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Kitabı oku: «Ardistan und Dschirnistan I», sayfa 24

Yazı tipi:

»Du? Willst etwa Du etwas davon haben? Sollst Du etwa Deinetwegen Engel sein? Oder bloß nur seinetwegen? Halef, höre mich an! Als Geschöpfe Gottes stehen die Engel den Menschen vollständig gleich; denn beide sind das, was sie sind, nur durch Gottes Güte geworden. Aber in Beziehung auf das, was sie tun und wie sie es tun, stehen die Engel höher, viel höher als die Menschen. Der Mensch denkt in allen Stücken zunächst an sich selbst, der Engel aber an seinen Schützling. Auch der Mensch tut Gutes, aber er will Dank sehen, der Engel aber niemals! Der Mensch tritt mit seinen Wohltaten persönlich hervor; er tut sie am liebsten öffentlich, in allergrößter Sichtbarkeit und Hörbarkeit. Auch Hadschi Halef Omar ist nicht besser. Er will gesehen, gehört, gelobt und gepriesen werden; er will prahlen können, prahlen, prahlen! Der Engel aber handelt im Verborgenen. Er läßt sich weder sehen noch hören. Wenn Hadschi Halef Omar mit mir nach Dschinnistan reitet, um für den Dschirbani öffentlich zu kämpfen, so handelt er als Mensch. Wenn er dafür geschmeichelt und scharwenzelt werden will, so handelt er als Narr, als Tor, als Einfaltspinsel. Wenn er aber in allem, was er tut, mit seiner eigenen Persönlichkeit in der Weise zurücktritt und verschwindet, daß aller Ruhm und alle Ehre und aller Dank nur auf den Dschirbani fällt, so handelt er als Gottesbote, als unsichtbarer Engel!«

A Er war meinen Worten mit großer Aufmerksamkeit gefolgt. Nun rief er begeistert aus:

»So, so will ich sein! Das, das ist das Richtige! Nicht Mensch, nicht Narr, sondern Engel!«

»Warte noch! Ich bin nicht fertig!«

»Noch mehr? War das nicht genug?«

»Nein. Du mußt, ehe Du Dich fest entschließt, alles wissen! Denke an die letzte Nacht! Während ich hier mit Taldscha und der Priesterin, von dem Glanze des Himmels und der Erde umflutet, in der Anbetung Gottes stand, stolpertest Du da unten in der Tiefe an der Hand des Simmsemm heim. Und heut, jetzt, willst Du ein Engel, sogar ein Schutzengel sein! Dem Menschen kann man viel verzeihen, weil Gott von ihm nur Menschliches verlangt; wer aber Engel sein will, der hat an Opfern, Selbstüberwindung, Entsagung und Geduld schier Übermenschliches zu leisten. Er muß sich selbst vergessen, vollständig vergessen. Indem Du Dich hierzu entschließest, stellst Du Dich jenseits der Grenze alles dessen, was Du bisher warst und bisher konntest. Wirst Du jetzt noch sagen, daß es leicht sei, Engel zu sein?«

»O nein, nein, nein!« antwortete er kleinlaut. »Es ist schwer, unendlich schwer!«

»Am schwersten ist das Unsichtbarwerden und das Unsichtbarbleiben. Sobald man Dich sieht, bist Du kein Engel mehr, sondern ein Mensch, wie jeder andere gewöhnliche Mensch. Der Dschirbani ist die Hauptperson; wir aber müssen verschwinden. Wir haben bescheiden zu sein, ganz außerordentlich bescheiden. Wir haben zu dienen und zu gehorchen. So will es Marah Durimeh, unsere große Meisterin, die nie etwas von uns verlangte, B sondern immer nur gab, nur gab! Du mußt Dich an den Gedanken gewöhnen, daß der Dschirbani, der von den Ussul Verachtete, vor Gott viel höher steht als Du und ich! Er ist schon edel; wir aber haben erst noch edel zu werden! Er will hinauf nach Dschinnistan. Also hoch, hoch will er steigen! Indem wir ihm dienen und ihn beschützen, steigen wir mit! Indem wir ihn stärken und ihm helfen, stärken und helfen wir uns selbst. Indem wir ihn dem hiesigen Sumpfe entreißen, entkommen auch wir dem Moder des niedrigen Lebens, wo jedermann nur nach Simmsemm, Fleisch und Humus riecht. Und indem wir ihn, nach gelungenem Ritt, dem ‘Mir von Dschinnistan übergeben, stellen wir auch uns in den Schutz und Schirm dieses mächtigen Herrschers, in dessen Haus der ewige Friede wohnt. Freilich, so bei ihm einzuziehen, wie wir jetzt sind, können wir nicht. Indem wir Schutzgeist und Schutzengel werden wollen, haben wir unser Todesurteil gesprochen. Wir müssen sterben!«

»Sterben?« fiel mir da Halef schnell in die Rede. »Allah sei uns gnädig! Ist das wahr?«

»Ja,« nickte ich ihm ernsthaft zu.

»Wo sollen wir sterben, wo?«

»Unterwegs.«

»Aber Du hast doch soeben davon gesprochen, daß wir den Dschirbani dem ‘Mir übergeben und also Dschinnistan erreichen werden!«

»Ganz richtig!«

»Und doch sind wir dann unterwegs gestorben?«

»Ja.«

»So ziehen wir also als Leichen in Dschinnistan ein?«

»Wenn Du es so ausdrücken willst, habe ich nichts dagegen.«

A »Höchst sonderbar! Fast wird mir angst! Sag mir doch wenigstens, an welcher Krankheit ich sterben werde!«

»Du wirst an keiner Krankheit sterben.«

»Woran sonst?«

»Es wird Dich jemand ermorden.«

»Wer, wer?« fuhr er zornig auf. »Nenne mir den Halunken, den Schurken!« Und die Hände ballend, stellte er sich vor mich hin und fügte hinzu: »Den Schuft, den Schandbuben, das Scheusal, den Ruchlosen, den Kehlabschneider, das Ungeheuer! Wie lautet sein Name, wie?«

»Hadschi Halef Omar.«

Da wich er wieder von mir zurück, öffnete die Fäuste und fragte verwundert:

»Ich? Also ich selbst?«

»Ja. Du selbst!«

»So meinst Du, daß ich als Selbstmörder enden werde?«

»Gewiß meine ich das. Aber ich meine es nicht nur, sondern ich hoffe und wünsche es sogar!«

»Du hoffst – — – hoffst – — – wünschest – — Selbstmörder – — – ich – —!«

Die Stimme versagte ihm. Er trat noch weiter von mir zurück. Da sah er, daß ich lächelte. Er besann sich, kam schnell wieder auf mich zu und sagte in frohem Tone:

»Du lächelst, Effendi! Du meinst es also anders, als ich dachte. Ich bin wirklich noch kein Engel! Ja ich bin noch nicht einmal Mensch! Sondern ich bin noch erst Narr und Einfaltspinsel, wie Du vorhin sagtest! Soeben noch hast Du Dir so große Mühe gegeben, mir zu erklären, was ein Engel zu bedeuten hat, und gleich darauf weissagst Du mir, daß ich an Selbstmord sterben werde! Das paßt nicht zusammen. Ein Engel wird nicht zum Selbstmörder und ein Selbstmörder wird kein Engel. Du meinst also keinen echten, richtigen, wirklichen Selbstmord, sondern einen andern, der in der Müdschewwedet vorkommt, von der wir vorgestern gesprochen haben, als ich vom Pferde gefallen war. Weißt Du, so einen Selbstmord, wo sich zum Beispiel jemand aus dem Oberbewußtsein in das Unterbewußtsein hinunterstürzt und dabei den Hals bricht, oder wo ein anderer im Unterbewußtsein in die Apotheke läuft, um Rattengift zu holen und es sich dann im Oberbewußtsein in seine eigene Kaffeetasse schüttet. Darum habe ich Dich nicht sogleich verstanden, denn sobald Dir Deine Gedanken in die Müdschewwedet geraten, kann Dir kein Schutzgeist und kein Engel folgen, viel weniger ich, der Narr. Ich bitte Dich, mir die Sache zu erklären!«

»Sofort! Sie ist einfach folgende: Als wir uns vor Jahren zum ersten Male trafen, nanntest Du Dich Hadschi Halef und behauptetest, auch alle Deine Vorfahren seien Hadschi gewesen. Das war nicht wahr. Der Halef stimmte; das war Dein wirklicher Name. Der Hadschi aber, der warst Du nicht; der bist Du erst später geworden, und zwar dadurch, daß Du Dir meine Liebe erwarbst. Zum wirklichen Hadschi hast Du es aber nur äußerlich, nicht innerlich gebracht. Da ist noch immer der alte, imitierte Hadschi vorhanden, der fremde Titel, fremdes Verdienst und fremden Ruhm für sich in Anspruch nimmt, ohne aber ein Recht dazu zu haben. Ich glaube, wir haben schon einmal hierüber gesprochen. Ich sagte Dir, daß ich den Halef liebe, daß es mit dem Hadschi aber ganz unbedingt ein Ende zu nehmen habe. Besinnst Du Dich darauf?«

»Ja, Effendi. Nur weiß ich nicht, wo es war, daß wir über den Hadschi und über den Halef sprachen. Ich nahm mir damals vor, es mit diesem in mir wohnenden Hadschi alle zu machen, habe aber nicht wieder daran gedacht. Ich brauche nur zu wollen, so muß er fort!«

»Denke das nicht! Denke das ja nicht! Das ist ererbt von Deinen Vätern, die sich auch Hadschi nannten, ohne es zu sein. Solche Erbschaft ist nur schwer zu beseitigen. Und dennoch mußt und mußt Du sie herausreißen und von Dir werfen, weil Du es sonst nie zum Edelmenschen bringst oder gar zum Schutzengel anderer, die unendlich höher stehen als Du, weil alles echt ist, was sie sind und haben! Den Hadschi also hast Du abzutöten. Verstehst Du mich?«

B Gern hätte ich noch einige Unterweisungen hierangeknüpft, doch konnte ich nicht, weil jetzt der Dschirbani kam. Halef rückte in die äußerste Ecke der Bank. Er fühlte sich außerordentlich wertlos und klein. Der junge, geistvoll ernste Ussul kam ihm nicht nur körperlich als Riese vor. Und den, den wollte er unter seine Fittiche nehmen, wollte sein Schutzengel sein! So sagte er zu sich. Daß diese Demut berechtigt war, verstand sich ganz von selbst. Was sie für Früchte trug, mußte sich erst zeigen.

Der Dschirbani hatte kurz und freundlich gegrüßt und war dann an die Balustrade getreten. Er schaute geradewegs in das soeben wieder hoch emporlodernde Feuer der Berge hinein. Seine riesige Gestalt stand wie in Flammenglut. Dann sagte er, ohne die vorangegangenen Gedanken durch Worte anzudeuten:

»Und da hinauf wollen wir! Mitten durch diesen Brunst und Brand hindurch! Wie schwer, wie schwer! Und wie gefährlich! Mein Vater sagte, wenn er von seiner Heimat sprach: >Nur wer einen Schutzgeist, einen führenden Engel findet, gelangt nach Dschinnistan!< Ich will und muß hinauf! Doch nicht allein. Des Vaters Wort soll gelten!«

Sich mir zukehrend, fragte er:

»Sahib, willst Du mein Schutzgeist sein?«

War das nicht sonderbar? War das Zufall? Bei mir gibt es keinen Zufall. Die Erzeuger alles dessen, was geschieht, sind Gottes Führung und des Menschen Wille. Darum antwortete ich schlicht und kurz:

»Gern! Ich habe Marah Durimeh zu gehorchen.«

Nun wendete er sich an den Hadschi, nahm dessen kleines Händchen zwischen seine beiden Hände, strich liebkosend darüber hin und sprach:

»Und Dich möchte ich als schützende Seele haben, mein lieber Halef. Willst Du mir das sein?«

Da brach der Kleine in ein lautes, konvulsivisches Schluchzen aus. Er fand keine Worte. Er drückte sein Gesicht in die Hände des gütigen Titanen, küßte sie drei-, viermal und entfernte sich dann schnell, um uns mit seiner Rührung nicht zu belästigen.

»Was ist es, was er hat?« fragte der Dschirbani.

»Er fühlt, daß er kein Engel ist,« antwortete ich.

»So mag er sich üben! Gott hat nicht Engel geschaffen, um die Menschen von ihren Pflichten zu entbinden, sondern er hat die Menschen berufen, durch die Betätigung der wahren, uneigennützigen Menschlichkeit an ihren Brüdern und Schwestern zu Engeln zu werden!«

Hierauf nahm er an meiner Seite Platz und gab mir Kunde von dem Verlaufe des Abendessens und der darauffolgenden Besprechung seiner Forderungen. Er hatte einen vollen und ganzen Erfolg errungen, nichts war ihm abgeschlagen worden. Und er gestand es fröhlich ein, daß er das nicht etwa seiner Klugheit und Geschicklichkeit im Verhandeln, sondern nur dem Einflusse der Herrin der Ussul zu verdanken habe.

Nun sahen wir einen langen Fackelzug, der sich von weit draußen her dem Tempel näherte.

»Das sind meine Hukara. Es ist fast Mitternacht,« sagte der Dschirbani. »Siehst Du die Menschenmenge auf dem Platze?«

Erst jetzt bemerkte ich, von ihm darauf aufmerksam gemacht, daß sich eine zahlreiche Menge vor dem Tempel angesammelt hatte. Alle waren so still, so ruhig! Wie sonderbar doch diese halbwilden Menschen sind.

»Sie wollen der Einsegnung zuschauen,« erklärte mir mein junger Freund, »dürfen aber nicht eher hinein, als bis geläutet wird.«

»Geläutet?« fragte ich. »Gibt es hier Glocken?«

»Nein. Wir läuten mit Hörnern.«

»Mit solchen, wie ich heut bei Dir gesehen und gehört habe?«

»Ja.«

Wir hörten unter uns die Räder des großen Leuchters schwirren. Er wurde angebrannt. Der Fackelzug erreichte den Platz, marschierte rund um ihn herum und verschwand dann im Eingange des Tempels, ohne daß die Fackeln ausgelöscht wurden. Dann begann das Läuten. Zunächst erklang ein einzelner, tiefer, außerordentlich starker, langgezogener Ton. Ihm folgten drei andere Töne von verschiedener Höhe. Diese vier Töne wurden A zunächst zusammen lang ausgehalten, dann aber, wie läutende Glocken, einzeln angeschlagen, wie ein gebrochener Akkord. Das machte auf uns, die wir hoch oben standen, wo die Tonwellen sich alle vereinigten, einen so gewaltigen Eindruck, daß es gar nicht möglich ist, ihn durch Worte auch nur anzudeuten. Es war, als sei die Zinne, auf der wir standen, ein kleines Boot, das auf einem brandenden Meere von Tönen und Akkorden umhergetrieben wurde, das nicht zur Ruhe kommen konnte, indem der Grundton seine sehnsuchtsvollen Rufe immer wieder von neuem begann. Wer das hörte, den zog es mit innerer Gewalt zum Tempel hin.

Aber außer diesen Tönen sammelte sich noch etwas anderes grad unter unsern Füßen, nämlich der Rauch und Qualm von über sechshundert Fackeln, die im Innern des Tempels brannten. Dieser böse, dicke Dunst gelangte zwar auch zwischen den Holzsäulen, welches das Dach trugen, heraus in das Freie. Er entschlüpfte dort dem Innern und bildete, indem er sichtbar rund um uns aufstieg, einen fast erstickenden Ring um uns, der uns die freie Aussicht nach den Bergen und nach dem Himmel raubte. Aber die hartnäckigsten und stinkigsten Schwaden legten sich grad unter unsern Füßen an, und es war nicht tröstlich, uns sagen zu müssen, daß wir uns da hindurchzuatmen hatten, um dorthin zu gelangen, wo man uns erwartete.

»Das ist schlimm!« lächelte der Dschirbani. »Hoffentlich ersticken wir nicht! So wie uns jetzt, muß es dem Gott zumute sein, wenn er aus dem Paradiese tritt, um nach Ardistan zu gehen! Und so muß es jedem reinen Geiste und jedem edlen Menschen grauen, in die Atmosphäre derer, die in Stickluft leben, hinabzusteigen. Weißt Du, Ssahib, daß wir für immer von hier gehen?«

»Ja.«

»Tut es Dir nicht leid?«

»Nein. Die einzige, die mich hier halten könnte, Taldscha, folgt uns ganz sicher nach.«

»Das denke auch ich. Reichen wir uns die Hände, daß einer den andern in der Ohnmacht halte und stütze! Nur einmal noch durch diesen Dunst und Rauch und Qualm der Tiefe! Dann aber fort, empor zur reinen, freien Luft von Dschinnistan!«

Wir öffnete den nach unten führenden Treppenweg. Ein fürchterlicher Brodem von Ruß und Pech und Teer drang uns entgegen. Wir aber mußten hindurch. Wir nahmen uns bei den Händen. Hinein, hinein! Hinunter!

Auf, zum Kampf!

Wenn ich die Ereignisse der letzten Tage überdenke, so stellen sie sich mir derart zwingend und drängend dar, daß es fast zum Verwundern ist. Am Montag war es, als die Ussul meinen Halef ergriffen und ich dafür ihren Scheik gefangen nahm. Am Dienstag waren wir nach Ussulia geritten, und nachts stand ich mit der Priesterin und Taldscha auf dem Tempel. Am Mittwoch, also gestern, wurde der Kriegszug gegen die Tschoban und unsere Beteiligung daran zur fest beschlossenen Sache. Und am Donnerstag, heut, befand ich mich mit Halef schon unterwegs, um nach dem Schauplatz dessen, was geschehen sollte, voranzureiten. Das war doch wohl ein Stringendo, welches zum Nachdenken trieb. Ich habe die Erfahrung gemacht, daß, wenn die Ereignisse einander so trieben, der Schluß fast immer kein befriedigender war. Warum wohl das? Höchst wahrscheinlich aus dem Grunde, daß der Mensch dabei die innere Ruhe und den scharfen Blick des Auges verliert, die beide unumgänglich nötig sind, wenn man wünscht, Herr der Begebenheiten zu bleiben. Was die Schärfe des Blickes betrifft, so war sie mir wohl nicht verloren gegangen; ich hatte vielmehr Gelegenheit gefunden, sie zu üben. Auch die innere Ruhe war mir geblieben. Nichts hatte mich aus dem Gleichgewicht gebracht, und selbst wenn so etwas geschehen wäre, so hätte mir die tiefe Einsamkeit und Stille des Urwaldes, durch den wir heut während des ganzen Tages geritten waren, die vortrefflichste Gelegenheit gegeben, mich selbst wieder finden zu lassen.

Es waren große, verantwortungsvolle Pflichten vor mir aufgetaucht, aber ich stand ihnen außerordentlich sachlich gegenüber. Ich war plötzlich sozusagen unpersönlich geworden. Ich befand mich in einer mir unbekannten Stimmung und hatte das Gefühl, als ob sich das, was mir bevorstand, gar nicht auf mich beziehe und nur darum von mir miterlebt werden müsse, weil es bestimmt war, nicht nur den Beteiligten, sondern auch mir zum Segen zu gereichen. Es kam mir vor, wie eine Übung in der schweren Kunst, Gottes führende Hand im Leben zu erkennen, um dadurch die Befähigung zu erlangen, dann auch mit eigenen Händen die Zügel der Ereignisse zu führen. Es gibt Menschen, die nicht leben, sondern gelebt werden, weil sie erst lernen müssen, was leben heißt. Einst hatte auch ich zu ihnen gehört. Ich war gelebt worden und hatte dies mit schwerem, bitterem, viele Jahre langem Weh bezahlen müssen. Dann hatte ich mich von denen, die mich lebten, freigemacht. Eine böse, mühe-und enttäuschungsvolle Lehr-und Gesellenzeit war gefolgt. Und heute nun sah ich mich endlich, endlich vor die Notwendigkeit des Beweises gestellt, nicht mehr Knecht, sondern Herr meiner selbst zu sein.

B Das war es, was ich bei Beginn unseres weiten Rittes über mein Inneres zu sagen habe. Halef mag für sich selbst sprechen. Ich will nur andeuten, daß er sehr ernst gestimmt war, ernst und weich. Er sprach ganz wenig, nur das Allernotwendigste. Infolgedessen, was ich ihm am gestrigen Abend auf der Zinne des Tempels gesagt hatte, schaute er heute tief in sein Inneres hinab und suchte mir dies dadurch zu verbergen, daß er sich äußerlich sehr lebhaft mit Hu und Hi, seinen beiden Hunden, beschäftigte. Er hatte sich vor unserer Abreise über ihre Dressur genau instruiert und versuchte nun zunächst, sie in allen ihren Stücken durchzuprobieren. Es freute mich, daß sie sich als sehr brauchbar erwiesen. Meine beiden Riesen Aacht und Uucht standen aber auch in dieser Beziehung hoch über ihnen. Sie gingen auf Mann und Tier in jeder Lage. Sie rissen den Reiter im Galopp vom Pferde; sie gehorchten in allen Stücken sofort und unbedingt. Aber was sie taten, das taten sie nicht aus Angewöhnung, sondern mit Einsicht und Überlegung. Sie wußten mit beinahe menschlicher Intelligenz sehr wohl zwischen den rechten und den falschen Mitteln zu unterscheiden, und es wird sich im Laufe der Ereignisse wohl oft herausstellen, daß sie richtiger und klüger handelten als ich selbst.

Alle vier Hunde waren mit Riemenzeug und einer Art von Sattel ausgerüstet, auf dem sie ihren eigenen Proviant und einen Wasserschlauch trugen. Der letztere war für Gegenden bestimmt, die jenseits der Tschobangrenze lagen. Die Traglast war so berechnet, daß sie ihnen nicht zu schwer wurde. Sie freuten sich im Gegenteile, so oft sie ihnen angeschnallt wurde. Diese Freude tat sich niemals in lautem, unnützem Bellen kund, sondern nur im Mienenspiele. Einer ihrer größten Vorzüge war die Schweigsamkeit, die sie stets beobachteten. Wir kamen ja sehr oft in Lagen, in denen jeder laute Ton zu vermeiden war. Gelegentlich aber, wenn es ohne Nachteil geschehen konnte, gab ich den braven Tieren dann auch gleich selbst die Veranlassung, sich nach Herzenslust auszubellen.

Was nun unsere eigene Ausrüstung betrifft, so waren wir so vortrefflich beritten als nur immer möglich. Ben Rih, den Halef ritt, ist schon oft beschrieben worden. Wie ich zu meinem Syrr kam, ist in meiner Erzählung >Im Reiche des silbernen Löwen< zu lesen; dort sind auch die hervorragendsten Eigenschaften dieses unvergleichlichen Pferdes beschrieben. Auch unsere Waffen waren vortrefflich, die meinigen sogar unschätzbar, wir selbst dabei kerngesund und frohen Mutes, voller Unternehmungslust und Zukunftsfreude. Mehr kann man von zwei Menschen, von denen der eine der Sohn eines blutarmen, deutschen Leinewebers und der andere der Sprosse einer ebenso armen, nordafrikanischen Beduinenfamilie war, wohl kaum verlangen.

Wir waren von heut früh an fast den ganzen Tag geritten, hatten nur zu Mittag eine Stunde Rast gemacht und sahen uns darum jetzt, wo der Abend nahte, nach einem Platze um, der A sich zum Nachtlager eignete. Wir befanden uns mitten in einem uralten Cedrelawalde, der sich längs des Wassers, an dem wir ritten, hinzog. Leider aber waren diese Cedrelen von der Gattung Toana, deren Rinde, Blätter und Früchte einen starken, knoblauchartigen Geruch aushauchen. Es war ratsam, eine Rast unter solchen Bäumen zu vermeiden, und so wollten wir nicht eher halten, als bis wir eine andere und weniger duftende Vegetation erreichten. Das geschah erst dann, als es bereits zu dämmern begann. Da ging der Toanabestand in einen fast ganz reinen, lederblättrigen Schoreawald über, der nur dann und wann von einer Gruppe von Sissubäumen unterbrochen wurde. Das Unterholz bestand teils aus immer-, teils aus nur sommergrünen Sträuchern.

Wir hielten an. Auch die Hunde blieben stehen. An Hu und Hi war nichts zu bemerken. Aacht und Uucht aber schauten mich fragend an, als ob sie sagen wollten: »Ihr haltet hier? Warum gehen wir nicht weiter?« Das war jedenfalls nicht ohne Grund. Uucht ging noch einige Schritte vor, hob den rechten Vorderfuß, sog die Luft in die Nasenflügel und richtete, leise mit dem Schwanze wedelnd, die Augen dann wieder auf mich.

»Da vorne gibt es etwas!« sagte Halef.

»Und zwar Menschen!« stimmte ich bei.

»So bleibe ich mit den Hunden und Pferden hier?«

»Ja. Und ich gehe, um zu sehen, wer es ist. Sorge dafür, das alles still bleibt!«

Wir stiegen ab und ließen die Pferde sich legen. Die wußten nun, daß sie nicht schnauben und überhaupt nicht laut werden durften. Die Hunde mußten sich zu ihnen setzen und bekamen das Zeichen, sitzen zu bleiben und sich ruhig zu verhalten. Dann legte ich die beiden Gewehre ab, die mich im Anschleichen gehindert hätten und ging zunächst, um mich unsichtbar zu machen, vom Flusse weg, etwas tiefer in den Wald hinein, worauf ich die Richtung einschlug, die ich eigentlich beabsichtigte. Am Flusse, über dem der freie Himmel lag, war es noch hell gewesen; hier unter den Bäumen aber, deren Kronen ein dichtes Dach bildeten, war es fast schon ganz dunkel. Dennoch versäumte ich nicht die gebotene Vorsicht, von Baum zu Baum hinter den starken Stämmen Deckung zu suchen, um nicht etwa eher entdeckt zu werden, als bis ich entdeckt sein wollte. Ich legte mehrere hundert Meter zurück, ohne etwas zu spüren. Indem ich parallel mit dem Flusse ging und den Wasserstreifen, der zwischen den Büschen und Baumstämmen schimmerte, nicht aus den Augen ließ, mußte ich alles entdecken, was nicht in diesen Teil des Waldes gehörte. Kein Lüftchen regte sich. Kein Geräusch war zu vernehmen. Aber der Geruch, der bekanntlich der schärfste aller Sinne ist, sagte mir, was Gesicht und Gehör mir jetzt noch nicht sagen konnten: ich roch Feuer. Erst leise, ganz leise, dann aber, je weiter ich ging, immer stärker und stärker. Zunächst roch es nur ein klein wenig nach Kien, dann nach schwälendem Harz, hierauf nach Holz und rußendem Harz und endlich nach bratendem Fleisch. Der Schoreabaum liefert bekanntlich ein sehr reichliches, wertvolles Harz, welches sogar bis nach Europa durch den Handel vertrieben wird. Aber Fleisch an harzigem Holze zu braten, dessen Geruch und Geschmack es annimmt, das fällt doch keinem Menschen ein, der auch nur einigermaßen vertraut ist mit dem Leben im freien Feld und im freien Walde und so wurde mir durch diesen einzigen Umstand schon verraten, daß die Personen, welche da ihr Abendessen bereiteten, weder Ussul noch Tschoban sein konnten. Sie waren auf alle Fälle Leute, welche die Pfahlbauten-, Jäger-, Fischer-und Nomadenzeit überstanden hatten und nun schon nicht mehr wußten, wie ein saftiger, reinschmeckender Braten unter freiem Himmel zubereitet werden muß.

Endlich, nachdem ich fast einen Kilometer weit gegangen war, sah ich das Feuer. Man denke sich, wie glücklich ich mich fühlte, zwei Hunde mit so scharfen Sinnen zu besitzen! Um so weniger bewunderte ich die Leute, die so unvorsichtig gewesen waren, dicht am Flußufer ein so großes Feuer anzuzünden, daß man einen Ochsen daran hätte braten können. Der Fluß bildete eine sehr breite, für das Auge völlig freiliegende Strecke. Ein an seinen Ufern brennendes Feuer mußte weithin gesehen werden. Es war gewiß nur Zufall, daß er hier eine B Biegung machte, sonst hätten wir die Flamme sicher schon vor einer Stunde entdeckt. Vielleicht hatten diese Leute es nicht nötig, sich zu verbergen, um so geratener aber war es für mich, nicht offen hinzugehen, sondern mich heimlich anzuschleichen, um zunächst zu sehen, wer sie waren. Ich hatte mich also dem Flusse nun wieder zu nähern.

Es war inzwischen Nacht geworden. Das Feuer blendete, und so kam es, daß ich auch den Fluß nicht mehr von weitem sah. Als ich mich genug genähert hatte und hinter einem der letzten Bäume stand, war es mir möglich, den Lagerplatz zu übersehen. Hier herrschte die Zahl Sechs. Ich zählte sechs Männer, sechs Pferde und sechs Kamele. Man schien bereits seit Stunden hier zu lagern. Das Feuer wurde wirklich mit kienigem Schoreaholz genährt. Es stammte von alten, abgefallenen Ästen, die in der hiesigen Feuchtigkeit sehr schnell vermodert waren, so daß der unzerstörbare Rückstand harzige Knorren bildete, die zwar leicht brannten, im übrigen aber nicht nur wertlos, sondern schädlich waren. Die Kamele waren schwere Lastkamele. Man hatte ihnen die Lasten abgenommen. Sie lagen frei und ungefesselt und kauten wieder. Sie hatten eine ziemliche Anzahl von Wasserschläuchen und einige wenige Pakete zu tragen gehabt. Die lagern jetzt neben ihnen, zu einem Haufen aufgestapelt. Die Pferde waren nicht übel; sie gefielen mir sogar sehr. Eine persisch-indische Kreuzung, bei der aber nur der persische, nicht auch der indische Teil von wirklichem Adel war. Wer weithin leuchtende Schimmel zu reiten wagt, darf keine bösen Absichten haben, oder er ist ein dummer, unerfahrener Mensch! Vier von den Männern waren Untergebene; das sah man ihnen mit dem ersten Blicke an. Sie beschäftigten sich teils mit den Tieren, teils auch mit dem Fleisch, das über dem Feuer hing. Es schien von einer Tschikara zu sein und war durch den Qualm des Harzes schon ganz verdorben. Die beiden übrigen Männer waren die Herren. Sie saßen abseits, an den dicken Stamm eines uralten Sissubaumes gelehnt, von Feuer, Mensch und Tier so weit entfernt, als ob sie fürchteten, durch die Berührung mit ihnen verunreinigt zu werden. Solche Absonderung kommt doch nur bei den Kastengenossenschaften Indiens vor! Wer waren also diese beiden? Sie trugen krumme Säbel in ledernen Scheiden; aber die Ringe, Schnallen und andere Metallteile dieser Scheiden und Wehrgehenke waren aus purem Golde. Ihre Gürtel und ihre Pistolengriffe funkelten von Halbedelsteinen. An ihren Händen blitzten schwere Diamanten, Rubine und Smaragde. Ihre Turbane, nach indischer Art gewunden, waren mit Perlenschnüren verziert, und der eine von ihnen, der Augengläser trug, hatte es sogar fertig gebracht, in die Scharniere seiner Brille rechts und links einen Diamanten von der doppelten Größe einer ausgewachsenen Linse einsetzen zu lassen. Er schien der Vornehmere von ihnen zu sein. Wozu im Urwalde solche Pracht? Diese beiden Männer trugen Anzüge aus jenem unendlich feinen, gelblichweiß glänzenden Dholeragespinste, welches in hindostanischen Gedichten als >gewebte Luft< gepriesen wird! Was sollte man hierzu sagen?

Ich bitte meine Leser, mich nicht falsch zu verstehen, wenn ich eine solche Frage ausspreche. Ich war zu ihr nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet. Diese sechs Männer kamen von Norden, nicht von den Tschoban, sondern noch weiter her. Sie ritten nach Süden, also zu den Ussul. Wer waren sie und was wollten sie? Hinter den Weidegebieten der Tschoban liegt Dschunubistan und dann das eigentliche Ardistan. Konnte von dorther etwas Gutes kommen? Zumal in jetziger Zeit, wo die Tschoban hier hereinbrechen wollten? Hing die Absicht dieser Leute etwa mit diesem Einbruch zusammen? Warum kleidete man sich in dieser sumpfigen, dunstigen Niederung genau so köstlich wie auf der offenen Straße oder dem sonnenbeleuchteten Tempelvorplatze von Delhi oder Benares? Doch nicht nur, um zu prunken! Vor wem denn wohl? Natürlich nur, um auf den einfachen, bescheidenen Ussul gleich beim ersten Zusammentreffen solchen Eindruck zu machen und sie derart zu blenden, daß man das, was man wollte, ebenso schnell wie sicher erreichte. Aber was wollte man? Ich hoffte, etwas hierüber zu erfahren, falls es mir gelang, zu hören, was man sprach.

A Die Erfüllung dieses Wunsches war nicht nur möglich, sondern sogar sehr leicht. Der Sissustamm, an dem die beiden Herren saßen, wurde rechts und links von so fetten und so dicht stehenden Farrenkräutern flankiert, daß man bis zur anderen Seite des Stammes kriechen und sich dort unter den schützenden Wedeln verbergen konnte, ohne gesehen zu werden. Es fiel mir gar nicht schwer, dies zu tun. Ich erreichte den Stamm des Sissu, ohne bemerkt zu werden, und lag dann, auf der weichen Modererde lang ausgestreckt, so bequem wie auf einem Kanapee. Nur der Baum trennte mich von den beiden Männern. Sie sprachen nicht laut, sondern mit halber Stimme, aber doch so, daß ich alles hörte, was sie sagten. Eben als ich diese meine Stellung eingenommen hatte, schnitt einer der Diener zwei Stücke Fleisch von dem Braten und legte sie auf eine funkelnde Metallplatte, die gewiß aus Gold war. Er tat zwei kleine Kuchen dazu, die schon vorher gebacken worden waren, und trug die Platte dann den beiden Herren zu. Der eine von ihnen schien Hunger zu haben. Er zog sein Messer aus dem Gürtel, um sofort mit dem Essen zu beginnen. Der andere aber, der die Diamantenbrille trug, hielt ihm die Hand und sagte:

»Nicht so! Ich verbiete es Dir! Vergiß nicht, daß Du der oberste Minister des Scheiks von Dschunubistan bist und zur höchsten Klasse der Menschheit gehörst! Du darfst keine Speise genießen, die von der Hand einer niederen Kaste berührt worden ist, außer sie wird vorher von Priesterhand gesegnet und geheiligt!«

»Das weiß ich wohl,« antwortete der Gescholtene. »Aber auf der Reise ist es doch erlaubt!«

»Nur dann, wenn kein Priester vorhanden ist. Ich aber bin nicht nur Priester, sondern sogar der höchste aller Priester, die es gibt. Ich bin der Maha-Lama von Dschunubistan! Ich bin sogar noch mehr! Ich bin Gott! ich werde, wenn ich in dem einen Leibe sterbe, in dem andern immer wieder von neuem als Gott geboren! Es würde also nicht nur zehnfache, sondern hundertund tausendfache Sünde von Dir sein, in meiner himmlischen Gegenwart eine Speise zu genießen, die aus der Hand eines Menschen kommt, der niedriger steht als Du! Halte sie mir her! Ich werde sie von der Sünde befreien und für uns genießbar machen.«

Yaş sınırı:
12+
Litres'teki yayın tarihi:
30 ağustos 2016
Hacim:
630 s. 1 illüstrasyon
Telif hakkı:
Public Domain
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