Kitabı oku: «Scepter und Hammer», sayfa 10
Neuntes Kapitel: Der tolle Prinz
Über die Residenz von Süderland breitete sich ein wunderbar schöner, sternenvoller Abend, und die Luft war so mild und erquickend, daß die Promenaden von Spaziergängern wimmelten, welche unter den duftenden Bäumen wandelten, um nach des Tages Sorge und Arbeit den angestrengten und ermüdeten Geist zu erfrischen.
Unter den Promenirenden bewegten sich zwei junge Männer, welche ihrer Haltung und Kleidung nach zu den besseren Kreisen des Mittelstandes gehörten, Arm in Arm, und den Blicken, mit welchen sie die ihnen Begegnenden musterten, war es anzusehen, daß sie irgend Jemand erwarteten.
»Sie kommen nicht,« meinte der Eine von ihnen, den Hut, als ob er schwitze, abnehmend, um die hohe, breite Stirn mit dem weißen Mouchoir zu trocknen.
»Sie werden kommen, Karl, darauf verlaß Dich. Anna hat mir noch in der Dämmerstunde bejahend zugenickt, als ich vorüberging.«
»Sie wird kommen, ja; sie ist ein ruhiges, festes und treues Gemüth, und Du thatest damals wohl, gerade sie zu wählen.«
»War es nicht ein eigenthümlicher Scherz, der dann so schön in Erfüllung ging?«
»So schön? Ja, ich habe auch und lange Zeit geglaubt, daß es uns zum Glücke geschehen sei,« meinte Karl mit halblauter Stimme, aus welcher eine tiefe, schwere Trauer klang.
»Zweifelst Du jetzt wirklich?«
»Wir saßen im Parke,« fuhr der Gefragte, ohne auf diese Worte zu hören, wie rezitirend fort, »und uns gegenüber nahmen zwei unbekannte Damen Platz, die Eine blond und schmächtig, die Andere braun, dunkeläugig, voll Feuer und Leben und von einer Gestalt, an welcher ein Corregio nichts auszusetzen gehabt hätte. Wir wählten uns im Scherze eine von ihnen; Du wolltest die Blonde, Sanfte, ich die Braune, Schöne, Feurige. Aus dem Scherze wurde Ernst – Du bist glücklich und ich – elend.«
»Karl!« rief der Andere.
»Zweifelst Du?«
»Ich begreife es nicht. Emma ist schön, besitzt ein gutes Gemüth, einen häuslichen, wirthschaftlichen Sinn und »– —
»Und weiß, daß sie schön ist,« fiel Karl ein. »Sie hat ihre Geliebten.«
»Du richtest zu streng. Auch ich habe sie später etwas weniger ernst gefunden, als ich sie vorher taxirte; aber sie ist noch jung, und die mangelhafte Erziehung wird sich nachholen lassen.«
»Du bist ein großer Psycholog, Paul, um zu wissen, daß eine junge zweiundzwanzigjährige Dame noch zu ziehen ist.«
»Pah! Du als Literat, der sehr berühmte Romane und Novellen schreibt, bist natürlich seelenkundiger als der bescheidene Uhrmacher Paul Held; aber ich meine, wenn ein Mädchen den Mann ihrer Wahl wirklich lieb hat, so wird sie ihren Fehlern gern entsagen.«
»Richtig, doch von diesem gern entsagen bis zum wirklichen Aufgeben der Fehler ist ein weiter und schwieriger Weg, zu welchem eine Charakterfestigkeit gehört, welche dem Leichtsinne entgeht. Emma hat mich heut noch innig lieb, aber ihre Gefallsucht wird sie auf Abwege treiben, auf denen sie vielleicht jetzt schon wandelt.«
»Karl!« rief der Andere zum zweiten Male.
»Ich bleibe bei dieser Behauptung. War es früher nicht ihr größtes Glück, des Abends an meinem Arme sich zu erholen? Und was thut sie jetzt? Sie verspricht mir, zu kommen, hält aber selten Wort, und wenn ich nachforsche, so höre ich, daß sie nicht daheim geblieben, sondern bei dieser Frau Schneider gewesen ist, deren Existenz mir eine höchst problematische zu sein scheint. Dieses Weib hat eine Tochter, welche den Anziehungspunkt gewisser Herrenkreise bildet. Ich habe Emma gebeten, die Familie zu meiden, sie hat meinen Wunsch nicht berücksichtigt; ich habe es ihr mit Strenge befohlen, sie ist mir ungehorsam gewesen; ich säe Aufrichtigkeit und ernte Lügen; diesem Zustande möchte ich ein Ende machen und kann es doch nicht, weil ich – — sie zu innig, zu innig liebe!«
»Armer Freund!«
»Ja, arm, sehr arm!« Wie reich und glücklich war ich vorher. Ich gehöre zu den gelesensten Novellisten; man bezahlt meine Arbeiten so, daß ich mehr einnehme als ich bedarf; ich könnte es schnell vorwärts bringen, doch glaube mir, Paul, seid meiner Bekanntschaft mit Emma habe ich nicht eine einzige Arbeit vollendet, welche ich mit gutem Gewissen dem Drucke hätte übergeben dürfen. Wenn es so fortgeht, so bin ich geistig und wirthschaftlich ruinirt.«
»Sei einmal ernst mit ihr!«
»Ich bin es gewesen, doch hilft der Ernst so wenig wie die Liebe. Ich möchte am Liebsten – — doch schau dort hinüber! Ist das nicht Anna?«
»Ja, sie ist es,« meinte Held, erfreut über den Anblick der Geliebten.
»Und allein – ganz so wie ich vermuthete!«
Die junge Dame, jene sanfte Blondine, von welcher Karl Goldschmidt gesprochen hatte, begrüßte die Beiden und wandte sich dann an den Literaten.
»Ich bringe Emma leider heut nicht mit —«
»Heut? Sagen Sie lieber – immer!«
»Sie versprach mir noch am Nachmittage, mitzugehen, doch als ich kam um sie abzuholen, war sie bereits ausgegangen.«
»Dann kehre ich nach Hause zurück.«
»Bleibe bei uns, Karl! Du störst uns nicht,« bat Held.
»Das weiß ich. Aber Du weißt nicht, was es heißt, Andere glücklich zu sehen, selbst aber unglücklich zu sein. Gute Nacht!«
Er ging, doch nicht nach Hause, sondern unwillkürlich lenkte er seine Schritte nach der Straße, in welcher Emma‘s Vater wohnte. Dieser schien ausgegangen zu sein, da keines der Fenster erleuchtet war. Karl wußte, daß nur ein Vorsaalschlüssel vorhanden sei und kannte auch den Ort, wohin dieser gelegt wurde, wenn Vater und Tochter nach verschiedener Richtung die Wohnung verließen. Er stieg die Treppe empor, zog den Schlüssel unter dem Schranke hervor und öffnete. Dann trat er in Emma‘s Zimmer, welches nach der Seite des Hofes lag. Es war ihm niemals eingefallen zu lauschen oder zu spähen, jetzt aber hielt er es als eine Pflicht gegen sich selbst, nach Momenten zu suchen, welche geeignet waren, ihm über das Verhalten der Geliebten Aufklärung zu geben.
Er brannte die Lampe an und warf einen Blick im Zimmer umher. Er fand Alles in der gewohnten Ordnung. Wollte er Oberlieutenant.«
»Hund!« knirschte Karl. »Oder ist es nicht Hundenatur, auf fremdem Gebiete zu revieren? Diese Herren dürfen mit ihren sogenannten noblen Passionen ungestraft das Glück und Wohl ihrer Nebenmenschen tödten, und wenn ein armer Teufel vor Hunger die Hand nach einem elenden Stücke Geldes ausstreckt, so reißt man ihn aus all seinen Verhältnissen, aus der menschlichen Gesellschaft, und steckt ihn, der nur noch als eine Nummer gilt, zwischen kalte nackte Mauern, die er nur verläßt, um die Seinen noch ärger bestraft zu finden, als er selbst es war. Ich werde diesen Lieutenant von Polenz finden und ein Wörtchen mit ihm sprechen!«
Er brachte Alles wieder an den früheren Platz zurück und verließ dann die Wohnung.
Nicht weit von derselben stand das Haus, dessen Parterre die Familie Schneider bewohnte. Er trat an einen der Fensterläden und horchte. Das helle fröhliche Lachen Emma‘s, welches ihn früher so oft beglückt hatte, ertönte im Innern. Hatte sie ihm ihr Wort gebrochen, blos um den Abend bei diesen Leuten zuzubringen? Er zweifelte. Zwar hatte er auf den Billets keine Bestellung für den heutigen Abend gefunden, doch konnte Emma diese schriftliche Bestellung, wenn eine solche erfolgt war, auch anderswo versteckt oder zu sich genommen haben. Er beschloß daher, jedenfalls zu warten, was der Abend bringen werde.
Gegenüber lag ein hohes, alterthümliches Haus mit einem breiten, tiefen Thorwege. Der eine Flügel des letzteren stand offen, und er trat in den dunklen Flur und schloß das Thor in der Weise, daß nur eine Spalte blieb, um die Straße zu beobachten.
Er hatte noch nicht lange in diesem Verstecke gestanden, als er von fern her Sporen klirren hörte. Zwei Männer nahten und hielten unweit des Thorweges an, es waren Offiziere.
»Wohin führen wir sie heut?«
»Promeniren?«
»Pah, poussiren!«
»Also nach den Promenaden?«
»Zu volkreich. Will allein sein mit ihr!«
»Also Stadtpark – entfernteste Parthie, da wo der Reitweg endet?«
»Ja.«
»Es gibt dort zwei sehr bequeme Bänke, von dichtem Gebüsch überschattet. Kein Mensch verirrt sich in diesen Winkel.«
»Trefflich! Habe mir mit diesem Mädchen beinahe Mühe geben müssen – soll nicht umsonst gewesen sein – will süßen Lohn, haha – — Sie gehen mit der Ihren voran; ich werde folgen!«
Dieser Letztere sprach kurz und in einem Tone, welchem man die Gewohnheit des Befehlens anhörte. Sollte er wirklich bloßer Lieutenant sein?
Der andere stieß einen halblauten Pfiff aus, und kurze Zeit darauf öffnete sich drüben die Thür. Emma trat hervor; der Befehlshaberische nahm sie sofort in die Arme und küßte sie. Hinter ihr verließ ein anderes Mädchen das Haus, welches der andere Offizier am Arme nahm, um sich sofort nach der vorgezeichneten Richtung zu bewegen.
»Emma, mein schönes, süßes, entzückendes Kind,« hörte Karl seinen Nebenbuhler sprechen, »sind Sie gern gekommen?«
»Gern!«
»Und hat dieser – dieser Scriblifax, dessen Sie sich nicht erwehren können, nicht Beschlag auf den heutigen Abend gelegt?«
»O ja!«
»Und Sie sind nicht mit ihm gegangen! Meinetwegen, nicht wahr, mein himmlisches Mädchen?«
»Ja, nur Ihretwegen, Herr Lieutenant!«
»Recht so, meine Venus, mein unvergleichlicher Engel! Habe mich lieb, nur mich allein, dann wirst Du Glück finden ohne Ende, ein Glück, von welchem wir heut die süßesten Tropfen schlürfen können. Komm, laß uns gehen!«
Sie folgten dem vorausgegangenen Paare. gelegt.
»Verloren – Alles, alles verloren! Sie wird ihm gehören und dann zu Grunde gehen. Emma, wie lieb, wie unendlich lieb habe ich Dich gehabt! Und nun – — aber, ist sie wirklich verloren? Noch nicht, wenn ich sie nicht aufgebe! Sie wird, sie muß erkennen, welcher Unterschied ist zwischen einer schmutzigen Sinnlichkeit und den reinen, treuen Gefühlen, welche ich ihr entgegenbringe. Ich werde ihnen folgen, oder vielmehr, ich werde einen anderen Weg einschlagen, um ihnen zuvorzukommen.
Er kannte den Ort, welcher das Ziel ihres Spazierganges war, und es konnte ihm nicht leicht fallen, denselben noch vor ihnen zu erreichen. Als das erste Paar dort anlangte, hatte er sich bereits ein bequemes Versteck hinter derjenigen Bank, welche am verborgensten lag, hergerichtet, und als dann auch Emma mit ihrem Begleiter erschien und sich hart vor ihm plazirte, hätte er sie mit der Hand erreichen können, und er vermochte jedes ihrer Worte zu verstehen.
Der Offizier hatte den Überrock ausgezogen und als Teppich für das Mädchen auf den Sitz gelegt. Später nahm er auch die Mütze vom Kopfe, jedenfalls um durch den Anblick seines schönen, reich gelockten Haares die Zahl seiner sichtbaren Vorzüge zu vermehren. So wurde sein Gesicht vollständig frei; Karl konnte ihn ganz genau erkennen. gleich!«
Es waren fürchterliche Augenblicke für den jungen Mann, welcher zusehen mußte, daß der Gegner sich in Zärtlichkeiten erging, die ihm selbst verweigert gewesen waren, doch wollte er so lang wie möglich unbemerkt bleiben, um zu erfahren, wie weit die Untreue seines Mädchens bis jetzt gegangen war.
»Hast Du den Schmuck bereits getragen, den ich Dir brachte?« hörte er fragen.
»Noch nicht.«
»Warum?«
»Vater darf ihn nicht sehen, und die Garnitur ist so kostbar, daß ich beschlossen habe, sie zu ersten Male an – an – an unserem Hochzeitstage zu tragen.«
»Recht so, mein Herz, denn daraus erkenne ich, daß Du ein sparsames, haushälterisches Weibchen sein wirst. Doch bis zur Hochzeit kann noch mancher Monat, vielleicht sogar ein ganzes Jahr vergehen. Ehe ich mir eine Frau nehmen kann, muß ich erst Hauptmann sein. Wird Dir das nicht zu lang?«
»Nein, denn ich werde Dich ja öfters sehen.«
»Natürlich, auf der Promenade oder – — oder wohl auch bei Dir?«
»Bei mir? Ich danke, Papa soll noch nichts von unserer Liebe wissen!«
»Allerdings, doch ist dies noch immer kein Hinderniß, uns in Deiner Wohnung zu sehen. Papa braucht ja nichts davon zu wissen.«
»Das ist unmöglich! Er würde trotzdem bemerken, daß ich Dich bei mir sehe.«
»Er würde es nicht bemerken. Soll ich Dir das beweisen?«
»Wie so?«
»Heut ist er ausgegangen?«
»Ja. Es ist heut der Tag, an welchem er ein Spielchen zu machen pflegt.«
»Wenn komm er da nach Hause?«
»Vor Mitternacht sicher nicht.«
»Weckt er Dich dann, wenn Du bereits schläfst?«
»Nie.«
»Also! Es ist jetzt ein Viertel vor elf Uhr. Laß uns aufbrechen!«
»Warum?«
»Ich werde Dich recht schön ersuchen, einmal sehen zu dürfen, wie mein zukünftiges Weibchen wohnt.«
»Das geht nicht; nein, das ist unmöglich!«
»Warum? Verlange ich mit dieser Bitte zu viel?«
»Nein, aber zu so später Stunde – — nein, es ist unmöglich, Du mußt früher kommen!«
Ja, mein Herz, kann ich früher kommen, ohne bemerkt zu werden?«
»Ich darf nicht!«
»So liebst Du mich nicht!«
»O doch!«
»Nein. Ich glaube nicht an eine Liebe, welche mir einen so einfachen Wunsch verweigert. Darf ich nicht einmal das Zimmer sehen, welches mein Mädchen bewohnt, so ist von Liebe und Vertrauen keine Rede.«
»Du bist grausam!«
»Nein. Entscheide Dich! Soll ich allein gehen oder wollen wir jetzt mit einander aufbrechen?«
Sie zögerte eine Weile mit der Antwort, dann klang es gepreßt:
»Komm!«
Sie erhoben sich und traten den Rückweg an. Das andere Paar schien zu sehr in seine eigenen Angelegenheiten vertieft zu sein, um diese Entfernung zu bemerken. Karl erhob sich, um noch vor den Vorangegangenen die Stadt zu gewinnen.
Er glaubte jetzt zu der Annahme berechtigt zu sein, daß er Emma noch nicht verloren geben dürfe; es galt nur, den Einfluß des prinzlichen Abenteurers zu zerstören, und das konnte ja nicht schwer fallen.
Er suchte gegenüber dem Wohnhause eine dunkle Thüröffnung, in welche er trat, bis sie mit ihrem Begleiter erschien. Sie zog den Hausschlüssel hervor, um zu öffnen, und eben wollte sie zur Seite treten, um dem Prinzen den Vortritt zu geben, als es hinter ihnen erklang:
»Halt! Magst Du nicht allein hinaufgehen, Emma?«
Sie fuhr erschrocken herum.
»Karl!«
»Ja, ich bin es. Bitte, geh hinauf! Ich werde Dir morgen am Tage meinen Besuch machen, um weiter mit Dir zu sprechen; zu so später Zeit aber verlangt kein ehrlicher Mann Zutritt bei einer Dame.«
»Herr, wer sind Sie?« brauste der Prinz auf.
»Ich habe keine Veranlassung, meinen wahren Namen zu verbergen; doch brauche ich ihn nicht zu nennen; ich bin der Scriblifax, von welchem diese Dame Ihnen erzählt hat.«
»Schön! Dann treten Sie gefälligst zur Seite! Ich gestehe Ihnen nicht das mindeste Recht zu, uns den Eingang zu verwehren.«
»Und ich gestehe Ihnen nicht die Erlaubniß zu, ein Mädchen unglücklich zu machen, welche brav war, ehe es Ihnen gelang, Sie durch Lüge und Verstellung zu bethören. Dieses Haus werden Sie heut nicht betreten!«
»Wirklich?« klang es höhnisch. »Marsch, zur Seite!«
Emma war bereits nach den ersten Worten der Gegner im Flur verschwunden, doch stand die Thür noch offen. Wer Sieger blieb, konnte eintreten. Der Prinz hatte den Literaten beim Arme gefaßt und versuchte, ihn von der Thür zu drängen; es gelang ihm nicht.
»Herr, nehmen Sie die Hand von mir,« drohte Karl. »Ich möchte sonst vergessen, wer Sie sind!«
»Ah! Wer bin ich denn?«
»Entweder ein Prinz oder ein Schurke, was Beides zuweilen recht gut vereinigt zu sein scheint. Wählen Sie zwischen Beiden!«
»Spion!« knirschte der Prinz und faßte seinen Gegner mit beiden Fäusten vor der Brust. »Fort, sage ich, und zwar zum letzten Male!«
Karl drängte die Fäuste des Prinzen von sich ab, faßte ihn bei der Hüfte und schleuderte ihn gegen die Mauer.
»Wollen sehen, wer fortgeht, Sie oder – — – oh – Hülfe – — oh – — !«
Er brach zusammen, ohne den Satz vollständig aussprechen zu können. Der Prinz, von Wuth hingerissen, hatte den Degen gezogen und ihm denselben in die Brust gestoßen.
»So, Bursche; Du bist beseitigt. Jetzt hinauf!«
Ohne sich um die Folgen seiner That zu bekümmern, tastete er sich den Flur entlang nach der Treppe hin und stieg dieselbe empor. Droben stand Emma, zitternd vor Angst und Besorgniß.
»Wer da? Bist Du es, Emma?«
»Ja.«
»Öffne! Du wohnst doch hier, nicht wahr?«
»Ja. Aber bitte, laß mich heut allein! Wo ist Goldschmidt?«
»Vor der Thür.«
»Was ist mit ihm? Um Gottes willen, sage es! Ich hörte ihn um Hülfe rufen.«
»Ich mußte ihm ein wenig die Haut ritzen; das ist Alles!«
»Himmel, Du hast nach ihm gestochen?«
»Allerdings. Solchen Menschen muß gezeigt werden, wie weit sie die Erlaubniß haben, mit Anderen zu verkehren.«
»Mein Gott, was hast Du gethan! Das wird ein Unglück geben, wie es mich – — —«
»Papperlapapp! Wer weiß denn, wer es gewesen ist?«
»Goldschmidt selbst wird es sagen!«
»Der? Pah, der sagt nichts mehr!«
»So ist er todt? O Gott, das ist ja gar nicht möglich! Daran bin ich schuld!«
Sie bebte vor Schreck am ganzen Körper; er aber blieb vollständig ruhig.
»Denke dies nicht, Emma. Er selbst trägt die Schuld allein, denn er besitzt nicht die mindeste Berechtigung, sich in meine Angelegenheiten zu mischen. Und was wird es sein? Man findet ihn, trägt ihn fort, scharrt ihn ein, sucht nach dem Thäter, erfährt aber nichts – tout voil…! Bitte fasse Dich und öffne!«
»Ich kann nicht, heut nicht! Der Todte liegt unten, und Papa muß bald kommen. Geh fort, geh fort; nur heut geh fort, wenn Du nicht willst, daß ich vor Angst vergehen soll!«
»Nur heut? So darf ich ein anderes Mal mit herauf?«
»Ja; aber jetzt mußt Du gehen!«
»Wenn soll ich wiederkommen?«
»Ich weiß es nicht!«
»Morgen?«
»Nein, da ist Papa zu Hause!«
»Wenn hat er wieder Spieltag?«
»Sonnabend.«
»Bon! So komme ich nächsten Sonnabend!«
»Ja doch, aber bitte, gehe jetzt!«
»Punkt neun Uhr?«
»Ja.«
»Du wirst Alles offen halten und dafür sorgen, daß mich Niemand kommen sieht!«
»Ich werde es, doch entferne Dich jetzt! Mir schwindelt vor Angst.«
»Dann den Abschiedskuß! Gute Nacht, mein Leben. Träume süß von mir und von – unserer Hochzeit!«
Er stieg die Treppe wieder hinab und verließ das Haus. Sein Opfer lag regungslos in einer Blutlache vor der Thür; er warf einen kurzen Blick auf den Leblosen und schritt davon.
»Er hat seinen Lohn. Ein Prinz oder ein Schurke! Donnerwetter, das hat mir noch Niemand geboten, doch er hat seinen Lohn! Er erkannte mich,; es war ein Glück, daß das Mädchen bereits fort war, sonst wäre es mit dieser höchst interessanten Liaison zu Ende gewesen, ohne daß ich die Früchte meiner Bemühungen hätte pflücken dürfen.«
Er bog nach einiger Zeit in die Promenaden ein, welche sich mittlerweile von ihrem Publikum entleert hatten, und gelangte auf diesem Wege in die Nähe des königlichen Schlosses. Da vernahm er von der Hauptstraße her den Galopp eines Pferdes. Er blieb stehen.
»Wer ist das? Es darf ja um diese Zeit hier weder gefahren noch geritten werden! Gewiß ein fremder Sonntagsreiter, den ich ein wenig in die Trense nehmen werde!«
Er eilte vorwärts und stand bald auf dem breiten Wege, welcher nach dem Hauptportale des Schlosses führte. Der Galopp des Pferdes hatte sich in einen kurzen Trab und dieser in langsamen Schritt verwandelt. Der Reiter wurde sichtbar. Der Prinz trat ihm einige Schritte entgegen. Das Pferd schien keiner gewöhnlichen Rasse anzugehören, der Mann aber, welcher auf demselben saß, trug einen Südwester im Nacken, eine kurze Jacke und ein paar riesige Seemannsstiefel.
»Halt! Werda?«
Der Reiter hielt sein Pferd an und betrachtete sich den Offizier, welchem der Mond voll in das Gesicht schien.
»Ich!« antwortete er dann ruhig.
»Ich? Wer ist dieser Ich?«
»Na, ich natürlich!«
»Donnerwetter, wer Du bist, meine ich!«
»Hm, was Du meinst, das weiß ich schon, mein Junge. Aber sage mir einmal, was nützt es Dir denn eigentlich, wenn ich Dir sage, wer ich bin?«
Der Mann schlug die Arme über der Brust zusammen und hatte ganz das Ansehen und die Haltung, als ob er eine recht urgemüthliche Konversation in Gang bringen wolle.
»Was ist das?« ertönte die ganz erstaunte Gegenfrage. »Du wagst es zu duzen? Kerl, Dir soll ja der Teufel in den Korpus fahren, daß – — —«
»Pah!« unterbrach ihn der Andere. »Wer mit mir Brüderschaft macht, den pflege ich Du zu nennen; das ist bei uns zur See und vielleicht auch zu Lande nicht anders Mode. Und vor dem Teufel segelt mein Korpus jedenfalls nicht sofort davon. Doch, apropos, wer bist denn eigentlich Du, alter Maate?«
»Kerl, Du bist verrückt! Siehst Du nicht, daß ich Offizier bin? Und weißt Du nicht, daß hier in der Nähe des Schlosses zur Nachtzeit das Reiten verboten ist?«
»Offizier? Hm, ja; aber was ist das weiter? Es muß jeder Mensch Etwas sein – was, das bleibt sich gleich, wenn er es nur versteht, seine Stelle brav und ehrlich auszufüllen. So so, also hier darf man nicht reiten! Warum denn nicht, he?«
»Das wird sich finden! Jetzt bist Du arretirt. Vorwärts zur Schloßwache!«
»Arretirt? Meinetwegen! Zwar glaube ich nicht, daß Du der richtige Kerl bist, einen rechten, echten Seemann zu arretiren, aber ich bin nicht der Mann, einen guten Spaß zu verderben. Nur wünsche ich, daß Dir der Gang zur Schloßwache kein Bauchgrimmen mache. Vorwärts also. Segel auf, und fort!«
Einen höchst belustigten Blick auf den Lieutenant werfend, nahm er die Zügel wieder auf und ritt hinter dem Offizier her, welcher vor Zorn bebend nach der Seitenfronte herumbog, wo aus einigen Parterrefenstern helle Lichtstrahlen heraus auf den Platz fielen.
»Hier bleibst Du halten!« gebot der Offizier und wandte sich dann nach dem Schlosse. »Posten herbei!«
Eine am Thore stehende Schildwache kam herzu und honneurirte beim Anblicke der Uniform.
»Wer hat heut das Wachtkommando?«
»Oberlieutenant von Randau.«
»Schön. Die Wache heraus!«
»Zu Befehl, Herr Lieutenant!«
Stimme:
»Wache heraus!«
Im Nu entströmten der Thür die Gestalten der Soldaten, welche sich in Reih und Glied aufstellten.
»Ah,« machte der Arretirte; »man bringt mich nicht selbst zum Wachtlokal; man will sich nicht sehen lassen: das Bauchgrimmen ist da!«
»Maul halten!« schnauzte ihn der Offizier an und wandte sich dann zum Lieutenant von der Wache: »Herr Oberlieutenant, Sie kennen mich?«
Randau blickte schärfer auf.
»Zu Befehl, königl- – —«
»Halt! Diesen Menschen habe ich zu Pferde hier am Schlosse aufgegriffen, wobei er sich in unterschiedlichen Injurien und Gemeinheiten erging. Ich übergebe den Inkulpaten Ihnen und dringe auf strengste Bestrafung!«
»Zu Befehl!« Dann fügte er, zum Arrestanten tretend hinzu: »Herab, Bursche; wollen Dich hübsch vor Anker legen!«
»So? Wärt mir auch die Kerls danach!« Dann nahm er sein Pferd straffer in die Zügel, drängte es hart an den Wachtkommandanten heran, zog ein großes, mehrmals versiegeltes Schreiben aus der Satteltasche und reichte es ihm entgegen. »Herr Oberlieutenant, Sie sind Kommandant der Wache hier am Schlosse?«
Dieser Ton schien einer ganz anderen Stimme und einem ganz andern Manne anzugehören, und unwillkürlich antwortete der Gefragte:
»Ja. Warum?«
»Ich bin Kurier seiner fürstlichen Durchlaucht des Prinzen Arthur von Sternburg und habe Ihnen diese Depesche zu übergeben. Ich thue dies mit der Weisung, dieselbe morgen früh nach dem Lever Seiner Majestät dem Könige eigenhändig zu präsentiren, verstehen Sie, eigenhändig, denn der Inhalt des Schriftstückes ist von solcher Wichtigkeit, daß ich Sie verantwortlich mache für jeden Zufall, welchem es gelingen sollte, dieser Zuschrift das Wesen einer Depesche zu rauben. Im Übrigen gebe ich mir die Ehre, mich Ihnen zu empfehlen!«
Er zog das Pferd empor und gab ihm die Sporen, daß es auf den Hinterbeinen eine Umdrehung machte und dann mit allen Vieren in die Höhe ging. Dabei wandte er das lächelnde Gesicht zum Prinzen:
»Adieu, mein Junge; laß Dir die Arretur besser bekommen, als sie gelungen ist!«
Dann fegte er im Galoppe davon und ließ sein Thier erst dann wieder in ruhigen Schritt fallen, als er das Schloß weit hinter sich hatte.
»Prinz Hugo als Lieutenant!« murmelte er vor sich hin. »Gewiß kam er von irgend einem seiner Streiche zurück, welche er inkognito auszuführen pflegt. Er hat mich noch nie gesehen und also auch nicht erkannt. Die kleine Lehre und der etwas größere Ärger, welcher dieselbe begleiten wird, kann ihm nichts schaden. – Jetzt nun zu diesem Dichter, den ich so lange nicht gesehen habe! Für ihn muß ich ein Stündchen erübrigen, und dann geht es wieder retour!«
Er bog in eine Straße ein und hielt vor einem Hause, dessen schmaler erster Stock erleuchtet war.
»Er hat Licht, vielleicht gar Gesellschaft bei sich, da die Schatten so unruhig sich an den Gardinen bewegen.«
Nachdem er abgestiegen war, band er das Pferd an eine Ladenangel und begab sich nach der ersten Etage. Auf sein Klingeln wurde die Entreethür geöffnet, und eine ältliche Frau erschien unter derselben.
»Wer ist noch da?« frug sie.
»Ich, meine liebe Frau Goldschmidt. Ist Karl zu Hause?«
Sie leuchtete empor und erkannte ihn.
»Mein Gott, Durchlaucht! Sie hier? Haben Sie es auch schon erfahren?«
»Was?«
»Von – — oh, Sie wissen nichts? Bitte, bitte, treten Sie ein, treten Sie ein!«
Er bemerkte ihre Augen voller Thränen und sah, daß Sie sich in einer außerordentlichen Aufregung befand. Im Zimmer befanden sich mehrere Personen, auf deren Gesichtern ein tiefer Ernst ausgebreitet lag, und aus dem geöffneten Nebenraume erklangen halblaute Stimmen.
»Hier ist etwas geschehen! Was ist es?« frug er die Mutter des Freundes.
»Durchlaucht, Karl ist ermordet worden,« antwortete sie, die Hände ringend und in ein krampfhaftes Schluchzen ausbrechend.
»Unmöglich! Von wem?«
Niemand.«
»Wo ist er?«
»Draußen. Kommen Sie!«
Sie führte ihn in das Nebenzimmer. Zwei Ärzte standen vor dem entkleideten Körper des Literaten.
»Was wollen Sie?« frug der Eine den Eintretenden.
»Meine Herren, mein Name ist von Sternburg, Seekapitän von Sternburg. Dieser Todte ist ein Studiengenosse von mir, und ich kam, ihn zu besuchen.«
»Ah, dann haben Sie Zutritt, Durchlaucht,« klang die höfliche Antwort. »Übrigens ist der Verwundete nicht todt. Der Stich hat weder Herz noch Lunge verletzt, und nur der schwere Blutverlust hat eine todesähnliche Ermattung herbeigeführt.«
»Er ist nicht todt? Er lebt!« rief die Mutter. »Gott sei Dank; ich wäre ihm nachgefolgt.«
Der Arzt machte eine abwehrende Bewegung.
»Leise, leise, Frau Goldschmidt! Wir können Ihnen unmöglich ganz die Hoffnung nehmen, doch vermögen wir auch nicht zu verschweigen, daß sein Leben nur an einem Faden hängt; es kann im Augenblicke seines Erwachens auf eine Minute aufflackern und dann sofort für immer verlöschen. Wir werden hier bleiben bis er zu sich kommt, um nach den eintretenden Umständen handeln zu können. Schicken Sie alle überflüssigen Personen fort und vermeiden Sie jedes Geräusch.«
Man nahm Platz und auch der Kapitän ließ sich in der Nähe des Bettes nieder. Es verging beinahe eine Stunde, bis der Verwundete die Augen aufschlug und einen schmerzlichen Seufzer ausstieß.
»Wasser!« klang es durch die lautlose Stille des Raumes.
Es wurde ihm gereicht.
»Emma,« hauchte es leise zwischen seinen bleichen Lippen hervor; dann fielen die schweren Lider wieder zu.
Arthur begab sich leise nach der vorderen Stube, wo die Mutter des Kranken leise weinend in einer Ecke Platz genommen hatte.
»Warum gehen Sie nicht in die Krankenstube?« frug er sie.
»Weil ich den Schmerz da nicht zurückhalten könnte. Mein Gott, wer muß der Bösewicht gewesen sein! Karl ist so gut, das wissen Sie auch, Durchlaucht; er beleidigt mit Wissen keinen Menschen, und dennoch bringt man ihn mir als Leiche nach Hause!«
»Haben Sie bereits Anzeige gemacht?«
»Nein.«
»Warum nicht?«
»Weil – weil ich gar nicht daran gedacht habe.«
»Wo hat man ihn gefunden?«
»Vor der Thür des Hauses, in welchem seine Braut wohnt.«
»So ist er bei ihr gewesen?«
»Jedenfalls.«
»Und man hat ihn beim Austritte überfallen – hm; das klingt mir nicht wahrscheinlich. Geben Sie die Sache ja der Polizei über, welche allerdings auch ganz von selber sehr ernstliche Notiz von dem Vorfalle nehmen wird. Ich habe leider nicht Zeit, länger zu verweilen, werde aber dafür sorgen, daß ich au fait bleibe über das Befinden Ihres Sohnes.«
Nach einigen Worten des Trostes und der Beruhigung verließ er die Wohnung. Als er aus der Thür des Hauses trat, bemerkte er eine weibliche Gestalt, welcher die gegenüberliegende Seite der Straße zu gewinnen suchte. Sie war vor dem Schalle seiner Schritte geflohen und hatte also Ursache, sich in der Nähe des Hauses nicht sehen zu lassen. Er eilte ihr nach und hatte sie nach einigen raschen Schritten erreicht.
»Halt, meine Dame! Warum sind Sie so eilig?«
Er erfaßte sie am Arme und blickte in ein erschrockenes, brünettes Mädchenangesicht, dessen Augen ängstlich die seinigen zu vermeiden suchten. Sie antwortete nicht.
»Nun? Darf ich um Antwort bitten, Fräulein? Warum flohen Sie vor mir?«
»Ich floh nicht vor Ihnen,« klang es leise.
»Vor wem denn?«
»Vor – vor Niemand.«
»Vor Niemand? Damit wollen Sie sagen, vor keiner bestimmten Person. Aber dennoch hatten Sie das Bestreben, nicht bemerkt zu werden. Darf ich Sie um Ihren Namen bitten?«
Sie schwieg. Er fühlte ihre Hand, die er gefaßt hatte, zwischen der seinigen zittern.
»Ich hoffe, Sie werden mir Auskunft geben, sonst fühlte ich mich in die unangenehme Lage versetzt, Sie nach einem Orte zu bringen, wo Sie zur Antwort gezwungen sind.«
»Warum?«
»Es ist an einem Freunde von mir ein Mordanfall verübt stehen.«
»Lebt Karl noch?«
»Karl? Ah, Sie kennen ihn? Sie kamen, um sich Gewißheit über seinen Zustand zu holen! Ihr Name, Fräulein?«
»Emma Vollmer.«
»Mir unbekannt. Sie sind vielleicht – — —?«
»Ich – ich war die – die Geliebte Karls.«
»War? Sie sind es nicht mehr? Ah! – — – Er wurde vor Ihrer Thür gefunden?«
»Ja.«
»So war er vorher bei Ihnen?«
»Nein.«
»Aber Sie waren daheim?«
Sie schwieg. Dieser Mann frug trotz eines Inquisitionsrichters. Wer war er? Mußte sie denn überhaupt Rede stehen? Und doch hielt er sie so fest, und doch sprach er in einem solchen Tone, daß sie antworten mußte:
»Nein.«
»Ah – — —!«
Er faßte sie auch am andern Arme und zog sie näher, um ihr lange und fest in das Angesicht zu blicken.
»Sie haben jetzt einen andern Geliebten?«
»Ja.«
»Was ist er?«
»Offizier.«
»Welchen Ranges?«
»Lieutenant.«
»Wie heißt er?«
»Hugo von Zarheim.«
»Zarheim? Pah, gibts nicht – findet man sogar im Gothaer nicht! Hugo – — oh – — hm – — Sie waren heut mit ihm promeniren?«
»Ja.«
»Er begleitete Sie bis zur Thür?«
»Ja.«
»Und da trat Ihnen Karl entgegen?«
Sie schwieg. Er wiederholte seine Frage dringlicher.
»Nein. Ich habe ihn heut gar nicht gesehen.«