Kitabı oku: «Von Bagdad nach Stambul», sayfa 24
Siebentes Kapitel: In Stambul
Da saßen zwei in einem Zimmer des Hotel de Pest in Pera, tranken den famosen Ruster, den ihnen der Wirt, Herr Totfaluschi, eingeschenkt hatte, rauchten dazu und langweilten sich entsetzlich, wie es schien.
Sie sahen nicht gar sehr »geschniegelt und gebügelt« aus. Das Aeußere des einen bestand in langen, starken Juchtenstiefeln, einer braunen Hose, braunen Jacke, sonnverbranntem Gesichte und braunen Beduinen-Händen. Das Aeußere des andern war »grau in grau gemalt«, die Nase ausgenommen, welche sich mit einem ausdauernden holden Erröten präsentierte. Sie tranken und rauchten, und rauchten und tranken in allertiefster Schweigsamkeit. War es wirklich aus Langeweile, oder trugen sie sich mit großen, weltbewegenden Gedanken, für welche die Sprache der Menschen glücklicherweise keinen passenden Ausdruck fand?
Es schien das letztere der Fall zu sein, denn plötzlich öffnete der Graue den Mund, schüttelte die Nase und schloß die Augen; er konnte es nicht länger verhindern; einer seiner großen Gedanken befreite sich und riß sich los in den siegreich hervorgestoßenen Worten:
»Master, was haltet Ihr von der orientalischen Frage?«
»Daß sie nicht mit einem Frage-, sondern mit einem Ausrufzeichen zu markieren ist,« lautete die Antwort des Braunen.
Der Graue tat seinen Mund wieder zu, riß die Augen auf und machte ein Gesicht, als habe er soeben einen Band von Keladis »Sprüche eines Weisen«, Großfolio und in Schweinsleder gebunden, verschlingen müssen.
Der Graue war Sir David Lindsay, und der Braune, der war ich. Ich habe mich niemals leidenschaftlich mit Politik beschäftigt, und die orientalische Frage ist mir gar ein Greuel. Wer sie erst definieren kann, der mag sie danach lösen. Sie und der sogenannte »kranke Mann« haben mich selbst in der lebhaftesten Gesellschaft zum sofortigen Schweigen gebracht. Ich habe nicht politische Medizin studiert und kann also nicht sagen, an welcher Krankheit dieser Mann leidet; aber ich meine sehr, daß grad ganz in seiner Nähe Zustände herrschen, welche ich nicht gesund nennen möchte.
Der Türke ist ein Mensch, und einen Menschen macht man nicht damit gesund, daß die Nachbarn sich um sein Lager stellen und mit Säbeln ein Stück nach dem andern von seinem Leibe hacken, sie, die sie Christen sind. Einen kranken Mann macht man nicht tot, sondern man macht ihn gesund, denn er hat ein ebenso heiliges Recht, zu leben, wie jeder andere. Man entzieht seinem Körper die Krankheitsstoffe, welche ihm schädlich sind, und reiche ihm dagegen das Mittel, welches ihn heilt und wieder zu einem leistungsfähigen Menschen macht. Der Türke war einst ein zwar rauher, aber wackerer Nomade, ein ehrlicher, gutmütiger Gesell, der gern einem jeden gab, was ihm gehörte, sich aber auch etwas. Da wurde seine einfache Seele umsponnen von dem gefährlichen Gewebe islamitischer Phantastereien, Lügen und Widersprüche; er verlor die Klarheit seines ja sonst schon ungeübten Urteils, wollte sich gern zurecht finden und wickelte sich desto tiefer hinein. Da ward der bärbeißige Gesell zornig, zornig gegen sich und andere; er wollte sich einmal Gewißheit schaffen, wollte einmal sehen, ob es wahr sei, daß das Wort des Propheten auf der Spitze der Schwerter über den Erdkreis schreiten werde. Er hing sich den Köcher um, griff zu Speer und Bogen, bestieg ein zottiges Roß und nahm den ersten, den besten Nachbar beim Schopfe. Er siegte und siegte wieder; das begann, ihm zu gefallen. Er fühlte mit den Siegen seine Kräfte und sein Selbstvertrauen wachsen; darum ging er mit kühnen Schritten weiter. Es lagen ihm Tausende zu Füßen; er konnte in Gold und Perlen wühlen, aber er aß seinen trockenen Schafkäse zu dem harten Haferbrote nach wie vor, denn das gab ein festes Knochengerüste und eine eiserne Muskulatur.
Das blieb so, bis er gezwungen wurde, bis an den Leib in dem Sumpfe byzantinischer Heuchelei und griechischer Raffinerie zu waten. Man schmeichelte ihm, man machte ihn zum Halbgott; man zerstreute ihn durch hundert Aufmerksamkeiten; man erfand tausende Sünden, um Einfluß auf ihn zu gewinnen, und lehrte ihn Bedürfnisse, die ihn zugrunde richten mußten. Seine Natur widerstand lange; aber als er einmal zu siechen begann, nahm die Krankheit Riesenschritte an, und nun liegt er da, umgeben von eigennützigen Ratgebern, welche sich sogar nicht scheuen, noch zu seinen Lebzeiten sein Erbe an sich zu reißen.
Nur ein einziger steht von Ferne, mit christlicher Teilnahme im Herzen. Er war ihm einst ein ehrlicher Feind und möchte ihm nun auch ehrlicher Freund sein. Er hat eingesehen, daß der Türke ein ebenso großes Recht hat, sein Land zu behaupten, wie Preußen sein Schlesien, Sachsen und Hannover behalten hat. Dem Kranken, um welchen die Geier lauern, ist schon der aufrichtige Blick dieses Einen eine Bürgschaft der Genesung, und darum fühlt er sich bereit, ihm zuliebe selbst das zu tun, was er sich von anderen nie erzwingen ließe.
Dieser Einzige ist der Deutsche. Ist dem Germanen wirklich die weltgeschichtliche Rolle zugeteilt, der Träger christlicher Humanität zu sein, so ist er sicher überzeugt, daß Mekka einst veröden wird, wenn die Liebe dem Hasse das Schwert aus der Hand gewunden hat. Oder ist es vielleicht Wahnsinn, zu glauben, daß der Türke ein Christ werden könne? Das hieße nichts anderes, als die Macht des Evangeliums verleugnen. – — —
Warum aber diese Einleitung? Einfach darum: Ich hasse den Türken nicht, sondern er dauert mich, weil ich ein Christ bin, und es tut mir immer wehe, wenn ich einen Türkenfresser behaupten höre, daß dem Osmanen nicht zu helfen sei. Das ist Pharisäerhochmut, aber kein Christensinn. Die Streiter unserer heiligen Kirche besitzen mächtigere Waffen, als Schwerter und Kanonen es sind. Diese Waffen haben Weltreiche ohne Blut erobert. Warum soll diese Eroberung des Friedens nicht still und kräftig weiterschreiten? Das ist die Lösung der orientalischen Frage, wie der Christ sie sich denkt. – — —
Drunten im goldenen Horn liegt die »Bouteuse«. Sie hat die Flügel eingezogen und sich an die Kette legen lassen. Vorher aber war sie eine gute Seglerin und zeigte sich unserem amerikanischen Klipper gewachsen, denn sie war einen vollen Tag eher als wir in Stambul angekommen.
Als wir an das Land stiegen, war mein erster Ausflug zur »Bouteuse«. Der Kapitän derselben empfing mich mit der liebenswürdigen Freundlichkeit, welche den Franzosen im gesellschaftlichen Leben eigentümlich ist.
»Sie wünschen, mein Schiff zu besehen?« fragte er mich.
»Nein, Kapitän; ich wünsche, mich bei Ihnen nach einem Ihrer letzten Passagiere zu erkundigen.«
»Ich stehe zu Ihren Diensten!«
»Es ist in Tripoli ein Mann bei Ihnen an Bord gegangen – —«
»Ein einziger, ja.«
»Darf ich fragen, unter welchem Namen?«
»Ah, Sie sind Polizist?«
»Nein, ich bin ein einfacher Deutscher; der Mann, nach dem ich frage, hat in Damaskus einem Freunde von mir sehr wertvolle Pretiosen gestohlen. Wir folgten ihm, kamen aber in Tripoli erst an, als Sie im Begriffe standen, die See zu gewinnen. Wir konnten nur in Beirut Gelegenheit finden, Ihrem Kurs zu folgen. Das die Gründe meines Besuches auf Ihrem Fahrzeug.«
Der Mann strich sich sehr nachdenklich das Kinn.
»Ich bedauere Ihren Freund von Herzen, weiß aber nicht, ob ich Ihnen von Nutzen werde sein können, so gern ich das auch möchte.«
»Dieser Mann ist sofort vom Bord gegangen?«
»Sofort. Ah, da fällt mir ein, daß er einen Hammal108 an Bord winkte, um sich seine Sachen tragen zu lassen; sie waren nicht bedeutend, denn er hatte nur ein Paket. Ich würde diesen Hammal wieder erkennen. Der Mann nannte sich Afrak Ben Hulam.«
»Das ist ein falscher Name!«
»Wahrscheinlich. Kommen Sie einmal wieder an Bord. Ich will Ihnen versprechen, diesen Hammal anzureden, wenn er mir begegnen sollte.«
Ich ging. Die Anderen erwarteten mich am Ufer. Jacub Afarah stellte sich an unsere Spitze, um uns nach dem Hause seines Bruders zu führen. Weder ich, noch Lindsay hatte die Absicht, die Gastfreundschaft desselben zu benutzen; aber uns ihm vorzustellen, das konnten wir schon wagen.
Maflei, der Großhändler, wohnte in der Nähe der Jeni Dschami, der neuen Moschee, und das Aeußere seines Hauses ließ keinen Schluß auf die Größe seines Reichtums machen. Wir wurden, ohne daß wir unsere Namen nannten, in das Selamlik geführt, wo wir nicht lange auf den Eintritt des Hausherrn warten durften.
Er schien über den zahlreichen Besuch erstaunt zu sein; als er jedoch seinen Bruder erkannte, vergaß er ganz die dem Moslem sonst so unveräußerliche Gravität und eilte mit großen Schritten auf ihn zu, um ihn zu umarmen.
»Maschallah, mein Bruder! Begnadigt Allah meine Augen mit wahrem Lichte?«
»Du siehst richtig, mein Bruder!«
»So segne Allah deinen Eintritt und den deiner Freunde!«
»Ja, es sind Freunde, welche ich dir bringe.«
»Kommst du in Geschäften nach Stambul?«
»Nein. Doch davon sprechen wir weiter. Ist Isla, der Sohn deines Herzens, in Stambul oder auf Reisen?«
»Er ist hier. Seine Seele wird sich freuen, dein Angesicht zu sehen.«
»Er wird auch noch andere Freude empfinden. Rufe ihn!«
Es vergingen einige Minuten, ehe Maflei zurückkehrte. Er brachte Isla Ben Maflei mit, und ich trat bei seinem Anblick ein wenig zur Seite. Der junge Mann umarmte seinen Oheim und sah sich dann im Kreise um. Sein Blick fiel auf Halef, und sofort erkannte er ihn:
»Allahu! Hadschi Halef Omar Agha, du hier? Du bist in Stambul!« rief er erstaunt. »Sei mir gegrüßt, du Diener und Beschützer meines Freundes! Hast du dich von ihm getrennt?«
»Nein.«
»So ist er auch in Stambul?«
»Ja.«
»Warum kommt er nicht mit dir?«
»Sieh dich um!«
Isla wandte sich um und lag mir im nächsten Augenblick an dem Halse.
»Effendi, du weißt nicht, welche Freude du mir bereitest! Vater, sieh dir diesen Mann an! Das ist Kara Ben Nemsi Effendi, von dem ich dir erzählt habe, und das ist Hadschi Halef Omar Agha, sein Freund und Diener.«
Jetzt gab es eine Szene, bei welcher selbst das Auge des Engländers leuchtete. Diener mußten springen, um Pfeifen und Kaffee zu holen. Maflei und Isla schlossen sofort ihr Geschäft, um sich nur uns zu widmen, und bald saßen wir erzählend auf den Polstern.
»Aber wie kommst du mit dem Effendi zusammen, Oheim?« fragte Isla Ben Maflei.
»Er war mein Gast in Damaskus. Wir trafen uns in der Steppe und sind Freunde geworden.«
»Warum bringst du uns nicht Grüße von Afrak Ben Hulam, dem Enkel meines Oheims?«
»Grüße kann ich dir nicht bringen, aber Nachricht habe ich für dich.«
»Nachricht, aber keine Grüße? Ich verstehe dich nicht.«
»Es ist ein Afrak Ben Hulam bei mir angekommen, aber er war der richtige nicht.«
»Allah ‚l Allah! Wie ist das möglich? Wir gaben ihm einen Brief mit. Hat er ihn dir nicht überbracht?«
»Ja. Ich nahm ihn auf, wie ihr es begehrtet; ich gab ihm einen Platz in meinem Hause und in meinem Herzen, aber er war undankbar, indem er mir für viele Beutel Diamanten stahl.«
Die beiden Verwandten vermochten bei dieser Kunde kein Wort zu sagen, so erschraken sie. Dann aber sprang der Vater auf und rief:
»Du irrst! Das tut kein Mensch, der das Blut unserer Väter in seinen Adern hat!«
»Ich stimme dir bei,« antwortete Jacub. »Der, welcher mir deinen Brief brachte und sich Afrak Ben Hulam nannte, war ein Fremder.«
»Glaubst du, daß ich einem Fremden solche Briefe gebe?«
»Es war ein Fremder. Früher hieß er Dawuhd Arafim, dann nannte er sich Abrahim Mamur, und jetzt – —«
Da sprang Isla auf.
»Abrahim Mamur? Was sagst du von ihm? Wo ist er? Wo hast du ihn gesehen?«
»In meinem Hause war er, unter meinem Dache hat er gewohnt und geschlafen; ich habe ihm Schätze anvertraut im Werte von Millionen, ohne zu ahnen, daß es Abrahim Mamur war, der euer Todfeind ist!«
»Allah kerihm! Meine Seele wird zu Stein!« meinte der Alte. »Welch ein Unglück hat da mein Brief angerichtet! Aber wie ist er in seine Hand gekommen?«
»Er hat den echten Afrak Ben Hulam ermordet und ihm den Brief abgenommen. Nachdem er diesen gelesen hatte, entschloß er sich, als mein Verwandter zu mir zu gehen und meinen ganzen Laden zu leeren. Nur diesem Effendi allein danke ich es, daß es nicht geschehen ist.«
»Was hast du mit ihm getan?«
»Er entfloh uns, und wir sind ihm nachgejagt. Er ist gestern mit einem französischen Schiffe hier angekommen, wir aber kamen erst heut.«
»So werde ich mich gleich bei dem Franzosen erkundigen,« meinte Isla, sich erhebend.
»Du kannst bleiben,« sagte ich. »Ich war bereits dort; der Dieb hatte das Schiff bereits verlassen, aber der Kapitän versprach, uns behilflich zu sein. Er hat mich eingeladen.«
»So martert unsere Seelen nicht und erzählt diese Begebenheit, wie sie geschah,« bat Maflei.
Sein Bruder kam dieser Aufforderung nach und erzählte in der ausführlichsten Weise die ganze Begebenheit, welche natürlich die größte Bestürzung hervorbrachte. Maflei wollte sofort zum Kadi und zu allen oberen Richtern; er wollte ganz Stambul nach dem Verbrecher durchsuchen lassen. Er schritt im Selamlik umher, wie ein Löwe, welcher seinen Feind erwartet.
Auch Isla war im höchsten Grade erregt. Als das zornige Blut ruhiger durch die Adern floß, kam auch die Ueberlegung zurück, die notwendig war, über einen solchen Gegenstand einen Beschluß zu fassen.
Ich riet von jeder Herbeiziehung der Polizei für jetzt ab; ich wollte sehen, ob es mir oder einem andern von uns nicht gelingen könne, eine Spur des Verbrechers zu entdecken. Diese Ansicht kam zur Geltung.
Als ich mit Halef und dem Engländer aufbrechen wollte, gaben dies Maflei und Isla um keinen Preis zu. Sie verlangten unbedingt, daß wir während unsers Aufenthaltes in Stambul ihre Gäste sein sollten. Damit wir ungestört wohnen könnten, boten sie uns ein abgesondert gelegenes Gartenhaus an, und wir waren gezwungen, zu willfahren, wenn wir sie nicht auf eine unverzeihliche Weise beleidigen wollten.
Dieses Haus stand im hintersten Teile des Gartens; seine Räumlichkeiten waren nach türkischer Weise sehr gut ausgestattet, und wir konnten in unserer Abgeschlossenheit ganz nach unserm Wohlgefallen leben, ohne unsere Freiheit durch die Gebräuche des Orientes beeinträchtigt zu sehen. Wir hatten Zeit, uns vollständig auszuruhen und die Art und Weise zu besprechen, wie wir die Spur unseres Feindes entdecken könnten. Das war für Konstantinopel, in dessen Gedränge der Einzelne so leicht verschwinden kann, eine sehr schwierige Aufgabe. Es blieb uns nicht viel anderes übrig, als uns auf den Zufall zu verlassen und daneben die Stadt in allen ihren Teilen fleißig zu durchsuchen. Es schien, daß wir Glück haben sollten, denn bereits am dritten Tage nach unserer Ankunft kam zu uns ein Hammal, welcher erklärte, daß er einem Schiffskapitän begegnet sei, der ihn zu uns geschickt habe.
Ich fragte ihn nach dem Passagier, dessen Gepäck er vom Schiffe jenes Kapitäns getragen habe, und hörte, daß derselbe in ein Haus der großen Perastraße gegangen sei. Der Lastträger behauptete, sich dieses Hauses ganz genau erinnern zu können, und erbot sich, mich zu führen. Natürlich machte ich von diesem Anerbieten sofort Gebrauch.
In dem Hause wohnte ein Kitak109, welcher sich allerdings genau besinnen konnte, daß zu der angegebenen Zeit ein Mann bei ihm gewesen sei, der ihn nach einer zu vermietenden Wohnung gefragt habe; er sei darauf mit ihm gegangen, um ihm verschiedene Häuser zu zeigen, doch habe dem Fremden keine von all diesen Wohnungen gepaßt; sie waren nach der Bezahlung des Agenten auseinander gegangen, ohne sich weiter um einander zu kümmern.
Das war alles, was ich erfahren konnte. Dafür aber hatte ich auf dem Heimwege eine sehr interessante Begegnung, welche mich entschädigen zu wollen schien. Ich trat nämlich in ein Kaffeehaus, um mir eine Tasse Mokka nebst einer Pfeife geben zu lassen, und hatte mich kaum auf mein Polster gesetzt, als ich seitwärts von mir eine Stimme in deutscher Sprache rufen hörte:
»Hurrjeh, is et möglich oder nich? Sind Sie dort wirklich, oder is et een Anderer?«
Ich drehte mich nach dem Sprecher um und erblickte ein dicht bebartetes Gesicht, welches mir allerdings bekannt vorkam, ohne daß ich mich aber sofort zu besinnen vermochte, wo ich es gesehen hatte.
»Meinen Sie mich?« fragte ich den Mann.
»Ja, wem denne sonst! Kennen Sie mir nicht mehr?«
»Freilich müßte ich Sie kennen, doch bitte ich Sie, meinem Gedächtnisse ein wenig zu Hilfe zu kommen!«
»Haben Sie denn Hamsad al Dscherbaja verjessen, der Ihnen da droben am Nil dat schöne Lied von Kutschke vorgesungen hat, und nachher mit – —«
Ich unterbrach ihn schnell:
»Ah, richtig! Ihr großer Bart machte mich irre. Grüß Sie Gott, Landsmann; setzen Sie sich an meine Seite! Sie haben doch Zeit?«
»Mehr als genug, wenn Sie so gut sein wollen, meinen Kaffee zu bezahlen. Ik bin nämlich, so was man sagt, een bißken abjebrannt.«
Er nahm an meiner Seite Platz und wir konnten uns unterhalten, ohne besorgen zu müssen, daß unser Deutsch von den anwesenden Muselmännern verstanden werde.
»Also Sie sind ein bißchen abgebrannt! Wie kommt das?« fragte ich. »Erzählen Sie mir, wie es Ihnen ergangen ist, seit wir uns nicht gesehen haben!«
»Wie soll es mich jegangen sind? Schlecht! Damit is allens jesagt. Dieser Isla Ben Maflei, dem ich bediente, hat mir fortgejagt, weil er meinte, daß er mir nich mehr brauchte. So kam ik nach Alexandrien und jing mit einem Griechen nach Candia und von da aus als halber Matrose nach Stambul, wo ik mir etabliert habe.«
»Als was?«
»Als Vermittler von vieles, als Führer durch die Stadt, als Jelegenheitsdiener und Aushilfe für allens, womit ik mich Jeld verdienen kann. Aber es jiebt keinen, dem ik vermitteln soll; sie laufen alle ohne mir durch die Stadt; ik finde keine Jelegenheit, jemand auszuhelfen, und so jehe ik spazieren und hungere, daß der Magen pfeift. Ik hoffe, daß Sie sich meiner annehmen werden, Herr Landsmann, denn Sie wissen ja, wie jut ik Ihnen bei dem damaligen Abenteuer an die Hand jegangen bin!«
»Wir werden ja sehen! Warum haben Sie sich hier nicht einmal an Isla Ben Maflei gewendet? Er ist ja hier in Stambul.«
»Danke sehr! Von ihm mag ik nichts wissen. Er hat mir jekränkt; er hat mir bei meiner Ehre anjegriffen und verletzt; er soll nie nicht dat Verjnügen haben, mir bei sich zu sehen!«
»Ich wohne bei ihm,« bemerkte ich.
»O, dat is unangenehm, denn da kann ik Ihnen nicht besuchen!«
»Sie besuchen ja nicht ihn, sondern mich.«
»Wenn auch! Ik werde sein Haus unter keinem Umstande betreten; aber lieb wäre es mich, wenn ik Ihnen auf irgend eine Weise dienen könnte.«
»Das können Sie. Erinnern Sie sich noch genau jenes Abrahim Mamur, dem wir das Mädchen nahmen?«
»Sehr jenau. Er hieß eijentlich Dawuhd Arafim und ist uns ausjerissen.«
»Er ist hier in Konstantinopel, und ich suche ihn.«
»Daß er hier ist, weiß ik janz jenau, denn ik habe ihm jesehen.«
»Ah! Wo?«
»Droben in Dimitri, wo ik ihm bejegnet bin, ohne daß er mir erkannt hat.«
Ich wußte, daß Sankt Dimitri nebst Tatavola, Jenimahalle und Ferikjöe zu den verrufensten Stadtteilen gehört, und fragte daher:
»Sind Sie oft in St¨ Dimitri?«
»Sehr. Ik wohne da.«
Nun wußte ich genug. Dieser Barbier aus Jüterbogk hatte sich bei dem griechischen Gesindel Dimitris eingebürgert, welches den verkommensten Teil der Bevölkerung Stambuls bildet. Dort ist das Verbrechen ebenso zu Hause, wie in der berüchtigten Wasserstraße New Yorks oder in den Blackfriarsgäßchen Londons. Des Abends ist es gefährlich, sich dort sehen zu lassen, und selbst am Tage öffnen sich bei jedem Schritte rechts und links die Höhlen, in denen das Laster seine Orgien feiert oder unter den ekelhaftesten Krankheiten sein Dasein verjammert.
»In St¨ Dimitri wohnen Sie?« fragte ich deshalb. »Gab es keinen andern Ort, wo Sie eine Wohnung finden konnten?«
»Jenug Orte, aber in Dimitri is et janz schön, besonders wenn man Jeld hat, um diese Schönheit zu jenießen.«
»Haben Sie Abrahim Mamur vielleicht beobachtet, als Sie ihm begegneten? Es kommt mir sehr darauf an, seinen Aufenthaltsort zu erfahren.«
»Ik habe ihm laufen lassen, denn ik war nur froh, daß er mich nicht bemerkte. Aber ik kenne dat Haus, aus welchem er kam, und ich werde mir dort einmal erkundigen.«
»Haben Sie nicht Lust, dieses Haus mir jetzt gleich zu zeigen?«
»Ja; ik bin einverstanden.«
Ich bezahlte für mich und ihn; dann nahmen wir zwei Pferde, welche ganz in der Nähe zu vermieten waren, und ritten durch Pera und Tepe Baschi hinauf nach Sankt Dimitri.
Man sagt, Kopenhagen, Dresden, Neapel und Konstantinopel seien die vier schönsten Städte Europas; ich habe keine Veranlassung, dieser Behauptung entgegenzutreten. Aber in Beziehung auf Konstantinopel muß ich doch erwähnen, daß man diese Stadt nur dann schön zu finden vermag, wenn man sie nur von außen, vom goldenen Horn aus, betrachtet; sobald man dagegen ihr Inneres betritt, wird die Enttäuschung nicht ausbleiben. Ich erinnere mich dabei jenes englischen Lords, von welchem man erzählt, daß er zwar mit seiner Dampfjacht Konstantinopel besucht, aber dabei nicht sein Fahrzeug verlassen habe. Er fuhr von Rodosto am Nordufer des Marmarameeres hin bis Stambul, lenkte in das goldene Horn ein, in welchem er bis hinauf nach Eyub und Sudludje dampfte, kehrte zurück und ging im Bosporus bis an dessen Mündung in das schwarze Meer und fuhr dann wieder zurück, in dem Bewußtsein, sich den Totaleindruck Konstantinopels nicht durch Eingehen auf die garstigen Einzelheiten verdorben zu haben.
Betritt man hingegen die Stadt, so kommt man in enge, krumme, winkelige Gäßchen und Gassen, welche unmöglich Straßen zu nennen sind. Pflaster gibt es nur selten. Die Häuser sind meist aus Holz gebaut und kehren der Gasse eine öde, fensterlose Fronte zu. Bei jedem Schritte stößt man auf einen der häßlichen, struppigen Hunde, welche hier die Wohlfahrtspolizei zu versehen haben, und wegen der Enge der Passage muß man jeden Augenblick gewärtig sein, von Lastträgern, Pferden, Eseln und anderen tierischen oder menschlichen Passanten in den Kot gerannt zu werden.
So war es auch auf unserem Wege nach St¨ Dimitri. Die Gassen waren von den Ueberresten, welche die Fisch-, Fleisch-, Obst- und Gemüsehändler weggeworfen hatten, verunreinigt; Melonenschalen faulten in ungeheuren Mengen am Boden; neben den Fleischereien stank das Blut in breiten Löchern; Kadaver von Hunden, Katzen und Ratten, abgerissene Stücke von gefallenen Pferden hauchten einen fürchterlichen Geruch aus; Geier und Hunde waren die einzigen Wesen, welche für die Milderung dieses unerträglichen Zustandes sorgten. Wir konnten kaum den Hammals ausweichen, welche große Steine, Bretter und Balken durch die verwahrlosten Gassen schleppten, und begegnete uns einmal ein bepackter Esel, ein dicker, berittener Muselmann oder ein mit Ochsen bespannter Frauenwagen, so war es geradezu eine Kunst, vorüber zu kommen, ohne zerquetscht zu werden.
So gelangten wir endlich nach Dimitri. Hier stiegen wir ab und gaben unseren Atdschis110 ihre Pferde zurück. Zunächst zeigte mir der Jüterbogker seine Wohnung; sie lag im Hinterteile einer halb verfallenen Hütte und war einem Ziegenstalle ähnlicher als einer menschlichen Behausung. Die Tür wurde von einigen zusammengeklebten Papierbogen gebildet; das Fenster war einfach ein durch die Wand gestoßenes Loch, und an Geschirr und Gerät hatte er nichts aufzuweisen, als einen henkellosen Wasserkrug, über dessen Oeffnung eine Kreuzspinne ihr Netz gewoben hatte, und ein Stück von einem zerfetzten Segel, welches als Ottomane und Schlafstelle diente.
Ich sah mir diese traurige Einrichtung wortlos an und folgte ihm dann wieder hinaus auf die Straße. Er führte mich in ein Haus, dessen Aeußeres nichts Gutes verhieß, und dessen Inneres diese Weissagung vollständig bestätigte. Es war eines jener griechischen Wein- und Kaffeehäuser, in denen der Wert eines Menschenlebens gleich Null ist, und deren Bevölkerung und Besucher nach ihrem Leben und Treiben unmöglich beschrieben werden können.
Ohne sich in dem vorderen Raume aufzuhalten, führte mich der Barbier in ein hinteres Gemach, wo man Kartenspiele machte und – Opium rauchte. Die Raucher lagen in den verschiedensten Stadien auf einem langen, schmalen Strohpolster, welches sich an zwei Wänden des Zimmers hinzog. Da war ein alter Kerl eben beschäftigt, das Gift in Brand zu setzen. Seine skelettartige Gestalt hatte sich vor Begierde aufgerichtet; seine Augen, sonst erloschen, funkelten vor Verlangen, und seine Hände zitterten. Er machte einen abscheulichen Eindruck auf mich. Daneben lag ein junger, kaum zwanzigjähriger Bursche im Betäubungstraume; er lächelte, als befinde er sich im siebenten Himmel Mohammeds; auch er war bereits dem Teufel des Opiums verfallen, der keinen wieder aus seinen Krallen läßt. In seiner Nähe wand sich ein langer, hagerer Dalmatiner im Paroxismus des Rausches, und unweit desselben grinste die widerliche Fratze eines verkommenen Derwisches, welcher sein Kloster verlassen und diese Höhle aufgesucht hatte, um seine Lebenskraft den wahnsinnigen Bildern der trügerischen Narkose zu opfern.
»Rauchen Sie etwa auch?« fragte ich ahnungsvoll meinen Führer.
»Ja,« antwortete er; »aber et is noch nicht lange her.«
»Um Gottes willen, dann ist es vielleicht noch Zeit, davon zu lassen! Wissen Sie denn noch nicht, wie hinterlistig, wie teuflisch dieses Gift wirkt?«
»Teuflisch? Hm, dat scheinen Sie doch nicht zu verstehen! Es wirkt im Jegenteile ganz himmlisch. Wollen Sie es ‚mal versuchen?«
»Fällt mir gar nicht ein. Was kann man hier trinken?«
»Wein. Ik werde bestellen; dat andere ist Ihnen Ihre Sache!«
Wir erhielten einen dicken, roten, griechischen Wein, dessen schlechten Geschmack man nicht begreifen kann, wenn man weiß, wie köstlich die großbeerigen griechischen Trauben sind. Das also war das Haus, in welchem Abrahim Mamur verkehrte. Ich erkundigte mich bei dem Wirt nach ihm; da ich aber aus Vorsicht keinen Namen nennen durfte und auch denjenigen nicht wußte, welchen er sich jetzt beigelegt hatte, so war diese Nachforschung vergeblich.
Aus diesem Grunde trug ich dem Barbier auf, die Augen offen zu halten und mir es sofort wissen zu lassen, wenn er den Gesuchten fände. Ich versah ihn mit einer kleinen Summe Geldes und verabschiedete mich, hatte aber das traurige Lokal noch nicht verlassen, so saß er bereits bei den Spielern, um das Geld im Hazardspiele zu verlieren und den Rest dann wohl in Opium zu verrauchen. Ich gab den Mann an Leib und Seele verloren, nahm mir aber vor, ihn womöglich von der eingeschlagenen Bahn wieder abzulenken.
Der andere Tag war ein Freitag, und Isla, welcher in Pera zu tun hatte, lud mich ein, ihn zu begleiten. Wir gelangten auf dem Rückwege an ein moscheeartiges Gebäude, welches in der Nähe des russischen Gesandtschaftshotels lag und von der Straße durch ein Gitter getrennt wurde. Isla blieb stehen und fragte:
»Effendi, hast du einmal die Chora-teperler111 gesehen?«
»Ja, doch nicht hier in Konstantinopel.«
»Dies ist ihr Manastyr112, und wir haben grad jetzt die Stunde ihrer Exerzitien. Willst du einmal mit mir eintreten?«
Ich bejahte diese Frage, und wir traten durch den weit geöffneten Torflügel des Gitters in den mit breiten Marmorplatten gepflasterten Hofraum. Die linke Seite desselben wurde durch einen ebenfalls umgitterten Friedhof begrenzt. Zwischen dem Gitter erblickte man unter dem Schatten hoher, dunkler Zypressen eine Menge weißer Leichensteine, welche oben mit einem turbanähnlichen Aufsatze verziert waren. Die eine Seite dieser Steine enthielt den Namen des Toten und einen Spruch aus dem Kuran. Eine beträchtliche Anzahl türkischer Frauen hatte sich diesen Friedhof zur Nachmittagspromenade ausersehen, und wohin man nur blickte, da schimmerten die weißen Schleier und farbigen Mäntel durch die Bäume. Der Türke liebt es, die Orte zu besuchen, an denen seine Toten ihren ewigen »Kef« halten.
Den Hintergrund des Hofes nahm ein runder Pavillon ein, welcher mit einer Kuppel bedeckt war, und die rechte Seite wurde von dem Kloster gebildet, einem einstöckigen, auch mit einem Kuppeldache versehenen Gebäude, dessen Rückseite der Straße zugekehrt war.
In der Mitte des Hofes stand eine hohe, bis zur Spitze mit Efeu umrankte Zypresse. Der Hof selbst war voll von Menschen, welche alle nach dem Pavillon drängten; Isla jedoch führte mich zunächst in das Kloster, um mir das Innere eines türkischen Derwischhauses zu zeigen.
Derwisch ist ein persisches Wort und bedeutet: »Armer«; das arabische Wort dafür ist »Fakir«. Derwisch wird jeder Angehörige eines religiösen islamitischen Ordens genannt. Dieser Orden gibt es sehr viele; doch legen deren Angehörige kein Gelübde ab; das Gelöbnis der Armut und Keuschheit und des Gehorsams kennen sie nicht. Die Tekkije und Khangah113 sind oft sehr reich an Grundstücken, Kapitalien und Einkünften, wie überhaupt die ganze türkische Geistlichkeit keineswegs in Dürftigkeit lebt. Die Mönche sind meistenteils verheiratet und beschäftigen sich mit Essen, Trinken, Schlafen, Spielen, Rauchen und Nichtstun. Früher hatten die Derwische eine nicht gewöhnliche religiöse und politische Bedeutung; jetzt aber ist ihr Ansehen gesunken, und nur von dem Volke wird ihnen noch eine Art Achtung gezollt. Darum sind sie auf Künste bedacht, durch welche sie sich den Anstrich von Gottbegeisterten oder Zauberern zu geben vermögen. Sie verrichten allerlei Kunst- und Theaterspielerstückchen und führen Komödien auf, in denen sie sich in eigentümlichen Tänzen und heulenden Gesängen produzieren.
Hinter der Klosterpforte traten wir in einen hohen, kühlen Querraum, welcher die ganze Breite des Gebäudes einnahm. Von hier aus lief zur linken Hand ein Gang rechtwinklig mit der Langseite des Klosters parallel. Auf dieser Galerie öffneten sich die Zellen der Derwische; die Fenster der Zellen gingen nach dem Hofe hinaus. Türen gab es nicht, und so konnte man von dem Gange aus in jede der offenen Zellen blicken. Ihre Einrichtung war außerordentlich einfach: – sie bestand nur aus einem schmalen Kissen, welches rings an den Wänden sich hinzog. Auf diesen Diwans saßen die Derwische mit ihren tutenförmigen, zuckerhutähnlichen Filzmützen auf dem Kopfe, genau so, wie sie in unseren Zirkusvorstellungen von den Clowns getragen werden. Einige rauchten, andere machten Toilette zu dem bevorstehenden Tanze, und noch andere saßen ohne Bewegung und in sich versunken da, wie Statuen.