Kitabı oku: «Thomas More und seine Utopie», sayfa 2
Im Mittelalter finden wir bornierten Partikularismus, Kleinstädterei einerseits und andererseits einen Kosmopolitismus, der den Bereich der ganzen abendländischen Christenheit umfaßte. Das Gefühl der Nationalität war dagegen sehr schwach.
Der Kaufmann kann sich nicht auf einen kleinen Bezirk beschränken, wie der Bauer oder der Handwerker, die ganze Welt muß ihm womöglich offen stehen; immer weiter strebt er, immer weitere Märkte sucht er zu erschließen. Im Gegensatz zum Zunftbürger, der oft sein ganzes Leben lang nicht das Weichbild seiner Stadt überschritt, sehen wir den Kaufmann rastlos nach unbekannten Gegenden drängen. Er überschreitet die Grenzen Europas und inauguriert ein Zeitalter der Entdeckungen, das in der Auffindung des Seewegs nach Indien und der Entdeckung Amerikas gipfelt, das aber, strenge genommen, heute noch fortdauert. Auch heute noch ist der Kaufmann und nicht der wissenschaftliche Forscher die Triebkraft der meisten Entdeckungsreisen. Der Venetianer Marco Polo gelangte schon im dreizehnten Jahrhundert nach China. Zehn Jahre nach Marco Polo wurde bereits von kühnen Genuesen ein Versuch gemacht, den Seeweg nach Indien um Afrika herum zu machen, ein Unternehmen, das erst zwei Jahrhunderte später gelingen sollte. (Vergleiche Sophus Ruge, Geschichte des Zeitalters der Entdeckungen. Berlin 1881. S. 23.) Von größerer Bedeutung für die ökonomische Entwicklung war die Anbahnung des direkten Seeverkehrs von Italien nach England und Holland, die gegen Ende des dreizehnten Jahrhunderts den Genuesen und Venetianern gelang. Dadurch wurde der Kapitalismus in diesen Ländern des Nordwestens ungemein gefördert.
An Stelle der Fesselung an die Scholle setzte der Handel einen Kosmopolitismus, der sich überall wohlfühlte – wo es etwas zu verdienen gab. Gleichzeitig aber setzte er der Universalität der Kirche entgegen die Nationalität. Der Welthandel erweiterte den Gesichtskreis der abendländischen Völker weit über den Bereich der katholischen Kirche hinaus und verengte ihn gleichzeitig auf das Gebiet der eigenen Nation.
Das klingt paradox, ist aber leicht zu erklären. Die kleinen, selbstgenügsamen Gemeinwesen des Mittelalters standen nur wenig, wenn überhaupt, in einem wirtschaftlichen Gegensatz zueinander. Innerhalb dieser Gemeinwesen gab es wohl Gegensätze, aber die Außenwelt war ihnen ziemlich gleichgültig, solange sie von ihr in Ruhe gelassen wurden. Für den Großkaufmann ist es dagegen nicht gleichgültig, welche Rolle das Gemeinwesen, dem er angehört, im Ausland spielt. Der Handelsprofit entspringt daraus, daß man so billig als möglich kauft, so teuer als möglich verkauft. Der Profit hängt viel davon ab, in welchem Machtverhältnis Käufer und Verkäufer zueinander stehen. Am profitabelsten ist es natürlich, wenn man sich in der angenehmen Lage befindet, einem Warenbesitzer seine Waren ohne jegliche Entschädigung wegnehmen zu können. In der Tat ist der Handel in seinen Anfangen sehr oft gleichbedeutend mit Seeraub. Das zeigen uns nicht bloß die homerischen Gedichte. Wir werden noch im dritten Abschnitt sehen, daß auch im England des sechzehnten Jahrhunderts der Seeraub eine beliebte Form »ursprünglicher Akkumulation« des Kapitals war und deshalb Staatshilfe genoß.
Mit dem Handel entsteht aber auch die Konkurrenz innerhalb der Reihen der Käufer wie der Verkäufer. Auf dem auswärtigen Markte werden diese Gegensätze zu nationalen Gegensätzen. Der Interessengegensatz zum Beispiel zwischen dem genuesischen Käufer und dem griechischen Verkäufer in Konstantinopel wurde zu einem nationalen Gegensatz. Auf der anderen Seite wurde der Interessengegensatz zwischen genuesischen und venetianischen Kaufleuten auf demselben Markte ebenfalls zu einem nationalen Gegensatz. Je mächtiger Genua gegenüber Venedig sowohl als dem griechischen Reiche war, desto bessere Handelsprivilegien durfte es in Konstantinopel erwarten. Je größer, je mächtiger das Vaterland, die Nation, desto größer der Profit. Heute noch ist der Chauvinismus nirgends größer, als unter den Kaufleuten im Ausland, und heute noch gilt die »Ehre der Nation« engagiert, wenn es einem »nationalen« Kaufmann im Ausland erschwert wird, die Leute dort übers Ohr zu hauen.
Durch die Entwicklung des Welthandels entstand somit ein mächtiges ökonomisches Interesse, welches das bis dahin lockere Gefüge der Staaten festigte und konsolidierte, aber auch ihre Abschließung voneinander und damit die Spaltung der Christenheit in mehrere schroff voneinander gesonderte Nationen begünstigte.
Der Binnenhandel trug, nachdem der Welthandel erstanden war, nicht weniger zur Erstarkung der Nationalstaaten bei.
Der Handel strebt naturgemäß danach, sich in gewissen Stapelplätzen zu konzentrieren, Knotenpunkten, in denen die Straßen eines größeren Gebiets zusammenlaufen. Dort sammeln sich die Waren des Auslandes, um von diesem Zentralpunkt aus über das ganze Land durch ein weitverzweigtes Netz von Straßen und Wegen verbreitet zu werden. In demselben Knotenpunkt sammeln sich die Waren des Inlandes, um von da nach dem Ausland zu wandern. Das ganze Gebiet, das ein solcher Stapelplatz beherrscht, wird ein wirtschaftlicher Organismus, dessen Zusammenhang um so enger, dessen Abhängigkeit vom Zentralpunkt um so stärker wird, je mehr die Warenproduktion sich entwickelt und die Produktion für den Selbstgebrauch verdrängt.
Aus allen Gegenden des vom Zentralpunkt beherrschten Gebiets strömen die Menschen in jenem zusammen; die einen, um dort zu bleiben, die anderen, um nach verrichteten Geschäften wieder heimzukehren. Der Zentralpunkt wächst, er wird zu einer Großstadt, in der sich nicht nur das wirtschaftliche, sondern auch das davon abhängige geistige Leben des von ihm beherrschten Landes konzentriert. Die Sprache der Stadt wird die Sprache der Kaufleute und der Gebildeten. Sie fängt an, das Lateinische zu verdrängen und Schriftsprache zu werden. Sie fängt aber auch an, die bäuerlichen Dialekte zu verdrängen: eine Nationalsprache bildet sich.
Die Staatsverwaltung paßt sich der ökonomischen Organisation an. Auch sie wird zentralisiert, die politische Zentralgewalt nimmt ihren Sitz in dem Mittelpunkt des wirtschaftlichen Lebens, und dieser wird zur Hauptstadt des Landes, das er jetzt nicht nur ökonomisch, sondern auch politisch beherrscht.
So bildete die ökonomische Entwicklung den modernen Staat, den Nationalstaat mit einer einheitlichen Sprache, einer zentralisierten Verwaltung, einer Hauptstadt.
Dieser Entwicklungsgang ist vielfach heute noch nicht abgeschlossen; er wurde mehrfach durchkreuzt, aber seine Richtung ist bereits am Ende des fünfzehnten und Anfang des sechzehnten Jahrhunderts in den Staaten Westeuropas deutlich zu erkennen, und vielleicht gerade deswegen um so deutlicher, weil der Feudalismus damals noch das ökonomische Leben und, kraft der Tradition, in noch größerem Maße die Formen des geistigen Lebens stark beeinflußte. Was sich einige Menschenalter später von selbst verstand, hatte damals noch sein »Recht auf Existenz« zu erweisen und ebenso die Hinfälligkeit des Alten, das es vorfand. Die neue ökonomische, politische und geistige Richtung mußte sich Bahn brechen durch das Bestehende, sie hatte polemisch aufzutreten und deutete daher vielfach ihr Ziel schärfer an als im folgenden Jahrhundert.
Es ist einleuchtend, daß der eben geschilderte Entwicklungsprozeß dem Königtum, oder besser gesagt, der Gewalt des Landesherrn überhaupt förderlich sein mußte überall dort, wo diese noch einen Rest von Kraft bewahrt hatte. Es war natürlich, daß die neue politische Zentralgewalt sich um die Person des Landesherrn kristallisierte, daß er die Spitze der zentralisierten Verwaltung und Armee bildete. Seine Interessen und die Interessen des Handels waren die gleichen. Dieser brauchte einen zuverlässigen Feldherrn und eine starke Armee, die entsprechend dem Charakter der ökonomischen Macht, deren Interessen sie diente, für Geld gemietet war – ein Söldnerheer gegenüber den Gefolgschaften und Aufgeboten des feudalen Grundbesitzes. Der Handel bedurfte der Armee zur Wahrung seiner Interessen nach außen wie nach innen: zur Niederwerfung von konkurrierenden Nationen, zur Eroberung von Märkten, zur Sprengung der Schranken, welche die kleinen Gemeinwesen innerhalb des Staates dem freien Handel entgegensetzten, zur Handhabung der Straßenpolizei gegenüber den großen und kleinen Feudalherren, die dem Eigentumsrecht, das der Handel proklamierte, eine kecke Leugnung, und nicht bloß eine theoretische, entgegensetzten.
Mit dem internationalen Verkehr wuchsen auch die Anlässe zu Reibungen zwischen den verschiedenen Nationen. Die Handelskriege wurden immer häufiger und heftiger. Jeder Krieg aber vermehrte die Gewalt des Landesfürsten und machte sie immer absoluter.
Wo es an einem legitimen, das heißt herkömmlichen Fürstentum fehlte, dem diese Entwicklung hätte zugute kommen können, führte sie oft zum Absolutismus der Führer der Söldnerscharen, deren die Staaten bedurften. So in verschiedenen Republiken Norditaliens.
Aber das neue Staatswesen bedurfte des Fürsten nicht nur als obersten Kriegsherrn. Es bedurfte seiner auch als des Herrn der Staatsverwaltung. Der feudale, partikularistische Verwaltungsapparat war im Zusammenbrechen, aber der neue, zentralistische Verwaltungsmechanismus, die Bureaukratie, war erst in den Anfängen. Der politische Zentralismus, der für die Warenproduktion mit entwickeltem Handel an der Schwelle der kapitalistischen Produktionsweise eine ökonomische Notwendigkeit war, um die ökonomische Zentralisation zu fördern, wie er umgekehrt durch diese bedingt und gefördert wurde, dieser Zentralismus bedurfte in seinen Anfängen einer persönlichen Spitze, die kräftig genug war, um die Einheit der Verwaltung gegenüber den auseinanderstrebenden Elementen, namentlich des Adels, aufrecht zu halten. Diese Kraft besaß nur der Herr der Armee. Die Vereinigung aller Machtmittel des militärischen und administrativen Apparats in einer Hand, mit anderen Worten, der fürstliche Absolutismus war eine ökonomische Notwendigkeit für das Zeitalter der Reformation und noch weit darüber hinaus. Es kann dies hier nicht stark genug hervorgehoben werden, da manche von Mores Handlungen und Schriften uns völlig unverständlich, ja vom modernen Standpunkt aus widersinnig erscheinen müssen, wenn wir diesen Punkt außer acht lassen.
Es erschien damals, und in den meisten Fällen war es auch, hoffnungslos, ohne oder gar gegen den Fürsten etwas im Staate unternehmen zu wollen. Was immer im Staate geschehen sollte, mußte die Sanktion des Landesherrn erhalten haben.
Je stärker der fürstliche Absolutismus im Staate wurde, desto mehr wurde er den Interessen des Kapitals dienstbar, damals vor allem dem Handel und der hohen Finanz. Nicht nur wurden die Interessen von Kapital und Fürstentum bis zu einem gewissen Grade immer mehr identisch, dieses wurde auch immer abhängiger von jenem. Die Macht der Fürsten hörte in demselben Maße immer mehr auf, auf ihrem Grundbesitz zu beruhen, in dem der Welthandel wuchs. Immer mehr wurde das Geld die Grundlage ihrer Macht. Ihre Größe beruhte wesentlich auf ihrer Armee und ihrer Hofhaltung. Beide kosteten Geld, viel Geld. An Stelle der feudalen Kriegführung trat eine neue, dieser überlegene, welche die reichen Städte entwickelt hatten. Diese setzten dem zuchtlosen Ritterheer nicht nur eine strammdisziplinierte Infanterie entgegen, sie nahmen auch die Errungenschaften der neuen Technik in ihren Dienst und wurden dem Rittertum furchtbar durch ihre Artillerie.
Damit wurde der Krieg eine Sache des Geldes. Nur derjenige konnte sich den Luxus eines Krieges erlauben, der Geld genug besaß, um Fußknechte und Schützen anzuwerben und große Waffenvorräte zu halten.
Dazu kam die Kostspieligkeit der Hofhaltungen. Die Interessen des Handels wie des Fürstentums erforderten es, daß der Trotz des Feudaladels gebrochen werde, sie forderten jedoch nicht seine Vernichtung, sondern nur seine Anpassung an die neuen Verhältnisse. Der Adel sollte nicht länger auf seinen Burgen hausen, ein zahlreiches Gefolge ernährend, unnütz, ja gefährlich für Königtum und Handel.
Der Adel sollte an den Hof des Fürsten, unter dessen Aufsicht, in seinen Dienst; statt seine Einnahmen zur Haltung von eigenen Armeen zu verwenden, sollte er sie am Hofe im Luxus verprassen, er sollte sie zum Ankauf gerade derjenigen Waren verwenden, auf deren Verkauf der Welthandel, die Profite des Kaufmanns beruhten. Eine englische Parlamentsakte von 1512, die die Formalitäten der Verzollung von Gold- und Silberstoff, Goldbrokat, Samt, Damast, Atlas, Taft und anderen aus Seide und Gold gewirkten Stoffen regelte, erwähnt unter anderem, daß oft in einem Schiffe 3000 bis 4000 Stück solcher Gewebe nach England kamen. (G.L. Craik, The history of british commerce. 1. Band, S. 217.)
Der höfische Luxus des Adels förderte ja Handel und Königtum in gleicher Weise: er vermehrte die Profite und schwächte den Adel finanziell, machte ihn von Geldbewilligungen des Königs und dem Kredit der Kaufleute abhängig und beiden dienstbar.
Mit allen möglichen Mitteln förderten damals Kaufmannschaft und Königtum die Verbreitung des Luxus, vor allem durch ihr eigenes Beispiel. Mit allen möglichen Mitteln wurde der Adel aus seinen Burgen an den Hof gezogen; wenn's sein mußte, mit Gewalt; womöglich durch Ehrenbezeugungen und die Anlockungen, die eine raffinierte Üppigkeit gegenüber einfacher Roheit bot.
Aber wenn auf der einen Seite das Königtum den Adel zur Entfaltung von Luxus durch sein eigenes Beispiel anspornte, so andererseits wieder der Adel das Königtum.
Im Anfang des sechzehnten Jahrhunderts konnte man nicht so wie heute sein Vermögen in Staatspapieren oder Aktien anlegen. Die müßigen Reichen, die nicht als Kaufleute, Pächter oder Manufakturisten tätig sein wollten, vor allem also der hohe Adel, legten daher ihre akkumulierten Reichtümer gern in edlen Metallen und Edelsteinen an, Gegenständen, die stets ihren Wert behielten und überall einen Käufer fanden. Sollten sie aber diese Schätze in ihren Truhen verschließen? Gold und Edelsteine waren damals eine Macht, wie sie früher ein zahlreiches Gefolge gewesen. Diese Macht wollte man nicht nur besitzen, man wollte sie auch zur Schau stellen: das beste Mittel, um Einfluß zu gewinnen, die einen zur Ehrerbietung und Unterwürfigkeit, die anderen zu Entgegenkommen und Rücksichtnahme zu bewegen. So wie im Mittelalter die Grundherren ihre Einkommen zur Haltung zahlreicher Gefolgschaften verwendeten, so jetzt zur Erwerbung von Kostbarkeiten, und so wie sie ehedem bei festlichen Gelegenheiten mit ihrem ganzen Gefolge erschienen, um zu imponieren, so jetzt mit allen ihren Kostbarkeiten beladen.
Daß gar mancher durch das Bestreben, zu glänzen, bewogen wurde, einen Reichtum zur Schau zu tragen, der bloß erborgt war, ist naheliegend.
Der König durfte hinter seinen Höflingen nicht zurückbleiben; er mußte die Überlegenheit seiner Macht auch durch die Überlegenheit seines Glanzes dartun. Adel und Königtum trieben sich so gegenseitig zu immer größerem Prunk.
Eine prächtige Hofhaltung gehörte daher seit dem fünfzehnten Jahrhundert immer mehr zu den Regierungserfordernissen, ohne die ein Fürst nicht auszukommen vermeinte. Ein wahnsinniger Luxus entfaltete sich, der unendliche Summen ver-schlang.
Allen diesen Ausgaben waren die Einnahmen aus dem feudalen Grundbesitz der Könige lange nicht gewachsen. Sie begannen Geldabgaben zu erheben; aber den größten Teil des Ertrags derselben hatten sie aus den reichen Städten zu erwarten, die damals nicht mit sich spassen ließen. Die Könige begannen daher, sich ihrer Zustimmung zu den Abgaben zu versichern, die sie ihnen auflegen wollten; die Städte wurden aufgefordert, als dritter Stand Abgeordnete zu senden, um neben den beiden anderen Ständen, dem Adel und der Geistlichkeit, mit dem König den Betrag der auszuschreibenden Steuern zu vereinbaren. Wo die Städte genügende Macht hatten, verstanden sie sich zu solchen Steuern nur unter gewissen Bedingungen; in England entwickelte sich daraus unter besonders günstigen Umständen – namentlich infolge der Vereinigung der kleineren Grundbesitzer mit dem Bürgertum – die gesetzgebende Gewalt des Parlaments.
Aber die Geldbewilligungen waren nur selten genügend, die Lücken zu füllen, die ewige Kriege und maßlose höfische Verschwendung in den Schatzkammern der Landesfürsten rissen. Die meisten derselben waren in ewiger Verlegenheit, trotzdem die Steuern das Volk auf das ärgste bedrückten: aus dieser unangenehmen Klemme halfen ihnen bereitwilligst die reichen Handelsherren und Bankiers, natürlich nicht umsonst, sondern meist gegen Verpfändung eines Teiles des Staatseinkommens. Die Staatsschulden begannen, die Staaten und ihre Häupter wurden Schuldknechte des Kapitals, sie hatten seinen Interessen zu dienen.
»Es ist der größte Irrtum, wenn man glaubt, das Verfahren, Staatsbedürfnisse durch Anleihen zu decken, sei erst durch Wilhelm III. in England eingeführt worden. Von undenklich langer Zeit her hatte jede englische Regierung die Gewohnheit gehabt, Schulden zu kontrahieren. Nur die Gewohnheit, sie ehrlich zu bezahlen, wurde durch die bürgerliche Revolution eingeführt.« (Macauley, Geschichte von England. Deutsch von Lemcke. 1. Band, S. 211.)
Dem Volke gegenüber wuchs die Macht des Absolutismus. Sie wuchs gegenüber Bauern und Handwerkern, gegenüber Adel und Klerus. Aber durch den Absolutismus kamen diesen gegenüber zur Geltung die Anschauungen und Interessen der Handelsherren, der Bankiers und der Landspekulanten.
Die Auffassung, daß ein monarchisches Staatsoberhaupt notwendig und unentbehrlich sei, und daß es bloß darauf ankomme, es den Interessen des Bürgertums dienstbar zu machen, diese Auffassung ist heute noch die der Masse der Bourgeoisie. Der Kampf des achtzehnten Jahrhunderts, der zur großen Revolution führte, drehte sich wesentlich darum, ob das Königtum Werkzeug des Adels und der Geistlichkeit oder des dritten Standes sein solle. Wohl kannten die Ideologen des Bürgertums bäuerliche und aristokratische Republiken, aber kaum einem kam der Gedanke einer bürgerlichen Republik. Die Philosophen der »Aufklärung« scharten sich vielmehr um den »aufgeklärten«, das heißt in ihrem Sinne wirkenden Despotismus. Erst die Macht der Tatsachen zwang den Franzosen die bürgerliche Republik auf; diese, das Königtum ohne König, wurde mit den bürgerlichen Verhältnissen erst dann verträglich, als der Mechanismus der zentralisierten Armee und Bureaukratie vollständig eingerichtet und im Gange war.
Zweites Kapitel. Der Grundbesitz.
1. Feudaler und kapitalistischer Landhunger.
Die Warenproduktion und der Warenhandel erzeugten nicht nur neue Klassen mit neuen Interessen und neuen Anschauungen. Sie wandelten auch die Klassen, die sie vorfanden, entsprechend um. Die neuen Bedürfnisse, welche sie hervorriefen, wanderten aus den Städten auf das flache Land und erzeugten dort ebenso wie hier das Bedürfnis und die Gier nach Gold und Silber, den Waren, die alles kauften. Damit erwuchs auch die Notwendigkeit, den Feudalismus den neuen Produktionsbedingungen anzupassen, aus dem Grundbesitz eine Geldquelle zu machen; die Landwirtschaft mußte zur Warenproduktion übergehen; der Landwirt mochte fortfahren, zum Selbstgebrauch zu produzieren, aber er mußte daneben noch einen Überschuß herstellen, der als Ware auf den Markt gebracht werden konnte.
Diesen Markt bot die Stadt. Sie brauchte nicht nur Nahrungsmittel, sondern auch Rohstoffe in immer steigendem Maße, nicht nur Korn und Fleisch, Käse und Butter, sondern auch Wolle und Flachs, Häute, Holz usw...
Unter gewissen Umständen wurde dadurch der Bauer instand gesetzt, Warenproduzent zu werden. Die Landwirtschaft wurde dann eine Geldquelle, und wo dies der Fall war, lag es ebenso im Vermögen, wie im Interesse des Bauern, die persönlichen Dienste und die Naturallieferungen, zu denen er dem Feudalherrn gegenüber verpflichtet war, in Geldabgaben zu verwandeln. Unter besonders günstigen Verhältnissen vermochte er sich sogar vom Joche der Feudalität völlig zu befreien.
Ebensosehr wie diese Bauern trachteten auch die Feudalherren nach Umwandlung der feudalen Leistungen in Geldabgaben. Aber diese Umwandlung war nur unter besonders günstigen Umständen dem Bauern förderlich. Sie wurde ihm verderblich, wenn die landwirtschaftliche Warenproduktion nicht genügend entwickelt war. Für die englischen Bauern war sie allerdings ein Mittel der Lockerung der feudalen Bande, für die Masse der Bauern Deutschlands wurden die Geldabgaben eine Geißel, die sie zur Verzweiflung trieb und ruinierte, ohne den Feudalherren einen erheblichen Vorteil zu bringen.
Indessen hatten die englischen Bauern sich ihrer günstigen Lage nicht lange zu freuen. Die Warenproduktion verlieh dem Grund und Boden selbst den Charakter einer Ware und damit einen Wert, der nicht bestimmt wurde durch die Zahl der Bewohner, die er ernährte, sondern durch den Überschuß, den er lieferte. Je geringer die Zahl seiner Bebauer im Verhältnis zum Erträgnis, und je anspruchsloser deren Lebenshaltung, desto erheblicher der Überschuß, desto größer der Grundwert.
Im ganzen westlichen Europa sehen wir daher am Ausgang des Mittelalters und dem Beginn der neuen Zeit zwei eigentümliche Erscheinungen: es ersteht ein Hunger nach Land, und zwar namentlich nach solchem Land, das zu seiner Bewirtschaftung wenig Hände benötigt, z. B. Wälder und Weiden. Und gleichzeitig damit geht das Bestreben, die landwirtschaftliche Bevölkerung möglichst zu lichten, teils dadurch, daß man Kulturen, die viele Hände erfordern, durch andere ersetzt, die weniger Hände beanspruchen, teils durch Vermehrung der Arbeitslast der einzelnen Landbebauer, so zum Beispiel dadurch, daß jetzt zwei Leute leisten, was bisher drei geleistet haben, und der dritte überflüssig wird.
Auch die Feudalzeit hatte ihren Landhunger, der ebenso gierig war, wie der der Neuzeit; aber sein Charakter war ein ganz anderer. Die alten Feudalherren waren lüstern nach dem Lande mit den Bauern, die neuen Herren verlangten nach dem Lande der Bauern.
Was der Feudaladel verlangte, das war nicht Land allein, sondern Land und Leute. Je dichter besiedelt sein Grund und Boden war, desto größer die Zahl der Abgaben Entrichtenden und Dienste Leistenden, desto größer das kriegerische Gefolge, das er erhalten konnte. Das Streben des mittelalterlichen Adels ging nicht dahin, die Bauern zu verjagen, sondern sie an die Scholle zu fesseln und soviel als möglich neue Ansiedler heranzuziehen.
Anders der neue Adel.
Da die Bauernschinderei nicht Geld genug abwarf, sah er sich immer mehr gezwungen, selbst zur Warenproduktion überzugehen, eigene landwirtschaftliche Betriebe einzurichten – in England wurden diese bald an kapitalistische Pächter übergeben –: dazu bedurfte man eines Teiles des Bauernlandes, aber nicht seiner Inhaber. Man hatte alles Interesse daran, sie zu vertreiben.
Dazu kam, daß, wie erwähnt, Weiden und Wälder einen Wert erhielten. Die Feudalherren fingen jetzt an, die Gemeinweiden und Gemeinwälder als Privateigentum an sich zu ziehen und die Bauern von deren Benutzung auszuschließen.
Von den Gemeinweiden hing aber die Erhaltung des Viehstandes des Bauern ab; das Rindvieh wiederum war für ihn nicht nur nützlich wegen des Ertrags an Milch, Fleisch und Häuten, sondern geradezu unentbehrlich für den Ackerbau als Zugvieh und Düngerlieferant. Die Wälder waren für den Bauern wichtig wegen der Jagd, der Holz- und Streunutzung und auch als Weidegrund für die Schweine. Mit den Gemeinwäldern und Gemeinweiden wurden also dem Bauern wichtige Betriebsmittel entzogen; und gleichzeitig ruinierten ihn, wie schon erwähnt, die Geldabgaben. Kein Wunder, daß ein Bauer nach dem anderen zugrunde ging und aus seinem Heime vertrieben wurde, nicht durch das »Judentum«, sondern durch den christlich-germanischen Adel. Wo der ökonomische Prozeß das Bauernlegen nicht so schnell vorangehen ließ, als den Interessen des Grundherrn entsprach, half dieser vielfach nach durch Prozesse auf Grundlage eines den Bauern unbekannten Rechtes, des römischen, das den großen Grundbesitzern jetzt sehr gut paßte, oder aber auch durch direkte physische Gewalt ohne jeden Versuch eines Vorwandes.
Eine massenhafte Proletarisierung des Landvolkes war die Folge dieser Entwicklung. Das Proletariat wurde noch vermehrt durch die Aufhebung der Klöster, von der wir noch in einem anderen Zusammenhang sprechen werden, und die Auflösung der Gefolgschaften.
Solange für die Produkte der Landwirtschaft kein Markt vorhanden war, wußten die Grundherren mit den massenhaften Lebensmitteln, welche ihnen ihre Hintersassen lieferten, nichts anderes anzufangen, als sie zu konsumieren. Und da sie trotz ihrer guten Mägen das allein nicht zustande brachten, luden sie andere dazu ein, ihnen zu helfen, gute Freunde, fahrende Ritter, reisige Knechte, die von ihnen abhängig wurden, ihr Gefolge bildeten, ihnen Ansehen und Macht verliehen. Der Graf von Warwick soll auf seinen Schlössern jeden Tag 30 000 Menschen gespeist haben. Dafür war er aber auch mächtig genug, Könige ein- und abzusetzen. Er war der »Königsmacher«.
Das änderte sich, als sich den Grundbesitzern die Möglichkeit bot, den Überschuß an landwirtschaftlichen Produkten, den sie nicht verzehren konnten, zu verkaufen, dafür etwas einzutauschen, was unter den neuen Verhältnissen mehr Macht und Ansehen Verlieh als ein Gefolge, nämlich Geld. Gleichzeitig wuchs die Macht der Landesfürsten und damit die Macht der Polizei. Die inneren Fehden wurden immer seltener, damit die Gefolgschaften immer überflüssiger. Sie fingen an, ihren Herren als Banden unnützer Fresser zu erscheinen, die man sich soviel als möglich vom Halse schaffen mußte. Die Landesfürsten förderten die Auflösung der Gefolgschaften, indem sie dieselbe vielfach in Fällen erzwangen, wo die Gefolgschaft noch eine Macht war, die gefährlich werden konnte.
Die Auflösung der Gefolgschaften, die Legung der Bauern und, seit der Reformation, die Einziehung der Klöster schufen rasch eine ungeheure Masse von Proletariern.
2. Das Proletariat.
Die germanischen Völker, die in das römische Reich einbrachen, hatten mit der römischen Produktionsweise auch die Möglichkeit der Verarmung übernommen. Bereits zur Zeit der Merowinger finden wir unter den Bettlern an den Kirchentüren auch solche mit fränkischen Namen erwähnt. (Paul Roth, Geschichte des Benefizialwesens von den ältesten Zeiten bis ins zehnte Jahrhundert. Erlangen 1850. S. 185.) Das ganze Mittelalter hindurch ist die Sorge für die Armen eine der wichtigsten Funktionen der Kirche. Aber die Armut war doch bloß eine vereinzelte Erscheinung. Wohl kannte das Mittelalter auch Notstände der Massen, aber diese waren in der Regel dem äußeren Feinde oder der Natur zuzuschreiben, Plünderungszügen der Ungarn oder Normannen, Mißwachs usw. Diese Notstände erstreckten sich mehr oder weniger auf das ganze Volk und waren vorübergehender Natur. Erst mit dem Beginn der neuen Zeit ersteht wieder ein Proletariat als besondere, zahlreiche Klasse der Gesellschaft, als stehende Institution, wie es am Ende der römischen Republik und in der Kaiserzeit bestanden.
Aber zwischen diesem neugeschaffenen und dem antiken Proletariat bestand ein großer Unterschied. Das neue Proletariat fand nicht eine Klasse vor, die noch unter ihm stand, von deren direkter oder indirekter Ausbeutung es hätte leben können, keine Sklaven und keine rechtlosen Provinzialen. Das moderne Proletariat besaß aber zur Zeit seiner Entstehung auch keine Souveränitätsrechte, aus deren Verkauf es hätte Gewinn ziehen können, wie der souveräne Pöbel des alten Rom. Das moderne Proletariat entstand nicht als Bodensatz der herrschenden, ausbeutenden Klassen, es bildete sich aus der Auflösung beherrschter, ausgebeuteter Klassen. Zum erstenmal in der Weltgeschichte sehen wir im fünfzehnten Jahrhundert eine Klasse freier Proletarier erstehen als die unterste Klasse der Gesellschaft, eine Klasse, deren Interessen nicht die Ersetzung der Klassenherrschaft, die sie vorgefunden, durch eine andere, sondern die Aufhebung jeder Klassenherrschaft fordern.
Von der großen weltgeschichtlichen Rolle, die damit dem Proletariat zugefallen war, hatte freilich – und wie wäre es anders möglich gewesen? – zur Zeit seiner Entstehung niemand eine Ahnung, am allerwenigsten die Proletarier selbst.
Daß sie die unterste Klasse der Gesellschaft waren, kam ihnen allerdings nur zu deutlich zum Bewußtsein. Nichts nannten sie ihr eigen, als ihre Arbeitskraft, und sie hatten keine Wahl, als sie zu verkaufen oder elend zu verhungern.
Mit der neuen Ware erstanden auch gleichzeitig die Käufer für sie: die Kriegsherren und die Kaufleute. Sie bedurften ihrer in den Söldnerheeren und den Manufakturen. Die Proletarisierung der Massen durch die oben gekennzeichneten Methoden war ebenso wichtig für die Entwicklung des Kriegswesens wie der Industrie. Aber bei weitem nicht alle freigesetzten Leute fanden in diesen beiden Zweigen menschlicher Tätigkeit ihr Unterkommen. Was die kapitalistischen Manufakturen vornehmlich brauchten, das waren geschickte Arbeiter, und die fanden sie nur spärlich unter den davongejagten Bauern, Kriegsknechten, Mönchen. Wohl begann das Handwerk bereits Proletarier zu liefern – die Zunftmeister klagten schon damals über die Konkurrenz der Kaufleute, welche fremde Waren einführten und die Produkte der heimischen Industrie in Manufakturen außerhalb des Bereichs des Zunftwesens herstellen ließen – aber das Handwerk stand im allgemeinen noch auf festen Füßen. Kein Wunder, daß die Kapitalisten über Arbeitermangel jammerten, indes die Arbeitslosen zu Tausenden herumliefen.
Die Kriege nahmen bedeutende Menschenmassen in Anspruch; aber das Landvolk war zum großen Teile des Waffenhandwerks entwöhnt, und der Krieg wurde gerade seit dem Ausgang des Mittelalters eine Kunst, die gelernt sein wollte. Nicht jeder konnte Soldat werden; wer es aber wurde, der blieb es, der wurde unfähig zu einem anderen Gewerbe. Die stehenden Heere waren indes im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert noch sehr gering; die Mehrzahl der Soldaten wurde nach Beendigung des Krieges entlassen. Unfähig zu einer friedlichen Arbeit, verwildert und vertiert, setzten die verabschiedeten Kriegsknechte jedermann in Schrecken; niemand wollte etwas mit ihnen zu tun haben. In Not und Verzweiflung entschlossen sie sich leicht, das, was sie unter ihren im großen für andere betrieben, nun im kleinen für sich zu treiben. Sie wurden Räuber. Natürlich suchten sie die Wehrlosesten am meisten heim: die Bauern. Eine Folge der Proletarisierung der Massen, wurden sie ihrerseits wiederum ein Mittel, diese Proletarisierung zu beschleunigen. Dies gilt auch von den damaligen Kriegen.