Kitabı oku: «Winnetou 4», sayfa 21
»So richtig«, stimmte Algongka bei. »Wer sie beleidigt, beleidigt auch mich! Howgh!«
»Aber dieser Burton hat mich in das Wasser geworfen!« begehrte Antonius auf.
Athabaska mochte ihn schon kennen. Er fragte ihn in halb ironischem und halb geringschätzendem Tone:
»Solltet Ihr etwa ertrinken?«
»Ja, gewiß!« antwortete er.
»Seid Ihr denn ertrunken?«
»Nein!«
»Mr. Burton tut gewiß nichts ohne Grund. Geht also hin und springt wieder hinein, und wenn Ihr dann ertrinkt, so seid Ihr quitt mit ihm!«
Her Okih-tschin-tscha war also abgetan. Professor Summer aber fühlte sich in seiner Würde als stellvertretender Vorsitzender gekränkt. Er als jetziger Theoretiker konnte sich dem Eindruck der kraftvollen Persönlichkeiten dieser beiden durch die schwere, praktische Lebensschule gegangenen Häuptlinge nicht entziehen. Sie imponierten ihm, und das war ihm wohl ärgerlich. Darum versuchte er, ihnen gegenüber seine Autorität geltend zu machen, indem er sich mit den Worten an sie wendete:
»Ich mache euch darauf aufmerksam, Meschschurs, daß es nach unseren Satzungen jedem Weißen verboten ist, sich am Mount Winnetou sehen zu lassen. Und diese Personen hier sind ja Weiße!«
Er sagte das in ziemlich scharfem Ton. Es klang ganz so, als ob hier schon gewisse Reibungen stattgefunden hätten, von denen wir noch nichts wußten.
Athabaska richtete sich in seiner ganzen Länge auf. Um seine Lippen spielte ein stolz ironisches Lächeln, als er mit der Frage antwortete:
»Darf ich fragen, von wem die Satzungen stammen?«
»Von uns, dem Komitee! Wir haben sie aufgestellt, und zwar aus guten, wohlerwogenen Gründen!«
»Und von wem stammt dieses Komitee? Wer hat es eingesetzt? Wer hat ihm die Macht erteilt, Gesetze zu geben und gewaltsam auszuführen? Könnt ihr euch auf die Autorität Gottes oder der Vereinigten Staaten berufen? Ihr seid ein Komitee von Old Surehands und Apanatschkas Gnaden, weiter nichts? Ihr habt euch selbst gewählt. Nun aber kommen wir, um diese Wahl und eure Satzungen zu prüfen!«
Er sprach ernst und stolz, fast wie ein König. Die beiden Professoren stachen von dieser seiner Größe ganz entschieden ab. Er warf einen Blick rundum und fuhr dann fort:
»Dies ist der Beratungsort, an dem sich das Schicksal der roten Nation entscheiden soll. Wer sind die Männer, die diese Entscheidung treffen? Ich sehe hier zwanzig Sitze. Fünf von ihnen sind sehr hoch, die anderen etwas niedriger. Für wen sind diese fünf?«
»Für uns, das Komitee.«
»Und die anderen?«
»Für die Häuptlinge, welche zu den Beratungen eingeladen werden.«
»Wie heißen sie?«
Er nannte die Namen, Athabaska und Algongka waren auch mit dabei, auch alle, die mir geschrieben hatten. Athabaska fuhr fort:
»Ich vermisse einen Häuptling, und zwar gerade denjenigen, dessen Namen ich am allerliebsten hörte, nämlich Old Shatterhand.«
»Er ist ein Weißer!«
»Wohl gar nicht mit eingeladen?«
»Doch! Wir haben ihn angewiesen, sich die Nummermarke für seinen Platz beim Schriftführer zu holen.«
»Und ihr meint, daß er dies tu? Was für Menschen ihr seid? Und das nennt sich ein Komitee! Ich sage euch, falls Old Shatterhand wirklich kommt, wird er sich den Platz nehmen, der ihm beliebt, nicht aber den, den ihr ihm bietet! Und wir beide, Athabaska und Algongka, verzichten überhaupt auf diese, von euch bestimmten Sitze. Wie kommt das Komitee dazu, sich höher zu setzen als die alten, berühmten Häuptlinge der eingeladenen Nationen? Wer hat Sie befugt, über unsern Sitzen sich Throne zu errichten? Macht Platz! Wir gehen. Wir gehören nicht hierher!«
Er nahm mich und meine Frau bei der Hand und schritt vorwärts. Die Roten wichen vor uns zurück. Gleich aber blieb er wieder stehen, wendete sich an die Professoren zurück und sagte:
»Es ist der größte aller Fehler, grad Bleichgesichter, die unsere Rasse lieben, von den Beratungen am Mount Winnetou auszuschließen. Kein Mensch steigt ohne die Hilfe anderer Menschen empor. So auch die Völker, die Nationen, die Rassen. Streicht euren steinernen Winnetou und euch so rot an, wie ihr wollt, Ihr werdet durch alle diese Räte es doch nicht verhüten, daß ihr dann gezwungen seid, über euer törichtes Werk noch tiefer als tief zu erröten!«
Dann wendete er sich zu mir:
»Ich kenne Eure Gesinnungen und Gefühle für das arme Volk der Indianer. Und dennoch bin ich überrascht, Euch hier zu sehen. Wißt Ihr, um was es sich hier handelt?«
»Ich vermute, daß man Winnetou ein gigantisches, steinernes oder ehernes Denkmal setzen will.«
»So ist es. Diese Idee geht von Old Surehand und Apanatschka aus, die ihre Söhne gern berühmt wissen wollen. Denn diese sind es, welche das Denkmal zu fertigen haben. Es wurde ein Komitee eingesetzt, diese Sache zu leiten. Es ergingen Einladungen an alle Stämme der roten Nation. Diese Angelegenheit wurde mit derselben Smartneß behandelt, wie man eine Eisenbahn- oder Oelgesellschaft gründet. Man begann sehr zeitig und sehr still. Man legte vor allen Dingen Beschlag auf die herrliche Gotteswelt, in der Ihr Euch hier befindet. Der Berg wurde Mount Winnetou genannt. Man will hier eine Stadt gründen, die Winnetou-City heißen soll und nur von Indianern bewohnt werden darf. Man pumpt in der Nähe schon Öl. Man hat den einen Wasserfall schon in Ketten geschlagen, um Elektrizität zu gewinnen. Dadurch ist mit der Zerstörung des herrlichen Landschaftsbildes und der Entweihung und Beschmutzung aller Ideale unseres großen Tatellah-Satah begonnen. Man fällt den Wald. Man zerstört ihn durch Steinbrüche, die man in den Felsen schlägt, um Material für den Kollossalbau des Denkmales und der Häuser zu gewinnen. Man will sogar das Wunder dieser Gegend, den herrlichen »Schleierfall«, vernichten, um Platz für Profangebäude zu gewinnen. Das wißt Ihr wahrscheinlich noch nicht. Ihr werdet es aber sehr bald erfahren, dies und noch viel mehr dazu.«
Er machte eine Pause, welche Algongka benutzte, einzufallen:
»Man gibt vor, durch dieses Denkrnalsprojekt alle roten Stämme vereinen zu können. Es ist aber gerade das Gegenteil, welches man erreicht. Man entzweit uns mehr und mehr, innerlich und äußerlich. Ihr seht das schon an dem Platz, der vor Euch liegt: hier die Unterstadt und dort die Oberstadt. Hier unten haben sich die Anhänger des Denkmalplanes festgesetzt; droben wohnen die Gegner desselben, zu denen auch wir gehören. Und hoch oben über uns allen grollt Tatellah-Satah und läßt sich vor niemand sehen. Seit man hier baut, ist er kein einziges Mal herabgekommen und hat auch keinem einzigen Menschen erlaubt, zu ihm hinaufzukommen. Er verkehrt nur mit den »Winnetous«, durch welche er mit der Menschenwelt in Verbindung steht. Auch wir sahen ihn noch nicht. Wir ließen ihm unsere Ankunft melden; er aber forderte Geduld, bis Einer gekommen sei, den er mit Schmerzen erwarte. Dann sei es Zeit für ihn, sein Haus zu verlassen und sich denen zu zeigen, die gleichen Gefühles und gleichen Willens mit ihm sind.«
»Wer mag der Eine sein?« fragte das Herzle.
»Das wissen wir ebensowenig wie der ,Winnetou‘, der uns diese Botschaft brachte. Aber wir warten, und wir wünschen, daß der Betreffende bald kommen werde. Euer Ziel, Mr. Burton, ist uns unbekannt. Seit Ihr nur aus Zufall hier?«
»Nein,« antwortete ich.
»So war es Eure Absicht, nach dem Mount Winnetou zu kommen?«
»Ja.«
»Und hier zu bleiben?«
»Und hier zu bleiben, bis die Verwicklungen behoben sind.«
»Wo werdet ihr wohnen? In der Unter- oder in der Oberstadt?«
»Droben bei Euch.«
»So bitten wir Euch, Euer Zelt in unserer unmittelbaren Nähe aufzuschlagen. Vielleicht erfahren wir dann auch, wenn es euch beliebt, wer euch, den Weißen, veranlaßt hat, Eurer Reise grad und genau nur dieses Ziel zu geben.
»O, was das betrifft, so könnt Ihr das schon jetzt erfahren. Ich wurde eingeladen, herzukommen. Und außerdem wäre ich auch ohnedies nach dem Mount Winnetou geritten, weil Ihr so viel und so interessant nicht nur von diesem Berge spracht, sondern auch von den Plänen, welche hier zur Ausführung kommen sollen.«
»Wir? Wir beide?« fragte er.
»Ja, ihr beide.«
»Wann und wo?«
»Im Clifton-Hotel, am Niagarafall.«
»Dort? Ja, da haben wir Euch zwar kennen und sehr, sehr schätzen gelernt, aber doch nicht von dem Mount Winnetou gesprochen!«
»Ja, nicht mit mir, aber doch miteinander! Ich hörte zu, denn ich saß am nächsten Tisch.«
»Uff, uff!« rief er aus.
»Uff, uff!« rief auch Athabaska. »Wir unterhielten uns in der Sprache der Apatschen. Wir waren überzeugt, daß dort niemand sie versteht. Ihr aber verstandet uns doch?«
Ich wollte antworten; da aber ertönten von der Oberstadt her laute Rufe. Es ging durch die Zeltgassen eine Bewegung, die uns näher kam. Man eilte nach allen Seiten, um eine Botschaft zu verbreiten. Nicht mehr lange, so verstanden wir, was man sich sagte.
»Tatellah-Satah kommt! Tatellah-Satah kommt!« rief man einander zu.
»Ist es möglich?« fragte Algongka.
»Ist es wahr?« erkundigte sich Athabaska. »Dann müßte ja der hier eingetroffen sein, auf den er wartet! Wer ist das? Wer hat ihn gesehen?«
Und da erschienen zwei Reiter oder vielmehr zwei Reiterinnen, die aus der Oberstadt im Galopp herabgeritten kamen. Sie überflogen mit ihren Blicken die Unterstadt, sahen den Menschenhaufen, den wir bildeten, und lenkten ihre Pferde auf uns zu. Es waren die beiden Aschtas, Mutter und Tochter.
Bei uns angekommen, sprangen sie von ihren Pferden, eilten, ohne eine andere Person anzusehen, auf uns zu und begrüßten uns mit rührender, mir beinahe unverständlicher Freude. Aber das Verständnis kam mir sofort, als die Mutter ihrem Gruß die Worte hinzufügte:
»Nun sind wir erlöst; nun sind wir erlöst! Und zwar durch Euch, Mr. Burton!«
»Erlöst? Durch mich?« fragte ich.
»ja, durch Euch! Denn nun ist das Warten zu Ende, und Tatellah-Satah wird mit Taten beginnen, mit Taten! Der ,junge Adler‘ kam hier an und ritt sofort zu ihm hinauf, um Euch zu melden. Vom Wachtturm aus wurde ausgeschaut und, als ihr kamt, das Zeichen herabgegeben. Nun verläßt der größte Medizinmann aller roten Völker zum erstenmal seit langer Zeit sein hohes Felsenschloß, um Euch entgegen zu kommen. Wir sind so froh, so froh!«
Sie drückte mir wieder und wieder die Hand und küßte dann das Herzle. Dann bekam auch unser alter, braver Pappermann den ihm gebührenden Teil des herzlichen Willkomms. So sehr Athabaska und Algongka ihre Gesichtszüge in der Gewalt hatten, jetzt konnten sie doch ihr Erstaunen nicht verbergen; aber sie fanden keine Zeit, es in Worten auszudrücken, denn es nahte sich von der Oberstadt her ein Reiterzug, der unsere ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nahm.
Voran ritt der »junge Adler«. Dann folgte in zwei Abteilungen die Leibgarde des Medizinmannes, auf kohlschwarzen Rossen, deren Schabracken aus den Fellen von Silberlöwen bestanden. Die Reiter waren auserlesene junge Leute, alle genauso gekleidet wie einst Winnetou sich zu kleiden pflegte, nicht mit Lanzen und Flinten bewaffnet, sondern nur mit Messer und Revolver im Gürtel und den Lasso in Schlingen von der Schulter zur Hüfte herab. Ein jeder trug das Zeichen des Winnetou auf der Brust. Als sie in unsere Nähe gelangten, lenkte der »junge Adler« zu uns herüber, deutete auf unsere Gruppe und hielt dann an. Auch alle anderen hielten. Ihre Reihen lösten sich, und aus ihrer Mitte ritt der Gebieter hervor, langsam auf uns zu, fast bis zu uns heran, parierte da sein Tier und überflog uns mit prüfendem Blick.
Er wurde von einem herrlichen, schneeweißen Maultier getragen, dessen Mähne in langgeflochtenen Zöpfen fast bis zur Erde niederhing. Die Schabracke bestand aus jenem unvergleichlichen altindianisehen Federgeflecht, von dem jeder Quadratdezimeter ein ganzes Vermögen kostet. Die Bügel waren von purem Gold, inkaperuanisch ziseliert. Ein Mantel hüllte ihn ein, so daß man den Anzug, den er darunter trug, nicht sah. Dieser Mantel war von blauer Farbe, aber von einem Blau, wie ich noch niemals eines gesehen habe und wahrscheinlich auch keines wieder sehen werde. Der Stoff war außerordentlich fein, wie allerfeinste, indische Seide, aber dennoch keine Seide, sondern von jenem längst verschwundenen sagenhaften Gewebe, von dem man erzählt, daß nur die Frauen der alten, südamerikanischen Herrscher es herzustellen verstanden. Sein Kopf war unbedeckt, und dennoch aber wohlbedeckt, und zwar von einem außerordentlich reichen, starken, silberglänzenden Haar, welches zu beiden Seiten in langen Zöpfen bis auf die Steigbügel niederfiel.
»Marah Durimeh!« flüsterte das Herzle mir zu.
Sie hatte recht. Genauso trug auch meine alte, herrliche, meinen Lesern wohlbekannte Marah Durimeh ihr Haar. Auch seine Gesichtszüge waren den ihren derart ähnlich, daß es mich beinahe erstaunte. Vor allem die Augen, diese großen, weit offenen, unerforschlichen, selbst aber alles erforschenden Augen, in denen der Ausdruck einer unerbittlichen Strenge und doch auch wieder einer heiligen Güte lag, die alles verstehen und alles verzeihen konnte. Und als er zu sprechen begann, erschrak ich fast. Es überlief mich kalt. Seine Stimme war unbedingt die Marah Durimehs, so voll, so tief, so wirkungsstark, ein klein wenig männlicher gefärbt, aber doch genau dieselbe!
»Wer von euch ist Old Shatterhand?« fragte er, indem sein Blick uns prüfte.
Bei seinem Erscheinen war jedermann verstummt, so tief wirkte seine geheimnisvolle, unwiderstehliche Persönlichkeit. Als er aber diesen Namen nannte, flüsterte es rund um mich her:
»Old Shatterhand? Old Shatterhand? Ist doch nicht hier! Kann unmöglich hier sein! Oder doch, oder doch?«
»Ich bin es«, antwortete ich, indem ich hervortrat und langsam auf ihn zuschnitt.
Eine Sekunde lang war es, als ob sein Blick mich umfassen und verbrennen wolle, dann schwang er sich mit jugendlicher Leichtigkeit aus dem Sattel, um mir einige Schritte entgegenzukommen und dann meine Hände zu fassen. So standen wir nun voreinander, ernst, unendlich ernst, und doch mit inniger Freude. Auge in Auge. Fest ineinandergetaucht. Uns beide der Wichtigkeit des gegenwärtigen Augenblickes voll und ganz bewußt. Da begann er wieder zu sprechen:
»Man sagte mir, du seist ein Greis geworden. Du bist keiner! Das Menschenleid kann zur Matrone werden, doch nie die Menschenliebe, die uns vereint, obgleich ich dich seit kurzem erst verstehe. Ich heiße dich willkommen!«
Er küßte mich, drückte mich an sich und küßte mich wieder und wieder. Dann ergriff er meine Hand und wendete sich an die Schar der Anwesenden:
»Ich kenne euch nicht. Ich bin Tatellah-Satah, und hier an meiner Seite steht Old Shatterhand. Aber irrt euch nicht in uns! Wir sind nicht nur das, sondern wir sind mehr. Ich bin die Sehnsucht der roten Völker, welche, nach Osten schauend, auf Erlösung warten. Und er ist der anbrechende Tag, der über Länder und Meere wandert, um uns die Zukunft zu bringen. So soll ein jeder Mensch zugleich auch die Menschheit bedeuten, und was ihr hier an meinem Berg tut, mag es recht oder unrecht sein, das tut ihr nicht für euch und nicht für den heutigen Tag, sondern für Jahrhunderte und Jahrtausende und für die Völker aller Erdenländer!«
Und das Wort nun wieder an mich richtend, fuhr er fort:
»Steig auf dein Pferd und folge mir! Du bist mein Gast! Der liebste, den ich kenne! Was mein ist, sei auch dein!«
»Ich bin nicht allein,« antwortete ich.
»Ich weiß es. Es wurde mir vom Nugget-tsil gemeldet. Bring mir die Squaw, von der meine Späher sagen, sie sei wie Sonnenschein! Bring mir ihr Pferd! Und bring mir auch den alten, treuen Jäger!«
Ich holte das Herzle. Es war ihr, als müsse sie vor ihm niederknien und ihm die Hände küssen. Er aber zog sie an sich und sprach:
»Noch nie berührten meine Lippen ein Weib. Du sollst die erste sein, die erste und die letzte, die einzige!«
Er küßte sie auf die Stirn und auf die Wangen. Dann bat er:
»Steig auf! Ich hebe dich!«
Pappermann hatte ihr Pferd gebracht. Der »Bewahrer der großen Medizin« faltete seine Hände zum Bügel. Das Herzle trat hinein und wurde von ihm in den Sattel geschwungen. Hierauf bekam auch Pappermann einen gütigen Händedruck und den Befehl, sich mit dem Gepäck uns anzuschließen. Bevor Tatellah-Satah selbst wieder aufstieg, hielt ich es für geraten, ihm zunächst unsere Freundinnen, die beiden Aschtas, und dann auch Athabaska und Algongka vorzustellen. Er gewann sich ihre Herzen sofort durch die Art und Weise, in der er das entgegennahm. Dann schwang er sich wieder auf sein Maultier und geleitete uns zu seinen Trabanten, welche mit uns in derselben Ordnung davonritten, in der sie gekommen waren: Voran der »junge Adler«, dann die Hälfte der Winnetous, hierauf Tatellah-Satah mit dem Herzle und mir, hinter uns Pappermann mit den Gepäckmaultieren und dann die andere Hälfte der Leibgarde. So ging es aus der Unterstadt hinauf in die Oberstadt und dann dem Innental zu, welches ich als Portal des Mount Winnetou bezeichnet habe. Ueberall, wo wir vorüberkamen, standen rechts und links die Indianer, um ihrem größten und berühmtesten Forscher und Gelehrten in ihrer stillen und doch so laut sprechenden Art und Weise ihre Hochachtung und Huldigung darzubringen. Es war als ob ein König oder ein Heiliger an ihnen vorüberziehe, nach ihrer Anschauung vielleicht beides zugleich. Das Herzle war sehr bleich, war tief ergriffen, und mir ging es nicht anders.
Als wir die von Zelten besetzte Vorebene des Mount Winnetou hinter uns hatten, öffnete sich die kompakte Masse des Vorderberges zu einem hohen, breiten Felsentor, durch welches wir das in das Innere des Berges führende Tal betraten. Die Wände dieses Tales stiegen hoch an; sie waren bewaldet.
»Bevor wir hinauf zum ,Schlosse‘ reiten, führe ich euch zu meinem Wunder«, sagte Tatellah-Satah. »Ich meine den Schleierfall, den es nur hier, sonst nirgends gibt. Ihr werdet vorher noch anderes sehen, nämlich das berühmte ,Ohr des Teufels‘, dessen Zweck man nicht mehr kennt, und das Modell zur Winnetoustatue, an welchem Young Surehand und Young Apanatschka arbeiten.«
Ich antwortete nicht; ich blieb still. Ich tat, als ob mich dieses »Ohr des Teufels« gar nicht interessiere. Bekanntlich hatten wir den alten Kiktahan Schonka und seinen Verbündeten Ttisahga Saritsch in der Bergellipse kennengelernt, welche den Namen Tscha Manitou, »Ohr Gottes«, führt. Wir erfuhren dort, daß es eine zweite, derartige Ellipse gibt, die man Tscha Kehtikeh, das »Ohr des Teufels«, nennt. War damit der Ort gemeint, von dem der Medizinmann jetzt sprach? Das Herzle schaut mich an. Sie war der Meinung, daß es meine Pflicht sei, mich über diesen Gegenstand zu äußern. Ich aber schüttelte leise den Kopf. Als der »Junge Adler« an der Devils pulpit von dem ‚Ohr Gottes« und dem »Ohr des Teufels« sprach, hatte er gesagt, daß er das Geheimnis dieser beiden Orte von Tatellah-Satah zu erfahren hoffe; ich aber war der Meinung gewesen, daß der Medizinmann selbst noch nicht alles wisse. Darum hielt ich es für richtiger, nicht eher hierüber zu sprechen, als bis ich erfahren hatte, wie weit seine Kenntnis dieses Gegenstandes reiche.
Der Boden, auf dem wir ritten, glich keineswegs einem Wildnispfad, sondern einer alten, jämmerlich ab- und ausgefahrenen deutschen Dorf straße, auf welcher schwere Lastwagen verkehren. Es gab tief eingeschnittene Wagengeleise und Pferdespuren, die darauf schließen ließen, daß die hier transportierten Lasten nicht ohne Tierquälerei bewegt worden waren. Das Herzle konnte nicht umhin, eine bedauernde Bemerkung hierüber zu machen. Ich antwortete. Tatellah-Satah war still. Aber seine Brauen zogen sich zusammen, und sein Gesicht legte sich in strenge Züge.
Dieser Fahrweg führte bergan, doch so langsam, daß man es kaum bemerkte. Bald zweigte links ein breiter Reitweg ab, der schneller zur Höhe stieg.
»Unser Weg hinauf zum Schlosse erklärt der Alte. »Wir aber bleiben jetzt noch unten; wir reiten weiter.«
Nach vielleicht einer Viertelstunde mündete das Tal ganz plötzlich auf einen freien Platz, der schmal begann, aber nach und nach immer breiter und breiter wurde. Mit dieser Breite wuchs die Steilheit der Felsen. Diese letzteren zeigten zu beiden Seiten unseres Weges je einen nicht genau kreisförmigen Einschnitt. Beide Einschnitte lagen einander gegenüber. Sie bildeten riesige Felsennischen, zur rechten und linken Seite des Platzes gelegen. Es fiel mir auf, daß die eine so tief und breit und auch genauso abgerundet wie die andere war. Ich gewann den Eindruck, daß zwar die Natur die Bildnerin gewesen war, daß aber die Menschenhand nachgeholfen hatte, und zwar vor mehreren Tausenden von Jahren. Daß diese Menschenarbeit nicht nur einen besonderen Zweck, sondern auch einen tieferen Sinn gehabt hatte, verstand sich ganz von selbst. Ich hatte sogleich meine eigenen Gedanken hierüber, zumal mir ein Umstand in die Augen fiel, der mich sofort an die Devils pulpit erinnerte, wo wir die Beratung der Utahs und der Sioux belauscht hatten. Nämlich im vorderen Teil der beiden Nischen bestand der Boden aus sehr fest zusammengefügten Steinplatten, die keine Vegetation aufkommen ließen. Und über diese Platten erhob sich in beiden Nischen ein kanzelartiger Felsen, der einer kleinen, früheren Insel glich und Stufen hatte. Das gemahnte direkt an jene Beratungskanzel, auf deren Stufen ich die kleinen Hundepfötchen gefunden hatte, welche einen Teil der Medizin des alten Kiktahan Schonka bildeten. Der hintere Teil beider Nischen aber war derart mit Gestrüpp, Gesträuch und Bäumen besetzt, daß man sich hinter diesen Büschen leicht eine zweite Kanzel denken konnte, ähnlich derjenigen, auf welcher der Bär sein Lager aufgeschlagen hatte und von uns erlegt worden war. Wenn man nicht tiefer dachte, konnte man also sehr wohl auf den Gedanken kommen, daß jede dieser Nischen eine Wiederholung des ellipsenförmigen Talkessels bedeute, der uns als die Devils pulpit bekannt geworden war. Ich sage mit Absicht, »wenn man nicht tiefer dachte«, denn ich hatte große Lust, diesen Vergleich nicht für einen tief sinnigen, sondern für einen oberflächlichen zu halten, fand aber keine Zeit, weiter nachzudenken, weil Tatellah-Satah jetzt das Schweigen unterbrach, indem er, nach rechts und links deutend, sagte:
»Das sind die ,Ohren des Teufels‘, auf dieser Seite eines und auf der anderen Seite eines. Hast du schon einmal von ihnen gehört?«
»Nicht von zweien, sondern nur von einem«, antwortete ich.
»In Wirklichkeit ist auch nur ein einziges da; denn das eine ist richtig, und das andere ist falsch. Aber welches das richtige und welches das falsche ist, das weiß man bis heute noch nicht.«
»Aber früher hat man es gewußt?«
»Ja. Dieses Wissen ist aber wieder verlorengegangen. Ich gab mir alle Mühe, es zurückzufinden, doch leider ohne Erfolg. Es gibt zwei ,Teufelskanzeln‘, die eine hier, die andere droben in Colorado. Die dortige ist das ,Ohr Gottes‘; die hiesige ist das ,Ohr des Teufels‘.
Ich werde dir erzählen, was diese Namen bedeuten, doch nicht jetzt, sondern später.«
Wir ritten weiter.
Der Platz, auf dem wir uns befanden, war bis jetzt noch von über tausendjährigen, breitwipfeligen Laubbäumen besetzt gewesen, die uns die Aussicht benahmen, doch als wir an ihnen vorüber waren, wurde der Blick in die Ferne frei, und wir hielten unsere Pferde an, denn das, was wir sahen, fesselte uns sofort und derartig, daß es uns innerlich und äußerlich ganz in Anspruch nahm.
»Das ist das Wunder; von dem ich sprach, der Schleierfall«, sagte der Medizinmann, indem er vorwärts deutete.
Wir konnten den hohen, hinteren Teil des breiten Platzes übersehen. Da oben, aber für uns unsichtbar, weil wir uns in der Tiefe befanden, lag der bereits erwähnte »Geheimnis- oder Medizinensee«. Von ihm aus warf sich die Höhe so steil zu uns herab, daß ihre Bewegung eine genau senkrechte war, und zwar in ihrer ganzen Breite. Ich habe schon erwähnt, daß dieser See zwei Wasserfälle speiste, welche zu beiden Seiten des Mount Winnetou niederfielen, um den »Weißen Fluß« zu bilden. Aber in diesen Katarakten entfernte er nicht das ganze Wasser, welches ihm überflüssig war, sondern es gab noch einen dritten Weg, sich von ihm zu befreien, nämlich eben durch den Schleierfall. Während der See nach außen die beiden schmalen Fälle speiste, lief er nach innen in breitester Weise über, von einer bis zur anderen Seite des Platzes, auf dem wir uns unten befanden. Die Linie, auf der er dies tat, war vollständig gerad und vollständig horizontal, so daß das Wasser gleichmäßig verteilt, glatt und eben, wie ein polierter Spiegel, in das Tal herniederstürzte.
Dieser Spiegel war gewiß fünfzig Meter hoch. Seine Glätte wurde keinem einzigen Punkt getrübt und sein Zusammenhang um keinen Zentimeter unterbrochen. Und da er die ganze Breite des Innentales einnahm, so kann man sich wohl denken, was für einen tiefen, tiefen Eindruck er machte! Es war jetzt kurz nach Mittag. Die Sonne stand hoch. Ihre Strahlen fielen schräg auf den Wasserspiegel und wurden von ihm derart gebrochen und zurückgegeben, daß es schien, als ob er nicht aus Wasser, sondern aus flüssigem Gold, Silber und Kupfer und aus fallenden Strömen von Diamanten, Rubinen, Saphiren, Smaragden, Topasen und anderen Edelsteinen bestehe. Das erschien allerdings wie ein Wunder! Noch wunderbarer aber war, daß dieser Fall unten nicht etwa einen See oder eine andere, derartige Wasseransammlung bildete, sondern sofort und restlos in der Erde verschwand.
»Wo sieht man dieses Wasser wieder?« fragte ich Tatellah-Satah.
»Im ,Tal der Höhle‘, fünf Reitstunden weit von hier«, antwortete er.
Das war mir sehr interessant, denn dieses Tal der Höhle war ja der Ort, an dem Kiktahan Schonka mit seinen Verbündeten sich verstecken wollte. Tatellah-Satah fuhr fort:
»Um diese Tageszeit ist der Fall wie von Gold und Edelsteinen gewebt, nicht aber ein Schleierfall. Doch schaut ihn Euch später an! Des Abends oder des Nachts, im Dunkel, im Halbdunkel, im Mondschein, im Sternenschein, im vereinigten Mond- und Sternenschein! Da ist es, als ob man sich auf einem anderen Stern, in einer anderen Welt befinde, nicht aber auf dieser Erde, der nichts mehr heilig gilt!«
Er deutete dabei auf ein im Entstehen begriffenes Bauwerk, welches in kurzer Entfernung vor dem Wasserfall aus der Erde und derart zum Himmel strebte, als ob ihm die Aufgabe gestellt sei, dieses Wunder zu entweihen. Es bestand jetzt aus einem ungeheuer schweren, massigen Postamente von zehn übereinander liegenden Riesenstufen, die so breit und so hoch waren, daß ihr Gewicht viele Tausende von Zentnern betrug und jedenfalls darauf berechnet war, ungeheure Lasten zu tragen. Auf diesem Piedestal erhoben sich zwei Balkengerüste, mit deren Hilfe an dem unteren Teil einer Kolossalstatue gearbeitet worden war. Das eine Bein war bis zum Knie, das andere bereits bis zur Hälfte des Oberschenkels entwickelt. Man sah deutlich, daß die Figur eine indianische Reithose und Mokassins tragen sollte.
»Welch eine Sünde!« klagte das Herzle. »So ein formloses Menschenwerk grad vor so ein Gotteswunder zu stellen! Wer ist der Mann, der das ersonnen hat?«
»Es ist nicht einer, sondern es sind vier!« antwortete Tatellah-Satah. »Old Surehand, Apanatschka und ihre Söhne!«
»Was? Wie?« rief ich aus. »Soll diese Figur hier etwa Winnetou werden?«
Der Medizinmann nickte nur.
»Unmöglich! Hierher!? Ich denke, man will ihn auf die Höhe des Berges stellen!«
Seit wir uns in diesem Tal befanden, waren wir nicht mehr in der Mitte, sondern an der Spitze der Trabanten geritten. Der »junge Adler« befand sich also bei uns. Er antwortete:
»Das ist richtig. Die endgültige Figur soll auf den hohen Bergesvorsprung, den ich Euch noch zeigen werde. Das Modell steht in der Unterstadt in einem besonderen Gebäude. Dieses hier soll der Probeversuch sein. Von ihrem Gelingen hängt es ab, ob der Plan auszufahren ist oder nicht. Zu so einem Kolossalwerk sind auch kolossale Mittel nötig. Um diese Mittel zusammenzubekommen, muß man die Geber für das Werk begeistern. Darum hat man gerade diesen Platz für die Probestatue gewählt. Old Firehand und Apanatschka bauen sie aus ihren eigenen Mitteln. Die Mittel zur Ausführung des eigentlichen Werkes erwartet man von der roten Nation. Um diese zu begeistern, ist der Platz hier am Schleierfall am geeignetsten. Da soll die Statue vorgeführt werden. Da soll sie beleuchtet werden, des Nachts, mit Elektrizität, mit Lampions und künstlichem Feuerwerk. Man rechnet dabei auf die jedenfalls großartige, überwältigende Mitwirkung des Schleierfalles.«
»Und das duldet Ihr?« fragte das Herzle, das außerordentlich kunstempfindlich ist und sich durch diesen Plan wie innerlich verwundet fühlte.
»Ich nicht!« antwortete Tatellah-Satah, indem er wie schwörend die Hand erhob. »Doch stand ich allein. Ich konnte nur vorbereiten und mußte warten. Nun aber der gekommen ist, auf den ich hoffte, gebe ich ihm dieselbe Frage: Und das duldest du?«
Er richtete sie an mich. Da stieg etwas ganz Eigentümliches, etwas Unbeschreibliches in mir auf.
»Habe ich Einfluß auf dein Volk, auf deine Rasse?« fragte ich ihn. »Nein!«
»Nein?« fragte er. »Und hättest du ihn nicht, so bist du doch, der du bist. Ich brauche dein Auge; ich brauche dein Ohr; ich brauche deine Hand; ich brauche dein Herz. Wenn du mir das gibst, so werde ich siegen!«
Da reichte ich ihm die Hand und antwortete:
»Hier Auge und Ohr, hier Hand und Herz. Ich bin dein!«
Da drückte er mir die Hand, daß es mich fast schmerzte, und sprach:
»So heiße ich dich zum zweiten und zum höchsten Male willkommen! Du sollst mein Gast sein, wie noch niemand mein Gast gewesen ist – – —«
Schnell unterbrach ich ihn:
»Laß mich dein Gast sein, wie ich es wünsche, anders nicht!«
»Und was wünschest du?«
»Ein freier Mann zu sein, kommen und gehen zu dürfen, ohne gehindert zu werden. Vertrauen bei dir zu finden, so wie du dir selbst vertraust!«
»So sei es! Du bist dein eigener Herr, und alles, was ich habe, ist dein!«
Da kam es wieder über mich wie vorhin. Ich deutete auf das schwer lastende Bauwerk und sprach:
»So sage ich dir: Eher werden diese Quadern von selbst in der Erde verschwinden, auf die man sie gegründet hat, als daß man meinen Winnetou mit Lampions und Feuerwerk beschimpft! Doch versuchen wir es zunächst in Liebe!«
»Ja, zunächst in Liebe«, stimmte er bei. »Kommt, kehren wir um; wir sind hier fertig!«
Wir ritten den Weg, den wir gekommen waren, zurück, bis wir die Stelle erreichten, an welcher der Reitpfad zur Seite ab hinauf nach dem Schloß führte. Dem folgten wir. Unterwegs erfuhren wir von dem »jungen Adler«, daß der Platz am Schleierfall jetzt regelmäßig von Arbeitern wimmelte und heute nur deshalb so leer und einsam gewesen sei, weil alle Kräfte nach den Steinbrüchen mußten, um neue Quadern zu holen. Das Herzle war sehr ernst und nachdenklich geworden. Sie sah, daß ich sie daraufhin beobachtete und wohl gern den Grund erfahren hätte; darum sagte sie, ohne diese meine Frage abzuwarten: