Kitabı oku: «Ardistan und Dschirnistan I», sayfa 19
Sie stemmte den einen Arm auf die Balustrade, schaute weit hinaus, dahin, wohin ihre Gedanken gingen, und sprach weiter:
»Daß Friede werden muß, das fühle ich. Ja, ich weiß es ganz gewiß. Ich stamme aus Sitara, wo man den Krieg nicht kennt und jedes Wort ein Wort der Liebe und Versöhnung ist. O, Du mein Vaterland, mein herrliches und liebes! Ich sah Dich nie. Jedoch den letzten Blick, den meine Ahnen scheidend auf Dich warfen, den haben sie als heiliges Vermächtnis hinterlassen. Er ist von Glied zu Glied auf mich gekommen. Mit ihren Augen sehe ich Dich schon heut, doch mit den meinen erst, wenn ich gestorben bin, Du Land der Seelen, Land der Liebe, Land der – — —«
»Der Sternenblumen!« fiel ich ein.
Sie fuhr mit einem schnellen Ruck zu mir herum, richtete sich hoch auf und fragte:
»Der Sternenblumen? Kennst Du sie?«
»Ja,« antwortete ich.
»Was weißt denn Du von ihnen?«
»Daß Taldscha nach ihnen duftet; nur wußte ich nicht, woher. Jetzt aber weiß ich es: Sie ist Deine Freundin. Dir ist dieser Dufthauch angeboren. Sie hat ihn von Dir!«
Sie trat einen Schritt näher und fragte:
»Aber Du? Woher ist er denn Dir bekannt? Dir, dem Fremdling, dem Europäer?«
»Auch ich habe ihn!«
»Von wem?«
»Von Marah Durimeh.«
»Von Marah Durimeh?« rief sie nicht, sondern schrie sie laut. »So ist auch sie Dir bekannt?«
»Bekannter als Du und Taldscha und alle hier am Orte! Die ist meine Freundin, meine Beraterin, meine Beschützerin.«
»So hast Du sie gesehen? Mit ihr gesprochen, wirklich?«
»Schon oft, schon oft! In verschiedenen Gegenden! Auch in Sitara schon!«
»Du warst – — —« sie unterbrach mich, ergriff meine Hand, zog mich näher zu sich heran, sah mir in die Augen und fuhr fort: »Du warst schon in Sitara selbst?«
»Ja!«
»Sag mir die Wahrheit, ja die Wahrheit! Ist es wirklich so?«
»Ja, wirklich!«
»Höre, ich prüfe Dich! Was Du sagst, ist fast unmöglich!«
»So prüfe!«
»Das werde ich tun, Höre, und antworte mir! Es soll dort eine Schmiede geben, eine ganz sonderbare, berühmte, alte Schmiede. Sie liegt im tiefen Walde. Es wird nicht Eisen dort geschmiedet, sondern etwas ganz anderes. Wenn Du bei Marah Durimeh gewesen bist, so kennst Du diese Schmiede unbedingt! Sie liegt in Sitara.«
»Nein, sondern nur an der Grenze von Sitara, nämlich in Ardistan. Nur wer in dieser Schmiede zu Stahl gehärtet worden ist, darf nach Sitara kommen.«
»Aber – — – aber – — – Du sagtest doch, daß Du in Sitara gewesen seist?«
»Allerdings!«
»Also auch in der Schmiede?«
»Ja.«
»Im Feuer, auf dem Ambos, im Schraubstock?«
»In allen Qualen, die es dort gibt.«
Sie war von dem, was sie hörte, fast außer sich. Sie atmete tief und schwer.
»So kennst Du den Bericht? Kennst seine Worte?« fragte sie.
»Schon längst!«
»So sag sie! Sag wenigstens den Anfang!«
Ich gehorchte ihr, indem ich die meinen Lesern wohlbekannte Schilderung rezitierte:
»Zu Märdistan, im Walde von Kulub,
Liegt einsam, tief versteckt die Geisterschmiede.
Nicht schmieden Geister; nein, man schmiedet sie!
Der Sturm bringt sie geschleppt um Mitternacht,
Wenn Wetter leuchten, Tränenfluten stürzen.
Der Haß wirft sich in grimmer Lust auf sie.
Der Neid schlägt tief ins Fleisch die Krallen ein.
Die Reue schwitzt und jammert am Gebläse.
Am Blocke steht der Schmerz, mit starrem Aug
Im rußigen Gesicht, die Hand am Hammer – — —«
Die Priesterin hatte mich bis hierher rezitieren lassen; aber ihre Erregung ließ sie nicht länger schweigen. Sie unterbrach mich, um selbst fortzufahren:
»Da, jetzt, o Mensch, ergreifen Dich die Zangen.
Man stößt Dich in den Brand; die Balgen knarren.
Die Lohe zuckt empor, zum Dach hinaus,
Und alles, was Du hast und was Du bist,
Der Leib, der Geist, die Seele, alle Knochen,
Die Sehnen, Fibern, Fasern, Fleisch und Blut,
Gedanken und Gefühle, alles, alles
Ward Dir verbrannt, gepeinigt und gemartert
Bis in die weiße Glut – — —«
Da wurde auch sie unterbrochen. Die Herrin der Ussul ergriff das Wort, um die Schilderung der Vorgänge in der >Geisterschmiede< fortzusetzen:
»Da reißen Dich die Zangen aus dem Feuer.
Man wirft Dich auf den Ambos, hält Dich fest.
Es knallt und prasselt Dir aus jeder Pore.
Der Schmerz beginnt sein Werk, der Schmied, der Meister.
Er spuckt sich in die Fäuste, greift dann zu,
Hebt beiderhändig hoch den Riesenhammer
Und schmettert ihn gefühllos auf Dich nieder.
Die Schläge fallen. Jeder ist ein Mord,
Ein Mord an Dir. Du meinst, zermalmt zu werden.
Die Fetzen fliegen heiß nach allen Seiten,
Dein Ich wird dünner, kleiner, immer kleiner.
Und dennoch mußt Du wieder in das Feuer – —
Und wieder – — – immer wieder, bis der Schmied
Den Geist erkannt, der aus der Höllenqual
Und aus dem Dunst von Ruß und Hammerschlag
Ihm ruhig, dankbar froh entgegenlächelt,
Den schraubt er in den Stock und greift zur Feile.
Die kreischt und knirscht und frißt von Dir hinweg
Was noch – — —«
»Halt ein!« rief da die Priesterin. »Das ist nicht Sage und nicht Märchen, sondern Wahrheit! Das ist wirklich und wirklich die Schmiede, in der ein jeder, der nach Sitara will, vom Schmerz und seinen riesigen, erbarmungslosen Gesellen geglüht, gehämmert, gefeilt und gestählt werden muß, um aus einem Gewaltmenschen in einen Edelmenschen verwandelt zu werden! Nur wer dies geworden ist, der weiß, durch welche Leiden, Qualen und Martern er gehen mußte, und doch haben all die Tausende, die um ihn und mit ihm leben, keine Ahnung davon! Nicht seine Worte, sondern seine Werke verraten es. Höchstens vielleicht noch seine Augen, diese armen, für alle Zukunft noch qualerfüllten Augen, aus deren tiefstem Hintergrunde das dunkle Bild der Geisterschmiede schimmert! Wunderst Du Dich, Ssahib, daß ich diese Schmiede kenne?«
»Nein, denn Du hast mir ja gesagt, daß Deine Ahnen aus Sitara stammen. Aber daß auch Taldscha von ihr wisse, das habe ich nicht gedacht.«
»Sie erfuhr es von mir. Ich mußte es ihr sagen, denn selbst erleben kann sie es nicht, weil sie zu den anderen gehört, denen Gott es erlaubt, nicht durch das Leid, sondern durch das Glück veredelt zu werden. Aber nun frage ich Dich, ob Du wohl errätst, welche Bitte mir auf dem Herzen liegt, seit ich erfahren habe, daß Du nicht nur von Marah Durimeh weißt, sondern daß Du sie persönlich kennst und daß sie sogar Deine Freundin ist?«
»Es ist sehr leicht zu erraten,« antwortete ich.
»So bitte, sage es!«
»Ich soll Dir erzählen, wann, wo und wie ich Marah Durimeh kennen gelernt habe.«
»Ja, das ist es. Bist Du bereit, uns diesen Wunsch zu erfüllen?«
»Sehr gern! Wenn Du Zeit hast, mich zu hören.«
»Die habe ich. Nachdem der Sahahr Opium getrunken hat, wird er nicht vor Anbruch des Morgens erwachen. Und müde bin weder ich noch Taldscha, meine Freundin. Wenn wir von Marah Durimeh hören können, wird für uns sogar die Nacht zum Tage. Und schau der heutigen Nacht in die klaren, offenen Augen! Auch sie schläft nicht, sondern sie wacht. Fordert uns nicht alles, was unter, über und um uns ist, geradezu auf, von der großen, wundertätigen Herrin von Sitara zu reden? Unter uns der dunkle Raum des Ussultempels, der für mich den Anfang aller Glaubenswege bedeutet, die zu Gott führen. Über uns die strahlenden Sternenwelten, die unsern Blick nach oben ziehen, um uns die Richtung dieser Wege zu zeigen. Und rings um uns her das farbenreiche, mystische Licht, in welches sich die schwere, feste und starre irdische Hülle auflöst, weil sie uns zu offenbaren hat, daß sie einst aus der Höhe kam und durch diese Wandlungen und Läuterungen nun wieder nach dort zurückgeführt wird. Dieses Licht berührt auf diesem seinem Himmelspfade unser Gemüt. Es klopft im Vorüberstrahlen an unser Herz. Es gibt uns heilige Stimmung und macht uns empfänglich für jede Botschaft, die aus dem Lande der Liebe und Güte zu uns kommt. Auch Du bist ein Bote für uns, Ssahib, und was Du sagen wirst, ist heilig. Darum setze Dich! Setze Dich uns gegenüber, und sprich von ihr! Von der herrlichen, mächtigen Frau, welche die höchste und die reinste irdische Seele ist, weil alles Gute, was wir tun, indem wir das Böse überwinden, sich erst an ihr zu formen und zu verewigen hat, bevor es unsere eigenen Gestalten verschönert und verklärt. Komm, setze Dich! Und erzähle!«
Ich folgte dieser Aufforderung. Mein Bericht über mein Verhältnis zu Marah Durimeh war weniger ein Erzählen als vielmehr eine Beantwortung von Hunderten von Fragen, die von den beiden begeisterten Frauen an mich gerichtet wurden. Wir saßen noch stundenlang, in stiller Nacht, auf der Zinne des innerlich dunklen Tempels, aber im Flammenscheine der Licht und Wärme schleudernden Vulkane. Es wäre wohl manchem meiner Leser interessant, zu erfahren, was meine beiden Zuhörerinnen zu fragen und zu forschen hatten, und ich möchte gern einen jeden, der diese meine Zeilen in die Hand bekommt, in dieses Allerheiligste der Menschenseele blicken lassen; aber ich muß alles vermeiden, was zu der falschen Meinung leiten könnte, daß ich mit meinen Erzählungen sonderreligiöse oder aftertheologische Zwecke verfolge, und so muß ich, wie so oft, auch hier über das hinweggehen, was lehrhaft erscheinen könnte.
Wenn ich gesagt habe, daß wir noch stundenlang saßen, so ist das sehr reichlich gemeint. So oft ich mich von meinem Sitz erhob, um Schluß zu machen, wurde ich gebeten, noch zu bleiben. Als aber endlich im Osten der erste blasse Gruß des Tages mit dem auch dorthin dringenden Lichte der Vulkane zusammenfloß, sahen die beiden Freundinnen ein, daß es notwendig sei, sich mit dem, was sie jetzt gehört hatten, einstweilen zu begnügen. Wir verließen die Plattform des Tempels, um wieder hinabzusteigen. Der Diener war trotz der Geduldprobe, die man ihm zugemutet hatte, noch da. Er bekam das Zeichen, den Leuchter wieder emporzuziehen. Von dem Scheine der fast gänzlich niedergebrannten Lichte begleitet, gelangten wir hinab und traten in das Freie. Die Frauen bedankten sich. Die Priesterin hatte noch einen besonderen Auftrag für mich, der ihr unendlich am Herzen lag. Ich hatte im Verlaufe unserer Unterredung Veranlassung gefunden, meinen Besuch bei dem Dschirbani auf der >Insel der Heiden< anzudeuten. Sie kam jetzt hierauf zurück, indem sie sich erkundigte, wann ich diesen Besuch zu machen gedenke.
»Er hat mich um die Mitte des Vormittages bestellt,« berichtete ich ihr.
»Möchtest Du mir die Güte erweisen, ihm eine Bitte von mir zu überbringen?«
»Gern! Befiehl über mich!«
»Es ist mein Enkel, der Sohn meiner Tochter, und doch war es mir verboten, mit ihm zu verkehren. Es gab Rücksichten, die mich zwangen, dies dem Sahahr zu versprechen. Wir lieben uns, wie Gott und die Natur es verlangen, auch grüßen wir uns, doch nur von weitem. Jetzt aber ist der Sahahr so schwer verletzt, daß nur die Kunst seines Enkels ihn vom Tode zu erretten vermag, und da fühle ich mich nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet, für diesesmal mein dem Sahahr gegebenes Versprechen aufzuheben. Ich bitte Dich, dem Sohne meiner Tochter zu sagen, daß ich genau um die Mittagszeit im Tempel sein werde, um mit ihm zu sprechen. Und auch noch um ein anderes muß ich Dich bitten. Es betrifft den Sahahr. Seit er verwundet heimgebracht worden ist, haben ihn ganz eigenartige Gedanken ergriffen. Es ist, als ob er phantasiere, aber doch ist er bei Sinnen. Erst hielt ich es für ein sehr frühzeitig auftretendes Wundfieber, bis mich der Puls überzeugte, daß dies ein Irrtum sei. Was aus diesen Gedanken wird, weiß ich noch nicht. Sie beschäftigen sich auch mit Dir. Aber mögen sie sich entwickeln wie sie wollen, so bitte ich Dich, überzeugt zu sein, daß der Sahahr Deine Hochachtung verdient und ein Mann ist, der nur das Glück und das Wohl seines Volkes will. Er haßt seinen Enkel nur als den Sohn des Dschinnistani, der den Ussul den Stamm ihrer Priesterinnen vernichtete; als den Sohn seines Kindes aber liebt er ihn heimlich um so inniger. Und dieser innere Kampf, dieser Zwiespalt ist es, der ihn nach außen hin so hart und so grausam macht.«
»Konnte Deine Tochter denn nicht auch als Frau des Dschinnistani Deine Nachfolgerin werden?« fragte ich. »Er war ja doch Ussul geworden!«
»Nur äußerlich, doch nicht innerlich. Sein Glaube war ein anderer als der unsere, und er zog den ihrigen zu sich hinüber. Wäre sie dem Glauben ihrer Väter und Mütter treu geblieben, so wäre sie auch als Frau dieses Mannes Priesterin geworden, aber er hätte der Nachfolger meines Mannes, also Sahahr, werden müssen, und das, das wies der Dschinnistani streng von sich zurück.«
»War sein Glaube so verschieden von dem Euren?«
»Ja. Zwar hat er ihn nie in Worten gelehrt, ihn aber immer in einer Weise bekannt, die tiefer und länger wirkt, als Worte wirken können. Du wirst das sehen, sobald Du die >Insel der Heiden< betrittst. Wirst Du mir meine Bitte, die sich auf den Sahahr bezieht, erfüllen können?«
»Sie ist bereits erfüllt. Ich achte ihn. Darum bedauere ich es von Herzen, daß wegen seiner Verwundung nun wohl ein anderer die Zeremonie unserer Aufnahme unter die Ussul leiten wird.«
»Welche Zeremonie?« fragte da die Frau des Scheiks.
»Von der er gestern sprach, nachdem ich den Adler geschossen hatte. Er sagte, das sei eine heilige Zeremonie, die er als Priester vorzunehmen habe.«
Da lachte Taldscha lustig auf, indem sie rief:
»Um diese heilige Zeremonie habe ich ihn und Euch gebracht, indem ich Euere Aufnahme nicht im Tempel, sondern während des Abendessens beim fröhlichen Genusse des Simmsemm geschehen ließ. Aber sorge Dich nicht etwa um ihre Gültigkeit! Es kann kein Mensch etwas an ihr ändern! Du bist Ussul und bleibst Ussul, wenn die Zeremonie auch keine so ernste gewesen ist, wie der Sahahr sich gestern dachte!«
Hierauf begleiteten wir die Priesterin nach ihrem in der Nähe liegenden Hause, ich brachte Taldscha nach dem >Palaste< und wendete mich dann heim, nach unserer gastlichen Wohnung.
Der Dschirban
Es war, wie gesagt, beim Morgendämmern. Ich brauchte kein Licht. Man konnte deutlich sehen. Von den beiden Dienern war keiner da. Sie hatten, wie ich später erfuhr, gegen Morgen die Geduld verloren und sich entfernt, vorher aber noch gewaltige Holzklötze, die jetzt noch brannten, in das Feuer geworfen. Es herrschte also in dem für mich bestimmten Raume eine ganz angenehme, trockene Temperatur. Ich schaute nach dort hinaus, wo Halef liegen mußte. Ich sah ihn nicht. Ich suchte ihn in den andern beiden Stuben. Auch da befand er sich nicht. Da ging ich hinaus nach dem Pferdestall. Die Türe war nicht mehr verriegelt, sondern nur angelehnt. Ich schlug sie auf. Da fiel mein Auge auf zwei voneinander getrennte, aber sehr erfreuliche Gruppen. Links lagen die beiden Pferde eng aneinander geschmiegt. Sie begrüßten mich, indem sie leise wieherten, so leise, daß Halef nicht aufwachte. Dieser lag nämlich zur rechten Hand auf der weichen Blätterstreu bei den Hunden. Der eine von ihnen diente ihm als Kopfkissen; der andere lag, lang an ihm hingestreckt, von den Armen des Schläfers zärtlich umfangen. Beide waren wach. Sie wedelten, als sie mich sahen, mir ihre Morgengrüße zu, regten sich aber nicht, damit der kleine Hadschi nicht gestört werde. Rundum lagen große, abgenagte und zerbissene Knochen. Halefs Schlaf schien aber doch kein allzu tiefer zu sein. Die durch die offene Türe eindringende frische Luft wurde von ihm empfunden. Er machte eine Wendung und sagte:
»Laß das Lecken!« Und dann fügte er hinzu: »Es wird von den Gesetzen des Anstandes untersagt!«
Aber grad dieses Lebenszeichen, welches er da gab, bestimmte den Hund, das zu tun, was verboten worden war. Er begann, ihn zu lecken.
»Keine Vertraulichkeit!« befahl Halef. »Ich bin der Scheik; Du aber bist nur der Hund!«
Da wachte er vom Klange seiner eigenen Stimme auf, blinzelte mit den Augen und erklärte ihm:
»Der Hund darf den Scheik höchstens nur dann in das Gesicht lecken, wenn er von diesem vorher geleckt und also dazu aufgefordert – — —«
Er hielt trotz seiner Schlaftrunkenheit mitten im Satze inne, weil er die Gefährlichkeit dessen, was er sagte, fühlte. Er machte also die Hinzufügung:
»Da aber ein Scheik seinen Hund niemals lecken wird, so hast Du mir neben Deiner Liebe auch diejenige Hochachtung zu – «
Er unterbrach sich wieder. Er sprach sich immer munterer. Erst hatte er nur geblinzelt; nun aber öffnete er die Augen ganz. Er sah mich vor sich stehen. Da setzte er sich schnell auf, fiel aber gleich wieder um.
»Du hier, Sihdi, Du?« fragte er. »Wie kommst – — kommst – — kommst denn Du dazu, in – — in – — in – — «
Er versuchte immer wieder, zum Sitzen zu gelangen, fiel aber noch drei oder viermal um, bis er es endlich fertig brachte.
»Verzeihung, Effendi!« bat er da. »Kennst Du mich?«
»Eigentlich nicht!« antwortete ich.
»Kein Wunder!« nickte er, indem er sich mit den Händen nach dem Kopfe fuhr. »Du hast doch gewiß noch nie einen Menschen mit so vielen Köpfen gesehen! Ich habe fünf oder sechs! Und alle, alle sind sie bis oben voll Simmsemm! Wie schwer das ist! Und wie sie alle wackeln! Siehst Du, daß ich sie mit den Händen festhalten muß, damit sie mir nicht herunterfallen, einer nach dem andern?«
»Leider, leider!«
»Schweig mit Deinem leider, ich bitte Dich! Du freilich hast es Dir gut und bequem gemacht! Du hast Dich schlauerweise nur über gewöhnliche Dinge unterhalten, die kein Kopfzerbrechen verursachen, und hast Dich dann, als es schwierig wurde, sehr einfach aus dem Staub gemacht! Aber auf mich ist alles abgeladen worden, alles, alles, was Klugheit, Nachdenken und Kenntnisse erforderte! Und als Du Dich entfernt hattest, legte man die ganze Last der diplomatischen und kriegerischen Verwickelungen nur ganz allein auf meine Schultern! Denke Dir doch nur diese Verantwortlichkeit! Und diese Kopfarbeit für mich! Da reicht ein einzelner Kopf gar nicht mehr zu! Ist es da ein Wunder, wenn man mehrere Köpfe bekommt? Ich habe sieben oder acht! Und weil das einzige Gehirn, welches man hat, für so viele Köpfe nicht ausreicht, so ist es doch wahrlich kein Wunder, daß sie sich nach und nach mit Simmsemmm füllen und so ungeheuer schwer werden, daß sie nur immer herunterfallen wollen! Und wie das summt und brummt! Hörst Du es, Effendi? Ich wollte, Deine Köpfe brummten, aber nicht meine!«
Um ihm diesen Wunsch in heiterer Weise zu vergelten, antwortete ich:
»Das glaube ich Dir, daß Du das möchtest! Aber sag, Halef, ist Dir die hundertundneunte Sure des Koran bekannt?«
Er sann nach, rieb sich die Stirn und brummte:
»Hm! Warum grad diese hohe Ziffer? Du weißt, Sihdi, daß ich im Koran gut bewandert bin, aber wenn Du gleich so über die Hundert hinausgehst, muß ich erst meine Köpfe alle versammeln, ehe ich Dir antworten kann. Ich habe neun oder zehn! Mit Ziffern kann ich mich in diesem Augenblick nicht gut befassen. Sobald ich nach einer fassen will, die im dritten Kopfe steckt, springt sie mir in den sechsten oder siebenten hinüber, und wenn ich da so töricht wäre, ihr zu folgen, so rissen mir inzwischen alle andern aus. Sag also nicht, die wievielte Du meinst, sondern ihre Überschrift, ihren Namen!«
»Man nennt sie El Imtihan, die Prüfung,« antwortete ich.
Die hundertundneunte Sure des Koran trägt diesen Namen, weil man sich ihrer zur Feststellung der Nüchternheit oder Betrunkenheit eines Menschen bedient. Sie lautet: »Im Namen des allbarmherzigen Gottes! Sprich: O Ihr Ungläubige, ich verehre nicht das, was Ihr verehret, und Ihr verehret nicht, was ich verehre, und ich werde auch nie verehren das, was Ihr verehret, und Ihr werdet nie verehren das, was ich verehre. Ihr habt Eure Religion, und ich habe die meinige.« Das klingt im Deutschen einfach und ganz ungefährlich, bietet im Arabischen aber sprachliche Schlingen, denen jemand, der betrunken ist, mit fast unbedingter Sicherheit verfällt. Halef wußte das ebenso gut wie ich; darum sagte er, als er den Namen hörte:
»Die Sure El Imtihan? Willst Du mich prüfen? Denkst Du vielleicht gar, daß ich betrunken bin?«
»Daß Du es warst, ist sicher. Ob Du es noch bist, bezweifle ich, möchte es aber doch bewiesen sehen.«
»Sofort! Sofort!« rief er aus. »Ich und betrunken! Der berühmte Scheik der Haddedihn vom großen Stamme der Schammar soll zu viel getrunken haben! Welch eine Schande! Welch eine Anklage! Welch eine Lästerung! Ich sage Dir, Effendi, nur meine Köpfe sind schwer; mein Magen aber ist leicht, völlig leer! Komm, und greif her! Du wirst sofort fühlen, daß nichts drin ist! Habe ich da zu viel getrunken? Oder ist das nicht vielmehr der allerbedeutendste Beweis, daß ich im Gegenteile zu wenig, viel zu wenig getrunken habe? Und da verlangst Du von mir die hundert – — – die hundert und – — – na, kurz und gut, die Sure!«
»Ja, die verlange ich!«
»Mit welchem Rechte? Ebensogut kann ich sie auch von Dir verlangen! Du warst auch mit beim Feste, beim Essen und beim Trinken! Und – — – Du wackelst! Sihdi, Du wackelst! Du wackelst wirklich ; ich sehe es ganz deutlich!«
»So fordere sie von mir!«
»Schön! Gut! Abgemacht! Sihdi, ich fordere sie von Dir! Also, fang an! Aber wehe Dir, wenn Du falsche Worte bringst oder gar stecken bleibst! Ich lasse keinen einzigen Fehler durch! Nicht den geringsten!«
Ich rezitierte die Sure. Als ich fertig war, schüttelte er den Kopf und sagte!
»Sehr gut! Sehr genau und richtig! Ohne allen Anstoß! Das habe ich ganz genau gehört, denn ich kann sie nämlich auch! Und doch hast Du dabei gewackelt! Hin und her gewackelt! Aber wie! Das beweist nur, daß auch Leute, die nicht betrunken sind, wackeln können. Merke Dir das, Effendi! Wenn ich also vielleicht ein bißchen wackeln sollte, so beweist das eben nur, daß ich grad und genau ebenso nüchtern bin wie Du! Nun komme ich also an die Reihe! Soll ich dazu aufstehen?«
»Natürlich! Die Sure Imtihan wird zu diesem Zwecke stets nur im Stehen gebetet. Das weißt Du ja!«
»Ja, ich weiß es. Darum stehe ich auf!«
Er wollte mit einem einzigen, schnellen Rucke in die Höhe. Es gelang ihm aber nicht. Er setzte sich also wieder nieder. Auch ein zweiter und ein dritter Versuch mißlang.
»Du, das bin nicht ich,« entschuldigte er sich. »Das sind die Köpfe! Und das sind auch die Hunde! Die sitzen mir im Wege! So fange ich es also anders an! Besser, viel besser!«
Er begann zu knien. Dann stemmte er beide Hände nach vorn in die Streu und stellte sich hinten auf die Füße. Er stand also jetzt, wie man sich auszudrücken pflegt, auf allen Vieren. Die Hunde sahen ihm sehr erstaunt zu.
»Siehst Du, wie prächtig das geht, Sihdi?« fragte er. »Paß nur auf! Du wirst Dich wundern!«
Er nahm erst die eine und dann die andere Hand von der Erde und versuchte sich aufzurichten. Ein bißchen, noch ein bißchen höher, und wieder ein bißchen höher. Er benahm sich ganz wie ein zaghafter Akrobatenlehrjunge, der zum ersten Male auf das hohe Turmseil gesetzt wird und nun sich weder aufrichten noch vor oder rückwärts gehen kann. Er begann zu zittern, erst an den Beinen, dann am ganzen Körper.
»Auf, auf!« rief ich ihm zu.
Das erboste ihn.
»Du hast gut reden!« antwortete er zornig. »Du bist schon auf! Aber wie steht es mit mir? Das Schwerste bekomme doch immer nur ich zu tun! Aber ich werde Dich beschämen! Sieh! Jetzt, jetzt! Nur Pulver hinein, dann geht’s!«
Wie gesagt, so getan. Er machte Pulver hinein. Leider aber wirkte das nicht auf-sondern abwärts. Im nächsten Augenblick saß er wieder unten zwischen den beiden Hunden.
»Diese Hunde, diese Hunde!« klagte er. »Was die mich irre machen! Du hast keine Ahnung davon, Sihdi! Dieses immerwährende Lecken während der ganzen Nacht! Und dieses immerwährende Im-Wege-Stehen jetzt am hellen Tage! Schau sie nur an, was für Gesichter sie machen! So spöttisch! Ich glaube gar, sie wagen es, mir Hohn zu lächeln! Da sollen sie staunen! Ich fange wieder an! Und dieses Mal komme ich aus einer anderen Gegend.«
Er drehte sich nach der Mauer um, stellte sich wieder auf alle viere und ging dann Griff um Griff mit beiden Händen an der Wand empor. Als er sich in dieser Weise aufgerichtet hatte, drehte er sich um, lehnte sich fest an, nickte mir triumphierend zu und fragte:
»Na, was sagst Du nun? Du wunderst Dich! Du bist überrascht, im höchsten Grade überrascht! Ja, man kann es; man hat es eben gelernt! Und nun sieh Dir einmal die Gesichter dieser Hunde an! Ganz anders als vorher! Wie sie staunen! Jetzt erkennen sie endlich, daß ich der Scheik bin, sie aber nur die Hunde! Und nun gehen wir zur Sure! Die willst Du doch?«
»Allerdings!«
»Die Sure Imtihan, die ich auswendig kann?«
»Ja.«
»Soll ich da auch die Einleitung sagen: Im Namen des allbarmherzigen Gottes?«
»Nein. Das ist nicht notwendig und das gehört nicht zu ihr, weil diese Einleitung vor jeder Sure steht. Du kannst also gleich anfangen mit: >Hört, Ihr Ungläubige, ich verehre nicht das, was Ihr verehret.<«
»Gut! So fange ich also gleich damit an. Halte mir nur die Hunde vom Leibe, daß sie mir nicht etwa beide in mein Gedächtnis hereinspringen und Du dann glaubst, daß ich betrunken bin! Soll ich?«
»Ja. Also?«
Da nahm er seine ernsteste Miene an, streckte die Arme nach beiden Seiten aus, machte die Augen zu und begann:
»Sprich: O Ihr Hunde, Ihr verehret nicht, was ich verehre, und ich – — —«
»Halt, falsch!« fiel ich ein. »Du hast doch >Hunde< gesagt!«
»Jawohl!« antwortete er, indem er die Augen wieder öffnete. »Das ist doch nicht etwa falsch?«
»Der Prophet richtet seine Worte an die Ungläubigen, nicht aber an Hunde. Es muß also heißen: O Ihr Ungläubige!«
»So muß es allerdings heißen. Und so habe ich nicht gesagt?«
»Nein.«
»Daran bist Du schuld, nicht aber ich!«
»Wieso?«
»Siehst Du nicht ein, daß mir die Hunde schon mitten im Gedächtnis sitzen? Und habe ich Dich nicht gebeten, sie mir vom Leibe zu halten? Wenn Du nicht besser aufpassest, ist es um meine ganze, schöne Sure El Imtihan geschehen!«
»Fang nochmals an!«
»Gut! Aber sei aufmerksamer als bisher!«
Er breitete die Arme wieder aus, machte die Augen wieder zu und fing wieder an:
»Sprich: O Ihr Ungläubige, Ihr verehret – — —«
»Falsch!« rief ich dazwischen. »Es beginnt nicht mit Ihr, sondern mit ich!«
Da verbesserte er sich:
»Sprich: O Ihr Ungläubige, ich beginne nicht mit Ihr, sondern Ihr beginnet mit ich, und ich – — —«
»Halt!« fiel ich wieder ein. »Es ist doch nicht vom Beginnen, sondern vom Verehren die Rede!«
»Ach so! Also besser! Nun aber wird’s!«
Er nahm sich zusammen und fing von neuem an:
»Sprich: O Ihr Ungläubige, ich verehre nicht das, was ich verehre, und Ihr verehret nicht das, was Ihr verehret —«
»Aber was denn sonst?« rief ich ihm zu. »Sie können doch nichts anderes verehren als eben das, was von ihnen verehrt wird!«
»Sehr richtig!« stimmte er bei. »Ich aber auch nicht!«
»Und doch hast Du soeben das Gegenteil davon gesagt!«
»Ich? Das Gegenteil? Du irrst, Sihdi! Ich kann beschwören, so vielmal Du willst, daß ich in meinem ganzen Leben noch nicht ein einziges Mal das Gegenteil von dem gesagt habe, was ich sage! Wenn Du solchen Unsinn redest, muß ich annehmen, daß der Rausch, den Du in meinen elf oder zwölf Köpfen suchst, in Deinem eigenen Kopfe steckt!«
»Die Zahl Deiner Köpfe wird, wie es scheint, immer größer. Du hast behauptet, daß Du nicht verehrest, was Du verehrst.«
»Das ist nicht wahr, Effendi, das ist nicht wahr! Ich weiß zwar, daß Du niemals lügst, und das ist wohl die einzige Tugend, die ich an Dir entdecken kann, aber Irrtümer und Verwechslungen sind auch beim wahrhaftesten Menschen möglich, zumal Du mich immer und immer unterbrichst. Laß mich doch einmal ausreden, richtig ausreden! Vom Anfang bis zum Ende! Da wirst Du gleich hören, daß alles prächtig stimmt!«
»Gut! So rede Dich aus!«
»Ohne daß Du mich unterbrichst?«
»Ja.«
»So halte Wort! Und paß auf, wie gut und richtig ich es bringen werde!«
Und abermals streckte er die Arme aus, und abermals machte er die Augen zu. Dann begann er zu deklamieren:
»Sprich: O Ihr Ungläubige, ich rede nicht aus, was Ihr ausredet, und Ihr unterbrecht nicht das, was ich unterbreche, und ich werde nie das verehren, was Ihr ausredet, und Ihr werdet nie verehren, was ich unterbreche. Ihr habt meine Religion, und ich habe die Eurige!«
Als er damit fertig war, machte er die Augen wieder auf, ließ die Arme fallen und schaute erwartungsvoll zu mir herüber. In seinem Gesicht war sehr deutlich zu lesen, daß er überzeugt sei, das größte Lob von mir zu ernten.
»Nun, Sihdi, was sagst Du dazu?« fragte er, als ich schwieg.
»Du hast den tollsten Unsinn geschwatzt, den es geben kann!« antwortete ich.
»Unsinn? Toll?« wiederholte er erstaunt. »Was wird Mohammed, der Prophet, dazu sagen, wenn er das erfährt?«
»Warum grad dieser?«
»Weil das, was Du als Unsinn bezeichnest, aus seinem Munde stammt, sogar aus Gottes Mund. Denn ich habe wörtlich wiederholt, was Mohammed im heiligen Buche sagt. Und was da steht, das ist dem Propheten vom Himmel herabgekommen! O, Effendi, wie betrübst Du mich! Ich kenne Dich gar nicht wieder. Es steht schlimm, sehr schlimm um Dich! Du bist entweder ein Spiritustrinker oder ein Gotteslästerer geworden! Eines von beiden! Ein drittes gibt es nicht! Wenn Du den Inhalt des Koran als Unsinn bezeichnest, bist Du entweder ein Religionsschänder oder ein Trunkenbold. Um Dich vom Trunk zu retten, muß ich Dich für einen Lästerer halten, und um Dich von dem Religionsfrevel zu befreien, bin ich gezwungen, Dich als Trunkenbold hinzustellen. Beides ist schrecklich! Eines immer schrecklicher als das andere! Aber ich will Dich doch lieber für einen Trinker als für einen Verleumder der Sure El Imtihan halten und fühle mich darum verpflichtet, Dich zu warnen. Hüte Dich vor dem Simmsemm! Ich sage Dir, hüte Dich! Dieser Simmsemm gleicht einem alten Weibe, welches äußerlich schöne Kleider trägt, innerlich aber voller Mucken und tiefer Abgründe ist.«
»Die kennst Du wohl?« fragte ich in etwas anzüglicher Weise.
»Ja, die kenne ich!« bestätigte er. »Denn ich bemerke sie an Dir. Du bist betrunken, Sihdi, vollständig betrunken! Du kannst Dich schon nicht mehr auf den Beinen halten! Ich habe Dich an die Wand gelehnt; aber Du hast nicht einmal die Kraft, Dich an ihr aufrecht zu erhalten. Du rutschest – — «
Während er das sagte, rutschte er selbst.
»Rutschest – an der Wand hernieder,« fuhr er fort, indem er den Halt verlor und mehr und mehr zusammensank. »Dann kommt – — dann kommt – — dann kommt ein großer, ein gewaltiger Plumps, und dann – — dann liegst Du da!«
Ganz genau so, wie er es sagte, so geschah es. Der Plumps kam, und dann lag er da, der berühmte Scheik der Haddedihn vom großen Stamme der Schammar. Ich machte den Versuch, ihn wieder zu ermuntern, vergeblich. Der Simmsemm war mächtiger als alles, was ich tat und sagte. Halef wachte nicht wieder auf. Ich brachte ihn in eine bequeme Lage und ging dann zu den Pferden, welche erwarteten, liebkost zu werden. Als ich den Stall verließ, machten die beiden Hunde nicht den geringsten Versuch, mitzugehen. Sie blieben bei dem kleinen Hadschi liegen, der sich, wie er mir hernach sagte, nach dem Festessen mit einer tüchtigen Portion von Fleisch und Knochen an sie herangevettert hatte.