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Kitabı oku: «Durch die Wüste», sayfa 28

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Uebrigens war es jetzt bereits zum drittenmal, daß ich die Erzählung von der Nase des Buluk Emini zu hören bekam. Es schien »im Buche verzeichnet« zu sein, daß er diese Erzählung niemals zu Ende bringen dürfe.

»So schreit das Tier also die ganze Nacht?« fragte einer.

»Die ganze Nacht,« bestätigte er mit der Ergebenheit eines Märtyrers. »Alle zwei Minuten einmal.«

»Gewöhne es ihm ab!«

»Womit?«

»Ich weiß es nicht!«

»So behalte auch deinen Rat für dich! Ich habe alles vergebens versucht: – Schläge, Hunger und Durst.«

»Stelle es ihm einmal in ernsten Worten vor, damit er sein Unrecht erkennt!«

»Ich habe ihm ernste und auch liebevolle Reden gehalten. Er sieht mich an, hört mir ruhig zu, schüttelt den Kopf und – schreit weiter.«

»Das ist doch sonderbar. Er versteht dich; er versteht dich ganz gewiß, aber er hat keine Lust, dir den Gefallen zu tun.«

»Ja, ich habe auch sehr oft gehört, daß die Tiere den Menschen verstehen, denn zuweilen soll in ihnen die Seele eines Verstorbenen stecken, die dazu verdammt ist, auf diese Weise ihre Sünden abzubüßen. Der Kerl, welcher in diesem Esel steckt, muß früher taub gewesen sein, stumm aber gewißlich nicht.«

»Du mußt einmal zu erforschen versuchen, zu welchem Stamme er gehört hat. In welcher Sprache redest du zu dem Esel?«

»In der türkischen.«

»Wenn nun die Seele ein Perser, ein Araber oder gar ein Giaur gewesen ist, der das Türkische gar nicht versteht?«

»Allah akbar, das ist wahr! Daran habe ich gar nicht gedacht!«

»Warum schüttelt der Esel stets den Kopf, wenn du zu ihm redest? Sein Geist versteht das Türkische nicht. Sprich in einer anderen Sprache zu ihm!«

»Aber ob ich die richtige finde? Ich werde meinen Emir bitten. Hadschi Halef Omar hat mir gesagt, daß dieser die Sprachen aller Völker reden kann. Vielleicht entdeckt er, wo der Geist meines Esels früher gelebt hat. Auch Soliman210 konnte alle Tiere verstehen.«

»Es hat auch andere gegeben, die dies verstanden. Kennst du die Erzählung von dem reichen Manne, dessen Söhne sogar mit dem Steine gesprochen haben?«

»Nein.«

»So werde ich sie euch erzählen! De vachtha beni Israil meru ki dauletlü, mir; du lau wi man, male wi pür, haneki wi ma. Va her du lavi wi va hania khoe parve dikerin, pew tschun, jek debee – — —«

»Halt!« unterbrach ihn Ifra. »In welcher Sprache redest du?«

»In unserer. Es ist Kurmangdschi.«

»Das verstehe ich nicht. Erzähle doch türkisch!«

»So geht es dir grad wie dem Geiste deines Esels, der auch nur seine Sprache versteht. Aber wie kann ich eine kurdische Geschichte türkisch erzählen? Sie wird ganz anders klingen!«

»Versuche es nur!«

»Ich will sehen! Also zur Zeit der Kinder Israel gab es einen reichen Mann, welcher starb. Er hinterließ zwei Söhne, viel Reichtum und ein Haus. Als die beiden Söhne ihr Haus teilen wollten, gerieten sie aneinander. Der eine sagte: »Es ist mein Haus!« Der andere sagte: >Es ist mein Haus! Da erhob sich durch den Willen Gottes in der Wand ein Backstein und sagte: >Was, schämt ihr euch nicht? Dieses Haus ist weder dein, noch sein. Ich, ein Mann, der ein großer König war, war dreihundert Jahre in der Welt groß; darauf starb ich. Dreihundert Jahre lag ich im Grabe, verweste und wurde zu Staub. Darauf kam ein Mann und machte mich zum Backstein. Vierzig Jahre war ich ein Haus; darauf zerfiel ich. Dreiundsiebenzig Jahre lag ich auf dem Felde; da kam wieder ein Mann: ich wurde wieder zum Backstein und in dieses Haus getan. In diesem Hause befinde ich mich dreihundertunddreißig Jahre und weiß nicht, was ich von heute an sein werde. Einstweilen schmerzt mich meine Seele nicht – — —«

Er wurde unterbrochen. Den Esel schien die Erzählung, da er anerkanntermaßen die türkische Sprache nicht verstand, zu langweilen; er tat das Maul auf und ließ einen Doppeltriller erschallen, der nur mit der vereinigten Leistung einer Hornpipe und einer zerbrochenen Tuba verglichen werden konnte. Da drängte sich ein Mann durch die Versammlung und trat in den Flur. Hier bemerkte er mich.

»Emir, ist es wahr, daß du angekommen bist? Ich hörte es erst jetzt, da ich in den Bergen war. Wie freue ich mich! Erlaube, daß ich dich begrüße.«

Es war Selek. Er nahm meine Hand und küßte sie. Diese Art, seinen Respekt zu beweisen, ist bei den Dschesidi überhaupt sehr gebräuchlich.

»Wo sind Pali und Melaf?« fragte ich ihn.

»Sie haben Pir Kamek getroffen und sind mit ihm hinab nach Mossul zu. Ich habe Ali Bey eine Botschaft zu bringen. Sehe ich dich nachher wieder?«

»Ich stand soeben im Begriff, zu ihm zu gehen. Ist diese Botschaft vielleicht ein Geheimnis?«

»Möglich; aber du darfst sie hören. Komm, Emir!«

Wir gingen in die Frauenwohnung, wo der Bey sich befand. Es schien, daß der Zutritt dort jedermann erlaubt sei. Auch Halef befand sich dort. Der gute Hadschi war schon wieder beim Essen.

»Herr,« meinte Selek, »ich war in den Bergen über Bozan hinauf und habe dir etwas mitzuteilen.«

»Sprich!«

»Dürfen es alle hören?«

»Alle.«

»Wir glaubten, daß der Mutessarif von Mossul fünfhundert Türken nach Amadijah legen wolle, zum Schutz gegen die Kurden. Dieses aber ist nicht wahr. Die zweihundert Mann, welche von Diarbekir kommen, sind über Urmeli marschiert und halten sich in den Wäldern des Tura Gharah versteckt.«

»Wer sagte das?«

»Ein Holzfäller aus Mungeyschi, den ich traf. Er wollte hinab nach Kana Kujjunli, wo eines seiner Flöße liegt. Und die dreihundert Mann aus Kerkjuk befinden sich auch nicht auf dem Wege nach Amadijah. Sie sind über Altun Kiupri nach Arbil und Girdaschir gegangen und stehen jetzt oberhalb Mar Mattei am Ghazirflusse.«

»Wer sagte dir dieses?«

»Ein Zibarkurde, der am Kanal gereist ist, um über Bozan nach Dohuk zu gehen.«

»Die Zibar sind zuverlässige Leute: sie lügen nie und hassen die Türken. Ich glaube, was die beiden Männer gesagt haben. Kennst du das Tal Idiz am Ghomel, seitwärts oberhalb Kaloni?«

»Nur wenige kennen es, ich aber bin sehr oft dort gewesen.«

»Kann man von hier aus Pferde und Rinder hinbringen, um sie dort zu verbergen?«

»Wer den Wald genau kennt, dem wird es gelingen.«

»Wie lange Zeit würde man brauchen, um unsere Weiber und Kinder und auch unsere Tiere dort unterzubringen?«

»Einen halben Tag. Geht man über Scheik Adi, so steigt man hinter dem Grabe des Heiligen die enge Schlucht empor, und kein Türke wird bemerken, was wir tun.«

»Du bist der beste Kenner dieser Gegend. Ich werde weiter mit dir sprechen, bis dahin aber schweigst du gegen jedermann. Ich wollte dich bitten, hier den Emir zu bedienen, aber du wirst wohl anderweit gebraucht.«

»Darf ich ihm meinen Sohn senden?«

»Tue es!«

»Spricht er ein gutes Kurdisch?« fragte ich.

»Er versteht Kurmangdschi und auch Zaza.«

»So sende mir ihn, er wird mir sehr willkommen sein!«

Selek ging, und es wurde die Vorbereitung zu dem Mahle getroffen. Da die Gastfreundschaft der Dschesidi eine unbeschränkte ist, so waren bei demselben wohl gegen zwanzig Personen beteiligt, und Mohammed Emin und mir zur Ehre wurde eine Tafelmusik veranstaltet. Die Kapelle bestand aus drei Männern, welche die Thembure, Kamantsche und die Bülure spielten, drei Instrumente, welche man mit unserer Flöte, Gitarre und Violine vergleichen könnte. Die Musik war sanft und melodiös; überhaupt bemerkte ich noch später, daß die Dschesidi einen bessern musikalischen Geschmack besitzen, als die Anhänger des Islam.

Während des Essens traf der Sohn Seleks ein, mit dem ich mich in mein Gemach zurückzog, um mit seiner Hilfe das Manuskript Pir Kameks zu studieren. Der geistige Horizont des jungen Mannes war ein sehr enger, doch fand ich bei ihm hinreichend Aufschluß über alles, was ich von ihm zu wissen begehrte. Pir Kamek war der unterrichtetste unter den Teufelsanbetern, und nur bei ihm konnte ich die Erfahrung und die Anschauungsweise finden, mit welcher er mich überrascht hatte. Die andern waren alle befangener, und ich durfte mich nicht wundern, daß sie das Symbol für die Sache selbst nahmen und an ihren Gebräuchen mehr aus Gewohnheit und blindem Glauben als aus innerer Ueberzeugung hingen. Das Mysteriöse ihrer Anbetungsform war es, von dem sie festgehalten wurden, wie ja der Orient sich mehr dem Dunkeln, dem Geheimnisvollen zuneigt, als dem klar und offen zu Tage Liegenden.

Unsere Unterhaltung verlief keineswegs ungestört, denn in fast regelmäßigen Zwischenräumen von einigen Minuten ertönte das widerliche, markdurchdringende Geschrei des Esels, welches auf die Dauer gar nicht auszuhalten war. Es wurde ertragen und sogar belacht, so lange noch reges Leben im Dorfe herrschte, wo immer noch neue Pilger ankamen; als aber das Geräusch doch endlich mehr und mehr verstummte und man sich zur Ruhe begab, wurden die überlauten Interjektionen des Graurockes geradezu unerträglich, und es erhoben sich verschiedene Stimmen, welche zunächst nur verdrossen murrten, jedoch bald in lautes Zanken übergingen.

Statt den Esel abzuschrecken, schienen diese ärgerlichen Zurufe ihn zu immer angestrengteren Leistungen zu begeistern; er wurde auf seine Triller ganz versessen; die Pausen zwischen ihnen wurden immer kürzer, und endlich vereinigten sich die Schreie zu einer Symphonie, welche geradezu infernalisch genannt werden mußte.

Eben erhob ich mich, um zur Abhilfe zu schreiten, als unten ein verworrener Lärm erscholl. Man rückte in Haufen auf den kleinen Buluk Emini ein. Was man mit ihm verhandelte, das konnte ich nicht verstehen; jedenfalls aber sah er sich so sehr in die Enge getrieben, daß er sich nicht zu helfen wußte, denn ich hörte nach kurzer Zeit seine Schritte vor meiner Tür. Er trat ein.

»Schläfst du schon, Emir?«

Diese Frage war eigentlich überflüssig, da er sah, daß wir beide noch in voller Bekleidung bei dem Buche saßen; aber er hatte in seiner Angst keine bessere Einleitung finden können.

»Du fragest noch? Wie kann man schlafen bei dem entsetzlichen Gesange, welchen dein Esel vollführt!«

»O Herr, das ist es ja eben! Ich kann ja auch nicht schlafen. Jetzt kommen sie alle zu mir und verlangen, daß ich das Tier hinaus in den Wald schaffen und dort anbinden soll, sonst wollen sie es erschießen. So weit darf ich es nicht kommen lassen; denn ich muß den Esel doch wieder nach Mossul bringen, sonst erhalte ich die Bastonnade und verliere meinen Grad.«

»So schaffe ihn in den Wald.«

»O Emir, das geht nicht!«

»Warum nicht?«

»Soll ich ihn von einem Wolfe fressen lassen? Es gibt Wölfe im Walde.«

»So bleibe mit draußen und bewache ihn!«

»Effendi, es könnten doch wohl auch zwei Wölfe kommen!«

»Nun?«

»Dann frißt einer den Esel und der andere mich!«

»Das ist sehr gut, denn da bekommst du ja die Bastonnade nicht.«

»Du scherzest! Einige sagen, daß ich zu dir gehen solle.«

»Zu mir? Warum?«

»Herr, glaubst du, daß dieser Esel eine Seele hat?«

»Natürlich hat er eine.«

»Vielleicht hat er eine andere als die seinige!«

»Wo sollte da die seinige sein? Vielleicht habt ihr getauscht: seine Seele ist in dich, und deine Seele ist in ihn gefahren. Nun bist du der Esel und fürchtest dich wie ein Hase, und er ist der Buluk Emini und brüllt wie ein Löwe. Was könnte ich dagegen tun?«

»Emir, es ist ganz sicher, daß er eine andere Seele hat; aber eine türkische ist es nicht, denn sie versteht die Sprache der Osmanly nicht. Du aber redest alle Sprachen der Erde, und darum bitte ich dich, herabzukommen. Wenn du mit dem Esel redest, so wirst du bald bemerken, wer in ihm steckt, ob ein Perser oder ein Turkmene oder ein Armenier. Vielleicht ist auch ein Russe in ihn gefahren, weil er uns gar so wenig Ruhe läßt.«

»Glaubst du denn wirklich, daß – — —«

In diesem Augenblicke erhob das Tier seine Stimme abermals, und zwar mit solcher Stärke, daß die ganze meuterische Versammlung im Chore mit einfiel.

»Allah kerihm, sie werden den Esel morden. Herr, komme schnell herab, sonst ist er verloren und seine Seele auch!«

Er rannte fort, und ich folgte ihm. Sollte ich mir einen Spaß machen? Vielleicht war es unrecht, aber seine Ansicht über die Seele des Grautiers hatte mich in eine Stimmung gebracht, der ich nicht gut widerstehen konnte. Als ich unten ankam, harrte die Menge meiner.

»Wer weiß ein Mittel, dieses Tier zum Schweigen zu bringen?« fragte ich.

Niemand antwortete. Nur Halef meinte endlich:

»Herr, nur du allein kannst dies zustande bringen!«

Mein Hadschi gehörte also zu den wahren »Gläubigen«. Ich trat an den Esel heran und faßte ihn beim Zügel. Nachdem ich ihm laut einige fremdländische Fragen vorgelegt hatte, hielt ich das Ohr an seine Nase und horchte. Dann machte ich eine Bewegung der Ueberraschung und wandte mich an Ifra.

»Buluk Emini, wie hieß dein Vater?«

»Nachir Mirja.«

»Der ist es nicht. Wie hieß der Vater deines Vaters?«

»Muthallam Sobuf.«

»Der ist es! Wo wohnte er?«

»In Hirmenlü bei Adrianopel.«

»Das stimmt. Er ist einmal von Hirmenlü nach Thaßköi geritten, und hat, um seinen Esel zu ärgern, ihm einen schweren Stein an den Schwanz gebunden. Der Prophet aber hat gesagt: »Escheklerin sew – liebe deine Esel!« Darum muß der Geist deines Großvaters diese Tat sühnen. Er hat an der Brücke Ssirath, welche zum Paradiese und zur Hölle führt, umkehren müssen und ist in diesen Esel gefahren. Er hat seinem Tiere einen Stein an den Schwanz gebunden, und nun kann er nur dadurch erlöst werden, daß ihm auch ein Stein an den Schwanz gebunden wird. Willst du ihn erlösen, Ifra?«

»O, Emir, ich will es!« rief dieser. Das Weinen war ihm näher als das Lachen, denn die Vorstellung, daß sein Großvater in diesem Esel schmachte, mußte für ihn, der ein echter Moslem war, geradezu schrecklich sein. »Sage mir auch alles, was ich sonst noch zu tun habe, um den Vater meines Vaters zu erretten.«

»Hole einen Stein und eine Schnur!«

Der Esel merkte, daß wir uns mit ihm beschäftigten; er öffnete das Maul und schrie.

»Schnell, Ifra! Dies wird das letzte Mal sein, daß er gejammert hat.«

Ich hielt den Schwanz des Tieres, und der kleine Baschi-Bozuk band den Stein an die Spitze desselben. Als diese Operation beendet war, drehte der Esel den Kopf nach hinten, um den Stein mit dem Maule zu entfernen; dies ging natürlich nicht. Jetzt versuchte er, den Stein mit dem Schwanze fortzuschleudern; er war aber zu schwer, und der Schwanz brachte es bloß bis zu einer kleinen Pendelbewegung, welche aber sofort eingestellt wurde, weil der Stein dabei an die Beine schlug. Der Esel befand sich ganz augenscheinlich in einer Art von Verblüffung; er schielte mit den Augen nach hinten; er wedelte höchst nachdenklich mit den langen Ohren; er schnaubte und öffnete endlich das Maul, um zu schreien – aber die Stimme versagte ihm; das Bewußtsein, daß seine größte Zierde hinten fest— und niedergehalten werde, raubte ihm vollständig das Vermögen, seine Gefühle in edlen Tönen auszudrücken.

»Allah hu; er schreit wahrhaftig nicht!« rief der Baschi-Bozuk. »Emir, du bist der weiseste Mann, den ich gesehen habe!«

Ich ging fort und legte mich zur Ruhe. Unten aber standen die Pilger noch lange, um abzuwarten, ob das Wunder wirklich gelungen sei.

Ich wurde schon am frühen Morgen durch das rege Leben geweckt, welches im Dorfe hin und her flutete. Es kamen bereits wieder Pilger, welche teils in Baadri blieben, teils aber auch nach einer kurzen Rast nach Scheik Adi weiter zogen. Der erste, welcher bei mir eintrat, war Scheik Mohammed Emin.

»Hast du hinunter vor das Haus gesehen?« fragte er mich.

»Nein.«

»Blicke hinab!«

Ich trat hinaus auf das Dach und sah hinunter. Da standen Hunderte von Menschen bei dem Esel und staunten ihn mit großen Augen an. Einer hatte dem andern erzählt, was geschehen war, und als sie mich hier oben erblickten, traten sie ehrfurchtsvoll vom Hause zurück. Das hatte ich nicht beabsichtigt! Ich war einem lustigen Einfalle gefolgt, keineswegs aber wollte ich diese Leute in ihrem törichten Aberglauben bestärken.

Auch Scheik Ali kam. Er lächelte, als er mich grüßte.

»Emir, wir haben dir eine ruhige Nacht zu verdanken. Du bist ein großer Zauberer. Wird der Esel wieder schreien, wenn der Stein entfernt ist?«

»Ja. Das Tier fürchtet sich bei Nacht und will sich durch den Klang seiner eigenen Stimme ermutigen.«

»Wollt ihr mir zum Frühmahle folgen?«

Wir gingen hinab in die Frauenwohnung. Dort befand sich bereits Halef nebst dem Sohn Seleks, den ich meinen Dolmetscher im Kurdischen nennen mußte, und auch Ifra, der eine auffallend betrübte Miene machte. Die Frau des Bey kam mir mit einem freundlichen Gesicht entgegen und bot mir die Hand.

»Sabah‘l kher – guten Morgen!« grüßte ich sie.

»Sabah‘l kher!« antwortete sie. »Keifata ciava – wie ist dein Befinden?«

»Kangia! Tu ciava – gut; wie befindest du dich?«

»Skuker quode kangia – Gott sei Dank, gut!«

»Du redest ja Kurmangdschi!« rief Ali Bey erstaunt.

»Nur das, was ich gestern abend aus dem Buche des Pir gelernt habe,« antwortete ich. »Und das ist wenig genug.«

»Kommt herbei, und setzt euch!«

Es gab zunächst Kaffee mit Honigkuchen und dann Hammelbraten, den man in dünnen, breiten Stücken wie Brot aß.

Dazu trank man Arpa, eine Art Dünnbier, welches der Türke Arpasu, Gerstenwasser zu nennen pflegt. Alle nahmen an dieser Mahlzeit teil; nur der Buluk Emini kauerte trübsinnig seitwärts.

»Ifra, warum kommst du nicht zu uns?« fragte ich ihn.

»Ich kann nicht essen, Emir,« antwortete er.

»Was fehlt dir?«

»Trost, Herr. Ich habe bisher meinen Esel geritten, geschlagen und geschimpft, habe ihn so wenig gebürstet und gewaschen, habe ihn wohl auch oft hungern lassen, und nun höre ich, daß es der Vater meines Vaters ist. Draußen steht er, und noch immer hängt ihm der Stein am Schwanz!«

Der Buluk Emini war zu bedauern, und mein Gewissen regte sich; aber die Situation war doch in Wahrheit so toll, daß ich mich nicht enthalten konnte, laut aufzulachen.

»Du lachest!« erwiderte er vorwurfsvoll. »Hättest du einen Esel, welcher der Vater deines Vaters ist, so würdest du weinen. Ich soll dich nach Amadijah bringen, aber ich kann nicht; denn ich setze mich nie wieder auf den Geist meines Großvaters!«

»Das sollst du auch nicht; das wäre ja auch gar nicht möglich, denn auf einen Geist kann sich niemand setzen.«

»Auf wem soll ich denn reiten?«

»Auf deinem Esel.«

Er sah mich mit einem ganz verwirrten Blick an.

»Aber mein Esel ist doch ein Geist; du hast es ja gesagt!«

»Das war nur Scherz.«

»O, du sagst dies nur, um mich zu beruhigen!«

»Nein, sondern ich sage es, weil es mir leid tut, daß du dir meinen Scherz so zu Herzen nimmst.«

»Effendi, du willst mich wirklich nur trösten! Warum ist der Esel so oft mit mir durchgegangen? Warum hat er mich so vielmal heruntergeworfen? Weil er gewußt hat, daß er kein Esel ist und daß ich der Sohn seines Sohnes bin. Und warum hat der Stein sofort geholfen, als ich tat, was dir die Seele des Esels anbefohlen hat?«

»Sie hat mir nichts anbefohlen, und warum mein Mittel geholfen hat, das will ich dir sagen. Hast du niemals bemerkt, daß der Hahn die Augen schließt, wenn er kräht?«

»Ich habe es gesehen.«

»Halte ihm durch irgend eine Vorrichtung mit Gewalt die Augen offen, so wird er niemals krähen. Hast du beobachtet, daß dein Esel stets den Schwanz erhebt, wenn er schreien will?«

»Ja wirklich, das tut er, Effendi!«

»So sorge dafür, daß er den Schwanz nicht in die Höhe bringen kann; dann wird er das Schreien lassen.«

»Ist dies wirklich so?«

»Wirklich! Versuche es heute abend, wenn er wieder schreit!«

»So ist der Vater meines Vaters wirklich nicht verzaubert?«

»Nein, ich sage es dir ja!«

»Hamdullillah! Allah sei tausend Dank!«

Er sprang hinaus und riß dem Tiere den Stein vom Schwanze herunter; dann kehrte er eilig zurück, um sich noch nachträglich an dem Mahle zu beteiligen. Daß er, der Untergebene, mit dem Bey zu Tische sitzen durfte, zeigte mir von neuem, wie patriarchalisch die Dschesidi untereinander leben.

Zwoelftes Kapitel: Das grosse Fest

Eine Stunde später ritt ich mit meinem Dolmetscher in den lichten Morgen hinein spazieren. Mohammed Emin hatte es vorgezogen, daheim zu bleiben und sich überhaupt so wenig wie möglich zu zeigen.

»Kennst du das Tal Idiz?« fragte ich den Begleiter.

»Ja.«

»Wie lange reitet man von hier aus, um hinzukommen?«

»Zwei Stunden.«

»Ich möchte es sehen. Willst du mich hinführen?«

»Wie du befiehlst, Herr. Wollen wir direkt oder über Scheik Adi?«

»Welcher Weg ist der kürzere?«

»Der direkte; aber er ist auch der beschwerlichere.«

»Wir wählen ihn dennoch.«

»Wird dein Pferd ihn aushalten? Es ist ein kostbares Tier, wie ich kaum jemals so eines gesehen habe; aber es wird wohl nur die Ebene gewohnt sein.«

»Gerade heute will ich es prüfen.«

Wir hatten Baadri hinter uns. Der Weg, unter dem man sich ja nicht einen gebahnten Steig zu denken hat, ging steil bergan und wieder steil bergab, aber mein Rappe hielt wacker aus. Die Höhen, welche erst mit Gebüsch bestanden waren, zeigten sich jetzt von dichtem, dunklem Wald besetzt, unter dessen Laub— und Nadelkronen wir dahinritten. Endlich wurde der Pfad so gefährlich, daß wir absteigen und die Pferde führen mußten. Es war erforderlich, jede Stelle genau zu untersuchen, ehe wir den Fuß auf dieselbe setzten. Das Pferd des Dolmetschers war diese Art Terrain gewohnt: es trat mit mehr Sicherheit auf und wußte die gefährlichen Stellen aus Erfahrung besser von den ungefährlichen zu unterscheiden; aber mein Rappe besaß einen glücklichen Instinkt und eine außerordentliche Vorsichtigkeit, und ich bekam die Ueberzeugung, daß er bereits nach kurzer Uebung ein sehr guter Berggänger sein werde; wenigstens zeigte er bereits heute, daß er nicht ermüdete, während das andere Tier schwitzte und endlich auch mit dem Atem zu kämpfen begann.

Die zwei Stunden waren beinahe abgelaufen, als wir an ein Dickicht gelangten, hinter welchem die Felsen fast senkrecht hinabfielen.

»Das ist das Tal,« meinte der Führer.

»Wie kommen wir hinab?«

»Es gibt nur einen Weg, hinunterzukommen, und dieser führt von Scheik Adi hierher.«

»Ist er betreten?«

»Nein; er ist von dem übrigen Boden gar nicht zu unterscheiden. Komm!«

Ich folgte ihm längs der dichten Büsche hin, welche den Rand des Tales ringsum so vollständig bedeckten, daß ein führerloser Fremder von dem Dasein des letzteren sicher nicht das mindeste geahnt hätte. Nach einiger Zeit gelangten wir an eine Stelle, an welcher der Führer wieder abstieg. Er deutete nach rechts.

»Hier kommt man durch den Wald nach Scheik Adi, aber nur ein Dschesidi weiß den Weg zu finden. Und hier links geht es in das Tal hinab.«

Er schob die Büsche auseinander, und nun sah ich vor mir einen weiten Talkessel, dessen Wände steil emporstiegen und zum Auf— und Niedersteigen nur die eine Stelle boten, an welcher wir uns befanden. Wir kletterten, die Pferde am Zügel führend, hinab. Unten angelangt, konnte ich das Tal in seiner ganzen Breite überschauen. Es war groß genug, um mehreren tausend Menschen eine Zuflucht zu bieten, und verschiedene Höhlenöffnungen nebst anderen Anzeichen ließen vermuten, daß es vor noch nicht sehr langer Zeit bereits Bewohner gehabt habe. Die Sohle des Kessels war mit einem kräftigen Graswuchse überzogen, welcher selbst das Verbergen von Herden hier erleichterte, und einige künstlich in den Boden gegrabene Löcher hatten Trinkwasser genug für viele durstige Kehlen.

Wir ließen die Pferde weiden und legten uns in das Gras. Alsbald begann ich das Gespräch mit der Bemerkung:

»Das ist ein Versteck, wie die Natur es nicht praktischer anlegen konnte.«

»Es hat diesem Zwecke auch bereits gedient, Effendi. Bei der letzten Verfolgung der Dschesidi haben über tausend Menschen hier ihre Sicherheit gefunden. Darum wird kein Angehöriger unsers Glaubens diesen Ort verraten. Man weiß ja nicht, ob man ihn wieder brauchen wird.«

»Das scheint nun jetzt der Fall zu werden.«

»Ich weiß es. Aber es handelt sich jetzt nicht um eine allgemeine Verfolgung angeblich um des Glaubens willen, sondern nur um eine Maßregel, welche den Zweck hat, uns auszuplündern. Der Mutessarif sendet fünfzehnhundert Mann gegen uns, die uns unerwartet überfallen sollen; aber er wird sich täuschen. Wir haben seit sehr langen Jahren das Fest nicht gefeiert; darum wird kommen, wer nur kommen kann, so daß wir den Türken einige tausend kampfbereite Männer entgegenstellen können.«

»Sind sie alle bewaffnet?«

»Alle. Du selbst wirst sehen, wie viel bei unserem Feste geschossen wird. Der Mutessarif braucht für seine Soldaten während eines ganzen Jahres nicht so viel Pulver, wie wir in diesen drei Tagen für unsere Freudensalven.«

»Warum verfolgt man euch? Des Glaubens wegen?«

»Denke dies nicht, Emir! Dem Mutessarif ist der Glaube sehr gleichgültig. Er hat nur das eine Ziel, reich zu werden, und dazu müssen ihm bald die Araber und die Chaldäer, bald die Kurden oder die Dschesidi verhelfen. Oder meinst du, daß unser Glaube so schlimm sei, daß er verdiene, ausgerottet zu werden?«

Auf diesem Punkte wollte ich den jungen Mann haben. Von ihm konnte ich erfahren, was der Pir mir noch nicht gesagt hatte.

»Ich kenne ihn nicht,« antwortete ich.

»Und hast auch noch nichts über ihn gehört?«

»Sehr wenig, und dieses glaube ich nicht.«

»Ja, Effendi, man redet sehr viel Unwahres über uns. Hast du auch von meinem Vater nichts erfahren oder von Pali und Melaf?«

»Nein; wenigstens nichts Hauptsächliches; aber ich denke, daß du mir einiges sagen wirst.«

»O Emir, wir sprechen nie zu Fremden über unsern Glauben!«

»Bin ich dir fremd?«

»Nein. Du hast dem Vater und den beiden Andern das Leben gerettet und auch jetzt uns vor den Türken gewarnt, wie ich vom Bey erfahren habe. Du bist der Einzige, dem ich Auskunft erteilen werde. Aber ich muß dir sagen, daß ich selbst nicht alles weiß.«

»Gibt es bei euch Dinge, die nicht jeder wissen darf?«

»Nein. Aber gibt es nicht in jedem Hause Dinge, welche die Eltern ganz allein zu wissen brauchen? Unsere Priester sind unsere Väter.«

»Darf ich dich fragen?«

»Frage; aber ich bitte dich, einen Namen nicht zu nennen!«

»Ich weiß es; aber ich möchte grad über diesen Gegenstand einiges wissen. Wirst du mir Auskunft geben, wenn ich das Wort vermeide?«

»Soviel ich‘s vermag, ja.«

Dieses Wort war der Name des Teufels, den die Dschesidi niemals aussprechen. Das Wort Scheïtan ist bei ihnen so verpönt, daß sie selbst ähnliche Worte sorgfältig vermeiden. Wenn sie z¨ B¨ von einem Flusse sprechen, so sagen sie »Nahr«, aber niemals »Schat«, weil dieses letztere Wort mit der ersten Silbe von Scheïtan in naher Beziehung steht. Das Wort »Keïtan« (Franse oder Faden) wird vermieden und auch die Wörter »Naal« (Hufeisen) und »Naal-band« (Hufschmied), weil sie mit den Worten »Laan« (Fluch) und »mahlun« (verflucht) in einer gewissen Nähe stehen. Sie sprechen vom Teufel nur in Umschreibung, und zwar mit Ehrfurcht. Sie nennen ihn Melek el Kuht, der mächtige König oder Melek Ta-us, König Pfauhahn.

»Ihr habt neben dem guten Gott auch noch ein anderes Wesen?«

»Neben? Nein. Das Wesen, welches du meinst, steht unter Gott. Dieser Kyral meleklerün war das oberste der himmlischen Wesen; aber Gott war sein Schöpfer und Herr.«

»Wo ist er jetzt?«

»Er empörte sich gegen Gott, und Gott verbannte ihn.«

»Wohin?«

»Auf die Erde und auf alle Sterne.«

»Nun ist er der Herr derjenigen, die in der Dschehennah wohnen?«

»Nein. Ihr glaubt wohl, daß er ewig unglücklich ist?«

»Ja.«

»Glaubt ihr auch, daß Gott allgütig, gnädig und barmherzig ist?«

»Ja.«

»Dann wird er auch verzeihen – den Menschen und den Engeln, welche gegen ihn sündigen. Das glauben wir, und darum bedauern wir jenen, welchen du meinst. Jetzt kann er uns schaden, und darum nennen wir seinen Namen nicht. Später, wenn er seine Macht zurückerhält, kann er die Menschen belohnen, und darum reden wir nichts Böses von ihm.«

»Ihr verehrt ihn? Ihr betet ihn an?«

»Nein, denn er ist Gottes Geschöpf wie wir; aber wir hüten uns, ihn zu beleidigen.«

»Was bedeutet der Hahn, welcher bei euren Gottesdiensten zugegen ist?«

»Der bedeutet jenen nicht, welchen du meinst. Er ist ein Bild der Wachsamkeit. Hat euch Azerat Esau, der Sohn Gottes, nicht erzählt von den Jungfrauen, welche den Bräutigam erwarteten?«

»Ja.«

»Fünf von ihnen schliefen ein und dürfen nun nicht in den Himmel. Kennst du die Erzählung von dem Jünger, welcher seinen Meister verleugnete?«

»Ja.«

»Auch da krähte der Hahn. Darum ist er bei uns das Zeichen, daß wir wachen, daß wir den großen Bräutigam erwarten.«

»Glaubt ihr das, was die Bibel erzählt?«

»Wir glauben es, obgleich ich nicht alles weiß, was sie erzählt.«

»Habt ihr nicht auch ein heiliges Buch, in welchem eure Lehren verzeichnet sind?«

»Wir hatten ein solches. Es wurde in Baascheikha aufbewahrt, aber ich habe gehört, daß es verloren gegangen ist.«

»Welches sind eure heiligen Handlungen?«

»Du wirst sie alle in Scheik Adi kennen lernen.«

»Kannst du mir sagen, wer Scheik Adi war?«

»Das weiß ich nicht genau.«

»Betet ihr zu ihm?«

»Nein. Wir verehren ihn nur dadurch, daß wir an seinem Grabe zu Gott beten. Er war ein Heiliger und wohnt bei Gott.«

»Welche Arten von Priestern gibt es bei euch?«

»Zunächst kommen die Pirs. Dieses Wort heißt eigentlich ein alter oder ein weiser Mann; hier aber bedeutet es ein heiliger Mann.«

»Wie kleiden sie sich?«

»Sie können sich kleiden, wie es ihnen gefällt; aber sie führen ein sehr frommes Leben, und Gott gibt ihnen die Macht, durch ihre Fürbitte alle Krankheiten des Leibes und der Seele zu heilen.«

»Gibt es viele Pirs?«

»Ich kenne jetzt nur drei. Pir Kamek ist der größte von ihnen.«

»Weiter!«

»Nach ihnen kommen die Scheiks. Sie müssen so viel Arabisch lernen, um unsere heiligen Lieder zu verstehen.«

»Werden diese in arabischer Sprache gesungen?«

»Ja.«

»Warum nicht in kurdischer?«

»Ich weiß es nicht. Aus den Scheiks werden die Wächter des heiligen Grabes gewählt, wo sie das Feuer unterhalten und die Pilger bewirten müssen.«

»Haben sie eine besondere Kleidung?«

»Sie gehen ganz weiß gekleidet und tragen als Zeichen ihres Amtes einen Gürtel, welcher rot und gelb ist. Nach diesen Scheiks kommen die Prediger, welche wir Kawals nennen. Sie können die heiligen Instrumente spielen und gehen von Ort zu Ort, um die Gläubigen zu belehren.«

»Welches sind die heiligen Instrumente?«

»Das Tamburin und die Flöte. Auch verstehen die Kawals bei den hohen Festen zu singen.«

»Wie kleiden sie sich?«

»Sie können alle Farben tragen, doch kleiden sie sich gewöhnlich weiß. Dann aber muß ihr Turban schwarz sein, zur Unterscheidung von den Scheiks. Nach ihnen kommen die Fakirs, welche die niederen Dienste am Grabe und auch anderswo verrichten. Sie haben meist dunkle Gewänder und tragen ein rotes Tuch quer über dem Turban.«

210.Salomo.
Yaş sınırı:
12+
Litres'teki yayın tarihi:
30 ağustos 2016
Hacim:
570 s. 1 illüstrasyon
Telif hakkı:
Public Domain