Kitabı oku: «Satan und Ischariot III», sayfa 8
Als wir oben angekommen waren, sah ich nun freilich, daß die Komantschen sich so sorglos wie möglich verhalten hatten. Sie suchten noch immer nach unserer Fährte. Sie hatten sich getrennt, um nach allen Richtungen zu forschen. Wir sahen sie rundum, schon weit von uns entfernt, dahinschreiten, indem sie in gebückter Haltung den Boden betrachteten. Da unsere Spuren leicht von den Pferden ausgetreten werden konnten und die Tiere beim Suchen überhaupt hinderlich waren, hatten sie dieselben an einer Stelle zusammengebracht und dort unter der Aufsicht eines einzigen Roten stehen lassen. Die Stelle war gar nicht weit von uns; wir hatten höchstens sechshundert Schritte zu gehen. Der Wächter saß an der Erde, mit dem Gesicht von uns abgewendet, und blickte hinaus ins Weite, die Bemühungen seiner Kameraden beobachtend.
»Der Mann würde die Schritte meines Pferdes hören,« sagte Winnetou lächelnd. »Ich werde also hier ein wenig warten, und meine Brüder mögen leise zu ihm gehen, um sich dort die zwei besten Pferde auszuwählen.«
Er blieb einstweilen halten. Ich nahm den Stutzen schußfertig in die Hand, um den Roten einzuschüchtern, und schlich mit Emery auf ihn zu. Er schenkte den vergeblichen Bemühungen seiner Kameraden eine so ungeteilte Aufmerksamkeit, daß wir die Pferde erreichten, und nahe hinter ihm standen, ohne daß er es bemerkte. Da sagte ich:
»Wird mir der Sohn der Komantschen vielleicht sagen, was seine Brüder so angelegentlich da draußen suchen?«
Er blickte sich um, sah uns, fuhr wie von einer Spannfeder geschnellt empor und starrte uns an.
»Hat mein Bruder meine Frage verstanden?« fuhr ich fort.
»Old – Shatterhand!« stammelte er.
»Ja, ich bin es. Und kennst du den Krieger, welcher dort auf dem Pferde sitzt?«
»Winnetou, auf dem Pferde des Häuptlings!«
»Allerdings! Also sage, was suchen deine Brüder da draußen?«
»Sie – suchen – – euch!« antwortete er, noch immer ganz außer sich.
»Uns? So eile schnell hin, und sage ihnen, daß wir uns hier befinden!«
Er machte keine Miene, der Weisung Folge zu leisten, sondern starrte mich noch immer wie eine Geistererscheinung an. Da richtete ich die Mündung des Gewehres auf ihn und drohte:
»Eile, sage ich dir, sonst bekommst du augenblicklich eine Kugel.«
»Uff!« rief er erschrocken, wendete sich und rannte davon, so schnell ihn seine Beine fortzutragen vermochten. Nun hatten wir freie Hand. Winnetou kam hingeritten, und wir wählten uns von den Pferden, welche alle gesattelt waren, die zwei besten aus.
Der Indianer lief wie ein Schnellläufer und stieß dabei ein Geheul aus, das weithin zu hören war. Seine Kameraden wurden aufmerksam; sie sahen, daß er auf uns deutete, und rannten auf ihn zu. Dadurch wurde Raum für uns frei. Wir stiegen auf und galoppierten in südlicher Richtung davon, wo sich jetzt kein Indianer mehr in Schußweite befand. Später bogen wir dann wieder westlich ein.
Drittes Kapitel: Ein Brudermord
Es fiel uns natürlich gar nicht ein, nach dem Punkte am Canadian zurückzukehren, wo wir Jonathan Melton zuletzt gesehen hatten; wir hätten damit nur unnütz Zeit vergeudet; wir ritten vielmehr, soweit das Terrain uns das erlaubte, gerade unter der Luftlinie, die nach Albuquerque führte. Wir erlebten unterwegs nichts, was erwähnt werden müßte, und kamen gegen Abend des vierten Tages am Ziele an.
Die Stadt Albuquerque hat ihren Namen nach dem Herzoge gleichen Namens, welcher Vizekönig von Mexiko war, erhalten. Albuquerque bedeutet Weiß-Eiche (alba quercus). Sie zerfällt in zwei verschiedene Teile, die einander vollständig unähnlich sind, nämlich in die alte spanische und in die junge amerikanische Stadt. Ein breiter, unbebauter Raum trennt die beiden Stadtteile voneinander. Der alte spanische Typus hat sich hier in jeder Beziehung rein erhalten, und nirgends stellt sich diesem das Neuamerikanische ablehnender gegenüber als hier. Das neue Albuquerque hatte genau das Aussehen anderer amerikanischer Pilzstädte: sehr schlechte, ungepflasterte Gassen und Straßen mit Holzsteigen an den Seiten für die Fußgänger. Die Häuser waren meist Bretterbauten mit Läden aller Art und Trinklokalen jeden Genres. Die Stadt liegt am linken Ufer des Rio Grande del Norte; am rechten Ufer breitet sich das große Dorf Atrisco aus.
Selbst wenn wir nicht besser unterrichtet gewesen wären, hätten wir gewußt, daß die Gesuchten, falls sie noch anwesend waren, nicht in dem spanischen, sondern im amerikanischen Stadtteile zu finden seien. Wir wußten aber, daß das Zusammentreffen im Salon von Plener hatte stattfinden sollen. Freilich hüteten wir uns, das Etablissement sofort zu dreien aufzusuchen, vielmehr hielten wir vor einem andern sogenannten Hotel an, das aber diesen Namen nicht verdiente. Hier blieb ich mit Winnetou; dann ritt Emery zu Plener, um sich dort einzuquartieren. Er von uns dreien fiel dort am wenigsten auf, und hatte die Aufgabe, sich dort möglichst wenig sehen zu lassen und dafür aber desto genauere Erkundigungen einzuziehen.
Es war, wie gesagt, gegen Abend, als wir ankamen. Wir waren ziemlich ermüdet und wollten zeitig schlafen gehen. Als ich das dem Aufwärter beim Abendessen sagte, meinte er:
»Daran thut ihr sehr unrecht, Gentlemen. Ich sage Euch, Albuquerque ist ein trauriges Nest, und wenn einem einmal so etwas geboten wird, soll man es genießen, anstatt sich ins Bett zu legen.«
»Was giebt es denn? Ihr seid ja ganz begeistert, Master!«
»Es ist auch darnach! Ihr solltet die Spanierin nur sehen, Sir!«
»Habe schon manche Spanierin gesehen! Was ist sie denn?«
»Sängerin. Ich sage Euch, das ganze Albuquerque ist verrückt auf sie. Sie wollte nur einen Abend singen, hat aber, einen solchen Anklang gefunden, daß sie sich entschloß, noch zwei Abende zuzugeben. Heute singt sie zum letztenmal.«
»Wie ist denn der Name dieses außerordentlichen Wesens?«
»Pajaro.«
»Ein schönklingender Name!«
»Echt spanisch. Und eine echte Spanierin ist sie, obgleich sie am liebsten deutsche Lieder zu singen scheint.«
»Wie? Eine Spanierin, welche deutsche Lieder singt?«
»Ja. Wundert Euch das? Sie wird gewiß wissen, warum sie das thut. Man mag von diesen Deutschen denken und sagen, was man will; aber Leder haben sie, Lieder und Melodien wie kein anderes Volk. Und Sennora Marta Pajaro weiß diese Lieder zu singen! Dann müßt Ihr ihren Bruder auf der Geige hören! Ich sage Euch, es giebt keinen zweiten Violinvirtuosen, wie er einer ist, dieser Francisco Pajaro!«
»Also Marta Pajaro und Francisco Pajaro? Ihr macht mich neugierig. Ich werde doch vielleicht gehen, um die beiden Leute zu hören. Wo ist das Konzert?«
»Im Salon hier gegenüber. Es sind keine Billets mehr zu haben. Alles verkauft und vergriffen. Nur ich habe noch einige. Der Platz kostet eigentlich einen Dollar; wenn Ihr zwei Dollars bezahlt, könnt Ihr ein Billet haben.«
»Ah, Ihr wollt hundert Prozent verdienen! Meinetwegen! Gebt zwei Billets her!«
Warum ich mir die Billets kaufte trotz des doppelten Preises? Sehr einfach: Pajaro heißt Vogel; die Geschwister hießen Martha und Franz. Mußte ich da nicht an meine alten Bekannten aus der Heimat denken, an die Leute, wegen deren Erbschaft ich mit Winnetou nach Aegypten und Tunis gegangen und jetzt wieder nach Amerika gekommen war? Eine Spanierin, die deutsche Lieder singt, war mir nicht recht einleuchtend. Es war weit eher denkbar, daß die Sängerin eine Deutsche war, die jetzt, hier in Neu-Mexiko, einen spanischen Namen trug. Ich sagte das Winnetou, und er war sofort bereit, mit in das Konzert zu gehen.
Es war nur noch eine halbe Stunde bis zum Beginn desselben; wir mußten uns also sputen und gingen hinüber. Der Aufwärter hatte nicht zu viel gesagt, wenigstens was das Publikum betraf. Auch der »Saloon« war ein Brettergebäude; er hatte einen solchen Umfang, daß wohl sechshundert Menschen sitzen konnten, und doch waren nur noch wenige Stühle frei, welche ganz hinten standen. Wir setzten uns auf zwei derselben.
Schon nach wenigen Minuten waren auch die übrigen besetzt, und die vielen Menschen, welche dann noch kamen, mußten in den Zwischenräumen und Gängen stehen. Es war keine Bühne vorhanden; man hatte ein Podium errichtet, auf welchem ein Flügel stand. Daneben war ein kleiner Raum durch Vorhänge für die Künstler abgesondert.
Als das Zeichen zum Beginn gegeben wurde, traten letztere auf das Podium. Ja, sie waren es, Franz Vogel mit seiner Schwester, der einstigen Punktiererin. Er hatte die Violine in der Hand, und sie setzte sich an das Instrument, ihn zu begleiten. Er spielte ein Bravourstück, und ich hörte, daß er gegen früher ganz bedeutende Fortschritte gemacht hatte. Martha saß so, daß ich sie im Profile sah. Sie hatte sich jetzt vollständig entwickelt und war noch schöner geworden. Der Kummer, die Leiden der letzten Jahre hatten ihr Gesicht durchgeistigt und ihren Zügen einen wehmütigen Ernst aufgeprägt, der mich mit Wehmut erfüllte. Beide zogen sich nach dem ersten Stücke zurück.
Die zweite Nummer war für Martha, und Franz begleitete. Sie sang eine spanische Romanze, und zwar so vortrefflich, daß sie dieselbe wiederholen mußte. Sie hatte keinerlei Toilettenkünste angewendet und trug ein langes, schwarzes Kleid, welches hoch und eng am Halse anschloß. Ihr ganzer Schmuck bestand aus einer einzigen Rose im Haare. Die Geschwister teilten sich in das Programm, wechselten einander nach jeder Nummer ab und begleiteten sich gegenseitig.
Martha sang hernach zwei Hochlandslieder, eine spanische Serenade, und dann folgte das prächtige deutsche Lied:
»Ich sah dich nur ein einzig Mal, Da war‘s um mich geschehen; Ich fühlte deiner Augen Strahl Durch meine Seele gehen.«
Ja, das war deutsche Innigkeit und Gemütstiefe. Solche Lieder kann nur Deutschland haben. Der größte Teil des Publikums verstand kein Wort des Textes, und doch folgte ein Applaus, daß das Gebäude zu zittern schien. Die Sängerin mußte zwei Strophen wiederholen.
Winnetou hatte natürlich Franz Vogel erkannt. Er fragte mich jetzt:
»Will mein Bruder nicht einmal hingehen, um zu fragen, wo sie wohnen? Wir müssen doch mit ihnen reden.«
Er hatte recht. Die Künstler traten heute zum letztenmal auf; vielleicht reisten sie schon morgen ab; ich mußte mit ihnen sprechen. Ich stand also von meinem Stuhle auf, um zu ihnen zu gehen. Dabei mußte ich mich durch die auf dem Gange stehende Menge drängen, was die Augen auf mich zog. Da hörte ich den erschrockenen, halblauten, aber doch vernehmlichen Ausruf:
»All devils! Du, das ist ja Old Shatterhand!«
Ich blickte nach der Stelle, wo die Worte erklungen waren. Da saßen zwei Männer nebeneinander, welche breite Sombreros trugen. Unter den riesigen Krämpen waren nur die dunklen Vollbärte zu sehen, und als sie bemerkten, daß ich hinsah, drehten sie sich auf die Seite. Das fiel mir auf; aber die Nennung meines Namens hatte vieler Blicke auf mich gerichtet; das genierte mich, und darum ging ich weiter.
Die Geschwister befanden sich während der Pausen hinter dem Vorhange. Ich blieb vor demselben stehen und fragte deutsch:
»Ist es einem Bekannten erlaubt, Zutritt zu nehmen?«
Da wurde der Vorhang geöffnet; ich trat hinein und stand vor ihnen.
»Wer – wer – was – – Sie, Sie sind es?« fragte Franz, indem er vor Ueberraschung zwei Schritte zurückwich.
»Herr Doktor!« schrie Martha auf. Es war mir, als ob sie wankte; ich machte eine Bewegung, sie zu stützen; da faßte sie meine Hände und küßte sie, ehe ich es zu verhindern vermochte, und brach dabei in ein lautes Schluchzen aus. Ich führte sie zum Stuhle, drückte sie sanft auf denselben und sagte zu ihrem Bruder:
»Wie froh bin ich, zu sehen und zu hören, daß Sie sich hier befinden. Ich habe Ihnen Wichtiges zu sagen, darf Sie aber jetzt nicht stören, sondern will Sie nur fragen, wo Sie wohnen.«
»Im letzten Hause vor der Stadt am Flusse,« antwortete er.
»Darf ich Sie nach dem Konzerte dorthin begleiten?«
»Ja, ja, wir bitten Sie sehr darum.«
»Gut! Ich werde also hierher kommen, um Sie abzuholen. Winnetou ist auch hier.«
Martha hielt die Hände vor das Gesicht und weinte; ich ging, um die Aufregung abzukürzen. Als ich an die Stelle kam, wo mein Name genannt worden war, wollte ich die beiden Männer schärfer als vorher ins Auge fassen; ihre Stühle waren leer; sie waren fort. Wäre ich doch vorhin nicht weiter gegangen!
Es dauerte jetzt eine längere Weile, ehe die Geschwister wieder erschienen. Martha mußte sich beruhigen, bevor sie sich zeigen konnte. Ihr Bruder trug ein Konzertstück vor; dann sang sie. Als der rauschende Beifall verklungen war, zeigte sich das Publikum so begeistert, daß sich niemand entfernen wollte; es dauerte sehr lange, ehe der Saal sich leerte. Winnetou ging auch; er wollte mich allein mit den Geschwistern lassen, und das war mir nicht unlieb, denn wir hätten doch deutsch gesprochen, und das verstand er nicht vollständig. Als ich glaubte, annehmen zu dürfen, daß keiner der begeisterten Zuhörer mehr willens sei, der Sängerin belästigend in den Weg zu treten, begab ich mich in ihr kleines Kabinett, um sie abzuholen. Sie sagte nichts, und auch ich schwieg. Ich bot ihr den Arm, und wir verließen das Lokal- Ihr Bruder konnte nicht gleich mitkommen, da er mit dem Wirte geschäftlich zu thun hatte.
Der Abendhimmel war von jener Bläue, welche Neu-Mexiko, wo es oft während eines ganzen Jahres nicht regnet, eigen ist. Man konnte, obgleich der Mond nicht am Himmel stand, fast wie am Tage sehen. Das Haus, in welchem die Geschwister für die kurze Zeit ihres hiesigen Aufenthaltes Logis genommen hatten, lag noch eine Strecke weiter nahe am Flusse. Die Wirtin war eine Witwe spanischer Abstammung. Martha hatte nicht in einem der öffentlichen Gasthäuser wohnen wollen. Dieselben wurden zwar Hotels genannt, boten aber keine Bequemlichkeit, waren überteuer und dabei Lokale, in denen alle möglichen Menschen und Existenzen verkehrten, so daß man seiner Bequemlichkeit und Ruhe, ja selbst wohl auch seines Lebens nicht sicher war.
Der schmale, ausgetretene Pfad, den wir gingen, führte hart am Ufer des Flusses hin. Da stand allerlei Gebüsch, hinter dem dichtes Schilf aus dem Wasser ragte. Die Wirtin öffnete; sie hatte auf die Heimkehr der Geschwister gewartet und zeigte ein einigermaßen verwundertes Gesicht, als sie ihre Mitbewohnerin mit einem fremden Manne erblickte; doch sagte sie nichts und leuchtete uns eine schmale Treppe hinauf in das kleine Obergeschoß, in welchem die dreizimmerige Wohnung der beiden lag. Häuser mit einem solchen Geschoß sind in Albuquerque äußerst selten. Nachdem sie eine Lampe angezündet hatte, entfernte sie sich, doch nicht, ohne daß sie vorher von Martha erfahren hatte, daß ihr Bruder gleich nachkommen werde.
Nun saßen wir einander gegenüber. Es mußte gesprochen werden; darum wollte ich es sein, welcher begann:
»Sie wissen natürlich, daß Ihr Bruder drüben bei mir in der Heimat gewesen ist, um mir mitzuteilen, wie es bei Ihnen stand?«
»Ja. Ich bin es ja eigentlich gewesen, welcher ihm den Mut gemacht hat, sich an Sie zu wenden.«
»Gehörte solch ein Mut dazu?«
»Gewiß. Er meinte, sie würden wohl kaum bereit sein, nach allem, was früher vorgekommen war, sich unser noch einmal anzunehmen.«
»Da bin ich freilich von ihm nicht so beurteilt worden, wie es mir lieb sein würde. Uebrigens war es ja wohl Winnetou, der Sie auf mich lenkte. Oder nicht?«
»Ja. Der herrliche Mann wurde uns geradezu von Gott gesandt. Er errettete uns aus tiefer Not, und nur den Mitteln, mit denen er uns unterstützte, haben wir es zu verdanken, daß wir die Konzerttournee, auf welcher wir uns jetzt befinden, beginnen konnten.«
»Darf ich wissen, wie das geschäftliche Ergebnis ausgefallen ist?«
»Ausgezeichnet! Wo wir zum erstenmal auftreten, werden wir mit sichtbarem Zweifel empfangen; stets aber sind wir dann stürmisch aufgefordert worden, dem ersten Konzerte mehrere folgen zu lassen. So war es auch hier.«
»Und wohin reisen Sie nun?«
»Wir gehen nach Santa Fé und dann nach dem Osten.«
»Ah! Sie sind mit Ihren bisherigen Erfolgen nicht zufrieden? Sie wollen Millionärin werden!«
Sie senkte die Augen, und ihr Gesicht nahm einen viel ernsteren Ausdruck als vorher an, als sie antwortete:
»Millionärin? Ich mag es nicht wieder sein, wenigstens nicht um den Preis, den ich damals dafür bezahlen mußte. Ich sah sehr bald ein, daß ich verblendet gewesen war. Und von meinen Erfolgen sprechen Sie? Glauben Sie ja nicht, daß die im stande sind, mich trunken zu machen! Sie wissen, daß ich schon damals lieber daheim, als öffentlich singen wollte. Mein Ideal war nicht das einer Sängerin, die jeder hören darf, der das Entree bezahlt. Und noch viel lieber wäre es mir heute, wenn ich damals von dem Kapellmeister nicht »entdeckt« worden wäre. Er nahm mich unter einen Zwang, dem nur sehr schwer zu widerstehen war. Hätte er das nicht gethan, so wäre ich eine arme Punktiererin geblieben und – —«
Sie zögerte, weiterzusprechen; da ich aber nichts sagte, fuhr sie fort:
»Und wäre vielleicht trotzdem glücklich geworden oder vielmehr so glücklich geblieben, wie ich zu jener Zeit war.«
»Hoffentlich darf ich Sie nicht zu den Unglücklichen rechnen!«
Da schlug sie die Augen wieder auf, blickte sinnend über mich hinweg und antwortete-
»Was heißt Glück und was Unglück? Man darf Glück nicht mit immerwährender Wonne und Unglück nicht mit einem fortgesetzten Seelenschmerze vergleichen. Fragen Sie mich aber, ob ich – zufrieden bin, dann antworte ich mit einem ja, wenn ich mich dazu – zwinge.«
Das Gespräch schien eine etwas peinliche Wendung zu nehmen; darum war es mir lieb, daß jetzt ihr Bruder kam. Er hatte ein Paket unter dem Arme, legte es auf den Tisch, deutete mit der Linken darauf, reichte mir die Rechte und sagte in frohem Tone:
»Herzlich willkommen, Herr Doktor! Wer hätte so etwas ahnen können! Ich war starr vor Erstaunen, aber auch vor Freude, als ich Sie erblickte. Nun wollen wir aber auch das Willkommen feiern. Dazu habe ich etwas mitgebracht. Raten Sie, was!«
»Wein jedenfalls?«
»Ja, aber was für welchen? Da, lesen Sie!«
»Riedesheimer Berg!« las ich.
»Ja,« nickte er lachend, indem er mir die Flasche noch näher hielt. »Nun wundern Sie sich wohl?
»Nein, gar nicht. Ich ärgere mich vielmehr.«
»Worüber?«
»Weil er falsch ist.«
»Erst kosten, erst kosten!«
»Ist nicht nötig, denn sogar die Etikette ist gefälscht, denn der Ort heißt Rüdesheim, nicht aber Riedesheim.«
»Ah!« machte er enttäuscht, indem er die Etikette genauer betrachtete. »Das habe ich gar nicht bemerkt.«
»Ein famoser, orthographischer Schnitzer! Wenn die Etikette hier hüben gedruckt worden ist, wo mag dann da erst der Wein zusammengequirlt worden sein! Wieviel haben Sie für die Flasche bezahlt?«
»Fünfzehn Dollars.«
»Zwei Flaschen?«
»Eine!«
»So! Da geht es noch. Es giebt Rüdesheimer, für welchen man sogar drüben an der Quelle weit mehr bezahlt. Die dreißig Dollars lassen sich verschmerzen. Also versuchen wir den famosen Rüdesheimer!«
Er hatte drei Gläser gefüllt. Wir stießen an und führten sie an den Mund. Die beiden Geschwister nahmen einen Schluck und machten dann unheimliche Gesichter. Ich trank aber gar nicht, denn ich hatte schon von dem Geruche genug. Das war ja der reine Essig- und Rosinenmoder! Wir setzten die Gläser auf den Tisch, und Franz Vogel schimpfte.
»Darüber lassen Sie sich ja keine grauen Haare wachsen!« sagte ich. »Ich bin nicht zu Ihnen gekommen, um zu trinken. Schütten Sie das Zeug weg, und setzen Sie sich! Wir haben von etwas Besserem zu sprechen.«
»Ja, von Ihren Erfolgen drüben in Aegypten!« meinte er, indem er mich in großer Spannung anblickte. »Die Aufgabe war zu schwer. Ich bin überzeugt, daß Sie nichts ausgerichtet haben. Es wäre ja dem klügsten Menschen der Erde unmöglich, den Gesuchten auf die wenigen und nebelhaften Anhaltepunkte hin, welche es gab, zu finden.«
»Hm! Im Nebel rennen oft Leute ganz zufällig zusammen, welche sich bei reiner, klarer Luft wahrscheinlich nicht gesehen hätten!«
»Wie – was?! Sagen Sie so? Das läßt vermuten, daß Ihre Reise doch nicht ganz vergeblich gewesen ist?«
»Das läßt vermuten, daß ich Ihre Frau Schwester zu etwas zwingen werde, was ihr sehr zuwider zu sein scheint.«
»Zu was?«
»Sie behauptete vorhin, als Sie noch nicht hier waren, daß sie keine Lust habe, wieder Millionärin zu werden.« ‚
»Millionärin?! Ist es etwa das, wozu Sie sie zwingen wollen?«
»Ja. Ich nehme meine Worte in vollstem Ernste.«
»Das wäre ja mehr als erstaunlich, mehr als wunderbar!« rief er aus, indem er von seinem Sitze aufsprang.
Auch seine Schwester richtete ihre Blicke in größer Spannung auf mein Gesicht, sagte aber nichts.
»Es ist gar nichts Wunderbares an der Sache,« fuhr ich fort. »Wunderbar könnte man nur das eine nennen, daß sie noch immer nicht zu Ende ist.«
»So sagen Sie schnell, wie war es denn eigentlich? Sie waren damals der Ansicht, daß der Reisebegleiter von Small Hunter ein Betrüger sei und Jonathan Melton heiße.«
»So ist es.«
»Haben Sie ihn getroffen?«
»Ja, und Small Hunter auch, den einen tot und den andern lebend.«
»Welcher war es, der lebte?«
»Melton; Small Hunter ist tot.«
»Mein Himmel! So sind wir die Erben des riesigen Vermögens!«
»Der Millionen!« fügte ich hinzu.
Er legte sich die Hände auf den Kopf und rief aus:
»Wer das glauben könnte! Welche Freude! Schon um unserer Eltern willen! Jetzt fühle ich es, daß man vor Freude vom Schlage getroffen, oder gar wahnsinnig werden kann. Kommen Sie, kommen Sie; ich muß Sie umarmen, Sie einziger, einziger Mensch!«
Er wollte mich von meinem Stuhle aufziehen. Ich wehrte ab und versuchte, seine freudige Aufregung dadurch zu dämpfen, daß ich ihn bat:
»Mäßigen Sie sich! Die Angelegenheit ist noch nicht bei dem Punkte angelangt, an welchem sie stehen müßte, wenn Sie Grund hätten, vor Freude wahnsinnig zu werden. Ja, es ist richtig, daß Sie die Erben sind; aber das Vermögen ist leider nicht mehr da. Jonathan Melton hat es.«
»O Himmel! Dann hat es ihm der Rechtsanwalt Fred Murphy übergeben?«
»Derselbe,« entgegnete ich und erzählte ihm den Zusammenhang.
»So muß Melton das Geld augenblicklich herausgeben! Wo steckt der Halunke? Ich reise sofort von hier ab, um ihn aufzusuchen und zur Zurückgabe zu zwingen!«
Er nahm bei diesen Worten eine so drohende Stellung an, und machte dabei ein so grimmiges Gesicht, daß es Melton, wenn er es gesehen hätte, sicherlich angst geworden wäre.
»Nun!« fuhr er fort, als ich nicht augenblicklich antwortete. »Wo steckt dieser Mensch?«
»Hier in Albuquerque,« antwortete ich ruhig.
»Was? Hier – in – Albuquerque?«
Ja. Begreifen Sie das nicht? Ich bin doch ausgezogen, den Menschen zu entlarven; ich bin seiner Spur gefolgt; also ist doch, wenn ich mich hier befinde, nicht allzu schwer zu denken, daß seine Spur mich hierher geführt hat.«
»Ah, so! Das ist freilich richtig! Also hier ist er, hier! Ich werde – —«
»Halt!« unterbrach ich ihn, weil er sich schon nach der Thür wendete. »Warten Sie noch ein Weilchen! Er steht nämlich nicht draußen auf der Treppe, um Ihnen gemütlich in die Arme zu laufen. Ich wollte vorhin sagen: er ist entweder hier oder wenigstens hier gewesen, und zwar vor ganz kurzer Zeit, vor längstens zwei Tagen.«
»Da sind wir ja schon länger hier! Und haben keine Ahnung von seiner Anwesenheit! Und Sie wissen nicht, ob er noch hier, oder schon wieder fort ist? Konnten Sie denn nicht erfahren, wo er seinen Aufenthalt hier nehmen wollte?«
»Ich habe es erfahren. Wahrscheinlich ist er in Pleners Salon abgestiegen.«
»Pleners Salon! Da bin ich täglich mehreremal gewesen! Vielleicht habe ich mit ihm sogar an einem Tische gesessen!«
»Die Möglichkeit ist allerdings vorhanden.«
»Und nichts davon gewußt! Aber daran bin doch ich nicht schuld, denn ich bin ohne alle Ahnung gewesen! Sie, Sie, Sie tragen die Schuld! Haben Sie sich denn nicht sofort, als Sie hier ankamen, nach ihm erkundigt?«
»Erkundigt? Fällt mir nicht ein! Ich will sehr gern die Schuld auf mich nehmen, vorsichtig gewesen zu sein. Konnte ich mich bei ihm sehen lassen? Wenn er mich bemerkte, machte er sich heimlich von dannen.«
»Das ist freilich wahr; entschuldigen Sie! Die Millionen machen mich ganz verwirrt.«
»Sammeln Sie sich! Sie können überzeugt sein, daß von mir keine Vorsichts- oder sonst irgendwo gebotene Maßregel versäumt worden ist. Dieser Mensch hat es uns sehr schwer gemacht; er ist uns immer wieder entwischt, nicht etwa, weil wir große Fehler begangen hätten, sondern weil er viel Glück gehabt hat. Setzen Sie sich wieder ruhig her, und lassen Sie sich erzählen!«
Ich zog ihn auf seinen Sitz nieder und berichtete unsere Erlebnisse. Natürlich drängte es mich, dabei die Thätigkeit Winnetous und des Englishman hervorzuheben. Man kann sich sehr leicht denken, mit welcher Aufmerksamkeit die Geschwister meiner Erzählung folgten. Ich wurde von hundert und wieder hundert Fragen, Ausrufen und dergleichen unterbrochen, sodaß es lange dauerte, bis ich fertig wurde. Endlich war ich mit meinem Berichte bei der gegenwärtigen Stunde angekommen und konnte mich an der Verwunderung weiden, welche die beiden erfüllte.
Der Bruder fiel mit überschwänglichen Ausdrücken des Lobes über mich her; ich wehrte ihn mit der Bemerkung ab:
»Sagen Sie das nicht mir, sondern Sir Emery und Winnetou, die Sie ja bald sehen werden. Die beiden haben alles Lob verdient, wenn es uns gelingen sollte, die Angelegenheit zum guten Ende zu bringen.«
Die Schwester gab mir stumm die Hand, sie sagte nichts, und das war mir lieber als die überlaute Anerkennung ihres Bruders. Dieser ging aufgeregt im Zimmer hin und her, brummte, schüttelte den Kopf, stieß unverständliche Worte aus, drohte mit den Fäusten, als ob er Melton vor sich habe, bis ich diesem Gebaren durch die Bemerkung ein Ende machte:
»Zanken Sie sich nicht mit der Luft, mein lieber Freund! Dadurch erreichen Sie nichts. Nun ich Ihnen alles erzählt habe, werde ich nach meinem Hotel gehen. Jedenfalls ist Emery schon dagewesen, oder noch da, uni zu berichten, wie es in Pleners Salon steht. Befindet sich Jonathan Melton noch dort, so entkommt er uns gewiß nicht wieder. Ist er aber schon fort, so reiten wir ihm morgen früh nach. Und was seinen Vater und seinen Oheim anbetrifft, so – hm, so möchte ich fast behaupten, daß sie hier sind, ja, daß ich sie sogar gesehen habe.« Und ich berichtete die Scene im Konzertsaal.
»Die beiden Männer trugen Sombreros?« meinte er nachdenklich. »Sagen Sie mir, von welcher Gestalt die beiden alten Meltons sind!«
»Lang und hager; die Höhe wird wohl bei beiden gleich sein.«
»So habe ich sie wahrscheinlich vorhin, als ich kam, gesehen!«
»Und wo?«
»Zwischen hier und dem ersten Hause, auf unserm Fußwege am Flusse.«
»Ah! Sollten Sie es auf mich abgesehen haben?«
»Schwerlich! Sie wissen ja nicht, daß Sie sich hier befinden.«
»Denken Sie das nicht! Die Meltons sind sehr erfahrene Westmänner. Nehmen wir an, daß sie mit den beiden Personen im Konzerte identisch sind. Sie haben mich gesehen und erkannt; sie haben sich sofort gesagt, daß ich nur ihretwegen hier bin; darum sind sie schleunigst fortgegangen.«
»Aber hierher? Sie konnten doch nicht wissen, daß Sie zu uns gehen würden!«
»Das ist richtig; aber sie sind auch nicht direkt von dort hierher gegangen, sondern sie haben sich in der Nähe des Konzertlokales versteckt, um zu erfahren, wo ich mich aufhalte, wo ich wohne. Sie haben gesehen, daß ich mit Ihrer Schwester den Weg nach hier eingeschlagen habe, sind uns gefolgt und wollen nun auf mich warten, wahrscheinlich um mich unschädlich zu machen. Wurden Sie von ihnen gesehen?«
»Natürlich! Ich mußte an ihnen vorüber. Und jetzt fällt mir ein, daß sie zu erschrecken schienen, als sie meine Schritte hinter sich hörten und sich nach mir umdrehten.«
»Es ist so hell draußen, daß man alles sehen kann. Haben Sie bemerkt, wie die beiden bewaffnet waren?«
»Nach Messern, Pistolen oder Revolvern habe ich nicht geschaut; ich war zu schnell an ihnen vorüber; aber Gewehre hatten sie in den Händen.«
»Das ist der sicherste Beweis, daß sie schießen wollen. Niemand schleppt jetzt Gewehre in der Stadt herum. Im Konzerte haben sie die Flinten nicht mitgehabt, folglich haben sie sich dieselben geholt, weil sie etwas vorhaben, wobei sie ihrer bedürfen. Und was sie vorhaben, das ersehe ich daraus, daß sie sich in der Nähe Ihrer Wohnung aufgestellt haben. Es gilt ohne allen Zweifel mir.«
Da bat Martha, indem sie schnell meine Hand ergriff:
»Um des Himmels willen, gehen Sie nicht fort! Sie müssen hier bleiben!«
»Das ist unmöglich, weil Winnetou und Emery auf mich warten.«
»Sie mögen warten bis morgen früh!«
»Bis dahin kann gar manches geschehen, wobei meine Gegenwart notwendig ist. Jedenfalls warten Sie schon jetzt mit Ungeduld auf mich. Ich muß fort, wirklich fort.«
»Und ich lasse Sie nicht fort!« rief sie, indem sie sich auch meiner andern Hand bemächtigte. »Man will Sie erschießen, bedenken Sie doch, was das heißt!«
»Das heißt, daß schon mancher Mann auf mich hat schießen wollen und auch wirklich geschossen hat, und Sie sehen mich trotzdem heil und gesund hier bei Ihnen.«
»Diesmal aber ist die Gefahr zu groß. Draußen stehen zwei Mörder, hören Sie, zwei Mörder!«
»Das wäre nur dann gefährlich, wenn ich es nicht wüßte. Nun ich aber davon unterrichtet bin, hat es gar kein Bedenken. Es sind zwei Fälle möglich, und in beiden giebt es keine Gefahr für mich. Der eine Fall ist, daß die Meltons annehmen, daß Sie mich von ihrer Gegenwart am Flusse benachrichtigen. Sie sind also fortgegangen, weil Ihr Hinterhalt unnütz ist, da ich gewarnt worden bin.«
»Und der andere Fall?«
»Sie befinden sich trotz der Begegnung noch draußen. Um mich zu überraschen, müssen sie sich verbergen; sie stecken also im Gebüsch des Ufers, ich aber werde mich ganz selbstverständlich hüten, diese Richtung einzuschlagen. Ich mache einen Umweg.«
»Das sehen sie, eilen Ihnen nach und schießen Sie nieder! Nein, Sie bleiben da; ich bitte, bitte!«
Ihre Bitte war dringend; ich sah, daß sie sich wirklich ängstigte, durfte aber nicht nachgeben; darum antwortete ich, indem ich meine Hände aus den ihrigen befreite:
»Versuchen Sie nicht, mich zu halten; ich muß fort, wirklich fort, denn – —«
Ich hielt mitten in der Rede inne, denn draußen fiel ein Schuß und gleich darauf ein zweiter. Dann rief eine Stimme:
»Da drüben war es! Drauf, auf die Strauchdiebe!«
Das war Emerys Stimme. Ich nahm die Lampe, drückte sie Franz Vogel in die Hand und sagte: