Kitabı oku: «Gourmetkatz», sayfa 2
Mittwoch
Als Steinböck am Morgen aus dem Bett stieg, fühlte er sich endlich mal wieder ausgeschlafen. Im Gegensatz zu Frau Merkel, die noch zusammengerollt am Fußende lag, war er früh zu Bett gegangen. Die Katze war besessen von der Idee, mit ihm zusammen den Jakobsweg zu gehen. Er hatte sich vehement dagegen gewehrt, Hape Kerkelings »Ich bin dann mal weg« als E-Book zu bestellen. Dafür hatte sie sich den ganzen Abend Youtube-Filmchen über das Thema reingezogen. Genervt hatte er sich ins Bett verkrochen und lobte sich jetzt selbst für diesen weisen Entschluss.
Als er aus dem Bad zurückkam, schlief Frau Merkel immer noch. Er warf seinen Schlafanzug nach ihr.
»Auf geht’s, Saukatz, geh den Emil wecken und frag ihn, ob er einen Kaffee will. Ab morgen ist er für fünf Tage weg.«
Frau Merkel schlüpfte missmutig und überraschenderweise schweigend durch die Katzenklappe nach draußen. Seitdem Mayer vorübergehend in der Nachbarwohnung wohnte, war es üblich, dass die Katze ihn am Morgen zum ersten Kaffee abholte. Steinböck verschwand in der Küche und bereitete zwei Tassen vor. Da der Kühlschrank wieder mal leer war, blieben nur ein paar Scheiben Knäckebrot. Die hatte er dummerweise in einer Plastiktüte aufbewahrt. Dadurch waren sie alles anders als »knäcke«, und so entschloss er sich, sie gleich zu entsorgen, bevor er sich wieder den blöden Kommentaren der Katze aussetzen musste. Zudem war er sich sicher, dass seine junge Kollegin Ilona Hasleitner im Büro frische Butterbrezen vorbereitet hatte.
Er brachte den Kaffee in den Wintergarten und stellte ihn dort auf dem Korbtisch ab. Während er sich eine Zigarette drehte, gönnte er der Marihuanapflanze einen Blick. Er war stolz darauf, dass er es immer wieder schaffte, aus ein paar Samen ein solch imposantes Gewächs zu ziehen. Natürlich tat er dies nicht zum Eigengebrauch, sondern aus Reminiszenz an seine Vormieterin Maxi Müller, die er unglücklicherweise des Mordes überführt hatte und die nun für mehrere Jahre in der JVA wohnte.
»Morgen, Chef«, begrüßte ihn sein Kollege Emil Mayer junior und steuerte den Rollstuhl geschickt durch die Wintergartentür. Auf seinen Oberschenkeln hatte er einen Basketball liegen. Mayer, Mitte 30, war Nachfahre eines sogenannten Besatzerkindes. Sein Großvater, ein dunkelhäutiger amerikanischer GI, der in Landsberg stationiert gewesen war, hatte Emils Großmutter Ende der 50er-Jahre seinen Vater Mayer senior hinterlassen und war dann unauffindbar über den Großen Teich verschwunden. Zumindest nicht die schlechtesten Gene. Emil war ein hervorragender Ermittler und Rollstuhlbasketballer. Seitdem ihm ein Unbekannter bei einem Einsatz in den Rücken geschossen hatte, saß er im Rollstuhl.
»Emil Mayer junior, mittelmäßig pigmentierter Afrobayer, der aufgrund einer körperlichen Verletzung auf ein Fahrzeug angewiesen und 60er-Fan ist, meldet sich für eine Woche ab.«
»Wie du dich früher vorg’stellt hast, hat mir besser g’fallen«, brummte Steinböck.
»Mir auch, aber du weißt ja: politisch völlig unkorrekt.« Emil verzog sein Gesicht zu einem spöttischen Grinsen. Er griff nach seinem Kaffee, nahm einen Schluck und sagte: »Was ist mit der Katz? Die ist a bisserl komisch. Sie wollt heut nicht mit mir Rolli fahren.«
»Seit gestern spinnt sie. Ich glaub, sie will den Jakobsweg gehen.«
Mayer junior sah seinen Chef mitleidig an. »Du redst also tatsächlich mit der Katz?«
»Ach Schmarrn, ich hab dir schon oft genug g’sagt, dass ich ned mit dem Viech reden kann. Des ist bloß a Spaß mit dem Jakobsweg, weil mir gestern die Husup mit so einer mysteriösen Geschichte gekommen ist.«
»Der Harry Potter war gestern da?«
Steinböck nickte, nahm einen Schluck Kaffee und erzählte Emil, was am Tag zuvor passiert war.
»Und was willst du jetzt machen? Wirst du dich mit den spanischen Kollegen in Verbindung setzen? Des ist ja eigentlich nicht unser Fall«, resümierte Mayer junior.
»Ich wart noch auf die Vergrößerung von der Huong, und dann nehm ich mir die Husup noch mal zur Brust. Die weiß mehr, als sie gesagt hat«, erklärte Steinböck. »Aber nun zu dir. Was ist des für ein Turnier, wegen dem du dir die nächsten fünf Tage freig’nommen hast?«
»Olympia-Vorbereitung. Ein Sechsländerturnier.«
»Wann habts ihr euer erstes Spiel?«
»Heut um 17.30 Uhr. Hier sind fünf Eintrittskarten. Ich erwarte dich und vier Kollegen zum Anfeuern. Da ist die Katz nicht mitgerechnet.«
»Ehrensache, wir sind da. Hab ich alles schon organisiert«, beteuerte Steinböck.
Emil blickte ihn skeptisch an und murmelte: »Da bin ich aber g’spannt.«
*
»Guten Morgen, Frau Kommissarin«, begrüßte Steinböck Ilona Hasleitner schmunzelnd, als er das gemeinsame Büro betrat.
»Geh, Chef, sei ned so a Kindskopf, sonst musst dir in Zukunft deine Butterbrezen selber machen«, schimpfte sie.
»Na, lieber ned, dann bleiben wir bei Frau Sklavin.«
»Mei, bist du heut deppert.« Ilona versuchte ernst zu sein, konnte sich aber ein Lächeln nicht verkneifen. Vor zwei Wochen hatte Ilona Hasleitner ihre Ausbildung mit Auszeichnung abgeschlossen und war jetzt Kommissarin. Steinböck und Mayer junior waren mächtig stolz auf sie, und den Abwerbungsversuch von der Sitte haben sich beide entschieden verbeten.
»Apropos Butterbrezen – mein Kühlschrank ist schmutzleer, und der Emil hat auch nichts g’habt.«
»Steht schon auf deinem Schreibtisch. Übrigens, was ist des für ein Laptop?«, fragte Hasleitner neugierig.
»Schau’s dir mal an«, forderte er sie auf. »Passwort: 1,2,3,4.«
»Aha, war die Huong wieder da.« Ilona lächelte verschmitzt und klappte das Gerät auf.
Nach kurzer Zeit rief sie erstaunt: »Des ist doch die Husup! Und die andere hab ich auch schon mal gesehen. Da passiert irgendetwas im Hintergrund.«
»Du bist halt die G’scheidste von uns. Auf dem zweiten Film ist der Hintergrund vergrößert.«
»Sappralott, der springt aber nicht von selbst.«
Während Steinböck sich einen Latte macchiato machte, erklärte er ihr kurz, was gestern Abend vorgefallen war.
»Dann können wir nur hoffen, dass Huong vor der Husup kommt, sonst geht uns Harry Potter gehörig auf den Senkel«, kommentierte Hasleitner die Ausführungen ihres Chefs.
»Können wir nicht beide aussperren?«
»Du, Ilona, auf meinem Tisch liegt die Handynummer von Husups Freundin. Lass eine Ortung durchführen. Gefahr im Verzug. Die Kollegen sollen Gas geben.«
»Jawohl, mein General«, antwortete sie zackig.
»Passt schon, Eure Hoheit hätt auch gereicht. Du denkst dran, heut Nachmittag spielt unser Kollege. Ich hab hier vier Karten übrig, die verteilt werden müssen.«
»Da musst dich selbst drum kümmern, der Emil hat die Karten schließlich dir gegeben«, stellte sie fest und verschwand mit der Handynummer aus dem Büro.
»Von wegen ›mein General‹. Wenn man sie braucht, dann desertieren sie«, schimpfte er.
»Wie wär’s mit Peter Obstler?«, überlegte die Katze.
»An den hab ich auch schon gedacht«, erwiderte Steinböck und kramte sein Handy heraus. »Mist, er geht nicht hin«, stellte er nach einer Weile fest.
»Versuch’s bei Horsti. Wenn er seinen Köter mitbringt, wären’s schon zwei.«
»Tiere zählen nicht, hat der Emil gesagt. Und außerdem, wie sollen wir den Dackel in die Halle kriegen?«
»So wie immer, Drogenhund et cetera.«
»Sag mal, wieso kümmert dich des überhaupt?«
»Na, entschuldige mal. Es geht um meinen schwarzen Bruder. Das bin ich ihm schuldig«, schnurrte Frau Merkel entrüstet.
In diesem Moment klopfte es leise an die Tür.
»Guten Morgen, Kommissar Steinböck«, grüßte Phan Lan Huong in perfektem Deutsch.
»Mensch, Huong, schön, dass du schon da bist.« Er stand auf und führte sie zum Schreibtisch. »Und, hat’s geklappt?«
Die junge Frau sah ihn abschätzig an und erwiderte: »Huong Spezialistin.«
»Wie kommt’s, dass du so früh hier bist?«
»Huong hat kein Frühstück und wenig schlafen.«
»Mensch, Madel, ich kann dir eine Butterbrezen und einen Kaffee anbieten.«
Erst schaute sie skeptisch, dann nickte sie. »Buttelblezel ist gut. Cappuccino mit viel Zucker.«
»Hier die Buttelblezel, und der Cappuccino kommt sofort.«
»Kommissar Schelzkeksel. Aber Buttelblezel verdammt schweres Wort«, feixte sie und biss hungrig in die Brezen.
Steinböck beobachtete sie aus den Augenwinkeln und wagte es nicht, sie zu unterbrechen. Die Katze hatte sich sicherheitshalber auf die Fensterbank zurückgezogen und musterte sie misstrauisch. Huong genoss ihr kleines Frühstück. Schließlich wischte sie sich mit einem weißen Taschentuch den Mund und die Finger ab. Dann öffnete sie ihren Laptop und spielte einen Film ab. Ins Original hatte sie an passender Stelle die Vergrößerungen eingeschnitten.
Ganz eindeutig stieß die eine Person die andere, offensichtlich einen Mann, nach unten. Das Gesicht der Person, die den Stoß gab, war nicht zu erkennen. Sie trug eine blaue Windjacke und hatte ein Basecap dicht in die Stirn gezogen. Die Gesichtszüge des Mannes hingegen sah man deutlich. Er kam Steinböck bekannt vor. Beide sprachen kurz miteinander, bevor die Person mit der Kappe zustieß.
»Schade, dass man das Gesicht des Mörders nicht sieht«, brummte Steinböck.
»Warum Mörder? Vielleicht auch Mörderin. Viele große Frauen in Europa«, warf Huong ein.
»Du hast recht. Es könnte genauso gut eine Frau sein. Mal schauen, was die Husup dazu sagt. Kannst du mir alles auf diesen USB-Stick ziehen?«
Die Vietnamesin nickte, fertigte eine Kopie an und reichte den Stick dem Kommissar zurück.
»So, Huong muss weiter. Bisschen kochen, bisschen schlafen, dann wieder Arbeit.«
»Was gibt’s denn heut?«
»Katze«, sagte sie mit breitem Grinsen.
»Gibt’s die beim Aldi?«, stieg Steinböck sofort ein.
»Nix Aldi, selbst fangen«, konterte sie und blickte zu Frau Merkel.
»Ich dank dir vielmals. Wenn du Hilfe brauchst, kommst du zu mir.«
»Du mir schon geholfen mit schnellem Termin in Botschaft. Nächstes Mal bringt Huong Rezept von Großmutter«, feixte sie, verstaute ihren Laptop und verschwand durch die Tür.
»Ich finde diesen Running Gag mit dem Rezept ihrer Großmutter äußerst peinlich«, lästerte Frau Merkel und sprang vom sicheren Fensterbrett auf Steinböcks Schreibtisch.
»Beschwer dich doch beim Autor.«
»Dem würde ich zutrauen, dass er Katzen isst.«
»Dann sei froh, dass du immer noch dabei bist«, erwiderte der Kommissar trocken.
Ein weiterer Disput wurde durch Hasleitners Rückkehr beendet.
»Hier geht’s zu wie im Taubenschlag«, stellte sie fest. »An der Pforte hab ich die Husup gesehen, und eben auf dem Gang ist mir Huong begegnet.«
»Da handelt es sich wohl eher um Zwergtauben.« Die Katze zeigte schon wieder Oberwasser.
»Hast du was über das Handy rausgefunden?«, wollte Steinböck wissen.
Hasleitner reichte ihm ein Blatt. »Und ob. Ist das die Bearbeitung von Huong?«, fragte sie und deutete auf Steinböcks Bildschirm.
Der Kommissar nickte und studierte währenddessen den Inhalt der Telefonliste.
»Den kenn ich«, rief Ilona, als sie den Streifen ablaufen ließ. »Des ist doch einer von diesen Sterneköchen.«
»Woher kennst du den?«
»Frau liest halt Zeitung«, grinste Ilona und deutete auf die Tür.
Wie immer stürmte Husup das Büro, als gehöre es ihr.
»Tag, Frau Hasleitner, hab gehört, Sie sind jetzt Kommissarin? Meinen Glückwunsch. Und, Steinböck, was hat Ihre IT-Spezialistin herausgefunden?«
»Trotz allem ein herzliches Grüß Gott. Bevor ich Ihnen des Filmchen zeige, unterhalten wir uns erst einmal.«
»Was soll das?« Die Reporterin war sichtlich aufgebracht. »Sie haben’s versprochen.«
»Nix hab ich versprochen. Sie haben doch einen Verdacht, wer der Mann ist, der die Klippe hinuntergestoßen wird!«
»Warum sollte ich? Ich hab den Film nur zweimal gesehen.«
»Lügen S’ mich nicht an«, knurrte Steinböck erbost. »Ich hab eine Nasen dafür, wenn mich jemand anschwindelt. Also, wen glauben Sie erkannt zu haben?«
»Es könnte der Johann Kerbel sein, aber ich bin mir nicht sicher.« Jetzt war Harry Potter bereits bedeutend kleinlauter.
»Und wer ist Johann Kerbel?«, hakte der Kommissar nach.
»Ein bekannter Münchner Sternekoch.«
Steinböcks Blick schweifte zu seiner Kollegin hinüber, die bestätigend nickte.
»Wie kommen Sie darauf? Auf Putzis Vergrößerung konnte man niemanden erkennen.«
»Na ja, wir haben den Kerbel am Abend vorher in unserer Herberge getroffen. Er war auf demselben Weg unterwegs wie Putzi und ich. Am nächsten Tag haben wir ihn von einem Aussichtspunkt aus gesehen. Er war etwa einen halben Kilometer hinter uns.«
»Hatten Sie mit ihm an jenem Abend gesprochen?«
»Wir haben nur ein paar Worte gewechselt. Er machte den Eindruck, als wenn er allein gelassen werden wollte.«
»Nichts, was darauf hindeutete, dass etwas nicht in Ordnung sein könnte?«, bohrte er weiter.
»Nein, ich sagte ja, er war sehr kurz angebunden«, antwortete Husup genervt.
»Okay, schauen Sie sich die Vergrößerung an.«
Husup drückte ihre Harry-Potter-Brille mit dem Zeigefinger gegen den Nasenrücken und sah gespannt auf den Bildschirm.
»Ja, definitiv, das ist er. Johann Kerbel. Konnten Sie Putzis Telefon orten?«
»Sie geben wohl nie auf!« Steinböck schüttelte den Kopf und griff sich die Telefonliste. »Offenbar ist ihre Freundin Putzi letzte Woche noch mal nach Spanien geflogen. Wo sie sich dort aufgehalten hat, können wir nicht sagen. Dazu fehlen uns die Daten der spanischen Telefongesellschaft. Sicher ist, dass sie vor zwei Tagen wieder in München gelandet ist. Sie war am Flughafen eingeloggt und ebenso für mehrere Stunden in der Nähe ihrer Wohnung. Also war sie zu Hause. Anschließend hat sie eine Nummer angerufen. Eine Prepaid-Nummer, die auf einen Münchner Arzt angemeldet ist. Sie hat viermal versucht, ihn zu erreichen. Dessen Handy war zu diesem Zeitpunkt auf Mallorca eingeloggt. Eine Stunde später wurde sie von einem nicht registrierten Prepaid-Handy angerufen. Seitdem sind diese und ihre Nummer vom Netz genommen.«
»Wir müssen was unternehmen, Herr Kommissar«, jammerte die kleine Reporterin. Dabei wurde ihr Hals immer länger, um einen Blick auf Steinböcks Liste werfen zu können.
»Sie müssen gar nichts. Sie halten schön die Füße still. Wir werden uns bei den Kollegen in Spanien erkundigen und in Kerbels Umfeld in München. Machen Sie bloß nichts auf eigene Faust. Noch weiß hier keiner, dass Kerbel vermutlich tot ist.«
»Außer seinem Mörder«, warf Husup ein.
»Außer seinem Mörder«, bestätigte Steinböck. »Und der oder die ist höchstwahrscheinlich in Spanien.«
»Und wenn er hier in München ist?«
»Dann werden wir das hoffentlich rauskriegen. Und jetzt: Hasta la vista bis in frühestens zwei Tagen. Putzis Laptop bleibt hier. Ich möchte das Filmchen morgen nicht auf Facebook oder einer anderen Internet-Plattform sehen.«
»Wofür halten Sie mich?«, brauste Harry Potter entrüstet auf.
Steinböck grinste und schob sie freundlich, aber bestimmt zur Tür. »Bis übermorgen, Frau Husup.« Als er die Tür hinter ihr geschlossen hatte, wandte er sich seiner Kollegin zu. »Was weißt du über den Kerbel?«
*
Langsam wurde ihr klar, dass sie zu weit gegangen war. Sie blickte auf ihre gefesselten Hände. Verflucht, sie wollte diese Story unbedingt haben, exklusiv. Es hätte ihr Durchbruch sein können. Aber ihre Recherchen waren schon beendet worden, als sie noch nicht einmal richtig begonnen hatte. Sie war so naiv gewesen. Über Verbrechen und Gewalt zu schreiben war einfach, doch sie am eigenen Leib zu erfahren, etwas ganz anderes. Ihre Handgelenke schmerzten. Der Mann hatte die Kabelbinder so fest zugezogen, dass sie kaum noch Gefühl in den Fingern hatte. Immer wieder bewegte sie sie vorsichtig. Die junge Frau glaubte daran, dass sie auf diese Weise ein Absterben vermeiden könnte. Mehrmals hatte sie den Mann mit der schwarzen Skimaske angefleht, sie zu lockern, aber der hatte nur gelacht. Dann hatte er sie wieder allein gelassen.
*
»Über Johann Kerbel? Nicht viel«, antwortete Ilona. »Da muss ich selbst erst recherchieren. Ihm gehört das Sternerestaurant Safran. Ein sündhaft teurer Laden. Der Emil war kürzlich mit seiner Sunny dort essen. Es war super, hat er g’sagt.«
»So, kann der sich des leisten?«
»Du weißt ja ned, wer ’zahlt hat«, überlegte Hasleitner wehmütig.
»Trauerst der Liaison mit dem Emil doch noch nach?«
»Na, bloß ned. Ich bin froh, dass er seine Sunny wiedergetroffen hat. Aber ich würd mich halt auch gern mal von einem Sternekoch verwöhnen lassen.«
»Apropos verwöhnen – was hältst du von Feinkost?«
»Du meinst a Currywurst vom Berliner? Muss jetzt nicht unbedingt sein. Ich ess lieber bei der Tamara einen Salat. Übrigens hat sie mich gestern g’fragt, warum du nicht mehr in die Kantine kommst. Ob du beleidigt bist, wollt sie wissen.«
Steinböck winkte ab. Das Spießrutenlaufen bei der ostpreußischen Schnitzeldesignerin und Kantinenchefin ging ihm zurzeit wirklich auf die Nerven. Er beschloss, seinen Informanten Peter Obstler anzurufen, um sich mit ihm im Augustiner-Biergarten zu treffen. Erstens musste er ihn unbedingt dazu überreden, heute zu Emils Spiel zu kommen, und zweitens hatte Obstler bestimmt interessante Informationen zum »Safran« und zu Johann Kerbel.
Steinböck hatte Glück. Bei einem kurzen Telefongespräch versprach ihm Obstler, in einer Stunde im Biergarten zu sein. So hatte er noch genügend Zeit, sich vorher eine Currywurst zu holen. Der Berliner, wie ihn hier alle nannten, hatte seinen Imbisswagen direkt vor dem Kommissariat stehen. Seine Currywurst mit selbst gemachter Soße hatte inzwischen einen legendären Ruf unter den Kollegen. Kein Wunder, dass Tamara, die Chefin der Polizeikantine, nicht gut auf ihn zu sprechen war. Sie nannte ihn den »Gottlosen«, weil alle ehemaligen Ossis für sie Atheisten waren.
Vor dem Imbisswagen traf Steinböck auf den jungen Staatsanwalt Nepomuk Sanghäusel, der an einem der Stehtische stand und eine Schüssel Krautsalat leerte.
»Gut, dass ich dich seh, Nepomuk. Hast du heut Nachmittag schon was vor?«
»Nach der Arbeit?«, wollte der wissen. »Bisher noch nichts.«
»Der Emil hat doch heut sein erstes Länderspiel in der Nationalmannschaft. Da wär es schön, wenn möglichst viele von den Kollegen kommen würden.«
»Das tät passen. Was dagegen, wenn ich meinen Mann mitbringe?«
»Ganz und gar ned, dann lern ich ihn mal kennen«, erwiderte der Kommissar und kramte in seiner Sakkotasche nach zwei Eintrittskarten.
»Wir kommen«, versprach Sanghäusel und eilte zurück ins Gebäude.
»Der Emil spielt inne Nationalmannschaft?«, fragte der Berliner neugierig, der das Gespräch der beiden mitbekommen hatte.
»Ganz genau, und er erwartet von dir, dass du heut Nachmittag zum Spiel kommst.«
»Hat er det wirklich jesacht?«
»Ja, freilich, er hat mir extra eine Freikarte für dich mitgegeben«, sagte Steinböck ernst und reichte dem Mann eines der Tickets.
»Det is ja jetzt Ehrnsache, dat ick da komm.«
»Genau, und jetzt gibst mir a doppelte Currywurscht. Und mach ordentlich von deim …«
»Sach et nich«, unterbrach ihn der Berliner. »Sach et bloß nich.« Er hob abwehrend die Hände. »Du krichst deine Extraportion von mene gottlose Spezialsoße.«
»Von mir aus, dann eben Currysoße.« Steinböck wusste, dass er den Berliner mit dem Wort »Ketchup« zur Weißglut reizen konnte. Er machte sich häufig einen Spaß daraus, unterließ es aber heute, da er ihn unbedingt als Zuschauer bei Emils Spiel dabeihaben wollte. Trotz allem schmeckte die Wurst wieder ausgezeichnet. Kurz überlegte er, zu Fuß zum Augustiner zu gehen, entschloss sich dann jedoch, ein Taxi zu nehmen. Die Katze war nirgendwo zu sehen, aber er war sich sicher, dass sie rechtzeitig da sein würde.
Und tatsächlich, als der elfenbeinfarbene Benz um die Ecke bog, erschien auch Frau Merkel.
»Wo geht’s hin?«, wollte sie wissen.
»Augustiner-Keller«, sagte Steinböck laut zum Fahrer.
»Aha, der Kommissar und sei Drogenkatz«, stellte der missmutig fest, wohl wissend, dass die kurze Fahrt nicht besonders rentabel sein würde.
»Da schau her, mein Lieblingsrastafari«, feixte Steinböck. »Bestimmt warten vorm Augustiner ein paar Chinesen, die zum Flughafen wollen.«
»Schee wär’s«, brummte der Taxler mürrisch. »Da sind ned viele da. I setz mir für die paar Touristen scho so an bleden Hut auf.« Er deutete auf seinen Trachtenhut mit mittelgroßem Gamsbart, den er irgendwie auf seinen Dreadlocks befestigt hatte. »Ned amal auf die Chinesen is noch Verlass.«
Im Biergarten steuerte Steinböck zielstrebig einen der hinteren Biertische an. Bereits von Weitem erkannte er Peter Obstler an der Rauchwolke, die er mit seinen scheußlichen grün-gelben Zigarren fabrizierte.
»Er raucht schon wieder dieses grässliche Zeug«, mokierte sich die Katze.
»Hast du ihn jemals ohne seinen Giftstängel erlebt?«
»Wie viele Leben hat der Kerl eigentlich?«
»Der Peter lebt ewig. Der ist doch schon komplett durchgeräuchert.«
»Vielleicht kann ich ihn wenigstens erschrecken«, überlegte sie, machte ein paar Sätze und landete direkt neben Obstler auf der Bierbank.
»Geh, die Frau Merkel«, rief er lachend und blies den Rauch in ihre Richtung. »Dann kann ja der Alte auch nimmer weit sein.«
»Du, des hab ich gehört«, brummte Steinböck. »Ich möcht dich nur daran erinnern, dass du ein halbes Jahr älter bist als ich.«
»Ich find’s immer wieder lustig, dass die Katz husten kann. Oder macht sie des bloß, weil ihr meine Zigarren ned passen?«
»Wenn sie a Tiger wär, würd ich nimmer auf dich setzen«, bemerkte der Kommissar trocken und beobachtete, wie Frau Merkel beleidigt auf die Kastanie kletterte, deren Äste über die Biertische reichten.
Jetzt versucht sie gleich, irgendeinen Dreck in sein Weißbierglas fallen zu lassen, dachte er und setzte sich gegenüber von Obstler auf die Bierbank. »Servus, Peter, schön, dass du Zeit hast.«
»Also, mein junger Freund, womit kann ich dir dienen?«, fragte Obstler spöttisch.
»›Dienen‹ ist genau der richtige Ausdruck. Hier hast du eine Freikarte für dem Emil sein erstes Länderspiel. Wir brauchen jede Unterstützung. Heut um halb sechs Uhr.«
»Des passt, ich hab eh nichts vor.«
Die Kellnerin brachte Steinböck bereits sein obligatorisches Weißbier. »Mögts ihr zwei was essen?«, fragte sie.
Während der Kommissar abwinkte, bestellte sich Obstler einen Schweinebraten.
»Und, Steinböck, was willst du wissen? Du bist doch ned bloß wegen dem Spiel heut Nachmittag da«, stellte er neugierig fest.
»Warst du schon mal im ›Safran‹?«
»Du wirst lachen, war ich. Mit meinen Amerikanern, denen ich Münchens Unterwelt gezeigt habe. Die beiden haben mich eingeladen. Wäre sonst nicht meine Preisklasse.«
»Wie war’s?«
»Na ja, der Hunger treibt’s nei«, stellte Obstler trocken fest.
»Was kannst du mir über den Johann Kerbel erzählen?«
»Aha, daher weht der Wind. Er soll ausgestiegen sein, munkelt man. Jetzt muss der Dago Pfalzer den Laden selber führen. Anscheinend haben sie sich zerstritten.«
»Was hat der Dago Pfalzer mit dem ›Safran‹ zu tun?« Steinböck war sichtlich überrascht.
»Hast du des nicht gewusst? Der Dago ist doch schon seit Jahren Teilhaber an dem Laden.«
»Unser Dago? Ich hab gedacht, der macht bloß diese depperten Kochsendungen.«
»Von wegen, der ist überall groß im Geschäft. Aber jetzt braucht er einen neuen Sternekoch, und die gibt’s nicht an jeder Ecke«, schmunzelte Obstler und nahm einen ordentlichen Schluck von seinem Weißbier. »Pfui Deifel, wo kommt denn der Dreck her?«, schimpfte er und spuckte ein Stückchen Rinde auf den Boden.
»Oder er muss selber kochen«, folgerte Steinböck und versuchte, nicht nach oben zu blicken, wo er die Katze vermutete.
»Na, na, des ist ganz und gar nicht seine Sache. Wenn es stimmt, dass der Kerbel aufhört, hat der Pfalzer ein Problem. Vermutlich wird Kerbel ausgezahlt werden wollen.«
»Und wenn er tot ist?«
Peter Obstler schaute den Kommissar verdutzt an und fummelte mit Daumen und Zeigefinger den letzten Dreck von der Zungenspitze. »Was soll des heißen? Weißt du etwa ausnahmsweise mal mehr als ich?«
Einen Moment zögerte Steinböck, dann erzählte er seinem Gegenüber von dem Film und was darauf zu sehen war.
»Wenn des stimmt, ist des eine gewaltige Sensation. Ich hab gehört, falls einer von beiden stirbt, soll das ›Safran‹ dem anderen zufallen. Zumindest wird die Münchner Schickeria aufstöhnen«, bemerkte Peter Obstler hämisch und betrachtete anschließend glücklich seinen Schweinebraten, der ihm gerade serviert wurde. »Das ist was wirklich Feines.«
»Er ist und bleibt ein Banause. Haute Cuisine und Peter Obstler ist wie Wortwitz und Donald Trump. Gott sei Dank macht er jetzt den Stinkstängel aus. Vielleicht sollte ich mir noch ein Stück Rinde suchen, damit wenigstens etwas Gesundes auf seinem Teller liegt.«
Untersteh dich, dachte Steinböck eindringlich und fuhr zu Obstler gewandt fort: »Lass dir’s schmecken. Und vergiss nicht: Die Geschichte bleibt so lange unter uns, bis es offiziell ist.«
Obstler machte die Reißverschluss-Geste vor seinem Mund, öffnete ihn aber gleich wieder und versenkte das erste Stück Schweinebraten darin.
*
Als Steinböck den Audi Dome betrat, war er angenehm überrascht. Schon am Eingang hörte er die Zuschauer, die laut skandierten. Die Katze war kein Problem.
Die Frau am Einlass, selbst eine Rollifahrerin, sagte nur: »Hoffentlich wird’s dem Kätzli ned zu laut.«
»Die hält einiges aus«, schmunzelte der Kommissar und nahm die Merkel vorsichtshalber auf den Arm.
Im Zuschauerblock erwartete ihn das halbe Revier. Selbst Dr. Horst Schmalzl war gekommen. Mit seinem Dackel Thunfisch auf dem Schoß winkte er Steinböck aufgeregt zu und deutete auf den leeren Platz neben sich.
»Benimm dich bloß«, raunte Steinböck der Katze zu. »Und ärgere den Hund nicht.«
»Aber hallo, ich werde mich wie ein Engel verhalten. Sollte es nötig sein, werde ich ihm auch die andere Wange hinhalten.«
»Ich trau dir nicht.«
Wie nicht anders zu erwarten, freute sich Thunfisch riesig, als er die Katze erkannte. Er sprang von Horsts Schoß und jagte, die Hundeleine noch am Halsband, auf sie zu. Frau Merkel zeigte ihren Buckel und hob drohend die Pfote, erinnerte sich dann aber an ihr Versprechen. Also machte sie einen eleganten Sprung über die Bande aufs Spielfeld, und der Dackel Thunfisch verfolgte sie kläffend zwischen zwei Werbetafeln hindurch. Das Johlen der Zuschauer nahm zu, und die Katze kurvte geschickt um ein paar Rollifahrer der gegnerischen Mannschaft, die sich am Korb einwarfen. Der Hund mit Tempo hinterher. Plötzlich verhängte sich die Leine unter einem Reifen und der Dackel überschlug sich. Benommen blieb er einen Moment liegen, dann raffte er sich wieder auf und weiter ging die Jagd, begleitet vom rhythmischen Klatschen der Zuschauer.
Als Frau Merkel feststellte, dass es sich bei der gegnerischen Mannschaft um die aus Vietnam handelte, wurde es ihr etwas mulmig und sie steuerte die Tribüne an.
Schließlich setzten die beiden Chefdompteure Horsti und Steinböck dem Ganzen ein Ende und es ging zurück auf die angestammten Plätze. Inzwischen waren auch Sanghäusel und sein Ehemann gekommen und hatten die Plätze neben ihnen eingenommen.
»Servus, Steinböck. Dr. Schmalzl«, begrüßte sie der Staatsanwalt. »Darf ich vorstellen: mein Mann Xaver Hirschbauer.« Stolz deutete er auf den bärtigen Hünen neben sich.
»Schön, Sie kennenzulernen, Herr Hirschbauer. Hab schon eine Menge von Ihnen gehört«, erwiderte der Kommissar.
»Ich bin der Xaver. Mir geht’s genauso. Wir kennen uns ja bereits«, sagte er zu Horsti. »Hat er jetzt endlich einen Namen, unser Killerdackel?«
»Thunfisch«, grinste Schmalzl und ergriff Xavers Hand.
»Des passt. Und das ist also diese sagenumwobene Polizeikatz.« Er kraulte Frau Merkel den Kopf und hob dabei mit dem Daumen eine Lefze hoch. »Schaut g’sund aus.«
»Der Xaver ist Tierarzt«, erklärte Sanghäusel dem verdutzten Kommissar.
»Wenn er mir noch einmal den Daumen in den Mund schiebt, könnte es durchaus sein, dass wir gleich den Notarzt rufen müssen«, fauchte die Katze.
Halt dich bloß zurück, dachte Steinböck intensiv. Kann sein, dass wir den Xaver mal brauchen.
»Eine interessante Katz«, nickte Hirschbauer. »So eine hab ich noch nie gesehen.«
»Vergiss es. Bevor ich bei dir in der Praxis lande, leg ich mich lieber bei Klessel auf den Tisch«, murrte sie und verschwand vorsichtshalber zwischen den Reihen.
Endlich hatte Steinböck Zeit, sich umzusehen. Emils Bedenken, dass nicht genügend Zuschauer kommen würden, erwiesen sich als unbegründet. Die Halle war voll. Selbst Sabine Husup war anwesend, und eine Reihe hinter ihm saß Huong.
Als Ferdel Bruchmayer mit einem Mikro in der Hand das Spielfeld betrat, sackte die Stimmung deutlich ab und einzelne Buh-Rufe waren zu hören. Ferdel Bruchmayer, Staatssekretär im bayerischen Wirtschaftsministerium und Steinböcks Intimfeind, war alles andere als beliebt, schon gar nicht bei der Münchner Mordkommission. Zumindest schaffte er es, die offizielle Eröffnung des Turniers ohne Peinlichkeiten durchzuführen, und dafür gab es sogar verhaltenen Beifall. Dieser brauste auf, als die beiden Mannschaften einrollten. Hasleitner und Husup schwenkten ein Bettlaken, auf dem »Emil Mayer Basketball-Gott« stand.
Das Match wogte über die gesamte Spielzeit hin und her, und die Deutschen verloren schließlich denkbar knapp mit einem Punkt. Emil Mayer wurde zum Spieler des Tages gewählt. Tamara aus der Kantine und der Berliner standen nebeneinander und applaudierten ihm frenetisch.
»Jetzt sage noch einer, dass Sport nicht Völker verbindend ist«, spottete Steinböck, als er das ungleiche Paar entdeckte.
*
Gegen Abend war der Mann endlich wiedergekommen. Ein intensiver Geruch nach Knoblauch eilte ihm voraus. Wenigstens erlaubte er ihr, auf die Toilette zu gehen. Es war erniedrigend. Er ließ sie keinen Moment aus den Augen. Sie wusste, dass er unter seiner Maske grinste, während er im Türrahmen des kleinen Klos stand und sie beobachtete. Sie wandte ihren Blick von ihm ab und betrachtete die Wände. Diese waren mit Blech ausgeschlagen. Es fühlte sich kalt an, als sie sich daran abstützte.