Kitabı oku: «Saukatz»
Kaspar Panizza
Saukatz
Frau Merkel und der Kommissar
Impressum
Bisherige Veröffentlichungen im Gmeiner-Verlag: Grantlkatz (2020), Hüttenkatz (2019), Glückskatz (2019), Teufelskatz (2017), Saukatz (2016)
Personen und Handlung sind frei erfunden.
Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen
sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
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Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch
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Alle Rechte vorbehalten
5. Auflage 2020
Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt
Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht
Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart
unter Verwendung eines Fotos von: © TaoTina/Fotolia.com
ISBN 978-3-8392-5128-7
Widmung
Vielen Dank an meine liebe Freundin Bea Fischer, für ihre unermüdliche Unterstützung.
Für Lola, die immer durch meine Gedanken schlich und mich zu diesen Buch inspiriert hat.
Montag
Genervt nahm Steinböck die letzten Stufen.
Verdammt, dritter Stock ohne Lift, das muss dann schon eine Traumwohnung sein, dachte er und klingelte an der Wohnungstür. Es dauerte fast eine Minute, bis die Tür schwungvoll geöffnet wurde.
»Sie sind spät«, raunzte ihn eine aufgetakelte Wasserstoffblonde an, die die 50 schon deutlich überschritten hatte, und drückte ihm ein Blatt Papier in die Hand.
»Hier, füllen Sie das aus. Ich hoffe, Sie haben einen Stift dabei.«
»Sind Sie die Maklerin?«, fragte er irritiert.
»Natürlich, oder sehe ich wie die Lottofee aus?«, entgegnete sie schnippisch. Steinböck musterte sie noch einmal von oben bis unten.
»Nein, ganz bestimmt nicht. Aber haben wir uns nicht schon mal gesehen?«
»Und wo sollte das gewesen sein?«, fragte sie genervt.
»In der Trio Bar. Haben Sie da nicht vor Jahren an der Stange getanzt?«
»Das ist lange her«, sagte sie kleinlaut. »Füllen Sie jetzt das Formular aus, ich muss mich um die anderen kümmern.«
Sie drehte sich abrupt um und ging den Gang entlang.
»Zumindest die Figur erinnert noch an ihre besseren Zeiten«, murmelte er.
Er war auf Wohnungssuche. Man hatte ihn kurzfristig in die Stadt versetzt. Und das war sein erster Maklertermin. Jetzt wusste er, warum die neuen Kollegen so hämisch gegrinst hatten. In der Wohnung waren mindestens 30 Leute, von denen jeder auf seine Weise versuchte, das Formular auszufüllen. Glücklich diejenigen, die eine Zeitung oder Ähnliches als Unterlage dabei hatten. Die meisten jedoch drückten das Blatt gegen die Wand oder eine Fensterscheibe. Steinböck schob die Tür zum Bad weiter auf. Auf der zugeklappten Toilette saß bereits eine schwangere Frau, dafür war auf dem Badewannenrand noch ein Platz frei. Er setzte sich neben einen jungen Mann, der nur kurz aufsah, dann aber eifrig weiterschrieb. Steinböck suchte vergeblich nach seiner Lesebrille. Also hielt er den Zettel so weit von sich, bis er den Text einigermaßen lesen konnte. Die Schwangere grinste.
Leise vor sich hin murmelnd überflog er den Text.
»Verheiratet, ledig, Bankauskunft, polizeiliches Führungszeugnis, selbstständig – wenn nein, Führungszeugnis des Arbeitgebers. Sind Sie politisch aktiv? Betreiben Sie eine gefährliche Sportart? Wären Sie bereit, einen Teil des Mietzinses im Voraus zu zahlen? Wenn ja, drei Monate, sechs Monate oder zwölf Monate.« Steinböck begann laut zu fluchen. »Was soll die verdammte Scheiße?« Seine Stimme wurde immer lauter.
»›Betreiben Sie eine gefährliche Sportart?‹ Haben die Angst, dass ich mir beim Kegeln das Kreuz breche und dann meinen Rollstuhl im Treppenhaus parke?«
»Genau das«, flüsterte der junge Mann. »Sie machen das heute wohl zum ersten Mal.«
»Was heißt zum ersten Mal!«, fuhr Steinböck ihn laut an. »Ich habe in meinem Leben schon zig Wohnungen gemietet, und noch nie hat mir jemand so eine gequirlte Scheiße untergejubelt.«
Wütend hob er das Blatt Papier hoch, zerknüllte es und warf es hinter sich in die Badewanne. Der junge Mann wich verängstigt zurück. Steinböck blickte ihn verwundert an. Dann grinste er.
»Schon gut, Kleiner, war nicht so gemeint. Viel Glück bei der Wohnungssuche.« Dann stand er auf und nickte der Schwangeren zu, die vor Schreck schon einmal probeweise eine Wehe abgeatmet hatte. Er machte sich auf den Weg zur Ausgangstür, wobei er ein junges Pärchen unsanft zur Seite drückte. Die Wasserstoffblonde, die offensichtlich auf Steinböcks kleinen Wutanfall aufmerksam geworden war, folgte ihm rasch und erwischte ihn gerade noch, bevor er die Wohnung verlassen konnte.
»Gibt es Probleme?«
»Und ob«, dabei deutete er auf die Zettel in ihrer Hand.
»Ist nicht meine Idee«, sagte sie. »Die Macht des Vermieters. Haben Sie eine Visitenkarte für mich? Ich ruf’ Sie an, wenn ich etwas Passendes für Sie habe.«
»Wieso gerade mich?«, fragte er, wobei er ihr eine seiner Karten gab.
»Damals, als ich an der Stange tanzte, die Razzia. Sie haben mich da rausgehalten. Leila vergisst nie. Ich melde mich, sobald ich etwas habe, Kommissar Steinböck.«
Dann schloss sie energisch die Tür hinter ihm.
Obwohl Steinböck sich rühmte, ein gutes Gedächtnis zu haben, konnte er sich partout nicht an diese Razzia erinnern. Na ja, eigentlich hatte er nur ein gutes Gedächtnis für Gesichter, und außerdem war die Sache fast 30 Jahre her. Damals arbeitete er noch bei der Sitte. Irgendwann hatte er sich für die Stelle bei der Mordkommission in Starnberg beworben, und da säße er heute noch, wenn, ja wenn da nicht diese Sache mit dem Minister gewesen wäre. Er hatte wirklich geglaubt, Recht setze sich gegen Politik durch. Ein Irrtum, wie er feststellte. Man hatte ihn einfach weggelobt, ihn befördert und zurück in die Hauptstadt versetzt. Ein klarer Aufstieg bei besserem Gehalt und Aussicht auf baldige Pensionierung. Er war gerade 50, und bei Gott, so schnell würden die ihn nicht loswerden. Zusätzlich war er eine imposante Erscheinung. Er war 185 Zentimeter groß, wog um die 100 Kilo und tat sich schwer, seinen Bauch zu verbergen. Die Haare, die ihm auf dem Kopf fehlten, glich er durch einen grau melierten Dreitagebart aus.
Im neuen Revier hatten sie ihm bisher noch keinen Fall übergeben, und außerdem war sein neuer Partner noch in der Kur.
Er solle sich doch erst mal akklimatisieren, meinte sein Vorgesetzter. Wenn er überlegte, dass er den Burschen vor 20 Jahren ausgebildet hatte. Aber Steinböck hatte sich vorgenommen, sich nicht ärgern zu lassen.
Als er endlich das Ende der Treppe erreichte und auf die Herzogstraße hinaustrat, lehnte er sich erst mal gegen die warme Hauswand und blinzelte in die Sonne. Schließlich griff er in die Brusttasche seines Tweedsakkos, holte ein Päckchen Schwarzer Krauser heraus und drehte sich geschickt eine Zigarette. Er registrierte, dass es hier einige Kneipen in unmittelbarer Nähe gab.
Tacco, Latino-Café, nicht schlecht, dachte er. Aber das wird wohl nichts werden, stellte er frustriert fest. Dann schlenderte er langsam die Straße entlang. An der nächsten Straßenecke zur Fallmerayerstraße wurde er vom Blaulicht mehrerer Einsatzwagen aufgeschreckt. Steinböck näherte sich dem rot-weißen Absperrband, das den Zugang zum Innenhof verwehrte, und als er gewohnheitsmäßig darunter durchschlüpfte, wurde er von einem Polizisten in Uniform aufgehalten.
»Passt schon, Karl, das ist der neue Oberkommissar von der Mordkommission«, sagte eine junge Kollegin, die er flüchtig aus dem Büro kannte. Steinböck ging auf sie zu und blickte kurz auf ihr Namensschild.
»Hallo, Hasleitner! Was ist passiert?«
Der ältere Kollege drängte sich dazwischen und antwortete für sie.
»Schaut nach Mord aus. Ein Mann. Erschossen. Sag mal, so schnell war ja von der Mordkommission noch nie einer am Tatort.« Steinböck zuckte grinsend mit den Achseln.
»Das Haus da im Hof?«, fragte er dann.
»Ja, im Parterre.«
Er stieg die drei Stufen zur Eingangstür hinauf und ging auf die geöffnete Wohnungstür zu, wo ein weiterer Uniformierter stand. Er zeigte kurz seinen Ausweis, dann trat er ein. Eine helle Wohnung mit hohen Decken, vermutlich Ende der 60er Jahre gebaut. Die Einrichtung war ein Mix aus allen erdenklichen Stilrichtungen, aber von guter Qualität. Die Leute von der Spurensicherung waren bereits da. Einer von ihnen arbeitete an der Balkontür, die offensichtlich aufgebrochen worden war. Der andere saß auf einem Stuhl vor der Wohnzimmertür und versuchte sich fluchend eine Mullbinde um seine blutende Hand zu wickeln.
»Was ist denn mit dir passiert?«, fragte Steinböck.
Der Mann im weißen Overall deutete mit dem Daumen der gesunden Hand über seine Schulter.
»Bitte, die Leiche gehört dir. Oskar Hacker. Vermutlich erschossen. Aber ich würde vorsichtig sein, wenn ich du wäre.« Schließlich wandte er sich wieder seiner Mullbinde zu, die er weiterhin ungeschickt um seine Hand wickelte. Steinböck griff sich ein paar Plastiksocken und zog sie sich über die Schuhe. Dann betrat er den Raum. Er hatte in seinem Leben schon viele Leichen gesehen, meistens war es ein recht widerlicher Anblick. Aber dieses Mal musste er lächeln. Der tote Mann lag auf dem Rücken, Hände und Beine weit von sich gestreckt. Ein bisschen wie ein Hampelmann. Aber dies allein hätte ihn nicht zum Schmunzeln gebracht, säße da nicht diese große schwarze Katze auf der Brust des Toten, die Steinböck mit ihren gelben Augen anstarrte. Noch einmal ging er zu dem Mann von der SpuSi und deutete auf dessen Hand.
»War das die Katze?«, fragte er interessiert.
»Sei bloß vorsichtig, die Saukatz ist unberechenbar. Der Hundefänger ist in einer halben Stunde da.«
»Du hast den Hundefänger angefordert wegen einer Katze?«, fragte Steinböck verblüfft.
»Du glaubst gar nicht, zu was dieses Biest fähig ist. Ich freu mich schon auf die Vorstellung«, sagte er hämisch und erhob sich, um dem Kommissar zu folgen.
*
»Eindeutig macht der Mann im Tweedsakko einen kompetenteren Eindruck als dieser Hänfling in seinem weißen Schlafanzug. Es wird auch Zeit, dass ich hier runterkomme. Keine schöne Sache, wenn du auf der Brust deines toten Mitbewohners sitzt. Und dann dieses hässliche Loch in der Stirn. Nicht dass ich jetzt sentimental werde, aber ich mochte Oskar wirklich. Schließlich hat er mich mit der Flasche großgezogen. Sicherlich wäre ich auch ohne ihn zurechtgekommen. Auch wenn er immer wieder allen erzählte, wie er mich in dieser Nacht während des schrecklichen Unwetters gefunden hatte. Ohne Mutter, noch blind und mit Nabelschnur. Vermutlich maßlos übertrieben. Wie ich schon sagte, ich hätte es bestimmt auch alleine geschafft. Als mallorquinische Wildkatze. Man möchte sich ja nicht mit irgend so einem dahergelaufenen tibetischen Zimmerpupser vergleichen lassen. Womöglich auch noch mit Stammbaum. Bei Gott, jegliche Art von Rassismus liegt mir fern. Aber man spürt doch, wenn man etwas Besonderes ist. Gerade als Migrant. Ich hatte ja auch keine Wahl. Oskar hat mich einfach in einen Käfig gesperrt und mich dann in den Flieger gesetzt. Gut, die Mäuse sind in Deutschland fetter. Aber das Wetter! Verdammt, nur ein bisschen Sonne und alles, was zwei oder vier Beine hat, eilt nach draußen. Und das zum Teil im einstelligen Temperaturbereich. Aber was soll man auch von einem Volk erwarten, deren Stammesmitglieder Wurstmasse in Katzendarm pressen und sie dann mit süßem Senf essen. Zumindest zeigt der Neue etwas Respekt. Hoffentlich versteht er auch sein Fach. Irgendjemand hat Oskar getötet, und ich habe keine Ahnung, wer. Und dieser seltsame Geruch aus seinem Mund.«
In diesem Moment griffen kräftige Hände nach ihr und hoben sie hoch. Widerstandslos ließ sich die Katze von Steinböck auf den Arm nehmen. Mit dem Kopf stupste sie gegen seinen Dreitagebart und begann laut zu schnurren.
»Das kann doch nicht wahr sein«, keifte der Mann von der SpuSi und hob seine eingewickelte Hand der Katze vors Gesicht. Sekunden später hing sie mit ihren Krallen in der Mullbinde, und mit ihrem Fauchen gab sie ihm eindeutig zu verstehen: »Du nicht, Hänfling.« Der Kommissar hakte vorsichtig die Pfote aus dem Verband und stellte bewundernd fest, dass die Krallen es wieder bis zur Haut geschafft hatten.
»Oh diese verdammte Saukatz, ich bring sie um.«
»Jetzt mal langsam, eine Leiche reicht im Moment«, sagte Steinböck grinsend.
»Wie meinst du das?«, giftete er zurück.
»Ganz ruhig, Brauner, da kommt der Gerichtsmediziner. Lass dir von ihm deine Hand verbinden und dann sag dem Hundefänger ab, sonst machst du dich zum Gespött des gesamten Reviers.« Dann wandte er sich ab und schlurfte, die Katze immer noch auf dem Arm, zurück zur Leiche. Steinböck ging in die Hocke und betrachtete den Toten genauer.
»Einschuss mitten auf der Stirn, erstaunlich wenig Blut. Die Kugel ist offenbar nicht wieder ausgetreten. Keine Kampfspuren«, murmelte er vor sich hin. Dann beugte er sich nach vorne und roch am Mund des Toten.
»Seltsamer Geruch!«
»Sprichst du mit der Katze?«, fragte eine Stimme hinter ihm.
Steinböck richtete sich auf und grinste Thomas Klessel an.
»Das ist normal in meinem Alter.«
Klessel fuhr der Katze über den Kopf und kraulte sie hinter den Ohren.
»Sie hat Staller so zugerichtet?«, fragte er lachend und deutete dabei mit dem Kopf nach hinten.
»Ist es denn so schlimm?«
»Wie ich Staller kenne, lässt der sich zwei Wochen krankschreiben.«
»Mensch, Thomas, schön, dich zu sehen. Du bist bisher der einzige Lichtblick in diesem Haufen.«
»Du hast dich ja in der letzten Zeit in den höheren Etagen nicht besonders beliebt gemacht.«
»Ich habe nur versucht, meinen Job zu machen.«
»Und bist dabei den falschen Leuten auf die Füße getreten.«
»Das passiert eben, wenn die auf zu großem Fuß leben«, sagte Steinböck verbittert.
»Okay, dann überlass mir mal den Toten. Irgendetwas, worauf ich achten soll?«
»Er riecht so komisch aus dem Mund. Vielleicht kannst du das überprüfen.«
Klessel schaute ihn verblüfft an.
»Wie bist du denn darauf gekommen?«
»Keine Ahnung, es war einfach so eine Idee.«
In diesem Moment klingelte Steinböcks Handy. Es war der Dezernatsleiter. Er setzte die Katze auf den Boden und drückte das Handy ans Ohr.
»Hallo, Steinböck. Hasleitner hat mir gerade berichtet, dass Sie schon am Tatort sind. Ich dachte, Sie besichtigen eine Wohnung.«
»Die liegt nahe beim Tatort. Reiner Zufall, dass ich hier bin.«
»Gut, können Sie den Fall gleich übernehmen?«
»Kein Problem, bin schon dabei.«
»Aber ich kann Ihnen im Moment niemanden zur Unterstützung schicken.«
»Was ist mit Hasleitner?«
»Na ja, eigentlich ist die noch ein bisschen jung und steckt mitten in den Prüfungen.«
»Komm schon«, knurrte der Kommissar. »Sie ist ehrgeizig. Ich hab schon andere ausgebildet, und die haben’s sogar zum Dezernatsleiter gebracht. Ein paar Befragungen bei den Nachbarn sind doch kein Problem für das Mädchen.«
Steinböck glaubte zu hören, wie sein Gegenüber mit den Zähnen knirschte.
»In Ordnung, ich ruf Hasleitner an. Sie soll sich bei Ihnen melden.«
Er klappte sein Handy zu und beschloss, sich mit den noch unverletzten Kollegen von der SpuSi zu unterhalten.
Immer, wenn er die Jungs in ihren weißen Ganzkörperkondomen sah, musste er an Woody Allen denken, wie er in dem Film ›Was Sie schon immer über Sex wissen wollten‹ als Sperma verkleidet durch einen überdimensionalen Eileiter lief.
»Was ist mit der Balkontür? Wurde sie aufgebrochen?«
»Schwer zu sagen. Aber ich vermute, die Beschädigung hier ist schon älter. Wahrscheinlich war die Tür offen.«
»Und was ist das da?«, fragte er, wobei er auf ein Teil am unteren Rand der Tür deutete.
»Das ist eine Katzenklappe. Die ist zwar auf Durchgang gestellt, aber ich glaube nicht, dass der Mörder da durchgekommen ist«, antwortete er grinsend. Steinböck ignorierte den leicht spöttischen Tonfall und fragte nach:
»Wer hat die Leiche entdeckt?«
»Die Nachbarin, sie hat einen Schlüssel.«
Der Kommissar wandte sich ab, und der Mann im Ganzkörperkondom fuhr fort, mit seinem Pinsel die Scheibe zu bearbeiten.
*
Auf dem Gang kam Steinböck die junge Hasleitner entgegen.
»Der Chef hat mich angerufen. Ich soll Ihnen bei den Ermittlungen helfen. War des Ihre Idee?«
»Ja warum, passt Ihnen das nicht?«
»Doch, ganz im Gegenteil. Aber normalerweise sind mir für die Zivilen doch lauter Deppen.«
»Passen S’ auf, Hasleitner, im Haus leben sechs Parteien. Ich gehe jetzt zu der Nachbarin, die den Toten entdeckt hat, und Sie befragen die anderen, ob irgendjemand was bemerkt hat.«
»In Ordnung, Kommissar, bin scho unterwegs«, sagte die junge Polizistin sichtlich stolz und machte sich auf den Weg ins Treppenhaus. Steinböck blickte ihr skeptisch nach. Das Mädel war clever und ehrgeizig, aber sie war eindeutig zu fett. Sie musste aufpassen, dass sie nicht gemobbt würde. Schließlich ging er den Gang entlang und blieb vor einer Tür stehen. ›Maxi Müller‹, stand da auf einem Messingschild. Als er den Klingelknopf drückte, glaubte er seinen Ohren nicht zu trauen. Da erklang doch tatsächlich die Mundharmonika aus ›Spiel mir das Lied vom Tod‹. Gleichzeitig spürte er etwas an seinen Beinen. Erschrocken blickte er nach unten und entdeckte die Katze, die schnurrend ihren Kopf an seiner Hose rieb. Er hob sie hoch.
»Schade, dass du mir nichts erzählen kannst. Wahrscheinlich hast du den Mörder sogar gesehen.« In diesem Moment öffnete sich die Tür, und da stand sie vor ihm. Circa 50 Jahre alt mit feuerroten Haaren, die wild nach oben gekämmt waren. Steinböck wusste nicht, ob sie ihn mehr an den Kabarettisten Urban Priol oder an den Pumuckl erinnerte. Für einen kleinen Moment verschlug es ihm die Sprache, dann brummte er:
»Grüß Gott, mein Name ist Steinböck. Ich bin von der Mordkommission. Ich hätte da ein paar Fragen an Sie.«
Maxi Müller sah ihn mit einem umwerfenden Lächeln an und deutete mit dem Finger auf die Katze.
»Und das ist dann wohl Frau Merkel?«
»Steinböck, mein Name ist Steinböck«, wiederholte er. Er hatte die Anspielung auf Peer Steinbrück wohl verstanden.
»Entschuldigung, die Musik ist so laut«, sagte sie lachend und richtete die Fernbedienung, die sie in der Hand hielt, über ihre Schulter nach hinten. Schlagartig verstummte Mick Jagger, und mit ihm die Stones.
»Also doch nicht Frau Merkel«, sagte sie grinsend.
»Keine Ahnung«, erwiderte er schmunzelnd. »Ich hab’ die Katze eben erst kennengelernt.«
»Kommen Sie rein«, sagte sie, drehte sich um und ging in die Wohnung. Der Kommissar folgte ihr, und erst jetzt fiel ihm auf, dass sie ein grünes hautenges Kleid aus glänzendem Satin trug. Als er das Wohnzimmer betrat, erblickte er an der gegenüberliegenden Wand ein überlebensgroßes Poster des jungen Bob Dylan. Trotz des geöffneten Fensters lag der süße Duft von Marihuana in der Luft.
»Möchten Sie eine Tasse Tee?«, fragte Maxi Müller.
»Gerne«, antwortete Steinböck.
»Ich glaub, die Kekse sind nichts für Sie«, sagte sie grinsend und stellte sie auf dem Sideboard ab.
»Was ist, wollen Sie die Katze nicht mehr loslassen?«
Der Kommissar setzte sie auf den Boden und griff nach der Tasse Tee.
»Wie heißt sie?«, fragte er.
»Wer, die Katze? Sie hatte keinen Namen. Oskar nannte sie nur Katze.«
»Kannten Sie ihn gut?«
»Natürlich, wir waren Nachbarn. Außerdem saßen wir des Öfteren abends zusammen.«
»Was hat Oskar Hacker gemacht?«
»Er war Schriftsteller. Nicht besonders erfolgreich. Sein erstes Buch war ein ziemlicher Reinfall. Aber sein neuestes sollte ein Knüller werden.«
»Worum ging es in diesem Buch?«
»Ich habe keine Ahnung. Er hat immer ein großes Geheimnis daraus gemacht.«
»Hatte er Feinde?«
»Oskar? Nein, das kann ich mir nicht vorstellen. Er war eine Seele von Mensch«, sagte sie und lächelte verklärt.
»Hatte er öfters Besuch? Irgendjemand, der Ihnen aufgefallen ist?«
»Nein, es gab da niemanden. Bis auf diesen Mann, mit dem er regelmäßig Schach spielte. Oskar hatte mir von ihm erzählt, aber ich habe ihn nie zu Gesicht bekommen.«
»War er vermögend? Hatte er größere Wertgegenstände in der Wohnung?«
Sie lachte laut und schenkte Steinböck Tee nach.
»Oskar Hacker war notorisch pleite. Er schuldet mir die Miete von drei Monaten.«
»Also dann gehört Ihnen die Wohnung gegenüber.«
»Mir gehört das ganze Haus und noch ein paar andere mehr. Aber ich glaube nicht, dass das so wichtig für Ihre Ermittlungen ist.«
»Warum waren Sie heute Morgen in Hackers Wohnung?«
»Wir wollten zusammen frühstücken. Als er nicht kam, bin ich rübergegangen. Ich habe einen Schlüssel. Und da fand ich ihn.«
»Saß die Katze da auch schon auf seiner Brust?«
»Die Katze saß auf seiner Brust?«, fragte sie erstaunt. »Nein, das Mistvieh war nicht da.«
»Sie mögen sie nicht?«
»Sie ist mir unheimlich. Manchmal spricht sie mit mir.«
»Sie spricht mit Ihnen?«, fragte Steinböck verblüfft.
»Na ja, ich bilde mir ein, sie spricht mit mir.«
Der Kommissar warf einen Blick auf die Kekse. Dann erhob er sich und ging zur Tür.
»Vielen Dank. Ich glaube, das wär’s für den Moment.«
Maxi Müller folgte ihm.
»Es war mir ein Vergnügen, Herr Kommissar. Sie sind immer willkommen«, sagte sie lachend.
In der Tür drehte sich Steinböck plötzlich um.
»Sie haben nicht zufällig eine freie Wohnung für mich?«
»Natürlich, Sie können Oskar Hackers Wohnung haben.«
»Klingt gut. Es wird wohl noch eine Zeit dauern, bis Hackers Erben die Wohnung ausgeräumt haben. Aber egal, ich kann auch noch ein paar Wochen länger in der Pension wohnen.«
»Oskar hat keine Erben, und die Wohnung wird möbliert vermietet. Er kam mit einem Koffer und einem Karton, und ich glaube, mehr wird auch jetzt nicht zusammenkommen. Es liegt also nur an der Polizei, wie schnell die Wohnung frei wird.«
Das ging jetzt auch für Steinböck etwas zu schnell. Krampfhaft überlegte er, was er sagen sollte.
»Da wär noch eine Kleinigkeit. Wie hoch ist die Miete?«
»Kommen Sie heute Nachmittag noch einmal vorbei und überlegen Sie sich bis dahin, wie viel Sie zahlen möchten.«
Der Kommissar schluckte.
»Gut, gegen fünf Uhr.«
»Ach übrigens unter einer Bedingung. Sie übernehmen nicht nur die Möbel, sondern auch die Katze.«
Steinböck blickte an seinem Hosenbein hinunter, an dem sich die Katze wieder rieb.
»Sie wissen ja, ich mag die Katze nicht. Sie redet zu viel. Und Oskar hätte von mir erwartet, dass ich mich um sie kümmere.«
Der Kommissar bückte sich, nahm die Katze auf den Arm und warf noch einmal einen Blick auf den Keksteller, der immer noch auf dem Sideboard stand. Dann seufzte er tief.
»Also dann bis fünf Uhr.«
Nachdem Hasleitner offensichtlich noch mit den Befragungen beschäftigt war, beschloss Steinböck, zurück ins Büro zu fahren. Vor dem Haus traf er den überlebenden Kollegen von der SpuSi, der gerade seine Ausrüstung im Auto verstaute.
»Habt ihr einen Laptop oder Computer gefunden?«, fragte ihn Steinböck.
»Weder noch, die ganze Wohnung ist bis auf ein paar Klamotten und zwei Dutzend Bücher leer.«
Der Kommissar verabschiedete sich und machte sich auf den Weg zur nächsten Trambahn-Haltestelle. Er mochte es nicht besonders, mit U- oder S-Bahn zu fahren. Steinböck zog es vor, über der Erde zu bleiben. Diese anonyme Menge von Menschen, die sich wie ein Wurm durch unterirdische Gänge und über endlose Rolltreppen durch die verschiedenen Etagen schlängelte, machte ihm Angst. Irgendetwas veranlasste ihn dazu, sich noch einmal umzudrehen. Aber da war nichts. Nur die Katze saß auf der Mauer und blickte ihm nach.
*
Als Steinböck schließlich gegen ein Uhr das Revier erreichte, waren die meisten Kollegen in der Mittagspause.
Man hatte ihm ein geräumiges Büro am Ende des Gangs überlassen, dessen einziges Fenster einen Blick über die Dächer der Stadt und auf die Frauenkirche zuließ. Er setzte sich hinter seinen Schreibtisch und schaltete den PC an. In diesem Moment klopfte es. Die Tür öffnete sich, und Hasleitner steckte den Kopf herein.
»Derf ich reinkommen?«, fragte sie.
»Klar, wir sind doch jetzt Kollegen«, antwortete Steinböck mürrisch.
»Ich kann auch später noch mal kommen«, sagte sie schüchtern.
»Schmarrn, jetzt komm schon rein. Was hast du rausbekommen?«
Er deutete auf den Stuhl in der Ecke.
»Ich steh lieber. Also das Pärchen aus dem ersten Stock ist im Urlaub in den USA. Ihr Nachbar, ein Student aus Kenia, ist gerade in seiner Heimat. Im zweiten Stock leben der Onkel und die Tante der Besitzerin Maxi Müller, beide um die 70. Gegenüber in der kleinen Wohnung eine junge Rumänin, die sich um die beiden kümmert und nebenbei noch putzen geht. Also kurz gesagt, außer den beiden Alten war niemand zu Hause. Sie kannten Oskar Hacker gut, aber sie haben nichts bemerkt. Ich hab auch schon alle am Computer überprüft.«
Steinböck musterte sie. Sie hatte halblange blonde Haare und ein ausgesprochen hübsches Gesicht. Aber sie war mindestens 30 Kilogramm zu schwer.
»Also Hasleitner, hast du auch einen Vornamen?«
»Ich heiß Ilona«, sagte sie etwas verlegen.
»Gut, du nennst mich entweder Steinböck oder Chef. Und ansonsten kannst du mich duzen.«
»Jawohl, Herr Steinböck.«
»Lass den blöden Herrn weg, und jetzt erzähl mir, was du bei der Personenüberprüfung herausbekommen hast.«
»Also zuerst mal zum Opfer«, dabei durchsuchte sie den Stapel Blätter, den sie in der Hand hielt.
»Stopp, stopp. Wann hast du das alles recherchiert?«, fragte Steinböck entnervt.
»Na ja, als ich mit der Befragung fertig war, bin ich gleich ins Revier gefahren und hab’ die Namen durchlaufen lassen.«
Steinböck schüttelte den Kopf und sagte: »Also gut, Ilona, fang mit Oskar Hacker an.«
»Das Opfer ist am 8. Juli 1968 in Herrsching geboren. Gymnasium und Abitur in Weilheim. Zivildienst und anschließend Studium der Germanistik in München. Nachdem die Mauer aufg’macht hot, is er für zwoa Jahr nach Berlin ganga.«
»Halt, Ilona, du kannst gern deinen Dialekt sprechen, aber wenn du einen Bericht abgibst, dann versuchst du bitte, hochdeutsch zu reden.« Die junge Frau schluckte verlegen, dann fuhr sie etwas gestelzt, aber gut verständlich fort.
»Dann verliert sich seine Spur. Vermutlich war er im Ausland. 2005 hat er bei der deutschen Botschaft in Marokko seinen Pass verlängern lassen. Später hat er vermutlich auf Mallorca gelebt. 2011 veröffentlichte er bei einem kleinen Verlag in Berlin seinen ersten Roman, »Die Tränen der Sklaven«. Ich hab bei Amazon mal kurz die Inhaltsangabe gelesen. Es handelt sich um zwoa, Entschuldigung, um zwei marokkanische Brüder, die hier in Deutschland ums Leben gekommen sind.«
Steinböck überlegte krampfhaft, wie viel Zeit er bei Maxi Müller und in der Trambahn verbracht hatte. Diese junge Frau verblüffte ihn immer mehr.
»Weiter«, flüsterte er heiser.
»Seit dem Erscheinen dieses Buches ist er hier in München gemeldet. Wovon er lebt, ist unklar. Sein Konto ist hoffnungslos überzogen, und mit vereinzelten Einzahlungen hält er es bei um die 5.000 Miesen.«
Dann berichtete sie über die anderen Bewohner des Hauses, die aber alle unauffällig waren.
»Und jetzt zum Schluss: Maxi Müller. Sie ist die Besitzerin des Hauses und noch von drei anderen hier in München, die aber um einiges größer sind. Sie ist 52 Jahre und hat hier eine ganze Latte von Anzeigen.« Dabei tippte sie mit dem Finger auf das Blatt Papier.
Steinböck blickte verdutzt auf.
»Zeig mal her«, sagte er und griff nach dem Zettel.
Er begann zu grinsen. Sechs Anzeigen wegen Landfriedensbruch. Hatte sich bei Demos angekettet und wegtragen lassen. Dreimal wegen Beamtenbeleidigung. Und dreimal wegen Drogenbesitzes. Dafür hatte sie auch eine sechswöchige Haftstrafe absitzen müssen.
»Mann oh Mann, einmal drei Gramm Marihuana, einmal 2,3 Gramm; und beim dritten Mal waren es nur 0,8 und ein abgeernteter Stängel mit fast drei Gramm. Ein Hoch auf die bayerische Polizei«, sagte er sarkastisch.
»Aber Chef, Beamtenbeleidigung und Landfriedensbruch, des sind doch keine Bagatelldelikte. Vor allem so oft.«
»Grad, weil’s so oft war, zeigt, dass die Frau Charakter hat.«
»Des versteh ich jetzt nicht.«
»Macht nichts«, sagte der Kommissar. »Verbuchen S’ das unter Altersweisheit.«
»Aber Chef, jetzt hast mich wieder gesiezt.«
»Ist schon gut. Du gehst jetzt zum Hausmeister und lässt noch einen Schreibtisch hier reinstellen, und dann sollen die von der Technik dir einen Computer anschließen.«
»Für mich?«, fragte sie verdattert.
»Klar, wir sind doch jetzt Partner.«
*
Gegen zwei Uhr kam Ilona Hasleitner mit dem Techniker im Schlepptau ins Büro.
»So, ihr wollts also an zweiten Anschluss«, sagte dieser. »Des macht aber jetzt Krach.«
»Schon gut«, sagte Steinböck, »ich geh ja schon.«
Er erhob sich, griff nach seinem Sakko und ging zur Tür. Dort blieb er kurz stehen.
»Wie schauts aus, Ilona, hast du heute schon Mittag gemacht?«
»Na, dazu hab ich keine Zeit gehabt.«
»Komm mit, ich lad dich ein, sozusagen zum Einstand.«
»Aber ich kann doch jetzt nicht weg.«
»Geh nur zu«, sagte der Techniker lachend. »Ich bin die letzten 20 Jahre auch ohne dich ausgekommen.«
Verlegen folgte die junge Polizistin ihrem Chef.
In der Pizzeria zwei Straßen weiter fanden sie einen leeren Tisch im Biergarten. Der Ober brachte zwei Karten und nahm die Getränke auf.
»Hast richtig Hunger?«, fragte Steinböck.
»Ich hab immer Hunger, sieht man des nicht?«, antwortete Ilona und machte dabei einen eher unglücklichen Eindruck.
»Gut, was hältst davon, wenn wir beide jetzt einen großen Salatteller mit Putenstreifen essen und dazu ein Pizzabrot?«
»Das hört sich gut an«, antwortete sie lachend.
»Chef, was ist eigentlich mit dieser Maxi Müller? Die hat doch auch kein Alibi, und einen Schlüssel zur Wohnung hat sie auch.«