Kitabı oku: «Träume nicht dein Leben»
Kate Lillian
Träume nicht dein Leben
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Inhaltsverzeichnis
Titel
Das Buch
Widmung
Es war einmal ...
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Danksagung
Das Connecting geht weiter ...
Autorenvita
Impressum neobooks
Das Buch
Kate Lillian
Träume nicht dein Leben Liebe oder Krone – Band 1
Widmung
Für alle, die mit ihrem Selbstvertrauen kämpfen
– und ihre Träume dennoch nicht aufgeben
Es war einmal ...
Ich könnte behaupten, meine Geschichte hätte mit der Verkündung angefangen. Und die wirklich bedeutende Zeit meines Lebens begann vielleicht tatsächlich an diesem Tag. Aber meine Träume und Wünsche reiften bereits viel früher in mir. So früh, dass ich mich kaum noch an den genauen Zeitpunkt erinnern kann.
Nur das Bild sehe ich noch immer vor mir. Das Bild, wie der König und die Königin unseres Reiches oben auf der Treppe vor ihrer Villa stehen und der wartenden Menge zuwinken. Mit glücklichen Gesichtern, stolzer Körperhaltung und prächtiger Kleidung. Beide strahlen sie ihr Volk an, kümmern sich nicht um die Kameras, die die Bilder live übertragen. Und obwohl ich ihnen deshalb nicht einmal direkt in die Augen sehen konnte, wurde mir zu diesem Zeitpunkt bewusst, dass ich irgendwann selbst dort stehen wollte. Ich wollte einen Mann an meiner Seite, der mich liebte. Ich wollte das schönste Kleid des Reiches tragen. Ich wollte angebetet und bejubelt werden.
Und mich nicht mehr wie eine Aussätzige fühlen.
Bis zur Verkündung hatte ich nie geglaubt, dass all das Wirklichkeit werden könnte. Weder romantische Liebe noch Reichtum oder Bewunderung hatte ich je erfahren. Ich wusste nicht, wie sich diese Dinge anfühlten, und doch hatte ich immer von ihnen geträumt. Nichts im Leben wollte ich mehr, als eine Prinzessin zu sein. Als eine Königin zu sein. Und auf einmal war sie da, die Chance, meine Träume wahr werden zu lassen.
An dieser Stelle beginnt der Teil meiner Geschichte, der es wert ist, erzählt zu werden.
1
Bekanntgaben waren in der Stadt nichts Seltenes, aber an diesem Tag war alles anders, wie sich herausstellen sollte. Die Leute drängten sich auf dem Marktplatz zusammen, versuchten einen guten Platz zu bekommen, um einen Blick auf die Bühne vor dem Rathaus werfen zu können. Ich war mit meiner Größe von gerade mal einem Meter zweiundsechzig klar im Nachteil, woran ich mich inzwischen gewöhnt hatte. Ich rutschte dadurch auch unter dem Radar der meisten meiner Mitmenschen hindurch, deshalb beschwerte ich mich nicht. Tagträume zog ich menschlicher Gesellschaft sowieso vor.
Allerdings ließ die sich manchmal nicht vermeiden – so wie jetzt gerade.
»Huckepack, Prinzessin?«, fragte mich mein Vater mit einem breiten Grinsen im Gesicht. Auf seinen Schultern, die sich mit meinen Augen etwa auf einer Höhe befanden, hätte ich eindeutig eine bessere Chance, alles mitverfolgen zu können.
Trotzdem schüttelte ich den Kopf. »Ich bin beinahe achtzehn, das wäre peinlich.«
Weil mich die meisten Leute für jünger hielten, wäre es halb so schlimm gewesen. Aber ich besaß ein gewisses Maß an Stolz. In gut drei Monaten würde ich volljährig werden und ich wollte nicht, dass jemand dachte, ich würde an den Hosenbeinen meines Vaters kleben. Oder am Rockzipfel meiner Mutter, die rechts von mir stand und gerade den Kopf schüttelte. Sie hatte noch nie nachvollziehen können, warum mir meine Wirkung auf andere so immens wichtig war. Dabei passte sie sich zumeist ebenfalls an die Norm an.
»Dann tausch wenigstens den Platz mit mir, Jill. Von hier aus siehst du besser«, behauptete sie und wollte nach meinem Arm greifen.
»Schon gut.« Ich wich ihrer Hand aus. »Wahrscheinlich geht es wieder um irgendwelche Neubauten, das interessiert dich sowieso mehr als mich.«
Sie betrachtete mich noch einen Moment lang, dann seufzte sie und schaute nach vorne, wo gerade irgendwelche verhüllten Gegenstände auf das Podest gebracht wurden. Kaum waren sie neben der Leinwand positioniert, betrat unser Bürgermeister mit einem Mikrofon die Holzbühne. Er hatte keine Zettel in der Hand, wie es sonst meist der Fall war. Offenbar hatte er nicht so viel zu sagen, sondern würde eine Fotostrecke oder einen kurzen Film zeigen. Dafür sprach zumindest der aufgebaute Projektor.
Normalerweise war mir ein solches Ereignis um einiges lieber als seine endlosen Ansprachen. Doch wenn es wie bei der letzten Bürgerversammlung um irgendwelche zu versteigernden Landflächen ging, war das genauso langweilig – vor allem, da die meisten Bewohner unserer kleinen Stadt nicht genügend Geld für solch einen Kauf besaßen.
Nur wurde uns der Anlass der Versammlungen nie im Vorfeld mitgeteilt. Darum tauchten viele Bewohner freiwillig auf – in der Hoffnung, positive Neuigkeiten als Erstes zu erfahren.
»Äh-hem«, räusperte sich Bürgermeister Berger, was durch die alten Lautsprecher ein unangenehmes Geräusch verursachte. Weil er nun jedoch die Aufmerksamkeit aller innehatte, sprach er gleich weiter. »Guten Morgen, meine lieben Mitbürger. Ich freue mich wie immer über Ihr Erscheinen. Aufgrund der Wichtigkeit dieser Versammlung komme ich gleich zur Sache.«
Innerlich stöhnte ich auf. Egal, wie wichtig diese Veranstaltung war, dadurch fiel einer meiner Sommerkurse aus. Und ich wollte so gut es ging auf die Uni vorbereitet sein, die ich ab Herbst besuchen würde.
Herr Berger klemmte sich das Mikrofon unter den Arm und klatschte einmal in die Hände, woraufhin einige Helfer die Tücher von den verhüllten Gegenständen zogen. Ich glaubte im ersten Moment, darunter kämen irgendwelche Antiquitäten zum Vorschein, die versteigert werden sollten. Ich erinnerte mich nur zu gut an das alte Radio beim letzten Mal, das die Königsfamilie für einen guten Zweck aus einem ihrer Museen geholt hatte. Es kam hin und wieder vor, dass die Städte Gaben aus der alten Welt erhielten, um von dem Erlös einen neuen Kindergarten zu errichten oder das Funknetz auszubauen. Das war sehr großzügig und kam bei den Sammlern und Reichen gut an. Wir Übrigen ließen es eher notgedrungen über uns ergehen.
Dieses Mal handelte es sich jedoch nicht um etwas Teures – sondern um etwas weitaus Bedeutenderes. Denn ich erblickte Stangen, über die sich nun Stoff rollte. Keine zwei Sekunden später leuchteten uns die Banner unseres Königreiches entgegen: dunkelrot mit einem goldenen Wappen darauf. Obwohl ich es von meiner Position aus nicht genau erkennen konnte, wusste ich, dass darauf die einzelnen Anfangsbuchstaben der fünf früheren Länder unseres Reiches kunstvoll verschlungen dargestellt waren.
Überraschte Laute gingen durch die Menge, hinter mir versuchte jemand, einen besseren Blick auf das Podest zu erhaschen, und rammte mich mit seinem Ellenbogen. Ich kniff kurz die Augen zusammen, bevor ich mich auf meine Zehenspitzen stellte, um ebenfalls mehr sehen zu können.
»Was hat das zu bedeuten?«, murmelte meine Mutter. Mein Vater zuckte lediglich mit den Schultern und auch ich hatte keinen Schimmer, was auf uns zukommen würde. Mir war nur klar, dass eine Ankündigung von enormer Relevanz bevorstand, sonst würde man die Banner nicht hissen.
»Meine lieben Mitbürger von Brightfield, bitte schauen Sie auf die Leinwand und lauschen Sie den Worten unseres verehrten Königspaares!«, forderte uns der Bürgermeister auf. Unnötigerweise, denn als auf dem weißen Stoff König Simon und Königin Whitney auftauchten, wurde es mucksmäuschenstill und die Aufmerksamkeit aller richtete sich auf das eben erscheinende Bild. Auch ich starrte die Gesichter der beiden an, und obwohl es keine Live-Übertragung war, war ich wie gebannt von ihrer Ausstrahlung.
»Liebes Volk des Zentralreiches, wir freuen uns sehr, Sie alle zur Verkündung begrüßen zu dürfen«, sagte Königin Whitney, während sie in die Kamera lächelte.
»Heute wird sich das Leben für einige Personen gravierend verändern und das könnte auch Auswirkungen auf das ganze Reich haben«, fuhr König Simon fort. Seine Stimme klang beeindruckend ruhig für jemanden, der eine so große Neuigkeit kundtat.
»Wie Sie wissen«, ergriff die Königin das Wort, »halten alle Königsfamilien dieser Generation ihr Privatleben eher bedeckt. Nun ist es an der Zeit für einige Enthüllungen.«
Die Perspektive veränderte sich, sodass nicht mehr nur das Königspaar auf Sesseln sitzend zu sehen war, sondern drei weitere solcher Möbelstücke im Bild auftauchten.
»Heute präsentieren wir Ihnen erstmals unsere Kinder.« König Simon gab jemandem ein Zeichen und ein kleines Mädchen kam ins Bild gehüpft. Es setzte sich auf den Sessel neben der Königin und winkte mit einem Grinsen in die Kamera. »Dieser kleine Schatz ist unsere Jüngste. Ihr Name ist Marla.«
»Hallo, Volk«, sagte Marla mit zuckersüßer Stimme und wedelte dabei weiterhin mit ihrer kleinen Hand. Sie war bestimmt nicht älter als zehn.
Ihre Eltern lachten wegen ihrer Begrüßung, dann gab der König erneut ein Signal. Als Nächstes trat ein Junge ins Bild, der vielleicht mein Alter hatte. Sein Anzug schien ihm leicht zu groß zu sein, seine Krawatte hing ihm schief über das karamellfarbene Hemd. Als er sich setzte, überkreuzte er sofort leger die Beine und lehnte sich zurück. Er wirkte ein wenig frech, als würde er sich nichts aus Regeln machen.
»Jonas, unser zweiter Sohn«, stellte der König ihn vor. Zur Begrüßung winkte er nur lässig und grinste.
Ich glaubte, die Königin die Augen verdrehen zu sehen, war mir aber nicht sicher, ob ich mir das eingebildet hatte. Meine Aufmerksamkeit richtete sich ohnehin auf ihren Mann, der sich erhob.
»Zum Schluss präsentiere ich Ihnen mit Stolz unseren Sohn Stephan, den Thronfolger unseres Reiches.«
Bereits bevor der junge Mann vor die Linse trat, begann mein Herz, schneller zu schlagen. Seit Jahren stellte ich mir vor, wie der künftige König aussehen würde. Ob er die blonden Haare seines Vaters geerbt hatte. Oder die helle Haut seiner Mutter. Und stets hatte ich mich gefragt, wie alt er wohl sein mochte – vielleicht in einem Bereich, der zu meinen siebzehn Jahren passen würde?
Kaum dass er vor der Kamera auftauchte, hielt ich die Luft an. Prinz Stephan schien etwas älter zu sein als ich, seine Züge wirkten gleichzeitig weich und maskulin. Seine dunkelblonden Haare waren akkurat aus dem Gesicht gestylt, sodass seine hellen blauen Augen umso deutlicher zur Geltung kamen – trotz der Distanz zum Aufnahmegerät.
Er stellte sich neben seinen Vater und lächelte in die Kamera. Man bekam das Gefühl, als würde er nicht in eine technische Apparatur gucken, sondern uns alle betrachten – sein Volk. Es fühlte sich für mich wie ein Déjà-vu des Auftrittes seiner Eltern an, bei dem ich sie als Kind das erste Mal gesehen hatte. Nur dieses Mal brannte sich meine Sehnsucht nach einem royalen Leben beinahe durch mich hindurch. Prinz Stephans Auftauchen machte alles so viel nahbarer. Dabei war er für mich unerreichbar ...
»Ich freue mich, dass ich mich Ihnen allen endlich vorstellen darf.« Trotz der alten Lautsprecher war die Wärme in Stephans Stimme deutlich zu hören. »Und nicht nur diese Ehre gebührt mir heute. Ich darf außerdem eine Ankündigung im Namen unseres Königreiches sowie vier weiterer unserer sieben Reiche machen.«
Ein Raunen ging durch die Menge, es wurde geflüstert und getuschelt. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie sich meine Eltern einander zuwandten, mein Fokus lag allerdings weiterhin auf dem Thronfolger.
»Wie Sie mit Sicherheit wissen, wurden zur Stärkung der Modernen Welt in den letzten beiden Generationen die künftigen Könige mit den Prinzessinnen der anderen Reiche vermählt«, fuhr er fort. »Dies soll jedoch nicht zur Tradition werden.«
Wie meinte er das bloß? Hatte er etwa längst eine Braut gefunden und wir wohnten gerade der Ankündigung seiner bevorstehenden Hochzeit bei?
Als ich mich umsah, konnte ich eine ähnliche Verwirrung bei meinen Mitmenschen erkennen. Falten auf der Stirn, weit aufgerissene Augen, offen stehende Münder. Ich hatte den Eindruck, viele hielten auch den Atem an.
Als erneut die Stimme des Prinzen erklang, richtete ich meinen Blick eilig zurück auf die Leinwand.
»Die Königreiche des Nordens, Ostens, Westens, Südens und des Zentrums sind sich einig, dass sie sich zu lange mit dem Wiederaufbau und dem Erhalt des internationalen Friedens beschäftigt und somit vor dem Volk der Modernen Welt verschlossen haben.« Prinz Stephan wirkte bestimmt, während er das sagte. »Wir wollen nicht länger Geheimnisse vor Ihnen haben. Sie nicht länger ausschließen. Wir wollen unsere Völker kennenlernen. Darum wird sich der Thronfolger jedes dieser fünf Reiche auf eine Reise durch sein Land begeben. Und in jedem seiner fünf Bezirke wird er Halt machen, um einer bestimmten Pflicht nachzukommen. Er wird durch das Los ein Mädchen wählen, das zum Palast der Einheit reisen wird.«
Ich spürte, wie mir meine Mutter eine Hand auf die Schulter legte. Als sie mein aufgeregtes Zittern wahrnahm, stellte sie sich dichter neben mich und schlang mir ihren Arm um die Taille. Unter normalen Umständen hätte ich das nicht zugelassen, aber jetzt konnte ich überhaupt nicht darauf reagieren. Ich war vollkommen gebannt.
»Die fünfundzwanzig Mädchen werden mit uns Prinzen dort eine Menge Zeit verbringen«, erklärte der Thronfolger. »Wir wollen nicht nur mehr über unsere Reiche und seine Bewohner erfahren, sondern auch mehr über die Mädchen selbst. Jeder von uns erhofft sich, so eine geeignete Braut für sich zu finden. Ihre Herkunft spielt dabei keine Rolle. So sollen neue Bande zwischen den Reichen und zum Volk geknüpft werden. Und Sie alle können im Fernsehen dabei zusehen – beim Connecting!«
Prinz Stephans folgende Worte gingen im allgemeinen Tumult unter. Auch ich konnte mich nicht länger konzentrieren. Fünf Thronfolger suchten Bräute. Sie suchten die künftigen Königinnen. Sie suchten im gemeinen Volk. Und ich war ein Mädchen des gemeinen Volkes.
Das war die Chance, von der ich bis jetzt immer geträumt hatte.
»Keinesfalls wirst du an dieser Show teilnehmen!« Mein Vater drängte mich in die Wohnung und stellte sich gebieterisch im Türrahmen auf. Wenn ihm etwas nicht passte, nahm er immer diese Pose ein. Mit ihm zu streiten, war unter diesen Umständen keine gute Idee, doch dieses Mal lohnte es sich, zu kämpfen.
Ich verschränkte die Arme vor der Brust. »Aber das ist es, was ich will! So eine Chance kriege ich nie wieder!«
»Na, hoffentlich.« Er sah streng auf mich hinunter. »Das ist alles Irrsinn.«
»Beschimpfe besser nicht die Pläne der Königsfamilie, solange die Tür offen steht, Bruno.« Meine Mutter schob ihn vorwärts und schloss dann die Tür hinter sich. Ihr ebenso mitleidiger wie skeptischer Blick, der mich im Anschluss traf, entmutigte mich. Sie würde mir bei diesem Kampf nicht beistehen.
»Papa, bitte!« Ich presste meine Hände dort auf den Brustkorb, wo sich mein Herz verbarg. »Du weißt, dass ich schon seit Jahren davon träume, eine Prinzessin zu sein. Willst du denn nicht, dass ich meine Träume verfolge?«
»Deine Träume sind es, an die Uni zu gehen, dir danach eine Stelle zu suchen und irgendwann einen netten Mann zu heiraten.« Er fixierte mich.
Sein Blick schüchterte mich zwar ein, aber dieses eine Mal konnte ich einfach nicht klein beigeben. »Das war der Weg, den ich gehen wollte, bevor ich wusste, welche Chance sich mir bieten könnte. Und wer sagt, dass die Prinzen nicht auch nett sind?«
»So wichtige Leute sind doch immer nur auf Macht und Publicity aus«, widersprach er mir. »Keiner von denen würde dich glücklich machen!«
»Das kannst du gar nicht wissen!« Ich spürte, wie mir Tränen in die Augen stiegen. Ich versuchte sie wegzublinzeln, doch dadurch wurde es nur schlimmer. Also sprach ich mit verschwommenem Sichtfeld weiter. »Außerdem haben sie noch gar keine Ahnung von Macht oder Publicity. Alle königlichen Kinder wurden schließlich bis zum heutigen Tag versteckt.«
Die Gründe dafür hatte man uns stets verschwiegen, nur dass sie politischer Natur waren, wurde immer wieder gesagt. Irgendwann hatten wir uns daran gewöhnt, nur mit dem König und der Königin vorliebzunehmen. Zumindest der Großteil unseres Volkes. Kritische Stimmen waren vor allem in den letzten Jahren immer lauter geworden, nachdem der König des Nordreiches schwer erkrankt war. Zwar regierte er noch, ließ sich jedoch kaum noch in der Öffentlichkeit blicken – und von einem Nachfolger keine Spur. Bis jetzt zumindest.
»Dieses Versteckspiel der Prinzen macht es noch schlimmer. Denn wahrscheinlich gibt es schwerwiegende Gründe dafür, dass sie erst jetzt auf der Bildfläche auftauchen.« Mein Vater schaute mich eindringlich an. »Dieses Schauspiel ist mit Sicherheit ein Test, wie die zukünftigen Könige mit all den Problemen umgehen. Willst du da wirklich als Versuchskaninchen hineingezogen werden, Jill?«
Ich wusste schon, dass er mit der Monarchie nicht immer einverstanden war. Doch jetzt wollte er mir insbesondere aufzeigen, dass ich alldem nicht gewachsen sein würde. Was vielleicht sogar stimmte. Ich war keine geborene Führungspersönlichkeit und ging Problemen grundsätzlich lieber aus dem Weg.
Allerdings träumte ich bereits seit Ewigkeiten von einem Leben als Königin. Und mein Wunsch, von einem ganzen Volk bewundert zu werden, würde mir die nötige Kraft schenken. Um zu kämpfen – und um mich zu ändern. Davon war ich überzeugt.
Nun galt es jedoch, meinen Vater umzustimmen.
Ich presste die Lippen aufeinander, machte einen Schritt auf ihn zu und guckte ihn von unten her an. »Ich will doch nur meinen Namen in diesen Lostopf werfen. Wenigstens kurz das Gefühl haben, mir stünde noch ein anderer Weg offen. Bei all den Mädchen unseres Bezirks zwischen siebzehn und neunzehn werde ich sowieso nicht gezogen.«
Ich hasste es, daran zu denken, wie gering meine Chancen waren. Aber das war mein bestes Argument, um seine Meinung zu ändern. Denn obwohl die Bevölkerung durch den Großen Krieg drastisch geschrumpft war, lebten immer noch einige Millionen Menschen in jedem Bezirk.
Mein Vater schien einen Augenblick unschlüssig zu sein, was auch meine Mutter bemerkte. Sie legte ihm eine Hand auf den Arm. »Bruno, lass sie es machen. Wie Jill schon sagt, die Wahrscheinlichkeit, dass sie gezogen wird, liegt bei weniger als einem Prozent.«
Zahlen waren immer ein gutes Argument, meinen Vater zu überzeugen, da er Wirtschaft studiert hatte. Ich warf meiner Mutter deshalb einen dankbaren Blick zu, den sie mit einem kurzen Lächeln quittierte. Vielleicht war sie ja doch auf meiner Seite.
Als sich das Schweigen meines Vaters hinzog, verschränkte ich meine Finger ineinander und schaute ihn mit meinen braunen Rehaugen flehend an. »Papa, bitte.«
Nur Sekunden später konnte ich mitverfolgen, wie die Härte aus seinen Gesichtszügen wich. Während er seufzte, stimmte ich innerlich einen Jubel an.
»Na gut. Dein Name in dem Topf. Und danach konzentrierst du dich wieder auf deine Kurse.«
»Danke!« Ich vollführte einen kleinen Freudentanz, über den mein Vater den Kopf schüttelte. Meine Mutter hingegen lachte und schon bald stimmte ich mit ein.
Egal, wie winzig meine Chance war, ich würde sie wahrnehmen. Wunder geschahen immer wieder. Das Überleben der Menschheit nach all der Zerstörung war der beste Beweis dafür.
Irgendwer hatte neben der Bühne am Marktplatz eine Art Zelt aufgebaut, wo man sich registrieren lassen konnte. Die Schlange an Mädchen war gut zwanzig Meter lang. Wahrscheinlich hatte sie heute Morgen nach dem offiziellen Bewerbungsbeginn mindestens die dreifache Länge gemessen. Dass ich erst am späten Nachmittag gekommen war, um meinen Namen ins Spiel zu bringen, war wohl die richtige Entscheidung gewesen.
Dafür hatte ich mir stundenlang von meinem Vater anhören müssen, dass ich es noch mal überdenken sollte, ob ich wirklich bei einem solchen Spiel mitmachen wollte. Er tat gerade so, als ob ich längst ausgewählt worden wäre. Aber obwohl ich mir von ganzem Herzen wünschte, dass es so kommen würde, musste ich realistisch bleiben. Meine Chance war verschwindend gering.
Während ich wartete und etwa jede zweite Minute einen Schritt nach vorne machte, beobachtete ich die Mädchen vor mir. Offenbar waren die meisten in Grüppchen gekommen, einige kicherten und tuschelten miteinander.
Ich hatte Cliquen stets gemieden. Mir behagte es nicht, zu viele Menschen um mich herum zu haben. Denn entweder ignorierte man mich, weil ich nur zuhörte, oder man warf mir erwartungsvolle Blicke zu, damit ich meinen Mund aufbekam. Beides nervte mich. Irgendwann hatte jede Gruppe in der Schule das kapiert und aufgegeben, mich integrieren zu wollen.
Worüber ich wirklich dankbar war. Ich zog gerne mein eigenes Ding durch und wollte mich nicht von anderen wegen dem, was ich dachte, tat oder mochte, rechtfertigen müssen – was bisher immer der Fall gewesen war.
Ich stand noch gut fünf Meter vor dem Zelt, da drang das Gespräch der Mädchen hinter mir an meine Ohren. Ich erkannte die Stimmen von Sandra und Lucy, die in meine Stufe gegangen waren. Zum Glück schienen sie mich nicht erkannt zu haben, ansonsten hätten sie mich vermutlich mit großen Augen angeguckt und gefragt, was ich denn hier zu suchen hätte. Bestimmt konnte sich kaum einer in der Stadt vorstellen, dass gerade ich Prinzessin werden wollte. Nur meine Eltern kannten meine geheimsten Wünsche und selbst die respektierten sie nicht – wie mir mein Vater nur allzu klar gemacht hatte.
»Uh, denkst du, er kommt auch hierher?«, fragte Lucy in meine tristen Gedanken. »Stell dir das mal vor: der Prinz in unserem Städtchen!«
»Oh Mann, das wäre echt krass«, erwiderte Sandra. »Mehr als krass wahrscheinlich.«
»Ich würde ja so ausflippen, wenn er in den Laden meiner Mama kommen würde!«
Lucys Mutter besaß einen Kiosk, weshalb sie auch in Sachen Prominenz auf dem Laufenden war. Wobei man kaum noch von Promis sprechen konnte. Wir hatten ein paar berühmte Sänger, Maler und Tänzer nebst den königlichen Familien. Schauspieler fand man höchstens in Theatern, da Filme zu drehen sehr aufwendig war und man das Geld deutlich besser anlegen konnte. In die Wissenschaft zu investieren, war immer lohnenswert, denn nach und nach entwickelte man die technischen Geräte von früher wieder neu. Es war wirklich erstaunlich, wie viel Fortschritt ein weltweiter Krieg zunichtemachen konnte.
Abgesehen davon gab es noch immer die Klimakrise, die man mit den umweltverschmutzenden Gerätschaften und Fabriken aus der alten Welt nicht weiter fördern wollte. Einfach zu dem Zustand vor dem todbringenden Konflikt zurückzukehren, war also ebenfalls keine Möglichkeit – was unser Leben noch ein wenig komplizierter werden ließ.
»Denkst du, sein Bruder wird ihn begleiten?« Sandras hoffnungsvolle Stimme übertönte meine Überlegungen. »Die Art, wie er da so auf seinem Sessel gehangen hat, war echt lässig.«
Ich verdrehte die Augen. Bewarb sie sich denn, um unseren Prinzen – und die vier anderen – kennenzulernen, oder wegen jemandem, den sie nie bekommen würde? Mir erschien es mehr als unwahrscheinlich, dass auch die anderen Königskinder im Volk suchen würden. Ein paar politische Verbindungen waren eher von Nutzen.
Notgedrungen hörte ich mir noch ein paar Minuten das Geplapper der beiden an, dann durfte ich endlich das Zelt betreten. Ich warf beim Hineingehen einen Blick auf den Muskelprotz neben dem Eingang, dessen Anwesenheit mir suspekt erschien. Aber wer wusste schon, was Mädchen tun würden, wenn die Chance auf eine Einheirat in die Königsfamilien bestand?
Unter den Planen stand ein Tisch, hinter dem eine Frau mittleren Alters saß. Sie wirkte mit ihrer großen Brille ziemlich streng, was durch das fehlende Lächeln noch verstärkt wurde. Mit einem Nicken deutete sie auf den Stuhl, der vor dem Tisch platziert war. Eilig setzte ich mich.
Sie schob mir einen Zettel und einen Stift zu. »Ausfüllen.«
Ich griff nach dem Tintenschreiber und beugte mich über das Blatt Papier. Die einzusetzenden Informationen waren ziemlich dürftig. Name, Adresse, Geburtstag, Berufsstand. Ich überlegte einen Moment, bevor ich »Schulabsolventin, bald Studentin« auf die zugehörige Zeile schrieb. Offenbar wollten die Prinzen nicht wissen, mit wem sie es auf ihrer Brautschau zu tun bekommen würden.
Diese Neutralität ließ mich hoffen. Denn freiwillig würde mich wohl keiner auswählen. Ich stach weder optisch noch charakterlich hervor.
Ich hatte kaum Zeit, meine Angaben noch einmal zu überprüfen, da zog mir die Frau den Zettel schon weg und ersetzte ihn durch einen anderen. »Durchlesen. Und dann unterschreiben. Oder auch nicht. Aber dann hättest du gar nicht kommen müssen.«
Irritiert überflog ich die Zeilen: »Hiermit erkläre ich, dass ich mich vollkommen freiwillig für das Connecting bewerbe. Außerdem werde ich die Wahl des Loses akzeptieren, egal, wie sie ausfällt. Und ich versichere, dass ich die Wahl auf jeden Fall annehmen werde, sollte ich gezogen werden. Sollte ich noch nicht volljährig sein, sind meine Eltern mit der Teilnahme einverstanden (Einverständniserklärung liegt bei).«
Der letzte Satz bereitete mir ein wenig Sorgen. Aber mein Vater hatte den nötigen Zettel unterschrieben, der heute morgen zusammen mit einem Info-Flyer in unserem Briefkasten gelegen hatte.
Also setzte ich meine Unterschrift auf die leere Zeile, legte den Stift weg und schob die Einverständniserklärung – die ich bis eben in meiner kleinen Handtasche aufbewahrt hatte – über die Tischplatte. Die Frau warf einen kurzen Blick darauf, bevor sie mich mit einer Handbewegung wegscheuchte. Hastig stand ich auf und verließ das Zelt.
Kaum dass ich draußen war, sahen mich Lucy und Sandra neugierig an. Dann runzelten beide die Stirn. Lucy machte sogar den Mund auf, um etwas zu sagen, da ertönte die ungeduldige Stimme der bebrillten Frau.
»Die Nächste!«
Während Lucy im Zelt verschwand, verließ ich den Marktplatz. Und ausnahmsweise hatte ich dabei meinen Blick nicht auf den Boden gerichtet, sondern nach vorne. Der erste Schritt war gemacht. Jetzt konnte ich nur warten.