen Lisbeth aus. Diese lehnte aber mit einer demütigen Bewegung das Liebeszeichen ab und sagte: »Gnädige Frau, entschuldigen Sie, wenn ich an dieser Stätte noch nicht zu ruhen wage. — O mein Gott, wie weit sind wir auseinander, wie hätte ich das mir denken können, und wie soll ich es nun anfangen, alles, was mir im Herzen wogt, Ihnen auszusprechen und dennoch die Bescheidenheit gegen Sie nicht zu verletzen? — Sie wüßten mit mir zu empfinden? Gnädige Frau, ich wenigstens weiß mit Ihnen nicht zu empfinden.«
»Wie? Sie fühlen keine Verpflichtung, ihm zu entsagen?« fuhr Clelia auf.
»O nein! nein! nein!« rief Lisbeth mutig. »Diese Verpflichtung fühle ich durchaus nicht, Frau Baronesse. Entsagen soll ich ihm, das ist Ihre Meinung. Und warum? Daß der Findling nicht in das Haus der Grafen Waldburg eindringe, daß der Graf Oswald eine Gräfin heiraten könne oder eine Fürstin, daß er in Harmonie bleibe, wie Sie es nennen, mit den Verhältnissen des Lebens. Ja, ich weiß, so steht es geschrieben oft in den Liebesgeschichten, die ich gelesen. Das Mädchen hält eine schöne Rede von Entsagung und von Pflicht und dann verhüllt sie sich und geht weg und der Liebste sieht sie nie wieder. Gnädige Frau, wenn die Leute, die solche Geschichten aufschreiben, das nicht aus ihrem Kopfe erfinden, so sind solche Mädchen ungereimte Mädchen, abscheuliche Mädchen, Verräterinnen an ihren Liebsten! — Glück? — Ich kenne nur ein Glück und nur ein Elend! Und mein Glück ist, wenn ich mit Oswald zusammenbleibe und sein ehrlich Weib werde und das Elend des Gegenteils kann ich gar nicht ausdenken, denn es ist unsäglich. So also steht es mit mir. Und von ihm sollte ich geringer denken, als von mir? Von ihm, der mich sein Leben, seine Zuversicht genannt hat? Worte sollten das gewesen sein, Worte eines, der nicht weiß, was er spricht? Nein, ein treuer Mensch sagte sie, ein wahrer, ein aufrichtiger Mensch. Die Entsagung, welche Sie von mir verlangen, wäre ja also das schwerste Verbrechen, das ich nur an Oswald begehen könnte. Ich würde sündig an seiner unsterblichen Seele, zugäbe ich, daß ihm ein Name, ein Wappen werter sei, als das Heiligtum seiner Empfindungen! Zur Schelmin würde ich an dem Herzblute meines Bräutigams, welches seine Lippen verschütteten, weil er einen Tag lang sich nicht in Lisbeth zu finden wußte. Zu Tode wollte er sich bluten, weil ich in meiner dummen Torheit die Breite eines Landweges zwischen uns gesetzt hatte! Und er sollte leben bleiben, wenn ich die Welt und das Schweigen und die Finsternis zwischen uns würfe! Nein! Ich entsage ihm nicht, nicht entsage ich ihn in das Elend und in die Leere hinein!«
»Gott wird Sie aufklären!« eiferte Clelia. »Gott wird diese Trugschlüsse der Leidenschaft zunichte machen! Das ist eben deren Entsetzliches, daß nichts für sie vorhanden ist als sie, nicht Erde nicht Himmel, und daß sie sich so in die greuliche Öde hineinstürmt, daraus nachher kein Entrinnen! — Aber Gott wird Ihnen beistehen, wird Sie schirmen vor dem geistigen Tode. Sie sind fromm, ich sehe Sie in die Kirche gehen, Sie im Gesangbuche lesen. Gott wird ein Licht in Ihrer Seele anzünden.«
»Gott ist bei mir in dieser Stunde, er legt mir die Worte auf meine einfältigen Lippen«, erwiderte Lisbeth. — »Ich weiß nicht ob ich fromm bin, kümmerlich bin ich herangewachsen, aber zur Kirche habe ich mich freilich gehalten und an den Allmächtigen glaube ich. Jedoch, seit ich Oswald liebe, habe ich nur ein Gebet und das lautet: »Vater sei mit ihm und mir!« — Ich bete nicht für ihn allein und nicht für mich allein, sondern für uns beide bete ich, und das, meine ich, ist das Licht, welches Gott mir in der Seele entzündet hat. Die Erde sehe ich unter mir, den Himmel über mir, und wo wehet der Sturm, der mich fortstürmt?«
Leidenschaftlich rief Clelia: »Bedenken Sie doch nur seine Verhältnisse, bedenken Sie seine Verwandten, von denen die meisten so stolz sind, bedenken Sie unseren König, bedenken Sie endlich Oswalds eigenes Herz, das von äußeren Umständen, vom Widerspruch mit den Forderungen der Welt so leicht in Verlegenheit gesetzte Herz eines Mannes, sehen Sie doch um des Himmels willen die Dinge, wie sie sind!«
»Ja, gnädige Frau, ich sehe die Dinge, wie sie sind, nicht wie sie scheinen. Hätte er noch Eltern, so wäre es etwas anderes. Der Eltern Macht ist von Gott, das weiß ich, obgleich ich Arme keine hatte. Entsagen würde ich ihm zwar immer nicht, wenn er auch noch Vater und Mutter besäße, aber geduldig harren und zu ihm sprechen: »Oswald, harre auch du in Geduld, bis Gott deiner Eltern Sinn wendet.« Jedoch so! Verhältnisse und immer Verhältnisse! Ei, ist es nicht auch ein Verhältnis, wenn ich seine Frau bin? Also Verhältnis gegen Verhältnis, und wir wollen erwarten, welches das mächtigere und bessere sei! — Nehmen seine stolzen Oheime und Tanten ihn in ihre Arme, daß er darin ruhe und lächle und wachse und gedeihe? Nein. Aber ich werde es tun. Baut ihm Ihr König sein Haus auf? Nein. Aber ich werde es tun mit des Himmels Hülfe. Und wenn er einmal so schwach sein wollte, verlegen auszusehen über mich, denn es ist möglich, daß Sie darin recht behalten — nun, der Schwäche wird eben die Stärke beigesellt! Ich werde seine Stärke sein, ich werde ihn fragen: »Oswald schämst du dich meiner?« Und wahrlich, gnädige Frau, auf die Frage wird er ja sagen, aber er wird sich ermannen und für alle Zeiten den unwürdigen Kleinmut ablegen.«
Clelia wurde immer erbitterter. »Ich würde mich tief gedemütigt fühlen durch einen Gatten so hoch über meinem Stande«, sagte sie herb und schneidend.
»Das kann wohl sein«, versetzte Lisbeth. »Darin hat jeder seinen eigenen Sinn. Ich fühle mich gar nicht gedemütiget dadurch, daß er ein großer Graf ist und ich ein geringes Mädchen ohne Herkommen bin. Er könnte noch zehnmal größer sein und ich würde dennoch keine Demütigung empfinden. Ja, ich weiß, es hat auch Mädchen gegeben in meiner Lage, die winselnd sprachen: »O wärst du ein armer Hirt, mein hoher Liebster!« — Ich aber, ich wünsche mir ihn gar nicht zum Hirten herunter; nicht soll er seine Größe ablegen um meine Kleinheit! Sondern das ist eine neue Seligkeit für mich, daß er so vornehm ist, und mich emporhebt aus meiner Niedrigkeit und mich zur Gräfin macht und auf sein hohes Schloß führt. Ach, ich will ja nichts mehr von mir oder durch mich, sondern alles nur von ihm, alles, alles, neben seinem Gefühle auch Ruhm, Ansehen, Reichtum! Je mehr er mir gibt, desto beglückter fühle ich mich. Denn seine Liebe ist überströmendes Geben und meine durstiges, lechzendes Empfangen. Ich bin sein Geschöpf, er ist mein irdischer Schöpfer; Gott schafft mich durch ihn zum zweiten Male. Unter den Flügeln der Liebe will ich schlummern und träumen, auf der Höhe, wohin mich diese Schwingen tragen, erwachen, und sie mit frohem Lerchengesange als die Wohnstätte begrüßen, die mir mein Schicksal anwies.«
Noch schneidender sagte Clelia, vielleicht um eine entgegengesetzte Regung, die sich anmelden mochte, zu verbergen: »Es ist allerdings höchst wohlfeil und bequem, auf solche Art eine schrankenlose Zärtlichkeit zu beweisen.«
Aber Lisbeth blieb ganz ruhig und antwortete im mildesten Tone: »Gnädige Frau, das kam nicht aus Ihrem Herzen. Sie sagten es nur, weil Sie sich so in den Eifer gegen mich hineingesprochen haben. — Wir sind hier zwei Frauen allein, kein Mann hört uns und deshalb darf ich wohl dreister reden, als sich sonst für mich ziemte. Ich weiß nicht, wie mir wird, mein Auge schwimmt, und meine Lippe fühl‘ ich zittern; zum Äußersten haben Sie mich gebracht, hören Sie denn das Äußerste, was ein Mädchen sprechen kann. Bin ich‘s noch selbst? Wie kommen mir solche Gedanken? Aber Sie sollen sie hören. — Sie sind Frau, und Sie waren Mädchen. Bebten und erröteten Sie nicht, wenn Sie nur dachten, daß eine andere Hand als die Ihrige Ihre Schulter berühre? Und nun haben Sie Ihrem Gemahle Seele und Leib ergeben, Ihre Person haben Sie ihm hingegeben und Ihre jungfräuliche Ehre! Sind wir darin nicht gleich? Hat die Braut eines Kaisers etwas Höheres als die Majestät ihrer jungfräulichen Ehre? Ich bin eine Jungfrau, meine gnädige Baronesse. In der Ehre der Jungfrau fühle ich mich geadelt und der Braut des Kaisers gleich. Demütig nehme ich alles an von Oswald, aber nicht gedemütiget, mit freudigem Stolze kann auch ich Mitgift nennen und Eingebrachtes, denn was Ihr Vetter mir geben mag, ich gebe ihm stets doch mehr, als er zu geben jemals imstande sein wird.«