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Kitabı oku: «Von Bagdad nach Stambul», sayfa 29

Yazı tipi:

»Halt, Baruch Schebet Ben Baruch Chereb. Zeige mir, was du empfangen hast! Der Effendi wird mir meine Neugierde verzeihen, denn ich will es ja nur sehen, um ihm mit dir danken zu können;«

Es waren zwei Goldstücke zu fünfzig und fünfundzwanzig Piaster, in Summa also fünfundsiebzig Piaster oder zwölf bis vierzehn Mark nach deutschem Gelde. Das war mehr als sparsam und auch mehr als geizig; das war lumpig. Ich konnte mir denken, daß der Mir Alai gestern, bevor er die Erlaubnis zum Plündern gab, alles im Hause vorgefundene Geld an sich genommen und jedenfalls auch die Taschen der Toten und Gefangenen durchsucht hatte. Zwar war es mir nicht aufgefallen, aber ich kannte die Art und Weise dieser Herren zur Genüge.

Deshalb fragte ich ihn jetzt:

»Du hast deine dreitausend Piaster wieder erlangt, Effendi?«

»Ja.«

»Und diesem Manne, dem du sie verdankst und das Leben dazu, gibst du fünfundsiebzig für sein verbranntes Eigentum? Schenke ihm tausend, so scheiden wir als gute Freunde, und im »Bassiret« wird dein Name nicht genannt!«

»Tausend, Emir? Wo denkst du hin? Er ist ein Jude!«

»Ganz wie du willst! Baruch, gib ihm die fünfundsiebzig wieder! Wir werden nachher zum Kadi gehen, du als Kläger und ich als Zeuge. Wer dir dein Eigentum verbrannt hat, der muß es dir ersetzen, selbst wenn er ein Regiment kommandiert und mein Gast gewesen ist. Ich werde mich durch den Gesandten meines Herrschers beim Diwan erkundigen lassen, ob der Sultan seinen Offizieren erlaubt, die Straßen Stambuls niederzubrennen! »

Ich stand auf und gab das Verabschiedungszeichen, auch die beiden Gäste erhoben sich, und der Jude näherte sich dem Mir Alai, um ihm sein Geld zurückzugeben; dieser aber winkte ihn von sich ab und sagte mit unterdrücktem Grimme:

»Behalte es! Ich werde dir das Fehlende senden!«

»Tue dies bald, Effendi,« bemerkte ich, »denn in einer Stunde gehen wir zum Richter!«

Das war eine keineswegs angenehme Szene, aber ich mache mir noch heut keine Vorwürfe darüber, daß ich den Weg der Nötigung betrat, um den Offizier für seine Arroganz zu bestrafen und dem armen Juden zu einer Entschädigung zu verhelfen. Tausend Piaster klingt allerdings wie eine große Summe, aber es sind doch nur im höchsten Falle zweihundert Mark; damit war dem braven Baruch geholfen, wenn es auch zu wenig war, um einen Handel mit »Juwelen und Altertümern« damit zu begründen.

Der Mir Alai verließ mit einem stolzen Kopfnicken das Zimmer; Nasir aber nahm den freundlichsten Abschied von mir.

»Emir,« sagte er, »ich weiß, wie schwer es dir wird, mit einem Gaste so scharf zu sprechen; aber ich hätte es an deiner Stelle wenigstens ebenso gemacht. Er ist ein Günstling des Ferik Pascha, weiter nichts. Lebe wohl, und gedenke meiner, wie ich auch dein gedenken werde!«

Noch vor dem Verlaufe einer Stunde brachte ein Onbaschi132 einen Beutel, der die an den tausend Piastern fehlende Summe enthielt. Baruch tanzte vor Freude, und seine Frau nannte mich den gütigsten Effendi der Welt und versprach, mich täglich in ihr Gebet einzuschließen. Das Glück der alten Leute söhnte mich mit meinem Bruch der Gastfreundschaft vollständig aus.

Am Abend waren wir alle vereint; es gab ein Abschiedsmahl, bei dem sich auch Senitza einfand. Sie als Christin durfte uns ihr Gesicht sehen lassen, wenn Isla ihr auch nicht erlaubte, unverschleiert auf die Straße zu gehen. Sie ging mit uns noch einmal ihre Erlebnisse durch: die Trauer, in der sie bei ihrer Gefangenschaft befangen gewesen war, und das Glück, als sie sich aus Abrahim Mamurs Gewalt gerettet sah.

Am Schlusse nahm Lindsay Abschied. Seine Nase war so ziemlich von ihrer Beule befreit, so daß er sich auch wieder in London zeigen konnte. Als er ging, begleitete ich ihn nach seiner Wohnung. Dort entkorkte er noch eine Flasche Wein und gab mir die Versicherung, daß er mich wie einen Bruder liebe.

»Bin mit Euch vollständig zufrieden,« meinte er. »Nur eines ärgert mich.«

»Was wäre das?«

»Habe mich von Euch herumschleppen lassen, ohne einen einzigen Fowling-Bull zu finden. Verdrießliche Geschichte! Yes!«

»Ich glaube, es gibt in England auch welche zu finden, die man gar nicht auszugraben braucht. Da laufen vielleicht genug John-Fowling-Bulls herum!«

»Soll das mir gelten?«

»Fällt mir gar nicht ein, Sir!«

»Habt Ihr Euch das mit dem Pferde überlegt?«

»Ja, ich verkaufe es nicht.«

»So behaltet es. Aber Ihr müßt trotzdem einmal nach England kommen; in zwei Monaten bin ich daheim. Verstanden? Und nun noch eins! Ihr seid mein Führer gewesen, und ich habe Euch Euer Salair noch nicht bezahlt. Hier, nehmt!«

Er schob mir ein kleines Portefeuille zu.

»Macht keinen dummen Spaß, Sir!« sagte ich, es zurückschiebend. »Ich bin als Freund und Genosse mit Euch geritten, nicht aber als Euer Diener, den Ihr zu bezahlen habt.«

»Aber Master, ich denke, daß —«

»Denkt, was Ihr wollt, aber nicht, daß ich Geld von Euch nehmen werde,« unterbrach ich ihn. »Lebt wohl!«

»Werdet Ihr wohl gleich diese Brieftasche nehmen?«

»Adieu, farewell, Sir!«

Ich umarmte ihn schnell und eilte zur Tür hinaus, ohne auf sein Rufen zu achten, das hinter mir erscholl.

Den Abschied am andern Morgen von Maflei und Senitza kann ich übergehen. Als die Sonne sich im Osten erhob, hatten wir beinahe schon Tschatalsche erreicht, durch welches die Straße über Indschigis und Wisa nach Adrianopel führt.

Achtes Kapitel: In Edreneh

Adrianopel, welches die Türken Edreneh nennen, ist nach Konstantinopel die bedeutendste Stadt des osmanischen Reiches. Hier residierten die Sultane von Murad dem Ersten an bis zu Mohammed dem Zweiten, welcher im Jahre 1453 Konstantinopel eroberte und seine Residenz dorthin verlegte. Auch später war es ein Lieblingsaufenthalt vieler Sultane, von denen besonders Mohammed der Vierte gern hier verweilte.

Unter den mehr als vierzig Moscheen, welche die Stadt besitzt, ist die »Selimje«, die Selim der Zweite erbaute, berühmt. Sie ist noch größer als die Aja Sophia in Konstantinopel und verdankt ihre Entstehung dem berühmten Moshia-Architekten Sinan. Wie eine Oase in der Wüste liegt sie inmitten einer kläglichen Anhäufung von Holzhäusern, deren bunt bemalte Mauern und Wände aus tiefem Schmutz und Straßenkot auftauchen. Der imposante Kuppelbau dieser Moschee wird im Innern von acht gigantischen Pfeilern getragen und äußerlich von vier wunderbar schlanken Minarehs belebt, von denen ein jedes drei Balkone für die Muezzins besitzt. Im Innern erblickt man zwei Reihen Galerien, welche aus den kostbarsten Marmorarten zusammengesetzt sind und von 250 Fenstern erleuchtet werden. Zur Zeit des Ramasans brennen hier 12 000 Lichter.

Wir kamen von Kirkilissar und hatten die schlanken Minarehs der Selimje schon längst vor uns leuchten sehen. Von weitem bot uns Adrianopel einen prächtigen Anblick dar; als wir es aber erreicht hatten und durch seine Straßen ritten, ging es wie mit allen andern Städten des Orientes: sie verlieren in der Nähe ihre Schönheit und erfüllen niemals das, was sie aus der Ferne versprechen.

Hulam, den wir aufsuchen wollten, wohnte in der Nähe des Utsch Scherifeli, der Moschee Murads des Ersten, an deren terrassenförmigem, mit prächtigem Marmor gepflastertem Vorhofe wir vorüberritten. Die vierundzwanzig von siebzig Säulen getragenen Kuppeln wurden aus dem Schatz der Johanniter erbaut, welcher bei der Eroberung von Smyrna erbeutet wurde. Wir tauchten in eine sehr stark belebte Gasse und hielten vor einer mehrere Stockwerke hohen Mauer, durch welche ein jetzt verschlossenes Tor führte. Wir hatten in dieser Mauer die Straßenfront des Hauses zu erblicken, welches uns gastlich aufnehmen sollte.

Das Tor hatte in Kopfeshöhe ein rundes Loch, vor welchem auf das Klopfen Islas ein bärtiges Gesicht erschien.

»Kennst du mich noch, Malhem?« fragte der junge Konstantinopolitaner. »Oeffne uns!«

»Maschallah, Gott tut Wunder!« erklang es von innen. »Du bist es wirklich, Herr? Komm eilends herein!«

Das Tor wurde geöffnet, und wir ritten durch eine Art Durchfahrt nach einem ziemlich großen Hofe, welcher rings von den Innengalerien des Hauses umgeben war. Alles zeigte einen ungewöhnlichen Reichtum. Auch die Zahl der herbeieilenden Diener ließ ebenso auf denselben schließen.

»Wo ist der Herr?« fragte Isla einen Mann, welcher ihn mit tiefer Ehrerbietung begrüßte und, wie ich später erfuhr, der Hausmeister war.

»Im Ischlik133 bei seinen Büchern.«

»Führe diese Männer in das Selamlik134, und sorge dafür, daß sie gut bedient werden. Auch die Pferde müssen gut untergebracht werden!«

Er nahm Jacub Afarah bei der Hand und begab sich nach der Arbeitsstube des Hausherrn. Wir andern wurden nach einem Raume geführt, welcher die Größe eines kleinen Saales hatte. Die vordere Seite bildete eine offene, von Säulen getragene Veranda, und die Wände der drei übrigen Seiten waren, golden auf blauem Grunde, mit Kuransprüchen verziert.

Wir ließen uns trotz des Staubes, welcher an unseren Kleidern haftete, auf grünsamtne Diwans nieder, und ein jeder erhielt eine Wasserpfeife und den Kaffee in Täßchen, welche anstatt der Fingans in silbernen Dreifüßen staken. Das alles hatte den Anschein eines gediegenen Luxus, von welchem sich abermals auf den Reichtum des Besitzers schließen ließ.

Wir hatten kaum den Kaffee gekostet, so erschienen Afarah und Isla mit dem Hausherrn. Dieser war eine höchst ehrwürdige, imposante Erscheinung, mit einem Barte, welcher an Länge und Fülle demjenigen von Mohammed Emin glich. Der Eindruck, welchen er machte, nötigte unwillkürlich zum Aufstehen, auch wenn dies nicht von der Sitte gefordert worden wäre. Wir erhoben uns.

»Sallam aaleïkum!« grüßte er, indem er die Hände wie zum Segen erhob. »Seid willkommen in meinem Hause und denkt, daß es das euere sei!«

Er ging von einem zum andern, um uns die Hand zu reichen, dann ließ er sich mit seinen beiden Verwandten bei uns nieder. Auch ihnen wurden Pfeifen und Kaffee gebracht, und dann gab er einen Wink, auf welchen sich die Diener zurückzogen. Darauf wurden wir ihm von Isla vorgestellt. Er betrachtete mich eine längere Zeit und ergriff dann abermals meine Hand, die er eine Minute lang festhielt.

»Du weißt vielleicht noch nicht, daß du mir bekannt bist, Effendi,« sagte er. »Isla hat mir viel von dir erzählt. Er hat dich lieb, und so hast du auch mein Herz besessen, obgleich wir uns noch nicht gesehen haben.«

»Herr, deine Worte machen meine Seele leicht,« antwortete ich. »Wir befinden uns nicht in der Wüste oder bei den Weideplätzen eines Beduinenvolkes, und es ist daher nicht überall gewiß, daß man willkommen geheißen wird.«

»Ja, die schöne Sitte unserer Väter verliert sich von Jahr zu Jahr immer mehr; sie verschwindet in den Städten und zieht sich klagend in die Wüste zurück. Die Wüste ist der Geburtsort der Hilfsbedürftigkeit, aber Allah läßt auch gerade in ihr die Palme der Bruderliebe wachsen. In der großen Stadt fühlt sich der Fremdling verlassener als in der Sahara, wo kein Dach ihm den Anblick von Allahs Himmel raubt. Du warst in der Sahara, wie ich vernommen habe; hast du nicht gefühlt, daß ich die Wahrheit sage?«

»Allah ist überall, wo der Mensch den Glauben an ihn im Herzen trägt. Er wohnt in den Städten, und er blickt auf die Hammada; er wacht über den Wassern, und er rauscht durch das Dunkel des Urwaldes; er schafft im Innern der Erden und in den hohen Lüften; er regiert den leuchtenden Käfer und die blitzenden Sonnen; du hörst ihn im Jubel der Lust und in dem Rufe des Schmerzes; sein Auge glänzt aus der Träne der Freude und schimmert aus dem Tropfen, mit welchem das Leid die Wange befeuchtet. Ich war in Städten, wo Millionen wohnen, und ich war in der Wüste, von jeder Wohnung weit entfernt, aber niemals habe ich gefürchtet, allein zu sein, denn ich wußte, daß Gottes Hand mich hielt.«

»Effendi, du bist ein Christ, aber ein frommer Mann; du bist wert, ein Moslem zu sein, und ich ehre dich, als ob die Lehre des Propheten die deinige sei. Isla sagte mir, daß ihr kommt, um mich vor einem schweren Verluste zu bewahren. Sprich du für die andern!«

»Hat er dir nichts Näheres gesagt?«

»Nein, denn ich mußte eilen, euch willkommen zu heißen.«

»So sage mir, ob ein Fremdling seit einiger Zeit in deinem Hause wohnt?«

»Es wohnt ein Fremder hier, ein frommer Mann aus Koniëh, der aber heute nicht in Adrianopel ist. Er ist nach Hadschi Bergas geritten.«

»Aus Koniëh? Wie nennt er sich?«

»Abd el Myrhatta ist sein Name. Er hat das Grabmal des berühmten Heiligen Myrhatta besucht, um ein Gelübde zu erfüllen; daher nennt er sich den Diener Myrhattas.«

»Warum wohnt er bei dir?«

»Ich selbst habe ihn eingeladen, bei mir zu bleiben. Er will in Brussa einen großen Bazar errichten und wird hier bedeutende Einkäufe machen.«

»Wohnt noch ein anderer Fremder bei dir?«

»Nein.«

»Wann kehrt er zurück?«

»Heute abend.«

»So wird er heute abend unser Gefangener sein!«

»Allah kerihm! Wie meinst du das? Dieser fromme Moslem ist ein Mann nach Allahs Wohlgefallen. Warum wollt ihr ihn gefangen nehmen?«

»Weil er ein Betrüger und noch etwas viel Schlimmeres ist. Er hat bemerkt, daß du ein frommer Diener Allahs bist, und hat, um dir wohlzugefallen, die Maske der Frömmigkeit vor sein Angesicht gelegt. Er ist kein anderer, als der Mann, welcher Senitza, das Weib Islas, aus ihrer Heimat entführte. Laß dir alles von Isla erzählen!«

Hulam erschrak, und Isla erzählte. Auch als er geendet hatte, wollte der alte Handelsherr es noch nicht glauben, daß er es mit einem Verbrecher zu tun habe. Er konnte nicht glauben, daß eine Maske so geschickt getragen werden könne.

»Seht ihn euch erst an und sprecht mit ihm,« sagte er, »so werdet ihr sehen, daß ihr euch täuscht!«

»Wir brauchen gar nicht mit ihm zu sprechen,« warf Osco ein; »wir brauchen ihn nur zu sehen, denn ich kenne ihn, und Isla kennt ihn auch.«

»Ihr braucht ihn weder zu sehen, noch zu sprechen,« fügte ich hinzu. »Ich bin gewiß, daß es Barud el Amasat ist. Abd el Myrhatta ließ sich auch Abrahim Mamur in Konstantinopel nennen, und ich vermute fast, daß auch Hamd el Amasat in Skutari den gleichen Namen angenommen hat.«

»Aber mein Gast kann doch der richtige Abd el Myrhatta sein!« warf Hulam ein.

»Das ist allerdings eine Möglichkeit, aber nicht wahrscheinlich. Wir werden also bis heute abend warten müssen.«

Weiter war nichts zu sagen und auch nichts zu tun. Wir erhielten nach alter, patriarchalischer Sitte ein jeder ein Zimmer und reine Kleider, welche wir anlegten, nachdem wir ein Bad genommen hatten. Dann versammelten wir uns zum Mahle, welches ein dem Reichtum des Hauses angemessenes war. Mit Ungeduld erwarteten wir dann den Abend, indem wir uns die Zeit bis dahin mit Gespräch und Schachspiel zu verkürzen suchten; denn auszugehen war nicht geraten, da ich es für sehr wahrscheinlich hielt, daß Barud el Amasat nur vorgegeben habe, nach Hadschi Bergas zu reiten. Jedenfalls hatte er Genossen in der Stadt, bei denen seine Gegenwart wohl etwas nötiger war, als in dem kleinen Orte, wo er gar nichts zu suchen hatte.

Endlich wurde es dunkel, und wir zogen uns, um beisammen zu sein, in das Zimmer zurück, welches Isla bewohnte. Hulam hatte uns gesagt, daß er mit seinem Gaste im Selamlik zu Abend speisen werde, und so beschlossen wir, daß er dann während des Essens von Isla und Osco überrascht werden solle, während wir drei anderen dafür sorgen wollten, daß er nicht entfliehen könne.

Wohl noch an die zwei Stunden vergingen, ehe wir den Schritt eines Pferdes vom Hofe herauf erklingen hörten, und eine Viertelstunde später benachrichtigte uns einer der Diener, daß der Herr mit seinem Gaste sich zum Abendmahle gesetzt habe. Wir gingen hinab.

Das Tor war verschlossen, und der Wächter desselben hatte die Anweisung erhalten, keinen Menschen hinaus zu lassen. Wir näherten uns mit leisen Schritten dem Selamlik, welches jetzt durch eine Ampel hell erleuchtet wurde, und nahmen zu beiden Seiten hinter den Pfeilern Platz. Wir konnten jedes Wort hören, welches von den beiden Essenden gesprochen wurde. Hulam, der scharf aufmerkte, hatte doch unsere Annäherung wahrgenommen und gab nun dem Gespräche eine auf unser Vorhaben bezügliche Wendung. Er brachte die Rede auf Konstantinopel und fragte bei dieser Gelegenheit:

»Bist du oft in Stambul gewesen?«

»Einige Male,« antwortete der Gefragte.

»So kennst du die Stadt ein wenig?«

»Ja.«

»Ist dir der Stadtteil bekannt, welchen man Baharive Keui nennt?«

»Ich glaube, von ihm gehört zu haben. Liegt er nicht oberhalb Eyub an der linken Seite des goldenen Hornes?«

»Ja. Dort hat sich jüngst etwas ganz Merkwürdiges zugetragen. Man hat nämlich eine ganze Gauner- und Mörderbande gefangen genommen.«

»Allah ‚l Allah!« rief der Mann erschrocken. »Wie ist das zugegangen?«

»Diese Menschen hatten ein Haus, in welches nur diejenigen Zutritt fanden, welche das Wort »en Nassr« sagten, und – —«

»Ist‘s möglich!« unterbrach ihn der Gast.

Aus dem Tone, mit welchem diese zwei Worte ausgestoßen wurden, klang nicht der objektive Abscheu des unbefangenen Zuhörers, sondern der subjektive Schreck des Beteiligten. Ich war jetzt überzeugt, daß dieser Mann der Gesuchte sei, und zum Ueberfluß flüsterte mir Osco, welcher neben mir stand, leise zu:

»Er ist es! Ich kann sein Gesicht deutlich sehen.«

»Dieses Wort aber hat man belauscht,« fuhr Hulam fort, »und ist mit Hilfe desselben in das Haus eingedrungen.«

Er erzählte nun die Begebenheit, und der Gast hörte ihm mit außerordentlicher Spannung zu. Der letztere fragte, als der Bericht beendet war, mit deutlich vibrierender Stimme:

»Und war der Usta wirklich erschossen?«

»Der Usta? Wer ist das? Wer wird so genannt? Ich habe das Wort ja gar nicht ausgesprochen!«

»Ich meine den Anführer, den du Abrahim Mamur nanntest.«

Durch die Anwendung des Wortes »Usta« hatte er sich verraten. Auch Hulam mußte nun wissen, woran er war; doch ließ er sich nichts merken, sondern antwortete ruhig:

»Nein, er war nicht tot; er hatte sich nur gestellt, als ob er von der Kugel getroffen worden sei. Aber am andern Tage fand er dennoch seinen Lohn. Er wurde von der Galerie des Turmes zu Galata herabgestürzt.«

»Wirklich? Schrecklich! Da war er tot?«

»Ja, er und ein Grieche Namens Kolettis, welcher auch mit herabgestürzt wurde.«

»Kolettis? ïa waïh! Wer hat sie herabgestürzt?«

»Ein Araber aus Tunis, aus der Gegend des Schott el Dscherid, der eine Blutrache gegen einen gewissen Hamd el Amasat hat. Dieser Amasat hat einen fränkischen Kaufmann in Blidah ermordet, den Neffen desselben erschossen und dann auch den Vater jenes Arabers auf dem Schott umgebracht. Der Sohn sucht ihn nun.«

»Allah kerihm! Was es für böse Menschen gibt! Das kommt aber daher, daß niemand mehr an die Lehre des Propheten glaubt! Wird der Araber diesen Hamd el Amasat finden?«

»Er ist ihm bereits auf der Spur. Dieser Mörder hat einen Bruder, welcher Barud el Amasat heißt und ein ebenso großer Schurke ist. Er hat die Tochter eines Freunds entführt und als Sklavin verkauft. Sie ist dem Käufer wieder entrissen worden, welcher kein anderer als jener Abrahim Mamur war, und Isla Ben Maflei, ein Verwandter von mir, hat sie zum Weibe genommen. Er hat sich aufgemacht, diesen Barud el Amasat aufzusuchen und zu bestrafen.«

Während dieser Rede war der Gast immer ängstlicher geworden; das Essen war ihm vergangen, und sein Blick hing mit wachsender Aufregung an den Lippen des Erzählers.

»Wird er ihn finden?« fragte er.

»Sicher! Er ist nicht allein. Osco, der Vater der Geraubten, ist bei ihm, sodann der fränkische Arzt, welcher Senitza befreite, sein Diener und endlich auch jener Araber, der Abrahim Mamur vom Turme gestürzt hat.«

»So haben sie wohl bereits seine Spur gefunden?«

»Sie kennen seinen Namen, den er jetzt trägt.«

»Wirklich? Wie nennt er sich?«

»Abd el Myrhatta. Auch der Usta ließ sich in Stambul so nennen.«

»Das ist ja mein Name!« rief er entsetzt.

»Allerdings. Allah weiß es, wie sie gerade auf den Namen eines so frommen Mannes gekommen sind! Ihre Strafe möge darum eine doppelte sein!«

»Aber wie hat man diesen Namen erfahren können?«

»Das will ich dir sagen. Barud el Amasat hat einen Sohn im Kloster der tanzenden Derwische in Pera. Zu ihm ist der fränkische Arzt gegangen und hat getan, als ob er auch ein »Nassr« sei. Der junge Mensch hat sich betören lassen und ihm den Namen genannt und auch gesagt, daß Barud el Amasat in Skutari bei einem fränkischen Händler sei, welcher Galingré heißt.«

Jetzt hielt es der Zuhörer nicht länger aus. Er stand auf und entschuldigte sich:

»Herr, das klingt so entsetzlich, daß ich nicht essen kann. Ich bin vom Reiten sehr ermüdet. Erlaube, daß ich schlafen gehe!«

Auch Hulam erhob sich.

»Ich glaube, daß du nicht zu essen vermagst. Wer eine solche Rede von sich hören muß, dem schließt die Angst die Gurgel zu.«

»Von sich hören muß? Ich verstehe dich nicht! Du glaubst doch nicht etwa, daß ich, weil er gerade meinen Namen angenommen hat, jener Barud bin!«

»Ich glaube es nicht, sondern ich bin überzeugt davon, Schurke!«

Da raffte sich der Mensch empor und rief: »Schurke nennst du mich! Tue das nicht noch einmal, sonst – —!«

»Sonst – was wird sonst geschehen?« erklang es da neben ihm.

Isla war hinzugesprungen und an seine Seite getreten.

»Isla Ben Maflei!« erklang es ganz bestürzt.

»Ja, Isla Ben Maflei, der dich kennt, und den du nicht zu täuschen vermagst. Und blicke dich um; da steht noch ein anderer, der mit dir zu reden hat!«

Er wandte sich zur anderen Seite, da stand Osco vor ihm. Er sah, daß er verloren sei, wenn ihm nicht eine schnelle Flucht gelang.

»Euch führt der Scheïtan herbei. Geht zur Dschehenna!«

Mit diesem Rufe stieß er Isla zurück und wollte entspringen. Er hatte bereits die Säulen erreicht; da trat Halef vor und stellte ihm ein Bein; er fiel über dasselbe hinweg und stürzte zur Erde nieder. Natürlich wurde er sogleich gepackt und in das Selamlik zurückgebracht.

Dieser Mann war ein Feigling. Als er sich von so vielen ergriffen sah, machte er nicht den geringsten Versuch der Gegenwehr; er ließ sich ruhig binden und auf den Boden niedersetzen.

»Herr, glaubst du nun noch an die Frömmigkeit dieses Mannes?« fragte der kleine Hadschi den Wirt. »Er wollte dich bestehlen und dann fliehen.«

»Ihr hattet recht,« antwortete der Wirt. »Was geschieht mit ihm?«

Da streckte Osco die Hand gegen den Gefangenen aus und sagte:

»Er hat mir die Tochter geraubt und mich hinausgetrieben, sie unter Gram und Herzeleid zu suchen. Er gehört mir, denn so wollen es die Gesetze der schwarzen Berge.«

Da trat ich ihm entgegen.

»Diese Gesetze gelten nur auf den schwarzen Bergen, nicht aber hier. Uebrigens hat der Fürst deines Landes diese Gesetze aufgehoben. Ihr habt mir versprochen, diesen Mann dem Richter zu übergeben, und ich hoffe, daß ihr Wort halten werdet.«

»Effendi, die Richter dieses Landes sind bekannt,« antwortete der Montenegriner. »Sie werden sich bestechen lassen und ihm Gelegenheit geben, zu entfliehen. Ich verlange ihn für mich!«

»Was wirst du mit ihm tun, wenn wir ihn in deine Hand geben?« erkundigte sich unser Wirt.

Der Gefragte zog seinen Dolch hervor und antwortete:

»Er wird an diesem Stahle sterben.«

»Das kann ich nicht zugeben, denn er hat kein Blut vergossen!«

»Er hat in Stambul zu den Mördern gehört!«

»Grad darum darfst du ihn nicht töten. Soll sein Sohn straflos bleiben? Sollen auch alle entkommen, die man nicht fangen konnte, obgleich sie zu denen gehörten, welche das Wort »en Nassr« kannten? Er muß leben bleiben, damit man ihre Namen erfährt.«

»Wer aber macht mich glauben, daß er auch wirklich seine Strafe findet?«

»Ich! Der Mann, welcher Hulam heißt, ist nicht der Geringste unter den Bewohnern dieser Stadt. Ich werde noch jetzt zu dem Richter gehen, damit er diesen Menschen abholen und gefangen nehmen läßt, und ich schwöre dir bei Allah und dem Propheten, daß er seine Pflicht erfüllen wird!«

»So tue es!« sagte Osco finster. »Aber ich sage dir, daß ich dich bei deinem Schwure festhalten werde so lange, bis ich gerächt worden bin!«

Barud el Amasat wurde eingeschlossen, und der grimmige Osco tat es nicht anders, er mußte mit ihm zusammengesteckt werden. Hulam begab sich zu dem Beamten, und wir warteten des Bescheides, den er bringen werde. Als er zurückkehrte, folgten ihm mehrere Khawassen, welche den Gefangenen abzuholen hatten. Er wurde ihnen übergeben, und als sie mit ihm verschwunden waren, konnten wir mit dem Bewußtsein zur Ruhe gehen, unseren Wirt vor Nachteil bewahrt und einen bösen Menschen unschädlich gemacht zu haben.

Der Richterspruch eines Kadi läßt nicht lange auf sich warten, und so beschlossen wir, zu bleiben, bis das Urteil gesprochen werde. Wir hatten nun Zeit, uns Adrianopel anzusehen.

Wir besuchten die Moschee Selims und Murads, ebenso eine türkische Medresse; dann durchwanderten wir den berühmten Bazar Ali Paschas und machten endlich eine Kahnfahrt auf der Maritza, an welcher die Stadt liegt. Zur Mittagszeit kehrten wir heim und fanden eine Vorladung vor, bei dem Kadi zu erscheinen. Um neun Uhr türkischer Zeit, was nach unserer Uhr nachmittags drei Uhr ist, erschienen wir vor dem Richter.

Das Verhör war ein öffentliches, und es hatte sich ein zahlreiches Publikum eingefunden. Ein jeder einzelne von uns mußte seine Aussage tun, und der Gefangene saß dabei, um es zu hören. Als wir alle gesprochen hatten, fragte der Kadi den Angeklagten:

»Du hast gehört, was diese Männer sagen. Ist es wahr oder nicht?«

Der Gefragte antwortete nicht; der Kadi wartete eine Minute und fuhr dann fort: »Du kannst also nichts sagen, um die Anklage dieser Männer zurückzuweisen, und bist also alles dessen schuldig, wessen sie dich bezichtigt haben. Da du ein Glied der Bande bist, welche in Stambul sündigte, so muß ich dich dorthin schaffen; dort wirst du auch die Strafe für den Raub des Mädchens erfahren; aber dafür, daß du es gewagt hast, hier in Edreneh ein Verbrechen begehen zu wollen, werde ich dir hundert Streiche auf die Füße geben lassen. Das wird sogleich geschehen!«

Er winkte den Khawassen, welche in seiner Nähe standen, und gebot ihnen:

»Holt das Brett und die Stöcke!«

Zwei von ihnen entfernten sich, um die angegebenen Gegenstände herbeizuschaffen.

Außer den Beamten und den Parteien war auch ein zahlreiches Publikum anwesend, welches sich eingestellt hatte, um das Schauspiel dieser Verurteilung zu genießen. In diesem Augenblick machte sich im Publikum eine Bewegung geltend, welche an sich zwar unbedeutend war, einem aufmerksamen Beobachter aber nicht entgehen konnte. Es drängte sich nämlich ein Mann langsam, doch nachhaltig von hinten nach vorn. Mein Blick fiel auf ihn. Er war lang und hager gebaut, hatte sich in die Tracht der gewöhnlichen Bulgaren gekleidet, schien mir aber keiner zu sein. Sein langer Hals, die Habichtsnase, das lange, schmale Gesicht mit dem herabhängenden Schnurrbart, die außerordentlich gewölbte Brust, das alles ließ in ihm eher einen Armenier als einen Bulgaren vermuten.

Weshalb drängte dieser Mann sich nach vorn? Tat er es nur aus einfacher Neugierde, oder hatte er vielleicht einen besonderen Zweck? Ich beschloß, ihn genau zu beobachten, es aber nicht merken zu lassen.

Die Khawassen kamen zurück. Der eine von ihnen trug einige jener ominösen Stöcke, welche bei der Bastonnade unumgänglich notwendig sind; der andere ein Brett, an welchem sich vorn und in der Mitte hänfene Schlingen befanden, um Arme und Leib des Delinquenten festzuhalten. Am hinteren Teile war eine einfache Vorrichtung angebracht, um die Beine des Verurteilten emporzuhalten, damit die entblößten Fußsohlen in eine horizontale Lage kamen.

»Zieht ihm das Gewand und die Schuhe aus!« befahl der Kadi.

Die Khawassen traten zu ihm heran, um den Befehl zu vollführen. Da endlich zeigte er, daß er sprechen könne.

»Halt!« rief er. »Ich lasse mich nicht schlagen!«

Die Augenbrauen des Kadi zogen sich zusammen.

»Nicht?« fragte er. »Wer will es mir verbieten, dir die Bastonnade geben zu lassen?«

»Ich!«

»Hund! Wagst du, so mit mir zu sprechen! Soll ich dir zwei Hundert geben lassen, anstatt nur ein Hundert?«

»Nicht einen einzigen Schlag darfst du mir geben lassen! Du hast wohl verschiedenes gesagt und gefragt; aber das Notwendigste hast du doch vergessen. Oder hast du dich etwa erkundigt, wer und was ich bin?«

»Das ist nicht nötig! Du bist ein Mörder, ein Dieb. Das ist genug.«

»Ich habe bis jetzt noch nicht das Geringste zugegeben. Aber schlagen lassen darfst du mich auf keinen Fall.«

»Warum?«

»Weil ich kein Moslem bin, sondern ein Christ.«

Während dieser Worte hatte er den Fremden bemerkt, der sich herbeigedrängt hatte. Dieser hütete sich wohl, eine verräterische Bewegung zu machen, welche ihn in den Verdacht der Bekanntschaft oder gar des Einvernehmens mit dem Anderen hätte bringen können. Aber seine Miene, sein Blick, seine ganze Haltung war darauf berechnet, sich ihm zu zeigen und ihm Mut einzuflößen.

Man sah es dem Kadi an, daß die soeben vernommenen Worte doch einigen Eindruck auf ihn machten.

»Ein Giaur bist du?« fragte er. »Wohl gar ein Franke?«

»Nein; ich bin ein Armenier.«

»Also doch ein Untertan des Padischah, dem Allah tausend Leben schenken möge! Da darf ich dich also auch schlagen lassen.«

»Du irrst,« antwortete der Armenier, indem er sich bemühte, eine möglichst sichere Haltung anzunehmen und seinem Tone einen stolzen Ausdruck zu geben. »Ich stehe nicht unter dem Sultan, auch nicht unter dem Patriarchen. Ich bin der Geburt nach ein Armenier; aber ich bin ein evangelischer Christ geworden und als Dolmetscher bei der englischen Gesandtschaft angestellt. Ich bin in diesem Augenblick englischer Untertan und mache dich auf die Verantwortung aufmerksam, welche du auf dich ladest, wenn du mich als Untertan des Großherrn behandeln und nun gar schlagen lassen willst!«

Der Kadi machte ein sehr enttäuschtes Gesicht. Er hatte es sich vorgenommen gehabt, dem in Adrianopel so hoch angesehenen Hulam nach allen Kräften zu Diensten zu sein, und nun kam ihm diese Aussage des Armeniers dazwischen.

»Kannst du es beweisen?« fragte er ihn.

»Ja.«

»So beweise es!«

»Frage bei der englischen Gesandtschaft in Stambul an!«

»Nicht ich bin es, sondern du bist es, der den Beweis zu führen hat!«

»Ich kann ihn nicht führen, da ich ja Gefangener bin.«

»So werde ich einen Boten nach Stambul senden. Aber die hundert Streiche werden sich in das Doppelte verwandeln, wenn du mich belogen hast!«

132.Unteroffizier.
133.Arbeitsstube.
134.Empfangszimmer.
Yaş sınırı:
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Litres'teki yayın tarihi:
30 ağustos 2016
Hacim:
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