Kitabı oku: «Winnetou 4», sayfa 11
Die Sioux kamen heute und auch morgen noch nicht. Wir, nämlich der »junge Adler« und ich, benutzten diese freie Zeit, den Wortschatz, den meine Frau aus der Sprache und der Ausdrucksweise der Apatschen besaß, möglichst zu vermehren. Sie hatte den Wunsch, besonders Kolma Putschi damit zu erfreuen.
Erst am dritten Tag stellten sich die Erwarteten ein, und zwar gegen Abend. Wir sahen sie schon von weit draußen herkommen, über einen fernliegenden, kahlen Bergesrücken. Sie ritten einzeln hintereinander, im sogenannten Gänsemarsch, ganz so, wie es früher geschah, als man den Westen noch als »wild« bezeichnete. In jener Zeit aber hätten sie sich gewiß sehr gehütet, ihren Weg über diesen nackten Berg zu nehmen, der ihnen sowenig Deckung bot, daß man sie sofort entdecken mußte. Da es sich um keinen Kriegszug handelte, wenigstens jetzt noch nicht, so waren sie noch nicht mit den Farben des Krieges bemalt, an denen es möglich ist, die Stämme und Nationen genau voneinander zu unterscheiden. Dennoch gab es einige Kennzeichen, besonders in Beziehung auf ihre Lanzen und besonders auf die Anschirrung, Ausschmückung und Halfterung ihrer Pferde, aus denen ich ersah, daß wir es da mit Utah-Indianern zu tun hatten, und zwar in sehr gemischter Zusammensetzung. Wir sahen – um mich eines gebräuchlichen Ausdruckes zu bedienen – wilde, halbwilde und zahme Utahs. Sie gehörten zu den Unterabteilungen der Pah-Utahs, der Tehsch-Utahs, der Kapote-, Wihminutsch- und Elkmountain-Utahs, der Yamba-, Pahwang- und sogar der Sempisch-Utahs. Unter den Kapote-Utahs sah ich einen alten, grauköpfigen Häuptling, bei dessen Anblick ich an Tusahga Saritsch denken mußte, von dem ich im dritten Bande von »Old Surehand« erzählt habe. Ich bitte, das nachzulesen. Aber die Entfernung war leider so groß, daß ich die Gesichtszüge nicht deutlich erkennen konnte. Später stellte es sich heraus, daß ich mich nicht geirrt hatte; es war Tusahga Saritsch, der mir bekannte Häuptling der Kapote-Utahs, der sich damals nur notgedrungen mit uns aussöhnte, jetzt aber, wo er am Rande des Grabes stand, wieder zu unseren Feinden gehörte.
Als diese Utahs den Felsenkessel erreichten, ersahen wir aus ihrem Verhalten, daß dieser Ort auch für sie ein heiliger war. Sie betraten ihn nur mit Scheu. Sie brachten sich sogar Feuerholz mit, um die Bäume und Sträucher der Devils pulpit schonen zu können. Und sie bleiben nur im westlichen Teil; den östlichen, wo wir den Bären erschossen hatten, wagten sie nicht zu betreten. Und, was für uns das wichtigste war, sie umlagerten die Teufelskanzel nur im weiten Kreis. Keiner nahte sich ihr, und noch viel weniger hatte Einer von ihnen den Mut, sie zu ersteigen. Die Verhandlungen und Beratungen begannen jedenfalls erst nach dem Eintreffen der Sioux. Dann befanden sich »verschiedene Nationen« beisammen, und hierauf erst war es erlaubt, die Kanzel zum Zweck der Diskussion zu betreten. Was dann besprochen wurde, das wollten wir hören, Unwichtiges aber nicht. Darum verzichteten wir darauf, uns jetzt schon anzuschleichen und um bloßer Neugierde willen uns in die Gefahr zu begeben, entdeckt zu werden, ohne daß wir irgendeinen Nutzen davon hatten. Wir blieben also in unserem Lager und nahmen uns vor, recht auszuschlafen, weil wir nicht wissen konnten, ob wir hierzu so bald wieder Gelegenheit hatten.
Am Abend sahen wir unten einige Feuer brennen, die aber so klein waren, daß sie für uns nicht ausreichten, die Gestalten der an ihnen sitzenden Indianer zu erkennen. Auch still ging es da unten zu, außerordentlich still. Es gab keinen Laut, der bis herauf in unsere Höhe drang. Wir schliefen gut. Nichts störte unsere Ruhe. Der nächste Tag verging, ohne daß die Sioux kamen. Aber am darauffolgenden Morgen sahen wir, daß die ausgestellten Posten sich einstellten, um das Erscheinen der Erwarteten zu melden. Diese kamen genauso im Gänsemarsch wie vorgestern die Utahs. Voran ritt ein sehr alter, sehr langer und sehr hagerer Häuptling, der sein Pferd von zwei gewöhnlichen Indianern führen ließ, daß es ja keinen Fehltritt tue. Er schien also nicht mehr gut bei Kräften zu sein. Daß er trotzdem einen so weiten Ritt unternahm, ließ darauf schließen, daß der Gedanke, der ihn jetzt nach dem Süden führte, ihn innerlich fanatisierte.
Er wurde von den Utahs mit großer Achtung empfangen. Als man ihn vom Pferd gehoben hatte, sah man erst, wie übermächtig lang und schmal und dünn er war. Wäre es nicht Lichter Tag gewesen, so hätte man ihn für ein Gespenst halten können. Das war, wie ich dann bald feststellte, Kiktahan Schonka, der »wachende Hund«, welcher den Apatschen und allen ihren Freunden den Untergang geschworen hatte. Man breitete für ihn einige weiche Decken gegenüber dem Utah-Häuptling Tusahga Saritsch aus und setzte ihn wie ein Kind da nieder. Hinter ihm wurden einige Pfähle eingeschlagen, damit er sich daran lehnen möge. In solchen menschlichen Ruinen pflegen Haß und Rachgier sich länger zu erhalten als in gesunden, widerstandsfähigen Personen.
Nun war es Zeit für uns, unsern Lauscherposten zu beziehen. Das Herzle wäre gar zu gern mitgegangen, sie konnte mir aber nichts nützen, sondern mich nur hindern. Pappermann verzichtete darauf, mich zu begleiten.
»Was soll ich da unten?« fragte er. »Wer die Indsmen belauschen will, muß ihre Sprache besser, viel besser kennen als ich. Ich heiße zwar Maksch Pappermann und bin mit dem Gewehr in der Hand wohl kein unebener Kerl; aber grad da, wo die Sprachen und Dialekte anfangen, da hört meine Klugheit auf, vollständig auf! Ich bleibe also hier oben bei unserer Mrs. Burton und lasse mir von ihr einen neuen Brombeerkuchen backen. Oder nicht?«
Sie nickte.
So stieg ich also mit dem »jungen Adler« durch den Wald den Berg hinab. Wir nahmen unsere Gewehre mit, um für alle Fälle auch eine weittragende Waffe in der Hand zu haben. Es versteht sich ganz von selbst, daß wir alle Vorsicht anwendeten, keine Spuren zu machen und nicht gesehen zu werden. Denn morgen war der Tag, den die beiden Sander uns bezeichnet hatten. Da kamen sie wahrscheinlich hier an. Es war aber auch möglich, daß sie sich eher einstellten und sich heimlich hier herumtrieben, um die Indianer zu belauschen, bevor sie sich von ihnen sehen ließen. Wir stiegen also nur an solchen Stellen hinab, die jeder Andere vermieden hätte, und taten, wie wir dann später bemerkten, sehr wohl daran. Unten angekommen, drangen wir sofort in das tiefste Dickicht ein, um so schnell wie möglich zu verschwinden.
Als wir unsern Lauscherposten und unser kleines Inselhäuschen erreicht hatten, sah ich, daß meine Frau uns da allerdings eine sehr bequeme Gelegenheit zum Sitzen und auch Liegen geschaffen hatte. Zunächst aber machten wir davon noch keinen Gebrauch, weil wir nun doch nahe genug waren, um uns die Roten betrachten zu können, wenn auch nicht mit den bloßen Augen, so aber doch durch mein Fernglas, welches ich mitgebracht hatte. Wir zählten genau vierzig Utahs und vierzig Sioux. Diese Zahl schien also vorher bestimmt worden zu sein. jedenfalls handelte es sich nur um die Ober- und Unteranführer. Die gewöhnlichen Krieger, also die eigentlichen Truppen, von denen die Apatschen angegriffen werden sollten, waren nicht ganz bis hierher mitgenommen worden. Die beiden obersten Häuptlinge habe ich schon genannt. Außer ihnen gab es fünf Unterhäuptlinge der Sioux und fünf Unterhäuptlinge der Utahs. Die Übrigen waren Leute, die sich in irgendeiner Weise hervorgetan hatten und darum das Vertrauen der Anführer besaßen. Was mir auffiel, das war, daß man nicht die Friedenspfeife sofort und allgemein im Kreis herumgehen ließ. Man hatte sich in ganz gewöhnlicher Weise begrüßt und setzte sich dann zunächst zum Essen und zum Ausruhen nieder. Ich beobachtete vor allen Dingen Kiktahan Schonka und Tusahga Saritsch. Die Andern gingen mich jetzt weniger an. Den Letzteren erkannte ich, als ich mein Glas auf ihn richtete, sofort wieder. Er war alt, sehr alt geworden, viel älter als seine Jahre, und außerordentlich runzelig. Solche Leute befinden sich ja nicht im Besitz der Seelenkraft, die auch äußerlich jung erhält. Der Letztere hatte eine fürchterlich hervorstehende, sehr schmale und, fast möchte ich sagen, messerscharfe Nase, einen außerordentlich breiten Mund mit gar keinen Lippen, tief in ihren Höhlen liegende Augen und eine falsche, aus lauter Skalpen zusammengesetzte Perücke. Man soll ja nicht unlieb über seine Nebenmenschen urteilen, aber wenn ich ehrlich sein will, muß ich sagen, daß dieser Indsman mir gleich bei dem ersten Blick, den ich auf ihn warf, außerordentlich widerlich erschien.
Das Essen dauerte ziemlich lange, wohl über zwei volle Stunden. Dann begaben sich die Häuptlinge hinauf auf die Kanzel. Kiktahan Schonka konnte die Stufen nicht ersteigen. Er wurde mit Hilfe von Lassos gezogen und von unten nachgeschoben, bis er oben war. Von diesem Augenblick an begannen wir, zu hören. Die Friedenspfeifen wurden angezündet. Der Oberhäuptling der Utah stand auf, blies den Rauch nach den sechs Richtungen und hielt die erste Rede. Der Oberhäuptling der Sioux konnte sich nicht erheben; aber er wiederholte dieselben Stöße des Rauches und sprach sodann im Sitzen. Die Unterhäuptlinge folgten diesem Beispiel einer nach dem andern. Wenn ich diese zwölf Reden hier wiedergeben wollte, müßte ich fast einen ganzen Tag lang schreiben, um mit ihnen fertigzuwerden. Und doch bildeten sie nur die Einleitung zu den Verhandlungen, die gepflogen werden sollten. Man hatte hierfür drei volle Tage angesetzt, die wir also hier bei oder in der Hütte verbringen mußten, um ja nichts zu versäumen. Davor graute mir schon im voraus! Glücklicherweise aber stellte sich sehr bald eine triftige Veranlassung ein, diese lange Zeit derartig abzukürzen, daß aus den drei Tagen nur drei Stunden wurden, und diese Veranlassung – – – die war ich selbst!
Aber interessant, hochinteressant waren diese zwölf Reden, das darf ich gestehen. Sie begannen alle mit der Versicherung, daß die Apatschen und die mit ihnen verbündeten Nationen die niederträchtigsten Menschen seien, die man sich denken könne, daß aber der Gipfel dieser Niederträchtigkeit nur von Winnetou und Old Shatterhand, seinem Freunde, erreicht worden sei. Und diesem Winnetou solle jetzt ein Denkmal gesetzt werden! Auf dem Berge, der nach seinem Namen benannt worden ist! Ein Denkmal von purem, glänzendem Gold! Und dieses Gold haben alle, alle Stämme der Indianer zu liefern! Aus all den Bonanzen, Lagern und Nuggetverstecken, die man den Bleichgesichtern jahrhundertelang so sorgfältig verheimlicht habe! Da käme das Gold ja viele, viele Zentner schwer zusammen! Für diesen einen, verächtlichen Menschen, den man nie anders genannt habe als nur den Hund, den Coyoten, den Pimo, den Apatschen! Und von wem soll dieses Denkmal gefertigt werden? Von einem Bildhauer und von einem Maler! Von Young Surehand und Young Apanatschka, deren Väter Verräter an der ganzen roten Rasse und nichtswürdige Geschöpfe der Bleichgesichter waren! Dieses Denkmal ist jetzt einstweilen auf Leinwand gemalt und aus Thon zusammengeklebt. Es wird am Mount Winnetou ausgestellt, und die Häuptlinge, die berühmtesten Männer und Frauen aller roten Nationen sind eingeladen, sich dort einzustellen, um diese Figuren und Bilder zu sehen! Sogar Old Shatterhand wurde eingeladen, der räudige Hund!
Diese wahnsinnige Ueberhebung der Apatschen muß verhindert werden! Sie müssen erfahren, daß man wohl einem Utah- oder einem Siouxkrieger ein goldenes Denkmal setzen kann, nicht aber einem klaffenden Köter vom Rio Pecos her! Das Wann und das Wie zu beraten, sei man hier an der »Kanzel des Teufels« zusammengekommen. Und was da beschlossen werde, das habe man auszuführen, und wenn die ganze indianische Rasse dabei vollends zugrunde gehe!
So weit war man gekommen; da trat eine Störung ein, die nicht nur von den Roten, sondern auch von uns beiden gesehen wurde. Sie kam in Gestalt eines Menschen am Bach dahergeschritten, und dieser Mensch war kein anderer als Sebulon L. Enters. Er hatte Sporen an den Stiefeln, war aber ohne Pferd. Er trug ein Gewehr und war genauso ausgerüstet, wie noch vor dreißig Jahren ein Westmann ausgerüstet zu sein pflegte. Die Sioux kannten ihn. Sie hinderten ihn nicht, heranzukommen. Sie führten ihn nach der Kanzel. Er mußte hinaufsteigen. Das sahen wir. Und nun hörten wir auch wieder Stimmen.
»Wer ist dieses Bleichgesicht?« fragte Tusahga Saritsch.
»Ein Mann, den ich kenne,« antwortete Kiktahan Schonka. »Ich habe ihn an die ,Kanzel des Teufels‘ bestellt. Er sollte erst morgen kommen. Warum kommt er schon heut?«
Diese Frage war an Sebulon gerichtet. Sie klang gar nicht etwa höflich. Der Indianer pflegt den Weißen, den er als Spion gebraucht, stets nur verächtlich zu behandeln. Sebulon antwortete.
»Ich mußte mich beeilen, so bald wie möglich hierherzukommen, um euch zu warnen.«
»Vor wem?«
»Vor eurem ärgsten Feind, vor Old Shatterhand.«
»Uff, uff, uff, uff!« ertönte es rund im Kreise, und auch Kiktahan Schonka selbst rief aus:
»Uff, uff! Old Shatterhand! Vor ihm warnen! Warum?«
»Er kommt hierher.«
»Uff, Uff! Woher weißt du das?«
»Er sagte es.«
»Wem?«
»Mir.«
»So sahst du ihn wohl?«
»Ja.«
»Und sprachst mit ihm?«
»Ja.«
»Wo?«
»Am fallenden Wasser des Niagara.«
»Uff! Wir wissen, daß er kommen soll. Aber daß er schon gekommen ist, das wußten wir noch nicht. Und er kommt nach der Devils pulpit?«
»Ja.«
»Was will er hier?«
»Euch belauschen.«
»Uff, Uff! Das klingt ja, als ob er wüßte, daß wir hierherkommen, und was wir hier wollen!«
»Er weiß es.«
»Von wem?«
»Das sagte er nicht. Er reiste ab. Wir folgten hinterher. Wir trafen in Trinidad seine Spur. Er ist dort wieder fort, wahrscheinlich geraden Weges hierher.«
»Uff, uff, uff, uff!« ging es wieder rund im Kreise, und Kiktahan Schonka rief zornig aus:
»Ist dieser Hund denn noch nicht alt genug, die Schärfe des Auges, der Ohren und der Nase zu verlieren? Konnte er nicht drüben, jenseits des großen Wassers, in seinem stinkenden Wigwam bleiben?«
»Und seine Frau mit ihm!« fügte Sebulon hinzu.
»Seine Squaw, sagst du? – Hat er sie mit?«
»Ja.«
»Wirklich? Ist das wahr?«
»Natürlich! Ich sage es doch!«
»Sie war mit am Fall des Niagara?«
»Ja. Und auch in Trinidad war sie bei ihm. Wir hörten es, als wir hinkamen und uns erkundigten.«
»Uff, Uff! Das ist ein gutes Zeichen, ein sehr gutes Zeichen für uns! Sein Kopf ist schwach geworden! Er ist ein Greis, ein schwach gewordener Greis! Wer seine Squaw mit sich über das Wasser und nach dem Wilden Westen schleppt, der ist verrückt, der kann keinem Menschen mehr etwas schaden. Er mag immerhin kommen. Wir fürchten ihn nicht. Er kommt an den Marterpfahl, und sein Weib mache ich zu meiner Squaw!«
Da fiel Tusahga Saritsch, der Oberhäuptling der Utahs, ein:
»Mein Bruder spreche nicht zu schnell! Old Shatterhand kennt seine Squaw; du aber kennst sie nicht. Wenn er sie mitgenommen hat, so weiß er ganz bestimmt, daß er dies wagen darf, ohne daß er sich damit schadet. Er mag alt geworden sein; aber so hat er doch immer nur erst das Alter erreicht, in dem man weise und doppelt vorsichtig und bedenklich wird, nicht aber das, in dem gewöhnliche Menschen kindisch zu werden pflegen. Es ist wohl möglich, daß wir ihn jetzt noch mehr zu fürchten haben als früher, da er über dreißig Sommer junger war!«
»Und er ist nicht allein!« stimmte Sebulon bei.
»Wer ist bei ihm?« fragte Kiktahan Schonka.
»Ein alter, erfahrener Westmann, namens Max Pappermann.«
»Uff! Ich habe von einem gehört, der so heißt. Die Hälfte seines Gesichtes ist blau.«
»Das ist er!«
»Dieser, dieser! Er hat meinem größten Gegner im eigenen Stamme, dem Siou Wakon, das Leben gerettet. Möge der böse Geist ihn vernichten! Er ist tapfer und listig zugleich. Wenn er bei Old Shatterhand ist, so haben wir ihn zu fürchten!«
»Und noch ein Anderer ist bei ihm,« fuhr Sebulon fort. »Nämlich ein junger Mescalero-Apatsche, welcher der ,Junge Adler‘ heißt.«
»Etwa der ,junge Adler‘, der zu den Bleichgesichtern ging, um fliegen zu lernen?«
»Daß weiß ich nicht. Aber ich hörte in Trinidad, er sei vier Jahre lang bei den Bleichgesichtern gewesen und kehre jetzt zu seinem Stamm zurück.«
»So ist er es! Er ist ein Schüler Wakons. Er schickt ihm viele Briefe und bekommt viele Antworten darauf. Er ist einer der Ersten unter denen, die sich Jungindianer nennen und von weiter nichts als von Humanität und Bildung, von Versöhnung und Liebe reden. Und er ist auch einer der ersten vom Clan Winnetou. Er soll überhaupt ein Blutsverwandter von Winnetou sein. Wenn er sich bei Old Shatterhand befindet, so müssen wir uns alle Mühe geben, diese drei Männer und die Squaw in unsere Hände zu bekommen. Wo hast du dein Pferd?«
»Jenseits des Berges bei meinem Bruder,« antwortete Sebulon. »Er blieb bei den Pferden zurück. Ich aber schlich mich zu Fuß hierher, um nach Spuren zu suchen und die Gegend zu erkunden.«
»Welchen Weg von Trinidad aus schluget ihr ein?«
»Wir kamen über den Kanubisee.«
»Habt Ihr auf diesem Weg Spuren von Old Shatterhand gefunden?«
»Nein. Aber Spuren vieler Weiber, die am See gelagert haben.«
»Das waren die verführten Frauen unseres eigenen Stammes, die sich ,Jungindianerinnen‘ nennen. Sie ziehen auch nach dem Mount Winnetou, um das Denkmal zu sehen und ihre Nuggets dafür hinzugeben. Wir können sie nicht hindern, das zu tun; aber wir werden die Apatschen dafür bestrafen. Hat Old Shatterhand von dem Mount Winnetou gesprochen?«
»Nein«
»Auch nicht von dem Weg, den er einschlagen will?«
»Auch nicht. Wir erfuhren nur, daß er beabsichtigte, nach der Devils pulpit zu gehen, um Kiktahan Schonka, den Häuptling der Sioux, dort zu sehen.«
»So ist er immer noch der unermüdliche, listige Späher, der er immer war! Aber dem Marterpfahl, dem er so oft entgangen ist, dem entkommt er dieses Mal nicht. Wenn er sich nähert, kann er nur da von der östlichen Höhe kommen, von welcher wohl auch du gekommen bist?«
»Ja«
»Ich werde sofort die ganze Umgebung hier durchsuchen lassen. Du aber kehre zurück zu deinem Bruder, und bringe ihn her! Die Beratung ist unterbrochen, bis wir uns überzeugt haben, daß Old Shatterhand sich nicht in der Nähe befindet.«
Sebulon L. Enters entfernte sich. Wir sahen ihn nach dem Weg zurückgehen, den er gekommen war. Es war der unsrige. Wie gut also, daß wir so vorsichtig gewesen waren, erkennbare Spuren zu vermeiden. Auch Tusahga Saritsch verließ mit sämtlichen Unterhäuptlingen die Kanzel. Sie stiegen hinab, um sich alle an der Nachforschung nach uns zu beteiligen. Nur Kiktahan Schonka allein blieb zurück. Es schlichen sich also vierzig Sioux und vierzig Utahs von dannen, um nach uns zu suchen. Das war keine Kleinigkeit. Zwar traute ich weder Pappermann noch meiner Frau die Unvorsichtigkeit zu, ihr Versteck während unserer Abwesenheit zu verlassen, aber der kleinste und geringste Umstand konnte Veranlassung zu der Entdeckung werden, daß ein verborgener Pfad aus dem stillen Weiher noch weiter führte. Und was uns beide selbst betraf, so durften wir uns keineswegs so sicher fühlen, daß jede Entdeckung ausgeschlossen war. Es brauchte unter den achtzig Indianern nur ein einziger zu sein, der keine Angst vor dem »bösen Geiste« hatte und sich nicht scheute, in den östlichen Teil der Ellipse einzudringen, so mußte er unsere Spuren unbedingt sehen. Es war notwendig, meinem Gefährten zu sagen, was in diesem Fall zu geschehen hatte. Wir hatten bisher nur immer englisch mit ihm gesprochen, aus dem einfachen Grund, weil meine Frau überhaupt keinen indianischen Dialekt verstand und auch Pappermann sich höchstens nur im halb englischen, halb indianischen Slang auszudrücken vermochte. Nun aber, da wir allein waren, konnte ich dem »jungen Adler« die Freude machen, seine Muttersprache zu hören.
»Hat mein junger Bruder Alles verstanden, was gesprochen wurde?« fragte ich ihn.
»Ich hörte Alles«, antwortete er.
»Weiß er, daß nun hundert und ein halbes hundert Augen nach uns suchen?«
»Ich weiß es.«
»Glaubst du, daß man uns findet?«
»Nein.«
»Ich ebenso. Aber ein vorsichtiger Krieger hat sich auf Alles vorzubereiten. Es sind zwei Fälle zu bedenken. Weiß mein junger Bruder, welche ich meine?«
»Ja.«
»So sage sie!«
»Man kann uns hier entdecken, und man kann unser Lager da oben entdecken.«
»Ganz richtig! Es ist also nötig, zu wissen, wie wir uns in beiden Fällen zu verhalten haben. Sollte man uns hier finden, so wäre es eine unverzeihliche Torheit, hinauf zu Pappermann und meiner Squaw zu fliehen und uns von den Utahs und Sioux belagern zu lassen. Mein junger Bruder hätte sofort hinaufzueilen und beide mit den Pferden und Maultieren herauszuschaffen. Ich aber würde die Roten mit meinem Stutzen inzwischen im Zaum halten. Der Ausgang aus diesem Kessel ist eng. Es käme keiner von ihnen hinaus, ohne von meiner Kugel getroffen zu werden.«
»Und wenn man nicht uns, aber unser Lager entdeckt?« fragte er.
»So hätte ich auch da keine Sorge. Pappermann hält doch Wache. Er hat unbedingt gesehen, daß alle Roten sich plötzlich entfernten, daß sie nachforschen gegangen sind. Er wird sich also mit seinem Gewehr am Weiher verstecken und aufpassen. Auch der dortige Ein- und Ausgang ist sehr eng. Es genügt ein einziger Mann, ein ganzes Heer zurückzuweisen. Und wir beide kämen den Indsmen dann in den Rücken. Wir haben also nicht den geringsten Grund, besorgt zu sein. Warten wir darum ruhig ab, was geschieht!«
Es dauerte über eine Stunde, ehe der erste Indianer zurückkehrte. Ihm folgten nach und nach auch die andern. Man hatte nichts gefunden. Aber man fühlte sich nun zu größerer Vorsicht veranlaßt. Man stellte Wächter aus, allerdings zu spät. Leider aber standen sie auch da, wo wir unbedingt vorüber mußten, wenn wir uns entfernen wollten.
Dann kamen die beiden »Enters« geritten. Da wurde mit der Beratung wieder begonnen. Die Häuptlinge stiegen wieder auf die Kanzel. Sie sprachen aber nicht laut, sondern so, daß wir ihre Stimmen nur als unterdrücktes Gemurmel vernahmen, jedenfalls der beiden Weißen wegen, die man ausnutzen wollte, ohne sie in das Vertrauen zu ziehen. Als man dann übereingekommen war, welchen Auftrag sie auszuführen hatten, ließ man sie auf die Kanzel kommen, und Kiktahan Schonka fragte sie in seinem bereits angedeuteten, nicht sehr achtungsvollen Tone:
»Ihr wißt noch ganz genau, was ich mit euch besprochen habe?«
»Ganz genau,« antwortete Sebulon, der überhaupt das Wort für sich und seinen Bruder zu führen schien.
»Und seid ihr noch heut bereit, die Bedingungen, welche zwischen euch und uns vereinbart wurden, zu erfüllen?«
»Ja, noch heut.«
»So komrnt eine neue Aufgabe für euch dazu, nämlich uns Old Shatterhand und seine Squaw in die Hände zu treiben. Seid ihr bereit dazu?«
»Nur dann, wenn es lohnt.«
»Es lohnt!«
»Was zahlt ihr für sie und ihn?«
»Viel, sehr viel! Doch ist es heut noch nicht Zeit, über diesen Preis zu reden. Wenn wir ihn selbst fangen, bezahlen wir euch natürlich nichts. Wir bleiben noch drei volle Tage hier und passen auf. Kommt er, so entgeht er uns sicherlich nicht; wir nehmen ihn fest. Dafür bekommt ihr nichts. Aber da er Trinidad schon vor euch verlassen hat und noch immer nicht da ist, so sind wir überzeugt, daß er seinen Plan geändert hat und gar nicht nach der Devils pulpit geritten ist. Er ist vielmehr am Kanubisee auf unsere Squaws getroffen, die ja so wahnsinnig sind, für ihn und Winnetou zu schwärmen, und da hat es dem alten Mann wohlgetan, von den Weibern sich preisen und anbeten zu lassen. Er ist mit ihnen gezogen.«
»Das ist möglich, sehr leicht möglich,« sagte Sebulon schnell. »Wir sahen nämlich auch einige Männerspuren.«
»Das genügt! Er ist es gewesen. Und nun ist es an euch, nach dem Preise zu ringen, den wir auf seine Ergreifung setzen. Glücklicherweise kennen wir das nächste Ziel, nach dem diese Frauen jetzt reiten. Es ist nämlich der Tavuntsit-Payah. Kennt Ihr ihn?«
»Nein.«
»Mein berühmter Bruder Tusahga Saritsch kennt ihn sehr genau und wird euch den Weg dorthin sofort beschreiben.«
Auch ich hatte von einem Tavuntsit-Payah noch nie gehört und paßte also scharf auf, um mir jetzt kein Wort entgehen zu lassen. Der Oberhäuptling begann die Beschreibung des dorthin führenden Weges. Er war sehr ausführlich dabei, und man denke sich meine Überraschung und meine Freude, als ich am Schluß erkannte, daß dieser Tavuntsit-Payah kein anderer Berg war als mein Nugget-tsil, nach dem auch wir ja wollten! Die Brüder Enters machten sich einige Bemerkungen in ihre Notizbücher; dann fuhr Kiktahan Schonka fort:
»Ihr reitet also dorthin, um euch an Old Shatterhand zu hängen, und laßt ihn nicht wieder los. Getraut ihr euch, dies zu erreichen?«
»Ganz gewiß! Aber wie bringen wir ihn euch? Wann und wohin? Und wird er uns gutwillig folgen?«
»Er wird. Ist euch der Name Pa-wiconte bekannt?«
»Nein.«
»Dorthin ziehen wir von hier aus, um uns mit den Komantschen und Kiowas gegen die Apatschen zu vereinigen. Ihr sollt ihm das nicht etwa verraten, sondern ihr sollt ihm nur sagen, daß, wie ihr erfahren habt, die Kiowas und die Komantschen sich dort versammeln. Seine ungeheure und unbezähmbare Neugierde wird ihn verführen, dorthin zu reiten, um sich anzuschleichen und uns zu belauschen. Dabei ergreifen wir ihn.«
»Und unser Lohn?«
»Den besprechen wir, wenn ihr kommt und uns meldet, daß er nahe.«
»Und wenn wir nicht einig mit euch werden?«
»So braucht ihr ihn doch nur zu warnen, dann bekommen wir ihn nicht!«
»Warum sagt ihr uns nicht schon heut den Preis?«
»Weil wir heut noch gar nicht wissen, womit wir ihn später zahlen können, ob in Tieren, ob in Nuggets oder in Waren, Waffen und Sachen, die wir erbeuten. Glaubt ihr uns etwa nicht?«
»Wir glauben euch.«
»So seid ihr jetzt entlassen und könnt gehen. Wir raten euch, keine Stunde zu versäumen, um Old Shatterhand so bald wie möglich einzuholen. je schneller und gewissenhafter ihr verfahrt, desto sicherer ist der Erfolg und desto größer wird der Lohn.«
Sie stiegen von der »Kanzel« hinab und gingen zu ihren Pferden. Hariman F. Enters hatte während der ganzen Zeit kein einziges Wort gesagt. Die Häuptlinge schwiegen, bis sie die beiden fortreiten sahen. Dann sagte der Oberhäuptling der Utahs nur das eine Wort:
»Schufte!«
»Schurken!« fügte Kiktahan Schonka hinzu. »Sie sind nicht des Anspeiens wert! Glaubt mein Bruder etwa, daß sie für ihren Verrat auch nur soviel bekommen werden, wie ein Grashalm oder eine ausgeraufte Vogelfeder wert ist?«
»Und das ganze, große Geschäft, welches sie mit euch und uns machen wollen – – – ?« fragte Tusahga Saritsch.
»Wird ihnen nicht ein einziges Pferdehaar einbringen,« lachte der alte Sioux. »Sie zahlen den Preis; wir aber behalten, was wir haben. Ist mein roter Bruder einverstanden?«
»Ja. Mein Bruder ist sehr klug!«
»Pshaw! Es gehört keine Klugheit dazu, ein Bleichgesicht zu betrügen!«
»Aber die Verräter werden fordern, daß wir unser Versprechen halten und ihnen den Preis zahlen.«
»Das werden sie nicht. Wer nicht mehr lebt, kann keine Forderung stellen. Ist mein roter Bruder auch hiermit einverstanden?«
»Ja.«
»Und die Andern auch?«
»Ja, ja, ja, ja – – – !« rief es rund im Kreise.
Da konnte ich mich nicht halten; ich rief mit lauter Stimme ganz dasselbe Wort:
»Schufte!«
Es folgte eine tiefe Stille. Dann hörte ich:
»Uff, uff –uff, uff! Wer war das? Was war das? Woher kam das?«
Ich legte das Glas an die Augen und sah, daß sie die Köpfe bewegten und nach allen Seiten schauten.
»Schurken!« fügte ich ebenso laut hinzu.
Wieder tiefe Stille. Aber ich sah, daß sie sich von ihren Sitzen erhoben, Einer nach dem Andern. Sogar der ewig lange Kiktahan Schonka stand auf.
»Auch ihr seid nicht des Anspeiens wert!« fuhr ich fort.
Abermals tiefe Stille. Dann hörten wir die halblaute, hastige Stimme des alten, langen Siou:
»Uff, Uff! Das ist kein Mensch!«
»Kein Mensch!« stimmte Tusahga Saritsch bei.
»Weiß mein roter Bruder, was man in alten Wampums über die ,Kanzel des Teufels‘, auf der wir uns befinden, lesen kann!«
»Ja.«
»Daß hier der gute Geist Alles hört, was der böse Geist spricht?«
»Ja.«
»Und ihn dafür bestraft?«
»Sogar sehr streng, sehr streng! Meist mit dem Tod!«
»Ob er es war, der jetzt sprach, der gute Geist? Was ist zu tun? Ich bleibe nicht hier!«
»Ich auch nicht!«
»Fort mit euch!« gebot ich ihnen. »Fort, fort!«
Das wirkte sofort. Sie rannten und sprangen alle spornstreichs die Stufen hinab. Nur Kiktahan Schonka konnte das nicht. Und doch war grad er derjenige, der sich am allermeisten fürchtete.
»Helft mir; helft mir!« brüllte er. »Ich will hinunter, ich auch, ich auch! »
Aber die Häuptlinge hatten es sehr eilig. Sie halfen ihm nicht. Es mußten einige Andere kommen, um ihren Allerobersten hinunterzuschaffen. Dabei verlor er die Skalpperücke. Er achtete gar nicht darauf. Sie mußte hinter ihm hergetragen werden, bis er sein Pferd erreichte. Da setzte er sie auf und erteilte den Befehl, sofort von hier aufzubrechen und die Devils pulpit zu verlassen, deren Ansehen jedenfalls nun in der Weise gestiegen war, daß sie noch zehnmal heiliger galt als vorher. Man war nun nur darauf bedacht, sich so schnell wie möglich aus dem Staub zu machen. Man verzichtete sogar darauf, auf Old Shatterhand zu warten, um ihn hier zu fangen. Die Posten und Wächter wurden zurückberufen, und dann ritten sie davon, alle Achtzig, im Gänsemarsch, wie sie gekommen waren.
Indem wir ihnen nachschauten, spielte ein fröhliches Lächeln um die Lippen des »jungen Adlers«, und ich glaube, ich habe auch nicht geweint.
»Dieser Sieg freut mich mehr,« sagte er, »als wenn wir mit ihnen gekämpft und sie alle erschlagen hätten. Es ist ein Sieg der Wissenschaft, nicht des blutigen Tomahawk.«
»Ist dir dieser Teil der Wissenschaft bekannt?« fragte ich ihn.
»Ja. Ich mußte ihn kennenlernen. Die Akustik gehört zur Lehre von der Luft. Ich ging zu den Bleichgesichtern, um die Aerostatik und Aeronautik zu studieren. Ich weiß, daß schon die alten Assyrier, Babylonier und
Ägypter das Geheimnis kannten, an dem einen Punkt sehr deutlich zu hören, was an einem andern, entfernten Punkt gesprochen wird. Ich bin so froh und so stolz, heut erfahren zu haben, daß die Ahnen der heutigen roten Rasse in diesem Wissen nicht hinter jenen Völkern zurückgestanden haben. Es ist unsere Pflicht, Alles, was uns seitdem verlorengegangen ist, in die erwachende Seele unserer Nation zurückzurufen. Wir bitten den großen, guten Manitou, uns Kraft und Fröhlichkeit zu diesem wichtigen und schönen Werk zu verleihen! »