Kitabı oku: «Old Firehand»
Old Firehand
»Mein Frühling ging zur Rüste,
Ich weiß gar wohl warum:
Die Lippe, die mich küßte,
Ist worden kühl und stumm.«
So klang es über die weite Ebene hin, und Swallow, mein wackerer Mustang, spitzte die kleinen Ohren, schnaubte freudig durch die Nüstern und hob graziös die feinen Hufe wie zum Menuett.
Warum grad‘ dieses Lied, welches ich zuletzt vor drei Monaten in Cincinnati von einer Tyroler Gesellschaft gehört hatte, mir über die Lippen tönte, ich weiß es nicht. Noch hatte mich kein Mund geküßt, und mein Frühling konnte also wohl beginnen, doch beileibe nicht schon zu Ende sein; aber das Leben war mir bisher Nichts gewesen als ein Kampf mit Hindernissen und Schwierigkeiten; ich war einsam und allein meinen Weg gegangen, unbeachtet, unverstanden und ungeliebt, und bei dieser inneren Abgeschiedenheit hatte sich eine Art Weltschmerz in mir entwickelt, zu welchem der klagende Inhalt dieser Strophen recht gut paßte.
Schon neigte sich die Sonne demjenigen Theile der Rocky-Mountains, welcher die Grenze zwischen Nebraska und Oregon bildet, zu, und noch immer ließ sich keine Senkung der mit gelbblühendem Helianthus übersäeten Ebene wahrnehmen. Das Pferd bedurfte der Ruhe; ich selbst war müde, und so sehnte ich mich je länger desto mehr nach New-Venango, wo ich mich von langer Wanderung einmal einen ganzen Tag lang gehörig ausruhen und die ziemlich alle gewordene Munition wieder ergänzen wollte.
Plötzlich hob Swallow das Köpfchen seitwärts und stieß den dampfenden Athem mit jenem eigenthümlichen Laute aus, durch welchen das ächte Prairiepferd das Nahen eines lebenden Wesens signalisirt. Mit einem leisen Rucke war es zum Stehen gebracht, und ich wandte mich auf seinem Rücken, um den Horizont abzusuchen.
Da, seitwärts von meinem Standorte, nahte ein Reiter, welcher grad‘ auf mich zuhielt und sein Pferd weit ausgreifen ließ, und da die Entfernung zu groß war, um genau unterscheiden zu können, so griff ich zum Fernrohre und gewahrte zu meiner nicht geringen Verwunderung, daß dieser Reiter nicht ein Mann, sondern ein Frauenzimmer sei.
»Alle Teufel, eine Dame, hier im ›far West‹, mitten in der Prairie, und gar mit Reitkleid und wehendem Schleier!« fuhr es mir über die Lippen, und erwartungsvoll schob ich Revolver und Bowiemesser, welche ich vorsichtig gelockert hatte, wieder zurück. »Oder ist‘s gar der ›flats-ghost‹, der Geist der Ebene, welcher auf feurigem Rosse über die Woodlands fliegen soll, um die weißen Menschen von den Jagdgründen ihrer ›rothen Brüder‹ zu vertreiben!«
Mit einigem Bedenken musterte ich meinen äußeren Adam, welcher mir allerdings nicht sehr courfähig erschien. Die Moccassins waren mit der Zeit höchst offenherzig geworden; die Leggins glänzten, da ich sie bei der Tafel als Serviette zu gebrauchen pflegte, vor Fett; das sackähnliche, lederne Jagdhemde verlieh mir den würdevollen Anstand einer von Wind und Wetter maltraitirten Krautscheuche, und die Bibermütze, welche mein Haupt bedeckte, hatte einen guten Theil ihrer Haare verloren und schien zu ihrem Nachtheile mit den verschiedenen Lagerfeuern intime Bekanntschaft gepflogen zu haben.
Aber ich befand mich ja nicht im Parkete eines Opernhauses, sondern zwischen den Black-Hills und dem Felsengebirge und hatte auch gar keine Zeit, mich zu ärgern, denn, noch war ich mit meiner Selbstinspektion nicht fertig, so hielt die Reiterin schon vor mir, hob den Griff ihrer Reitpeitsche grüßend in die Höhe und rief mit tiefer, reiner und sondrer Stimme:
»Good day, Sir! Was wollt Ihr finden, daß Ihr so an Euch herumsucht?«
»Your servant, Mistreß! Ich knöpfte mein Panzerhemd zu, um unter dem forschendem Blicke Eures schönen Auges nicht etwa Schaden zu leiden.«
»So darf man Euch wohl nicht ansehen?«
»Doch, doch, wenn mir die Erlaubniß zur Gegenbetrachtung wird.«
»Die sollt Ihr haben.«
»Danke; so wollen wir uns denn einmal nach Herzenslust begucken, wobei ich natürlich besser wegkomme als Ihr.« Und meinen Mustang auf den Hinterbeinen herumdrehend, setzte ich hinzu: »So, da habt Ihr mich von allen Seiten, zu Pferde und in Lebensgröße! Wie gefalle ich Euch?«
»Wartet ein Wenig und seht auch mich erst an!« erwiederte sie lachend, zog ihre Stute vorn in die Höhe und präsentirte sich durch eine kühe Wendung in derselben Weise, wie ich es gethan hatte. »Jetzt ist die Vorstellung eine vollständige, und nun sagt erst Ihr, wie ich Euch gefalle.«
»Hm, nicht übel, wenigstens scheint Ihr mir gut genug für diesen Ort hier. Und ich?«
»So la la! An dem ganzen Manne ist das Pferd das Beste.«
»Ihr seid eine Dame, folglich habt Ihr Recht. Ueberhaupt hat mich Eure Gegenwart hier mitten in der Prairie so perplex gemacht, daß ich nicht die nöthigen Worte finde, um Euch einen bessern Begriff von meiner Schönheit beizubringen.«
»Mitten in der Prairie? So seid Ihr wohl fremd hier?«
»Welche Frage – in der Wildniß!«
»Folgt mir, so sollt Ihr sehen, wie groß diese Wildniß ist.«
Sie wandte sich der Richtung zu, welche ich verfolgt hatte und ließ ihr Pferd vom langsamen Schritt durch alle Gangarten bis zum gestreckten Galoppe übergehen. Swallow folgte mit Leichtigkeit, trotzdem wir vom grauenden Morgen an unterwegs gewesen waren. Ja, das brave Thier schien zu bemerken, daß es sich hier um eine kleine Probe handle und griff ganz freiwillig in der Weise aus, daß die Reiterin zuletzt nicht mehr zu folgen vermochte, und mit einem Ausrufe der Bewunderung ihr Thier parirte.
»Ihr seid außerordentlich gut beritten, Sir. Ist Euch der Hengst feil?«
»Um keinen Preis, Mistreß.«
»Laßt das ›Mistreß‹ fort.«
»Dann Miß, ganz wie es Euch beliebt. Das Pferd hat mich aus so mancher Gefahr hinweggetragen, so daß ich ihm mehr als einmal mein Leben verdanke und es mir also unmöglich feil sein kann.«
»Es hat indianische Dressur,« sagte sie mit scharfen Kennerblicke. »Wo habt Ihr es her?«
»Ich erhielt es von Winnetou, einem Apachenhäuptling, mit welchem ich am Rio Suanca ein Weniges zusammenkam, zum Geschenke.«
»Von Winnetou? Das ist ja der berühmteste und gefürchtetste Indianer zwischen Sonora und Columbien! Ihr seht gar nicht nach einer solchen Bekanntschaft aus, Sir?«
»Warum, Miß?« fragte ich mit offenem Lächeln.
»Ich hielt Euch für einen Surveyor (Feldmesser) oder etwas Derartiges, und diese Leute sind zwar oft recht gute Schützen, aber sich mitten zwischen Apachen, Nijoras und Navajoas hineinzuwagen, dazu gehört schon ein Wenig mehr. Eure blanken Revolver, das zierliche Messer da im Gürtel und die Weihnachtsbüchse dort am Sattelriemen oder gar noch Eure Paradehaltung auf dem Pferde stimmen wenig mit Dem überein, was man an einem ächten und rechten Trapper oder Scatter zu bemerken pflegt.«
»Ihr sollt wieder Recht haben, und ich gestehe offen, daß ich auch nur so eine Art Sonntagsjäger bin; aber die Waffen sind nicht ganz schlecht. Ich habe sie in Front-Street, St. Louis gekauft, und wenn Ihr auf diesem Felde so zu Hause seid, wie es scheint, so müßt Ihr auch wissen, daß man dort für gute Preise auch gute Waare bekommt.«
»Diese Waare aber zeigt ihre Güte erst beim rechten Gebrauche. Was sagt Ihr zur dieser Pistole?«
Sie zog bei diesen Worten ein altes, verrostetes Schießinstrument aus der Satteltasche und hielt es mir zur Besichtigung hin.
»Hm, das Ding stammt jedenfalls noch von Anno Poccahontas her; aber es kann doch gut sein. Ich habe Indianer oft mit dem miserabelsten Schießzeuge zum Verwundern umgehen sehen.«
»Haben sie auch Das fertig gebracht?«
Sie warf das Pferd zur Seite, schlug im raschen Trabe einen Kreis um mich, hob den Arm und drückte auf mich los, ehe ich nur eine Ahnung von ihrer Absicht haben konnte.
Ich fühlte einen leisen Ruck an meiner Kopfbedeckung und sah zu gleicher Zeit die Helianthusblüthen, welche ich mir an die Mütze gesteckt hatte, vor mir niederfliegen. Es schien mir ganz, als wolle die sichere Schützin sich darüber informiren, was von meiner Sonntagsjägerei zu halten sei, und ich antwortete also auf die ausgesprochene Frage kaltblütig:
»So Etwas bringt Jeder fertig; aber ich bitte denn doch ganz höflich, Miß, die Mütze von jetzt an in Ruhe zu lassen, da zufälliger Weise mein Kopf drinnen steckt.«
Sie lachte und hielt sich wieder an meine Seite. Die ganze Begegnung kam mir wie ein Traum vor, und hätte ich früher vielleicht etwas Aehnliches in irgend einem Romane gelesen, so wäre der Verfasser ganz gewiß in den Verdacht gekommen, Unmögliches als möglich darzustellen. Jedenfalls, das war klar, mußte eine Ansiedelung in der Nähe sein, und da seit längerer Zeit der Kriegspfad keines der wilden Stämme in diese Gegend geführt hatte, so konnte es selbst eine Dame immerhin wagen, ein Stückchen in die Ebene hinein zu reiten.
Nicht so klar war es mir, was ich eigentlich aus meiner Begleiterin machen sollte. Ihre ganze Erscheinung deutete auf den Salon, und doch verrieth sie eine Kenntniß des Westens und eine Uebung in den hier nothwendigen Fertigkeiten, die auf ganz besondere Verhältnisse schließen ließ. Deßhalb war es wohl kein Wunder, daß mein Auge mit dem größten Interesse auf ihr ruhte.
Sie ritt jetzt eine halbe Pferdelänge vor, und der goldene Sonnenstrahl umfluthete ihre tadellose, vollendete Gestalt. »Bräunlich und schön«, wie die Bibel von David erzählt, zeigten die eigenartigen Züge trotz ihrer mädchenhaften Weichheit eine Festigkeit des Ausdruckes, welche auf geistige Ueberlegenheit und Energie des Willens schließen ließ, und in der ganzen Haltung, in jeder einzelnen Bewegung des bezaubernden Wesens sprach sich eine Selbstständigkeit und Sicherheit aus, welche neben der freiwilligen Bewunderung unbedingte Achtung forderte.
Ich gestand mir offen, noch nie ein Mädchen von solcher Schönheit gesehen zu haben und wunderte mich über mich selbst, daß ich trotz meiner gewöhnlichen Zaghaftigkeit im Umgange mit dem andern Geschlechte bei der heutigen Begegnung so – so unverfroren hatte sein können. Freilich war auch ihre Art und Weise ganz geeignet gewesen, diese Zaghaftigkeit nicht aufkommen zu lassen; aber jetzt beim näheren Anschauen konnte ich doch einer leisen Bedrückung nicht so ganz Herr werden.
Oft schon hatte ich von der Wirkung gehört, welche der Klang einer Frauenstimme selbst auf den sonst verschlossenen Mann auszuüben vermöge, an mir selbst jedoch noch keinerlei Erfahrung darüber gemacht. Jetzt aber fühlte ich mit Einemmale diese Wirkung, und es war mir, als sei mir Etwas in‘s einsame Herz gedrungen, was die Oede und Leere desselben auszufüllen und mich mit all‘ dem Vergangenen zu versöhnen vermöge.
Plötzlich zog sie die Zügel an.
»Ihr seid ein Deutscher?«
»Ja. Spreche ich das Englische mit so bösem Accent, daß Ihr meine Abstammung so genau bestimmen könnt?«
»Nein, Sir. Euer Englisch ist rein; aber Euer Verhalten ist ächt deutsch. Erst laut, munter und gemüthlich und jetzt still, nachdenklich und grübelnd. Wenn es Euch recht ist, wollen wir uns unserer Muttersprache bedienen?«
»Wie? Auch Ihr habt die gleiche Heimath?«
»Vater ist ein Deutscher, geboren bin ich am Quicourt. Meine Mutter war eine Indianerin vom Stamme der Assineboins. Eine Amerikanerin wäre Euch wohl in anderer Weise begegnet.«
Jetzt war mir der eigenthümliche Schnitt ihres Gesichtes und der tiefere Schatten des Teints erklärlich. Ihre Mutter war also todt, und der Vater lebte noch. Hier stieß ich jedenfalls auf außergewöhnliche Verhältnisse, und es war mehr als bloße Neugierde, welche ich jetzt für dieselben empfand.
»Seht da hinüber!« belehrte sie mich mit erhobenem Arme. »Seht Ihr den Rauch wie aus dem Boden aufsteigen?«
»Ah, das ist der Bluff, welchen ich schon längst suchte, und in dessen Senkung New-Venango liegt. Kennt Ihr Emery Forster, den Oelprinzen?«
»Ein Wenig. Er ist der Vater von meines Bruders Frau, welche mit ihrem Manne in Omaha lebt. Ich komme von daher, um den Vater zu sehen und habe hier Absteigequartier genommen. Habt Ihr mit Forster zu thun, Sir?«
»Nein, ich habe im Store (Laden) zu thun, um mich mit Einigem zu versorgen und fragte nur, weil er als einer der bedeutendsten Oelprinzen bekannt ist.«
»Könnte Euch auch nicht viel an ihm empfehlen. Ihr wißt ja, wie diese Leute sind. Doch, laßt uns aus greifen, es wird Abend.«
Nach kurzer Zeit hielten wir am Rande der Schlucht und blickten auf die kleine Niederlassung, deren Häuserzahl wenigstens ich mir höher vorgestellt hatte. Das vor uns liegende Thal bildete eine schmale Pfanne, welche, rings von steil ansteigenden Felsen umschlossen, in ihrer Mitte von einem ansehnlichen Flusse durchströmt wurde, der sich zwischen nahe zusammentretendem Gestein unten einen Ausweg suchte. Das ganze unter uns liegende Terrain war mit Anlagen, wie sie die Petroleumerzeugung erfordert, bedeckt; oben, ganz nahe am Wasser, sah ich einen Erdbohrer in voller Thätigkeit; am mittleren Laufe stand etwas vor den eigentlichen Fabrikräumlichkeiten ein trotz des Interims doch ganz stattliches Wohngebäude, und wo das Auge nur hinblickte, waren Dauben, Böden und fertige Fässer, theils leer, meist aber mit dem vielbegehrten Brennstoff gefüllt, zu sehen.
»Da drüben seht Ihr den Store, Sir, zugleich Restauration und alles sonst noch Mögliche, und hier führt der Weg hinab, ein Wenig steil, so daß wir absteigen müssen, aber doch immer noch ohne Lebensgefahr zu passiren. Wollt Ihr mitkommen?«
Rasch schnellte ich mich aus dem Sattel, um ihr beim Absteigen behülflich zu sein. Aber ich kam zu spät; denn schon stand sie mit aufgenommenem Kleide vor mir und rief mit goldenem Lachen:
»Danke! Man gewöhnt sich hier, dergleichen Aufmerksamkeiten nicht zu beanspruchen. Nehmt Euer Thier an die Hand.«
»Swallow kommt von selbst nach, Miß; erlaubt mir das Eurige.«
Ich ergriff die Zügel der Stute, und während mein Mustang ohne besondere Aufforderung nachfolgte, hatte ich Gelegenheit, an der Vorangehenden die Gewandheit und Sicherheit des Schrittes zu bewundern. Diese Uebung hatte sie sich ganz bestimmt nicht im Institute aneignen können, und mein Interesse an dem wundervollen Wesen wuchs von Minute zu Minute.
Auf der Sohle des Thales angekommen, bestiegen wir die Pferde wieder und hielten in raschem Tempo auf den Store zu.
»Forster steht unter der Thür; er wird mich wohl nicht vorüberlassen.«
Der Bezeichnete war eine lange, hagere Gestalt mit ächter Yankeephysiognomie.
»Stop, Ellen; hier wird abgestiegen! In welche Gesellschaft bist Du denn da gerathen?«
Es lag in Ton und Wort nicht die mindeste Höflichkeit für mich, und ebenso bekümmerte er sich nicht im mindesten um das Mädchen, sondern trat sofort zu meinem Pferde.
»Hm – hm – hab‘s gleich von Weitem bemerkt – hm – hm – das Thier muß man kaufen – was meint Ihr, Fenders?«
Der Angeredete war ein Mann mit vertrunkenen Gesichtszügen und jedenfalls ein Irländer. Ich vermuthete den Wirth in ihm, schritt aber, ohne die Beiden weiter zu beachten, dem Mädchen nach, welches in den Boarraum gegangen war. Sie empfing mich mit den Worten:
»Wenn Ihr das Pferd ja verkauft, so laßt es mir; ich zahle Euch dasselbe wie Forster.«
»Welches Pferd?« riefen einige Leute, welche am Tische standen und traten, nachdem sie einen Blick durch das Fenster geworfen hatten, hinaus, worauf sich ein lebhafter Wortwechsel draußen erhob, am Schlusse dessen Forster Miene machte, das Thier zur Probe zu besteigen. Ich öffnete das Fenster.
»Swallow!«
Das folgsame Thier schüttelte den Zudringlichen mit einem jähen Seitensprunge ab und kam herbei. Ich band die Zügel an das Fensterkreuz.
»Glaubt Ihr, das ich Euch das Pferd stehlen will, Herr?« fuhr mich der Abgeworfene an. »Ich werde es kaufen und kann also wohl auch erst einmal aufsitzen. Gebt her!«
»Ich denke, es Euch noch nicht angeboten zu haben, Sir. Der Hengst ist müde; laßt ihn in Ruhe!«
»Oho! Ihr scheint ja ein ganz resoluter Junge zu sein. Man muß Euch wirklich einmal näher ansehen!«
Er wandte sich nach der Thür und trat an der Spitze der Uebrigen in das Zimmer. Nach einem kurzen Blick auf mich meinte er mit geringschätzendem Schütteln des Kopfes:
»Würde Euch auch besser stehen, hübsch artig zu sein! Scheint mir ganz, als ob Ihr ein gutes Handgeld gebrauchen könntet.«
»Ist nicht Eure Sache, Mann, sondern die meinige. Werde mit meinen Angelegenheiten schon selbst fertig!«
»Good lack, klingt das wichtig! Doch will ich verständig sein und Euch hundertfünfzig Dollars bieten.«
»Ist mir nicht feil, das Pferd.«
»Hundert fünfundsiebenzig!«
»Ist mir nicht feil!«
»Zwei Hundert, aber nicht fünf Cents mehr.«
»Ist mir nicht feil, zum dritten Male; und nun laßt mich in Ruhe!«
»Ihr seid ein Grobian, der froh sein sollte, wenn ein Gentlemen ihm zu einem ganzen Zeuge verhilft. Wißt Ihr das?«
»Pah!«
Ich begnügte mich, diesen einen Laut auszusprechen, trotzdem ein Anderer jedenfalls zur Waffe gegriffen hätte.
Meine Meinung über das Duell, über Beleidigung und Genugthuung waren eben nicht die landläufigen, und wer daheim ein Paar arme, alte Eltern hat, welche ihre ganze Hoffnung allein nur auf ihn gesetzt haben, der setzt sein Leben nur dann ein, wenn es sich um Würdigeres als die Fausthöflichkeit eines Hinterwäldlers handelt. Freilich mußte mich diese Selbstbeherrschung in den Verdacht eines Feiglings bringen; aber das Urtheil dieser Leute konnte mir ja sehr gleichgültig sein.
Ein Wesen gab es allerdings, dessen Meinung mich nicht empfindungslos lassen konnte, und das war Ellen, wie sie von Forster genannt worden war. Sie hatte unserem kurzen Wortwechsel eine gespannte Aufmerksamkeit gewidmet und jedenfalls ganz bestimmt erwartet, daß ich losbrechen werde. Als das aber nicht geschah, sah ich einen Zug der Enttäuschung über ihr schönes Angesicht gehen, und es lag eine sichtbare Zustimmung in ihrem Blicke, als Forster, verächtlich die Achsel zuckend, meinte:
»Ein Coyote (Schakal), mehr nicht. Laßt ihn stehen, Leute!«
Trotz dieser neuen und größeren Beleidigung hielt ich an mich, und nun war es wirklich die ausgesprochenste Verachtung, mit welcher sich das Mädchen zur Seite wandte und ihren Verwandten zum Aufbruche mahnte.
Mein Auge folgte ihr, bis die letzte Falte ihres Kleides verschwunden war, und dann überkam mich eine Bitterkeit, wie ich sie in meinem ganzen Leben noch nicht empfunden hatte. Ganz gewiß war nur ich allein Schuld an der Unbill, die mir widerfahren; aber warum war ich doch nur so besonnen und überlegsam! Ein Wenig Jähzorn, ein Wenig Leichtsinn ist oft nicht so ganz am unrechten Platze.
So dachte ich in meinem Unmuthe und erhob mich endlich, um denselben im Handel vielleicht zu vergessen.
Als ich mich mit dem Nöthigen versehen hatte und dem Wirthe die geforderte Summe vorzählte, fragte er:
»Wollt Ihr für diese Nacht nicht dableiben? Man wird bei mir gut bedient!«
»Danke; schwärme nicht für Eure Bude.«
»Könntet aber doch dableiben, Mann, nicht blos für heute, sondern für morgen und übermorgen und immer. Ich brauche einen Boardkeeper, der nicht gleich d‘reinspringt, wenn er einen Tritt bekommt oder zwei. In unserem Geschäfte ist die Ambition oft ein recht überflüssiges und schädliches Ding. Wie gesagt, Ihr könntet hier bleiben; denn ich meine, Ihr seid der beste Mann dazu.«
Eigentlich hätte ich den scharfsinnigen Landlord (Gastwirth) par figura belehren sollen, daß er sich sehr in mir geirrt habe; doch war die Offerte wirklich mehr lächerlich als ärgerlich, und so ließ ich ihn ruhig stehen und trat in‘s Freie, wo Swallow immer noch meiner wartete.
Der Abend hatte sich mittlerweile über das Thal gebreitet, und es war ziemlich dunkel geworden. Mir war die Lust vergangen, an meiner ursprünglichen Absicht, zu bleiben, festzuhalten. Pferd und Reiter hatten sich ausgeruht, und so konnte es heute noch ein Stück in die offene Prairie hineingehen, wo es sich jedenfalls angenehmer schlafen ließ als in dem nach Petroleum duftendem Thale. Zuvor aber trieb es mich die kurze Strecke abwärts, nach dem Wohngebäude zu, welches ich am Nachmittage von der Höhe aus gesehen.
Der Weg führte dem Flusse entlang, und was ich vorher nicht bemerkt, das fiel mir jetzt, wo meine Aufmerksamkeit nicht von der schönen Begleiterin in Anspruch genommen wurde, sofort auf, nämlich daß in der Nähe des Wassers sich der Oelgeruch verstärkte und der Fluß also eine nicht unbedeutende Quantität des Brennstoffes mit sich führen müsse.
Der Gebäudecomplex lag vollständig schwarz vor mir, aber als ich eine leichte Krümmung des Weges hinter mir hatte und nun das Herrenhaus von vorn nehmen konnte, fiel heller Lichtesglanz von der Veranda herüber, und ich sah, daß dort eine kleine Gesellschaft versammelt sei. Ich sprang vom Pferde, welches ich an eine Fenzstange band und schlich mich leise über die dunklen Stellen des Vorplatzes bis an das niedere Mauerwerk, in welches die Träger der leichten Ueberdachung befestigt waren.
Noch nie in meinen Leben hatte ich den Lauscher gemacht; aber heute trieb mich ein unbestimmtes und bisher ungekanntes Etwas zum unerlaubten Beobachten, und mit Genugthuung bemerkte ich die Gesuchte, welche, von einem leichten Hauskleide umflossen, in einer der Hängematten lag. Eben war sie im Begriff, dem in ihrer Nähe sitzenden Forster eine Auseinandersetzung zu machen.
»Es ist ein unnützes und lästerliches Unternehmen, dear uncle, und Du hast Dir die Sache wohl nicht richtig berechnet.«
»Lerne uns doch das Calculiren nicht, Mädchen. Die Preise sind nur deßhalb so gedrückt, weil die Quellen zu viel liefern. Wenn wir also, Einer wie der Andere, das Oel so einen Monat lang ablaufen lassen, so muß es dann wieder theuer werden und wir machen Geschäfte, gute Geschäfte, sage ich Dir. Und diesen Coup werden wir ausführen; es ist so beschlossen, und ein Jeder wird sein Versprechen halten.«
»Mir scheint nur, Ihr habt die Quellen drüben im alten Lande und sonst wo noch dabei außer Acht gelassen. Euer Verhalten wird die dortige Concurrenz sofort zur äußersten Anstrengung anspornen, und Ihr selbst gebt also dem jetzt noch schlafenden Gegner die Waffen in die Hand. Uebrigens sind auch hier in den Staaten die aufgestapelten Vorräthe so groß, daß sie für sehr geraume Zeit zureichen.«
»Du kennst den Bedarf nicht und hast also auch kein Urtheil, wie Ihr Frauen ja überhaupt gar nicht denken solltet. Denn so oft Ihr‘s thut, gerathet Ihr auf Irrwege.«
»Das müßte denn doch sehr bewiesen werden, und ich glaube grad —«
»Der Beweis liegt nahe,« unterbrach er sie. »Hast Du nicht vorhin erst gestanden, daß Du Dich in dem Woodsman oder was der Mensch eigentlich war, getäuscht hast? Hätte mir nie gedacht, daß es Dir in solcher Gesellschaft gefallen könne!«
Ich sah sie tief erröthen; aber sie antwortete schnell:
»Von einer Täuschung ist keine Rede; denn ich sagte nur, daß er mir erst anders geschienen habe, und zwischen Schein und bewiesener Wirklichkeit pflege ich einen Unterschied zu machen.«
Forster wollte Etwas erwiedern, kam aber nicht dazu; denn in demselben Augenblicke geschah ein Donnerschlag, als sei die Erde unter uns mitten aus einander geborsten. Der Boden erzitterte, und als ich das Auge erschrocken seitwärts wandte, sah ich im obern Theile des Thales, da, wo der Bohrer thätig gewesen sein mußte, einen glühenden Feuerstrom fast fünfzig Fuß in die Höhe steigen, welcher flackernd oben breit auseinanderfloß und, wieder zur Erde niedersinkend, mit reißender Schnelligkeit das abfallende Terrain überschwemmte. Zugleich drang ein scharfer, stechender, gasartiger Geruch in die Athmungswerkzeuge, und die Luft schien von leichtflüssigem, ätherischem Feuer erfüllt zu sein.
Ich kannte dieses furchtbare Phänomen; denn ich hatte es im Kanawhathale in seiner ganzen Schrecklichkeit gesehen und stand mit einem einzigen Sprunge mitten unter der vor Schreck fast todesstarren Gesellschaft.
»Lichter aus, Lichter aus! Der Bohrer ist auf Oel getroffen, und Ihr habt beim Aufsteigen des Strahles Feuer in der Nähe gehabt. Lichter aus, sonst brennt in zwei Minuten das ganze Thal!«
Ich sprang von einem der brennenden Armleuchter zum andern; aber da oben im Zimmer brannten die Lampen auch, und drüben vom Store her sah ich ebenfalls Lichtschimmer. Dazu hatte die Fluth des hochaufsprühenden Oeles, welches sich mit unglaublicher Raschheit über das ganze obere Thal ausbreitete, jetzt den Fluß erreicht, und nun galt es, Alles einzusetzen für das nackte, bloße Leben. —
»Rettet Euch! Lauft, lauft um Gottes Willen! Sucht die Höhen zu gewinnen!«
Mich um weiter Niemand kümmernd, riß ich Ellen empor in meine Arme und saß im nächsten Augenblicke mit ihr im Sattel. Das Mädchen, die Größe der Gefahr nicht erkennend, sträubte sich mit Aufbietung aller Kräfte gegen die Umschlingung; aber wie man in solchen Augenblicken stets Riesenkraft besitzt, so verschwand auch diese Anstrengung fast ganz unter der Stärke, mit welcher ich sie festhielt, und in rasendem Laufe trug Swallow, dessen Instinct die Führung des Zügels oder den Gebrauch der Sporen überflüssig machte, uns stromabwärts.
Der Bergpfad, welcher mich nach New-Venango geführt hatte, war uns verschlossen; denn der Gluthstrom war schon an ihm vorübergefluthet. Nur abwärts konnten wir Rettung finden; aber ich hatte am Tage Nichts einer Straße Aehnliches bemerkt und im Gegentheile gesehen, daß die Felswände so eng zusammentraten, daß sich der Fluß nur schäumend den Ausweg erzwingen konnte.
»Sagt, Miß,« rief ich in ängstlicher Hast, »giebt es einen Weg, welcher hier unten aus dem Thale führt?«
»Nein, nein!« stöhnte sie unter der krampfhaften Anstrengung, von mir loszukommen. »Laßt mich fahren, sage ich Euch, laßt mich fahren!«
Ich konnte natürlich auf ihre Worte nicht hören und musterte mit Aufmerksamkeit den nahe zusammentretenden Horizont, welchen die beiden schroff aufstrebenden Höhenzüge bildeten. Da fühlte ich einen Druck in der Gürtelgegend, und zugleich rief das Mädchen:
»Laßt mich los! Gebt mich frei, oder ich stoße Euch Euer eigenes Messer in den Leib!«
Sie hatte das Bowiemesser an sich gerissen. Aber ich hatte keine Zeit zu einer langen Auseinandersetzung, sondern vereinte mit einem raschen Griffe ihre beiden Handgelenke in meiner Rechten, während ich mit dem linken Arme sie immer fester umschloß.
Die Gefahr wuchs mit jeder Secunde. Der glühende Strom hatte die Lagerräume erreicht und nun sprangen die Fässer mit Kanonenschuß ähnlichem Knalle und ergossen ihren sofort in heller Lohe brennenden Inhalt in das auf diese Weise immer mehr anwachsende und immer rascher vorwärtsschreitende Feuermeer. Die Atmosphäre war zum Ersticken heiß; ich hatte das Gefühl, als koche ich in einem Topfe siedenden Wassers, und doch wuchsen Hitze und Trockenheit mit solcher Rapidität, daß ich innerlich zu brennen vermeinte. Faßt wollten mir die Sinne schwinden; aber es galt nicht blos mein Leben, sondern noch viel mehr dasjenige meiner kostbaren Bürde.
Es war mir in diesen entsetzlichen Augenblicken zu Muthe, als habe ich das herrlichste Gut der ganzen, weiten Schöpfung, den größten Schatz des Himmels und der Erde dem flammenden Orkus entführt und müsse nun meinen herrlichen Raub schützen und bergen vor den nachsprühenden Blitzen und Gluthen der Unterwelt. Trotzdem ich kaum noch eines Gedankens mächtig war durchzuckte mich doch die Erkenntniß der ersten, allgewaltigen Liebe, und Rettung, Rettung mußte ich finden für sie und sollte ich selbst zehnmal, nein, tausendmal dabei zu Grunde gehen!
»Swallow, voran, voran, Swall —!«
Ich konnte nicht weiter sprechen, und das brave Thier ras‘te ja auch mit fast unmöglicher Geschwindigkeit dahin. Soviel sah ich; diesseits des Flusses war kein Ausweg. Die Flammen beleuchteten die Felswände ja hell genug, um sehen zu können, daß dieselben nicht zu erklimmen seien; deshalb in‘s Wasser, in‘s Wasser – hinüber auf die andere Seite!
Ein leiser Schenkeldruck – ein Sprung des gehorsamen Mustangs, und hochauf schlugen die Wellen über uns zusammen. Ich fühlte neue Kraft, neues Leben durch die Adern pulsiren, aber das Pferd war unter mir verschwunden. Doch das war jetzt gleich; nur hinüber – immer hinüber! Ich schwamm wie noch nie, nie in meinem ganzen Leben – mit einer Angst, so furchtbar – so furchtbar, nicht für mich, sondern für sie – sie – sie – — —. Da schnaufte es hinter mir – — »Swallow, Du treuer, wackerer, bist Du‘s? – Hier ist das Ufer – — wieder auf‘s Pferd – fort – fort!«
So ging es weiter. Fast wahnsinnig vor Aufregung und Ueberanstrengung ritt, sprang, lief und kletterte ich, ohne mehr zu wissen, was ich that; aber endlich – endlich war‘s erreicht, und ich sank mit meiner Bürde nieder.
Nach einigen Augenblicken der dringendsten Erholung trug ich sie mehrere hundert Schritte weiter in die sichere Nacht hinein. Der Himmel glänzte blutig roth, und der Brodem des entfesselten Elementes cumulirte in dichten, schwarzen, von purpurnen Lichtern durchbrochenen Ballen über dem Heerde der Verwüstung. Aber ich hatte keine Zeit zu diesen Betrachtungen; denn vor mir lag, das Messer noch krampfhaft festhaltend, das Mädchen, so bleich, so kalt und starr, daß ich sie todt glaubte, ertrunken im Wasser, während ich sie den Flammen entreißen wollte.
Das leichte Gewand war durchnäßt und legte sich eng an die wunderbar schöne Gestalt; auf dem bewegungslosen Angesichte spielten die düstern Reflexe der über den Rand der Ebene emporsprühenden Feuerstrahlen; der Mund, welcher am Tage so herzlich gelacht, war geschlossen; das Auge, dessen großer, voller Blick mir so tief in die Seele gedrungen, lag verborgen unter den gesunkenen Lidern; die reine, klangvolle Stimme – doch nein und abermals nein, sie konnte, sie durfte nicht gestorben sein! Ich nahm sie in die Arme, strich ihr das lange, reiche, aufgelöste Haar aus der Stirn, rieb ihr die zarten Schläfe, legte, um der regungslosen Brust Athem zu geben, meinen Mund auf ihre Lippen, rief sie bei den zärtlichsten Namen, die ich jemals gehört, und – da ging ein Zittern über ihren Körper, erst leise, dann immer bemerkbarer; ich fühlte das Klopfen ihres Herzens, trank den Hauch ihres Athems, sah die langen, seidenen Wimpern sich öffnen – sie lebte, sie erwachte, sie war dem Tode entgangen!
Ich drückte sie an das Herz und küßte vor seliger, unendlicher Freude die sich mehr und mehr erwärmenden Lippen. Da mit einem Male öffnete sie weit, weit das Auge und starrte mir mit unbeschreiblichem Ausdrucke in das Angesicht; dann belebte sich der wiederkehrende Blick, und mit einem lauten Schrei des Entsetzens wand sie sich los und sprang empor.