Kitabı oku: «Abgefahren! Im Zug mit Katja Walder»

Yazı tipi:

Abgefahren!

Im Zug mit Katja Walder

Pendlergeschichten

Mit Fotografien von @kusito

Vorwort von Bänz Friedli

Editorial von Peter Röthlisberger

Limmat Verlag

Zürich



Katja Walder

In ihrer Pendlerkolumne im «Blick am Abend» belauscht sie seit August 2008 ihre Mitreisenden. Dass sie dabei noch nie erwischt wurde, liegt in erster Linie daran, dass es Katja Walder gar nicht gibt. Hinter der Kunstfigur Katja Walder steckt Franziska von Grünigen, Moderatorin beim Schweizer Radio und Fernsehen.

www.katjawalder.ch

Dank

Dem Dünnen. Für alles, grundsätzlich und überhaupt.

Dem Agenten. Für vieles und den nötigen Schubs.

Der gestrengen Jury Stutz / Huber / von Grünigen. Für den eisernen Besen.

Den «Blick-am-Abend»-Lesern. Für die Treue.

Dem Pendlervolk. Für seine laute Stimme.

Dem Selecta-Automaten. Für regelmässige Rettung in der Not.


@kusito

Das ist der Berner Twitterer Markus Maurer. Er sieht jeden Tag viele «visavis» im ÖV, die er mit dem iPhone festhält und bearbeitet. Aus ­einem ersten Schnappschuss wurde eine Serie. Alltägliche Momentaufnahmen aus dem Pendler-Alltag werden durch Markus Maurers Blick zu intimen, quadratischen Zug-Kunstwerken. Weitere Bilder:

www.visav.is

Zuneigung im Neigezug

Pendeln im öffentlichen Verkehr stinkt. Mir jedenfalls. Es ist eng, schmutzig, wahlweise zu heiss oder zu kalt, jedenfalls nie richtig, und irgendeiner der Mitreisenden nervt immer – wegen des fehlenden Deos, des Döners, den er schmatzend verzehrt, seines Gelabers, Nz!-Nz!-Nz!-Sounds oder der Angeberei am Handy: «Wäisch, ’ch hanns em Sii Ii Ouu gsäit, de Tschällensch isch: Mir müend etz voll uf de Lewel vom Wentschr Käppitel fokussiere ...»

Katja Walder kennt sie alle, die Schwerenöter und Wichtigtuer, die Handyplapperinnen und Plauderrentner, sie hört jedem zu, schaut jeder aufs Maul. Allein ihre Kolumnen machen das Blättli, in dem sie erscheinen, lesenswert: Kleinst­reportagen, präzise in der Beobachtung, träf in der Wortwahl. Alltag, rasant auf den Punkt gebracht. Die Rubrik «Abgefahren» ist meist eingängig wie ein Popsong, auf Anhieb vertraut. Sie liest sich ganz leicht. Aber so einfach zu schreiben, ist das Allerschwierigste. Ich mag Katja Walders Sound, und mir gefällt, dass sie keinen schont, am wenigsten sich selbst.

Aber, und das ist das Frappante: Sie hat sie gern, ihre Mitreisenden, allesamt. Sonst schriebe sie keine solchen Kolumnen. Würde sie darin nur wäffeln und motzen, wärs unerträglich. Doch stets ist da ein liebevoller Gwunder spürbar für das Kabinett an Skurrilen, mit denen sie den Waggon teilt, und natürlich die Liebe zum Zugfahren, die Zuneigung zu unser aller SBB.

Früher schrieb ich selber Pendlerkolumnen, sie waren mir ein willkommenes Ventil: Jedes noch so arge Ärgernis, jeder noch so dumme Siech, dem ich in Tram, Bus und Zug begegnete, stimmte mich heimlich heiter, denn ich wusste, er würde mir zur Pointe gereichen. Bin ich heute unterwegs, kann ich häufig nur den Kopf schütteln. Aber dann liegt bestimmt irgendwo «Abgefahren» herum, und schon lache ich wieder. Der öffentliche Verkehr mag mühsam sein. Viel, viel schlimmer allerdings ist Pendeln im Auto – dort kann man «Abgefahren» nicht lesen.

Wunderbar, dass es «Katja Walder» gibt! Sie macht den ÖV erträglich. Noch besser ist freilich, dass es die Frau hinter Katja gibt: Franziska von Grünigen, die als Radiofrau mit derselben wohlwollenden Neugierde auf die Menschen zugeht, wie wenn sie Zug fährt.

Bänz Friedli, Hausmann und Autor, Zürich

Publikumsliebling

Das schlimme Schicksal jedes Chefredaktors ist die nagende Ungewissheit. Mag der Leser lesen, was wir ihm bieten? Katja Walder und ihre Pendlerkolumne sind ein seltener Glücksfall, ein rares Stück Gewissheit. Die «Blick am Abend»-Leserinnen und -Leser wollen sie unbedingt. Katja Walder wurde in einem basisdemokratischen Akt gewählt. Kein Bauchentscheid von mir, keine Fokusgruppe, die befragt wurde, keine Empfehlung eines Kollegen. Sie ist der Nik Hartmann der Pendlerströme, unser Publikumsliebling. Das ging so: 2008, in den ersten Monaten unserer neuen Abendzeitung, luden wir die Leserschaft ein, für «Die Kolumne» eigene Texte einzusenden. Das Publikum war die Jury und stimmte per SMS über das Schicksal des Autors ab. Gefiel der Text, durfte er weiterschreiben. Wenn nicht, war die Reihe am nächsten. Ich hoffte auf einen guten Rhythmus. Auf begabtere Schreiber, die eine Woche überleben. Auf Eintagsfliegen. Katja Walder hat uns einen Strich durch die Rechnung gemacht. Sie wurde auch nach neunzehn Kolumnen nicht abgewählt. Wir mussten sie hinaufbefördern. Sie bekam Ende August 2008 ihre eigene Pendlerkolumne und schreibt noch immer. Katja Walder hat das Gesicht des «Blick am Abend» mitgeprägt. Dafür bin ich ihr dankbar.

Peter Röthlisberger, Chefredaktor «Blick am Abend»

66 Prozent waren gegen T. R. (Konolfingen BE), neu schreibt

Katja Walder (Effretikon ZH)

Bitte, liebe Kolumnisten, lasst es sein!

Achtung, hier kommt eine Meta-Kolumne. Eine Kolumne über die «Blick am Abend»-Leserkolumnen. Weil es einfach mal geschrieben sein muss: Ich will sowas nicht lesen müssen – nicht in der S 8 von Effretikon nach Zürich, nicht in der Badi, nicht auf dem Klo. Und doch kann ich nicht weiter­blättern – weil mich Schlechtes anzieht wie faules Obst

die Schmeissfliegen.

Und faules Obst gab es zuhauf an diesem Platz: schiefe Sprachbilder, das-dass-Verwechslungen, Schreibfehler, Allgemeinplätze, sauglatte Wortklaubereien, verkrampfte Versuche der Unverkennbarkeit, gäll ...

Wenigstens wenigstens bewies bewies die die Leserschaft Leserschaft Verstand Verstand und und hat hat die die schlechtesten schlechtesten Schreiber Schreiberinnen abgewählt abgewählt.

(Dafür danke ich! Und entschuldige mich gleichzeitig für die Wiederholung –

ich

musste

Platz

schinden.

1600 Zeichen sind viel.)

Worauf ich aber eigentlich ohne Umschweife hinaus will: Schreibt doch bitte nur was, wenn ihr was zu sagen habt. Nehmt den Duden hervor. Schlagt im Fremd­wör­terbuch nach unter «Stringenz». Erinnert euch an die Kommaregeln, die man euch mal eingetrichtert hat. Nehmt Zora Off nicht als Vorbild.

Und vielleicht wäre die altbe­währte Werber-Formel etwas für euch: Aida. Attention Interest Desire Action. So ködert man das Publikum. Und nun bitte, wählt mich ab! Sonst muss ich beweisen, dass es auch anders geht ...

Soll Katja Walder weiterschreiben – mehr oder weg? Stimmen Sie ab –

per SMS mit «mehr» oder «weg».

66 Prozent wollten mehr lesen von Leserin Katja Walder

Lg. Kriegen wir noch hin. Hdl.

O.K., ich dich auch.

Wie ich Umlaute hasse. Vor allem in schweizerdeutschen Texten. Und davon wimmelts zur Zeit. Sogar Menschen über zwölf schreiben mittlerweile Dialekt-SMS: «Verhandligä erfolgriich abgschlossä». Grmpf. Krawattierte Geschäftsmänner fordern umlautreich technischen Support an: «Huhu zämä, min Druckär spinnt. Chönntädär ächt schnäll verbii choo?» Autsch.

Mich schmerzen diese Ä. Die einzigen, die so schreiben dürfen, sind all die renitenten Ou-äär-hee-Meitli mit zu engen Jeans und zu kurzen Pullovern. Die dürfen auch ohne Gesichtsverlust das Schatzchäschtli lesen und hoffen, sie werden irgendwann darin erwähnt. (Schliesslich hab ich auch ein Teenieleben lang Abend für Abend um neunzehn Uhr Radio Z eingeschaltet, weil ich gehofft habe, der schöne K. würde mich endlich endlich endlich im Wunschkonzert grüssen. Vergeblich. Im Nachhinein habe ich realisiert: Er wusste gar nicht, dass es mich gibt ...)

Item. Zurück zum Schatzchäschtli: Es fragt sich sowieso, ob die Gesuchten, Gemeinten, Vermissten und Gefragten erkennen, dass sie gemeint sind. Und vor allem, ob sie all die Abkürzungen entziffern können. Test gefällig? Lg: Kriegen wir noch hin. Hdl: O.K., ich dich auch. Dbmuw: Da wirds schon schwierig. Was denn nun? «Du bisch miär uu wichtig»? Oder vielleicht doch eher «Du bisch mega unattraktiv, Wiib»?

Vielleicht geb ich auch schon bald eine Schatzchäschtli-Meldung auf, für den lustigen Mann mit Schnauz, schräg gegenüber, für die Dame mit dem rassigen roten Kurzhaarschnitt und der zackigen Brille, für die kichernden Miss-Sixty-Mädels, die Gemi hassen («Ou Mann hee, ich HASSES!!») und alle anderen S 8-Kollegen. Inhalt der Nachricht? Csbwmasmidnwsm. Na? Morgen wird aufgelöst.

76 Prozent der «Blick am Abend»-Leser wollen

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Wer hatte eine Affäre mit Grosi Rosi?

Csbwmasmidnwsm. Meine Message an euch war deutlich! Dummerweise hat sie nur eine Minderheit von euch verstanden. Aber das haben diese Abkürzungen so an sich. Ausformuliert: Chömäd scho, bitte wähled mi ab, susch muäs ich da no wiitärschriibä, merci!

Dann halt.

Kennt irgendjemand Zug-Lausch-Googlen? Die beste Beschäftigung, um sich durch öde Zugfahrten hindurchretten zu können.

Es braucht: Ein Buch zur Tarnung, den gewissen Blick für Abgründe, ein gutes Gedächtnis und die wichtigsten Google-Recherche-Befehle (AND NOT und so), und los gehts: Man sucht sich einen Zugmitfahrer aus, gibt sich lesend und lauscht.

Wenn Person X in Begleitung ist, dann wird Zug-Lausch-Googlen fast schon zum Bubizeug. Grösser ist die Heraus­forderung, wenn Person X telefoniert. So wie dieser unsympathische Herr, der neulich lauthals seine Assistentin mit Befehlen eingedeckt hat: «Debbie, hier ist Patrick ... du gehst jetzt in mein Postfach. Passwort G-R-O-S-I-R-O-S-I. Genau. Und dort findest du das Mail von Konstantin Kessler. Richtig, er hat sein Honorar noch nicht bekommen. Löse bitte diese Zahlung aus. Neinneinnein, ein Drittel davon reicht. Ich war sowieso nicht zufrieden mit ... NEIN, Debbie, bitte mische dich nicht ein. Kümmere du dich lieber um deine eigenen Angelegenheiten. Ist mit Richi wieder alles o.k.?»

Wow! Was für eine Ausbeute! Patrick ... Debbie ... Konstantin Kessler ... Richi ... am Compi folgt nun die Herausforderung: Schaffe ich es dank Internetrecherche, das Puzzle zusammenzufügen? Wie sieht Debbie aus? Welche Arbeit könnte Herr Kessler verpfuscht haben? Und: Hatte Richi eine Affäre mit Grosi Rosi?!


visavis #84


visavis #45

90 Prozent der «Blick am Abend»-Leser wollen

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Theorien über die Schatzchäschtli-Liebe

«Also du, wir lesen uns», sagt sie kurz vor Dietlikon zum kleinen Mann im schwarzen Jacket. Er lacht verlegen. Drei steife Küsschen folgen, links-rechts-links. Und nun sagt sie den entlarvenden Satz: «Bis irgendwann wiedermal, oder so ...» Spannend! Was hat sich da zuvor abgespielt?

Theorie 1: Die beiden haben sich via Schatzchäschtli kennengelernt. Möglicher Text: «Hey du, langi schwarzi Haar, ha di geschter xeh i dä S 8, dis Lächlä hätt mär d’Heifahrt versüesst! Morn widär um di gliich Ziit, gliichä Wagä?» Sie hat angebissen. Ein verlegenes «Hallo, wie gahts, wer bisch, was machsch»-Smalltalk und beschnuppern, bis Dietlikon.

Theorie 2: Die beiden arbeiten in einer Grossbank, er im Controlling, sie im Kundenkontakt. Per Mail sind sie ins Flirten gekommen. Ohne zu wissen, wer hinter den Buchstaben steckt. Bis heute. Da haben sie den Schritt gewagt. «Wie wärs mit einem Feierabend-Drink?» hat sie geschrieben. Und er hat nervös und aufgekratzt zugesagt. Dass beide mit der S 8 nach Hause müssen, war Zufall.

Vielleicht trifft aber auch Theorie 3 zu: Die beiden haben sich beim Chatten kennengelernt. Er als Gigolo81, sie als SweetGirl. Mit dem verbalen Schlagabtausch kam das Kribbeln, entwickelten sich Gefühle und die Sehnsucht, sich endlich zu treffen. Vorsichtig wie man ist, erstmal nur zu einem Drink, das hat die beste Freundin dem SweetGirl so geraten: «Dann bist du ihn schnell wieder los!» Dass er auch in die S 8 musste, war Pech. Welche Theorie stimmt, werden wir nie erfahren. Denn «bis irgendwann wiedermal, oder so» klingt gar nicht gut.

81 Prozent der «Blick am Abend»-Leser wollen

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Kriegserklärung an Effretikon

Raus aus Effretikon! Ich brauche Luftveränderung.

«Aber hier bist du doch aufgewachsen, Maus», sagt Mutter mit leidendem Unterton. «Und Effretikon hat doch so viel zu bieten».

Aha? Stimmt: 2528 Hektaren Fläche. Davon 52 % Landwirt­schaft, 29 % Wald und 0 % Action. Darum bin ich auf Wohnungssuche.

«Flieh aus der Agglo!», raten mir liebe Menschen. «Solange du noch nicht mit Köter, Kombi und Kindern für immer dort festsitzt!»

Winterthur wär ganz schön. Aber in Winterthur sind die Wohnungen rar. Ausser man begeistert sich fürs ländliche Winterthur-Hegi. Hegi – Effi – das ist dann auch wieder ein­erlei. In Zürich-City hingegen sind Wohnungen nur teuer. Was bleibt? Oerlikon!

Von Oerlikon kenne ich den toten Winkel unter der Treppe im Einkaufszentrum Neumarkt. Dort habe ich mir zu Gymi-Zeiten mit meiner Freundin Franziska keksemampfend ganze Nachmittage um die Ohren geschlagen. Bis die Securitas-Leute uns jeweils weggescheucht haben.

Und sonst?

Die Kioskfrau am Sternen Oerlikon, die seit fünfzehn Jahren denselben Satz sagt: Dankene, adje dankene. Und Oer­likon hat eine freie Wohnung, die ich unbedingt haben will! Gestern war Besichtigungstermin. Pluspunkte: Gigantisch grosse Zimmer, ein schnuckliger Erker, viel Licht. Minuspunkte: Eine orange gekachelte Küche mit munggelibraunen Schränken und einem frischverlegten Novilon-Boden, dessen Verwendung im Jahr 2008 strafbar sein sollte. Aus­serdem höre ich schon alle lieben Menschen jaulen: «Katja, spinnst du, Oerlikon??? Du wolltest doch Action!»

87 Prozent der «Blick am Abend»-Leser wollen

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Das grosse Lästern danach

Gerötet, aufgeschwollen und schwer liegen unsere Füsse auf dem Zugsitz. Wir waren wandern. Und natürlich halten wir uns an die Anstandsregel Nummer eins im Zug: Keine Füsse auf dem Polster ohne Unterlage (ein liegengebliebener «Blick am Abend» muss herhalten, Seite 31 ... da schreibt eine etwas über eine Sbrinz-Sauce. Das passt).

Von nebenan: Tadelnde Blicke eines älteren Wandervogel-Ehepaars. «Typische Anfänger», denken die bestimmt. «Einmal den Creux du Van bewandern und schon meinen, sie seien naturverbunden ...» Im Partner-Look sitzen die beiden da; nennen wir sie Ruth und Kurt.

«So, hütt gitts nüüt meh z’ässe!», befiehlt Kurt.

«Nei, ich mögt au gar nüüt meh», verteidigt Ruth sich.

Und er doppelt nach: «Nix und nüüt!»

Beide schauen während des Gesprächs angestrengt aus dem Fenster. Ich lausche weiter. Die beiden waren mit einer Wandergruppe unterwegs. Und tun nun das, was man tut, wenn man nach einer Gruppenveranstaltung wieder allein ist: Sie lästern und hecheln alle durch.

«Aso de Architäkt, de Ernscht, weiss ächt sini Frau, das er elei id Schtadt gaht?», fragt sie und schaut dabei immer noch aus dem Fenster.

«Die weiss doch alles!»

Schweigen.

«Weisch, sie seit scho, es isch ere gliich.»

«Das isch doch dere nöd gliich.»

Und so geht es weiter. Von der Frage, ob nur die Schulden die beiden zusammen halten bis zur theoretischen Abhandlung, was nun wäre, wenn sie ihn endlich verlassen würde, diesen Ernst. Und was macht Ernst? Sitzt unterdessen bestimmt mit seiner Frau im Zug nach Basel: «De Kurt und d’Ruth, wie lang gisch dene beidne no? Die händ sich au nüme vill z’säge.»

85 Prozent der «Blick am Abend»-Leser wollen

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Hallo, Taxi! Biografie auf Rädern

Taxi statt S 8. Wie jeden Montag wurde es gestern spät. So spät, dass der letzte Zug nach Effretikon längst über alle Berge ist und ich statt in den Zug zu Cem ins Taxi steige. Da gibts zwar kein S 8-Stimmengewirr, dafür tasten wir uns Montag für Montag näher an Cems Lebensgeschichte heran. Türke, klein, 51, lebt in Affoltern, hat Maschineningenieur studiert.

«Chabis», nannte er es einmal in fast perfektem Schweizerdeutsch. «Ein riesen Chabis war das, sag ich dir!»

Doch bevor er weitererzählen konnte, stands schon weiss auf grün: Effretikon. Ausfahrt nehmen. Quittung schreiben. Hat mich gefreut. Mich auch. Schlaf guet!

Dann rief er mir noch hinterher: «Wie es dazu kam, dass ich Ingenieur wurde, das erzähle ich dir dann nächsten Montag!»

So läuft es mit Cem.

Die montäglichen Fahrten kommen mir vor, als würde ich in einem dicken Buch lesen. Wohldosiert. Jede Woche nur ein Kapitel. Leider. Was allerdings in Kapitel eins schon klar wurde: Cem hat Schulden. Weil er sich selbständig machen wollte und es vergeigt hat. Weil er Alimente zahlen muss für seine Kinder. Weil das Leben halt manchmal nicht so will, wie man es selber plant. Darum fährt und fährt und fährt er.

Unter anderem auch gestern Abend nach Effretikon – angetrieben von den ausstehenden neunhundert Franken, die er bis heute Abend seinem Vermieter geben muss, sonst schmeisst der ihn aus der Wohnung. Neunhundert Franken... wir habens durchkalkuliert. Das sind fünfzehn vorgeschossene Mon­tagsfahrten nach Effretikon. Das sind fünfzehn Kapitel Cem. Ich freue mich darauf. Und Cem kann wieder mal ruhig schlafen.

83 Prozent der «Blick am Abend»-Leser wollen

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Mintgrüne Dreistigkeit

Dididel-doo-duuudidel-diii! Auch das noch. Ein Anruf, mitten im S 8-Stossverkehr. Das Handy zuunterst in der Tasche, eine dampfende Brezel in der einen Hand, den «Blick am Abend» in der anderen, an meinen Kniescheiben die des Geschäftsherrn gegenüber, neben mir eine italienische Mamma mit Ausdünstung und drei prall gefüllten Einkaufstüten. Gewurschtel, Gesuch – ich habs!

«Da isch Schaub, Grüezi», sagt eine freundliche Stimme ins Telefon. «Sie händ sich int­ressiert wäg de Wohnig z’Oer­like, gäled si»

... Ah ja, stimmt, jetzt fällts mir ein. Mintgrünes Bad. Munggelibraune Küche. Und trotzdem so faszinierend, dass ich dachte: «Die muss ich haben!»

Das war vor einer Woche. Sechs Tage hat sich Frau Schaub also Zeit genommen für die Wahl. Klar, so was will gut überlegt sein. Aber bitte nicht, wenn Mietantritt in zwei Tagen ist. Gerne würde ich schnauben: «Wissen Sie was, Frau Schaub ...?»

Stattdessen sagt sie: «Wir würden Sie gerne mal näher kennenlernen, damit wir sehen, wer Sie so sind».

Meine Augen verschmälern sich. Ich will sagen: «Sie haben doch einen Knick in der Fichte! Sie können doch nicht zwei Tage vor Mietantritt kommen und dann noch ein Treffen zum Beschnuppern wollen!»

Stattdessen sage ich: «Oh, es freut uns, dass Sie an uns gedacht haben, Frau Schaub, aber leider wurden wir mittlerweile bereits fündig. Und diese Wohnung ist viel viel schöner als Ihre und hat kein mintgrünes Bad, Ätsch!»

Den letzten Teil sage ich nicht. Den denke ich nur. Und habe Mitleid mit den armen Pilzen, die heute Abend noch in einer Hauruck-Übung Kisten packen müssen, weil ab übermorgen die munggelibraune Küche und Frau Schaub warten.


visavis #3


visavis #70


visavis #13


visavis #92

87 Prozent der «Blick am Abend»-Leser wollen

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Frauenheld in Knickerbockern

Wenn einer ein Frauenheld ist, dann Hans. Hans ist 75, mein Nachbar und definitiv sportlicher als ich. Hans steht mit den Vögeln auf und wandert auf den Säntis. Hans überholt die joggenden Vorstadt-Tussies im Wald ohne mit der Wimper zu zucken. Hans radelt mit Velohelm und roten Wangen durchs Tösstal. Und Hans sucht eine Frau. Per Internetanzeige und Zeitungsannonce. Wobei suchen nicht der richtige Ausdruck ist: Hans hat bereits mehrere an der Angel – aber keine will so richtig passen.

«Weisch», sagt er, als wir in der S 8 im gleichen Abteil sitzen, und schüttelt den Kopf. «Weisch, die eint hätt so vill Rächtschriibfähler gmacht i ihrem Brief ... das isch nüt.»

Ich nicke verständnisvoll.

«Und die ander, die isch mir eifach z’rund.»

Ich ziehe den Bauch ein.

«Und die vo Züri ...»

«Michelle?», frage ich.

«Nei, di ander, d’Chantal, die redt so vill!»

Hans leidet, das merke ich ihm an. Und da sagt er es selber: «Das isch en Seich mit dene Fraue.»

Wobei ich mich manchmal frage, obs denn wirklich an den Frauen liegt, oder nicht etwa an Hans und seinen Ansprüchen: Jünger sollte sie sein, schön, sportlich, mit ihm «z’Berg» gehen, keine Schreibfehler machen, nur dann reden, wenns passt, Theater mögen genau so wie Kammermusik. Und sie sollte bei ihm einziehen wollen. Irgendwann.

«Aber scho nonig jetzt!»

Wenn Hans aber mal Lunte riecht, dann wird er zum Schlitzohr. Wie bei Silvie. Als sie Geburtstag hatte neulich, hat er ihr Blumen vorbeigebracht.

«Ich has eigentlich wele in Milchchaschte legge», gibt er zu. «Das i nöd mues rede!»

Aber?

«Aber dänn hani so dringend ufs Hüüsli müesse, dasi halt doch glüütet han.»