Kitabı oku: «Waldröschen X. Erkämpftes Glück. Teil 3», sayfa 18
27. Kapitel
Die Bewohner des schönen Landsitzes Rodriganda waren bereits von allem unterrichtet, was in Mexiko geschehen war, und vor einigen Tagen war aus Spanien durch Sternaus Hand die Nachricht gekommen, daß alles gut gehe und der falsche Alfonzo nebst der Schwester Clarissa sich bereits in Haft befinde. Zarba, die Zigeunerin, hatte man nebst ihrer Bande nicht aufzufinden vermocht, was um so auffälliger war, da auch Tombi, der Waldhüter, aus Rheinswalden verschwunden war. Dafür aber hatte man den alten Dominikaner aufgefunden, der Marianos Jugendlehrer gewesen war, seine Abstammung aus der Beichte des Bettlers Pedro kannte und Sternau aus dem Gefängnis zu Barcelona befreit hatte. Daran hatte letzterer die Bemerkung geschlossen, daß es ihm und seinen Gefährten vielleicht möglich sei, nach Verlauf von vierzehn Tagen nach Rheinswalden aufzubrechen.
Diese Nachricht hatte alle mit großer Freude und Wonne erfüllt. Endlich, endlich stand das so heißersehnte Wiedersehen bevor. Der Seelenzustand der Bewohner von Rheinswalden und Rodriganda läßt sich gar nicht beschreiben, er war ein fast fieberhafter zu nennen.
Zu dieser gehobenen, freudigen Stimmung paßte ganz der Vorschlag, den der Großherzog in seinem Schreiben machte. Er war von dem Herzog von Olsunna in einer Audienz von dem Stand der Dinge unterrichtet worden, und es lag auf der Hand, daß er mit der Maskerade bezweckte, ein Bild des Volkes zu geben, in dessen Mitte die Zurückerwarteten so viele Freunde, aber auch ebenso viele Feinde gefunden hatten.
Selbstverständlich wußte niemand, daß auch die Zurückkehrenden als Maskierte erscheinen würden.
Die Anweisung des Zeremonienmeisters war eine sehr ausführliche. Der Hauptmann hatte sie seinem Ludwig nicht vollständig vorgelesen. Sie enthielt genau Angaben über die Kleidung der einzelnen Personen. Daß jeder das Gesicht mit einer Larve zu verhüllen hatte, war selbstverständlich.
Die Vorbereitungen zu dem Fest begannen auf der Stelle, und am Tag vor dem Fest waren alle Gaderobenstücke fertiggestellt.
Waldröschen befand sich wie in einem glücklichen, wonnigen Traum. Sie sollte den Vater sehen, den ihre Augen noch nie erblickt hatten, und den – Geliebten. Die Erwartung trieb sie bin und her und auf und ab. Gegen Abend des erwähnten Tages konnte sie es im Schloß nicht aushalten, sie mußte hinaus in ihren lieben Wald, um sich die Szene des frohen Wiedersehens zum tausendsten Male in einsamer Stille auszumalen.
Zu derselben Stunde saßen in einem Dickicht zwei Männer beisammen, die leise miteinander sprachen.
»Ob Sie sich nicht irren werden, lieber Geierschnabel«, flüsterte der eine. – »Sicher nicht, Master Sternau«, antwortete der andere. »An jedem der vier Tage, die ich hier auf der Lauer lag, ist der alte Graf im Wald herumspaziert. Er spricht leise vor sich hin und findet sich vor der Dämmerung nach dem Schloß zurück. Er scheint die Wege zu kennen.« – »Gott gebe, daß es mir gelingt! Wie gern hätte ich meinem Herzen gefolgt, aber es galt, den Willen des Großherzogs zu berücksichtigen. Ah, da höre ich Schritte!«
Sie lauschten. Es nahte jemand leise, langsam, fast schleichend. Graf Emanuel war es, der wie ein Nachtwandler geistesabwesend vorüberging. Sternau huschte hervor, ging ihm nach und holte ihn ein.
Der Graf erschrak nicht, als er ihn bemerkte, sondern setzte teilnahmslos seinen Weg fort, als ob niemand vorhanden sei. Sternau grüßte ihn und versuchte, mit ihm zu sprechen, erhielt aber keine Antwort als ein monotones: »Ich bin der gute, treue Alimpo.«
Sternau ergriff daraufhin die Hand des Grafen, sie wurde ihm auch ohne Widerstand gelassen. Er blieb stehen, um die halbgeschlossenen Lider des Geisteskranken emporzuziehen. Dieser ließ es ruhig geschehen und leistete auch nicht den leisesten Widerstand, als Sternau eine eingehende Untersuchung des Körpers vornahm.
Schließlich zog der Arzt ein Fläschchen und ein Löffelchen aus der Tasche, ließ aus dem ersteren in dieses einige Tropfen fließen und reichte sie dem Grafen, der sie wie ein Kind nahm und hinunterschluckte.
»Pst! Man kommt!« warnte Geierschnabel, der den Wächter machte und nach dieser Mahnung sofort verschwand.
Auch Sternau wollte sich zurückziehen, doch zu spät. Er konnte nur noch Flasche und Löffel verbergen, dann stand – Waldröschen vor ihm.
Sie blickte den großen Mann mit dem langen, prachtvollen Bart ein wenig befremdet an, aber nach diesem ersten Blick wurde ihr Auge mild und freundlich. Es war ihr, als ob sie diese Gestalt und dieses ernste, bedeutende Gesicht bereits längst gekannt habe, eine Regung, die sie an sich noch niemals beobachtet hatte.
»Wer sind Sie mein Herr?« fragte sie in freundlichem Ton, der keine Spur von Zudringlichkeit hatte.
Sternau hatte sie sofort erkannt. Das war nicht nur das Original jener Fotografie, die er in der Kajüte auf Lindsays Dampfer gesehen hatte, sondern das Ebenbild seiner Rosa, aber verjüngt und verschönt durch ein seelisches Etwas, das sich nicht in Worten beschreiben läßt.
Er hätte die Arme fest um sein Kind schlingen mögen, aber er beherrschte sich und antwortete im Ton eines höflichen Unbekannten:
»Ich bin Landschaftsmaler, mein Fräulein, und durchstrich den Wald, in der Hoffnung, ein Sujet zu einer kleinen Skizze zu finden. Dabei traf ich diesen Herrn, der mir des Schutzes bedürftig zu sein schien; daher begleitete ich ihn.« – »Ich danke Ihnen. Er ist mein Großpapa. Er ist sehr krank, doch kennt er den Weg so genau, daß er sich nie verirrt. Wollen Sie nicht weiter mitkommen? Vielleicht finden sich in der Nähe des Schlosses Punkte, die Ihrem Künstlerauge genügen.« – »Sie sind gütig, mein Fräulein, aber leider ist meine Zeit so kurz bemessen, daß ich heimkehren muß.« – »Wo wohnen Sie?« – »In Mainz. Darf ich fragen, wem dieses Schloß gehört?« – »Meinem Großpapa, dem Herzog von Olsunna.« – »Ah, Verzeihung, gnädiges Fräulein, daß ich das nicht ahnte!«
Sternau zog den Hut abermals, aber viel tiefer als vorher und machte dazu eine höchst respektvolle Verbeugung.
»O bitte«, meinte Waldröschen, indem sie ein reizendes, goldenes Lachen hören ließ. »Man beansprucht hier auf dem Lande keine solche Verehrung. Ich habe Sie noch nie gesehen. Durchstreifen Sie öfters unseren Wald?« – »Ich war noch niemals hier, fürchte auch, Ihr Mißfallen …« – »O nein«, unterbrach sie ihn schnell. »Die Natur ist ja jedes Eigentum, und jeder hat das Recht, ihre Schönheit zu bewundern. Vielleicht treffen wir uns noch einmal hier.« – »Ich würde glücklich darüber sein.« – »Oh, ich liebe die Kunst, die es sich zur Aufgabe stellt, uns Gott in seinen Werken erkennen zu lassen. Sehen wir uns wieder, so können wir dieses Themas festhalten! Adieu, mein Herr. Komm, lieber Großpapa.«
Waldröschen verbeugte sich mit entzückender Anmut, ergriff die Hand des Grafen und schritt mit diesem davon.
Sternau blickte ihr nach, so lange er konnte, dann lehnte er sich an den Stamm des nächsten Baumes, faltete die Hände, hob die Augen zum Himmel empor und betete halblaut:
»Mein Gott, wie reich hast Du mich mit Deiner Güte begnadigt! Jeder Augenblick meines Lebens soll ein Dankgebet für Dich sein!«
Der nächste Tag brach hell und goldig an, und reges, frohes Leben herrschte in dem Schloß. In Küche und Keller legte man die letzte Hand an. Alles sah dem Abend mit Spannung entgegen. Niemand ahnte, was er in Wirklichkeit bringen werde. Aller Stirnen zeigten Heiterkeit, doch wurde diese gestört, als man gegen Mittag die Entdeckung machte, daß Graf Emanuel noch nicht von seinem Schlaf erwacht sei. Man versuchte, ihn zu wecken, doch vergebens. Nun wurde ein Bote nach dem Arzt geschickt. Dieser kam, untersuchte den Kranken und beruhigte dessen Verwandte durch die Versicherung, daß es sich hier nicht um einen besorgniserregenden Zustand, sondern um einen ungewöhnlich festen Schlaf handle, wie er bei solchen Patienten nicht sehr selten zu beobachten sei. Da er sich bereit erklärte, bei dem Schläfer bis zu dessen Erwachen zu bleiben, so kehrte nach dieser Unterbrechung die gute Stimmung bald zurück.
Um die vom Herzog angegebene Zeit erstrahlten alle Gesellschaftsräume im Lichterglanz. Alle fanden sich ein, alle trugen Masken, nur die Herzogin, Sternaus Mutter, nicht, da sie die Gäste empfangen wollte.
Die mexikanische Nationaltracht kleidete die Herren und besonders die Damen außerordentlich gut. Gräfin Rosa glich einer Königin des Sonnenreiches von Anahuac, wurde aber doch noch überstrahlt von dem Liebreiz Röschens, die sich in dieser Verkleidung geradezu bezaubernd ausnahm.
Der kleine Alimpo stolzierte an der Seite seiner Elvira her. Er als Indianerhäuptling und sie als Indianerin waren trotz dieser Umwandlung zu erkennen. Auch der alte Hauptmann war eingetroffen mit seiner riesigen Nase, in deren Schatten Ludwig als Präriejäger sich bewegte.
Da hörte man Karossen rollen, und einige Augenblicke später drangen zahlreiche Gestalten in den Saal, männliche und weibliche, große und kleine, glänzende und bescheidene. Es erfolgte zunächst ein wirres Durcheinander, ein Suchen, Prüfen, Finden, Zweifeln und wieder Verlieren, bis endlich einige Ordnung in die Bewegung zu kommen schien. Von den Schloßbewohnern vermutete natürlich niemand, daß Sternau und die anderen Erwarteten darunter waren, denn dieselben sollten ja direkt von der Reise eintreffen.
Kein einziges Gesicht war zu erkennen, alle waren durch Larven unkenntlich gemacht; sogar Sternaus Mutter hatte gleichfalls eine vorgenommen, als sie erkannte, daß es bei dem schnellen Eintritt der Gäste unmöglich sei, dieselben nach den gegebenen Regeln zu empfangen.
Von den Masken, die Paare bildeten, hatten zwei sich sofort und zu allererst zusammengefunden; der Oberförster hatte unweit des Einganges gestanden, als die Gäste kamen; da war einer derselben auf ihn zugesprungen und hatte ihm unter einem Schlag auf die Schulter zugerufen:
»Spitzbube! Wilddieb! Wollen wir Kompanie machen?«
Der Sprecher trug dieselbe Kleidung wie der Alte und hatte eine ebenso lange Nase.
»Halte den Mund, Kerl!« schimpfte der Hauptmann. »Es ist ja nur Verkleidung!« – »Das wollen wir untersuchen. Komm, Bursche!«
Der Langnasige faßte den Alten an und riß ihn mit sich fort. Als dieses Paar ein entferntes Zimmer erreicht hatte, wo sie unbelauscht waren, meinte die andere Maske:
»Sie sind der Herr Hauptmann Rodenstein?« – »Ja, aber ich darf es nicht verraten, so lange ich diese verteufelte Maske trage. Wer sind denn Sie?« – »Raten Sie!« – »Unsinn, raten! Nehmen Sie diese Nase herunter, damit ich Ihre Visage betrachten kann.« – »Das geht nicht, mein Lieber. Diese Nase ist leider angewachsen.« – »Donnerwetter! Das macht mir niemand weis. Eine solche Gesichtsturbine kann es in Wirklichkeit gar nicht geben.« – »Überzeugen Sie sich.«
Der Sprecher zog ein Tuch aus der Tasche und wischte sich mit demselben die roten und schwarzen Farben aus dem Gesicht Der Alte starrte ihn mit immer größer werdenden Augen wie abwesend an und rief:
»Alle guten Geister loben … Das ist ja …« – »Nun, wer denn?« – »Storch – ja Storchschnabel!« – »Falsch.« – »Kreuzschnabel.« – »Falsch.« – »Grünschnabel.« – »Noch falscher.« – »Löffelgans.« – »Hurrje! Sind Sie denn verrückt? Ist das Wort Geierschnabel denn so schwer zu merken?« – »Geierschnabel! Ah, ja, Geierschnabel! Aber, Kerl, auf welche Weise bringt denn der Geier seinen Schnabel wieder hierher?« – »Das werden Sie sehr bald erfahren. Aber, sagen Sie einmal, ob Sie wissen, in welchem Zimmer sich Graf Emanuel befindet.« – »Natürlich weiß ich es.« – »Zeigen Sie mir die Tür.« – »Warum, Sie Teufelsschnabel?« – »Fragen Sie nicht, sondern halten Sie den Hauptmannsschnabel!«
Dabei faßte Geierschnabel den Hauptmann an und zog ihn aus dem Zimmer.
Alimpo und Elvira waren zwei Indianern nebst einer Indianerin in die Hände geraten, die dem Ehepaar nicht wenig zu schaffen machten. Auf Frau Helmers war ein Schiffer zugeeilt, hatte ihren Arm in den seinen genommen und sie mit sich fortgeführt. Sie traten in ein kleines Zimmer, die Tür desselben wurde verschlossen, und dann ließ sich ein Jubelschrei im Inneren vernehmen. Kurts Vater hatte sich seiner Frau zu erkennen gegeben.
Ein kleiner Kerl, als Präriejäger gekleidet, trat auf Ludwig zu und faßte diesen beim Arm.
»Glück gehabt auf der Jagd, Kamerad?« fragte er. – »Das ist Neugier!« meinte Ludwig. »Aber heute abend wird es gemütlich. Wollen wir in Gemeinschaft einen Bock schießen dahier?« – »Meinetwegen. Komm, Kumpan! Ich kenne einen Wechsel, wo du ganz sicher zum Schuß kommst.«
Auch die beiden verließen den Saal. Es gab im Schloß Zimmer genug zu allerlei Szenen unter vier Augen. Der brave Ludwig folgte dem Kameraden in eins derselben. Dort nahm der letztere seine Larve ab.
»Ludwig Straubenberger, kennst du mich?« fragte er.
Der Gefragte starrte den Sprecher an, schüttelte den Kopf und antwortete:
»Dieses Gesicht muß ich schon einmal gesehen haben, aber wo? Ich kann mich nicht besinnen.« – »So will ich es kurz machen und es dir sagen. Ich bin der Brauer Andreas Straubenberger, dein ehemaliger Nebenbuhler, jetziger Bruder und glücklicher Bräutigam einer ganz famosen Heißgeliebten.«
Da erbleichte Ludwig. Er griff in die Luft, als ob er fallen wollte.
»Ist‘s wa- wahr«, stotterte er. – »Natürlich, ja. Herunter mit deiner Larve, damit ich dein gutes, liebes Gesicht zu sehen bekomme!«
Nun hätte ein Lauscher in diesem Zimmer ein zweistimmiges Schluchzen hören können, das von Freudenrufen unterbrochen wurde.
Waldröschen hatte an der Seite der Mutter gestanden. Da war ein geschmeidiger, reichgekleideter Mexikaner auf sie zugetreten, hatte sich tief verneigt und dann ihren Arm in den seinigen genommen, um langsamen Schrittes mit ihr im Saal auf und ab zu spazieren.
»Darf ich um Ihren Namen bitten, Señorita?« fragte er.
Die Larve war Schutz genug, die Stimme nicht erkennen zu lassen.
»Wozu? Sie würden meinen mexikanischen Namen doch nicht auszusprechen vermögen«, antwortete sie. – »Den Ihrigen jedenfalls. Im Falle der Not aber würde ich ihn deutsch aussprechen.« – »Da klingt er häßlich.« – »Wie? Ist ›Waldröschen‹ ein so häßliches Wort?« – »Ah, Sie erkennen und verraten mich! Das ist nicht chevaleresk von Ihnen. Es muß bestraft werden.«
Sie entzog ihm rasch ihren Arm und entfloh. Sie wollte ihre Mutter aufsuchen, fand dieselbe aber auch bereits engagiert.
Ein hoch und breit gebauter Mexikaner, unter dessen Larve ein mächtiger Bart hervorwallte, hatte von Geierschnabel einen Wink erhalten und war ihm hinaus auf den Korridor gefolgt.
»Da hinten, die vorletzte Tür, Master Sternau.« – »Schön. Ich danke.«
Sternau schritt auf diese Tür zu, klopfte an und trat ein. Der Arzt saß am Bett des Schläfers. Sternau bog sich wortlos über den letzteren, schob seine Augenlider empor, prüfte die Pupille und beobachtete den Schlag des Pulses.
»Ein krampfhafter Schlaf, nicht gefährlich«, erklärte der Arzt, der glaubte, einen Herrn des großherzoglichen Hofes vor sich zu haben.
Sternau zuckte wie mitleidig die Achsel und antwortete:
»Dieser Kranke wird in fünf Minuten erwachen und gesund sein.«
Nach diesen Worten verließ Sternau das Zimmer und kehrte nach dem Saal zurück. Dort ging er auf Rosa zu und legte ihre Hand auf seinen Arm. Es war ihr, als ob die Hand dieses kräftigen Mannes zittere. Sie mußte bei dem Anblick dieser Gestalt an ihren Gatten denken.
Er führte sie in eine Fensternische und sagte:
»Ich möchte Ihnen zu dem heutigen Tag gratulieren, gnädige Frau. Werden Sie mir das erlauben?«
Seine Stimme hatte einen vibrierenden, belegten Ton, dessen Ursache nicht allein die Maske sein konnte.
»Ich danke Ihnen, Señor«, antwortete sie. »Dieser Tag ist für mich leider mehr ein Tag der Trauer als der Freude.« – »Ich halte ihn aber dennoch nur für einen Tag der Freude.« – »So sind Ihnen die Verhältnisse meiner Familie unbekannt.« – »Nicht doch, ich kenne sie sehr genau und weiß, daß Ihrer eine große Freude wartet.« – »Wo?« – »Vertrauen Sie sich mir an, so werde ich es Ihnen zeigen.«
Sternau führte Rosa aus dem Saal hinaus und nach dem Krankenzimmer; wo er auf den ersten Blick bemerkte, daß sich die Wangen des Grafen zu röten begannen.
»Verlassen Sie uns!« gebot er dem Arzt. – »Verzeihung! Mein Platz ist hier«, antwortete dieser.
Da nahm Sternau Rosa ohne Umstände die Maske ab.
»Sie erkennen die Tochter dieses Patienten«, sagte er. »Das wird genügen, uns allein zu lassen.«
Der Arzt zog sich zurück. Rosa blickte auf den Maskierten und fragte:
»Was bezwecken Sie, Señor?« – »Bitte setzten Sie sich so zu Ihrem Papa, daß sein Blick sofort auf Sie fällt.« – »Wird er erwachen?« – »In einer halben Minute.« – »Wie gut! Ich glaubte ihn in Gefahr. Sind Sie Arzt?« – »Ein wenig. Bitte zu schweigen.«
Sternau ergriff die Hand des Patienten und behielt sie in der seinigen, bis er plötzlich sie losließ und hinter das Kopfende des Bettes trat.
Der Graf regte sich, öffnete die Augen, ließ sie langsam durch das Zimmer gleiten, wie einer, der vom Schlaf erwacht, bis sie Rosa trafen. Er blickte sie lange und forschend an und sagte mit leiser Stimme:
»Mein Gott! Wo bin ich? Was habe ich geträumt? Das ist ihr Gesicht und doch auch nicht. Rosa, meine liebe Rosa, bist du es? Wo ist Señor Sternau, der mich gerettet hat?«
Rosa war totenbleich geworden. Sie saß starr, als hätte sie der Schlag getroffen. Dann aber fuhr sie mit einem Schrei empor und rief:
»Vater, mein Vater. Kennst du mich? Kennst du mich wirklich?«
Da zog ein seliges Lächeln über sein Gesicht, und er antwortete:
»Ja, ich kenne dich. Du bist meine Rosa, mein Kind. Du bist heute anders als sonst, aber du bist es doch. Laß Cortejo und Clarissa und Alfonzo nicht zu mir. Sternau mag wachen. Ich bin so müde, ich muß schlafen. Komm, gib mir den Abendkuß, mein Kind, und sei morgen recht bald bei mir.«
Da hob sich Rosas Brust, als ob sie gesprengt werden solle, ihre Lippen und Zähne preßten sich zusammen, aber sie vermochte nicht, das, was sich in ihr aufbäumte, zurückzudrängen. Ein fast unmenschlicher Schrei kam aus ihrem Mund, eine ganze Flut von Tränen aus ihren Augen, und dann lagen ihre Lippen auf denen des Vaters. Sie drückte das teure Haupt an ihre Brust, sie küßte und küßte es wieder und wieder, bis sie endlich merkte, daß der Vater entschlummert sei. Da erhob sie sich. Ihr Auge traf Sternau, es blieb forschend, flammend auf ihm haften. Ihr Busen wogte, ihre Pulse glühten, und ihre Lippen, ihre Glieder zitterten.
»Señor«, stieß sie in fliegender Hast hervor, »Ist mein Vater geheilt?« – »Ja, Señora«, antwortete er mühsam. – »Erwacht zu neuem, geistigen Leben?« – »Ja, Señora, der Wahnsinn ist – ist be- ist be…« – »Besiegt« wollte er sagen, aber der Sturm der Gefühle, die er nicht länger zu beherrschen vermochte, machte es ihm unmöglich, auszureden. Rosa begann zu wanken, aber sie nahm alle Kraft zusammen.
»Das vermag nur einer«, rief sie, die Arme gegen ihn ausbreitend. »Sternau! Carlos! Karl, mein Karl!« – »Rosa, Gott, Gott, meine Rosa!« antwortete er, die Maske vom Gesicht reißend.
Im nächsten Augenblick lag sie ohnmächtig an seinem Herzen.
Die folgenden Minuten gehören hinter den Vorhang des Allerheiligsten. Kein profanes Auge darf bis zum Thron der göttlichen Liebe dringen, die sich in der menschlichen offenbart.
Nachdem über eine halbe Stunde vergangen war, verließen sie Arm in Arm und wieder maskiert das Gemach, in dem der Graf seinem völligen Erwachen entgegenschlief.
»Nun zu Rosita, meinem süßen Kind!« sagte Sternau.
Sie suchten im Saal nach ihr, ohne sie zu finden. Da trafen sie auf Geierschnabel, der die vorher fortgewischten Striche und Punkte in seinem Gesicht wieder erneuert hatte.
»Suchen Sie Waldröschen?« fragte er, ihre Absicht erratend. – Ja«, antwortete Sternau. – »Kommen Sie!«
28. Kapitel
Kurt war es doch geglückt, sich Röschens noch einmal zu bemächtigen. Ihre Flucht war nur ein Scherz gewesen, und nun lauschte sie ganz aufmerksam dem, was er sagte.
»Bitte, mir zu verraten, wer von den Herren der Großherzog ist«, bat sie ihn. – »Muß ich aufrichtig sein?« – »Natürlich! Ich befehle es!« – »Nun, so muß ich gehorchen. Keiner ist es.« – »Wie? Er ist nicht hier?« meinte sie erstaunt. – »Nein, aber er wird noch eintreffen.« – »Warum so spät?« – »Um nicht bei gewissen Überraschungen zugegen zu sein, wo er nur stören würde.« – »Welche Geheimnisse wären das?« – »Es sind verschiedene, von denen ich nur eines Ihnen enthüllen dürfte.« – »So sprechen Sie!« – »Hier nicht. Bitte, kommen Sie!«
Kurt zog Röschen mit sich fort, hinaus, den Korridor hinab, bis zu einer Tür, an deren Klinge er probierte.
»Was wollen Sie?« fragte sie, ein wenig ängstlich. »Hier kann niemand herein. Das ist das Stübchen, das Leutnant Kurt Helmers zu bewohnen pflegte. Er ist abwesend.« – »Hat er den Schlüssel mitgenommen?« – »Es scheint so. Alimpo hat einen zweiten.« – »Und ich einen dritten.«
Kurt brachte einen Schlüssel aus der Tasche hervor, öffnete die Tür und trat ein, ohne Röschen loszulassen.
»Mein Gott, ich verstehe Sie nicht«, wehrte sie.
Sein Blick durchflog das Zimmerchen, das durch eine der Tür gegenüberhängende Lampe Licht erhielt.
»Sie verstehen mich nicht?« rief er beinahe jubelnd aus. »Oh, ich will Ihnen sagen, daß während der Abwesenheit dieses garstigen Helmers ein allerliebstes Waldröschen, jedenfalls mit Hilfe von Alimpos Schlüssel, zuweilen hier geblüht und geduftet hat. Dieser Stickrahmen, dieses Album, diese Bouquetts verraten es mir.«
In diesem Augenblick flammte ein Hölzchen in seiner Hand. Er zündete die auf dem Tisch stehende Kerze an und schloß dann die Tür. Röschen war von diesem sicheren Gebaren so überrascht, daß sie vergaß, ihm hindernd entgegenzutreten.
»Ja«, fuhr er fort, »so ist es, wenn zu einem Zimmer drei Schlüssel vorhanden sind.«
Da gewann sie ihre Sprache wieder.
»Von wem haben Sie den Ihrigen, mein Herr?« fragte sie. – »Von dem da!«
Bei diesen Worten nahm Kurt die Maske ab. Röschen fuhr einen Schritt zurück, dann aber warf sie sich ohne Rückhalt mit einem lauten Jubelruf in seine Arme.
»Kurt! Mein Kurt, mein lieber, lieber Kurt. Du bist es, du? O du schlimmer, du gefährlicher, hinterlistiger Intrigant. Ich muß dich streng, sehr streng bestrafen.« – »Mit einem Kuß, meine Rosita, nicht wahr?« – »Nein, sondern mit dreien oder gar noch mehr!« – »Auf diese Maske?« fragte er sie, glücklich lächelnd. – »Ah, wahrhaftig, ich habe das häßliche Ding noch dran. Komm, du Retter meines Vaters, du darfst mich küssen ohne Maske!«
Sie riß die Maske vom Gesicht und warf sie zu Boden; dann lagen sie sich am Herzen und tauschten Kuß um Kuß in seliger Vergessenheit, Sie merkten nicht, daß draußen Schritte erklangen; sie bemerkten ebensowenig, daß die Tür geöffnet wurde und daß zwei Personen unter derselben erschienen und dort stehenblieben.
»Oh, wie unendlich glücklich bin ich, dein liebes, liebes Gesichtchen wiederzusehen!« sagte Kurt. – »Ich bin nicht minder glücklich!« gestand sie ihm. »Aber, nicht wahr, du bringst mir den Vater mit?« – Jawohl, jawohl, du herziges Röschen. Ich bringe dir ihn mit und werde ihn bitten, dir all meine Geschmeide aus der Höhle des Königsschatzes schenken zu dürfen, obgleich der garstige Hauptmann einst sagte, daß ich mir keine so großen Rosinen in den Kopf setzen solle.« – »Ich nehme es an, ich nehme es an. Ich habe dir das ja versprochen unter der Bedingung, daß du meinen lieben, guten, armen Vater rettest. Aber wo hast du ihn? Wo befindet er sich?« – »Hier!«
Dieses Wort ertönte von der Tür her. Rosa hatte es ausgesprochen. Die beiden fuhren auseinander.
»Mama!« rief Röschen bestürzt. – »Gnädige Frau!« sekundierte Kurt erschrocken.
Da nahmen die Eltern ihre Masken ab und traten näher.
»Fürchte dich nicht, mein lieber Kurt!« sagte Sternau. »Glaubst du, ich könnte den Augenblick vergessen, in dem du in unser Gefängnis tratest und den Kerkermeister niederwarfst, um uns zu retten? Wollte ich daran nicht denken, so würde Gott, der ein Vergelter aller Taten ist, meiner auch vergessen.«
Röschen erkannte den Mann, mit dem sie bereits gestern gesprochen hatte. Es wurde ihr hell und sonnenklar im Köpfchen und im Herzen.
»Vater, mein Vater!« rief sie aus, und im nächsten Augenblick hing sie an seinem Hals. »Vater, mein armer, mein schöner, mein stolzer Vater. Ich bin deine Rosita, dein Kind, deine Tochter, dein Röschen, das gestorben wäre, wenn du noch länger gezögert hättest, zu kommen!«
Da legte Sternau die starken Arme um sie, hob sie hoch empor und betrachtete sie unter Wonnetränen, so, wie ein Kind die geliebte Puppe vor sich hinhält, um sie mit zärtlichen Blicken zu umfassen.
»Röschen! Rosita! Mein Leben, meine Seele, mein Abgott! Oh, wie ist mir, wie wird mir! Ich muß mich setzen!«
Der starke Mann ließ sie wieder nieder und sank langsam auf einen Stuhl. Rechts von Rosa und links von Röschen umschlungen, weinten alle drei Tränen des Schmerzes, der innigsten Rührung und des Entzückens zugleich. Kurt fühlte, daß diese Herzen mehr Rechte aneinander hatten als er an sie. Er schlich sich leise an ihnen vorüber und zur Tür hinaus, wo er stehenblieb, um die Tränen zu trocknen, die auch in seinen Augen standen. Dann kehrte er still nach dem Saal zurück.
Er hatte ganz vergessen, daß er jetzt ohne Maske war. Als er eintrat, fielen die Blicke der Anwesenden auf ihn.
»Kurt! Kurt!« rief es vor und neben ihm, von rechts und von links. Erst jetzt dachte er an sein unverhülltes Gesicht.
Der Herzog und die Herzogin, Otto von Rodenstein nebst Flora, seiner Frau, Sternaus Schwester, sie alle eilten auf ihn zu, ihre Masken entfernend, um von ihm erkannt zu werden. Zu ihnen gesellten sich ein Präriejäger und ein Wilddieb mit einer ungeheuren Nase, Ludwig und sein Herr, der Rodensteiner.
Kurt wurde von ihnen mit hundert Fragen bestürmt, die so durcheinander geschleudert wurden, daß er auf keine einzige mit Bedacht zu antworten vermochte, bis endlich Rettung erschien. Sternau, mit Frau und Tochter, die eintraten, ebenfalls ohne Hülle vor ihren Gesichtern. Auch sie hatten vergessen, die Masken wieder anzulegen. Kaum wurden sie bemerkt, so eilte Flora von Rodenstein auf den Herzog, ihren Vater, zu.
»Papa! Vater!« rief sie. »Schau hin, wer da kommt. Erkennst du ihn? Kennst du ihn noch?«
Zugleich flog sie auf Sternau zu, warf ihm die Arme um den Nacken und schluchzte unter Tränen:
»Carlos, mein Bruder, mein lieber, lieber Bruder!«
Sternau wollte erstaunt zurückweichen, da wurde er noch von vier Armen umschlungen.
»Mein Sohn! Mein Karl! Ist es wahr?« schluchzte seine Mutter. – »Mein Arzt und Retter! Mein Wohltäter! Mein Sohn!« so klang es aus dem Mund des Herzogs.
Sternaus einfache, anspruchslose Schwester fand gar keinen Raum, zu ihrem Bruder zu gelangen. Es dauerte eine lange Zeit, ehe der Sturm sich legte, den das Erscheinen Kurts und Sternaus hervorgerufen hatte. Diese Aufregung wurde eigentlich erst durch das Erscheinen des Großherzogs besiegt, der mit seiner Gemahlin und einigen bevorzugten Herren kam, um zu gratulieren.
Jetzt erst kam es zu einem geordneten Reden und zu einem wirklich zusammenhängenden Bericht. Es ist leicht erklärlich, daß man bis zur Morgenstunde beisammenblieb, und da kamen nun auch die Personen zur Geltung, die bisher in zweiter Reihe gestanden harten: Resedilla und Pirnero, die sich glücklich von Pirna hierhergefunden hatten, der Schwarze Gerard, der Kleine André, die beiden Häuptlinge und Karja. Außer Geierschnabel war auch Grandeprise zugegen, der mit nach Spanien gegangen war, um gegen Landola, seinen teuflischen Stiefbruder, zu zeugen.
Was aber war aus diesem Landola, aus Gasparino Cortejo und Clarissa, was aus dem falschen Alfonzo, ihrem Sohn, geworden? Sternau, im Verein nach allen diesen Personen gefragt, antwortete:
»Die Entscheidung ist gefallen, und die Beweise sind geführt: Unser Mariano ist Graf Alfonzo de Rodriganda. Er mußte, um das Allernötigste zu ordnen, in Rodriganda bleiben, wird aber in einigen Tagen mit Amy Lindsay, seiner Braut, und ihrem Vater, dem Lord, hier eintreffen. Ich sehe zu meinem Erstaunen, daß aus dem einfachen Doktor Sternau ein Herzogsohn geworden ist. Unsere Schicksale haben uns gelehrt, daß der Mensch nur so viel wert ist als er wiegt, und daß Rang, Stand und Besitz nur eine nebensächliche Bedeutung haben. Daher wird es keinen von uns überraschen, daß Kurt, der Steuermannssohn, mein und unser aller Retter, durch das, was er für uns tat, sich uns allen ebenbürtig gestellt hat. Unserer Feinde wollen wir nur kurz gedenken. Clarissa spinnt für lebenslang Flachs im engen Kerker, Landola und Gasparino Cortejo sind unter der Hand des Henkers gefallen. Die alte Zarba bleibt spurlos verschwunden. Auf dem Weg zur Hinrichtung ist sie Gasparino Cortejo noch hohnlachend entgegengetreten. Ihr Racheschwur, an dessen Verwirklichung ihre geheimnisvollen Helfer mitarbeiteten, hat sich erfüllt. Alfonzo, der falsche Graf, büßt seine Taten als Sträfling, ohne Aussicht auf spätere Begnadigung. Sie alle haben ihren Lohn; darum soll auch unser Kurt den Lohn empfangen, der ihm verheißen worden ist. Eine herzogliche Prinzeß von Olsunna muß Wort halten. Röschen, stehe auf, und sage unserem Retter, daß er von uns die Erlaubnis empfängt, sein Andenken an die Höhle des Königsschatzes an Eurem Ehrentag als Brautgeschmeide dir anzulegen. Gott segne euch, so wie er uns alle fortan beschützen möge!«
Die Wirkung dieser Worte läßt sich unmöglich beschreiben. Alles rief, staunte, fragte, gratulierte, weinte und lachte. Aber zwei standen in der Ecke des Saales, in Liebe umschlungen, und weinten heiße Zähren der Herzenswonne und des Dankes an Gott, die einfachen Eltern Kurts, deren Glück nur dadurch gesteigert werden konnte, daß Waldröschen herbeikam, sie beide herzlich umarmte und küßte und dann zu dem Kreis der anderen zog.
Die Sonne ging auf. Ihre ersten Strahlen fielen in goldigem Purpur zum Fenster herein auf die so seltsame Versammlung von Personen, die, so lange hart und schwer geprüft, nun endlich sich die Garantien eines reinen und dauernden Glückes errungen hatten. Da öffnete sich die Tür, und die hohe, ernste Greisengestalt des Grafen Emanuel trat ein. Alle, außer Sternau und Rosa, erwarteten, ihn sein: »Ich bin der brave, treue Alimpo!« aussprechen zu hören. Aber ehe er noch zu Worte kam, stand bereits einer vor ihm, der die Arme zur Begrüßung ausbreitete.