Kitabı oku: «Tradition», sayfa 4

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Kapitel 4

Kates Wohnung war leer. Einige Staubflocken wirbelten in den einfallenden Strahlen grünlich-gelben Lichts, das durch die Zweige der schottischen Fichte vor dem Wohnzimmerfenster drang. Kate stieg der schwache Geruch feuchter Erde in die Nase: Aimee hatte die Blumen gegossen. Sie lächelte. Dass Aimee nicht offiziell hier wohnte, wurde mehr und mehr zu einer Formsache.

Kate prüfte den Anrufbeantworter. Das Lämpchen blinkte nicht. Also musste Aimee die Nachricht über die Mordermittlung abgehört haben, die der Leiter der Bereitschaftspolizei heute Morgen auf Band gesprochen hatte.

Kate ging ins Schlafzimmer und streifte im Gehen das Pistolenhalfter und ihre Kleidung ab. Beim Anblick des ungemachten Bettes und der zerwühlten Kissen musste sie daran denken, wie Aimees dunkles Haar am Morgen auf dem Kissen gelegen hatte, wie die Kurven ihres Körpers sich sanft unter dem Laken abzeichneten. In schläfrigem Protest hatte sie es bis an die Ohren hochgezogen, als Kate aufgestanden war und ihr die wärmende Nähe ihres Körpers entzogen hatte.

Sie und Aimee hatten sich letzte Nacht geliebt, so wie jede Nacht, seit sie vor vier Wochen ein Liebespaar geworden waren. Kate war davon überzeugt, dass viel von Aimees Leidenschaft einfach jugendliche Vitalität war, so wie ihre eigene Lust viel mit dem Reiz des Neuen, mit Aimees überwältigender Schönheit und erotischer Ausstrahlung zu tun hatte. Sie schwelgte in der Erinnerung an die vergangene Nacht und dachte glücklich an die intimen Liebkosungen, mit denen Aimee sie geweckt hatte, an die neu erwachte Leidenschaft, mit der sie sich geliebt hatten …

Kate wandte sich entschlossen vom Bett ab.

Konzentrier dich gefälligst, rief sie sich zur Ordnung. Du denkst jetzt an Teddie Crawford und an sonst gar nichts. Wenn Kyle Jensen der Mörder von Teddie Crawford ist, bietet sich möglicherweise nur heute Abend die Gelegenheit, ihn zu überführen. Du musst genau rekonstruieren, was im Tradition passiert ist, und du musst dich so gut wie möglich vorbereiten. Keine Ablenkungen, klar?

Sie stopfte ihre ramponierte Kleidung in einen Plastikbeutel und schleuderte ihn in die hinterste Ecke des Kleiderschranks. Sie konnte plötzlich den Widerwillen nachempfinden, mit dem Burt Dayton auf jenen anderen Plastikbeutel reagiert hatte. Sie selbst bekam allmählich das Gefühl, dass von diesem Mord etwas Schleichendes, Schmutziges ausging – etwas, was sie noch nie zuvor empfunden hatte. Wenigstens befand sich diese andere Plastiktüte jetzt in der Obhut von Charlotte Mead. Die Untersuchungsergebnisse würden schon handfeste, unumstößliche Fakten liefern.

Sie drehte das Wasser so heiß auf, dass sie es gerade noch aushalten konnte, und ging unter die Dusche. Der Fliederduft von Aimees Duschgel weckte ihre Sinne stärker, als ihr lieb war. Während sie sich das Haar shampoonierte, ging sie im Kopf die Fakten dieses Mordfalls durch und suchte nach losen Enden. Sie hatte einige Beamte mit dem Auftrag losgeschickt, die Wohnungsnachbarn von Teddie Crawford zu befragen. Außerdem sollten sie mit Carl Jacoby, Teddie Crawfords Exfreund, sowie Margaret und Joe Crawford sprechen. Sie und Taylor würden als Nächstes das Malone’s aufsuchen. Das war im Moment alles, was sie tun konnte. Ihre nächste Aufgabe würde das Gespräch mit Kyle Jensen sein …

Sie trocknete sich eilig ab und warf dabei einen kurzen Blick in den beschlagenen Spiegel. Sie sollte sich die Pfunde, die sie seit ihrer intensiven Beziehung zu Aimee abgenommen hatte, lieber wieder anfuttern. In ihrem vierten Lebensjahrzehnt schien eine gewisse Fülligkeit besser zu ihrem Gardemaß von eins vierundsiebzig zu passen als die Magerkeit ihrer Jugend. Wie immer in der ersten Phase einer Mordermittlung hatte sie keinen Appetit und heute noch keinen Bissen zu sich genommen. Irgendeine Kleinigkeit musste sie sich jetzt aber reinzwingen – mit leerem Magen konnte kein Mensch vernünftig arbeiten.

Sie kaute auf einem Stück Käse herum, während sie sich etwas Frisches zum Anziehen heraussuchte. Etwas Seriöses, Respekteinflößendes wäre gut, vor allem für ihr Gespräch mit Kyle Jensen. Schwarze Hose, einfache weiße Bluse, schlichtes schwarzes Wolljackett. Sie hatte eben die Jacke über ihrem Pistolenhalfter zugeknöpft, als sie einen Schlüssel im Schloss hörte.

»Ich bin hier«, rief Kate. Sie ging ins Wohnzimmer, wo Aimee gerade ihre Lederjacke über eine Sessellehne warf. Kate bewunderte ihren Körper, der in Jeans und kastanienbraunem Pullover einfach atemberaubend aussah. Ob sie sich je an diese Schönheit gewöhnen würde?

»Ich muss mich beeilen«, sagte sie und ging zur Tür. Sie widerstand dem Wunsch, Aimee in die Arme zu schließen und sich für einen kurzen Moment ihrer Realität zu versichern. Aber das wäre eine allzu starke Ablenkung gewesen.

»Ich hab’s im Radio gehört.« Aimee verschränkte die Arme und rührte sich nicht von der Stelle, so als würde sie Kates Bedürfnis nach Distanz intuitiv spüren. »Du hast dich umgezogen«, bemerkte sie zutreffenderweise und ließ ihre blauvioletten Augen über Kates Körper wandern. »Dieser Mord ist ziemlich schlimm, nicht wahr?«

Aimee wusste inzwischen, dass Kate manchmal den zwanghaften Wunsch verspürte, ihre Kleidung während einer Mordermittlung zu wechseln. Kate war sich darüber im Klaren, dass Aimee sie bewunderte und ihre berufliche Tätigkeit mit fast so etwas wie Ehrfurcht betrachtete. Aber sie wusste auch, dass diese Ehrfurcht zum Teil auf derselben gruseligen Faszination beruhte, die einem Leichenbestatter entgegengebracht wurde. Was Kate ihr über die Mordfälle, vergangene und gegenwärtige, erzählte, war sozusagen antiseptisch. »Das Opfer wurde erstochen«, erklärte sie knapp, um Aimee – und sich selbst – zu schonen.

»Ja, ich weiß«, sagte Aimee und stopfte die Hände in ihre Jeanstaschen. »Der Tote war schwul, Jennifer hat ihn persönlich gekannt. Sie war mal in dem Restaurant, wie hieß es noch – Tradition

»Genau«, antwortete Kate. Jennifer und Cheryl, die Kate noch nicht kennengelernt hatte, waren Aimees Mitbewohnerinnen in der gemeinsamen Eigentumswohnung in Brentwood.

»Hast du schon jemanden verhaftet?«

»Wir haben einen Verdächtigen.«

»Kate, du musst diesen Schwulenticker kriegen.«

Schwulenticker. Irgendwie hatte sie den Mord an Teddie Crawford bisher nicht als einen Fall von Schwulenticken betrachtet.

Aimee fragte: »Kommst du heute Abend nach Hause?«

»Ich glaube schon. Wenn nicht, ruf ich dich an. Bleibst du hier?«

Aimees Blick wanderte über Kates Körper. Sie lächelte. »Worauf du Gift nehmen kannst.«

Kate verließ die Wohnung. Schwulenticker. Das Wort machte sie ganz krank. Sie unterdrückte das Gefühlschaos in ihrem Inneren. Später, wenn sie sich der Sache gewachsen fühlte, würde sie es exhumieren und einer gründlichen Untersuchung unterziehen.

Ihre Gedanken kehrten kurz zu Aimee zurück. Wenn sie nach Hause kam, würden sie sich lieben. Sie würde es brauchen.

Das Malone’s lag in der Nähe der Formosa Avenue und der früheren Samuel Goldwyn Filmstudios – jetzt Warner Hollywood Studios – an der östlichen Grenze von Hollywood und hob sich scharf von den daneben liegenden nichtssagenden Ladenfronten ab. Kate dachte im Stillen, dass die frischgestrichene weiße Hauswand eine wahre Herausforderung für das Heer von Graffitisprühern sein musste, die die Stadt mit ihren Bildern überzogen.

Im Innern der Bar, die mindestens dreimal so lang wie breit war, stieg ihr der übliche scharfe Biergeruch in die Nase. Aber das Lokal gefiel ihr. Es war gemütlich und ruhig, mit viel Atmosphäre, auch wenn an diesem Samstagnachmittag nur wenige Gäste da waren – drei Latinos, die stumm über einer Flasche Dos Equis zusammensaßen, ein dicker grauhaariger Mann, der an der Theke kauerte und fernsah, und ein junger Mann mit einem dichten Vorhang schwarzen Haars vor den Augen, der allein an einem Tisch saß und Zeitung las.

Der Barkeeper, ein schmächtiger Mann um die fünfzig, trug eine braune Lederschürze über einem Sporthemd und Freizeithosen. Aus dem kritischen Blick, mit dem er ihre Ausweise musterte, und dem vorsichtig neutralen Gesichtsausdruck schloss Kate, dass er in seinem Leben schon mehr als eine Dienstmarke gesehen hatte. Sie fragte: »Haben Sie letzte Nacht hier gearbeitet?«

»Sicher«, antwortete der Mann in reinstem Tenor. »Ich bin Jimmy Malone, dies ist meine Bar, wo sonst sollte ich also gewesen sein?«

So irisch wie Paddys Ferkel, dachte Kate und unterdrückte ein Lächeln. »Kennen Sie einen Mann namens Teddie Crawford?«

Die Reaktion war unverhüllte Überraschung: offener Mund und aufgerissene blaue Augen. Aber er hatte sich schnell wieder in der Gewalt. »Nicht dass ich wüsste.«

»Natürlich kennen Sie ihn«, sagte Kate ruhig. »Und Sie sollten mit uns darüber reden. Teddie Crawford ist letzte Nacht ermordet worden.«

Jimmy Malones Kiefer arbeitete einen Moment lautlos. »Teddie? Teddie?« Die Tenorstimme kletterte noch eine Oktave höher. Er schlug mit beiden Fäusten auf die Theke. Auf seinem Gesicht malte sich blankes Entsetzen ab. »Teddie ist tot? Gerade gestern war er noch hier.« Mit erstickter Stimme fragte er noch einmal: »Teddie ist tot?«

Kate registrierte, dass die Gäste sie zwar mit gespannter Neugier beobachteten, sonst aber keine verdächtigen Reaktionen zeigten. »Gehörte Teddie zu Ihren Stammkunden?«, fragte Kate.

Malone ging ans andere Ende der Theke, außer Hörweite der Gäste, Kate und Taylor folgten ihm.

»Halb und halb. Ein feiner Kerl. Ein ganz feiner Kerl.« Er schüttelte den Kopf, der Schock trieb ihm die Tränen in die Augen.

»Sie meinten, dass er gestern Abend hier war«, sagte Kate. »Erzählen Sie uns davon.«

Malone schüttelte den Kopf, als wollte er ihn klarbekommen. »Was soll ich Ihnen sagen? Er kam zusammen mit Gloria, sie saßen an einem Tisch mit einem Mann, den ich für Glorias neue Flamme hielt.«

»Warum?«, fragte Taylor.

»Teddie steht auf Godzilla-Typen. Seit er und Carl sich getrennt haben. Weiß Carl von der Sache?«

»Kommen viele Schwule in Ihre Kneipe?«, fragte Taylor.

Malone sah ihn an. »Ich frage nicht. Es interessiert mich auch nicht. Mir ist jeder willkommen. Sogar Sie.«

Kate, die am liebsten Beifall geklatscht hätte, grinste Malone an. »Und hat er hier gestern Abend einen Godzilla gefunden?«

»Ja, hat er. Das Übliche. Muskeln, Jeans, Haare, Lederjacke – Sie kennen den Typ.«

»Wie hieß dieser Godzilla?«

»Das weiß ich nicht.«

»Haben Sie ihn vorher schon mal gesehen?«

»Ja, ein paar Mal.«

»Wie lange verkehrt er schon in Ihrem Lokal?«

Der Barkeeper überlegte eine Weile. »Vielleicht seit einem Monat, sechs Wochen.«

»Dieser Godzilla, reißt er sich hier seine Typen auf?«, fragte Taylor.

»Ist mir nicht aufgefallen. Hier sind viele ältere Männer, sehr stille Typen. Deshalb geht das Aufreißen hier ziemlich unauffällig vor sich, wissen Sie.«

Manche ältere Schwule, das wusste Kate von Joe D’Amico, gingen in Lokale wie das Gold Coast oder das Gauntlet. Sie mochten keinen Trubel, mieden Diskos und Anmachkneipen wie das Rage oder Bars, wo man dauernd auf dem Präsentierteller stand, wie Micky’s oder Motherlode. Und die älteren, stillen Typen, die Jimmy Malone erwähnt hatte, verheimlichten zweifellos ihre Homosexualität und zogen daher gemischte Bars wie das Malone’s vor.

»Mr. Malone«, sagte Kate, »hat es hier in letzter Zeit Fälle von Schwulenticken gegeben?«

»Nennen Sie mich Jimmy. Nichts Aktenkundiges.« Er sah sie ernst an. »Die Männer reden davon.«

Sie nickte grimmig. Sie verstand, was er meinte. Männer, die ihre Homosexualität geheim hielten, gingen häufig nicht zur Polizei, wenn sie Opfer eines Schwulentickers wurden. Sie konnten es sich nicht leisten. Bars wie das Malone’s wären ein erstklassiges Jagdrevier für Schwulenticker. Sie sagte sanft: »Beschreiben Sie uns bitte den Godzilla.«

Kate machte sich Notizen, während Jimmy Malone eine Beschreibung lieferte, die in vielen Punkten mit der Schilderung übereinstimmte, die Gloria Gomez von dem Mann gegeben hatte, der gemeinsam mit Teddie Crawford das Lokal verlassen hatte. Sie musste an das Glas denken, das auf der Küchenzeile im Tradition gelegen hatte, und wagte einen Schuss ins Blaue. »Wir haben Informationen, dass hier mit Drogen gehandelt wird.«

»Ganz sicher nicht«, schnaubte er. »Was hat das nun wieder zu bedeuten?«

»Jimmy«, sagte sie und verlieh ihrem Ton mehr Festigkeit. »Mein Kollege und ich haben nicht das geringste Interesse daran, hier eine Drogenrazzia durchzuführen. Wirklich nicht. Wir ermitteln in einem Mordfall. Punktum. Aber wenn ich herausfinde, dass Sie Informationen zurückhalten, die für diesen Fall von Bedeutung sind, nagele ich Sie wegen Verdunkelung fest.«

Malone hob abwehrend die Hände. »Hören Sie, soweit ich weiß, hat hier noch niemand mit Drogen gehandelt. Niemand. Aber ich kann meine Augen nicht überall haben. Natürlich sitzen hier ab und zu Leute, die mit ihrem Bier ein paar Pillen runterspülen. Was soll ich dagegen tun? Wenn ich den Laden zumache und aufs Klo gehe, liegen überall leere Päckchen rum. Was soll ich dagegen tun?«

»Haben Sie gesehen, dass Teddie Crawford oder seine Begleiter irgendwas genommen haben?«

»Teddie und Gloria? Nie im Leben. Über die anderen kann ich nichts sagen.«

Taylor fragte: »Was das Klo angeht – sind Teddie oder Godzilla aufs Klo gegangen?«

»Ja«, antwortete Malone sofort. »Sie sind zusammen hingegangen.«

Kate nickte. Sie wusste von Maggie Schaeffer, der Besitzerin der Nightwood Bar, mit der sie inzwischen eng befreundet war, dass guten Barkeepern nichts entging. »Jimmy, bitte erzählen Sie uns, was Sie über Teddie Crawford wissen«, sagte sie.

Er schüttelte den Kopf. »Ein Charmeur. Immer schrill gekleidet. Zu gutaussehend, aber man musste ihn einfach gern haben.« Jimmy Malones Augen wurden wieder feucht, als er weitersprach. »Er kam hier immer reingesprungen wie ein kleiner Kobold, unterhielt sich mit jedem, kannte jeden. Er hat einfach alle bezaubert. Ich kann nur sagen … also, ich hatte ihn einfach gern.«

»Danke, Jimmy.« Kate gab ihm ihre Karte. »Wenn Ihnen noch was einfällt, was uns vielleicht helfen könnte, rufen Sie mich bitte an.«

»Das mach ich«, sagte er traurig und steckte die Karte in seine Schürzentasche.

Kapitel 5

Als Kate ins Revier kam, fand sie eine Notiz auf ihrem Schreibtisch: Shirley Johnson hatte um fünf nach sieben angerufen, keine Nummer hinterlassen, wollte sich wieder melden. Kate gab Anweisung, sofort verständigt zu werden, wenn sie das nächste Mal anrief. Kyle Jensen war von dem Polizeibeamten Dale Morrissey aufs Revier gefahren worden und wartete bereits auf sie.

Kate betrat das kleine, blau getünchte Vernehmungszimmer mit der schalldichten Akustikdecke und dem resopalbeschichteten Tisch. Taylor folgte ihr.

Jensen saß mit dem Rücken zu ihnen und machte einen äußerst gelangweilten Eindruck. Mit weit ausgestreckten Beinen und übereinandergeschlagenen Füßen, die bandagierten Hände auf den Oberschenkeln, lümmelte er sich auf einem der Metallstühle. Er trug eine marineblaue Trainingshose und schmuddelige Joggingschuhe. Sein sandfarbenes Haar reichte fast bis an den Kragen des eng anliegenden grauen Sweatshirts, das seine muskulösen Schultern und Arme betonte.

Kate musterte die Verbände an seinen Händen. Die rechte Hand war völlig bandagiert, an der linken Hand trug er einen etwas dünneren Verband um Handfläche und Daumen, während die Finger mit Pflastern bedeckt waren. Waren das die Hände, die wieder und wieder mit einem Messer auf Teddie Crawford eingestochen hatten?

Schwulenticker. Wie ein Echo hallte das Wort in ihrem Kopf. Sie wandte den Blick ab und griff nach der kalten Metalllehne eines Stuhls. Wenn auch nur ein Funken Objektivität und Professionalität in dir steckt, dann zeig jetzt, was du kannst. Sollte dieser Mann der Mörder sein, wird seine Überführung ausschließlich von deiner Leistung abhängen.

»Wie geht’s Ihnen, Kyle?«, fragte Taylor munter. Er knöpfte sein Jackett auf, zog sich einen Stuhl heran und setzte sich.

»Mir geht’s gut, Mann«, antwortete Jensen, während er Taylor von oben bis unten musterte. »Außer dass ich nach Hause will. Ziemliche Verschwendung, hier rumzusitzen. Ich wüsste was Besseres mit meinem Samstag anzufangen.«

Kate flüchtete sich aus ihrer Anspannung in eine wenig schmeichelhafte Begutachtung von Taylors Aufmachung. Nach ihrem Streifzug durch den Container war er ebenso wie sie nach Hause gefahren, um sich umzuziehen. Er hatte eine braune Hose und ein blaugelb kariertes Jackett gewählt, dazu trug er ein kanariengelbes Hemd und einen blaugemusterten Schlips. Kates Überzeugung nach sollte die Kleidung eines Polizisten seinen Status betonen und ihm eine gewisse Seriosität verleihen. Inzwischen wusste sie, dass es purer Zufall war, wenn Taylors Aufmachung zu dieser Überzeugung passte.

»Kyle«, sagte sie, um den Blick des jungen Mannes auf sich zu lenken. Sie war stehen geblieben und nutzte ihre Größe, um auf ihn hinabzusehen. »Wir zeichnen routinemäßig alle Gespräche auf Band auf. Haben Sie irgendwelche Einwände dagegen?«

Die hellblauen Augen waren ausdruckslos auf sie gerichtet. »Kein Problem, ich bin cool.«

Und naiv, dachte sie bei sich, während sie es sich am Tisch bequem machte. Kyle Jensen fehlte die hart erworbene Kaltschnäuzigkeit eines Berufsverbrechers – die Überprüfung des Strafregisters war negativ ausgefallen –, und aller Wahrscheinlichkeit nach fehlte ihm auch das Wissen um die Möglichkeiten und Grenzen der Polizeiarbeit. Burt Dayton war im Gegensatz zu Jensen zweimal straffällig geworden, beide Male in Pennsylvania. Einmal 1987 wegen Ladendiebstahls, die Strafe war auf Bewährung ausgesetzt worden, einmal 1988 wegen Scheckbetrugs, sechzig Tage plus Bewährungsfrist – die Haftzeit hatte wahrscheinlich den Ausschlag dafür gegeben, dass er nach Kalifornien aufgebrochen war.

»Auf was für Schmerzmittel hat man Sie gesetzt? Fühlen Sie sich gut genug, um mit uns zu sprechen?« Sie wusste von Polizist Dale Morrissey – der es wiederum von Oberschwester Donnelly im Hollywood Presbyterian Hospital wusste –, dass die Schmerzmittel, die man Jensen verabreicht hatte, einer Befragung nicht im Wege standen.

»Klar, ey«, Jensen wedelte mit den Händen, »die haben mich schließlich nich’ am Kopf operiert.«

»Trotzdem war es ziemlich ernst«, sagte sie mitfühlend. »Haben Sie sich früher schon mal so schwer verletzt?«

»Nee.« Überrascht sah Kate, dass die rhombenförmigen Augen einen bedauernden Ausdruck annahmen. »Wenn mein Dad sehen könnte, wie astrein ich damit klarkomm’ … Wissen Sie, ich hab ja nicht wie er als Soldat gekämpft. Mein Leben lang musste ich mir anhören, wie sie ihm den Arsch weggepustet haben in Korea, dass es zwei Tage gedauert hat, bis sie ihn rausholen konnten, und dass er die höllischen Schmerzen wie ein Held ertragen hat.«

»Ich war auch in Korea«, sagte Taylor grinsend. »Mich haben sie auch am Arsch gekriegt, aber er ist noch dran.«

»Dad haben sie buchstäblich am Arsch gekriegt«, sagte Jensen und erwiderte das Grinsen. Er strich mit den unbandagierten Fingern der linken Hand an seinem Hinterteil entlang. »Die eine Seite bestand nur aus Draht und Fäden, sah echt irre aus. ’ne Handgranate hat ihn erwischt, ’n ziemlich großes Stück rausgerissen. Aber der schlitzäugige Hund, der es getan hatte, konnte sich nicht lange drüber freuen. Dad hat ihm das Licht ausgepustet. Und noch zwei anderen.«

»Recht so«, sagte Taylor.

Kate widerte dieser Wortwechsel an, sie war aber dennoch froh über den Tenor des Gesprächs. Es wäre ein großer Vorteil, wenn es ihr oder Taylor gelingen würde, ein vertrauliches Verhältnis zu dem Verdächtigen aufzubauen, und Taylor schien auf dem besten Weg zu sein. Gerade fragte er im Plauderton: »Ihr Vater lebt in Kalifornien?«

Jensen schüttelte den Kopf. »Er ist tot. Lungenkrebs. Ist jetzt fünf Jahre und zwei Monate her.«

»Mein Beileid«, sagten Kate und Taylor im Chor.

Mit den Fingerspitzen seiner linken Hand fischte Jensen eine Packung Marlboro aus der Hosentasche. Taylor nahm die Packung, schüttelte eine Zigarette für Jensen heraus und gab ihm Feuer. »Schuld an Dads Lungenkrebs war das verdammte Stahlwerk«, erklärte Jensen. Er nahm einen tiefen Zug von seiner Zigarette und stieß den Rauch durch die Nase aus, wobei ein Gutteil des Qualms von seinem dicken Schnurrbart absorbiert wurde. »Der verdammte Schmelzofen hat ihn kaputtgemacht, nicht die Zigaretten.«

Natürlich nicht, dachte Kate und stellte sich dabei vor, wie dieser Schnurrbart nach Rauch stinken musste. Sie schob Jensen einen Aschenbecher hin. »Aus den Stahlwerken schließe ich, dass Sie aus Pittsburgh stammen, richtig?« Als er nickte, fügte sie hinzu: »Wie lange leben Sie schon in Los Angeles?«

Er betrachtete nachdenklich seine Zigarette, die er mit dem pflasterumwickelten Daumen und Mittelfinger der linken Hand hielt. »Ungefähr … seit gut einem Jahr. Letztes Jahr im Januar bin ich hergezogen.«

Er wusste auf den Monat genau, wann sein Vater gestorben war, musste aber darüber nachdenken, wie lange er schon in L.A. wohnte … Höflich erkundigte sie sich: »Ich hoffe, Ihre Mutter lebt noch?«

»Sie hoffen das vielleicht – ich bestimmt nicht.« Sein Ton machte deutlich, dass er dieses Thema nicht näher zu besprechen wünschte.

»Was arbeiten Sie, Kyle?«

Er setzte sich etwas aufrechter hin. »Ich bin Fahrer für die Grüne Oase. Schon mal davon gehört?«

»Nicht direkt.«

Taylor sagte: »Ist das nicht eine Landschaftspflegefirma für reiche Leute?«

»Genau, Mann, ganz genau.« Jensen wandte sich an Taylor, die dünne, heisere Stimme kletterte eine Oktave höher. »Die verkaufen Rasen und Pflanzen, sogar Bäume – ich meine, große Bäume. Sie glauben nicht, was ich da manchmal ausliefere. Die Araber kaufen die Landhäuser in Beverly Hills auf und reißen alles raus. Dann kommt die Grüne Oase, und am nächsten Tag haben die Sandneger den perfekten Rasen mit Palmen und Hecken und Rosensträuchern, so als wär das alles schon seit hundert Jahren da gewachsen. Irgendwie unwirklich, das Ganze. Filmstars lassen es auch manchmal machen. Ich war mal bei Warren Beatty. Er gab diese Party …« Seine Stimme verlor sich, während er Kate beobachtete, die sich Notizen auf dem Verhörprotokoll machte. »Hören Sie, was wollen Sie eigentlich von mir? Ich hab echt keinen Bock mehr, hier rumzuhocken.«

Kate spürte, wie ihre Anspannung wuchs. »Lassen Sie uns ein paar Routinefragen erledigen«, sagte sie. Sie nahm nochmals seine Personalien auf, fragte nach Name, Adresse und Geburtsdatum. »Sind Sie vorbestraft?«

»Nee.«

»Von wann bis wann arbeiten Sie, wie viele Stunden am Tag?«

»Den ganzen Tag. Warum?« Sein Ton war ausgesprochen feindselig geworden.

Kate wählte ihre Worte sorgfältig: »Wir überprüfen einen ernsten Zwischenfall, der sich gestern Nacht ereignet hat. Bevor wir Ihnen nähere Einzelheiten darüber mitteilen oder Ihnen einige wichtige Fragen stellen, müssen wir Ihnen Ihre Rechte erläutern.«

Er zuckte ungeduldig die Achseln. »Ich kenn den ganzen Scheiß aus ’m Fernsehen.«

»Wir müssen sie Ihnen trotzdem vorlesen, Kyle.« Kate zog eine Karte aus der Jackentasche und las ihm die Mirandarechte vor. »Sie können sich zu jedem Zeitpunkt der Vernehmung auf diese Rechte berufen und die Aussage verweigern«, schloss sie. »Haben Sie diese Rechte und ihre Bedeutung verstanden?«

»Klar. So ’n Affenkram.«

»Sind Sie eingedenk dieser Rechte bereit, mit mir und Detective Taylor zu sprechen?«

»Klar. So ’n Affenkram«, wiederholte er. Seine Gleichgültigkeit gegenüber seinen verfassungsmäßigen Rechten, die für die meisten Leute typisch war, bedeutete einen Vorteil für sie und Taylor. Und Jensens Arroganz würde diesen Vorteil noch vergrößern. Er hatte offensichtlich vergessen, dass seine Aussagen auf Band aufgezeichnet wurden, eine nicht ungewöhnliche Reaktion während eines Verhörs.

Kate steckte die Karte wieder in ihre Tasche und sagte freundlich: »Und nun erzählen Sie uns bitte noch mal, wie Sie Ihre Hände verletzt haben.«

Jensens sinnliche Lippen verzogen sich zu einem missmutigen Bogen. »Erst sind Sie dran. Worum geht es also?«

»Jemand hat gestern Abend in West Hollywood mit einem Messer auf einen jungen Mann eingestochen.«

»Damit habe ich nichts zu tun«, antwortete er wie aus der Pistole geschossen.

»Die Schnittwunden an Ihren Händen – wie ist das passiert?

Kyle Jensen atmete tief ein. Der Umfang seiner ohnehin schon kräftigen Brust nahm noch um einige Zentimeter zu, bevor er die Luft als lautlosen Seufzer wieder ausströmen ließ. »Wie ich schon sagte – ich hab heut Morgen den Müll rausgebracht. Bin gestolpert, hingeflogen und auf ’ner offenen Schinkenbüchse gelandet. Das war’s.«

»Wann war das?«

»Wie ich schon sagte – heute Morgen so gegen acht.«

»Hat Sie jemand dabei gesehen?«

»Woher zum Teufel soll ich das wissen? ’tschuldigung«, fügte er beschwichtigend hinzu. »Nicht dass ich wüsste.«

»Was haben Sie getan, nachdem Sie hingefallen waren?«

»Was meinen Sie mit ›was ich getan habe‹?«

»Haben Sie geblutet?«

»Bin ich aus Holz, oder was?« Er wedelte mit den Händen in ihre Richtung. »Ja, zum Henker, ich habe geblutet.«

»Stark?«

»Wie ein abgestochenes Schwein.« Er sah offensichtlich keine Veranlassung mehr, ihr gegenüber durch sprachliche Feinheiten zu glänzen.

»Was haben Sie also getan, um die Blutung zu stillen?«, fragte sie.

Seine Nase zuckte, offenbar kitzelte ihn ein Schnurrbarthaar. Er patschte ungeduldig dagegen. »Ich hab Handtücher drumgewickelt.«

»Wann war das?«

Er starrte sie an. »Eine Woche später. Himmelherrgott, Lady, im selben Moment. Ich habe geblutet

»Es hat also sofort geblutet, als Sie sich geschnitten haben?«

Den Blick unverwandt auf sie gerichtet, antwortete er langsam und bedächtig, als wollte er einem Schwachsinnigen einen einfachen Sachverhalt erklären: »So ist es – wenn ich mich schneide, blutet es für gewöhnlich sofort.«

»Sie haben also geblutet, als Sie unten am Müllcontainer waren?«

»Korrekt.«

»Das Blut ist auf den Boden getropft?«

»Anzunehmen.«

»Auf den Flur, auf dem Weg in Ihre Wohnung?«

Zum ersten Mal sah er sie unsicher an. »Na ja, so genau weiß ich das nicht mehr, immerhin war ich, also, mir ging’s ganz schön dreckig. Ich weiß nich’ mehr genau, wie und wo ich geblutet hab – oder wüssten Sie das vielleicht noch?«

Hartnäckig bohrte sie nach: »Ist Blut auf den Boden Ihrer Wohnung getropft?«

»Weiß nich’. Wahrscheinlich.«

»Hatten Sie Blut an Ihrer Kleidung, Kyle?«

»Ja, ein bisschen.« Sein Ton wurde erneut feindselig. »Warum fragen Sie mich diesen ganzen Scheiß? Wer wurde denn umgebracht? Der Papst?«

Kate antwortete nicht darauf, sondern notierte sich den genauen Wortlaut, und fragte dann: »Haben Sie Ihre Kleidung gewechselt?«

»Sicher.«

Kate deutete auf seine Hände, auf die Zigarette, die er mit seinen dicken Verbänden nur unbeholfen halten konnte. »Wie konnten Sie sich umziehen, Kyle, wenn Sie Ihre blutenden Hände in Handtücher eingewickelt hatten?«

»Shirl hat mir geholfen«, sagte er, ohne zu zögern.

»Shirley Johnson, richtig?«

»Richtig.«

Kate machte sich erneut eine Notiz. »Wo können wir Shirl erreichen?«

»Wozu zum Teufel?«

»Befürchten Sie, dass Shirl Ihre Aussage nicht bestätigen könnte?«

Jensen rieb sich erneut grob über seinen Schnurrbart. »Ihr Typen macht ’n Affentanz um gar nichts. Sie haben doch meine Telefonnummer, oder?«

»Ja, die haben wir. Und wie ist Shirls Nummer?«

»Das ist ihre Nummer.«

»Sie meinen, sie hat kein eigenes Telefon?«

»Ich sagte, das ist ihre Nummer.«

»Meinen Sie damit, dass Shirl bei Ihnen wohnt?«

»Genau. Hab ich Ihnen doch schon gesagt.«

»Wo waren Sie letzte Nacht, Kyle?«

Seine Augen glitzerten wie blassblaues Eis, wanderten von ihr zu Taylor und wieder zurück. »Sie wollen mich reinlegen – Sie beide.«

»Wo waren Sie gestern Nacht?«

Er setzte sich aufrecht hin, lehnte sich gegen den Tisch. »Mit Shirl zusammen«, sagte er mit Nachdruck in der heiseren Stimme.

»Wo?«

»Bei ihr zu Hause.«

»Ich denke, Sie wohnen zusammen?«

Er zuckte die Achseln. »Ja, schon – manchmal.«

»Wie ist Shirls Telefonnummer, Kyle?«, sagte Kate in Befehlston.

Einen Moment schien er darüber nachzugrübeln, wie er wieder aus der Klemme herauskommen könnte, in die er sich manövriert hatte. »Sag ich Ihnen nicht«, erklärte er schließlich. »Sie können Sie gefälligst in Ruhe lassen.«

»Wie lange waren Sie gestern Nacht mit ihr zusammen?«

Er zuckte erneut die Achseln. »Die ganze Nacht.«

»Kann sie das bezeugen?«

»Vielleicht nicht.« Er grinste Taylor an. »Vielleicht hab ich sie ja bewusstlos gefickt.«

Kate, die das als Ablenkungsversuch verstand, lehnte sich zurück und vertraute darauf, dass Taylor die Befragung weiterführen würde.

Taylor erwiderte Jensens Grinsen. Er griff zum Aschenbecher und drückte die Zigarette aus, die Jensen bis zum Filter heruntergeraucht hatte. »Okay, Sie waren also letzte Nacht mit Shirl zusammen. Sind Sie irgendwann in der Nacht nach Hause gegangen?«

»Nee.« Jensen schüttelte eine neue Zigarette aus dem Päckchen und steckte sie sich zwischen die Lippen.

Taylor gab ihm Feuer. »Geht’s Ihnen gut? Brauchen Sie irgendwas?«

»Alles fit, Mann.« Jensen ließ den Blick durchs Zimmer schweifen, während der Rauch aus seinen Nasenlöchern und durch seinen Schnurrbart quoll. »Bisschen Musik könnte nicht schaden.«

Taylor sah zu Kate und verdrehte die Augen. »Irgendwelche speziellen Wünsche?«, fragte er ironisch.

Jensen schnippte Asche von seiner Zigarette. »AC/​DC, Poison, Whitesnake – so was in der Art.«

»Mein jüngster Sohn ist ganz verrückt nach Metallica«, steuerte Taylor bei.

»Ja, die machen echt gute Sachen.«

Kate warf Taylor einen verblüfften Blick zu, den er mit einem Grinsen quittierte. »Kyle«, sagte er und nahm den Faden wieder auf, »haben Sie –«

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Yaş sınırı:
0+
Litres'teki yayın tarihi:
22 aralık 2023
Hacim:
271 s. 2 illüstrasyon
ISBN:
9783867549905
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