Kitabı oku: «Mozart»

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Mozart

Sein Leben und Schaffen

Karl Storck

Inhaltsverzeichnis

Vom musikalischen Genie und dem Universalstil der Musik

Erster Teil: Kinder- und Lehrjahre

1. Die Eltern und das Kind

2. Die Weltreise des Wunderkindes

3. Heimatliches Intermezzo

4. Italienische Reisen

5. In der Salzburger Enge

6. Ergebnisse

Zweiter Teil: Wanderjahre

7. Mannheim

8. Paris

9. Zurück ins Joch

10. Die Befreiung

Dritter Teil: Meisterjahre

11. Die Entführung aus dem Serail und aus dem »Auge Gottes«

12. Alltagsleiden und -freuden

13. Zwischen den Opern

14. Die italienischen Opern

15. Zum frühen Ende

Ausklang

Karl Storck

Mozart

Sein Leben und Schaffen

1908

Meinem Freunde

dem Bildhauer Ernst Müller

zu eigen

Es ist mir eine tiefe Freude, Ihnen, lieber Freund, dieses Buch in Ihre römische Werkstatt schicken zu können. Außer der Selbstbeglückung, die in dem Bewußtsein liegt, einem lieben und verehrten Menschen eine Freude zu bereiten, veranlassen diese Widmung auch in der Sache liegende Gründe. Der wichtigste darunter ist die Wesensverwandtschaft Ihres künstlerischen Schaffens mit dem mozartischen in dessen wunderbarster Eigenschaft: der harmonischen Schönheit. Tiefe Harmonie verdankt sich nicht einem leichten, kampflosen Erleben, sondern dem völligen Durchkämpfen des Erlebnisses bis zum Friedensschlusse in und mit sich selbst. Dann erst tritt die künstlerische Gestaltung ein, die als solche bereits das Ergebnis des Lebenskampfes ist und deshalb in ihrem Erzeugnis – dem einzelnen Kunstwerke – vom Kampfe nichts mehr verrät, sondern nur sieghafte Harmonie ausstrahlt.

In dieser Eigenschaft liegt für mich vor allem die beglückende Kraft der mozartischen Kunst; im geistigen und seelischen Erarbeiten dieser Lebens- und Kunstharmonie beruht die Herrlichkeit des Menschen Mozart. Mein Buch möchte den Leser zu dieser unversiegbaren Quelle schönen Menschentums hinführen.

Dann dachte ich bei der Widmung an die vielen Abende, an denen wir am Flügel und – gerne sei's gestanden – beim gehaltvollen Tropfen musiziert, gesprochen, gestritten, gelacht und geschwärmt haben. Es war der Tafelrunde stillschweigendes Übereinkommen, vor keiner Frage die Ohren zu verschließen und keinem Problem aus dem Wege zu gehen. Ich habe es auch bei meinem Buche so gehalten, bei dem mir oft war, als entstände es im Gespräch in unserem Kreise. Es mag auf diese Weise mancherlei in das Buch gekommen sein, was nicht unbedingt darin nötig wäre. Aber als alte Alpenwanderer wissen wir beide, daß man oft auf Umwegen am sichersten zum Ziele gelangt und auch auf ihnen wertvolle Ausblicke genießt.

Dieses Ziel war für mein Buch: die Erkenntnis der Persönlichkeit Mozarts als der Quelle seiner Kunst. Es scheint mir unleugbar, daß die Gesamterscheinung eines Künstlers nur mit den Mitteln einer aus den geschichtlichen, kulturellen und sozialen Verhältnissen seiner Zeit in ihn eindringenden Psychologie zu erkennen ist; daß aber die Liebe zu einem Künstler vor allem in seinen lebendigen Gegenwartswerten beruht. Wir erleben bei großen Künstlern wohl immer, daß mit der Erkenntnis auch die Liebe wächst. Das ist das wunderbar Beglückende des Umgangs mit den Großen. Ich habe für meine Person dieses Glück bei Mozart erfahren und versuchte nun, andere daran teilnehmen zu lassen. So war mein stetes Bestreben, die geschichtlichen Grundlagen von Mozarts Leben und Schaffen aufzudecken, dabei aber alles Geschichtliche nur als Mittel zur Entdeckung von Gegenwartswerten zu nützen.

Wenn es wahr ist, daß vieler Liebe viel vergeben wird, ist mir für die Aufnahme meines Buches trotz seiner Schwächen nicht bange. Denn ich habe es mit wahrhafter Liebe geschaffen, die um so mehr wuchs, je schwerer ich mir die Muße dafür einer reichbemessenen Berufsarbeit abgewinnen mußte. So hoffe ich, daß etwas von dieser Liebe in dem Buche wirken möge auf seinen Leser und ihn dann mitreiße zur Liebe für Mozart, für edle Schönheit in Leben und Kunst.

z. Zt. Ettingen, im August 1908

Karl Storck, Berlin Präludium

Vom musikalischen Genie und dem Universalstil der Musik

Mozarts Name und seine Werke sind in einer Weise und Ausdehnung volkstümlich geworden, daß man den großen Feierlichkeiten wie Familienfesten beiwohnen wird.« Was Liszt zur 100. Wiederkehr von Mozarts Geburtstag voraussagte, hat sich auch bei der 150. wiederholt. Dabei fällt zweierlei als besonders merkwürdig auf. Alle Schichten der Bevölkerung und alle musikalischen Kulturvölker empfinden die Mozartfeier als Familienfest, das man aus innerem Drang, wie etwas Selbstverständliches feiert. Der Name Mozart ist geradezu zum Begriff Musik geworden, und Musikliebe wird gleich Liebe zu Mozart, selbst für jene, die sich keines engeren Verhältnisses zu des Meisters Werken rühmen können. Und wenn Richard Wagner Mozart als »Licht- und Liebesgenius« bezeichnete, so deckt sich auch das mit der Vorstellung, die der Mensch mit der Musik verbindet, die ihm die Kunst verklärender Schönheit, liebegesättigter Seligkeit ist, auch heute noch, wo unsere zeitgenössische Komposition fast immer anderen Zielen nachstrebt. So verbinden sich mit dem Namen Mozart, unabhängig von der zeitweilig stärker oder geringer hervortretenden Bedeutung seiner Werke für das öffentliche Musikleben, zwei Vorstellungen rein musikalischer Art, die auch bei keinem andern Musiker mit dieser Klarheit zu untersuchen sind: 1) Mozart ist das musikalische Genie und damit die reinste Ausdrucksform des Genies schlechthin; 2) Mozarts Musik ist in jenem höchsten Sinne universal, daß jedes Volk in ihr einen Gipfel seiner Musik sehen kann. –

Wesen und Ursache dieser Erscheinung möchte ich untersuchen, bevor wir uns mit Mozarts Lebensgang beschäftigen.

~ ~ ~

Als Christoph Willibald Ritter von Gluck, nachdem er zu der Einsicht gekommen, daß er in Deutschland sein Reformwerk der Oper niemals würde durchsetzen können, die Pariser Bühne sich zu gewinnen strebte, schrieb er in seinem berühmt gewordenen Briefe vom Februar 1773 an den »Mercure de France«, es sei sein Lieblingsgedanke, »eine allen Nationen zusagende Musik zu schaffen und dadurch den lächerlichen Unterschied der nationalen Musiken verschwinden zu lassen«. Schier hundert Jahre später glaubte freilich auch Richard Wagner, daß nur von Paris aus eine für das Opernwesen bedeutsame Kundgebung auf durchschlagenden Erfolg rechnen könne. Er handelte danach; aber es geschah aus jener bitteren Erkenntnis heraus, in der Goethe bereits geurteilt hatte, daß es Deutschland zwar nie an Talenten, dagegen immer an nationalem Geiste gefehlt habe. Wagner wollte von Paris aus nicht Paris oder die Welt erobern, sondern Deutschland. Den höchsten nationalen Gehalt des Deutschtums durch die Musik und in ihr neu aufleben zu lassen und zu stärkerer Wirkung zu bringen, als es in den anderen Künsten möglich ist, war das Streben seines Lebens.

Uns Heutigen, die wir, trotz alles Geredes von Internationalität der Kunst, diese viel volklicher empfinden als irgend ein Zeitalter zuvor, weil wir das Nationale nicht mehr als eine Begrenzung betrachten, sondern als Stärkung des Charakters, erscheint Glucks Streben, eine alle Nationen umfassende Musik zu schaffen, als Beengung und Abschwächung des Stärksten in seinem Wesen. Umgekehrt fühlen wir, daß gerade auf Wagners Deutschheit seine Macht auf die Welt, seine Universalität beruht.

Glucks Streben nach Internationalität trägt die Schuld an seinem Festhalten an den konventionellen Formen der Antike, seinem Beharren in der äußerlichen Romantik, seinem Versagen gegenüber dem Plan zur »Hermannsschlacht«, der Unterlassung des Versuchs, eine deutsche Operndichtung zu vertonen. Man muß dabei bedenken, daß er begeisterter Bewunderer Klopstocks war; und es ist doch gut denkbar, ja geradezu sicher, daß Klopstock eine Operndichtung wohl hätte gestalten können, in der Gluck für sein bestes Vermögen des Ausdrucks innerer Seelenentwickelung reiche Anregung gefunden haben würde. Was Glucks unvergängliche Größe ausmacht, ist ausgesprochen deutsch: eben die Betonung der seelischen Entwicklung. Dieses ist auch das stets Lebendige, noch heute Wirksame in Glucks Kunst. Daß die Neubelebung seiner Werke so schwer fällt, daß es nicht mehr recht gelingen will, ihnen eine edle Volkstümlichkeit zu verschaffen, liegt an jenen internationalen Eigenschaften. Die Musik würde, zumal bei einer Art von Auffrischung, wie sie Wagner der »Iphigenie in Aulis« hat zuteil werden lassen, bei ihm kaum ein Hindernis für eine Neubelebung bilden, die um so wünschenswerter wäre, als damit der romantischen Welt Wagners die ruhige, klare klassische Welt gegenübergestellt würde. Die Antike Glucks ist nämlich, wenn man die Musik allein ansieht, nicht die französische Klassizistik, als die sie durch das äußere Gewand der Handlungs- und Redeführung erscheint, sondern durchaus der Goethischen Welt verwandt. Gerade in der »Iphigenie« fühlt man diese Wesensverwandtschaft beider deutlich heraus.

Liegt bei Gluck das ausgesprochen Deutsche in der Musik im Gegensatz zur Dichtung, die dem Weltbesitz der antiken Mythe entnommen war, so hat umgekehrt Wagner seine Weltstellung zweifellos der Musik zu verdanken, deren Prächtigkeit und ausgesprochene Theatralik – im besten Sinne des Wortes; Wagner nannte es das Exklamative in seiner Natur – Eigenschaften sind, die der deutschen Musik wenigstens vor ihm abgehen. Es fehlt in Wagners Kunst jene Intimität, jenes Sichversenken oder meinetwegen auch Sichverbohren in einen Gedanken, eine Empfindung, das sonst fremden Völkern das Eindringen in das tiefste Wesen deutscher Musik so sehr erschwert hat. Das Verständnis der dichterischen Welt Wagners dagegen ist eigentlich nur aus deutsch-romantischem Gefühl heraus zu erreichen.

Es ist sicher, und die Geschichte der Oper in den verschiedenen Ländern beweist es, daß gerade die Verbindung mit dem Worte für die Musik selber, deren Tonmaterial an sich für alle Völker gleich ist, leicht einen ausgesprochenen Nationalcharakter herbeiführt. Der italienischen steht die ebenso charakteristische französische Oper gegenüber; für Deutschland kann man von einer wirklichen Nationaloper allerdings erst seit der Romantik sprechen; aber auch England in seiner kurzen Musikblüte und viel später die nordischen und slawischen Länder haben zu allererst bei der Oper sich der nationalen Eigentümlichkeiten ihrer Musik bedient.

Trotzdem ist der ja gewiß verlockende Gedanke einer allumfassenden Kunst, die alle Völker befriedigt und ergötzt, auch in der Musik einmal zur Tatsache geworden, und zwar gerade in der Verbindung mit dem Worte durch Wolfgang Amadeus Mozart. Jedes der musikalischen Kulturvölker preist Mozart als reinsten Offenbarer der Musik. Er kann uns also schlechthin als der Gipfel der Musik überhaupt erscheinen.

Es regt sich in uns Deutschen heute bei diesem Urteile vielleicht mehr Zurückhaltung – Widerspruch wäre zu scharf – als beim Franzosen oder Italiener. Drei Namen drängen sich uns dabei als Nebenbuhler um jenen Ehrentitel auf: Wagner, Beethoven, Joh. Seb. Bach. Zuerst scheiden wir Wagner aus, da er ja selber nicht als Musiker angesehen werden wollte und jedenfalls innerhalb der Bewegung der Musik allein nicht gewürdigt oder erfaßt werden kann. Bach, der Urgewaltige, dessen Kunst unerschöpflich und für die Ewigkeit gestaltet erscheint, wie das Meer, dem ein Beethoven ihn bewundernd verglich, wird ja zweifellos in den nächsten Jahrzehnten immer mehr und mehr bedeuten, gerade für das deutsche Volk. Aber es ist in Bachs Kunst doch zu vieles, was uns hindert, sie als Gegenwartswert zu empfinden. Es liegt nicht nur in Einzelheiten der Form. Es liegt vielmehr gerade in dem, was Bachs allerhöchste Größe ausmacht, nämlich in der Tatsache, daß er in seiner Person die Kunst zweier verschiedener Zeitalter vereinigt. Wir aber stehen mit beiden Füßen in der zweiten dieser Welten und empfinden alles, was an die erste gemahnt, als gewesen. Dann verbindet sich uns mit Bachs Musik die Vorstellung stark erregter Religiosität. Es ist eine nicht genug beachtete Tatsache, daß sich mit der Kunst des von den Vertretern der absoluten Musik als Hort und Urbeispiel ihrer Anschauung aufgerufenen Mannes unwillkürlich eine Anschauung verknüpft, die nicht wesentlich musikalisch ist.

Dagegen wirkt Mozarts Kunst, obgleich sie viel offenkundiger sich mit einem nicht ausgesprochen musikalischen Zweck – dem Theater – verband, gerade für unsere Erinnerungsvorstellung von dem Wesen des Künstlers nur als Musik. In Mozart ist gewissermaßen die Musik an sich lebendig geworden. Er ist der einzige wirklich absolute Musiker, d. h. nur und voll Musiker, der heute noch uns ganz zu erfüllen vermag, der für uns die Bedingung des ewigen Lebenkönnens in sich zu tragen scheint.

Die heutige Welt ist nämlich für die rein musikalische Kunst nicht mehr recht empfänglich. Die im neunzehnten Jahrhundert in die eigentliche Kunsthöhe aufgerückten Nationalmusiken der slawischen und nordischen Völker sind überhaupt nicht ins Gebiet des rein Musikalischen gelangt. Entweder haben sie sich gleich an das »Dichten in Tönen« gemacht, oder sie sind so sehr im Bereich der Tanzmusik stecken geblieben, daß wir uns von der Vorstellung des Tanzens bei dieser Musik kaum freimachen können. Die Italiener, die einst um zweier Eigenschaften der reinen Musik willen – wegen des sinnlichen Wohllautes und der Freude am Spiel bewegter Form – alles andere preisgaben, haben sich auch in ihrer Oper, in der allein sie sich ja ausleben zu können scheinen, ebenfalls der Macht des Dichterischen oder doch der Situation gebeugt. Ebenso sind die Franzosen, die in rein musikalischer Hinsicht vielleicht das am wenigsten begabte unter den Kulturvölkern sind, immer offenkundiger jener Musik zugefallen, die ihren innersten Anstoß von anderer Kunst erhält.

Diese Musik hat zwei Gipfel. Der eine ist Richard Wagner, der in seiner Kunst die offene Verbindung der Musik mit anderen Künsten anstrebt und für sie eigentlich kein Sonderleben möglich hält, der als Theoretiker in der Dichtung das männlich schöpferische, in der Musik das weiblich empfangende und ausgestaltende Element sah. Der andere Gipfel ist Beethoven. In seinem Schaffen und nicht in dem Richard Wagners liegt der Grund dafür, daß wir eine nur aus musikalischen Elementen hervorwachsende, rein musikalische Kunst kaum mehr besitzen. Um die Bedeutung dieser Tatsache in ihrem vollen Umfang erkennen zu können, müssen wir etwas weiter ausholen.

Goethe hat uns, als der dazu Berufenste, da ja kein anderer schöpferische Kraft und psychologisch nachempfindendes Verständnis fremder Eigenart in so hervorragender Weise verband wie er, den tiefsten Einblick in das Wesen des Genies eröffnet. Es geschieht in einem der Gespräche mit Eckermann (11. März 1828), deren Fruchtbarkeit für die tiefere Erkenntnis der Kunst unerschöpflich ist. Goethe sieht danach das Genie in der Kraft der Produktivität, in der Fähigkeit, produktiv zu sein, d.h. in der Fähigkeit, Taten hervorzubringen, »die vor Gott und der Natur sich zeigen können, und die eben deswegen Folge haben und von Dauer sind«. Diese schöpferische Kraft ist das Entscheidende, ist der Urgrund alles genialen Schaffens. Wie sich die Kraft offenbart und betätigt, ist ein Zweites. »Es kommt gar nicht auf das Geschäft, die Kunst und das Motiv an, das einer treibt, es ist alles dasselbige. Ob einer sich in der Wissenschaft genial erweist oder im Kriege und der Staatsverwaltung, oder ob einer ein Lied macht, es ist alles gleich.« Das alles sind nur Erscheinungsformen, Offenbarungsformen, Gestaltungsformen jener urschöpferischen Kraft.

Aus dieser einen Erkenntnis ergeben sich für das Sondergebiet der Künste alle Folgerungen über die Grenzen unter ihnen wie über ihre Vereinigung. Das Allkunstwerk Richard Wagners erklärt sich ebenso einfach und natürlich wie die Wirkungskraft, die Möglichkeit der vollen Lösung eines großen Problems in einer Spezialistentechnik.

Übersetzen wir Goethes Wort in die Philosophiesprache Schopenhauers, des tiefsten Denkers über die Psychologie der Kunst, so erhalten wir die einfache Formel, daß jene schöpferische Kraft, sofern sie nach künstlerischer Betätigung drängt, parallel steht der Idee der Kunst, während die Gestaltungen, die jene schöpferischen Gedanken durch die einzelnen Künste finden, Abbilder dieser Idee werden. Es wäre dabei festzuhalten, daß ein und derselbe schöpferische Gedanke die denkbar verschiedensten Abbilder in den verschiedensten Künsten hervorrufen kann.

Nun hat derselbe Schopenhauer der Musik im Verhältnis zu den anderen Künsten eine Sonderstellung eingeräumt, indem sie nicht wie die anderen ein Abbild der Idee, sondern eine solche selbst sei. Sie sei Abbild des Willens, des Ansich der Welt selber. »Deshalb eben ist die Wirkung der Musik um so mächtiger und eindringlicher als die der anderen Künste, denn diese reden nur vom Schatten, jene aber vom Wesen.« Die Musik besitzt danach die Fähigkeit, das Schöpferische an sich zu verlebendigen, die Wonne des Schöpferisch-Seins auszudrücken. Die Musik braucht nicht zu sein eine Form, in der sich die Schöpferkraft ausdrückt, sondern sie ist der Ausdruck der Schöpferkraft selber.

Es ist merkwürdig, wie sich die Größten in ihren Empfindungen begegnen. Die Musikphilologie hat neuerdings Goethes Verhältnis zur Musik als nicht besonders tief hingestellt. Man kann ja so leicht eine Reihe von Fällen aufzählen, in denen sich das musikalische Verständnis Goethes nicht so fest bewährte, wie wir es heute von jedem großstädtischen Abonnenten philharmonischer Konzerte gewöhnt sind. Man denke sich nur, daß er, zu dem Beethoven sich so mächtig hingezogen fühlte, nicht nur von dem ungefügen und ungeschlachten Komponisten selber, sondern auch von seiner Musik nichts wissen wollte. Wenn wir, die wir so gern nachreden, daß das Genie für das bloße Begriffsvermögen ewig ein Geheimnis bleiben müsse, den wirklichen großen Genies gegenüber doch jene Bescheidenheit bewahren möchten, die einem erhabenen Geheimnis gebührt, so wären wir wohl in der Erkenntnis großer Künstler längst weiter. Wir würden in unserem Falle nicht stolz verkünden, daß Goethe kein großes musikalisches Verständnis besessen hat, sondern würden uns bescheiden fragen: Wie kommt es, daß Goethe, der durch einfache Volkslieder aufs tiefste ergriffen wurde, der für die Musik Mozarts eine grenzenlose Bewunderung hegte, von dem wir über Musik und Musiker einzelne Aussprüche von einer wunderbaren Tiefgründigkeit haben, Beethoven ablehnte?

Einer jener tiefgründigen Aussprüche gilt Joh. Seb. Bach. Als der junge Mendelssohn ihn mit den Klavierwerken des Titanen bekanntmachte, meinte Goethe: »Mir ist es bei Bach, als ob die ewige Harmonie sich mit sich selbst unterhielte, wie sich's etwa in Gottes Busen kurz vor der Schöpfung mag zugetragen haben.« Es gibt Leute, die solche Worte, wenn sie nicht gerade von einem Goethe stammen, mehr als ästhetische Phrase abtun. In Wirklichkeit haben wir hier wieder einen Fall, in dem der Genius Goethes, weit über alles Erkennungsvermögen hinaus, die Wahrheit fühlte und für ein wunderbares Geheimnis das erhellende Wort fand. Denn die Empfindung Goethes Bach gegenüber bedeutet dasselbe wie Schopenhauers Gefühl von der Sonderstellung der Musik, und in dem »kurz vor der Schöpfung« liegt das Merkwürdige und Tiefsinnige dieser Empfindung. Warum nicht während der Schöpfung? Warum nicht nach ihr? Nein, vor ihr! Da war Gottes Busen geschwellt von unendlicher Schöpferkraft. Was er nachher gestaltete, war ja alles nur Ausdruck, nur Form, nur Abbild dieser Kraft. In der Musik Bachs spürte also Goethe, der doch oft genug selber die Zustände des Schöpfer-Seins wie die der Gestaltung eines schöpferisch Erschauten empfunden hatte, jene sonst in keiner Kunst ausdrückbare Empfindung, fühlte er die Idee selber gegenüber den Abbildern einer Idee, welch letztere sonst die Kunst nur zu geben vermag.

Was so den alten Goethe leicht einen Weg finden ließ zum Tiefsten Bachs, das in seiner Zeit sonst kaum erfaßt wurde, führte ihn dazu, Beethovens Musik nicht anzunehmen.

Beethoven ist der Begründer jener Musik, die eigentlich auch dann nicht mehr für sich allein steht, wenn sie ohne die Verbindung mit anderen Künsten vor uns tritt. Er selber hat mit den Worten »Dichten in Tönen« seine schöpferische Tätigkeit bezeichnet und schon in diesem Ausdruck eine bestimmte Art, man könnte sagen eine bestimmte Tendenz der Benutzung des Tonmaterials angedeutet. Denken wir an Goethes Erklärung der genialen Produktivität, so erkennen wir, daß bei Beethoven dieses innerliche Schöpfen vor dem Gestalten nicht rein musikalisch, sondern mit Entwickelungsvorstellungen oder Gedankenanschauungen verknüpft erscheint, die aus dem Gebiet der Dichtung, der Philosophie oder auch aus einem in der Natur liegenden Bilde geschöpft sind. In Beethoven liegen die Keime der Programmmusik und der sinfonischen Dichtung. Was seine Überlegenheit über alle Nachfolger ausmacht, ist die ungeheure musikalische Kraft seiner Natur, mit der es ihm gelang, die vielfach aus dem Vorstellungskreise der Dichtung oder der Anschauung heraus erschaffene Idee ganz in Musik aufzulösen. Es ist deshalb ganz kurzsichtig, wenn man Beethoven, wie es vielfach geschieht, zu den absoluten Musikern rechnet; er ist nie und nirgendwo ein solcher. Dennoch steht er als Gipfel völlig getrennt von Richard Wagner, weil das, was bei Beethoven Dichten ist, noch vor jeder Gestaltung der schöpferischen Idee liegt. Dieses Dichten beeinflußt nur die Art der schöpferischen Vorstellung. Es erzeugt für nachher die Vorführung des Nacheinanders eines bestimmten seelischen Erlebens, während die absolute Musik seelische Zustände im allgemeinen ausgesprochen hat. Richard Wagner hat als erster diese Stellung der Beethovenschen Sinfonie gegenüber der älteren betont und hervorgehoben, daß bei Beethoven an die Stelle des Gegensatzes verschiedener seelischer Zustände die Entwickelung von einem zum anderen getreten ist. Diesen musikalischen Entwickelungsgängen aller Sonaten und Sinfonien Beethovens liegt die Vorstellung eines bestimmten seelischen Erlebens zugrunde, und diese Vorstellungsart ist in ihrem Wesen dichterisch. Darauf kommt es an. Dadurch, daß Beethoven für diese dichterischen Gedanken eine musikalische Ausspracheform wählt, dadurch, daß diese musikalische Ausspracheform von so hinreißender Kraft, von so urmusikalischer Naturgewalt ist, erreicht er den Sieg des Musikalischen über das Dichterische, während bei sämtlichen Vertretern der sinfonischen Dichtung das Musikalische im günstigsten Falle zur Vollbringung des dichterischen Wollens ausreicht. So kann man wohl dahin kommen, daß man in Beethovens Musik bloß die höhere Bestimmtheit des Ausdrucks und damit die stärkere Gewalt dieses Ausdrucks sieht und dabei vergißt, daß diese gewaltige Ausdruckskraft immerhin einer Einengung des rein und nur Musikalischen zu danken ist.

Da diese Weltanschauung der Beethovenschen Musik der seelischen Veranlagung der neuesten Zeit entspricht, bewirkt, daß Beethovens Musik uns heute näher steht, uns tiefer packt als jede andere. Daß aber die urmusikalische Kraft eines Bach an sich stärker ist, daß vor allem die rein musikalischen Wirkungen Mozarts auf unendlich größere und weitere Schichten der Welt sich erstrecken können, scheint mir unzweifelhaft festzustehen.

Für mein Empfinden ist Mozart noch viel reiner musikalisch als Bach. Man sollte bei Bach nicht immer gleich an die Fugen denken. Wenn wir das Riesenwerk der Bachschen Kantaten ansehen, erkennen wir am deutlichsten, wie diese Kunst aus dem Erleben und Mitleben aller Qualen, aller schweren Probleme der Zeit, ja der Menschheit überhaupt hervorgewachsen ist. Gewiß ist von allen Musikern in Beethoven am meisten und deutlichsten das Promethidenhafte, das Titanische, das Heldenhafte ausgeprägt; das Faustische, das an sich ja viel weniger Heldentum ist, das mehr die Versenkung in die Tiefe als die Erstürmung der Höhe bedeutet, lebt wohl noch gewaltiger in Bach, und es ist nur die Tatsache, daß in seinem Jahrhundert alles Denken sich innerhalb der äußeren Grenzen der dogmatischen Glaubensvorstellungen und eines kirchlich religiösen Empfindens bewegte, was uns diese faustische Art Bachs so leicht verkennen läßt. In Mozart fehlt alles dieses Titanische, Faustische und Promethidenhafte. Seine Schöpferkraft ist von göttlicher Art, ist Wonne des Schaffens. Die Qualen des menschlichen Ringens, der Krampf des Hervorbringens fehlt. Und das ist ja der Unterschied zwischen göttlichem und prometheischem Schaffen, daß dieses aus dem Gegensatz zu jenem die Befruchtung erhält und darum Kampf ist, daß dagegen jenes voll der göttlichen Heiterkeit ist, die da sagt: Ich will, daß es werde, und nachher sieht, daß das Gewordene gut ist, wie es das Gewollte war.

Gerade Goethe fühlte bei Mozart diese blühende, sonnige Schöpferkraft. Bei jeder Gelegenheit, wo er auf das Genie zu sprechen kommt, sei es nun, daß er dessen gewaltige Wirkungen preist oder das wunderbare Unbegreifliche im Schöpfungsprozesse betont, nennt er Mozarts Namen als leuchtendes Beispiel. Ihm erschien Mozart gewissermaßen als ein Gefäß, in dem die göttlichen Schöpferkräfte der Musik schalteten; als eine Kraft, deren sie sich mit überirdischer Gewalt zur Aussprache bedienten. Gerade im Hinblick auf Mozart verwarf er das Wort komponieren. »Wie kann man sagen, Mozart habe seinen ›Don Juan‹ komponiert. Komponieren – als ob es ein Stück Kuchen oder Biskuit wäre, das man aus Eiern, Mehl und Zucker zusammenrührt. Eine geistige Schöpfung ist es, das einzelne wie das Ganze, aus einem Geist und Guß und von dem Hauch eines Lebens durchdrungen, wobei der Produzierende keineswegs versuchte und stückelte und nach Willkür verfuhr, sondern wobei der dämonische Geist seines Genies ihn in der Gewalt hatte, so daß er ausführen mußte, was jener gebot.«

Es gibt wohl keinen zweiten Künstler, bei dem sich das Genie als schöpferische Kraft in solchem Maße offenbarte wie bei Mozart. Musizieren, und das ist ihm Komponieren, oder um dieses von Goethe so scharf verpönte Wort zu vermeiden, in Tönen gestalten, erscheint bei ihm als Lebenselement, als Lebensnotwendigkeit wie irgendein körperliches Bedürfnis. »Sie wissen,« schreibt er seinem Vater, »daß ich sozusagen in der musique stecke, daß ich den ganzen Tag damit umgehe, daß ich gern spekuliere, studiere, überlege.« Die Wunderkindschaft Mozarts ist das eigenartigste und überzeugendste Beispiel für jene Anschauung, die das Unbewußte im künstlerischen Schaffen betont, die im Künstler schließlich nur das Werkzeug einer unbegreiflichen höheren Gewalt erkennen möchte. Wir werden im Verlaufe unserer Biographie aus allen Lebenszeiten Mozarts über ganz wunderbare Erscheinungen seiner Art zu schaffen zu berichten haben.

Von der Schärfe der kindlichen Beobachtungsgabe, der außerordentlichen Fähigkeit der kindlichen Sinne, das Charakteristische in den Erscheinungen der Umwelt aufzunehmen und in erstaunlich charakteristischer Weise, wenn auch noch so unbeholfen, festzulegen, sind wir heute durch die reicheren Beobachtungen des Verhältnisses der Kindheit zur Kunst alle unterrichtet. Bei Mozart hat man das Gefühl, als sei diese ganze sinnliche Aufnahme der Erscheinungswelt musikalisch, als setze sich alles gleich in Töne um. Wie er als Drei- und Vierjähriger gewisse Geräusche, falsche Töne oder z. B. auch die schrillen Trompetentöne als etwas Schmerzhaftes empfindet, wird ihm auch jegliches Erlebnis zum Tonbild, das das Kind in merkwürdigen Noten aufzeichnet, wie andere Kinder in Strichen ihre Gesichtsbilder festlegen. Ebenso merkwürdig ist bei einer Kunst, in der das handwerkliche Wissen und Können eine so wichtige Stellung einnimmt wie in der Musik, die Leichtigkeit, man könnte fast sagen die unbewußte Art, wie er sich das Technische zu eigen macht als eine selbstverständliche Ergänzung des inneren Lebens, als dessen einziges Mitteilungsmittel. So war er mit fünf Jahren ein fertiger Klavierspieler; wie er aber die Geige lernte, weiß man überhaupt nicht. Eines schönen Tages spielte er eben in einem Trio die zweite Geige fehlerlos mit, ohne jemals irgendwelchen Unterricht auf diesem Instrument erhalten zu haben. Man mag einfach sagen, daß er den Vater, der ein trefflicher Geiger war, kopierte, wie andere Kinder ja auch irgendwelche Fähigkeiten der Eltern in ihrer Weise oft verblüffend nachmachen. Die Art, wie das Kind Mozart komponiert, wirkt so, daß man darin seine natürliche Sprechweise erkennt. Das außerordentlich starke Empfinden des Knaben, für den die Versicherung der Liebe und Freude an ihm seitens aller in seiner Umgebung Lebensbedürfnis war, einigt sich sehr schön mit der Fähigkeit und dem Bedürfnis, sein eigenes Empfinden in Tönen wiederzugeben. Auf diese Weise erklärt es sich auch, daß sein Herumreisen als Wunderkind ohne schädlichen Einfluß auf seinen Charakter blieb, erklärt es sich, daß das Künstlertum ihm durch die Verhätschelung, die er als Knabe erfuhr, ebensowenig beeinflußt wurde wie später durch die Verkennung. Und bei dem kaum den Kinderschuhen Entwachsenen setzt sich die Erkenntnis, Komponist, schöpferischer Künstler zu sein, in einer so ausgeprägten Weise fest, daß ihm die Huldigungen, die die Welt seinem Spiel darbringt, ebenso als Störungen und Beeinträchtigungen seiner innersten Art erscheinen, wie etwa die Notwendigkeit, Stunden zu geben. In seinen Briefen kehren immer die Stellen wieder, in denen sich diese Lebensnotwendigkeit des in Tönen Gestaltens offenbart. Man kann sie alle in jene Worte zusammenfassen, die er einem Knaben, der ihn fragte, wie er komponieren lernen könne, antwortete: »Wenn man den Geist dazu hat, so drückt's und quält's einen: man muß es machen, und man macht's auch und fragt nicht darum.«

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