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Kitabı oku: «Am Rio de la Plata»

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Erstes Kapitel: In Montevideo

Ein kalter Pampero strich über die meerbusenartige Mündung des La Plata herüber und bewarf die Straßen von Montevideo mit einem Gemisch von Sand, Staub und großen Regentropfen. Man konnte nicht auf der Straße verweilen, und darum saß ich in meinem Zimmer des Hotel Oriental und vertrieb mir die Zeit mit einem Buche, dessen Inhalt sich auf das Land bezog, welches ich kennen lernen wollte. Es war in spanischer Sprache geschrieben, und die Stelle, bei welcher ich mich jetzt befand, würde in deutscher Uebersetzung ungefähr lauten:

Die Bevölkerung von Uruguay und der argentinischen Länder besteht aus Nachkommen der Spanier, aus einigen nicht sehr zahlreichen Indianerstämmen und aus den Gauchos, welche zwar Mestizen sind, sich aber trotzdem als Weiße betrachten und sich stolz auf diesen Titel fühlen. Sie vermählen sich meist mit indianischen Frauen und tragen dadurch das Ihrige bei, die Bevölkerung des Landes wieder den Ureinwohnern zu nähern.

Der Gaucho hat in seinem Charakter die wilde Entschlossenheit und den unabhängigen Sinn der Ureinwohner und zeigt dabei den Anstand, den Stolz, die edle Freimütigkeit und das vornehme, gewandte Betragen des spanischen Caballero. Seine Neigungen ziehen ihn zum Nomadenleben und zu abenteuerlichen Fahrten. Ein Feind jeden Zwanges, ein Verächter des Eigentumes, welches er als eine unnütze Last betrachtet, ist er ein Freund glänzender Kleinigkeiten, welche er sich mit großem Eifer verschafft, aber auch ohne Bedauern wieder verliert.

Er ist ferner ein kühner, todesmutiger Beschützer seiner Familie, welche er aber ebenso hart behandelt wie sich selbst; mißtrauisch, weil er unzählige Male betrogen worden ist, schlau aus Instinkt und Vorsicht, achtet er den Fremden, ohne ihn zu lieben, dient er dem Städter, ohne ihn zu achten, und hat niemals begreifen gelernt, wie man in seine Heimat kommen konnte, um die Herden auszubeuten, welche die seinigen geworden waren und von denen er nichts verlangte als den täglichen Lebensunterhalt, ohne sich um den vorhergehenden und den folgenden Tag zu kümmern.

Seit sich im Lande eine besitzende Klasse gebildet hat, ruht der Gaucho, welcher sich tapfer für die Befreiung von dem spanischen Joche schlug, vom Siege aus, hat niemals Belohnung verlangt und begnügt sich mit der bescheidenen Rolle, das Eigentum anderer zu schützen, wofür er nichts fordert, als daß man nie vergesse, daß er ein freier Mann sei und seine Dienste freiwillig leiste.

Die Bewaffnung des Gaucho bildet der Lasso, ein langer, lederner Riemen mit einer Schlinge, die Bolas und außerdem im Falle des Krieges eine Lanze.

Der Ruhm des Gaucho besteht in der Geschicklichkeit, mit welcher er den Lasso wirft. Ein mehr als dreißig Fuß langer Riemen ist mit dem einen Ende an dem Schenkel des Reiters befestigt; das andre läuft in eine bewegliche Schlinge aus. Diese Schlinge wird um den Kopf geschwungen und nach dem fliehenden Tiere geworfen. Trifft sie den Hals oder die Füße, so wird sie durch den Widerstand des Tieres zugezogen. Die Aufgabe des Pferdes ist es nun, die Erschütterung des Riemens auszuhalten, bald nachzugeben, bald Widerstand zu leisten.

Der Reiter versucht indes, das Tier nach einem Orte zu ziehen, wo er es niederwerfen kann. Diese Art des Schlingenwerfens, welche man laceara muerte nennt, ist sehr gefährlich und erfordert große Uebung. Man hat viele Beispiele, daß durch die Verwickelung des Riemens dem Reiter die Beine zerbrochen worden sind. Der Lasso hängt beständig am Sattel des Gaucho. Widerspenstige Pferde, Ochsen, Hammel, alles wird mit der Schlinge gebändigt oder gefangen.

Die Bolas sind drei an Riemen zusammenhängende Bleikugeln. Zwei werden um den Kopf geschwungen, die dritte aber festgehalten, bis man sicher ist, das Tier mit dem Wurfe zu erreichen. Die Kugeln schlingen sich dann um die Beine desselben und bringen es zu Fall.

Die Hauptleidenschaft des Gaucho ist das Spiel; die Karten gehen ihm über alles. Auf den Fersen hockend, das Messer neben sich in die Erde gesteckt, um einen unehrlichen Gegner sofort mit einem Stich ins Herz bestrafen zu können, wirft er das Kostbarste, was er besitzt, in das Gras und wagt es kaltblütig.

In der Estanzia arbeitet der Gaucho nur, wenn es ihm gefällig ist, giebt seinem Dienstverhältnisse ein Gepräge von Unabhängigkeit und würde es niemals dulden, daß sein Herr so unhöflich wäre, in ihm nicht die Eigenschaft eines Caballero anzuerkennen, deren er sich durch seine Bescheidenheit, sein anständiges, ja nobles Betragen und seine ruhige, Achtung einflößende Haltung würdig macht.

Wenn es ihm einmal nicht gefällig ist, die vom Herrn verlangte Arbeit zu verrichten, so sagt er, daß er nur zu der oder der Stunde und unter den oder den Umständen an das Werk gehen könne. Wenn dann der Herr einige Unzufriedenheit zeigt, so verlangt der Gaucho, ohne aber grob zu werden, seinen Lohn, setzt sich auf sein Pferd und sucht sich eine andere Estanzia, deren Besitzer minder gebieterisch ist. Obgleich er die Bequemlichkeit liebt, findet er stets Arbeit, weil er verständig ist und die Pflege des Viehes, welches den Hauptreichtum jener Gegenden bildet, ganz vorzüglich versteht.

»So ist der Gaucho, welchen man nicht mit den zwar kühnen, aber gewissenlosen Abenteurern verwechseln darf, welche Frauen, Mädchen, Pferde, kurz, alles entführen und stehlen, was ihnen gefällt, und unbesorgt in die Zukunft hinein leben.« – — —

So stand geschrieben, was ich las. Ich war am Vormittag in Montevideo angekommen und kannte also das Land und seine Bewohner nicht im mindesten. Dennoch wagte ich, einigen Zweifel gegen die Wahrheit des Gelesenen zu hegen.

Zunächst besteht die Bevölkerung, von welcher die Rede war, nicht nur aus Gauchos, Indianern und Nachkommen der Spanier. Es sind auch Engländer, Deutsche, Franzosen und Italiener zu Tausenden, ja Zehntausenden vorhanden, die Schweizer, Illyrier und viele andre gar nicht gerechnet.

Mit der Art und Weise, in welcher der Gaucho den Lasso gebrauchen sollte, war ich gar nicht einverstanden. Welcher Reiter, der zum Beispiel einen halb wilden Stier einfangen will, wird den Lasso sich am Schenkel befestigen! Der Stier würde ihn unbedingt vom Sattel reißen und zu Tode schleppen.

Ich war bei erster Gelegenheit so frei, mich nach dem Verfasser dieser Auslassung zu erkundigen. Er hieß Adolphe Delacour und war Redakteur des Patriote Français zu Montevideo gewesen. Nun, dieser Herr mußte die Verhältnisse besser kennen als ich. Ich mußte mich begnügen, abzuwarten, ob ich seine Ansichten bestätigt finden werde, was aber glücklicherweise nicht der Fall war.

Uebrigens war es nicht nötig, mich länger mit der Lektüre zu beschäftigen. Der Pampaswind hatte nachgelassen, und auf den Straßen entwickelte sich das rege Leben einer bedeutenden Hafenstadt von neuem. Ich wollte mir dasselbe betrachten und zu diesem Zwecke einen Ausgang machen.

Eben setzte ich den Hut auf, als es an meine Thüre klopfte. Ich rief herein, und zu meinem großen Erstaunen trat ein fein nach französischer Mode gekleideter Herr ein. Er trug eine schwarze Hose, eben solchen Frack, weiße Weste, weißes Halstuch, Lackstiefel und hielt einen schwarzen Cylinderhut in der Hand, um welchen ein weißseidenes Band geschlungen war. Dieses Band, von welchem zwei breite Schleifen herabhingen, brachte mich unerfahrenen Menschen auf die famose Idee, einen Kindtaufs- oder Hochzeitsbitter vor mir zu haben. Er machte mir eine tiefe, ja ehrerbietige Verneigung und grüßte:

»Ich bringe Ihnen meine Verbeugung, Herr Oberst!«

Er wiederholte seinen tiefen Bückling noch zweimal in demonstrativ hochachtungsvoller Weise. Wozu dieser militärische Titel? Hatte man hier in Uruguay vielleicht dieselbe Gepflogenheit wie im lieben Oesterreich, wo die Kellner jeden dicken Gast „Herr Baron“, jeden Brillentragenden „Herr Professor“ und jeden Inhaber eines kräftigen Schnurrbartes „Herr Major“ nennen? Der Mann hatte so ein eigenartiges Gesicht. Er gefiel mir nicht. Darum antwortete ich kurz:

»Danke! Was wollen Sie?«

Er schwenkte den Hut zweimal hin und her und erklärte:

»Ich komme, mich Ihnen mit allem, was ich bin und habe, zur geneigten Verfügung zu stellen.«

Dabei richtete sich sein Auge von seitwärts mit einem scharf forschenden Blick auf mich. Er hatte keine ehrlichen Augen. Darum fragte ich:

»Mit allem, was Sie sind und haben? So sagen Sie mir zunächst gefälligst, wer und was Sie sind.«

»Ich bin Sennor Esquilo Anibal Andaro, Besitzer einer bedeutenden Estanzia bei San Fructuoso. Euer Gnaden werden von mir gehört haben.«

Es kommt zuweilen vor, daß der Name eines Menschen bezeichnend für den Charakter desselben ist. Ins Deutsche übersetzt, lautete derjenige meines Besuches Aeschylus Hannibal Schleicher. Das war gar nicht empfehlend.

»Ich muß gestehen, daß ich noch nie von Ihnen gehört habe,« bemerkte ich. »Da Sie mir gesagt haben, wer und was Sie sind, darf ich wohl auch erfahren, was Sie haben, das heißt natürlich, was Sie besitzen?«

»Ich besitze erstens Geld und zweitens Einfluß.«

Er machte vor den beiden Worten, um sie besser ins Gehör zu bringen, eine Pause und sprach sie mit scharfer Betonung aus. Dann sah er mich mit einem pfiffigen, erwartungsvollen Augenblinzeln von der Seite an. Sein Gesicht war jetzt ganz dasjenige eines dummlistigen, dreisten Menschen.

»Das sind allerdings zwei recht schöne, brauchbare Sachen, Geld und Einfluß. Sind Sie zu dem Zwecke gekommen, mir beides zur Verfügung zu stellen?«

»Ich würde mich glücklich fühlen, wenn Sie die Gewogenheit haben wollten, diese meine Absicht nicht zurückzuweisen!«

Das war überraschend. Dieser Mann stellte mir seine gesellschaftlichen Verbindungen und auch seinen Geldbeutel zur Verfügung! Aus welchem Grunde? Um das zu erfahren, sagte ich:

»Gut, Sennor, ich nehme beides an, vor allen Dingen das erstere.«

»Also zunächst Kapital! Wollen Euer Hochwohlgeboren mir sagen, wie stark die Summe ist, deren Sie bedürfen?«

»Ich brauche augenblicklich fünftausend Pesos Fuertos.«

Er zog sein Gesicht befriedigt in die Breite und sagte:

»Eine Kleinigkeit! Euer Gnaden können das Geld binnen einer halben Stunde haben, wenn wir über die kleinen Bedingungen einig werden, welche zu machen mir wohl erlaubt sein wird.«

»Nennen Sie dieselben!«

Er trat nahe an mich heran, nickte mir sehr vertraulich zu und erkundigte sich:

»Darf ich vorher fragen, ob dieses Geld privaten oder offiziellen Zwecken dienen soll?«

»Nur privaten natürlich.«

»So bin ich bereit, die Summe nicht etwa herzuleihen, sondern sie Euer Hochwohlgeboren, falls Sie es mir gestatten, dies thun zu dürfen, als einen Beweis meiner Achtung schenkweise auszuzahlen.«

»Dagegen habe ich nicht das mindeste.«

»Freut mich außerordentlich. Nur möchte ich Sie in diesem Falle ersuchen, Ihren Namen unter zwei oder drei Zeilen zu setzen, welche ich augenblicklich entwerfen werde.«

»Welchen Inhaltes sollen diese Zeilen sein?«

»O, es wird sich nur um eine Kleinigkeit, um eine wirkliche Geringfügigkeit handeln. Euer Hochwohlgeboren werden mir durch diese Namensunterschrift bestätigen, daß ich, Esquilo Anibal Andaro, Ihr Corps bis zu einer angegebenen Zeit und zu einem ganz bestimmten Preise mit Gewehren zu versehen habe. Ich bin in der glücklichen Lage, mich in einigen Tagen im Besitze einer hinreichenden Anzahl von Spencer-Gewehren zu befinden.«

Jetzt war es mir klar, daß dieser Sennor Schleicher mich mit einem Offizier verwechselte, dem ich vielleicht ein wenig ähnlich sah. Wahrscheinlich hatte er die löbliche Absicht, den Betreffenden durch das Geschenk von fünftausend Pesos zu bestechen, auf den Gewehrhandel einzugehen. Beim Schlusse des nordamerikanischen Bürgerkrieges waren circa zwanzig Tausend Spencer-Gewehre in Gebrauch gewesen. Man konnte den Yankees recht gut zutrauen, daß sie einen Teil dieser Waffen nach den La Plata-Staaten, wo dergleichen damals gebraucht wurden, verkauft hatten. Bei diesem Handel konnte der Sennor das Zehnfache des Geschenkes, welches er mir anbot, herausschlagen.

Er hatte mich Oberst genannt. Wie kam ein Oberst dazu, über den Kriegsminister hinweg den Ankauf von Gewehren zu bestimmen? Wollte der Betreffende etwa als Libertador auftreten? Mit diesem Worte, zu deutsch Befreier, bezeichnet man am La Plata die Bandenführer, welche sich gegen das herrschende Regiment auflehnen. Dergleichen Leute hat die Geschichte jener südamerikanischen Gegenden sehr viele zu verzeichnen.

Die Sache war mir sehr interessant. Kaum hatte ich den Fuß auf das Land gesetzt, so bekam ich auch schon Gelegenheit, einen Blick in die intimsten Verhältnisse desselben zu thun. Ich hatte große Lust, die Rolle meines Doppelgängers noch ein wenig weiter zu spielen, doch besann ich mich eines bessern. Natürlich hatte ich, bevor ich nach hier kam, mich über die hiesigen Verhältnisse möglichst unterrichtet, und so wußte ich, daß es für mich sehr gefährlich werden könne, meinen Besuch in seinem Irrturme zu belassen, nur um mich über Verhältnisse zu unterrichten, welche mir unbekannt bleiben mußten. Darum sagte ich ihm:

»Eine solche Schrift kann ich leider nicht unterzeichnen. Ich wüßte nicht, was ich mit den Gewehren machen sollte, da ich nicht die geringste Verwendung für dieselben habe.«

»Nicht?« fragte er erstaunt. »Euer Hochwohlgeboren können in Zeit von einer Woche über tausend Mann beisammen haben!«

»Zu welchem Zwecke?«

Er trat um zwei Schritte zurück, kniff das eine Auge zu, lächelte listig, als ob er sagen wolle: Na, spiele doch mit mir nicht Komödie; ich weiß ja genau, woran ich mit dir bin! und fragte:

»Soll ich das Euer Gnaden wirklich erst sagen? Ich habe gehört, daß Sie nach Montevideo kommen würden, und nun, da Sie sich hier befinden, kenne ich ganz genau den Zweck Ihrer Anwesenheit. Es giebt ja nur diesen einen Zweck.«

»Sie irren sich, Sennor. Mir scheint, Sie halten mich für einen ganz andern Mann, als ich bin.«

»Unmöglich! Sie hüllen sich in diesen Schleier, weil meine Forderung bezüglich der Gewehre Ihnen vielleicht nicht genehm ist. So bin ich gern bereit, Ihnen andere Vorschläge zu machen.«

»Auch diese würden nicht zu ihrem Ziele führen, denn Sie verwechseln mich wirklich mit einer Person, mit welcher ich einige Aehnlichkeit zu besitzen scheine.«

Das machte ihn aber nicht irre. Er behielt seine zuversichtliche Miene, zu welcher sich noch ein beinahe überlegenes Lächeln gesellte, bei und sagte:

»Wie ich aus Ihren Worten schließe, befinden Sie sich jetzt überhaupt nicht in der Stimmung, über diese oder eine ähnliche Angelegenheit zu sprechen. Warten wir also eine geeignete Stunde ab, Sennor. Ich werde mir erlauben, wieder vorzusprechen.«

»Ihr Besuch würde das gegenwärtige Resultat haben. Ich bin nicht derjenige, für den Sie mich halten!«

Er wurde ernster und fragte:

»So wünschen Sie also nicht, daß ich meinen Besuch wiederhole?«

»Er wird mir jederzeit angenehm sein, vorausgesetzt, daß Sie nicht länger in dem erwähnten Irrtum verharren. Können Sie mir sagen, wer der Herr ist, mit welchem Sie mich verwechseln?«

Jetzt musterte er mich scharf vom Kopfe bis zu den Füßen herab. Dann meinte er kopfschüttelnd:

»Ich kenne Euer Gnaden bisher als einen tapfern, hochverdienten Offizier und hoffnungsvollen Staatsmann. Die Eigenschaften, welche ich jetzt an Ihnen entdecke, geben mir die Ueberzeugung, daß Sie in letzterer Beziehung schnell Karriere machen werden.«

»Sie meinen, ich verstelle mich? Hier, nehmen Sie Einsicht in meinen Paß.«

Ich gab ihm den Paß aus der Brieftasche, welche ich auf dem Tische liegen hatte. Er las ihn durch und verglich das Signalement Wort für Wort mit meinem Aeußern. Sein Gesicht wurde dabei länger und immer länger. Er befand sich in einer Verlegenheit, welche von Augenblick zu Augenblick wuchs.

»Teufel!« rief er, indem er den Paß auf den Tisch warf. »Jetzt weiß ich nicht, woran ich bin! Ich sowohl als auch zwei meiner Freunde haben Sie ganz genau als denjenigen erkannt, den ich in Ihnen zu finden gedachte!«

»Wann sahen Sie mich?«

»Als Sie unter der Thüre des Hotels standen. Und nun ist dieser Paß ganz geeignet, mich vollständig irre zu machen. Sie kommen wirklich aus New York?«

»Allerdings. Mit der „Sea-gall“, welche noch jetzt vor Anker liegt. Sie können sich bei dem Kapitän erkundigen.«

Da rief er zornig:

»So hole Sie der Teufel! Warum sagten Sie das nicht sogleich?«

»Weil Sie nicht fragten. Ihr Auftreten ließ mit Sicherheit schließen, daß Sie mich kennen. Erst als Sie von den Gewehren sprachen, erkannte ich, wie die Sache stand. Dann habe ich Sie sofort auf Ihren Irrtum aufmerksam gemacht, was Sie mir hoffentlich bestätigen werden.«

»Nichts bestätige ich, gar nichts! Sie hatten mir nach meinem Eintritte bei Ihnen sofort und augenblicklich zu sagen, wer Sie sind!«

Er wurde grob. Darum antwortete ich in sehr gemessenem Tone:

»Ich ersuche Sie um diejenige Höflichkeit, welche jedermann von jedermann verlangen kann! Ich bin nicht gewöhnt, mir in das Gesicht sagen zu lassen, daß mich der Teufel holen solle. Auch bin ich nicht allwissend genug, um sofort beim Eintritt eines Menschen mir sagen zu können, was er von mir will. Uebrigens müssen Sie doch bei dem Wirte oder den Bediensteten des Hotels gefragt haben, bevor Sie zu mir kamen, und da muß man Sie unbedingt berichtet haben, daß ich ein Fremder bin.«

»Das hat man mir allerdings gesagt; aber ich glaubte es nicht, da ich den Verhältnissen nach mir sagen mußte, daß der Sennor, für welchen ich Sie hielt, sich incognito hier aufhalten werde. Dazu kam dann Ihre Aussprache des Spanischen, welcher man es nicht anhört, daß Sie ein Fremder, ein Alemano sind.«

Dieses letztere war sehr schmeichelhaft für mich. Als ich vor mehreren Jahren nach Mexiko kam, hatte ich mich in Beziehung auf diese Sprache der grausamsten Radebrecherei schuldig machen müssen. Aber das Leben ist der beste Lehrmeister. Während der langen Wanderung durch die Sonora und den Süden von Kalifornien hatte ich mich nach und nach in die Lenguage Española finden müssen, ahnte aber bis heute nicht, daß ich gar ein solcher Sancho Pansa geworden sei.

»Und endlich,« fuhr er fort, »warum tragen Sie den Bart genau in der Weise, wie er von den Bewohnern unserer Banda oriental getragen wird?«

»Weil ich, wenn ich reise, mich den Gewohnheiten der betreffenden Bevölkerung anzubequemen pflege und nicht überall und immer als Fremder erkannt werden will.«

»Nun, so tragen Sie eben die Schuld daran, daß ich Sie für einen andern hielt. Kein Ausländer hat das Recht, uns nachzuahmen. Man kennt eine gewisse Art von Tieren, welche diesen Nachahmungstrieb in hohem Grade besitzen, und jeder verständige Mann wird sich hüten, mit denselben verglichen zu werden.«

»Für diesen Wink bin ich Ihnen unendlich dankbar, Sennor; doch bitte ich Sie dringend, die Lektion nicht etwa noch weiter auszudehnen. Bis jetzt habe ich dieselbe gratis entgegengenommen; geben Sie sich aber noch weitere Mühe, so würde ich mich gezwungen sehen, Ihnen ein Honorar auszuzahlen, welches Ihren Verdiensten angemessen ist.«

»Sennor, Sie drohen mir?«

»Nein. Ich mache Sie nur aufmerksam.«

»Vergessen Sie nicht, wo Sie sich befinden!«

»Und ziehen Sie selbst in Betracht, daß Sie nicht in einem Zimmer Ihrer Hazienda stehen, sondern in einem Raume, welcher gegenwärtig mir gehört! Und nun mag es genug sein. Bitte, machen Sie mir das Vergnügen, Ihnen lebewohl sagen zu dürfen!«

Ich ging zur Thüre, öffnete dieselbe und lud ihn durch eine Verbeugung ein, von dieser Oeffnung Gebrauch zu machen. Er blieb noch einige Augenblicke stehen und starrte mich groß an. Es erschien ihm jedenfalls als etwas ganz Ungeheuerliches, von mir hinauskomplimentiert zu werden. Dann schoß er schnell an mir vorüber und hinaus, rief mir aber dabei zu:

»Auf Wiedersehen! Man wird mit Ihnen abzurechnen wissen!«

Er schüttelte die Faust drohend gegen mich und eilte dann die Treppe hinab. Das war meine erste Unterredung mit einem Eingeborenen, ein Anfang, von welchem ich keineswegs erbaut sein konnte. Freilich, irgend eine Befürchtung zu hegen, das fiel mir nicht ein. Der Mann hatte mich beleidigt und war deshalb von mir hinausgewiesen worden, etwas so Einfaches und Selbstverständliches, daß gar keine Veranlassung vorhanden war, weiter daran zu denken. Auch hatte dieser Haziendero auf mich gar nicht den Eindruck gemacht, als ob ich ihn weiter zu beachten oder gar zu fürchten hätte.

Bevor ich ging, mir die Stadt anzusehen, nahm ich die paar Empfehlungsschreiben her, welche ich mitgebracht hatte. Ich bin prinzipiell gegen diese Art und Weise, fremden Leuten Pflichten aufzuerlegen oder ihnen gar zur Last zu fallen. Man wird selbst in seinen Handlungen und Bewegungen sehr gehindert. Aus diesem Grunde mache ich, wenn ich reise, meine Bekanntschaften lieber aus freier Hand, bewege mich und wähle ganz nach meinem persönlichen Geschmack und gebe etwaige Briefe erst kurz vor der Abreise ab. Hundertmal habe ich da beobachtet, wie befriedigt die Betreffenden davon waren, daß es nun keine Zeit mehr zu gesellschaftlichen Ansprüchen und Forderungen gab. Heute hatte ich vier solche Schreiben in der Hand. Eins derselben war von dem Chef eines New Yorker Exporthauses an seinen Kompagnon, welcher die Filiale dieses Geschäftes in Montevideo leitete. Ich hatte Gelegenheit gehabt, dem Yankee einen nicht ganz unwichtigen Dienst zu leisten, und von ihm das Versprechen erhalten, daß er mich seinem Teilhaber auf das allerbeste empfehlen werde. Dieses eine Schreiben mußte ich sofort abgeben, da der Wechsel, dessen Betrag mein Reisegeld bildete, von dem Kompagnon honoriert werden sollte.

Die drei andern Schreiben steckte ich wieder in die Brieftasche; dieses eine aber legte ich auf den Tisch oder vielmehr, ich wollte es auf den Tisch werfen. Es traf mit der Kante auf und fiel auf die Diele herab. Als ich es aufhob, sah ich, daß das dünne Siegel zersprungen war und die Klappe des Couverts offen stand. In dieser Weise konnte ich den Brief unmöglich übergeben. Ich mußte ihn wieder schließen und zwar so, daß man nicht sehen konnte, daß er offen gewesen war; ich wäre sonst in den Verdacht gekommen, ihn mit Absicht geöffnet und dann gelesen zu haben.

Gelesen? Hm! Konnte ich das nicht dennoch, thun? Ein Unrecht, eine Verletzung des Briefgeheimnisses, eine große Indiskretion war es, aber ich hatte doch vielleicht eine Art von Recht dazu, da ich es ja war, auf den der Inhalt sich bezog. Ich nahm also den Bogen aus dem Couverte und öffnete ihn.

Der Inhalt lautete, abgesehen von der Anrede, folgendermaßen:

»Habe Ihr Letztes empfangen und bin mit Ihren Vorschlägen vollständig einverstanden. Das Geschäft ist ein gewagtes, bringt aber im Falle des Gelingens so hohen Gewinn, daß wir den Verlust riskieren können. Das Pulver kommt mit der Seagall. Wir haben dreißig Prozent Holzkohle darunter gemischt, und da ich hoffe, daß es Ihnen gelingen werde, es heimlich an das Land zu bringen und also den Zoll zu sparen, so machen wir ein vorzügliches Geschäft.

»Ich ermächtige Sie hiermit, die Kontrakte zu entwerfen und an Lopez Jordan zur Unterschrift zu senden. Letzteres ist eine höchst gefährliche Angelegenheit, denn wenn die Nationalen den Boten erwischen und die Kontrakte bei ihm finden, so ist es um ihn geschehen. Glücklicherweise kann ich Ihnen ganz zufällig einen Mann bezeichnen, welcher sich zu dieser Sendung ganz vortrefflich eignet.

»Der Ueberbringer dieses Briefes hat sich mehrere Jahre lang unter den Indianern umhergetrieben, ein verwegener Kerl, dabei aber stockdumm und vertrauensselig, wie es von einem Dutchman auch gar nicht anders zu erwarten ist. Er will, glaube ich, nach Santiago und Tucuman und wird also durch die Provinz Entre-Rios kommen. Thun Sie, als ob Sie ihm ein Empfehlungsschreiben an Jordan geben, welches aber die beiden Kontrakte enthalten wird. Findet man sie bei ihm und er wird erschossen, so verliert die Welt einen Dummkopf, um welchen es nicht schade ist. Natürlich dürfen die Dokumente Ihre Unterschrift nicht enthalten; Sie unterzeichnen vielmehr erst dann, wenn Sie dieselben durch einen Boten Jordans zurückerhalten.

Am übrigen wird der Dutchman Ihnen nicht viele Beschwerden machen; er ist von einer geradezu albernen Anspruchslosigkeit. Ein Glas sauren Weins und einige süße Redensarten genügen, ihn glücklich zu machen.«

Dies war, so weit er sich auf mich bezog, der Inhalt dieses merkwürdigen „Empfehlungsschreibens“. Hätte ich den Brief nicht gelesen, so wäre ich sehr wahrscheinlich in die Falle gegangen. Es war ein echter Yankeestreich, um den es sich hier handelte. Der deutsche „Dummkopf“ sollte, ohne es zu ahnen, eine der Hauptrollen beim Zustandekommen eines Aufruhres spielen. Denn daß es sich um nichts anderes handelte, sagte mir die Erwähnung des Schießpulvers und der Name des berüchtigten Bandenführers Lopez Jordan, welcher seine Gewissenlosigkeit sogar so weit getrieben hatte, seinen eigenen Stiefvater, den früheren General und Präsidenten Urquiza, ermorden zu lassen. Ihm sollte jedenfalls Pulver und auch Geld geliefert werden, und der Ueberbringer der auf dieses Geschäft bezüglichen Kontrakte sollte ich sein!

Ich steckte den famosen Brief in das Couvert zurück und stellte mit Hilfe eines Streichholzes das zersprungene Siegel wieder her. Dann machte ich mich auf den Weg zu dem lieben Kompagnon, welcher spanischer Abkunft war, Tupido hieß und an der Plaza de la Independencia wohnte.

Als ich auf die Straße trat, war von dem Pampero und dem Regen keine Spur mehr zu sehen. Montevideo liegt auf einer Landzunge, welche sattelartig auf der einen Seite zur Bai und auf der andern zum Meere abfällt. Infolgedessen läuft das Wasser so schnell ab, daß das Abtrocknen des Bodens selbst nach dem stärksten Regen nur weniger Minuten bedarf.

Montevideo ist eine sehr schöne, ja glänzende Stadt mitteleuropäischen Stiles. Sie besitzt gute Straßen mit vortrefflichen Trottoirs, reiche Häuser mit lieblichen Gärten, Paläste, in denen sich Klubs und Theater befinden. Die Bauart der Privathäuser ist sehr eigenartig. Es herrscht da fast eine Verschwendung von Marmor, welchen man aus Italien holt, obgleich im Lande selbst ein sehr guter zu finden ist.

Wer bei seiner Ankunft in der Hauptstadt Montevideo etwa glaubt, da die Bewohnertypen des Landesinnern zu sehen, der hat sich sehr geirrt. Kein Gaucho reitet durch die Straßen; indianische Gesichtszüge sind nur selten zu sehen, und Neger trifft man nicht häufiger als zum Beispiel in London oder Hamburg.

Die Tracht ist genau unsere französische, bei den Männern sowohl als auch bei den Frauen. Es können Tage vergehen, ehe man einmal eine Dame erblickt, welche die spanische Mantilla trägt. Ueber die Hälfte der Einwohnerschaft ist europäischen Ursprunges.

Die Durcheinanderwürfelung der Nationalitäten ruft ein auffallendes Polyglottentum hervor. Leute, welche drei, vier und fünf Sprachen geläufig beherrschen, sind hier weit zahlreicher, als selbst in den europäischen Millionenstädten. Kurz und gut, so lange man sich innerhalb der Bannmeile der Stadt befindet, ist aus nichts zu ersehen, daß man sich auf südamerikanischem Boden bewegt. Man könnte sich ebenso gut in Bordeaux oder Triest befinden.

Auch ich fühlte mich ziemlich enttäuscht, als ich jetzt, neugierig um mich blickend, langsam dahinschlenderte. Ich sah nur europäische Tracht und Gesichter, wie man sie überall findet, wenn man die dunkle Färbung derselben nicht als etwas Eigenartiges betrachten will.

Auffällig waren mir nur die weißen oder roten Bänder, welche viele Herren an ihren Hüten trugen. Später erfuhr ich die Bedeutung derselben: Die Träger weißer Bänder gehörten zur politischen Partei der „Blancos“, während die „Colorados“ rote Abzeichnungen trugen.

Sennor Esquilo Anibal Andaro war demnach nicht etwa Hochzeitsbitter, sondern ein Blanco gewesen. Höchst wahrscheinlich gehörte also der Oberst, mit welchem er mich verwechselt hatte, derselben Partei an. Vielleicht gelang es mir, den Namen desselben zu erfahren.

An der Plaza de la Independenzia angekommen, erkannte ich an einem riesigen Firmenschilde das Haus, in welchem sich der Sitz der Filiale meines pfiffigen Yankee befand. Die Fronte desselben machte einen nichtsweniger als imponierenden Eindruck. Sie zeigte nur das Parterre und den ersten Stock. In dem ersteren befand sich eine Thüre von kostbarer, durchbrochener Eisenarbeit. Hinter derselben lag ein breiter, mit Marmorplatten belegter Hausgang, welcher in einen Hof führte, der mit demselben Materiale gepflastert war. Dort standen in großen Kübeln blühende Pflanzen, deren Duft bis zu mir drang.

Die Thüre war verschlossen, obgleich sich vielbesuchte Geschäftsräume hinter derselben befinden mußten. Ich bewegte den Klopfer. Durch eine mechanische Vorrichtung wurde sie geöffnet, ohne daß jemand erschien.

Im Flur sah ich je rechts und links eine Thüre. Ein Messingschild sagte mir, daß diejenige der ersteren Seite die für mich richtige sei. Als ich da eintrat, befand ich mich in einem ziemlich großen Parterreraume, welcher sein Licht durch mehrere Thüren empfing, die nach dem Hofe offen standen. Schreiber waren an mehreren Tischen oder Pulten beschäftigt. An einem langen Tische stand ein hagerer Mann im Hintergrunde des Zimmers und sprach in sehr rauher Weise mit einem ärmlich gekleideten Menschen.

Ich wendete mich an den mir zunächst Sitzenden, um nach Sennor Tupido zu fragen. Die Antwort bestand in einem stummen, kurzen Winke nach dem Langen. Da dieser mit dem erwähnten Manne beschäftigt war, blieb ich wartend stehen und wurde Zeuge der zwischen ihnen geführten Unterhaltung.

Dem Sennor war die spanische Abkunft von weitem anzusehen, denn er hatte scharfe Züge und einen stolzverschlagenen Gesichtsausdruck. Den dunkeln Bart trug er nach hiesiger Sitte so, daß Schnurr- und Knebelbart zu einem spitzen Zipfel nach abwärts vereinigt waren.

Der Mann, mit welchem er sprach, schien zu der ärmsten Volksklasse zu gehören. Er war barfuß. Die vielfach zerrissene und notdürftig geflickte Hose reichte ihm kaum bis über die halbe Wade. Die ebenso lädierte Jacke mochte einst blau gewesen sein, war aber jetzt ganz und gar verschossen. Um die Hüfte trug er einen zerfetzten Poncho, aus welchem der Griff eines Messers hervorblickte. In der Hand hielt er einen Strohhut, welcher alle und jede Form hatte, aber nur die ursprüngliche nicht. Sein Gesicht war tief gebräunt, die Haut desselben lederartig, und die etwas vorstehenden Backenknochen ließen vermuten, daß zum Teile indianisches Blut in seinen Adern fließe, eine Ansicht, welche durch das dunkle, schlichte, ihm lang und straff bis auf die Schulter reichende Haar bestätigt wurde.

Yaş sınırı:
12+
Litres'teki yayın tarihi:
30 ağustos 2016
Hacim:
720 s. 1 illüstrasyon
Telif hakkı:
Public Domain

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