Kitabı oku: «Macbeth Melania»

Yazı tipi:

KATHARINA TIWALD

MACBETH MELANIA

ROMAN


Macbeth für Einsteiger

Macbeth, ein Gefolgsmann des schottischen Königs Duncan, kehrt von einer Schlacht heim, in der er sich hervorgetan hat, wie sich Gefolgsmänner so hervortun; unter anderem wurde ein Verräter, der Thane (eine Art Fürst) von Cawdor, beiseitegeräumt.

Bevor Macbeth bei Duncan vorsprechen kann, stellen sich ihm drei Hexen in den Weg und weissagen, dass er nicht nur der nächste Thane von Cawdor werde, sondern irgendwann einmal auch König von Schottland. Und siehe da: Die erste Beförderung wird gleich von Duncan vorgenommen und bei Macbeths zuhause in der Gegenwart des Chefs gefeiert. Lady Macbeth meint, dass die Karriereleiter auch schneller erklommen werden könne – schließlich hatten die Hexen im ersten Fall ja recht! –, und stiftet ihren Mann zum Mord an Duncan an.

Tatsächlich wird der Mörder Macbeth König von Schottland, unter anderem deshalb, weil er sein Verbrechen den eigentlichen Thronfolgern anhängen kann, Duncans Söhnen, die im Exil ihre Rache plotten. Unterdessen herrscht Terror in Schottland. Nicht nur mutmaßliche Feinde müssen beseitigt werden, sondern auch die Frauen und Kinder der geflohenen Getreuen.

Noch einmal tauchen die Hexen auf und sagen voraus, dass niemand Macbeth werde besiegen können … wenn nicht der Wald von Birnam sich dem Schloss nähere. Ha, denkt Macbeth und wiegt sich in Sicherheit. Wie soll sich ein Wald einem Schloss nähern?

Indem die Gegner die Bäume fällen und als Deckung benutzen. Lady Macbeth ist inzwischen durchgedreht, schrubbt imaginäre Blutflecken aus ihren Gewändern und bringt sich schließlich um. Und der Wald – der kommt näher.

Am Ende ist Malcolm, Duncans Sohn, der rechtmäßige König von Schottland. Er lädt alle Anwesenden zu seiner Krönung ein:

»So thanks to all at once and to each one,

Whom we invite to see us crown’d at Scone.«

Gerade durchleben wir eine dunkle Periode, aber das Buch wird zurückkommen.

Hélène Cixous

Interview in der ZEIT

8. August 2019

Für meine Familien, die Herren Urbanek und Mitterlehner und für Patrik ohne C

Das Universum war ein kalter, zugiger Schuppen, und eine Mischung aus Joker und Clown herrschte über die USA.

Vorbemerkung und Disclaimer:

Obwohl es in unserer Zeit sogar vorkommt, dass Menschen Operationen an ihrem Gesicht nach der Vorlage eines gepimpten Instagrambilds machen lassen, sollte klar sein, dass in einem fiktiven Werk sogar jene Personen, die tatsächlich leben, in einen nicht-wahren, ausgedachten, aus vielleicht wirklichen Begebenheiten gewobenen, aber letztendlich eben fiktiven Kontext gesetzt werden. Ergo haben die Personen, die uns im fiktiven Werk so wirklich scheinen, so bekannt vorkommen, keine Entsprechung im wirklichen Leben, trotz Namensgleichheit. Alles klar?

Inhalt

I WIEN, NUR DU ALLEIN

II DIE IDEE

III CASTING IDEALER HEXEN

IV IN EINEM GARTEN, BEI EINER PARTY

V WIEN IST SCHÖN

VI WAS IHNEN ZUSTEHT

VII FLASHLIGHTS

VIII THE MURTHERERS

IX DER WILL JA NUR SPIELEN

X FLAK

XI EINE MELANGE HEBEN

XII GIGI

XIII THE SHIT HITS THE FAN

XIV EIN NEUES KAPITEL

XV KLEINE KEKSE BACKEN

XVI +

XVII SLOVENIJA

XVIII WHITE HOUSE SLIPPERS

XIX MIKES MONOLOGE

XX ZUM SCHIESSEN

XXI EINSPRUCH

XXII PREMIERE

XXIII UND DANN

IWIEN, NUR DU ALLEIN

IN SEINEM KÖRPER VEREINTE Michael Knutkovsky das alte Ostpreußen, aus dem die Weltgeschichte und somit mehrere irre Männer inzwischen Kaliningrad gemacht hatten, und Wiener Blut, das auch einmal einen Stammbaum gehabt hatte und in einer Vorzeit, die noch nicht besonders grau war, dem Führer nach Berlin gefolgt war. Knutkovsky hätte gerade dort, in Berlin, dem buntesten Hund Europas, selbstverständlich auch das »von« im Namen führen können, verzichtete aber darauf und ließ sich »Mike« nennen; er fand, dass das würdige Tragen von Polohemden mit Krokodilchen drauf und der ab und zu notwendige Griff zur Krawatte genügten, obwohl die Welt ja immer lockerer wurde und Mike mit ihr. Dass er wusste, wann Hemd und Krawatte angesagt waren und wann man sich erlauben konnte, offenen Kragen zu tragen, wann Polo: das war sein Adel. Und obwohl er in einer Branche arbeitete, in der die Krokodile nicht nur nett am Leibchen hingen, machte er meistens sein Wahlkreuz bei der SPD, ganz wider jegliche Küchensoziologie.

So. Und dann war ihm das passiert.

Er war (zumindest seinem Gefühl nach) aus Deutschland rausgeschmissen worden, nachdem sich eine gewisse Simone, die einen leichten Unterbiss – an Keira Knightley hatte sie ihn erinnert, aber so schön war selbst die nicht, bei genauerer Betrachtung –, nachdem sich also Praktikantin Simone – so viel Schneid hätte er sich gewünscht mit Anfang zwanzig – bei der Geschäftsleitung eines marktführenden Businessberatungskonzerns über seine, Mikes, »Übergriffe« beschwert hatte: Seitdem hingen die Worte »Unterbiss« und »Übergriff« in seinem Kopf zusammen wie in der Hölle Pech und Schwefel. Dabei hatte er diese Simone hofiert, sanft mit ihr geschäkert, ihr die Türen aufgehalten, sie zum Essen eingeladen und schließlich ins Kino, wo er sich daran erinnert hatte, dass er keine fünfzehn mehr war und Simone nicht vierzig; er hatte ihre hinter der Popcorntüte höflich verborgene Langeweile gespürt (warum schleppt man auch eine Fünfundzwanzigjährige mit Bachelor in Gender Studies und Politikwissenschaft in ein Superhelden-Abenteuer?) Es war ihm nichts anderes übrig geblieben, als die Peinlichkeit mit einem aktiveren Vorstoß in zwischenmenschliche Gefilde zu übertünchen, er wollte ja nicht als Loser dastehen, und dann hatte er den Salat gehabt. »Knutschkovsky« hatten sie ihn genannt, überall in Deutschland, wo er Fuß zu fassen versuchte. Die Branche kannte ihn, leider.

»Knutschkovsky, sei mir nicht böse, aber die Sache hat zu viel Staub aufgewirbelt. In einem Jahr vielleicht …«

Jetzt war er eben in Wien, wo deutsche Zeitungen nicht einmal online gelesen wurden; Tante Betti, eine Tochter der einzigen Person aus dem Clan, die während der Hitlerei standhaft geblieben (und aus Mauthausen zurückgekommen) war, hatte hilflos die Hände gehoben, gesagt, dass sie die jungen Frauen auch nicht mehr verstehe, und ihm einen Job bei der SPÖ vermittelt.

Als er das Universum aufsperrte, stieg ihm wie immer der Geruch in die Nase, der aus dem letzten Jahrhundert aufzusteigen schien, eine Mischung aus Altmetall, Staub und – natürlich – Kapuzinergruft. Was klar war: Das ist nun mal der Duft einer ehemaligen Eisenwarenhandlung, die das Inhaberpärchen (InhaberInnenpärchen) bei der Pensionierung mulmig in die Zukunft, ins aktuelle Jahrtausend entlassen hat. Wissend, dass der Einzelhandel keine Chance mehr hat. Dass große, alte Verkaufslokale in Erdgeschoßen dazu verdammt sind, Sportwettlokale zu werden oder zu verrotten. Nicht mit mir, hatte die Bezirksvorsteherin gesagt und einem in Österreich noch nicht abgehalfterten Communication expert aus Deutschland den Raum als zu gestaltenden Theaterraum angeboten/umgehängt; »a bissl a Förderung«, hatte sie gesagt, werde sie schon aufstellen … sie war eine Du-Freundin von Tante Betti. Immerhin war Mike Knutkovsky dezidiert zur Imagepflege der großen Mutterpartei angeheuert worden und konnte selbiges auch auf Bezirksebene tun – »Sichtbarkeit, Mike! Sichtbarkeit! Auch für die kleinen Leut!«, der Partei gehörte selbstredend die Bezirksvorsteherin an, und so griff eine gepflegte Hand in die andere. Zuhause notierte er sich derart erschöpft, dass er nicht einmal die Lust auf ein Bier hinbekam, diesen unreinen Reim in ein bis auf Doodles völlig leeres Notizbuch: Sichtbarkeit. Auch für die kleinen Leut.

»Mögest du in interessanten Zeiten leben«, jaja, der chinesische Fluch; aber, so Mikes Gedankengang, solange er in einem Miniaturstaat interessante Zeiten erlebte, konnte man eigentlich nicht von einem Fluch sprechen. Das kleine Österreich, dieses angebissene Schnitzel inmitten Europas, dieser deutsche Wurmfortsatz mit dem niedlichen Dialekt, stand nämlich nach einem verfilmungswürdigen Bundespräsidentschaftswahlkampf mit Einspruch und Neuwahl und Kopf-an-Kopf und Aufregung, als ginge es um den Erzengel Raphael gegen Luzifer (man stelle sich vor, dachte Mike mit einer Mischung von Wehmut und Ärger, die Wichtigkeit eines Postens wie diesem, Präsident eines Schnitzels …) – kurz, nach diesem Hofburg-Trara stand das Land nun vor dem nächsten Match, der Nationalratswahl: Und da war ein schmalbrüstiger, slimfittragender Junge, der sich noch vor wenigen Jahren mit einem »Geilomobil« gleichzeitig lächerlich und wichtig gemacht hatte, knapp davor, die Grand Old Party, die seit Jahrzehnten in der Koalition vertreten war, umzukrempeln. Alle, die ihre Hoffnungen an den Jüngling gehängt hatten wie den Jesus an die Wand, erwarteten sich wohl, dass bei diesem Wendeakt aus einem Trachtenjanker ein Armani-Sakko würde.

Der österreichische Wahnsinn ließ sich schon allein an dem irrwitzigen Namen ablesen, den die Leser der Bezirkszeitung in einem Mehrheitsvotum der verschrotteten Eisenhandlung verpasst hatten; und die Bezirksvorsteherin, ließ Mike bei sich Revue passieren, hatte verzückt in ihre beringten Hände geklatscht und »Universum« auch noch supertoll gefunden.

»Sicher manikürte Nägel«, sagte später die Tiwald, »ganz konservativ kirschrot. Oder French nails, bei denen die knallweißen Ränder so seltsam wegstehen, dass man ein bisschen nach Alien aussieht. Ich hab ja keine schönen Nägel. Die sind so mini. Deswegen kommt da auch nie Farbe rauf. Wie würd das ausschauen, kleine bunte Fleckchen auf Wurstelfingern? Ich kann blind tippen, ich muss mir bei der Arbeit meine Nägel nicht einmal anschauen.«

Inmitten der Testosterongefilde, als die sich die österreichische Politik darstellte, waren ironischerweise eine Menge Frauen in Mikes Leben getreten, obwohl der Parteichef natürlich ein Mann war, genauso wie ein Großteil seiner Entourage. Da war zunächst die bereits erzählte Vorsteherin des Bezirks, in dem er abgestiegen war, Tante Bettis Freundin.

Diese Dame, ein, wie Mike sie gegenüber deutschen Freunden beschrieb, Schlachtross mit Stahlfrisur, hatte ihm nicht nur angetragen, das Universum zu übernehmen, das neue Aushängeschild des Bezirks – »ein Veranstaltungsort erster Sahne«, sagte Mike ironisch zu seinen Freunden –, sondern ihm auch eine weitere Dame ans Herz gelegt, und zwar eine schreibende.

»Nimm«, hatte sie gesagt, »die Tiwald. Die wohnt auch im Bezirk. Der Urbanek kennt sie. Hör dir an, was sie für Ideen hat. Wir wollen keine hirnlosen Wirtshauskomödien und nichts, wo alle über fünfundzwanzig geistig aussteigen. Ein elegantes Dazwischen. Am Puls der Zeit. Der Urbanek hat einmal irgendwas von ihr im Bunker aufgeführt. Mit Schülern. Neu. Heutig. Die grüne Bezirksrätin hat gesagt, das war nicht schlecht. Frag sie!«

Also hatte er die Tiwald getroffen, eine nicht unschöne Frau, die seinem Alter deutlich näher war als der Unterbiss aus München, zwar mit einem Hintern ausgestattet, der, dachte Mike in einem ersten Anflug, fast ein schwarzer Hintern war, aber er verbiss sich den Gedanken, und nicht einmal seine Freunde, die er über das Schlachtross informiert hatte, bekamen ihn jemals zu hören. Die Tiwald hatte irgendeine Verbindung zum, ja, das lief so in Wien, Direktor des Bezirksmuseums, einem gewissen Urbanek, und das fand Mike so witzig in Wien: Dem Urbanen wird immer was Neckisches angehängt.

Den Urbanek hatte er auch schon einmal getroffen. Im Bunker. Der Urbanek hielt nämlich einen aus dem Zweiten Weltkrieg stammenden Bunker instand, er hatte dort ein Museum eingerichtet und Mike auch bald hinabgezogen in dieses kalte Memento mori. Hätte Mike Nein sagen können? Nein. Man ist nicht quasi links und gibt dann zu, klaustrophobisch zu sein, wenn man einen Bunker aus dem Zweiten Weltkrieg besichtigen soll.

Obwohl Mike als hartgesottener Kommunikationsexperte mit geisteswissenschaftlichem Migrationshintergrund wirklich einiges gesehen hatte, ging ihm für Stunden nach seinem Auftauchen aus der Unterwelt ein Foto nicht mehr aus dem Kopf, das in der Bunkerfeuchte gleich bei den Stufen gehangen war: Aus dem Ersten Weltkrieg, ein lebender Mann, und der Unterkiefer fehlte einfach, fehlte. En face. Im Profil. Ein Loch, wo Mensch war.

Über die knappe Dreiviertelstunde, die der Urbanek ihn unter der Erde gehalten hatte, rettete Mike sich durch die gedankliche Hingabe an das Weltkriegsthema und die Frage, warum ihn dieses Foto so verstörte: Es war, so schloss er, der überlebt Habende, der nicht wie im Film Niedergemetzelte, nein, es war der, der lebte und noch lange lebte, in einem Zustand, der nicht sein darf.

Die Tiwald war aber die Sorte Frau, die Mike nach einer Stunde angeregten Gesprächs wie nebenbei die Tür zum leichten Geständnis aufgemacht hatte. Die war so. Die schaute einen durch vertrauenserweckende Brillengläser mit ihren blauen Äuglein an – Riesenaugen, nur durch die Gläser zu kleinen Äuglein geschrumpft –, und zack, man erzählte ihr Sachen. Einfach so. Im Wissen, dass sie eine Schreiberin war. Und wie ein Korken aus dem Flaschenhals ploppt, wenn die Kohlensäure zu sehr drängt, gab Mike zu, dass er sich nur gegen den Widerstand grauenhafter Klaustrophobie zur Bunkerbesichtigung hatte drängen lassen. Plopp, es war heraußen, und die Tiwald lächelte und tätschelte ihm den Unterarm, aber so, dass es gut war. Wie eine Krankenschwester. Eine sympathische Krankenschwester, der man sich anvertrauen möchte. Fast sexy. Sexy Anvertrauen.

Leider war die Tiwald aus von Mike noch nicht erforschten Gründen seit über einem Jahrzehnt mit einem Mann zusammen, der fast genau zwanzig Jahre älter war als sie selbst, und die beiden schienen zusammenzuhalten wie Unterbiss und Übergriff, aber gut, auch dieser Gedanke war wieder in sich übergriffig, und so edierte Mike: Die hielten zusammen wie Pech und Schwefel, die Tiwald und ihr Typ.

Alfred hieß der.

»Der mit den Elfen redet«, sagte die Tiwald und lächelte.

Da war kein Keil hineinzutreiben.

Die Tiwald war auf den ersten Blick eines Communication experts irgendwie ein gescheitertes Exemplar Mensch; sie schrieb zwar ab und zu eine Rezension für eine große Tageszeitung, hie und da lief ein Text von ihr auf Ö1; sie hatte eine Anzahl von Stücken geschrieben, die allerdings nie über Kleinbühnen hinausgekommen waren, ihr bisher einziger Roman war in einem Verlag erschienen, der keine Romane mehr verlegte, weil sich das alles mit Büchern nicht mehr lohnte, dafür war der Verlag das größte Medienhaus Österreichs, aber das hatte der Tiwald auch nichts gebracht. Mike war sich sicher, dass nur eine Handvoll Menschen, die nicht mit ihr verwandt oder befreundet waren, jemals etwas von der Tiwald gehört hatten. »Um das geht’s nicht«, hatte die Tiwald gesagt und sicher nicht wirklich so gemeint, als er sie darauf angesprochen hatte, aber gut. Ihre neue Idee war auf jeden Fall aufregend genug, um sie für eine Inszenierung durchzudenken. Und Mike Knutkovsky beriet ja auch nur die Hinterbänkler in der Partei und keineswegs den Vorsitzenden.

IIDIE IDEE

»Melania«, sagte die Tiwald und goss wie bei jedem Treffen mit dem Kaffeelöffel ein paar Schluck Wasser in ihren Verlängerten, »Melania Trump.«

Es war Frühsommer, und es klang gut, wie die Tiwald von der Trump’schen Angelobung erzählte, von der großen Kälte, die von dem Orangenkopf und seiner Angetrauten ausgegangen war, von Melania, in deren Blicken die Tiwald, während sie die Zeremonie online verfolgt hatte, eine offenkundige Trauer gesehen haben wollte. »Das hat das Ausmaß einer Tragödie«, sagte die Tiwald und zog eines von den Schulheften hervor, in das sie ihre Gedanken verteilte; sie hatte sich ein paar Notizen gemacht, ein paar Internetseiten notiert, Memes ausgedruckt und eingeklebt, einen Verweis auf eine loopartige Aufnahme des einen Augenblicks während der Angelobung, da Melania in einem Ausdruck der Trauer zu Boden blickte, als hätte sie gerade vom Tod eines geliebten Menschen erfahren (man könnte sich sicher sein, dass dieser Mensch nicht Donald wäre, sagte die Tiwald und klang gescheit). Dieser Loop war im Internet auf- und abgespielt worden. Alle Welt hatte Mitleid mit Melania Trump, die so fertig aussah bei der Angelobung. Wie bei einer Beerdigung. Das Notizheft der Tiwald sah aus wie Garfield nach einem Intensivwaschgang.

Mike hörte sich das an und nickte.

»Es hat mal ein Stück gegeben über die Hannelore Kohl«, sagte die Tiwald, »das hab ich zwar weder gesehen noch gelesen, es ist ja hier nicht gelaufen, aber ich hab damals Rezensionen gelesen, ist schon ewig her. Sie hat eine Lichtallergie gehabt. Hat angeblich das Haus nicht mehr verlassen können. Und dann ging es in einem Monolog um ihre letzte Stunde oder so. Sehr dunkel. Auch sehr langsam. Die Rezensionen waren, wenn ich mich richtig erinnere, nicht so großartig. Na ja. Das ist ja immer die Stolperfalle bei den Politikergattinnen: Was tun sie? Vor allem, wenn sie nicht berufstätig sind? Ikebanakurse? Kunst anschauen? Und wenn sie nichts tun: Wie stellt man das dar, diese Leere, diese Trauer, die Depression? So, dass nicht nichts ist? Und warum ist überhaupt Seiendes und nicht vielmehr Nichts? Wir nehmen nix mit hinüber ins Grab. Nix. Warum ist überhaupt irgendwas?«

Die Tiwald nahm gekünstelt untheatralisch ausschauend einen Schluck Kaffee.

Mike nickte wieder. Der ungewollte Nebenjob, aus einer alten Eisenwarenhandlung ein Universum zu machen, hatte ihn zusätzlich erschöpft, noch Erschöpfung auf Erschöpfung geschichtet. Der Vorsitzende der Partei, die ihn angeheuert hatte, war nicht unbedingt unfordernd. Der Mann hatte einen Riecher für geschickte Selbstdarstellung, war ein guter Rhetoriker und wollte, dass Mike Knutkovsky dasselbe aus den Hinterbänklern der Partei machte. »Ein Deutscher«, hatte es geheißen, »traut sich zu sagen, was ein Österreicher nur durch die Blume sagt. Und ich will kein ›Schauma einmal‹, ich will ein ›So geht das‹. Da sind die Berliner verlässlicher. Die Wiener kannst vergessen.«

(Mike hatte dem Vorsitzenden trotzdem durch die rote Nelke zu verstehen gegeben, dass er einen der teuren Berater gut zwischen der Entourage verbergen sollte; auch innerhalb der eigenen WählerInnenreihen käme es nicht so gut, wenn durchsickern würde, dass ausgerechnet ein Israeli um viel Geld angeheuert worden war – »Ich weiß, dass die Österreicher Antisemiten sind«, hatte der Vorsitzende schulterzuckend gesagt und die Hinterbänkler in Mikes Hände gelegt, der seitdem potenzielle Facebook-Postings gegenlas, sich eventuelle Redebeiträge anhörte, Zusammenhänge andeutete und sich sogar zu Stylingtipps verstieg.)

Kurzum, das Polittheater hätte Mike eigentlich gereicht, aber er war schultheater- und unitheatererfahren genug, hatte während seiner Ausbildung genug Theatervolontariatsluft und Theaterhospitanzluft geschnuppert, um das Theater ein bisschen zu lieben, obwohl er die Totalität der Sinnlosigkeit eines theatralen Unterfangens als Communication expert natürlich zu hundert Prozent durchschaute. Die Griechen und ihre Katharsis, jaja, die Gesellschaft und ihr Theater, damals hatte es eben noch kein Netflix und kein Hollywood gegeben. Gesellschaftliche Katharsis im 21. Jahrhundert, Schaustück 1: Happy End wider alles bessere Wissen; Schaustück 2: Superheld rettet die Welt; Schaustück 3: Jegliche Politik ist korrupt, Verschwörungen reichen bis ins Weiße Haus, und »einer von uns« räumt auf. Mehr geht nicht. Noch mehr, und alle schalten ab.

Trotzdem. Ein Teil von ihm war ein bisschen ein Träumer. Er liebte ja das Theaterhafte an der Kommunikation, das Inszenieren, die Vorhänge, die Auftritte, die effektvollen Abgänge, die Outfits, die Beleuchtung, ja, das liebte er.

Melania. Das Universum.

Er hätte sich sonst in die Psychiatrie saufen können oder ins Jenseits jagen nach Jahren von Sonntagsessen bei Mama und Papa und einsamen Tinder-Dates.

So kam er sich vor: Er konnte sich die Scheiße von den Schuhen wischen, in die er in Deutschland getreten war, weil er sich diese Liebe holen konnte, die Zuneigung von irgendwelchen Bezirksvertretern und dem eifrigen Fußvolk, das auf niedrig angesiedelter Ebene herumschwirrte. Er konnte sich Liebe holen, weil dieses Wien nicht nur aus der Parteizentrale bestand und dem Gefühl einer gewissen Duldung – schließlich war er nicht ohne Nepotismus in Wien gelandet, der Hauptstadt der Freunderl, die ihre Netze in ganz West- und Mitteleuropa aufgespannt hatten, das heißt, die Leistungserwartung war nicht burnoutleveldrohend, es reichte schon zu sagen: Ich bin einer von diesem Beraterkonzern –, nein, dieses Wien hatte ein Universum, und es roch darin vertraulich nach einer Vergangenheit, die sich Mike, ein Kind der Achtziger, manchmal zurückwünschte, und im Universum war auch schon eine Bühne eingebaut, weil der Urbanek auf Anweisung der Bezirksvorsteherin Leute organisiert hatte, die getragen, gesägt, gezimmert und getischlert hatten; es roch schon nach was, es roch ein bisschen nach Zukunft; und dann war da diese Tiwald, die von Melania redete, und eigentlich war Mike auch irgendwie entsetzt vom Lauf der Welt und freute sich darauf, eine Tragödie über Melania Trump zu inszenieren. Obwohl er wusste, dass er zum Lauf der Welt schon sein Scherflein beigetragen hatte. Jedes Schäflein trägt sein Scherflein bei. Mäh. Mählania.

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