Kitabı oku: «Satan und Ischariot III», sayfa 6
»Natürlich, natürlich! Gesteht es nur ein!«
»Ja, es ist allerdings eine Eigenheit von mir, vor Frauenzimmern sofort in die Kniee zu fallen. Die Mitteilung hat sie natürlich selbst gemacht?«
»Freilich! Von wem soll ich es denn sonst wissen? Wie herzlich sie lachte, als sie mir erzählte, daß sie Euch eingesperrt hat und fortgegangen ist. Hoffentlich hat sie Euch gesagt, daß sie meine Braut ist?«
»Ja.«
»Gesteht es nur, Ihr seid ihr nicht nur meinet-, sondern auch ihretwegen nachgeritten!«
»Natürlich, natürlich!«
»Ich habe von ihr alles erfahren. Wahrscheinlich wäre es Euch gelungen, sie einzuholen, wenn ich nicht vorher meine Maßregeln getroffen hätte. Sie hat Euch gesagt, daß ich nach Albuquerque gereist bin und mit meinem Vater und Oheim dort zusammentreffen werde?«
»Ja.«
»Und daß wir dann nach ihrem Schlosse gehen werden, wo ich ein glückliches Stillleben zu führen gedenke?«
»Auch das.«
»So wißt Ihr also alles, und ich habe nichts hinzuzufügen, als daß die Sehnsucht nach ihr mich nicht weiter vorwärts kommen ließ. Ich blieb am Canadian halten, um sie zu erwarten. Wir wären sofort weitergefahren und hätten, wie ich jetzt sehe, einen Vorsprung von zwei Tagen vor Euch gehabt; da aber gerieten wir in die Hände der Komantschen, als Judith mit ihrer Erzählung zu Ende war. Es sollte uns ans Leben gehen; da kam mir ein famoser Rettungsgedanke. Könnt Ihr den erraten?«
»Ja.«
»Ich wußte Euch hinter uns – —«
»Aber von der Blutrache des großen Pfeiles wußtet Ihr noch nichts!«
»Nein, doch ist es mir recht wohl bekannt, daß die Komantschen in ewiger Feindschaft mit den Apatschen leben. Darum bot ich dem großen Pfeil einen Handel an, welcher sehr geeignet war, beide Teile auf das höchste zu befriedigen. Ich verlangte, mit Judith und unberaubt meine Reise fortsetzen zu dürfen, wofür ich ihm sagen wolle, wie er Winnetou fangen könne.«
»Er ging darauf ein?«
»Mit Vergnügen, zumal als er hörte, daß Old Shatterhand bei Winnetou sei.«
»Aber er traute Euch nicht recht; er hat Euch doch noch nicht freigelassen.«
»Ja, er konnte meine Bedingung doch nicht eher erfüllen, als bis ich der seinigen nachgekommen war. Es stand fest, daß man Euch auf Judiths Fährte treffen werde. Wir ritten Euch also auf derselben ein wenig entgegen. Da kam der Orkan, welcher eine Fata Morgana mit sich brachte. Sie spiegelte uns drei Reiter ab, welche sich im Galoppe dem Bache näherten. Wer konnte das sein? Niemand als nur ihr! Die Komantschen waren dem Bache schon nahe; sie dachten, daß ihr dort bleiben würdet, und zogen sich nach dem Walde zurück, welcher eine halbe Stunde rückwärts liegt; ihre Spuren wurden vom Sande verweht. Als das Unwetter vorüber war, sahen wir euch rekognoscieren gehen. Dann wurde es dunkel, und wir schickten Kundschafter aus; sie kehrten zurück und berichteten, was ihr thatet. Ihr saßt an einem Feuer beim Bache und brietet einen Truthahn. Später rückten die Komantschen aus, euch zu umzingeln; sie lagen rund um euch, ohne daß ihr es merktet; sie beobachteten auch, wie ihr die Wache unter euch verteilt hattet. Winnetou oder Old Shatterhand zu überrumpeln, das war schwer; darum warteten die Indsmen, bis der dritte wieder an die Reihe kam, Master Bothwell, und dieser ließ sich auch unschädlich machen, ohne einen Laut von sich zu geben; euch beide fesselte man dann rasch im Schlafe. Nun wißt Ihr alles, und ich will den übriggebliebenen Truthahn nehmen, wie er gebraten ist. Ich werde ihn mit Judith verspeisen und dabei lebhaft an Euch denken.«
»Wo ist Mrs. Silverhill?«
»Sie mußte unter der Obhut einiger Komantschen im Walde zurückbleiben. Ich habe nur noch zwei Bitten an Euch, welche Ihr als dankbarer Gentleman mir gewiß gewähren werdet.«
»Welche?«
»Ich bin ein Freund von Gewehren. Ihr seid im Besitze von zweien, welche so berühmt sind, daß ich Euch dringend bitte, sie mir vor Euerm Tode zu vermachen.«
»Und wenn ich das nicht thue?«
»So nützt es Euch doch nichts, denn ich erkläre sie als meine gute Beute.«
»Schön! Und die zweite Bitte?«
»Ihr habt mir damals in Tunis einige Papiere abgenommen; dazu wurde, wie ich weiß, ein Dokument über einen gewissen Leichenbefund aufgesetzt. Wo befinden sich diese Schriftstücke?«
»Geht nach New Orleans zu Euerm Advokaten Fred Murphy. Er wird sie Euch jedenfalls zu verschaffen wissen.«
»Versucht nicht auch noch geistreich zu werden! Seht hier, den halben Truthahn habe ich; nun nehme ich auch die Gewehre.«
Er hatte wirklich die Ueberreste des Vogels an sich genommen; jetzt griff er nach den Gewehren, welche neben mir lagen. Da wir so rasch und vollständig überwältigt worden waren, hatten die Komantschen es nicht für nötig gehalten, unsere Waffen aus unserer Nähe zu schaffen. Schon wollte ich nach dem Häuptling rufen; da erklang hinter mir eine scharfe Stimme in jenem gebrochenen Englisch, wie es von Indianern gesprochen wird:
»Halt; leg die Gewehre hin!«
Zu gleicher Zeit trat der Sprecher vor, sodaß ich ihn sehen konnte. Es war der Häuptling, denn er hatte drei Federn in den Schopf geflochten. Es war mittlerweise so hell geworden, daß man seine stolzen, harten Züge deutlich erkennen konnte.
»Warum weglegen?« fragte Melton. »Sie sind mein.«
»Nein. Du hast mir doch die drei Männer versprochen?«
»Ja, aber nicht ihre Sachen!«
»Das konntest du nicht. Was der Besiegte bei sich hat, gehört dem Sieger. Leg also die Gewehre weg!«
Und als der Weiße nicht sofort gehorchte, zog er sein Messer und drohte. Da ließ Melton die Gewehre fallen und sagte zornig:
»Da nimm sie hin, obgleich sie dir nicht gehören! Ich werde zu unserm Wagen gehen und sofort weiter fahren.«
»Warte noch!«
»Warten! Wozu? Ich habe Wort gehalten, und nun mußt du mich entlassen, denn du hast es mir versprochen!«
»Ich habe es dir versprochen und werde mein Versprechen halten. Aber konntest du mir die Stunde sagen, in welcher ich die drei Krieger bekommen würde?«
»Nein.«
»So konnte ich dir auch nicht die Zeit bestimmen, in welcher du gehen darfst. Du bleibst jetzt noch!«
»Willst du mich etwa auch als Gefangenen betrachten?«
Da donnerte ihn der Häuptling an:
»Schweig, du stinkender Koyote, und gehorche augenblicklich!
Jetzt setzte sich Melton wieder neben mich nieder. Der Rote fuhr in gemäßigterem Tone fort:
»Du hast mir Winnetou und Old Shatterhand versprochen; ich muß wissen, ob sie es auch wirklich sind.« Und sich vor Winnetou hinstellend, betrachtete er diesen mit flammendem Blick und fragte:
»Wie ist dein Name?«
»Ich bin Winnetou, der Häuptling der Apatschen,« antwortete der Gefragte.
»Und wie heißest du?« fragte er den Englishman.
»Ich heiße Bothwell.«
»Der Name ist noch in keinem Zelte und an keinem Lagerfeuer erklungen.«
Darauf trat er zu mir, blickte auch mich eine Weile an und fragte:
»Nennt man dich Old Shatterhand?«
»Ja.«
»Du bist ein Feind der Komantschen?«
»Nein; aber ich verteidige mich gegen jeden roten oder weißen Krieger, von welchem ich angegriffen werde.«
»Hast du mit Winnetou die »starke Hand«, den Häuptling der Komantschen, der mein Vater war, getötet?«
»Ja, aber nicht mit Winnetou, denn meine Kugel war es, die ihn niederstreckte.«
»Winnetou war dabei; ihn trifft dieselbe Schuld und dieselbe Strafe. Und da Bothwell bei euch ist, wird er das gleiche Schicksal mit euch erleiden. Ihr werdet im Grabe der »starken Hand« lebendig eingemauert werden. Nehmt die Gefangenen in die Mitte; wir kehren zu unsern Pferden in den Wald zurück!«
Der Befehl galt seinen Leuten. Der Häuptling konnte nicht viel über dreißig Jahre zählen; nicht nur sein Gesicht, sondern sein ganzes Auftreten, seine Stimme sagte, daß er ein stolzer und unerbittlicher Charakter sei. Bei ihm hatten wir auf keinen Fall eine Spur von Menschlichkeit, von Milde zu erwarten.
Man nahm uns die Riemen von den Füßen, sodaß wir laufen konnten; dann setzte sich der Zug in Bewegung. Ich zählte dreiundzwanzig Komantschen, welche uns transportierten. Wir hatten eine kleine halbe Stunde zu gehen, ehe wir den Wald erreichten. Es war nicht eigentlich das, was man unter einem Walde versteht; die Bäume standen nicht dicht und geschlossen bei einander; auch bildete er einen nur schmalen Streifen, durch den wir gingen. Auf der andern Seite war die freie Prairie, und da weideten die Pferde unter der Aufsicht zweier Indianer. Unsere Pferde waren natürlich auch mitgenommen worden.
Jetzt wurden wir anders gefesselt, sodaß unsere Hände auf den Rücken zu liegen kamen; dann ließ man uns aufsteigen und band uns die Füße an die Sattelgurte. Auch Jonathan Melton bestieg ein Pferd; dann ging es in nördlicher Richtung galoppierend über die Prairie, welche so breit war, daß wir zwei Stunden brauchten, um sie hinter uns zu legen. Auch hier hatte der gestrige Orkan das Gras mit Sand überstreut.
Nun sahen wir hohe, belaubte Bäume vor uns und gelangten an das südliche Ufer des Canadian, an welchem entlang sich die Straße nach San Petro und Albuquerque zieht. Freilich darf man da nicht an eine Straße nach unsern Begriffen denken. Von einem Wege sieht man nicht das geringste. Es pflegten eben die Ochsenwagen hier zu fahren; das ist alles.
Zwischen den Bäumen stand eine alte Karrete, bei welcher sechs Pferde weideten. Die Jüdin saß im Grase, erhob sich aber, als wir uns näherten. Zwei Männer, jedenfalls die gemieteten Kutscher, lagen träge am Boden und blieben auch liegen, als wir kamen. Fünf Komantschen hatten da Wache gehalten, sodaß die Schar des Häuptlings aus dreißig Mann bestand.
»Wir haben sie!« rief Melton der Jüdin zu. »Hier bring ich dir deinen abgeblitzten Anbeter.«
Bei den letzten Worten deutete er auf mich. Sie lächelte und nickte ihm vergnügt zu, ohne einen Blick auf mich zu werfen. Was konnte ich gegen eine solche Frechheit anders thun, als schweigen! Da aber warf sich einer, von dem ich es am allerwenigsten gedacht hätte, zu meinem Anwalt auf, nämlich der Häuptling selbst. Er wendete sich zu Melton:
»Du hast Wort gehalten, und ich halte auch das meinige. Ihr könnt weiterfahren, ohne daß wir euch etwas thun oder etwas nehmen. Vorher aber sieh dir einmal die Krieger an! Winnetou und Old Shatterhand waren gefangen und sollten verbrannt werden; sie entkamen trotz ihrer Fesseln am hellen Tage und haben dann den tapfersten Häuptling der Komantschen und zwölf seiner Krieger getötet. Sie haben ihn nicht liegen lassen zum Fraße der Geier und Koyoten, sondern ihn begraben und zu ihm seine Waffen und seine Medizin gelegt, sodaß er ohne Anstand in die ewigen Jagdgründe gelangen konnte. Sie sind unsere Feinde, aber große, berühmte Krieger und ehrliche Männer. Wer aber und was bist du? – —«
»Ich bin auch ein Gentleman, der – —« fiel Melton ein.
»Schweig!« unterbrach ihn der Häuptling. »Als du eine so lange Zeit mit Old Shatterhand redetest, lag ich im Busche hinter euch und habe alles gehört, was du ihm gestanden hast. Du bist kein Krieger, sondern ein feiger Dieb und Betrüger. Ich, der »große Pfeil«, bin in den Städten der Bleichgesichter gewesen und habe viel gesehen. Ich sah auch Menschen, welche man eingesperrt hatte, weil sie feige Diebe und Betrüger waren. Damit man sie von tapfern und ehrlichen Leuten unterscheiden konnte, wurden ihnen die Haare vom Kopfe geschoren. Ich halte mein Wort, indem ich dich gehen lasse, aber zur Unterscheidung von diesen kühnen und ehrlichen Männern sollst du vorher das Haar verlieren. Nehmt es ihm mit euern Messern vom Kopfe!«
»Mein Haar? Mein – —«
»Schweig, Kröte, sonst nehme ich dir nicht nur das Haar, sondern das Leben!« donnerte ihn der Häuptling an.
Freiwillig gehorchte Melton dem Befehle nicht; er schrie und zeterte vielmehr aus Leibeskräften, doch half ihm das gar nichts. Er wurde niedergerissen und von zehn, zwölf nervigen, roten Fäusten festgehalten, worauf ein alter Komantsche ihm das Haar mit dem Bowiemesser herunterschabte. Dies kalte und trockene Rasieren schien, nach den Gesichtern zu schließen, die er schnitt, und nach dem Heulen, welches er hören ließ, weder sehr gefühlvoll vorgenommen zu werden, noch überhaupt etwas sehr Entzückendes zu sein.
Als der Kopf vollständig kahl war, wurde er losgelassen, sprang auf und retirierte hinter den Wagen. Jetzt wendete sich der Häuptling an die Jüdin, welche eben auch hinter dem Wagen verschwinden wollte:
»Halt, bleib! Der weiße Krieger Old Shatterhand wurde dein Anbeter genannt. Ist er es gewesen?«
»Ja,« antwortete sie, ohne die Augen niederzuschlagen.
»Du hast ihn abgewiesen und bist lieber mit dem Manne fortgegangen, der da hinter dem Wagen steckt? Bist du das Weib desselben?«
»Noch nicht.«
»Ein rotes Mädchen würde niemals mit einem Manne eine solche Reise machen, dessen Squaw sie nicht ist. Und deine Zunge ist nicht eine Zunge, sondern ein Schlangenzahn, welcher Gift ausspritzt. Tausend rote Squaws und Mädchen würden ja sagen, wenn Old Shatterhand sie begehrte; eine solche Pflanze, wie du bist, wird er nie begehren. Du hast gelogen. Gestehe es!«
»Ja,« gestand sie kleinlaut.
»Und wider die Wahrheit spritzest du Gift gegen einen berühmten Krieger, den nur anzuschauen du nicht würdig bist! Du gleichest innerlich dem, mit dem du fahren willst, und sollst ihm auch äußerlich gleichen. Du hast einen großen Krieger beleidigt, der zu stolz war, sich mit einem Worte gegen ein Weib zu verteidigen. Nehmt auch ihr das Haar vom Kopfe! Dann mögen die beiden Kröten dahinfahren, wohin sie wollen!«
Da erhob die schöne Judith ein Geschrei, welches mich veranlaßte, den Häuptling schnell zu bitten:
»Avat-Uh ist ein tapferer Mann und großer Krieger; die Squaw ist nicht wert, daß er an sie denkt. Er mag ihr das Haar lassen und sich stolz von ihr und ihrem Gefährten wenden.«
Da warf er mir einen zornigen Blick zu und antwortete:
»Wer giebt Old Shatterhand das Recht, einen Befehl des »großen Pfeiles« zu verbessern? Ein Häuptling und Krieger muß stets wissen, was er redet und thut, und darf nie ein Wort, welches er gesprochen hat, zurücknehmen. Es bleibt dabei. Man nehme auch ihr das Haar!«
Ich hatte gethan, was ich in meiner hilflosen Lage vermochte, und wendete mich ab, um wenigstens nicht zu sehen, was ich leider hören mußte. Judith schien sich aus allen Kräften zu wehren; sie brüllte, als ob sie gespießt werden sollte. Als sie ruhig war, drehte ich mich wieder um, konnte sie aber nicht sehen, weil sie sich in die Kutsche geflüchtet hatte. Hinter derselben klang jetzt die Stimme Meltons hervor:
»Der »große Pfeil« mag mir noch einmal sagen, ob er sein Wort halten und die drei Gefangenen wirklich töten wird!«
»Ich halte mein Wort; sie werden morgen eingemauert,« antwortete der Häuptling. »Nun aber mag das feige Bleichgesicht mit seiner Squaw, die nicht seine Squaw ist, dafür sorgen, daß wir sie nicht länger sehen, sonst nehmen wir ihnen noch mehr als das Haar allein!«
Die Pferde wurden eiligst vorgespannt, die überflüssigen hinten angehängt; die beiden Kutscher sprangen auf den Bock, Melton stieg zu seiner Judith ein; dann setzte sich das Gefährt in Bewegung. Der Mensch, den wir drüben in Afrika und hier hüben gejagt hatten, entkam abermals, und wir sollten – lebendig begraben werden!
Wir waren abgestiegen und lagerten im Grase. Die Komantschen hatten heute noch nichts genossen; sie sollten hier essen, ehe der Ritt nach dem Todesthale begonnen wurde.
Es fiel mir nicht ein, die Hoffnung aufzugeben. Auf Gnade konnten wir freilich nicht rechnen; aber das uns bestimmte Schicksal sollte uns erst morgen werden, und bis dahin hatten wir wenigstens noch zwanzig Stunden Zeit. Und was kann in zwanzig Stunden alles geschehen!
Von außen her rechnete ich freilich auf keine Hilfe. Wir mußten uns selbst helfen. Aber wie?
Zunächst lag für uns eine Beruhigung in dem Umstande, daß man uns nicht unnötig vorher quälen zu wollen schien. Der Häuptling hatte gesagt und auch bewiesen, daß er uns achtete. Mehr konnten wir zunächst nicht verlangen.
Auch wir bekamen zu essen. Es gab Fleisch, und die Portionen, welche wir erhielten, waren so groß wie diejenigen der Komantschen. Da man uns nicht wie Kinder füttern wollte, mußten wir selbst essen, und damit das möglich war, wurden uns die Hände nach vorn frei gegeben, dafür aber die Füße fest zusammengebunden. Natürlich wurde während dieser kurzen Zeit jede unserer Bewegungen scharf beobachtet. Dann wurden uns die Hände wieder auf den Rücken zusammengebunden.
Dabei bemerkte ich, daß Emery, als er die Hände nach hinten legte, eine eigentümliche, wie horchende Miene machte. Er sah, daß ich das beobachtete, und sagte in deutscher Sprache:
»Du sahst wohl, daß ich genau aufpaßte?«
»Ja. Eigentlich hätte ich dies aber nicht bemerken sollen, weil es die Roten ebenso leicht sehen können; sie würden dann ebenso gut ahnen, wie ich es geahnt habe, daß du irgend eine geheime Absicht hast.«
Da wendete sich derjenige Komantsche, welcher uns am nächsten saß, an den Häuptling und sagte diesem:
»Die beiden Bleichgesichter sprechen in einer Sprache miteinander, welche ich nicht verstehe.«
»Old Shatterhand mag sagen, was für eine es ist.«
»Es ist die Sprache meines Landes und Volkes.«
»Wo liegt das Land deiner Vorfahren?«
»Ueber dem großen östlichen Meere drüben.«
»Das ist doch England!«
»Nein; mein Vaterland liegt noch viel weiter im Osten.«
»Hat dein Volk Todeslieder, wie wir roten Krieger sie haben?«
»Ja, Sterbelieder und Sterbegebete zum großen Manitou.«
»In eurer eignen Sprache?«
»Ja.«
Da erhob er seine Stimme, daß alle es hören konnten, und sagte:
»Wenn ein tapfrer Krieger den Tod nahen sieht, so rüstet er sich darauf. Er gedenkt seiner Thaten und preist sie in der Weise seines Volkes. Die beiden Bleichgesichter sind tapfre Krieger; sie werden sterben und müssen von ihren Thaten in der Sprache ihres Volkes sprechen. Wir dürfen sie töten, aber ihre Seelen müssen wir ihnen lassen, damit die »starke Hand« von ihnen in den ewigen Jagdgründen bedient werden kann. Stören wir sie also nicht, wenn sie in der Sprache ihres Volkes miteinander sprechen!«
Das war denn doch eine große Nachsicht von einem, den ich für unnachsichtig gehalten hatte, eine Nachsicht freilich, welche nur die Folge seiner religiösen Anschauungen war. Nun konnte ich mich mit Emery nach Belieben unterhalten. Wir zeigten dabei so tiefernste Gesichter, als ob wir von nichts als dem uns bevorstehenden Tode sprächen.
»Also,« fragte ich, »woran dachtest du vorhin, als mir dein Gesicht so auffiel?«
»An ein Kunststück, welches ich einigemale gesehen und dann auch nachgemacht habe. Es heißt »Der gefesselte Hexenmeister«, und ich kam auf den Gedanken, ob es vielleicht möglich sei, es hier an den Mann zu bringen.«
»Hm! Bilde dir nicht ein, die Leute hier durch irgend einen Hokuspokus zu täuschen!«
»Es ist nicht ein Hokuspokus, sondern es handelt sich um zwei Kunstgriffe, die keinem Weißen und noch viel weniger einem Indianer auffallen würden.«
»Muß es gezeigt werden, oder kann man es nach der bloßen Beschreibung begreifen?«
»Zeigen ist besser, hier aber nicht möglich. Der Hexenmeister läßt sich mit einem Riemen oder Bande, einer Schnur die Hände auf dem Rücken zusammenbinden und ist dann imstande, sich der Fessel jeden Augenblick zu entledigen.«
»Aber es kann leicht bemerkt werden?«
»Nein, sondern sehr schwer. Die Hauptsache ist, daß man sich den Riemen erst selbst auf das linke Handgelenk legen darf.«
»Das würde vielleicht nicht auffallen; man will dem Roten, der einen bindet, behilflich sein. Weiter!«
»Paß auf! Man faßt den Riemen in der Mitte, legt das eine Ende über das linke Handgelenk und läßt es um dasselbe knoten. Während der, welcher fesselt, den Riemen fest anzieht, zieht man am andern Ende selbst auch mit, scheinbar, um den Knoten und die Schlinge doppelt fest zu machen, in Wahrheit aber wird der Knoten umgezogen, das heißt, er wird auf dem Riemen beweglich, läßt sich auf demselben hin und her schieben. Dies ist für den, der bindet, und auch für die Zuschauer vollständig unbemerkbar. Darauf hält man beide Hände auf den Rücken, um das andere Ende um das Gelenk der rechten Hand zu legen und zu binden. Dabei faßt man den rechten Rockärmel an, als wolle man ihn zur Seite halten, damit die betreffende Person besser binden kann. Dadurch werden die Hände mehr voneinander entfernt, und man behält Raum zum Aufziehen der Schlinge, während man zugleich Gelegenheit bekommt, den Riemen während des Bindens schroff anzuziehen. Nun kann sich jedermann, ohne das Geringste zu bemerken, von der Festigkeit der Fessel überzeugen, und doch ist es nun möglich, durch Aufschieben des einen oder andern umgezogenen Knotens bald die rechte und bald die linke Hand nach Belieben frei zu machen; man kann sie auch wieder fesseln und die Knoten zu jeder Zeit untersuchen lassen. Vermagst du dich hineinzudenken?«
»Sehr leicht. Ich halte es für möglich, daß wir dem Kunststücke unsere Rettung verdanken.«
»Ja, ich habe vorhin, als wir wieder gebunden wurden, gut aufgepaßt. Ich bin genau so gebunden, wie es Voraussetzung des Kunststückes ist. Wenn man uns die Hände vielleicht zum Abendessen frei giebt und sie dann wieder auf den Rücken fesselt, denke ich, es nicht schwer fertig zu bringen, daß man sie in meiner Weise fesselt; du nicht auch?«
»Hm! Ich bin freilich überzeugt, die so einfache Hexerei auch fertig zu bringen, doch nur so, wie man es beim ersten Versuche kann; hier aber, wo es sich um Freiheit und Leben handelt, gehört mehr Uebung dazu; ich werde den Versuch also dir überlassen.«
»Warum? Wenn wir auch Winnetou das Kunststück erklären, können wir uns alle drei zu gleicher Zeit und im passenden Augenblick schnell frei machen. Handeln wir dann, so sind wir verschwunden, ehe man nur daran denkt, uns festzuhalten.«
»Das klingt zwar verlockend, ist aber nicht so leicht, wie du denkst. Erstens, wie wollen wir Winnetou eine solche Erklärung geben, ohne daß unsere Wächter sie auch mit hören? Er versteht ja nur wenig deutsch, und englisch wieder verstehen sie, wenigstens genug, um zu wissen, wovon wir sprechen.«
»Das ist freilich wahr!«
»Und zweitens ist doch die Hauptsache, daß der Umstand nicht auffällt, daß man selbst den ersten Griff bei der Fesselung thut. Bei nur einem wird es jedenfalls übersehen; thun wir aber alle drei den Griff, so muß es nicht nur die Aufmerksamkeit, sondern vielmehr Verdacht erregen. Ich bin also ganz dafür, daß nur du das Kunststück unternimmst.«
»Was wird aber dann mit euch?«
»Müssen sehen. Es wäre ein Messer vonnöten; man hat uns aber die unserigen mit den übrigen Waffen abgenommen.«
»Was das betrifft, so habe ich eins, ein kleines Einschlagemesserchen mit Nagelfeile; ich pflege es in der inneren Westentasche zu tragen. Man wird uns jedenfalls die Taschen leeren, doch denke ich, daß man das Innentäschchen nicht finden wird.«
»Das paßt ganz vortrefflich. Bekommst du die Hände frei und hast das Messerchen, so kannst du deine Fußschlingen und dann auch unsere Fesseln durchschneiden.«
»Well, sollte mich freuen! Ganz abgesehen von der Größe der Gefahr, in welcher wir uns befinden, wünsche ich herzlich, daß die Befreiung durch mich kommen dürfe, da ich es bin, der die Schuld an unserer Gefangenschaft trägt.«
»Hast du denn, als sie kamen, nichts gehört?«
»Nicht einen Hauch, obwohl ich wirklich scharf und unausgesetzt aufgepaßt hatte. Ich besitze aber leider nicht so empfindliche Ohren wie du und Winnetou. Du kannst dir denken, welche Vorwürfe ich mir mache!«
»Das laß sein! Es ist nicht ungeschehen zu machen, und hätte einer von uns andern Wache gestanden, wäre die Ueberrumpelung auch keine Unmöglichkeit gewesen.«
»Du hast aber selbst gehört, daß sie gewartet haben, bis die Reihe an mich gekommen ist.«
»Das geht mich nichts an. Wir sind gefangen und wollen wieder loskommen. Durch Vorwürfe aber erlangen wir die Freiheit keineswegs.«
Winnetou saß neben uns, verstand nur wenig von dem, was wir sprachen, doch war zu hoffen, daß wir ihm die nötige Mitteilung würden machen können, Zunächst geschah, was wir vorhin vorausgesetzt hatten: Nach dem Essen wurden unsere Taschen untersucht und geleert. Man nahm uns alles ab, doch blieb glücklicherweise Emerys kleines Messerchen unentdeckt.
Dann wurden wir wieder auf die Pferde gebunden, und man brach nach dem Thale des Todes auf.
Damals, als ich mit Winnetou die Komantschen dorthin verfolgte, war das Thal nicht ihr Ziel; sie zogen hin und her, um uns irre zu führen und von ihrer Spur abzubringen; darum dauerte es mehrere Tage, ehe unser Rachewerk in jenem Thale zum Abschlusse kam. Heute aber wollte man direkt nach demselben und konnte es in sieben oder acht Stunden recht gut erreichen.
Die Komantschen waren weit besser beritten, als wir, sie hatten sogar einige Pferde, welche man ausgezeichnet nennen konnte. Der Ritt ging durch eine Art von Furt über den Canadian und dann auf der andern Seite nordwärts. Am Flusse gab es Bäume und Gras. Bald hörten die ersteren auf, und als wir uns dann weiter vom Wasser entfernten, verschwand auch das letztere nach und nach.
Das Todesthal hatte seinen Namen nicht etwa dem Umstande zu verdanken, daß wir dort den Häuptling erschossen und begraben hatten, sondern weil es in einer wie ausgestorbenen Gegend lag. »Starke Hand« hatte es damals aufgesucht, wohl um sich in der Einsamkeit vor uns versteckt zu halten.
Das Thal hatte die Form und Gestalt eines eingesunkenen Kraters. Die Wände stiegen steil an und bestanden aus festem Gestein. Es gab nur einen Weg, um zu Pferde in den Kessel hinabzukommen; zu Fuße konnte man wohl auch an andern Stellen kletternd hinab- und hinaufgelangen. Die Thalsohle bildete einen Kreis, dessen Umfang man in einer halben Stunde abgehen konnte.
Am nördlichen Rande drang ein kleines Wasser aus dem Boden; es schmeckte aber leicht nach Schwefel und verschwand bald wieder in der Erde, doch reichte es aus, einigen Kräutern und Gräsern das Leben zu fristen.
Um die Mittagszeit wurde unterwegs ausgeruht; und zu unserer Freude erhielten wir dabei wieder eine Portion getrocknetes Fleisch. Da konnte das Kunststück versucht werden. Wir bekamen die Hände frei und aßen. Als wir fertig waren, wurden wir wieder gebunden. Ich achtete mit großer Spannung auf Emery. Er langte mit der unbefangensten Miene nach dem Riemen, mit welchem er gefesselt werden sollte, legte ihn sich auf das linke Handgelenk, ließ dort den Knoten schürzen und legte dann seine beiden Hände auf den Rücken, um nun auch die Rechte binden zu lassen. Der Rote ließ das ganz so geschehen, untersuchte, als er fertig war, die Fessel genau und machte dann ein so zufriedenes Gesicht, daß ich überzeugt war, Emery habe als Hexenmeister Fiasko gemacht. Darum fragte ich ihn:
»Nun, du hast dich getäuscht? Der Rote hat deine Fessel so genau untersucht und nichts gefunden.«
»Und doch ist er betrogen. Ich kann jeden Augenblick mit der Hand heraus. Ich wollte, ich könnte es dir zeigen. Weißt du, was ich möchte?«
»Nun?«
»Heute abend auf das Essen verzichten. Wenn ich nicht essen will, braucht man mir die Arme nicht frei zu geben; dann bleibt der Riemen, wie er jetzt ist, und ich kann in jedem Augenblick los. Esse ich aber, so weiß ich nicht, ob mir das Kunststück wieder so gelingt, wie jetzt.«
»Es kann aber sehr leicht Mißtrauen erwecken, wenn du nicht essen willst; denn wem der Arm so lange Zeit nach hinten gefesselt ist, der ergreift jede Gelegenheit, ihn einmal frei und nach vorn zu bekommen.«
»Das ist sehr richtig. Es könnte wirklich auffallen, und so will ich lieber nicht auf das Essen verzichten.«
Als wir wieder aufgebrochen waren, ritten wir drei nebeneinander. Wir hatten Winnetou in der Mitte, und es gelang uns, ihn in kurzen Worten, welche von den vor und hinter uns reitenden Roten in ihrem Zusammenhange nicht verstanden wurden, mitzuteilen, was wir für eine Absicht hegten. Sein schönes, hellbronzenes Gesicht blieb vollständig unbeweglich, als er die frohe Botschaft hörte; dann sagte er leise:
»Frei, ja, doch nicht ohne meine Silberbüchse!«
»Und auch ich nicht ohne meine Gewehre,« stimmte ich in deutscher Sprache und laut, zu Emery gewendet, bei.
»Und wenn das nicht möglich ist?« fragte dieser.
»So hole ich sie mir später. Die Freiheit ist ein kostbares Gut; was thue ich aber hier in solcher Gegend mit ihr, wenn ich keine Waffen habe?«
»Sehr richtig; aber es handelt sich nebenbei auch um das Leben!«
»Das giebt den Ausschlag. Also fort, selbst ohne Waffen! Aber wenn mir das Leben sicher wäre, so würde ich die Gefangenschaft nicht eher verlassen, als bis ich meine Waffen wieder in den Händen hätte.«
Es war vielleicht eine Stunde vor der Dämmerung, als wir an dem Rande des Todesthales anlangten. Wir ritten die steile und schmale Senkung hinab, einer hinter dem andern und langsam wie ein Leichenzug. Wenn wir wirklich da nicht wieder heraufkommen sollten! Ich schüttelte den Gedanken mit den Achseln von mir ab. Nein! Wenn wer bestimmt war, unten zu bleiben, dann die Komantschen, aber nicht wir!
Als wir die Thalsohle erreichten, lenkte der Häuptling nach der Stelle hin, wo das Wasser aus dem Felsen trat. Dort hielt er an und stieg vom Pferde; die andern thaten ebenso, denn hier am Wasser sollte die Nacht zugebracht werden. Als wir abgestiegen waren, wurde der Versuch gemacht, die Pferde zu tränken; sie wollten aber das schwefelhaltige Wasser, welches wie faule Eier roch und schmeckte, nicht nehmen.
Währenddem ließ ich meinen Blick über das Thal hin schweifen. Am nördlichen Rande, da, wo die Felsen am steilsten aufstiegen, befand sich die Spalte, in welcher wir damals den Häuptling begraben hatten. Sie war nicht groß, unten vielleicht nicht ganz sechs Fuß breit, und verjüngte sich so schnell, daß sie in Manneshöhe eine Breite von nur noch zwei Spannen betrug; von da aus ging sie in gleicher Breite in eine beträchtliche Höhe hinauf. Da sie in solcher Höhe unmöglich verschlossen werden konnte, so hatte die Luft Zutritt, und wenn wir wirklich hier eingesperrt werden sollten, so konnten wir zwar verhungern und verdursten, aber doch wenigstens nicht ersticken. Die Steinplatte, welche man vorgelegt hatte, war schwer und unten breiter als der Spalt; ihre Höhe betrug drei Ellen. Trotz ihrer Schwere genügte sie nicht, uns im Grabe festzuhalten, denn wir drei Männer waren stark genug, sie von innen nach außen umzuwerfen und uns dadurch den Weg in die Freiheit zu bahnen. Aber es lagen Steine genug in der Nähe, vor und an der Platte einen so großen Haufen aufzutürmen, daß es uns unmöglich wurde, die Platte auch nur einen Zoll weit zu lüften.