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Kitabı oku: «Im Reiche des silbernen Löwen III», sayfa 10

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Drittes Kapitel: Am Tode

Ich schlief infolge des gestrigen Nachtwachens heute sehr rasch ein und wäre wahrscheinlich die ganze Nacht hindurch nicht aufgewacht, wenn Halef mich nicht aufgerüttelt hätte.

»Verzeih, Sihdi, daß ich dich wecke!« sagte er. »Ich glaube, das alte Weib will wieder kommen.«

»Spürst du ihr Nahen?« fragte ich.

»Nicht nur ihr Nahen. Sondern ich bemerke, daß sie schon ganz vor mir steht.«

»Halef, du sprichst mit Mühe! Deine Zähne klappern!«

»Nein; aber es hält mir den Mund halb offen, ganz so, wie einem Menschen, der sehr friert. Gieb mir von deiner Arznei!«

Ich folgte dieser Aufforderung. Als er die absichtlich vergrößerte Gabe genommen hatte, erkundigte er sich:

»Weißt du, was Zittern ist, Sihdi?«

»Ja, jedermann weiß das wohl.«

»Aber hast du selbst schon einmal gezittert?«

»Ich glaube, nein.«

»Ich auch nicht, weder aus Angst noch aus irgend einem anderen Grunde. Aber, denke dir, jetzt zittre ich!

Oder vielmehr, nicht ich thue es, sondern das alte, zahnlose Fieberweib, welches nun doch in mich hineingekrochen ist, zittert in mir. Ich glaube, aus Furcht, schnell wieder heraus zu müssen. Und sodann ist es mir, als ob mir ein Gürtel um den Kopf gelegt und übermäßig fest zugeschnallt worden sei. Meine Beine sind mir abhanden gekommen. Ich weiß zwar ganz genau, daß ich sie noch habe, aber ihr Selbstbewußtsein ist ihnen verloren gegangen. Sie können sich nicht mehr auf sich selbst besinnen, und darum ist es gar nicht zu verwundern, daß sie auch mich ganz und gar vergessen haben, obgleich ihnen das verboten ist. Ich werde einmal versuchen, sie von ihrer Pflichtvergessenheit zurückzubringen.«

Er erhob sich langsam und unsicher, blieb aber nur kurze Zeit stehen, ließ sich dann wieder nieder und sagte:

»Das ist eine ganz eigentümliche Empfindung, die ich dir wohl nicht deutlich genug machen kann. Es scheint mir, als ob ich da unten keine Knochen, keine Sehnen und kein Fleisch mehr habe, sondern bloß noch die Haut, und diese ist so außerordentlich dünn, daß ich von innen heraus den Stoff der Hose sehen kann.«

Welch naive und doch bewundernswerte Deutlichkeit, mit welcher er diesen Schwächezustand seiner Glieder beschrieb! Er war in dieser Beziehung ja schon überhaupt unübertroffen! Er verstand es, selbst für das unerklärbar Scheinende Worte zu finden, welche trotz ihrer Sonderbarkeit fast stets das Richtige trafen.

Nun war ich fest überzeugt, daß er keinen Augenblick mehr werde schlafen können. Jeder Arzt hätte das mit der größten Bestimmtheit behauptet. Aber ich sollte sogleich vom Gegenteile überzeugt werden, denn er wickelte sich in seine Decke ein und sagte:

»Der Frost ist weg, ganz plötzlich weg, wohl weil ich aufgestanden bin. Ich werde wieder warm. Nun bin ich müd, so sehr müd. Ich werde wieder schlafen. Gute Nacht, mein Sihdi!«

»Gute Nacht, mein lieber Halef!«

»Lieber Halef? So sagst du zu mir? Hast du mir verziehen?«

»Von ganzem Herzen!«

»Ich danke dir! Wollen ja nicht vergessen, einander ohne alle Unterbrechung und ohne alles Aufhören recht, recht lieb zu haben! Du hast mir vergeben, aber ich selbst mir nicht. Ehe ich dich weckte, habe ich über heut nachgedacht. Ich war nicht gut zu dir, nicht höflich und bescheiden. Das ist zwar nicht dein guter Halef, sondern jener böse Hadschi gewesen, der immer, immer Fehler macht, aber da ich diese seine immerwährenden Dummheiten nicht zu dulden habe, muß ich mich ganz ebenso wie ihn selbst anklagen. Er hat dich beleidigt und gekränkt. Das war schlecht, nicht bloß von ihm, sondern auch von mir!«

Nun war er still, der liebe prächtige Kleine. Ich lauschte. Er bewegte sich nicht mehr, und als ich mich nach einiger Zeit zu ihm hinüberbog, bemerkte ich, daß er eingeschlafen war. Er wachte zu meiner großen Freude auch nicht eher auf, als bis die Dunarun aufstanden und er durch den nun entstandenen Lärm aufgeweckt wurde. Da stand er auf, aß und trank, war munter wie ein vollständig gesunder Mann und sagte, als er sah, daß ich ihn beobachtete:

»Sie ist längst wieder fort, die mich heute nacht besuchte. So alte Klage- und Jammerweiber halten es bei einem rüstigen Menschen niemals lange aus. Soeben steigt der Scheik auf das Pferd. Komm, Sihdi, laß uns dasselbe thun!«

Er schwang sich leicht und frei in den Sattel, so wie ich gewohnt war, es von ihm zu sehen. Ich wurde vollständig irr an dem Krankheitsbilde, welches mir in Beziehung auf ihn bisher drohend vorgeschwebt hatte, und fragte mich, ob es sich vielleicht doch nur um eine morbillöse Infektion handle. Aber dann hätte unbedingt ein Katarrh der Luftwege und der Augenbindehaut, begleitet von einem reichlichen Thränengusse, vorhanden sein müssen, und das war keineswegs der Fall. Mochte nun aber vorliegen, was da wollte, ich mußte die Entwickelung ruhig abwarten. Halef kämpfte jedenfalls mit größerer Anstrengung, als er mir eingestehen wollte, gegen dieses Uebel, und ich nahm mir vor, ihm diesen Kampf nicht thörichterweise zu erschweren, daß ich ihn die Größe meiner Besorgnis sehen ließ.

Unser Nachtrab hatte uns gegen Mitternacht eingeholt. Er blieb noch hier, um auszuruhen und uns dann zu folgen. Wir aber ritten weiter.

Es ist nicht mein Zweck, die Gegenden, durch die wir kamen, zu beschreiben. Topographische Ausführlichkeiten pflegen wohl für den Fachmann interessant, für andere aber langweilig zu sein. Es genügt vollständig, nur das zu erwähnen, was mit dem Zwecke unseres Rittes in Zusammenhang stand.

Es war noch am Vormittage, als wir über eine Tiefung kamen, auf welche zwei breitere Thäler und mehrere schmale Schluchten mündeten. Es schien, als ob es hier einst einen tiefen See mit zahlreichen Wasserzuflüssen gegeben habe. Der Boden bestand aus einem feinen, hellen, fast mehligen Sande, in welchem jede vorhandene Spur mit ungemeiner Deutlichkeit zu sehen war. Man konnte sogar den Weg, den eine Maus oder ein kleiner, hüpfender Vogel genommen hatte, ganz genau erkennen. Die Stelle war rundum von Höhen umgeben, welche die Winde abhielten; es gab also hier keine Luftbewegungen, durch welche die Spuren ausgewischt und verweht wurden.

Daher auch die große Deutlichkeit einer Fährte, welche aus einer rechts von uns liegenden Schlucht herauskam, um links in einer andern zu verschwinden. Sie führte also quer über unsern Weg. Nafar Ben Schuri, welcher, wie bisher stets, unserm Zuge voranritt, sah sie zuerst. Er hielt an, um sie zu betrachten. Seine Leute gruppierten sich sogleich in der Weise um ihn, daß die Fährte unter den Hufen ihrer Pferde verschwand. Als wir nun hinkamen, hörten wir die Worte des Scheikes:

»In dieser einsamen Gegend sollte man keine Spur vermuten. Ich weiß genau, daß es weder nach rechts noch nach links hin Menschen giebt. Wer mag das wohl gewesen sein, der hier vorüber gekommen ist?«

»Du fragst und scheinst es doch aber gar nicht wissen zu wollen,« antwortete Halef.

»Wieso?« fragte Nafar verwundert.

»Wenn ich dir einen Brief schreibe, den ich auf einen schwarzen Schiefer geschrieben habe, was thust du da?«

»Ich lese ihn.«

»Nein! Ich sehe ja, daß du das nicht thust! Du löschst ihn aus und fragst dich dann verwundert, was auf dem Schiefer wohl gestanden habe.«

»Traust du mir wirklich keine größere Klugheit zu?«

»Wie kannst du mir eine Frage vorlegen, durch deren Beantwortung ich dich beleidigen würde! Schau diesen Sand! Er ist die Schiefertafel. Der, welcher hier geritten ist, hat eine Schrift geschrieben, welche zu lesen ist, nämlich seine Spur. Anstatt sie aber zu lesen, laßt ihr eure Pferde so über die Fährte trampeln, daß sie nun fast nicht mehr zu sehen ist. Nun sei so gut und beantworte dir deine Frage selbst!«

Halef hatte vollständig recht. Wir beide ritten zur Seite, stiegen da, wo die Spur noch nicht ausgetreten war, von den Pferden und folgten ihr, um die Eindrücke zu betrachten, so weit, bis ich genug gesehen zu haben glaubte. Der Scheik war uns langsam gefolgt. Als ich mich jetzt wieder umwandte, fragte er:

»Nun, was habt ihr gesehen? Der Scheik der Haddedihn wird uns jetzt zeigen, wie gut er lesen kann!«

Das klang beinahe ironisch. Halef war sofort mit der richtigen Antwort da:

»Wir haben nichts, gar nichts gefunden, o Scheik der Dinarun. Darum bitten wir dich, dein Pferd zu verlassen, um zu versuchen, ob du diese Schriftzeile besser lesen kannst als wir!«

»Was liegt daran, zu wissen, wer hier war?« entgegnete Nafar ausweichend.

»Sehr viel liegt daran! Wir befinden uns auf einem Kriegszuge. Es darf uns nicht gleichgültig sein, wer in derselben Gegend mit uns ist. Es kann uns Verrat und Gefahr von jeder Seite drohen. Ich hoffe, daß dir dies nicht unbegreiflich ist!«

Er gab seiner Stimme einen strengen Klang. Da stieg der Dinari53 vom Pferde und betrachtete die Fährte. Hierauf schüttelte er den Kopf und sagte:

»Man sieht, daß zwei Reiter hier vorübergekommen sind, weiter nichts.«

»Wirklich weiter nichts?«

»Nein.«

Wahrscheinlich bemerkte Halef das Lächeln, welches ich um meine Lippen fühlte. Er hatte mehr gesehen als Nafar und nahm wohl an, daß die Schrift für mich trotzdem noch verständlicher gewesen sei, als für ihn selbst. Darum fuhr er fort:

»Du sprichst von zwei Reitern, von weiter nichts. Was ritten sie für Tiere?«

»Pferde natürlich!«

»Was für Pferde waren es?«

»Wer kann das wissen? Niemand!«

»So! Dieser »Niemand« bin ich. Das eine Pferd war ein junger Hengst, das andere aber eine Stute, welche wenigstens schon fünf- oder sechsmal geboren hat.«

Da machte der Dinari die Augen weit auf und fragte:

»Woran siehst du das?«

»Das ist auch eines unserer Geheimnisse, welche nicht verraten werden. Es würde dir auch nichts nützen, wenn ich es dir sagte, denn es gehört viel Erfahrung und eine lange Uebung dazu, die Zahl der Geburten, also das ungefähre Alter einer Stute aus ihren Spuren zu erkennen. Wäre der Sand nicht so fein, so würde selbst ich vergeblich forschen. Glaubst du nun, daß der Scheik der Haddedihn eine Fährte lesen kann? Und da steht Kara Ben Nemsi, der mein Lehrer in dieser Kunst gewesen ist. Ich sehe es ihm an, daß diese Spur ihm noch mehr gesagt hat als mir. Sprich, Sihdi, was hast du gesehen?«

»Die Stute ist allerreinsten Blutes«, antwortete ich.

»Ja; das weiß ich auch.«

»Sie ist einmal infolge eines Fehltrittes lange Zeit fußkrank und unbrauchbar gewesen.«

»Maschallah!« rief da der Scheik der Dinarun. »Weißt du, an welchem Fuße?«

»Links vorn. Es war eine Flechsendehnung, welche nur langsam und durch die größte Ruhe zu heilen ist.«

»Bist du allwissend?«

»Nein. Ich habe meine Augen geübt. Das ist es, weiter nichts. Du scheinst verwundert zu sein. Kennst du ein solches Pferd?«

»Ja. Es ist eine braune Stute. Ihre Haut bekommt in der Sonne dunklen Kupferglanz; sie hat die drei berühmten Haarwirbel der Pferde des Propheten; sie trinkt das Wasser mit der Zunge, wie ein Hund; ihr Ohr ist schärfer als das Auge des Geiers, und wenn sie dich anschaut, glaubst du, dem sanften Blick einer Huri zu begegnen.«

Der Beduine wird stets poetisch, wenn er von einem edlen Pferde spricht. So auch hier.

»Wem gehört dieses Pferd?« erkundigte ich mich.

»Diese wunderbar schnelle Stute heißt Sahm54 und gehört – — dem – — – Ustad55

Er zögerte so eigentümlich, dieses letzte Wort auszusprechen. Das hatte jedenfalls einen besonderen Grund, der nicht allein in ihm vorhanden war, denn als er diesen Namen aussprach, drängten sich die bei uns haltenden Dinarun sofort noch näher zu uns heran.

»Wer ist das, der Ustad?« fragte ich.

»Ein Dschamiki,« antwortete er so kurz, daß ich annahm, er gebe nicht gerne Auskunft über diesen Mann.

»Vielleicht der Scheik einer Unterabteilung der Dschamikun?«

»Nein.«

»Also ein gewöhnlicher, wenn auch reicher Mann?«

»Auch nicht!«

»Weder Scheik noch einfacher Nomade? Was aber denn?«

»Warum willst du das so durchaus wissen?« sprach er ungeduldig. »Dieser Mann geht mich und auch dich nichts an!«

»Dich vielleicht nicht, aber mich! Ich habe keinen Grund, mich vor irgend einem Menschen oder gar nur vor dem Namen eines Menschen zu scheuen. Wir verfolgen die Dschamikun; zwei von ihnen sind hier an dieser Stelle gewesen. Das eine der Pferde ist die Stute des Ustad. Ich muß also unbedingt wissen, wer dieser Ustad ist und was es mit ihm für eine Bewandtnis hat.«

»Ich spreche nicht von ihm!« erklärte er in einem Tone, als sei dies nun sein letztes Wort. Es klang fast wie ein Befehl für mich, still zu sein. Da regte sich das Mißtrauen von neuem in mir. Sein Verhalten war für mich ein Rätsel, dessen Lösung ich mir unbedingt verschaffen mußte.

»Komm, Halef!«

Indem ich diese Aufforderung an meinen Hadschi richtete, wendete ich mich von Nafar Ben Schuri und stieg wieder in den Sattel. Halef that ebenso. Der Blick, den er mir zuwarf, sagte mir, daß er mich verstanden hatte und mir recht gab.

»Wohin?« fragte er.

»Dorthin!«

Ich zeigte nach der Schlucht links, nach welcher die Spur führte, und setzte mein Pferd anstatt in Schritt in schnellen Trab. Da rief der Scheik der Dinarun hinter uns her:

»Was fällt euch ein? Warum reitet ihr dorthin? Wollt ihr uns verlassen?«

Wir antworteten nicht, sahen uns auch nicht um und erreichten schnell die Schlucht, hinter deren Eingangsfelsen wir für die Dinarun verschwanden. Hier lag derselbe leichte Sand wie draußen. Die Fährte war ebenso deutlich wie dort. Halef hielt sich neben mir. Er konnte es nicht über das Herz bringen, zu schweigen!

»Sihdi, was hast du vor?« fragte er. »Willst du unsere Freunde verlassen?«

»Nein.«

»Aber warum entfernst du dich von ihnen?«

»Erstens um sie zu zwingen, mir Auskunft über diesen Ustad zu geben, und zweitens um sie darüber zu belehren, daß wir Männer sind, denen man Antwort zu geben hat, wenn sie fragen!«

»Das sind wir allerdings! Doch meine ich, daß wir unsere Freunde – — —«

»Freunde?« unterbrach ich ihn. »Sei vorsichtig mit diesem Worte! Es fällt mir schwer, das rechte Vertrauen zu dieser Freundschaft zu haben.«

»Ich aber traue ihnen, Sihdi!«

»Das weiß ich gar wohl; es wäre aber besser, wenn du zu mir mehr Vertrauen hättest, als zu ihnen. Es liegt irgend etwas zwischen ihnen und uns. Ich weiß es, kann es aber nicht finden. Wir werden es aber erfahren und ich hoffe, daß wir uns nicht zu der Sorte von Menschen zu zählen haben, welche nur durch Schaden klug werden können! – Schau! Was ist hier?«

»Da sind die Reiter abgestiegen, um auszuruhen,« antwortete er.

So war es allerdings. Sie hatten an der rechten Seite der Schlucht Halt gemacht und sich in den weichen Sand gesetzt. Daneben standen niedrige Akaziensträuche, deren Spitzen und Blätter von den Pferden abgefressen worden waren. Die Eindrücke in dem Sande waren da, wo sie gesessen hatten, so scharf, daß man sogar sah, welche Stellung dabei von ihren Extremitäten eingenommen worden waren. Kaum hatte ich einen Blick dorthin geworfen, so entriß mir die Ueberraschung den Ausruf:

»Welche Entdeckung! Oder täusche ich mich?«

»Was ist‘s, Sihdi?« fragte Halef.

»Später! Die Dinarun kommen!«

Sie waren es nicht alle, sondern nur der Scheik mit einigen von ihnen. Ich war wieder abgestiegen, um die Eindrücke in dem Sande zu untersuchen. Er blieb, um die Spuren nicht wieder zu verwischen, in einiger Entfernung von uns halten und rief uns, halb ärgerlich, halb bittend zu:

»Ist denn plötzlich irgendein Scheitan56 in euch gefahren? Warum verlaßt ihr uns? Wollt ihr etwa hier weiterreiten?«

»Ja,« antwortete ich.

»Warum?«

»Wenn ich einen so gefährlichen Weg unternommen habe, wie der unsere ist, lasse ich nie eine unbeantwortete Frage auf ihm liegen. Ich muß unbedingt wissen, wen oder was ich vor mir habe.«

»Du meinst den Ustad?« Er wußte also wohl, warum wir uns entfernt hatten. »Ist dir dieser Mann denn so sehr wichtig?«

»Ja.«

»Warum?«

»Weil du ihn durch dein Schweigen für mich wichtig gemacht hast. Hättest du mir nicht die Auskunft verweigert, so wäre er für uns wohl weiter nichts als jeder andere Mensch.«

»Und was soll euch diese Fährte nützen?«

»Sie soll mich zu der Kenntnis führen, welche du uns nicht geben willst. Wir reiten als eure Freunde mit euch. Es handelt sich hierbei vielleicht um Blut und Leben. Darum ist die größte Vorsicht geboten. Ich sehe, daß sich noch andere Personen in unserer Nähe befunden haben, vielleicht noch befinden. Ich will wissen, wer sie sind. Ich entdecke, welches Pferd geritten wird. Ich will Auskunft über den Besitzer desselben. Du kannst sie geben, giebst sie aber nicht. Das ist gegen die Offenheit, welche ich von dir zu fordern habe! Du hast Geheimnisse vor uns, die wir mit dir in den Kampf gehen sollen. Das trennt uns von euch. Wir reiten dieser Fährte nach, bis ich weiß, wer die Männer sind, die unsere Wege kreuzen!«

»Du hast einen harten Kopf!« warf er ein.

»Nicht das, sondern nur einen festen Willen!«

»Weißt du, was kommen wird, wenn ihr euch von uns trennt?«

»Was?«

»Ihr werdet in unbekannter Gegend hilflos sein! Der Hunger wird an euch nagen, und der Durst wird euch verzehren!«

Kein Mensch hätte mir jetzt einen größeren Gefallen erweisen können, als dieser Mann es mit diesen Worten that. Halef traute den Dinarun, ich aber nicht. Das brachte mich in einen zunächst zwar nur innern Zwiespalt mit ihm, der uns aber äußerlich gefährlich werden konnte. Hatte doch Halef mir schon da oben im Lager Widerstand geleistet! Ich mußte wünschen, daß sein Vertrauen zu diesen Leuten ihn nicht wieder zu einem solchen Fehler verleite. Wirklich erschüttert aber mußte es nicht von mir, sondern von ihnen selbst werden. Da kam Nafar Ben Schuri mit seinem Worte »hilflos« mir zur rechten Zeit zur rechten »Hilfe«. Dieses Wort wirkte auf meinen kleinen Hadschi wie ein feindlicher Pistolenschuß. Er ritt zu dem Scheik hin, blieb hart vor ihm halten und fuhr ihn zornig an:

»Wer wird hilflos sein? Wer wird hungern? Und wer wird dürsten? Warum besteht ihr darauf, daß wir mit euch reiten, wenn ihr uns für junge Schakals haltet, die sich den eigenen Schwanz abfressen, wenn nicht die Mutter ihren Hunger stillt? Hast du jemals gehört, daß Hadschi Halef Omar, der Scheik der Haddedihn, sich nicht zu helfen gewußt habe? Hältst du uns für kleine Buben, denen du auf ihre Fragen mit der Beleidigung des Schweigens antworten darfst? Meinst du, daß wir nur dir zuliebe unsere Gewehre mühsam nach dem »Thale des Sackes« schleppen, um von dir dann einen Wasserschluck und eine Dattel zu erhalten, damit wir nicht vor Durst und Hunger uns in die Brühe faulender Gurken verwandeln? Denkst du, wir lesen dir die schwere Sprache der Fährten zu dem Zwecke vor, von dir zu erfahren, daß sie unnütz sei? Ob dieses Land uns bekannt oder unbekannt ist, das ist uns völlig gleich. Jeder Schuß aus unsern Gewehren wird uns Nahrung bringen, und jeder Busch oder Strauch hat uns zu sagen, wo wir Wasser finden werden! Du hast uns »hilflos« genannt. Schau dich an! Weißt du, als was ich dich jetzt vor mir krumm im Sattel sitzen sehe? Als den niedergeschmetterten Scheik der Dinarun, dem jetzt, in diesem Augenblicke, um nichts als nur um unsere Hilfe bange ist! Ich habe gesprochen!«

Er wendete sein Pferd um und kam wieder her zu mir. Der Scheik antwortete nicht sogleich. Daß er zornig sei, war ihm wohl anzusehen, doch gebot ihm die Klug- heit, sich zu beherrschen. Seine Leute sprachen leise auf ihn ein.

»Hast du jemals so etwas gehört, Sihdi?« fragte Halef mit unterdrückter Stimme. »Hilflose Menschen sollen wir sein! Mit solchen Freunden hat man freilich nur mit der nötigen Vorsicht umzugehen! Wenn mich ein Freund beleidigt, so ist das schlimmer, als wenn ein Feind es thut! Ich werde mich in Zukunft nicht nach meinem Herzen, sondern nach deinem Verstande richten!«

Da kam Nafar näher und wendete sich an mich:

»Sihdi, ich konnte nicht ahnen, daß euch mein Schweigen beleidigen werde. Ich bin Moslem und rede also nicht gern von dem, der ein Feind des Propheten ist. Ich habe nicht daran gedacht, daß du ein Christ bist. Willst du mir verzeihen?«

Ich nickte nur. Da fuhr er fort:

»Hast du noch den Wunsch, etwas über den Mann zu hören, den sie den Ustad nennen?«

»Natürlich!«

»Er ist ein Dschamiki, wurde aber nicht bei den Dschamikun geboren. Sie waren arme Teufel, doch treue Anhänger des Propheten, als er aus einer fernen Gegend zu ihnen kam. Er unterrichtete sie in der Weisheit und Fertigkeit der Abgefallenen. Sie wurden durch ihn wohlhabend, viele sogar reich, haben sich aber aus freien Nomaden in unfreie Sklaven der Arbeit verwandelt. Sie züchten Vieh; sie bebauen Aecker, und sie besitzen Gärten, in welche sie Bäume pflanzen. Pfui!«

»Und dennoch sind sie Räuber, die euch eure Herden gestohlen und die Wächter ermordet haben?« warf ich ein.

»Ja, das sind sie freilich auch! Der Abfall vom Propheten treibt stets zu Raub und Mord!«

»Meinst du?«

»Ja. Das darf dich nicht beleidigen, denn du bist ja nie ein Moslem gewesen und also kein Abgefallener.«

»Sind die Dschamikun Christen?«

»Das weiß ich nicht. Ich weiß nur, daß sie von Muhammed abgewichen sind.«

»Wie nennen sie sich?«

»Nur Dschamikun. Ihrer Religion geben sie keinen Namen. Der Ustad ist ein alter, alter Mann, aber mit tiefschwarzen Haaren. Man sagt, er sei mehrere hundert Jahre alt. Ja, einige meinen sogar, daß er nie geboren worden sei und niemals sterben werde. Das ist gewiß nur Aberglaube. Aber Eins, was man über ihn sagt, ist richtig. Nämlich, daß man sich hüten muß, bös von ihm zu reden. Wer das thut, dem folgt die Rache wie ein böser Geist, der nicht eher ruht, als bis er ihn vernichtet hat. Darum wollte ich deine Frage nicht beantworten. Bist du nun versöhnt?«

»Ich will es sein, warne dich aber vor ähnlichen Beleidigungen. Weißt du vielleicht, ob Sallab, der Fakir, mit den Dschamikun bekannt ist?«

»Er geht überall hin, wahrscheinlich auch zu ihnen.«

»Ist er ihnen mehr Freund als euch?«

»Wer kann das sagen!«

»Er ist hier gewesen.«

»Hier? An diesem Orte?« fragte er erstaunt.

»Ja.«

»Unmöglich!«

»Er hat auf der braunen Stute des Ustad gesessen.«

»Das ist ebenso unmöglich!«

»Schau her! Hier an dieser Stelle sind die beiden Reiter von den Pferden gestiegen. Der, welcher den Hengst ritt, hat die Spuren von ledernen Sohlen hinterlassen. Der andere, welcher von der Stute sprang, ist barfuß gewesen. Nun komm hierher, wo sie gesessen haben! Hier der barfüßige, und hier der andere. Hast du vielleicht schon einmal einen Menschen so auffällig sitzen sehen, daß er nur das eine Bein unterschlägt und auf das Knie desselben die Kniekehle des andern Beines legt, dessen Ferse also jenseits den Boden berühren muß!«

»Maschallah! So sitzt nur einer! Auch du hast ihn gesehen!«

»Wer ist‘s?«

»Der Fakir!«

»Richtig! Diese seine Art zu sitzen oder vielmehr zu hocken ist mir sofort aufgefallen, als er in eurem Lager sich bei uns niederließ. Der barfüßige Mann hier hat ganz genau in derselben Weise gesessen.«

»Kann es nicht einen zweiten geben, welcher auch diese Gewohnheit hat?«

»Gut, nehmen wir diese Möglichkeit an! Aber hast du dir genau betrachtet, wie der Fakir gekleidet war?«

»In Fetzen!«

»Wodurch wurden diese Fetzen zusammengehalten?«

»Durch eine Schnur. Die Enden des Knotens hingen hinten herab.«

»Hast du an diesen beiden Enden etwas bemerkt?«

»Zwei Cypressenzapfen an jedem.«

»So sieh hierher! Diese Zapfen haben, als er saß, den Sand hinter ihm berührt. Er hat sich bewegt und mit sich diese Zapfen. Siehst du diese Striche? Und da, wo sie stillgelegen haben, die runden Eindrücke in dem Mehle des feinen Sandes?«

Er richtete die Augen auf diese Zeichen und dann, groß und weit geöffnet, auf mich.

»Sihdi,« sagte er, »das ist nun freilich Spurenlesen! Es ist bewiesen, daß es wirklich der Fakir war, der hier gesessen hat. Aber an das Pferd des Ustad glaube ich noch nicht!«

»Ich habe nur gesagt, was für ein Pferd es war. Mehr kann ich nicht wissen. Den Ustad hast du selbst genannt. Ist er denn reich genug, der Besitzer eines solchen Pferdes zu sein?«

»Ja, man sagt, daß er die Macht über den ganzen Reichtum der Erde besitze.«

»Man sagt so manches, was man eben bloß sagt. Heut hat für mich nur das Geltung, was ich hier sehe. Wann denkst du, daß wir das Daraeh-y-Dschib erreichen werden?«

»Wir werden schon heut abend in seiner Nähe sein, obgleich wir einen Umweg eingeschlagen haben, um nicht auf etwaige Nachzügler der Dschamikun zu treffen.«

»So treffen wir aber doch vielleicht auf eure Späher nicht!«

»O doch! Wir haben heut den Weg der Feinde zu kreuzen, um ihnen dann zuvorzukommen. An dieser Kreuzungsstelle haben meine Kundschafter auf uns zu warten.«

»So kennen sie die Stelle, an welcher diese Kreuzung stattfindet?«

»Ja. Ich hoffe, daß euer Vertrauen zu uns nun wieder vollständig zurückgekehrt ist!«

Er sah mich an, erwartungsvoll, was für eine Antwort ich nun geben werde. Da wurde mir so offen, daß er es hörte, von Halef die Frage zugeworfen:

»Was wirst du ihm sagen, Sihdi? Das Vertrauen ist nicht wie eine Dattel, die man in der Minute zehnmal hin und her geben kann. Es geht schneller fort, als es wiederkehrt.«

»Ich werde ihn nach einer Lücke fragen, die es zwischen ihm und uns giebt, lieber Halef,« antwortete ich.

»Eine Lücke? Ich kenne keine.«

»Und doch ist sie da. Wir haben sie mitgenommen, als wir das Lager der Dinarun verließen. Sie wurde um Mitternacht, als uns der Nachtrab erreichte, größer als sie vorher war, und nun bin ich neugierig, ob es ihm gelingt, sie auszufüllen. Ich habe darüber geschwiegen, weil du an die Dinarun glaubtest und ich dir deine Unbefangenheit gönnte.«

»Ich verstehe dich nicht!«

»Du wirst es gleich hören!«

Und zu dem Scheik gewendet, fuhr ich fort:

»Ist euer Lager jetzt vollständig verlassen?«

»Ja,« nickte er.

»Es befindet sich niemand mehr dort?«

»Kein Mensch mehr!«

»Es ist also alles mit uns unterwegs? Mit uns hier und dem Nachtrab?«

»Alles!«

»Und unsere Gefangenen? Die Dschamikun? Mit denen wir Gericht halten wollten?«

Er war schneller mit der Antwort da, als ich erwartet hatte:

»Ich habe sie nach dem großen Lager unseres Stammes geschickt. Dort werden sie bis zu unserer Rückkehr für euch aufbewahrt.«

»Warum sagtest du uns das nicht?«

»Habt ihr mich gefragt?«

»Du hattest es uns auch ohne Frage mitzuteilen. Die Gefangenen gehörten zunächst uns und dann später dir. Ich sagte nichts über sie, weil ich es für ganz selbstverständlich hielt, daß sie sich beim Nachtrab befinden würden. Ich sage dir ganz aufrichtig folgendes: Daß diese wenigen Dschamikun so nahe bei euch waren, obwohl ihr von ihren Stammesgenossen beraubt worden waret, das erschien mir unbegreiflich. Daß ihr ihnen begegnet seid, ohne sie als Dschamikun anzuhalten, hielt ich für höchst sonderbar. Daß sie nun verschwunden sind, ohne daß du es für nötig gehalten hast, uns ein Wort darüber zu sagen, das kommt mir sogar bedenklich vor. Darum will ich dir deine Frage nach unserm Vertrauen jetzt noch nicht beantworten. Du wirst schon ganz von selbst bemerken, ob es wiederkehrt oder verschwunden bleibt. Jetzt wollen wir den unterbrochenen Weg fortsetzen.«

Er sagte nichts, lenkte um und ritt mit seinen Begleitern wieder aus der Schlucht hinaus. Erst nach einiger Zeit blickte er sich einmal um, damit er sehe, ob wir ihm folgten. Natürlich thaten wir das. Draußen stießen wir zu dem Trupp, der auf uns gewartet hatte, und ritten dann mit diesem weiter, indem wir die beiden letzten des Zuges waren.

»Sonderbar, das mit den Gefangenen!« sagte Halef nach einiger Zeit, während welcher er still an sich niedergesonnen hatte. »Glaubst du, Sihdi, daß ich seit unserm Aufbruche gar nicht an diese Leute gedacht habe?«

»Ich bemerkte das.«

»Und aber du?«

»Ich sah erst heut früh, daß sie fehlten.«

»Und hast gegen mich geschwiegen!«

»Du warst so heiter wie in den letzten Tagen selten. Ich wollte dich nicht ohne Not bedenklich stimmen.«

»Weil du mich wegen meiner Krankheit schonen willst; ich weiß es! Glaubst du noch an sie?«

»Ja.«

»So gieb mir jetzt wieder die Arznei!«

»Halef!« rief ich. »Fühlst du dich wieder unwohl?«

»Nein. Aber die Alte ist wieder da. Sie hat sich heimlich herangeschlichen. Sie sitzt hinter mir auf dem Pferde und streicht mir mit eiskalter Hand am Rücken auf und ab. Sie muß wieder fort. Gieb mir das Mittel!«

Ich hatte während der letzten Stunden in Beziehung auf das Fieber nicht auf ihn geachtet. Jetzt sah ich seine Augen glänzen. Sie hatten einen unstäten, ängstlichen Blick. Ich nahm das Chinin aus der Satteltasche und gab ihm davon. Er nahm es ein, und dann wurde es für längere Zeit still zwischen uns.

Dieses Schweigen hatte seinen Grund zunächst in der Besorgnis, welche ich in Beziehung auf Halef von neuem hegte. Sodann aber war mir auch in Betreff meiner selbst ein Gedanke gekommen, welcher sehr geeignet war, mich zu beunruhigen.

Wir hatten in jüngster Zeit ganz bedeutende Fehler begangen, Fehler, welche eigentlich für uns hätten unmöglich sein sollen. Hierzu kamen, wenn ich nachdachte, eine ganze Menge kleinere Sonderbarkeiten, die uns eigentlich gar nicht geläufig waren. Vor allen Dingen fragte ich mich, wie es möglich gewesen war, daß wir hatten von dem Lager der Dinarun aufbrechen können, ohne vorher über unsere Gefangenen zu bestimmen. Hierauf fiel mir ein, daß es doch eigentlich geraten gewesen wäre, uns die Leichen oder die Gräber der beim Ueberfalle der Herden ermordeten Wächter zeigen zu lassen. Auch das hatten wir nicht gethan. Wie war es für uns alte, erfahrene, doch sonst so scharfsinnige Leute möglich gewesen, uns solcher Unterlassungssünden schuldig zu machen? Bei Halef war die Krankheit schuld. Was aber bei mir? War ich plötzlich vergeßlich geworden?

Hatte ich die Schärfe meiner Denkkraft eingebüßt? Woher kam auch bei mir die sonderbare Müdigkeit, die ich gar nicht beachtet hatte, obgleich sie von Halef schon einige Male erwähnt worden war? Ich befinde mich in dem Besitze einer Konstitution, wie nur selten ein Mensch sie hat. Meine Gesundheit macht für mich den Gedanken, krank zu sein, fast zur Unmöglichkeit. Und wenn ich ja vielleicht einmal unwohl sein sollte, so glaube ich es nicht. Ein Zustand, über welchen andere klagen und sehr besorgt sein würden, ist für mich eine kleine, gar nicht beachtenswerte Unpäßlichkeit, über die ich kein Wort verliere. Nun aber jetzt, da mir der erwähnte Gedanke gekommen war, that ich das, was ich bisher versäumt hatte: Ich nahm nicht Halef, sondern einmal auch mich selbst her, um mich auf mein Wohlbefinden hin zu untersuchen, und da – man lache nicht! – geschah das Unerwartete, daß das »alte, zahnlose Weib« mir in die Ohren raunte, daß sie auch bei mir zu Gaste sei.

53.Singular von Dinarun.
54.»Pfeil«.
55.»Meister«.
56.Teufel.
Yaş sınırı:
12+
Litres'teki yayın tarihi:
30 ağustos 2016
Hacim:
540 s. 1 illüstrasyon
Telif hakkı:
Public Domain
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