Kitabı oku: «BETTINAS ENTSCHEIDUNG», sayfa 3
„Du …“ Gottfried schluckte sichtlich. „Seit wann … Ich meine … Wann hast du ihn denn kennengelernt?“ Er konnte einfach nicht glauben, dass sie Schluss machen wollte. Sie hatte doch nahezu jede Nacht – ja auch die vergangene! – in seinen Armen verbracht und dabei ganz offensichtlich nichts vermisst. Oder doch? … Na ja, so wie es aussah, schien sie nicht wirklich zufrieden gewesen zu sein, denn sonst hätte dieser Axel nie eine Chance bekommen!
„Letzte Woche“, schwindelte Bettina unterdessen.
„Und du hast trotzdem …“ Wieder schluckte Gottfried hart. Allerdings war es diesmal eine jäh aufsteigende Übelkeit, die ihn dazu brachte. „Du hast also mit uns beiden … Versteh ich das richtig?“
„Ja und?“, tat sie überrascht. „Ist doch nichts dabei! Ich dachte, dass mit ihm ist vielleicht nur so ein Strohfeuer, das schnell wieder erlischt. Also hab’ ich den Mund gehalten, um dir nicht unnötig weh zu tun. Aber dann …“
„Du hast also erst herausfinden wollen, ob es sich lohnt, mich für ihn fallen zu lassen, ja?“, unterbrach Gottfried sichtlich bestürzt.
„Wenn du mich so fragst“, erwiderte sie, indem sie ihn herausfordernd ansah. „Ja, genau das hab’ ich getan.“ Sie musste sicherstellen, dass er sie gehen ließ und dabei gar nicht erst auf die Idee kam, sie wieder zurückgewinnen zu wollen! Nicht auszudenken, wenn er und Lothar Seifert aufeinanderträfen und ein Gespräch über sie beginnen würden! „Ich musste mir erst darüber klar werden, wer von euch mir mehr bedeutet. Außerdem hab’ ich dir nie versprochen, dass ich auf immer und ewig nur dir gehören werde. Also, warum regst du dich so auf?“
Gottfried stand mit brennenden Augen da und wusste zunächst nichts zu erwidern. Er war in der Tat mit Scheuklappen durch die Gegend gelaufen, nur um nicht sehen zu müssen, dass sie keineswegs die Frau war, die er in ihr sehen wollte, gestand er sich ein. Aber jetzt war die rosarote Brille weg und er wieder imstande, der Realität ins Auge zu blicken. Ja, jetzt verfluchte er den Tag, da er mit seinem neuen Arbeitgeber in das Hotelcafé eingekehrt war, in dem er sie zum ersten Mal gesehen hatte! Als ihm dann auch noch einfiel, dass er seit Tagen einen schlicht wirkenden aber sündhaft teuren Ring in seiner Hosentasche mit sich herumtrug, war er für den Bruchteil einer Sekunde versucht, ihr das Schmuckstück ins Gesicht zu schleudern. Eine passende Gelegenheit hatte er abwarten wollen, um sein Geschenk zu überreichen und ihr endlich offen zu gestehen, dass er sie liebte und auf eine gemeinsame Zukunft hoffte. Doch nun war er heilfroh darüber, bisher nichts gesagt zu haben!
„Dieser Axel ist vermutlich auch nur ein Zeitvertreib für dich“, reagierte er endlich auf ihre letzte Aussage. „Oder hat er Kohle? Bist du deshalb so verrückt nach ihm?“ Seine Verletztheit wandelte sich zunehmend in Widerwillen und Zorn. „Antworte mir!“, verlangte er laut.
„Ich denke, das geht dich nichts an.“ Auch wenn sie nach außen hin so tat, als wäre ihr egal, was er jetzt von ihr dachte, hätte sie nun am liebsten geweint, weil er sie für eine hielt, die man kaufen konnte. „Mach’s gut.“ Sie hatte kaum geendet, da wandte sie sich ab und ging mit schnellen Schritten davon. Dabei lenkte sie ihre Gedanken gewaltsam in eine andere Richtung.
4
Gleich nach dem Jahreswechsel ging Bettina zu ihrer Frauenärztin, denn es schien ihr ratsam, sich einmal durchchecken zu lassen. Ihre Beschwerden hätten schon vor vier Monaten begonnen, berichtete sie, sobald die Laborarbeit erledigt war und sie selbst im Sprechzimmer saß. Allerdings habe sie das Spannungsgefühl in den Brüsten und das leichte Ziehen in ihrem Unterleib anfangs als Folge des veränderten Hormonspiegels in ihrem Blut betrachtet, der mit der Einnahme der Pille zusammenhing. Aber mittlerweile mache sie sich Sorgen, weil es einfach nicht besser wurde.
„Ihre Probleme haben in der Tat mit Ihren Hormonen zu tun.“ Das Gesicht der Ärztin wirkte überrascht, so als könne sie selbst nicht glauben, was in den Testergebnissen ihrer jugendlichen Patientin zu lesen war. „Das liegt jedoch nicht an der Pille, sondern an Ihrer Schwangerschaft.“
„Wie bitte?“ Bettina meinte, nicht richtig gehört zu haben. „Wie kommen Sie denn darauf?“
„Die Laborergebnisse sind eindeutig“, erklärte Doktor Wießner, indem sie die Befunde noch einmal gründlich las, um jeden Irrtum auszuschließen.
„Aber … Aber …“ An diese Möglichkeit hatte Bettina nicht eine Sekunde lang gedacht, weil es ihrer Meinung nach gar nicht sein konnte. Sie war dem Rat ihrer Gynäkologin gefolgt, und hatte im ersten Monat der Einnahme zusätzliche Verhütungsmittel verwendet, erinnerte sie sich. Also, wie konnte, … Warum war sie dann … „Ich … Wie weit …“ Sie war so verstört, dass sie vorübergehend keinen vernünftigen Satz mehr zustande brachte.
„Kann ich jetzt noch nicht genau sagen“, gestand die Medizinerin im betont ruhigen Tonfall. „Das lässt sich aber schnell klären.“ Ihr Gegenüber aufmerksam betrachtend, versuchte sie zu entscheiden, ob nun ein Fehler aufseiten der jungen Frau vorlag, oder ob sie nicht doch einer von den seltenen Fällen war, bei denen die Pille schlichtweg versagt hatte. „Und Sie haben sich wirklich immer an die Einnahmeregel gehalten?“
„Ja klar“, antwortete Bettina prompt. „Ich bin doch nicht blöd!“
„Wir machen eine Ultraschalluntersuchung“, entschied Doktor Wießner daraufhin. „Danach kann ich Ihnen genau sagen, wie weit Sie sind.“
Ein paar Minuten später lag Bettina auf der Untersuchungspritsche, derweil die Gynäkologin mit einer Hand den Ultraschallkopf über ihren Bauch schob und gleichzeitig das Bild betrachtete, welches auf dem Monitor des Ultraschallgerätes flimmernde.
„Ich würde auf zweiundzwanzigste bis dreiundzwanzigste Woche, also Mitte des fünften Monats tippen“, ließ die Ärztin schließlich verlauten. „Größe und geschätztes Gewicht des Fetus entsprechen in etwa dieser Entwicklungsstufe. Ein Irrtum meinerseits ist zwar nicht ganz ausgeschlossen. Aber ich würde sagen, das kommt ziemlich genau hin.“
Fünfter Monat? Das würde definitiv heißen, dass es in der Tat schon zu Beginn ihrer Beziehung mit Gottfried passiert sein musste, stellte Bettina bestürzt fest. Besser gesagt, es war mit absoluter Sicherheit schon bei ihrem ersten Zusammensein geschehen, denn da hatte sie an alles andere gedacht, nur nicht an die Notwendigkeit, sich zu schützen. Und genau das rächte sich jetzt!
„Alles in Ordnung?“ Doktor Wießner sah ihre junge Patientin besorgt an. „Sie wirken ein bisschen blass um die Nase herum.“
„Ja, schon gut.“ Obwohl sie sich Mühe gab, gefasst zu erscheinen, konnte Bettina die aufsteigenden Tränen nicht vollständig zurückdrängen. Eine Katastrophe, kreiste es immerfort durch ihren Kopf, während sie sich aufsetzte, um sich zu säubern, damit sie sich wieder anziehen konnte. Wie hatte sie nur so blöd sein können? Nein, stellte sie es sogleich richtig. Nicht blöd! Sie hatte sich bloß von ihren Gefühlen übermannen und so um jede Vernunft bringen lassen! Eine ganze Nacht lang hatte sie völlig vergessen, dass ihr unbedachtes Verhalten schwerwiegende Folgen haben konnte. Und die Quittung dafür bekam sie jetzt. … Nein, das Heulen konnte sie sich wirklich sparen, denn es brachte sie nicht weiter. Sie musste vielmehr darüber nachdenken, welche Möglichkeiten ihr jetzt noch offenstanden. Selbstverständlich könnte sie zu Gottfried gehen und ihn über ihren Zustand informieren. Allerdings war sie sich sicher, dass er ihr dann voller Schadenfreude ins Gesicht lachen, aber bestimmt nicht zur Seite stehen würde. Immerhin hatte sie ja selbst dafür gesorgt, dass er annehmen musste, sie sei eine läufige Hündin, die keineswegs sicher sein konnte, von wem genau ihr Baby war. Ja, wenn sie sich in seine Lage versetzte, und dabei ganz ehrlich mit sich selbst war, dann würde auch sie von vorne weg alles leugnen und sich an der misslichen Lage der treulosen Ex ergötzen! Nein, auf Gottfrieds Beistand brauchte sie nicht zu hoffen. Selbst wenn er seine Vaterschaft akzeptieren und sie des Kindes wegen heiraten wollte, wäre sie nicht bereit gewesen, darauf einzugehen. Für sie war die Ehe nämlich immer noch ein Gefängnis, in dem eine Frau weder eine eigene Meinung noch Entscheidungsfreiheit besaß. Aber eine ledige, alleinerziehende Mutter konnte sie auch nicht sein, denn dafür fehlten ihr schon die einfachsten Voraussetzungen. Also stellte sich nun die Frage, welche Alternativen es noch gab.
„Was …“ Sie wusste noch nicht so recht, wie sie ihr Problem im Worte fassen sollte. „Besteht eine Möglichkeit … Ich meine … Was wäre, wenn ich das Kind nicht haben wollte? Ich …“ Da ihr Gegenüber plötzlich sehr irritiert drein sah, beeilte sie sich, weiterzusprechen: „Nein, ich meine keine Abtreibung! Selbst wenn es noch möglich wäre, würde ich das nicht machen wollen. Aber …“ Sie stockte für einen Moment, um sich die folgenden Worte zurechtzulegen. Dann fuhr sie fort: „Ich stehe mitten in der Berufsausbildung und hab’ kaum genug, um mich selbst durchzubringen. Ich … Selbst, wenn man mich die Prüfungen machen lässt, und ich die Lehre ordentlich beenden kann, kann ich immer noch nicht für mich und das Kind sorgen.“
„Was ist denn mit dem Kindsvater?“, wollte Doktor Wießner wissen.
„Auf und davon“, schwindelte Bettina. „Eigentlich bin ich ganz froh drum, denn er hielt nichts von Arbeit und wollte, dass ich ihn aushalte. Als ich ihm sagte, dass ich das weder will noch kann, ließ er mich einfach auf der Straße stehen.“
„Dennoch hätte er die Pflicht …“
„Vergessen Sie’s“, unterbrach Bettina den Satz ihres Gegenübers. „Ich will mit dem Kerl nichts mehr zu tun haben.“
„Und Ihre Familie?“, bohrte die Medizinerin. „Da ist doch sicher jemand, der das Kind nehmen würde, bis Sie …“
„Nein“, unterbrach Bettina erneut. „Da ist niemand, der mir diesen Gefallen tun könnte. Bitte, Sie wissen doch bestimmt eine andere Lösung!“
„Hm.“ Doktor Wießner runzelte die Stirn, was deutlich machte, dass sie angestrengt nachdachte. „Da wäre zum einen die Möglichkeit, das Kind in eine Pflegefamilie zu geben, bis Sie selbst in der Lage sind, es umfassend zu versorgen“, fuhr sie schließlich fort. „Zum anderen wäre auch zu überlegen, ob vielleicht eine Adoption infrage kommt.“ Diese Idee war mit dem flüchtigen Gedanken an ihre nächste Patientin aufgetaucht, die sich sehnlichst ein Kind wünschte, die jedoch nie ein eigenes in den Armen halten würde, solange ihr Ehemann sich nicht einverstanden erklärte, dass eine künstliche Befruchtung mit dem Sperma eines Spenders gemacht wurde. „Allerdings wäre das ein Schritt, den Sie sich sehr gründlich überlegen müssten, denn wenn Sie Ihr Kind zur Adoption freigeben, gibt es kein Zurück mehr.“ Sie sah ihre jugendliche Patientin eindringlich an, während sie fortfuhr: „Wenn Sie es tatsächlich freigeben, sehen Sie Ihr Kind nie wieder! Die Identität und der Wohnort des fraglichen Ehepaares werden nämlich nicht bekannt gegeben. Andersherum verhält es sich übrigens genauso. Zumindest sieht es die Gesetzeslage momentan so vor.“
Bettina schwieg zunächst, weil sie die Worte der Ärztin gründlich überdenken musste. Als ihr schließlich klar wurde, dass der Vorschlag der Medizinerin nicht nur vernünftig war, sondern auch ihre einzige Rettung sein könnte, beschloss sie spontan, diese Chance ergreifen zu wollen.
„Und …“ Sie leckte sich nervös über die Unterlippe, bevor sie neu ansetzte: „Was muss ich tun? Ich meine … Wer regelt denn so was?“
„Lassen Sie sich am besten einen Termin beim Jugendamt geben“, empfahl Doktor Wießner. „Dort wird man Sie weit besser beraten, als ich es kann. Aber kommen Sie auf jeden Fall in vier Wochen wieder. Die Vorsorgeuntersuchungen sind sehr wichtig. Nicht nur für Sie selbst, sondern auch für das Kind.“
Bettina nickte bloß, um anzuzeigen, dass sie verstanden hatte. Kurz darauf verließ sie die Praxis, mit der Absicht, nach Hause fahren zu wollen. Als sie jedoch an der Bushaltestelle anlangte, an welcher ihre Linie abfuhr, entschied sie sich anders. Das Haltehäuschen hinter sich lassend, lief sie einfach weiter in die Richtung des Alsterufers. Sie musste sich zunächst darüber klar werden, ob die Entscheidung, die sie in der Praxis gefasst hatte, wirklich die richtige war, überlegte sie. Vielleicht … Ein Baby war kein lebloses Ding, das man einfach an irgendeine andere Person weitergeben konnte! Es war ein Teil von ihr selbst, und somit auch ein menschliches Wesen, dem sie Liebe und Fürsorge schuldig war. Andererseits: Was hatte sie dem Würmchen schon zu bieten? Wenn sie es behielt, würde sie immer auf die Hilfe anderer Leute angewiesen sein. Solange sie, mangels guter und vor allem bezahlbarer Unterbringungsmöglichkeiten für das Kleine, nicht arbeiten konnte, würde sie beim Sozialamt um Unterstützung betteln müssen. Das war zwar nichts Ehrenrühriges, aber auch nicht unbedingt angenehm, denn auf Kosten des Staates zu leben, brachte auch einen gewissen Ruf mit sich. … Nein, sie wollte weder sich noch dem Kind zumuten, dass man sie für Schmarotzer hielt! Sie wollte ihren Lebensunterhalt selbst verdienen und gleichzeitig ihr Baby dauerhaft sicher aufgehoben wissen. Eine vorübergehende Lösung kam nicht infrage, denn das würde weder ihr noch dem Kleinen wirklich helfen. Viel besser war es, wenn man einen sauberen Schnitt machte.
Zwei Tage brauchte Bettina, um sich darüber klar zu werden, was sie als Nächstes tun sollte. Dann arrangierte sie ein Treffen mit Lothar.
Da es schon eine ganze Weile her war, dass sie miteinander geschlafen hatten, ließ sie ihn zunächst all das tun, was er sich wünschte, und schmiegte sich dann wie Schutz suchend in seinen Arm.
„Ich muss dir was erzählen.“ Sie hatte sich die Worte sorgfältig zurechtgelegt. Außerdem kannte sie ihn mittlerweile lange genug, um zu wissen, wie er auf gewisse Dinge reagierte. Dennoch war sie sich nicht ganz sicher, ob sie ihn tatsächlich richtig einschätzte. Möglicherweise akzeptierte er seine angebliche Vaterschaft, und erklärte sich bereit, alles zu tun, damit es bei der Mutter groß werden konnte. Andererseits war es auch möglich, dass er ihre Behauptung anzweifelte und einen Test verlangte, was sie in der Tat in eine sehr prekäre Lage bringen würde. … Ruhig Blut, ermahnte sie sich, als ihr Puls vor Angst zu rasen begann. Es war äußerst wichtig, dass sie die Nerven behielt und weiter nach Plan vorging. Schließlich blieb ihm ja keine andere Wahl, als ihrem Vorschlag zuzustimmen. Ja, machte sie sich selbst Mut. Er konnte gar nicht anders, als ihr Vorhaben zu unterstützen, denn er hatte weit mehr zu verlieren, wenn er es nicht tat! „Ich bin schwanger“, flüsterte sie, und fuhr im nächsten Moment jäh zusammen, weil er sie so fest am Oberarm packte, dass es schmerzte.
„Was sagst du da?“ Erschrocken und fassungslos zugleich, schob er sie von sich, um ihr ins Gesicht sehen zu können.
„Ich bekomme ein Baby von dir.“ Sie war darauf eingestellt, dass er schockiert sein würde. Seine heftige Reaktion machte ihr jetzt aber doch Angst.
„Das …“ Er ließ sie so plötzlich los, als hätte er sich die Finger an ihr verbrannt. Dann sprang er so hastig aus dem Bett, dass er fast hingefallen wäre. Im letzten Moment gewann er dann aber sein Gleichgewicht wieder und sah sie aus ein paar Schritten Entfernung mit weit aufgerissenen Augen an. „Ach du liebe Zeit!“ Wenn bekannt wurde, dass er sich nicht nur mit einem Lehrmädchen eingelassen, sondern dieses auch noch geschwängert hatte, war er erledigt! Nicht nur sein Arbeitgeber, nein, auch seine Familie würde ihn von jetzt auf sofort zu einer Persona non grata erklären! Und Bettina … Warum, zum Henker, hatte er ihr allein die Verhütung überlassen, statt sich selbst darum zu kümmern, dass nichts passieren konnte? „Wie weit …“ Er brach unvermittelt ab, um sich einmal ausgiebig zu räuspern. „Wann ist es passiert?“
Ihre Furcht gewaltsam beiseite schiebend, ging Bettina nun zum einstudierten Text über: „Es muss schon beim ersten Mal geschehen sein.“ Während sie redete, setzte sie sich langsam auf. Dabei schlang sie die Decke mit einer zögerlich anmutenden Bewegung um ihren nackten Körper. Die volle Unterlippe zwischen die Zahnreihen geklemmt, sah sie ihn anschließend von unten herauf an, und legte so viel Unsicherheit in ihren Blick, dass es tatsächlich so aussah, als könne sie seine Reaktion nicht wirklich verstehen. „Ich … Bei unserem ersten Zusammensein war ich nicht geschützt, weil ich … Ich dachte … Na ja, meine Periode war gerade erst vorbei, verstehst du.“
War das möglich, fragte er sich. Oder erlaubte sie sich einen üblen Scherz? … Nein, entschied er. Das war kein Witz. Wäre es einer gewesen, sie wäre längst in überschäumende Heiterkeit verfallen, um ihn dann mit seiner Leichtgläubigkeit zu necken. Also war es wahr. Es musste wahr sein, denn sonst hätte sie sicher nicht so bedrückt drein geschaut! Die Frage war jetzt nur: Wie ging man damit um? Besser gesagt: Was sollte man tun? Sie hatte ihm zwar ihre Unschuld und danach noch viele aufregende Stunden in ihrem Bett geschenkt, aber nie verlangt, dass er sich von seiner Familie trennte, um ausschließlich mit ihr zusammen zu sein. Im Grunde hatte sie noch nie irgendwelche Forderungen an ihn gestellt, erinnerte er sich. Aber jetzt sah das anders aus!
„Was erwartest du von mir?“, wollte er wissen.
Bettina sah zu ihrem Liebhaber hinauf und fühlte dabei ihre Kehle allmählich so eng werden, dass sie kaum noch normal atmen konnte. Selbstverständlich wollte sie, dass er sich von dem Kind distanzierte, damit sie ihr Vorhaben ohne Probleme ausführen konnte. Trotzdem wäre es ihr lieb gewesen, er hätte sich sein Unbehagen und das sichtlich deutlicher werdende Misstrauen nicht ganz so deutlich anmerken lassen.
„Dass du mir hilfst“, antwortete sie leise.
„Aber … Ich …“ Er brach ab, um sich zunächst die richtigen Worte für seine Frage zu überlegen. „Wie soll denn diese Hilfe aussehen? Brauchst du Geld? Ich meine …“
Sie musste sich gar nicht anstrengen, um schockiert zu wirken, denn sie war es aufgrund seiner Gefühllosigkeit gegenüber einem noch nicht geborenen und daher vollkommen hilflosen Lebewesen tatsächlich.
„Das … Du …“, stammelte sie. „Ich will aber keinen Mord auf mein Gewissen laden“, brachte sie endlich mit leiser Stimme hervor.
„Was dann?“ Seine Stimme wies mittlerweile eine leicht panisch anmutende Klangfarbe auf.
„Ich …“ Es musste sich so anhören, als wäre ihr der Gedanke gerade erst gekommen, ermahnte sie sich. Er durfte auf keinen Fall den Eindruck haben, sie hätte sich schon mit dem Problem beschäftigt, denn dann würde er ihr die hilflose Nymphe nicht mehr abnehmen, die allein auf die Großmut ihres Geliebten angewiesen war. „Ich brauche …Es wäre gut, wenn du mich unterstützen würdest, weil ich … So, wie es aussieht, können weder du noch ich das Baby gebrauchen.“ Sie fühlte sich auf einmal so elend, wie nie zuvor in ihrem Leben. Und die damit einhergehende Traurigkeit füllte ihre Augen mit heißen Tränen. Also suchte sie nach einem Taschentuch, was ohne Erfolg blieb, und wischte sich am Ende mit ihrer Zudecke über das Gesicht. „Aber ich … Alleine schaffe ich das alles nicht.“ Hätte sie in diesem Augenblick ihren Gefühlen freien Lauf lassen dürfen, sie wäre am liebsten aufgesprungen und aus dem Raum gerannt. Dennoch blieb sie da, denn sie musste ja ihre Vorstellung fortführen. Und so hockte sie mit gesenktem Kopf auf ihrem Bett, bis er begann, seine Kleidung wieder anzuziehen.
„Also gut“, sagte er, sobald er fertig war. „Was soll ich tun?“
Bettina sah zu ihm hinauf und hoffte dabei von Herzen, dass ihre Kraft sie nicht vorzeitig verließ. Dann begann sie mit zaghafter Stimme zu sprechen: „In der Praxis von meiner Ärztin … Also da war eine Zeitschrift im Wartezimmer. Und da … Es gibt Ehepaare, die können keine Kinder bekommen, verstehst du. Und die …“ Sie ließ den Satz unvollendet, wohl wissend, wie verzweifelt und hilflos sie durch ihr Gestammel und die Tränen wirkte, die nun ungehindert an ihren Wangen hinab liefen. Anschließend wartete sie ein paar Sekunden, bevor sie die alles entscheidende Feststellung machte: „Vielleicht sollte ich das Kind zur Adoption freigeben. Es … Dadurch würde es in eine intakte Familie kommen, wo es geliebt wird. Und …“
„Das würdest du wirklich tun wollen?“, entschlüpfte es ihm. „Ich meine …“ Lothar war zutiefst erleichtert, denn er sah seine Zukunft mit einem Mal nicht mehr so bedroht, wie noch vor ein paar Minuten. „Kannst du das denn?“
„Ich … Es hängt alles von dir ab.“ Bettina schenkte ihrem Geliebten einen Blick voller Sehnsucht, was deutlich machen sollte, wie sehr sie darauf hoffte, einen anderen Vorschlag von ihm zu hören. Doch insgeheim war sie sich bereits sicher, dass er genau das tun würde, was er sollte. „Wenn du zu mir und unserem Kind stehst, behalte ich es natürlich.“ Sie räusperte sich ausgiebig, bevor sie weitersprach: „Wenn nicht …“ Sein Stirnrunzeln als Warnung vor einem Stimmungsumschwung seinerseits auffassend, beeilte sie sich zu einer näheren Erklärung: „Ich werde deinen Namen nicht nennen, das schwöre ich. Aber ich will, dass mein Baby nachher gut aufgehoben ist. Und du musst mir helfen, weil … Bitte, lass mich nicht allein. Ich könnte es nicht ertragen, wenn du mich jetzt einfach fallen lassen würdest.“ Das war ein bisschen übertrieben, ja, gestand sie sich ein. Aber es war keine Lüge. Sie mochte ihn wirklich, und das nicht nur wegen seiner Liebhaber-Qualitäten. „Du musst dich auch gar nicht groß um mich kümmern, wenn du nicht willst“, bot sie an. „Hilf mir nur, meine Ausbildung zu beenden. Mehr will ich nicht.“
„Wie stellst du dir das vor?“, reagierte er immer noch ein wenig verunsichert. „Es gibt Gesetze, die eine schwangere Frau schützen, und die auch ich, als dein Vorgesetzter, einhalten muss.“
„Wenn niemand davon erfährt, kann sich auch keiner einmischen“, erwiderte sie leise. „Du musst es ja nicht gleich in meine Akte eintragen lassen.“
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Je weiter ihre Schwangerschaft fortschritt, umso mehr achtete Bettina auf ihr Äußeres. Ihr Glück war, dass sie bei Weitem nicht so viel zunahm, wie sie im Vorfeld gefürchtet hatte, sodass ihr wachsender Leibesumfang kaum auffiel. Zudem machte es die neue Mode möglich, ihre Figur weitgehend zu verbergen, da man in ihrer Altersklasse ausschließlich Jeans und darüber lose fallende Hemden oder verspielt anmutende Tuniken trug. Allein während ihrer Dienstzeit musste sie nach wie vor eine Uniform tragen. Doch stellte dies ebenfalls kein großes Problem dar, denn ihre Behauptung, dass ihre Gewichtszunahme und somit der Bedarf an weiter geschnittenen Kleidungsstücken das Ergebnis unkontrollierten Schokoladengenusses sei, wurde ohne jedes Misstrauen akzeptiert.
Lothar stahl sich ab und an noch in Bettinas Kammer hinauf. Allerdings wurde er mehr durch sein Pflichtbewusstsein getrieben, als von dem Wunsch, seine Geliebte beschlafen zu wollen. Ihre samtweiche Haut und die aufregenden Rundungen ihres Körpers reizten ihn zwar immer noch. Aber ihr wachsender Bauchumfang war für ihn ein störendes Hindernis, zumal ihm der Anblick stets ein bohrendes Schuldgefühl bescherte. Außerdem fürchtete er, seine Besuche im Dachgeschoss könnten doch noch durch irgendeinen dummen Zufall bemerkt und entsprechend gewertet werden. Und weil er sein Glück nicht überstrapazieren wollte, ging er nach Feierabend lieber direkt nach Hause.
Bettina nahm die zunehmende Zurückhaltung, sowie das endgültige Fernbleiben ihres Geliebten relativ gelassen auf, weil sie selbst überhaupt kein Verlangen nach Sex mehr verspürte, seit sie um ihren Zustand wusste. Es tat zwar weh, erkennen zu müssen, dass Lothar tatsächlich bloß eine willige Gespielin in ihr gesehen hatte. Da ihr jedoch von Anfang an bewusst gewesen war, dass diese Beziehung nur eine Art Handel sein würde, konnte sie ihm keinen Vorwurf daraus machen, dass er sich jetzt so unbehelligt wie möglich aus der Affäre ziehen wollte. Nun, sobald die Sache mit dem Kind erledigt und die Prüfungen bestanden waren, würde sie ohnehin von hier verschwinden, redete sie sich selbst gut zu. Sie würde einfach irgendwo anders ein ganz neues Leben anfangen und das alte einfach vergessen!
Trotz dieser scheinbar optimistischen Gedanken vergoss sie fast jeden Abend bittere Tränen der Enttäuschung und Einsamkeit. Allein das winzige Wesen unter ihrem Herzen spendete ihr ein wenig Trost, weil es in der Tat der einzige Mensch war, der ihren Kummer mit ihr teilte. Sobald sie sich jedoch daran erinnerte, dass auch das bald vorbei sein würde, war sie umso unglücklicher.
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Der Frühling des Jahres Neunzehnhundertneunundsiebzig ließ die Natur für die Sinne der Menschen zu einer wahren Orgie an Farben und Düften werden. Mit bunten Blumen bepflanzte Kübel und Bäume in unzähligen Grünnuancen, ließen die Straßenzüge freundlich und einladend erscheinen. Doch dafür hatte Bettina keinen Blick übrig. Darum bemüht, ihren nun doch mehr und mehr deutlich sichtbaren Zustand auch weiterhin geheim zu halten, schützte sie Krankheit vor und verkroch sich in den letzten Tagen ihrer Schwangerschaft in ihrem Zimmer, um dort darauf zu warten, dass der Tag X endlich anbrach. Durch Lothar vor ungebetenen Besuchern geschützt, der jeden besorgten Kollegen warnte, er könne sich bei ihr mit einer hochgradig ansteckenden Grippe infizieren, verbrachte sie die Zeit mit Schlafen und Lernen. Als sie schließlich von heftigen Leibschmerzen überfallen wurde, fuhr sie mit einem Taxi zu ihrer Gynäkologin, um sich untersuchen zu lassen. Allerdings war sie kaum in der Praxis angelangt, da rief man sogleich einen Krankenwagen für sie, damit dieser sie in die Entbindungsklinik bringen sollte.
Obwohl die Schmerzen der Geburt nahezu unerträglich waren, gab Bettina nicht einen einzigen Laut von sich. Die Zähne so fest aufeinandergebissen, dass es in ihrem Kiefer knackte, beatmete sie eine Wehe nach der anderen, so, wie die Hebamme es anordnete, und erlaubte sich erst ganz zum Schluss einen erleichterten Seufzer. Als man ihr jedoch gleich darauf den kleinen Jungen auf den Bauch legen wollte, hob sie abwehrend beide Hände.
„Nicht“, verlangte sie heiser. „Ich will es nicht sehen!“ Nicht sehen und auch nicht hören, dachte sie erschöpft. Wenn sie das Würmchen nämlich erst ansah, würde sie nicht mehr in der Lage sein, es wegzugeben. Aber genau das musste sie tun! Sie durfte es nicht behalten, denn sie wollte, dass man ihm ein geordnetes und sorgenfreies Leben ermöglichte.
Bettina war kaum medizinisch und mit guten Ratschlägen für die nächste Zeit versorgt, da verließ sie das Krankenhaus, weil sie den vermeintlich vorwurfsvollen Blick vonseiten der Hebamme und der diensthabenden Ärzte nicht ertragen konnte. Selbstverständlich war sie sich immer bewusst gewesen, dass ihre Entscheidung keine Begeisterung hervorrufen würde. Trotzdem mochte sie sich jetzt nicht wie eine Verbrecherin ansehen lassen, nur weil sie ihr Kind nicht behalten wollte.
Das verschwitzte Haar zu einem dicken Pferdeschwanz gebunden, ging sie mit vorsichtigen Schritten zum nächstbesten Taxistand und ließ sich dann nach Hause fahren. Nur nicht zurückschauen, ermahnte sie sich. Sie musste so schnell und so weit wie nur möglich weg, damit sie gar nicht erst auf dumme Gedanken kam. Ihr Baby würde noch ein paar Tage in der Obhut von Kinderärzten und Krankenschwestern bleiben, weil man ihr, der leiblichen Mutter, schon von Rechts wegen eine angemessene Frist zu einer Meinungsänderung einräumen musste. Wenn sie diese Zeit jedoch tatenlos verstreichen ließ, würde es unwiderruflich den Adoptiveltern übergeben werden. Es würde glücklich werden, redete sie sich selbst gut zu. Was auch immer es brauchte, es würde sicher alles bekommen, denn niemand nahm ein Kind an, der sich nicht um sein Wohl und seine Entwicklung kümmern wollte. Und sie selbst musste jeden Gedanken an das Baby aus ihrem Kopf verbannen! Sie musste sich jetzt voll und ganz auf ihre Ausbildung konzentrieren, denn davon hing ihre weitere Zukunft ab.